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Forschungsbericht Nr. 3 / 2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliches Gesundheits- management Ricardo Baumann, Matthias Czarny, Thorsten Flach, Christian Hetzel, Matthias Mozdzanowski, Marcus Schian, Max Überle, Holger Wellmann

Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliches Gesundheits- … · 2012-03-20 · Die Praxis des BGM vollzieht sich in den Handlungsfeldern Arbeits- und Gesundheitsschutz, Betriebliche

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Forschungsbericht

Nr. 3 / 2007

Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliches Gesundheits-

management

Ricardo Baumann, Matthias Czarny, Thorsten Flach, Christian Hetzel,

Matthias Mozdzanowski, Marcus Schian, Max Überle, Holger Wellmann

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In der Reihe Forschungsberichte stellt das iqpr Arbeitsergebnisse aus laufenden und abgeschlossenen Projekten der Fachöffentlichkeit vor.

Der vorliegende Forschungsbericht ist im Rahmen des Projektes "Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" entstanden. Das Projekt wurde gefördert vom Bundesmi-nisterium für Arbeit und Soziales aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Die Projektlei-tung hatten Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse, Matthias Mozdzanowski, Dr. Hans-Martin Schian, Univ.-Prof. Dr. Klaus Schüle und Prof. Dr. habil. Andreas Weber.

Impressum

iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007

Herausgeber Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln

ISBN 3-9811175-4-9 978-3-9811175-4-7

Zitiervorschlag Schian, M; Wellmann, H (2007) Integrations-vereinbarungen. In: iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr, Köln. S. 4-28

Baumann, R; Czarny, M (2007) Die zweistu-fige betriebliche Gesundheitsanalyse als Basis betrieblicher Gesundheitsförderung. In: iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesund-heitsförderung. iqpr, Köln. S. 29-38

Wellmann, H (2007) Betriebliche Gesund-heitsförderung. In: iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr, Köln. S. 39-48

Wellmann, H; Überle, M (2007) Ökonomi-sche Aspekte der BGF. In: iqpr Forschungs-bericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr, Köln. S.49-73

Wellmann, H (2007) Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung. In: iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesund-heitsförderung. iqpr, Köln. S. 74-90

Hetzel, C; Flach, T; Mozdzanowski, M (2007) Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management. In: iqpr For-schungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesund-heitsförderung. iqpr, Köln. S. 91-113 Rechte Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des iqpr

Technische Herstellung Torsten Alles iqpr im Internet www.iqpr.de

Rückfragen zum Inhalt an Ricardo Baumann [email protected]

Thorsten Flach [email protected]

Christian Hetzel [email protected]

Matthias Mozdzanowski [email protected]

Marcus Schian [email protected] Köln, März 2007

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Inhaltsverzeichnis Seite Matthias Mozdzanowski 1 Einleitung .................................................................................................................. 1 Marcus Schian, Holger Wellmann 2 Integrationsvereinbarungen ...................................................................................... 4

2.1 Zusammenfassung ................................................................................................... 4 2.2 Hintergrund ............................................................................................................... 4 2.3 Forschungsziel.......................................................................................................... 7 2.4 Methode .................................................................................................................... 7 2.5 Auswertung vor dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen ....................................... 8 2.6 Auswertung nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen................................... 11 2.7 Stichprobenvergleich – Aussagen zur Verankerung allgemeiner Maßnahmen der

Ausgliederungsverhinderung sowie zur Rezeption des erweiterten gesetzlichen Auftrags und der gewonnenen Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von InVen ....... 13

2.7.1 Verankerung allgemeiner der Ausgliederung entgegenwirkender Maßnahmen, die nicht im neuen § 83 Abs. 2a SGB IX enthalten sind ................................... 13

2.7.2 Rezeption des hinsichtlich Prävention erweiterten gesetzlichen Auftrags hinsichtlich der Regelungsfelder des § 83 Abs. 2a SGB IX .............................. 13

2.7.3 Rezeption gewonnener Erkenntnisse zu Strukturprinzipien.............................. 14 2.8 Gründe für die geringe Zahl an neuen InVen – Zusammenfassung eines

Experteninterviews.................................................................................................. 15 2.8.1 Entwicklung des Bestandes der InV-Datenbank bei REHADAT ....................... 15 2.8.2 Zugangswege und Schwierigkeiten beim Erhalt von InVen .............................. 15 2.8.3 Gründe für nachlassende Aktivität bezüglich aktuellerer Vereinbarungen........ 16 2.8.4 Der neue § 83 Abs. 2a SGB IX und seine Auswirkungen ................................. 16 2.8.5 Stand der Umsetzung – allgemein und in Bezug auf die Neuregelung des § 83

Abs. 2a SGB IX ................................................................................................. 17 2.8.6 Vorschläge für eine verbesserte Umsetzung des Instruments

„Integrationsvereinbarung“ ................................................................................ 17 2.9 iqpr-Empfehlungen zur Gestaltung einer InV.......................................................... 18

2.9.1 Verankerung der Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruktur ........ 18 2.9.2 Zusammenfassung der bei der Gestaltung einer Integrationsvereinbarung zu

beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und Regelungsfelder ...................... 20 Ricardo Baumann, Matthias Czarny 3 Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse als Basis betrieblicher

Gesundheitsförderung ............................................................................................ 29 3.1 Exposé .................................................................................................................... 29 3.2 Gegenstand, Ziele und Nutzen einer zweistufigen betrieblichen Gesundheitsanalyse

................................................................................................................................ 29 3.3 Anforderungen an eine betriebliche Gesundheitsanalyse ...................................... 29 3.4 Grundlagen für die Entwicklung des Konzeptes ..................................................... 30 3.5 Theorien.................................................................................................................. 30 3.6 Studie im Einzelhandel (N=367) ............................................................................. 30 3.7 Literaturrecherche zu Einflussfaktoren auf Fehlzeiten............................................ 30 3.8 Ergebnisse .............................................................................................................. 32 3.9 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse.................................... 33 3.10 Studie in einem Unternehmen der Automobilindustrie (N=107).............................. 33

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3.11 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse .................................... 35 3.12 Studie in einem metallverarbeitenden Betrieb (N=173) .......................................... 36 3.13 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse .................................... 36 3.14 Eigene Studie in einem Setting der beruflichen Rehabilitation (N=53, siehe ASKOR)

................................................................................................................................ 36 3.15 Ergebnisse .............................................................................................................. 36 3.16 Zusammenfassung der Ergebnisse......................................................................... 37 3.17 Entwurf einer zweistufigen Gesundheitsanalyse im Betrieb.................................... 37 3.18 Ausblick................................................................................................................... 38

Holger Wellmann 4 Betriebliche Gesundheitsförderung......................................................................... 39

4.1 Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung .............................................. 40 4.2 Ziele der Betrieblichen Gesundheitsförderung........................................................ 41 4.3 Gesetzliche Regelungen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung......................... 42 4.4 Legitimation der Betrieblichen Gesundheitsförderung ............................................ 43 4.5 Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung............................................ 44 4.6 Akteure der Betrieblichen Gesundheitsförderung ................................................... 45 4.7 Qualitätssicherung der Betrieblichen Gesundheitsförderung.................................. 46

Holger Wellmann, Max Überle 5 Ökonomische Aspekte der BGF.............................................................................. 49

5.1 Einleitung ................................................................................................................ 49 5.2 Konzeption einer Kosten-Nutzen-Analyse der BGF................................................ 49

