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Die Tabula Peutingeriana – nach einem fr ¨ uheren Besitzer , Konrad Peutinge r (1465 1547), benannt – ist die mittelalterliche Abschrift einer oder mehrerer vermutlich aus dem 4. Jh. stammenden r ¨ omischen Welt-Stra ßenkarten. Die urspr ¨ unglich als Rolle aus insgesamt 12 Pergamentbl ¨ attern bestehende Karte maß in ihrer Ost-West-Ausdehnung knapp 7 m, w¨ ahrend die Nord-S ¨ ud-Ausdehn ung auf ca. 34 cm komprimiert wurde. Sie umf asste die ge samte den R ¨ omer n be ka nnte Wel t vo n Ga lli en (das 12 . Bl att mi t de r Da r- stellung von Spanien und großen Teilen Britanniens fehlt infolge einer Besch ¨ adigung) bis Indien und China sowie von Britannien bis Nordafrika. Aus der in die Breite gezogenen Kartengestalt resultiert eine Verzerrung der Nord- S ¨ ud-Dimension in die Ost-West-Dimension. Besonders deutlich ist das zu sehen in der Darstellung der Mittelmeerregion: Das Meer ist zu einem schmalen Streifen ver- engt, Italien und Griechenland erstrecken sich auf der Karte horizontal und nicht, wie aufgrund der tats ¨ achlichen geographische n Gestalt anzunehmen w ¨ are, vertikal. Zudem h¨ angt es von der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung sowie von der Zahl der eingetragene n Routen und St ¨ adte ab, wie viel Raum einzelne Landstriche in der  Tabula Peutingeriana  einnehmen. Bei der Tabula Peutingeriana handelt es sich um ein sogenanntes i tinerarium adno- tatum pictum, um ein Kartenwerk also, das Orte, Straßen, K ¨ ustenverl ¨ aufe, Flussl ¨ aufe, Seen, Meere und Gebirge graphisch (durch Vignetten, Linien und durch Farben) dar- stellt, in das aber zus ¨ atzliche Informationen (Ortsnamen, Distanzangaben. vereinzelt Provinz-, Landschafts-, Gebirgs-, Binnensee- oder Flussnamen) schriftlich eingetragen sind. Im Vordergrund der  Tabula Peutingeriana stehen aber die Straßen. Die Karte zeigt ein Netzwerk von Straßen, die durch rote Linien dargestellt werden. An den Straßen lie gen gr ¨ ere St ¨ adte,die dur ch Vign ett en und Beischri fte n hervor ge hob en wer de n. Die kle ine ren Ort e an de n Str aße n sin d nic ht durch Vign etten, sonde rn led igl ich durch ein en kleinen Haken in der graphischen Streckendarstellung und eine zugeh ¨ orige Beischrift gekennzeichnet. Fast jeder Streckenabschnitt wird durch eine schriftliche Distanzan- gabe erg ¨ anzt. Auf der Karte wird also ein weitgehend geschlossenes antikes Weltbild, eine tats ¨ achliche antike Raumvorstellung dargestellt. Allerdings: Es handelt sich um da s W elt bil d aus der Per spekt iv e ein er bes timmte n Zei tep oc he (1. 4. Jh. n. Chr .). Außerdem sind nicht alle damals vorhandenen Orte, Straßen oder topographischen Merkmale abgebildet. Und es sind - nach dem Gesichtspunkt der Himmelsrichtungen und der Maßst ¨ ablichkeit – die Verl ¨ aufe der Straßen und Fl ¨ usse oft nicht stimmig. Auch die Positionierung von St ¨ adten oder topographischen Merkmalen stimmt mit unseren heutigen Informationen oft nicht  ¨ uberein. Das macht das ÇLesen‘ der  Tabula Peu- tingeriana zu einem recht m ¨ uhseligen Unterfangen. Uns fehlen insbesondere zusam- menh ¨ angende Vorstellungen von den antiken historisch-geographischen Kenntnissen, auf denen die Karte fußt. Sehr empndlich sind bez ¨ uglich der  Tabula Peutingeriana aber auch die Wis sens dez ite hins ichtl ich ihrer Ents tehun gsge schi chte . ihrer Datie rung, ihrer urspr ¨ unglichen Zweckbestimmung und ihres Zusammenhangs mit den ebenfalls ¨ uberlieferten itineraria adnotata. 1 1 Schriftliche Straßenroutenverzeichnisse, etwa das  Itinerarium Antonini Augusti  aus der Zeit Cara- callas oder das  Itinerarium Burdiga lense vom Anfang des 4. Jahrhunderts – um nur die Wichtigsten zu nennen.