5.2.1 Lebensweltspezifische Erfahrungen mit Interventionen der Betrieblichen Gesundheitsförderung....................................................................................... 51

5.2.2 Kennzahlen und Kennzahlensysteme ............................................................... 53 5.2.3 Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse (EWA) .................................................... 55 5.2.4 Balanced Scorecard .......................................................................................... 56 5.2.5 Wirkungsketten.................................................................................................. 58

5.3 Vorstellung und Diskussion des 5-Stufen-Modells .................................................. 59 5.3.1 Posterpräsentationen ........................................................................................ 59 5.3.2 Vorträge............................................................................................................. 59 5.3.3 Expertengespräch zum 5-Stufen-Modell ........................................................... 64

5.4 Umsetzung des 5-Stufen-Modells ........................................................................... 66 5.4.1 1. Stufe: Lebensweltspezifische Erfahrungen ................................................... 68 5.4.2 2. Stufe: Kennzahlengenerierung...................................................................... 69 5.4.3 Fazit................................................................................................................... 72

Holger Wellmann 6 Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung .............................. 74

6.1 Ausgangssituation................................................................................................... 74 6.2 Begriffsabgrenzung ................................................................................................. 75 6.3 iqpr-Konzeption zur Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

................................................................................................................................ 76 6.4 Grundsätzliche Qualitätskriterien ............................................................................ 79 6.5 Ziele der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung ............... 80 6.6 Zielgruppen der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung .... 81 6.7 Prämissen ............................................................................................................... 85 6.8 Qualitätssicherung der Ebenen des BGM-Hauses.................................................. 86

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6.8.1 Betriebliche Gesundheitspolitik und Planung und Steuerung ........................... 86 6.8.2 Analyse ............................................................................................................. 88 6.8.3 Handlungsfeldbezogene Interventionen............................................................ 89

Christian Hetzel, Thorsten Flach, Matthias Mozdzanowski 7 Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management ................. 91

7.1 Ausgangslage ......................................................................................................... 91 7.2 Qualitätskriterien für ein „gutes“ betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 94

7.2.1 Der Standard des BEM ..................................................................................... 95 7.2.2 Der Standard des BEM in Abhängigkeit von der Komplexität des Unternehmens

.......................................................................................................................... 99 7.3 BEM in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) .............................................. 102

7.3.1 Befragung von Geschäftsführern in KMU ....................................................... 103 7.3.2 Modellvision .................................................................................................... 105 7.3.3 Der Standard des BEM in Kleinunternehmen ................................................. 108 7.3.4 Arbeitshilfen für KMU ...................................................................................... 110

7.4 Qualitätssicherung: CBDMATM / BEM-Audit .......................................................... 112 8 Anhang.................................................................................................................. 114

8.1 Anhang Kapitel 6 – Integrationsvereinbarungen................................................... 114 8.1.1 Stichprobe 1 .................................................................................................... 114 8.1.2 Stichprobe 2 .................................................................................................... 116

8.2 Veröffentlichungen ................................................................................................ 119 8.3 Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur

frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit .................. 120

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Abkürzungsverzeichnis

BEM Betriebliches Eingliederungsmanagement

BIH Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen

CBDMATM Consensus Based Disability Management Audit

CDMPTM Certfied Disability Management Professional / Disability Manager

DM Disability Management

DVfR Deutsche Vereinigung für Rehabilitation

IDMSCTM International Disability Management Council

IFD Integrationsfachdienst

ILO International Labour Organization / Internationales Arbeitsamt

HVBG Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften

KMU Kleine und mittlere Unternehmen

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Einleitung

1 © iqpr Köln

1 Einleitung Matthias Mozdzanowski

Das wachsende Interesse an Gesundheitspolitik und Gesundheitsmanagement im Unter-nehmen, das sich insbesondere in den vergangenen 10 Jahren seit der Luxemburger Deklaration deutlich (wenn auch noch nicht flächendeckend) abzeichnet, ist einerseits notwendige Reaktion auf erhöhte Anforderungen an die Beschäftigungsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung und der veränderten demografischen Entwicklung. Dies gilt für die fachlichen Anforderungen, für die gestiegenen Ansprüche an die Qualität der Arbeitsproduk-te und es gilt auch für die Quantität, insbesondere die Dauer der gesellschaftlich notwendi-gen Lebensarbeitszeit im Hinblick auf die Alterssicherung. Dies gilt schließlich - nicht zu vergessen - auch für die Zunahme prekärer, flexibler und mehrfacher Beschäftigungsverhält-nisse im unteren Segment der Arbeitsgesellschaft. Die Beanspruchung durch Arbeit wächst.

Während aber aus der nationalökonomischen Perspektive Gesundheit und Wohlbefinden als Produktionsfaktoren qualitativ hochwertiger Waren und Dienstleistungen notwendig werden und damit auch einen sozialen Mehrwert erzeugen – also die „win-win-Situation“ ermögli-chen, ist aus der globalen Perspektive, namentlich in den Niedriglohnregionen der Welt, gleichzeitig eine fast frühkapitalistische Beschäftigungssituation für die preisorientierte, qualitativ oft minderwertige Produktion geschaffen worden. Arbeits- und Gesundheitsschutz oder gar Gesundheitsförderung sind hier in aller Regel Fremdworte.

Diese Betrachtung dient der Einordnung in einen umfassenden Hintergrund, soll aber nicht den Eindruck vermitteln, in Deutschland sei bereits das Optimum erreicht. Auch hier ist Betriebliches Gesundheitsmanagement bislang nur bei einer Minderheit der Unternehmen verankert. Die Bedingungen, neben den oben geschilderten insbesondere auch die rechtli-chen Rahmenbedingungen, sind jedoch gut, die existierenden Modelle guter Praxis auf eine breitere Anwendungsbasis zu transferieren, die Datenlage aus praktischer Erkenntnis zu erweitern und entsprechende Verbesserungsprozesse in Gang zu setzen.

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) bezeichnet ein System von innerbetriebli-chen Strukturen und Prozessen, das eine Steuerung von gesundheitsrelevanten Analysen und Interaktionen zulässt. Dies setzt regelmäßig voraus, dass sowohl die Unternehmenslei-tung, als auch ggf. die Arbeitnehmervertretung dieses System unterstützen.

Neben den strukturellen und organisationalen Faktoren spielt der „Faktor Mensch“ eine entscheidende Rolle. In vielen Fällen bedarf die Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements des überzeugten, ausdauernden und fachkundigen Agierens einzelner „Überzeugungstäter“. Für die Unterstützung dieser Akteure stehen inzwischen sowohl zahlreiche Publikationen, als auch geeignete Fortbildungen zu Verfügung.

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Integrationsvereinbarungen

© iqpr Köln 2

iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements (Erläuterungen s. S. 78)

Die Praxis des BGM vollzieht sich in den Handlungsfeldern Arbeits- und Gesundheitsschutz, Betriebliche Gesundheitsförderung und Wiedereingliederung (bzw. Verhinderung von Ausgliederung). Hier kann es durchaus verschiedene Akteure, Aktionen und Methoden geben, es braucht aber eine gemeinsame Steuerung, wenn nicht gar eine noch weiter integrierte Managementstruktur, in der Qualitäts- und Umweltmanagement eingeschlossen sind.

Die Verantwortung des Unternehmens gilt dabei insbesondere der gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung einschließlich unternehmenskultureller Aspekte. Dies ist die eine Seite der Medaille – die der Verhältnisprävention.