Tabula Peutingeriana

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Beschreibung der sog.Tabula Peutingeriana

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7/17/2019 Tabula Peutingeriana

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Die Tabula Peutingeriana – nach einem fruheren Besitzer, Konrad Peutinger (1465 –

1547), benannt – ist die mittelalterliche Abschrift einer oder mehrerer vermutlich aus

dem 4. Jh. stammenden romischen Welt-Straßenkarten. Die ursprunglich als Rolle aus

insgesamt 12 Pergamentblattern bestehende Karte maß in ihrer Ost-West-Ausdehnung

knapp 7 m, wahrend die Nord-Sud-Ausdehnung auf ca. 34 cm komprimiert wurde. Sieumfasste die gesamte den Romern bekannte Welt von Gallien (das 12. Blatt mit der Dar-

stellung von Spanien und großen Teilen Britanniens fehlt infolge einer Beschadigung)

bis Indien und China sowie von Britannien bis Nordafrika.

Aus der in die Breite gezogenen Kartengestalt resultiert eine Verzerrung der Nord-

Sud-Dimension in die Ost-West-Dimension. Besonders deutlich ist das zu sehen in

der Darstellung der Mittelmeerregion: Das Meer ist zu einem schmalen Streifen ver-

engt, Italien und Griechenland erstrecken sich auf der Karte horizontal und nicht, wie

aufgrund der tatsachlichen geographischen Gestalt anzunehmen ware, vertikal. Zudem

hangt es von der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung sowie von der Zahl der

eingetragenen Routen und Stadte ab, wie viel Raum einzelne Landstriche in der TabulaPeutingeriana einnehmen.

Bei der Tabula Peutingeriana handelt es sich um ein sogenanntes itinerarium adno-

tatum pictum, um ein Kartenwerk also, das Orte, Straßen, Kustenverlaufe, Flusslaufe,

Seen, Meere und Gebirge graphisch (durch Vignetten, Linien und durch Farben) dar-

stellt, in das aber zusatzliche Informationen (Ortsnamen, Distanzangaben. vereinzelt

Provinz-, Landschafts-, Gebirgs-, Binnensee- oder Flussnamen) schriftlich eingetragen

sind.

Im Vordergrund der Tabula Peutingeriana  stehen aber die Straßen. Die Karte zeigt

ein Netzwerk von Straßen, die durch rote Linien dargestellt werden. An den Straßen

liegen großere Stadte, die durch Vignetten und Beischriften hervorgehoben werden. Die

kleineren Orte an den Straßen sind nicht durch Vignetten, sondern lediglich durch einen

kleinen Haken in der graphischen Streckendarstellung und eine zugehorige Beischrift

gekennzeichnet. Fast jeder Streckenabschnitt wird durch eine schriftliche Distanzan-

gabe erganzt. Auf der Karte wird also ein weitgehend geschlossenes antikes Weltbild,

eine tatsachliche antike Raumvorstellung dargestellt. Allerdings: Es handelt sich um

das Weltbild aus der Perspektive einer bestimmten Zeitepoche (1. – 4. Jh. n. Chr.).

Außerdem sind nicht alle damals vorhandenen Orte, Straßen oder topographischen

Merkmale abgebildet. Und es sind - nach dem Gesichtspunkt der Himmelsrichtungen

und der Maßstablichkeit – die Verlaufe der Straßen und Flusse oft nicht stimmig. Auch

die Positionierung von Stadten oder topographischen Merkmalen stimmt mit unserenheutigen Informationen oft nicht  uberein. Das macht das ÇLesen‘ der   Tabula Peu-

tingeriana  zu einem recht muhseligen Unterfangen. Uns fehlen insbesondere zusam-

menhangende Vorstellungen von den antiken historisch-geographischen Kenntnissen,

auf denen die Karte fußt. Sehr empfindlich sind bezuglich der  Tabula Peutingeriana

aber auchdie Wissensdefizite hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte. ihrer Datierung,

ihrer ursprunglichen Zweckbestimmung und ihres Zusammenhangs mit den ebenfalls

uberlieferten itineraria adnotata. 1

1 Schriftliche Straßenroutenverzeichnisse, etwa das  Itinerarium Antonini Augusti  aus der Zeit Cara-

callas oder das Itinerarium Burdigalense vom Anfang des 4. Jahrhunderts – um nur die Wichtigsten

zu nennen.