Die andere Seite der Medaille ist die Verhaltensprävention und damit die Verantwortung der Arbeitnehmer für ihre eigene, auch „private“ Gesundheit. Allerdings braqucht auch diese persönliche, individuelle Seite der kollektiven Unteerstützung, z.B. durch motivierende Aktionen wie Gesundheitstage und andere Aktivitäten mit Anregungen zu Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung etc. Hilfreich sind auch Instrumente, die das eigene Verhalten dokumentieren und – möglichst vor dem Hintergrund eigener Zielformulierungen – kontrol-lierbar machen. Die individuelle Seite braucht darüber hinaus – insbesondere wenn Leis-tungswandlung oder Krankheit ins Spiel kommen – des Datenschutzes, der Schweigepflicht und des Vertrauens. BGM ohne eine Struktur und Kultur des Vertrauens kann nicht funktio-nieren.

Der Verlauf des Projekts „Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben“ fiel zeitlich – mindestens teilweise - zusammen mit

Betriebliche Gesundheitspolitik Vision, Konzept, Leitbild

Planung und Steuerung

Evaluation & Qualitätssicherung

Analyse

Handlungsfeldbezogene Interventionen

Gesundheits-förderung

Arbeits- und

Gesundheitsschutz

Eingliederung

Betriebliches Gesundheitsmanagement

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Einleitung

3 © iqpr Köln

• der Einführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) in das Sozial-gesetzbuch Mitte des Jahres 2004;

• der Erweiterung und Präzisierung der Regelungsmöglichkeiten mittels Integrations-vereinbarung durch die Revision des § 83 SGB IX. Der neue Abs. (2a) lässt Rege-lungen zum BEM und zur Betrieblichen Gesundheitsförderung zu - auf Initiative der Schwerbehindertenvertretung, aber mit einer Geltung für alle Arbeitnehmer;

• Bericht der Expertenkommission Betriebliche Gesundheitspolitik der Hans-Böckler-Stiftung und der Bertelsmannstiftung ihre Empfehlungen zur betrieblichen Gesund-heitspolitik und Gesundheitsmanagement - ebenfalls 2004;

• der Entwicklung und Re-Importierung1 des kanadischen Disability Management Sys-tems (standardisierte Ausbildung von Fachkräften und Auditierung/Zertifizierung von Betrieben) ab 2003.

Der Projektverlauf und die bearbeiteten Themen sind u.a. vor diesem Hintergrund zu sehen. Der vorliegende Forschungsbericht ist daher keine vollständige Arbeit über das Betriebliche Gesundheitsmanagement, er stellt vielmehr Beiträge zu wesentlichen Aspekten des BGM zur Verfügung:

• der Vergleich von Integrationsvereinbarungen vor und nach der Erweiterung durch den revidierten § 83 SGB IX zeigt u.a., dass die neuen Möglichkeiten wohl bei Wei-tem noch nicht genutzt werden;

• die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse stellt einen effizienten Beitrag zur methodischen Verbesserung des BGM dar;

• eine aktuelle Standortbestimmung der BGF mit dem Fokus der ökonomischen Wirk-samkeit bzw. Messbarkeit sowie der Qualitätssicherung gesundheitsfördernder Maß-nahmen dient der angemessenen Bewertung von BGF und der Überzeugungsarbeit vor Ort;

• die Eingliederung ist insbesondere ein Stiefkind in den kleinen und mittleren Unter-nehmen – Praxishilfen in diesem Bereich sind ein Projektergebnis, das auch in ande-rer Form – ein Paxishandbuch (Universum Verlag 2007) – die Umsetzung des § 84 (2) unterstützen soll.

1 „Re“-Import bezieht sich auf die Tatsache, dass das kanadische Institut NIDMAR und sein deutsch-stämmiger Geschäftsführer Wolfgang Zimmermann insbesondere auch aus Deutschland einen Know-How-Transfer genutzt haben, entsprechende Delegationen wurden auf deutscher Seite von Dr. Hartmut Haines angeführt, seinerzeit Ministerialrat und Referatsleiter im BMA.

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Integrationsvereinbarungen

© iqpr Köln 4

2 Integrationsvereinbarungen Marcus Schian, Dr. Holger Wellmann

2.1 Zusammenfassung Durch den neuen § 83 Abs. 2a SGB IX wurden die Möglichkeiten zur Nutzung der Integrati-onsvereinbarungen (InVen) als Steuerungsinstrument auch der Prävention erweitert. Wie diese Möglichkeiten in der Praxis genutzt wurden und genutzt werden können, wurde in diesem Teilprojekt untersucht. Die Auswertung von 95 vor der Neuregelung des § 83 Abs. 2a SGB IX am 01.05.2004 abgeschlossenen InVen (Stichprobe 1, N = 95) ergibt dabei erwar-tungsgemäß, dass die darin enthaltenen Maßnahmen insbesondere an die schwerbehinder-ten Mitarbeiter gerichtet und nicht auf Gesundheitsförderung, sondern auf Arbeitsplatzerhal-tung fokussiert sind. Es stellen sich bezogen auf die Anforderungen des SGB IX Umset-zungsdefizite heraus. Entgegen der Annahme, die dem ursprünglichen, auch im Zwischen-bericht dargestellten, Untersuchungsdesign zugrunde lag, waren InVen, die seit der Neure-gelung nach dem 01.05.2004 abgeschlossen wurden, in deutlich geringerer Anzahl zu erlangen. Die Größe der Stichprobe 2 (InVen, die nach Inkrafttreten des § 84 Abs. 2a SGB IX abgeschlossen wurden) ist entsprechend kleiner ausgefallen (N = 21). Die Vermutung, dass dies in nachlassenden Abschlusszahlen begründet ist, wird im Rahmen eines Experten-interviews bestätigt. In diesem Interview werden auch mögliche Ursachen aufgezeigt. Trotz der geringeren Stichprobengröße ergeben sich aber Anhaltspunkte dafür, dass von den in § 83 Abs. 2a Nr. 5 SGB IX angelegten neueren Regelungsfeldern zumindest die Regelung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX tatsächlich zu einer entsprechenden Veränderung der Inhalte von nach Inkrafttreten des § 83 Abs. 2a SGB IX abgeschlossenen Integrationsvereinbarungen geführt hat. In Wissenschaft und Praxis in den vorausgehenden Jahren gewonnene Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von Integrationsver-einbarungen wurden teilweise besser umgesetzt. Aus den gewonnenen Ergebnissen lassen sich Merkmale ableiten, die gelungene Integrationsvereinbarungen kennzeichnen. Diese wurden zu Empfehlungen zur Gestaltung von InVen ausgearbeitet.

2.2 Hintergrund Im Zuge der Revision des SchwbG zum 01.02.2000 wurde mit der Integrationsvereinbarung (InV) ein neues Instrument zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen geschaffen. Die Regelungen des § 14b SchwbG wurden mit Inkrafttreten des SGB IX am 1. Juli 2001 in § 83 SGB IX übernommen. Dessen Revision zum 01.05.2004 hat die inhaltliche Ausgestaltung der Integrationsvereinbarungen präzisiert. Unter anderem ist seitdem in § 83 Abs. 2a Nr. 5 SGB IX ausdrücklich festgelegt, dass Regelungen zum betrieblichen Eingliede-rungsmanagement (BEM, § 84 SGB IX) und zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) Regelungsgegenstand einer InV sein können.

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Integrationsvereinbarungen

5 © iqpr Köln

Für die Schwerbehindertenvertretung, die für die Aufnahme von Verhandlungen über Integrationsvereinbarungen ein Initiativrecht hat2, mit welchem wiederum unausgesprochen ein entsprechender Auftrag korrespondiert, ging schon mit § 14b SchwbG ein erheblicher Bedeutungszuwachs hinsichtlich Mitwirkung an innerbetrieblichen Steuerungs- und Pla-nungsprozessen einher. Erstmals konnte sie verbindliche Vereinbarungen3 abschließen und somit auch entsprechend aktiv inhaltlichen Einfluss auf diese Prozesse nehmen. Oft übersehen wird, dass schon seit Inkrafttreten des SGB IX nach § 83 Abs. 1 Satz 3 dieses Initiativrecht der betrieblichen Interessenvertretung nach § 93 SGB IX – meist: Betriebsrat – zusteht (und somit auch der entsprechende Auftrag), wenn eine Schwerbehindertenvertre-tung nicht vorhanden ist.

Durch die gesetzliche Verankerung der präventionsorientierten Regelungsfelder BGF und BEM (§ 83 Abs. 2a Nr. 5 SGB IX) führt die Neuregelung, wie an anderer Stelle ausführlicher dargestellt wird4, nunmehr nicht allein, aber insbesondere dazu, dass die Integrationsverein-barung für alle Beschäftigten abgeschlossen werden kann und das Potenzial bietet, als zentrales Instrument zur Regelung und Steuerung des gesamten betrieblichen Gesund-heitsmanagements (BGM) eingesetzt zu werden. Insoweit ist mit § 83 Abs. 2a SGB IX für Schwerbehindertenvertretung und betriebliche Interessenvertretung nach § 93 SGB IX ein – hinsichtlich der Interessenvertretung subsidiärer – gesetzlicher Auftrag für die Verankerung eines umfassenden BGM in der Betriebskultur geschaffen worden.

Dabei lassen sich innerhalb der gesetzlich angelegten oder aber der mit diesen unmittelbar zusammenhängenden Maßnahmen unter präventiven Gesichtspunkten grob zweierlei Arten von Maßnahmen unterscheiden. Zum einen die Maßnahmen, deren Zweck in allererster Linie die unmittelbare oder mittelbare Arbeitsplatzerhaltung ist. Zu nennen wären beispielhaft insbesondere die Prävention nach § 84 Abs. 1 und 2 SGB IX und die Arbeitsplatzanpassung, aber neben vielen anderen Maßnahmen auch die Qualifizierung gesundheitlich beeinträch-tigter Mitarbeiter oder auch flexible Arbeitszeiten. Zum anderen sind Maßnahmen erwähnt, die zumindest auch einen starken Fokus auf der Gesundheit des Beschäftigten haben. Vor allem trifft dies auf die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zu. Aber auch die Regelun-gen des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind natürlich hier einzuordnen.

Über die gesetzlich verankerten Neuerungen auf dem Gebiet der inhaltlichen Regelungsfel-der hinaus sind im Laufe der vergangenen Jahre auch Strukturprinzipien für die Organisation eines auch die Prävention erfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements identifiziert worden5. Von besonderer Bedeutung sind insoweit folgende Prinzipien:

Verankerung in der Unternehmensstruktur Festlegung eindeutiger Interventionssignale

2 Statt vieler: Seel in Ernst/Adlhoch Seel, SBG IX, § 83 Rz. 19 (Stand: 9. Lfg.) mwN. 3 Vgl. den klaren Gesetzeswortlaut des § 83 Abs. 1 SGB IX. 4 Gagel/Dalitz „Regelung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch Betriebsvereinbarung und/oder Integrationsvereinbarung“, Behindertenrecht 2006, S. 39–42 ; vgl. auch Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, § 83 Rz. 35ff.. 5 PRVE (iqpr 2004); Feldes, Handbuch Integrationsvereinbarung, Frankfurt 2003; IGMetall (Hrsg.), Die Integrationsvereinbarung, Frankfurt 2003; Maja Heiner (Hrsg.): Qualitätsentwicklung durch Evaluation. Freiburg 1996.

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Integrationsvereinbarungen

© iqpr Köln 6

Prinzip der Vernetzung der betriebsinternen Akteure und des Betriebes mit betriebsex-ternen Akteuren sowie das

Prinzip des lernenden Systems.

Im Hinblick auf die in der Regel größere Verbindlichkeit und somit zwangsläufig gesteigerte Umsetzungstiefe ist zudem die Möglichkeit, den § 83 SGB IX in Themenfeldern statt in einer Integrationsvereinbarung in Form einer Betriebsvereinbarung regeln zu können, zu erwäh-nen.

Die Verankerung in der Unternehmensstruktur kann durch viele Maßnahmen erfolgen. Wichtig sind die Verankerung im Unternehmensleitbild, die umfassende Information und die Einbeziehung der Mitarbeiterschaft. Für letzteres ist u.a. ein weiter persönlicher Geltungsbe-reich einer Integrationsvereinbarung ein Indiz.

Ebenfalls bedeutsam ist die Festlegung eindeutiger Interventionssignale. Da es bei der Verhinderung der Ausgliederung um gesundheitsbezogene Fragestellungen geht, bietet es sich an, auch gesundheitsbezogene Informationen zur Grundlage eines Interventionssignals zu machen. Andererseits ist jedoch aus datenschutz- und arbeitsrechtlichen Gründen der Zugriff des Betriebs auf gesundheitsrelevante Informationen grundsätzlich gering. Es bietet sich insoweit am ehesten die Festlegung einer bestimmten Fehlzeitenmenge, die ohnehin vom Betrieb erhoben wird, als Interventionssignal an.

Die Vernetzung der betriebsinternen Akteure erfolgt nach dem Stand der Erkenntnisse am besten im Rahmen eines Integrationsteams. Eine Vernetzung mit externen Akteuren setzt als Mindestmaßstab voraus, dass diese den jeweiligen betriebsinternen Akteuren auch bekannt sind und dass zumindest in Umrissen klar wird, in welchen Fällen sie zu kontaktie-ren sind. Dies kann durch entsprechende Regelungen in Integrationsvereinbarungen gewährleistet werden.

Die Verankerung eines lernenden Systems setzt voraus, dass Maßnahmen zur Überwa-chung der Wirksamkeit sowohl der Vereinbarung insgesamt als auch einzelner Maßnahmen getroffen werden. Ebenfalls ist eine kontinuierliche Berichterstattung an die betriebliche Öffentlichkeit, zumindest aber die wesentlichen Akteure und Betroffenen erforderlich.