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7/17/2019 Tabula Peutingeriana

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2 Tabula Peutingeriana

Der oder die Zeichner der Karte hatten offensichtlich nicht die Absicht den Interessen

des Fernhandels zu dienen. Leicht hatte man in der hier untersuchten Region alle

f ur Handler relevanten Flusse einzeichnen k onnen. Ebenso wie manche Straßen hatten

auch die im Untersuchungsgebiet relevanten Flusse gestaucht werden k onnen. Dadurch

waren ohne allzu großen kartographischen Aufwand die Bedeutung des Flusstransportsund die Zusammenhange von Fluss- und Landtransport deutlich geworden.

Zielsetzung, Zweck und Adressaten der Tabula Peutingeriana wird man daher wohl

an ganz anderer Stelle suchen mussen als im Zusammenhang mit dem Handel.

Ulrich Fellmeth, Frank Stini, Mignon Geisinger, Annika Niedenhoff, Tomislav Rus: Die  Tabula Peutin-

geriana – eine Karte f ur Handler und Transporteure?, in: Orbis Terrarum, Bd. ), 2003 – 2007, S. 17 – 40.

Die Tabula Peutingeriana 809 selbst war eine 6,82m lange und 34cm hohe Pergament-

rolle, die 1863 aus Konservierungsgrunden wieder in die 11 Blatter, aus denen sieehemals zusammengeklebt worden war, zerlegt wurde. 810 Sie befindet sich heute in der

Wiener Hofbibliothek. Im Jahre 1507 wurde sie von dem Wiener Humanisten Konrad

Celtis, der sie in irgendeinem Kloster – vielleicht Speyer – gefunden (und entwendet?)

hatte, dem Ausgburger Ratsschreiber Konrad Peutinger zur Bearbeitung uberlassen und

spater testamentarisch vermacht. Von diesem hat sie ihren heutigen Namen.

Die Wiener Pergamentrolle ist nach inzwischen fast einhelliger Meinung eine im

12. Jh. angefertigte Kopie einer spatantiken Vorlage. 811 Diese stammt vermutlich aus

dem 4. Jh. 812 Zu sehen ist darauf eine durch das Format bedingt ‘gequetschte’ An-

sicht der Lander von Britannien/Nordspanien bis nach Indien. 813 Es kann dabei nicht

auf naturgetreue Wiedergabe der Kustenlinien oder physisch-geographischen Elementeankommen, sondern allein auf die eingezeichneten Wege, Straßen und Stadte, die wohl

einem Itinerar (oder mehreren) entstammen. BRODERSEN  spricht von einem   topologi-

schen Diagramm bzw. von einer”

Umsetzung von Itinerar-Texten in eine Graphik“. 814

Stefan Faller, Taprobane im Wandel der Zeit, 2000, S. 175f.

809 Angaben dazu nach K. MILLER, Die Weltkarte des Castorius, genannt die Peutingersche Tafel,

Ravensburg 1888, S. 5 – 15 und 1962, S. 1f. In K. MILLER, Die Peutingersche Tafel, Stuttgart 1962

[ND], findet sich auch eine farbige Wiedergabe der Tabula; besser ist aber das Faksimile in E.

WEBER, Tabula Peutingeriana: Codex Vindobonensis 324. Faksimile und Kommentar, Graz 1976.810 Ursprunglich waren es wohl 12; das erste muß aber schon im Mittelalter verlorengegangen sein.811 So schon MILLER (1888) 15ff. Neuerdings ist W. KOCH (zitiert in WEBER (1976, S. 11)) zu derselben

Uberzeugung gelangt; selbst K. BRODERSEN, Terra Cognita. Studien zur romischen Raumerfassung,

1995, S. 186) schließt sich ihr an.812 Vgl. MILLER (1888) 48 – 67. Zwar geht es MILLER hier eigentlich um Castorius, aber er argumentiert

vollstandig und gut mit Besonderheiten der Tabula Peutingeriana.813 Auf dem fehlenden ersten Blatt waren nach MILLERs – wohl korrekter – Rekonstruktion Thule,

Irland, England, die iberische Halbinsel und das westliche Nordafrika zu sehen. (Vgl. Karte in

MILLER (1888)).814 BRODERSEN (1995, S. 187)