Es besteht auch die Möglichkeit, die in § 83 SGB IX genannten Themenfelder in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, was den Vorteil einer höheren Verbindlichkeit bietet (Normwirkung). Eine Vereinbarung allein zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber reicht jedoch, wenn eine Schwerbehindertenvertretung vorhanden ist, nach hier vertretener Auffassung nicht aus, da diese ansonsten ihres gesetzlich verankerten Verhandlungs- und Abschluss-mandats für eine Integrationsvereinbarung beraubt wäre. Als Ausweg wäre denkbar, die SBV mit in den Kreis der Betriebsvereinbarungsparteien aufzunehmen, was jedoch weitere, noch nicht geklärte Fragen aufwirft. Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, der nur ArbG und BR erwähnt6. Sollte dieses Vorgehen daher nicht möglich sein, so kann auf die Form der Betriebsvereinbarung auch ganz verzichtet werden. Aus mitbestim-mungsrechtlicher Sicht jedenfalls ist auch in den der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 BetrVG unterliegenden Regelungsbereichen die Zustimmung des Betriebsrats zur Integrati-

6 So wohl Lorenz in Düwell (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz Handkommentar § 77 Rz. 10.

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Integrationsvereinbarungen

7 © iqpr Köln

onsvereinbarung eine ausreichende Ausübung des Mitbestimmungsrechts7. Eine höhere Verbindlichkeit könnte dann wohl auch durch eine ggf. gesonderte ausdrückliche Vereinba-rung hergestellt werden8.

2.3 Forschungsziel Ziel dieses Teilprojekts ist es, durch Auswertung von in der Praxis abgeschlossenen Integrationsvereinbarungen aufzuzeigen, wie mit Hilfe dieses Instruments die genannten und andere präventionsorientierte Aspekte eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements in der betrieblichen Realität ausgestaltet werden, wie sich die Neuregelung des § 83 Abs. 2a SGB IX auf die Praxis ausgewirkt hat und wie die identifizierten Strukturprinzipien eines guten BGMs in Integrationsvereinbarungen vor und nach der Einfügung des § 84 Abs. 2a SGB IX aufgenommen worden sind. Hinsichtlich der Möglichkeit des Abschlusses einer Betriebsver-einbarung soll dabei lediglich die tatsächliche Verbreitung untersucht werden. Die aus der Auswertung gewonnenen Erkenntnisse sollen in Empfehlungen für die Gestaltung von Integrationsvereinbarungen einfließen.

2.4 Methode Untersucht werden in der Praxis abgeschlossene Integrationsvereinbarungen unter besonde-rer Berücksichtigung der in § 83 Abs. 2a n.F. enthaltenen neuen Regelungsfeldern, auf

1. Maßnahmen, die allgemein der Arbeitsplatzerhaltung dienen9, 2. Maßnahmen, die der Gesundheitsförderung bzw. dem Gesundheitsschutz dienen, 3. Strukturprinzipien, die in der bisherigen Literatur als mögliche Kriterien für die Beur-

teilung einer Integrationsvereinbarung angeführt werden.

Unter Integrationsvereinbarungen werden dabei auch Betriebsvereinbarungen verstanden, die die Inhalte des § 83 SGB IX zum Gegenstand haben (Integrationsvereinbarungen im weiteren Sinne).

Dazu werden zunächst im ersten Schritt (vgl. 2.5) Integrationsvereinbarungen, die vor der Einführung des § 83 Abs. 2a SGB IX verabschiedet wurden (Stichprobe 1), ausgewertet. Untersucht werden u.a. die gewählte Form und die Parteien der Vereinbarungen, der persönliche Geltungsbereich, Maßnahmen mit dem Zweck der Erhaltung von Arbeitsplätzen, Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit, die Nutzung von Fehlzeiten als Interventionssig-nal, die benannten betriebsinternen und -externen Akteure sowie Regelungen zum Monito-ring der Vereinbarung. Das Monitoring umfasst hier zum einen konkret an betriebliche Akteure adressierte Regelungen zur Überwachung der Vereinbarung insgesamt oder einzelner Teile. Da eine solche Überwachung aber nur auf Grundlage von Informationen erfolgen kann und Integrationsvereinbarungen und ihre Inhalte zudem auch Akzeptanz in

7 Gagel/Dalitz „Regelung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch Betriebsvereinbarung und/oder Integrationsvereinbarung“, Behindertenrecht 2006, S. 39–42. 8 Vgl. Lorenz aaO. 9 Aspekte der Einstellung, Personalauswahl etc. wurden beispielsweise nicht berücksichtigt.

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Integrationsvereinbarungen

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den betrieblichen Strukturen benötigen, werden zum anderen auch die verschiedenen Berichtspflichten betrachtet.

In einem zweiten Schritt (vgl. 2.6) werden Integrationsvereinbarungen, die nach dem 01.06.2004 abgeschlossen wurden (Stichprobe 2), nach den gleichen Kriterien ausgewertet wie die aus der ersten Gruppe.

Im dritten Schritt (vgl. 2.7) soll ein Vergleich der Stichproben 1 und 2 Rückschlüsse auf die Entwicklung unter dem Eindruck der Neuregelung des § 83 Abs. 2a SGB IX und der gewon-nenen Erkenntnisse zu den der Integration förderlichen Strukturen ermöglichen.

Schließlich werden die gewonnenen Erkenntnisse in Empfehlungen für die Gestaltung von Integrationsvereinbarungen in Form eines universellen Leitfadens umgesetzt (vgl. 2.9).

2.5 Auswertung vor dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen Im ersten Projektjahr sind 95 Integrationsvereinbarungen ausgewertet worden, die vor der Revision ausgearbeitet worden sind10 (Stichprobe 1). Ausgewählte Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1: Auswertung vor dem 01.05. 2004 abgeschlossener InVen Untersuchungsgegenstand Ausgewählte11 Ergebnisse (n = 96)

Pers. Geltungsbereich

Schwerbeh. Mitarbeiter

+ behind. Mitarbeiter

+ Sonstige Mitarbeiter

Fast die Hälfte aller InV regelt ausschließlich die Belange schwerbeh. Mitarbeiter (46). Weitere 18 InV regeln zusätz-lich Maßnahmen auch für behinderte Mitarbeiter. In 31 InV werden schließlich Maßnahmen aufgenommen, die sich zusätzlich an sonstige Mitarbeiter richten. Anzumerken ist, dass der Geltungsbereich oftmals nicht klar definiert ist.

Maßnahmen zur

- Arbeitsplatzerhaltung

- Gesundheitsförderung

In jeder InV werden Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung erwähnt, insbesondere zur Arbeitsplatzgestaltung (63), aber auch zur Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX (36).

53 InVen trafen Regelungen zur Qualifizierung, in 56 fanden sich Vereinbarungen zu flexiblen Arbeitszeiten.

Jedoch finden sich nur in 26 InVen Maßnahmen der Gesundheitsförderung.

Interventionssignal

- längere Erkrankung

Ein eindeutiges, durch die AU-Zeiten definiertes und über die Bestimmungen des § 84 SGB IX a. F. hinausgehendes Interventionssignal bleibt die Ausnahme (vier Mal „mehr als

10 Quelle: REHADAT-Datenbank für Integrationsvereinbarungen (http://db1.REHADAT.de/REHADAT/Reha. KHS?State=15010 Zugriff am 14.01.2005); REHADAT ist ein vom BMAS gefördertes Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln; für weitere Informationen vgl. www.rehadat.de. 11 Für detailliertere Ergebnisse vgl. Anhang.

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Integrationsvereinbarungen

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- mehr als drei Monate

- mehr als sechs Wochen

sechs Wochen“). Unpräzise formulierte „Längere Erkran-kungsphasen“ werden in 15 Fällen angegeben.

Akteure

- Intern

- Extern

Die Schwerbehindertenvertretung (SBV) ist der interne Hauptakteur (88), gefolgt vom Betriebsrat (68) und dem Arbeitgeberbeauftragten (48). Immerhin in 44 Fällen wurde ein Integrationsteam gebildet. Externe Ansprechpartner sind in erster Linie das Integrationsamt (65) und das Arbeitsamt (30).

Parteien und Form der Vereinbarung

In insgesamt 18 Fällen wurde eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in 15 war die SBV Partei der Vereinbarung. Zwei InVen wurden ohne Betriebsrat abgeschlossen, eine ohne Beteiligung einer Schwerbehindertenvertretung.

Monitoring

- Berichts- und Über-wachungspflichten versch. Akteure

43 Integrationsvereinbarungen beinhalteten Überwachungs- und Berichtspflichten verschiedener Akteure, in 14 wurde nur die Überwachung, in 20 wurden nur Berichtspflichten geregelt. 18 Vereinbarungen enthielten keinerlei Regelun-gen zu Überwachungs- oder Berichtspflichten

Nicht überraschend ist die starke Betonung der Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung im Vergleich zu den gesundheitsfördernden Aktivitäten. Letztere waren schließlich bis zur Ergänzung des Absatzes 2a in § 83 SGB IX nicht gesetzlich vorgesehen. Die Berücksichti-gung der BGF in immerhin 24 Fällen (25%) ist zwar bemerkenswert. Jedoch werden in diesen Vereinbarungen im Gegensatz zur Arbeitsplatzerhaltung kaum detaillierte Einzel-maßnahmen genannt.

In immerhin 18 Fällen (19%) wurden Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, was mit Blick auf den noch umstrittenen Rechtscharakter der Integrationsvereinbarung12 insofern vorteil-haft für die Beschäftigten ist, als sie aus Betriebsvereinbarungen aufgrund ihrer normativen Wirkung unmittelbare Ansprüche herleiten können. Umso positiver ist die Bereitschaft der jeweils beteiligten Unternehmensführungen zu bewerten, sich hier mehr zu binden, als es vom Gesetz in § 83 Abs. 1 SGB IX eindeutig gefordert wird. Weiterhin interessant ist, dass in 15 von diesen Betriebsvereinbarungen die SBV als Vereinbarungspartei aufgeführt ist. Auch hier ist positiv zu vermerken, dass die Beteiligten damit zusammenhängende rechtliche Fragen mit Blick auf die eindeutige Sinnhaftigkeit dieser Art von Vereinbarung als nachrangig eingestuft zu haben scheinen. Von der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit, das Integrati-onsamt in beratender Funktion hinzuzuziehen (§ 83 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), wurde nur in zwei Fällen Gebrauch gemacht. In zwei Fällen wurde eine Integrationsvereinbarung ohne Betriebsrat abgeschlossen, in einem Fall ohne Schwerbehindertenvertretung. Ein nahe liegender Grund dafür könnte sein, dass in den jeweiligen Betrieben das betreffende Vertretungsgremium nicht vorhanden war.

12 Vgl. Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, § 83 Rz. 4f.; Schröder in Hauck-Noftz, SGB IX, § 83 Rz. 22f. jeweils mwN.

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Bezüglich des Controllings/Monitorings der Integrationsvereinbarungen stellt sich heraus, dass in 43 Fällen (45%) sowohl Berichts- als auch Überwachungspflichten geregelt werden. In 14 Fällen (15%) sind nur Regelungen zur Überwachung, in 20 nur Regelungen zu Berichtspflichten vereinbart. 18 Integrationsvereinbarungen (19%) wiesen weder Überwa-chungs- noch Berichtsregelungen auf, bzw. erschöpften sich diesbezüglich in allgemein gehaltenen Bekundungen der Absicht guter Zusammenarbeit. An dieser Stelle zeigt sich ein auffälliges Defizit der untersuchten Integrationsvereinbarungen. Dass in insgesamt nur 57 Fällen (60%) Überwachungsregelungen getroffen wurden, obwohl solche Maßnahmen als Prinzip steuerungsbezogenen Handelns anerkannt sind, lässt sich kaum allein aus dem sinnvollen Bemühen heraus erklären, die in Integrationsvereinbarungen geregelten Hand-lungsfelder dem Primat der Freiwilligkeit zu unterwerfen. Dieses Bemühen ist zwar in der Sache richtig, sollte jedoch nicht dazu führen, dass die als wichtig und regelungsbedürftig erkannten Handlungsfelder der Beliebigkeit überlassen werden. Schon in Anbetracht der Regelungen der §§ 83 Abs. 3 und m.E. auch 96 Abs. 2 SGB IX ist das Fehlen von Regelun-gen zur Berichterstattung in mehr als einem Drittel der Vereinbarungen bemerkenswert. Hinzu kommt, dass die in der Integrationsvereinbarung zu regelnden Themen auch im Unternehmen gelebt werden müssen, sollen sie richtig umgesetzt werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist ein funktionierendes Berichts- und Kommunikationswesen daher als wichtig anzusehen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Vereinbarung, der zufolge das Integrationsteam an Betriebsrat, Betriebsversammlung und Versammlungen schwerbehinderter Menschen berichten sowie via Betriebszeitung und Intranet informieren soll.

Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs werden in den InV erwartungsgemäß überwiegend „nur“ die schwerbehinderten Mitarbeiter angesprochen. Begrüßenswert ist, dass in einigen Unternehmen die Möglichkeit erkannt wurde, weitere Personengruppen (behinderte und sonstige Mitarbeiter) einzubeziehen. Die Gruppe der Sonstigen ist sehr heterogen zusammengesetzt, z.B. werden Regelungen für Langzeiterkrankte, Rehabilitan-den und von Behinderung bedrohte Mitarbeiter aufgenommen. Allerdings wurde oftmals versäumt, den Geltungsbereich der InVen generell und die einzelnen Maßnahmen präzise den einzelnen Gruppen zuzuordnen.

In vielen Fällen ist ein eindeutiges Interventionssignal Voraussetzung für die Einleitung konkreter Maßnahmen. Umso kritischer muss bewertet werden, dass trotz der eindeutigen Regelungen des § 84 Abs. 2 SGB IX a. F. gerade einmal in 18 Fällen (19%) eine AU-Zeit von mehr als drei Monaten als Handlungsanlass festgelegt wurde. In Anbetracht der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX a. F., demzufolge nach drei Monaten AU reagiert werden musste, liegt, soweit man davon ausgeht, dass über das in InVen Geregelte hinaus in Betrieben wenig geschieht, hier ein klares Umsetzungsdefizit vor.

Die wichtigsten internen Akteure werden in der Regel erwähnt. Deren Zusammenwirken ist jedoch häufig nicht präzise ausgestaltet. Abhilfe bietet die Schaffung eines Integrations-teams, das in 44 Fällen (46%) gebildet wurde. Mit dem Integrationsamt und der Agentur für Arbeit werden bedeutende externe Akteure regelmäßig eingebunden. Defizitär ist demge-genüber die Einbindung der gemeinsamen Servicestellen (nur einmal erwähnt).

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2.6 Auswertung nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen Das oben dargelegte Untersuchungsdesign (Vergleich von vor der Einführung des § 83 Abs. 2a SGB IX abgeschlossenen InVen mit solchen, die danach abgeschlossen wurden) ging von der Annahme aus, dass in die der Auswertung zugrunde liegende Datenbank13 kontinu-ierlich aktuelle InVen eingestellt werden. Wie sich bei erneuten Zugriffen auf die Datenbank in den Monaten März und April 2006 zeigte, traf diese Annahme nicht zu. Es fanden sich lediglich vier nach dem 01.05.2005 abgeschlossene InVen in der Datenbank. Die Gründe für den im Vergleich zu den vergangenen Jahren stark verminderten Zugang aktueller InVen14 wurden im Rahmen eines Experteninterviews mit dem bei REHADAT für den Bereich InVen zuständigen Projektmitarbeiter (Zusammenfassung vgl. 2.8) versucht zu klären.

Auch im Zuge eigener Recherchen konnten zunächst zusätzlich zu den in REHADAT eingestellten neueren InVen (insg. 13) nur acht weitere aktuelle InVen untersucht werden (Stichprobe 2), so dass insgesamt nur ein n von 21 erreicht werden konnte. Insgesamt stellen sich die Ergebnisse bezogen auf die in Tabelle 1 dargestellten Kriterien wie folgt dar:

Tabelle 2: Auswertung nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen Untersuchungsgegenstand Ausgewählte15 Ergebnisse (n = 21)

Parteien und Form der Vereinbarung

Eine Vereinbarung wurde in Form einer Betriebsvereinba-rung abgeschlossen, deren Partei auch die Schwerbehin-dertenvertretung war. In einem Fall wurde von der Möglich-keit der Beratung durch das Integrationsamt Gebrauch gemacht.

Pers. Geltungsbereich

Schwerbeh. Mitarbeiter

+ behind. Mitarbeiter

+ sonstige Mitarbeiter

Zwölf Vereinbarungen treffen Regelungen ausschließlich für schwerbehinderte Beschäftigte, in den übrigen neun Vereinbarungen finden sich Regelungen für sonstige Beschäftigte.

Maßnahmen zur

- Arbeitsplatzerhaltung

- Gesundheitsförderung

Jede Vereinbarung enthält Maßnahmen zur Arbeitsplatzer-haltung, jeweils 16 regeln Maßnahmen zur Arbeitsplatzges-taltung und Qualifizierung, in 18 finden sich Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung.

Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX wird in zehn Vereinba-rungen geregelt. Das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB neue Fassung ist in sieben InV verankert.

In vier Vereinbarungen sind Regelungen zur Gesundheits-förderung enthalten, zwei enthalten einen sehr detaillierten

13 Vgl. Fn. 10. 14 Der zudem in Widerspruch steht mit den in noch in aktuellerer Literatur zu findenden Einschätzungen, vgl. z.B. Dopatka/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 1. Auflage 2006 § 83 Rz. 4ff.. 15 Für detailliertere Ergebnisse vgl. Anhang.

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Angebotskatalog.

Interventionssignal

- längere Erkrankung

- mehr als drei Monate

- mehr als sechs Wochen

Sechs InV regeln eine längere Erkrankung als Interventi-onssignal, zwei Vereinbarungen sehen Intervention nach mehr als dreimonatiger AU vor. In sieben InV ist ein Tätigwerden nach sechs Wochen AU geregelt.

Akteure

- Intern

- Extern

An internen Akteuren wird die SBV über die Eigenschaft als Vereinbarungspartei hinaus ausdrücklich in allen Vereinba-rungen erwähnt, der Betriebsrat wird in 19 Fällen, der ArbG/die Personalabteilung in 21 Fällen aufgeführt. Ein Integrationsteam als solches wird in elf Vereinbarungen erwähnt.

Von den externen Akteuren wird das Integrationsamt am häufigsten einbezogen (17). Die Agentur für Arbeit wird zwölfmal, der IFD siebenmal, andere Rehaträger viermal und der behandelnde Arzt dreimal berücksichtigt.

Monitoring

- Berichts- und Über-wachungspflichten versch. Akteure

Acht InVen beinhalten Überwachungs- und Berichtspflichten verschiedener Akteure, in drei wird nur die Überwachung geregelt. Acht Vereinbarungen enthält keine detaillierten Regelungen zu Überwachungs- oder Berichtspflichten

Die Möglichkeit, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, wurde auch bei den neueren Vereinbarungen genutzt, wenn auch deutlich seltener (einmal). Auch wurde einmal das Integrationsamt als Berater schon bei Vereinbarungsabschluss hinzugezogen.

Ein Monitoring in Form von Überwachungs- und Berichtspflichten wird in 38% der Vereinba-rungen geregelt (acht). In ebenso vielen Fällen gibt es keine Regelungen zu Überwachung und Berichtspflichten, bzw. erschöpfen sich die diesbezüglichen Aussagen in allgemein gehaltenen Bekundungen der Absicht guter Zusammenarbeit. Insgesamt scheint dies für eine verminderte Ausgestaltung der Überwachungs- und Berichtspflichten in den neueren InVen zu sprechen.

Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs treffen neun Vereinbarungen (43 %) Regelungen für sonstige Beschäftigte, sechs für wirklich alle Beschäftigten. Dies könnte auf die nunmehr bestehende Möglichkeit, das BEM und die BGF – die jeweils alle Beschäftigten betreffen – auch in InVen zu regeln, zurückzuführen sein.

Dafür spricht auch, dass immerhin in einem Drittel der Vereinbarungen (sieben) das BEM ausdrücklich geregelt wird, wenn es auch in zwei Fällen auf schwerbehinderte Beschäftigte beschränkt wird.

In vier InVen (19 %) werden Maßnahmen der Gesundheitsförderung erwähnt.

In zwölf der ausgewerteten Vereinbarungen (57 %) wurde eine Auffälligkeit bezüglich Arbeitsunfähigkeitszeiten (z.B.: AU von mehr als sechs Wochen im Jahr) als Interventions-

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Integrationsvereinbarungen

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signal festgelegt. Dieser hohe Anteil spricht ebenfalls für die Vermutung, dass die entspre-chenden Erkenntnisse aus der Forschung und die Neuregelungen der §§ 83f. SGB IX allmählich Verbreitung finden.

Während die Benennung von SBV und Betriebsrat in nahezu jeder Vereinbarung zu erwarten war, kann die Konstituierung eines Integrationsteams in elf Vereinbarungen (52%) als ein Zeichen für die Verbreitung der entsprechenden Erkenntnisse der vergangenen Jahre angesehen werden.

Sehr hoch ist auch der Anteil der Erwähnungen des Integrationsamtes (17 Erwähnungen/ 81%) und der Bundesagentur für Arbeit (zwölf/57%) als möglicherweise in die geregelten Prozesse einzubeziehende externe Akteure.

2.7 Stichprobenvergleich – Aussagen zur Verankerung allgemeiner Maßnahmen der Ausgliederungsverhinderung sowie zur Rezep-tion des erweiterten gesetzlichen Auftrags und der gewonne-nen Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von InVen

Unter Berücksichtigung der geringen Größe der Stichprobe 2 (n=21) lassen sich im Vergleich zu den älteren InVen folgende Trends vermuten:

2.7.1 Verankerung allgemeiner der Ausgliederung entgegenwirkender Maßnahmen, die nicht im neuen § 83 Abs. 2a SGB IX enthalten sind

Maßnahmen der Arbeitsplatzanpassung wurden in 66% der Stichprobe 1 getroffen, in Stichprobe 2 betrug dieser Wert 76 %. 38% der Stichprobe 1 enthielten Maßnahmen zur Prävention nach § 84 Abs. 1 – bzw. inhaltsgleiche Regelungen –, während in 48% der Stichprobe 2 solche Maßnahmen verankert wurden. Die Qualifizierung der Beschäftigten wurde in 56 % der Stichprobe 1, aber in 76% der Stichprobe 2 geregelt. Schließlich weisen 68% der Stichprobe 1 und 86 % der Stichprobe 2 Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten auf, wozu auch die in § 83 Abs. 2a SGB IX erwähnte Teilzeitarbeit gezählt wurde.

Aus diesen Zahlen lässt sich der Schluss begründen, dass die neueren Integrationsvereinba-rungen der Stichprobe 2 in den genannten Handlungsfeldern deutlich mehr konkrete Maßnahmen aufweisen als die der Stichprobe 1. Dies kann im Zusammenhang mit den trotz der verlangsamten Verbreitung (vgl. 2.8) doch insgesamt größeren Erfahrungen mit dem Instrument Integrationsvereinbarung stehen.

2.7.2 Rezeption des hinsichtlich Prävention erweiterten gesetzlichen Auftrags hinsichtlich der Regelungsfelder des § 83 Abs. 2a SGB IX

Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs hat sich wenig geändert. Nach wie vor liegt der klare Schwerpunkt auf der Geltung nur für schwerbehinderte Beschäftigte (Stichprobe 1: 48%, Stichprobe 2: 57%). Immerhin treffen sechs der neueren Vereinbarungen Regelungen für wirklich alle Mitarbeiter (29 %). Dies ist im Vergleich zu der unklaren Gemengelage bei

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Integrationsvereinbarungen

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den sonstigen angesprochenen Beschäftigten in der Stichprobe 1 als echte Steigerung anzusehen. Der Grund liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in der Regelung des BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX, die in Stichprobe 2 fünfmal uneingeschränkt und zweimal beschränkt auf schwerbehinderte Mitarbeiter (insgesamt 33%) in die Vereinbarungen aufgenommen wurde. Die zuletzt genannte Beschränkung kann wahrscheinlich auf die juristisch nicht haltbare, aber aufgrund der Einordnung des § 84 Abs. 2 in das SGB IX bei oberflächlicher Betrachtung durch den Laien zunächst diskussionswürdige Auffassung, das BEM solle nur für Schwerbe-hinderte gelten, zurückgeführt werden. Hinsichtlich des § 84 Abs. 2 SGB IX fällt zudem auf, dass in nur 17% der Stichprobe 1 die Regelung des § 84 Abs. 2 a.F. SGB IX, der bereits einige Elemente der aktuellen Fassung enthält, ausdrückliche Erwähnung fand. Insgesamt kann also mit der aufgrund der geringen Größe der Stichprobe 2 gebotenen Vorsicht von einer Rezeption der erweiterten Regelung des § 83 Abs. 2a SGB IX und einer damit einher-gehenden stärkeren Berücksichtigung präventiver Aspekte zumindest hinsichtlich des BEM gesprochen werden.

In die gleiche Richtung weist die im Vergleich zur Stichprobe 1 höhere Quote von AU-Zeiten als Interventionssignal (57% in Stichprobe 2, 20 % in Stichprobe 1).

Gesundheitsfördernde Maßnahmen wurden hingegen nur in 19 % der Stichprobe 2, aber in 27 % der Stichprobe 1 geregelt. Andere in § 83 Abs. 2a SGB IX genannte Regelungsfelder konnten der Stichprobe 2 nicht entnommen werden. Eine Rezeption des erweiterten § 83 Abs. 2a SGB IX kann insofern nicht belegt werden.

Der gestiegene Anteil an Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten (vgl. oben, 2.7.1) kann hier nicht als Indiz für eine Rezeption des § 83 Abs. 2a SGB IX herangezogen werden, da bei der Auswertung eine Fülle verschiedener Regelungen, nicht nur die in § 83 Abs. 2a Nr. 3 SGB IX erwähnte Teilzeitarbeit, unter diesem Stichwort zusammengefasst wurden.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die neue gesetzliche Regelung des § 83 Abs. 2a SGB IX sehr wahrscheinlich nur hinsichtlich der BEM-Komponente tatsächlich in der Praxis ihren Niederschlag gefunden zu haben scheint.

2.7.3 Rezeption gewonnener Erkenntnisse zu Strukturprinzipien Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von InVen wurden hinsichtlich der zu beteiligenden Akteure (Integrationsteam), der Maßnahmen zum Control-ling/Monitoring und der konkreten Vereinbarungsform untersucht.

In den älteren InVen wurde in 46% ein Integrationsteam ausdrücklich erwähnt, in Stichprobe 2 waren es 52 %. Trotz der geringen Größe der Stichprobe 2 kann man von einem Trend zur stärkeren Verbreitung dieses Strukturprinzips sprechen. Externe Akteure wurden anschei-nend in den neueren InVen deutlich häufiger mit einbezogen. So erwähnen 81% der Stichprobe 2 das Integrationsamt und 57% die Agentur für Arbeit, während dies in Stichpro-be 1 nur in 68% bzw. 32 % der Fälle getan wurde.

Das Controlling/Monitoring war hingegen in den älteren InVen deutlicher ausgeprägt. In Stichprobe 1 enthielten immerhin 45% Regelungen zu Überwachungs- und Berichtspflichten. In nur 19% waren keinerlei Regelungen zu Überwachung und Berichten zu finden. Demge-

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genüber ist in Stichprobe 2 diese Verteilung 38% zu 38%. Diese Art von Strukturprinzip (lernendes System) ist scheinbar nicht rezipiert worden.

2.8 Gründe für die geringe Zahl an neuen InVen – Zusammenfas-sung eines Experteninterviews

Aufgrund der geringen Anzahl zugänglicher neuerer, nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen, sowohl bei REHADAT als auch über sonstige Wege, konnten mit dem ursprünglichen Untersuchungsdesign im Projektzeitraum keine hinreichend verlässlichen Aussagen zu den aufgeworfenen Fragen gefunden werden. Es drängte sich die Frage nach den Ursachen für diesen nachlassenden Informationsfluss auf. Um diese zu identifizieren, wurde am 18.05.2006 ein Experteninterview mit dem bei REHADAT, einem Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft e.V., für den Bereich InVen zuständigen Mitarbeiter Peter van Haaste-ren durchgeführt, das im Folgenden zusammengefasst wiedergegeben wird.

2.8.1 Entwicklung des Bestandes der InV-Datenbank bei REHADAT Bis Ende Dezember 2004 wurden 89 Integrationsvereinbarungen neu eingestellt, seither acht.

Insgesamt wurden zwar ca. 400 InVen REHADAT zugeleitet, diese unterliegen jedoch einem doppelten Filter: Zum einen werden aus Branchen, für die bereits eine Vielzahl von InVen in der Datenbank vorhanden sind, zunächst nur noch wenige neue aufgenommen. Zudem wird eine inhaltliche Bewertung vorgenommen, so dass inhaltsleere „Alibi“-Vereinbarungen oder solche, die sich auf das bloße Abschreiben von Leitfäden beschränken, nicht aufgenommen werden. Davon abgesehen, spiegeln die obigen Zahlen ungefähr die Entwicklung bei der Einreichung von InVen bei REHADAT wider.

2.8.2 Zugangswege und Schwierigkeiten beim Erhalt von InVen Üblicherweise erhält REHADAT InVen über Kontakte zu Schwerbehindertenvertretungen. Zu insgesamt ca. 3000 bestehen im Rahmen des Projekts Kontakte. Weitere Quellen sind Gewerkschaften, seltener Betriebs- und Werksärzte, einige wurden REHADAT über Arbeit-geberbeauftragte für die Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen übermittelt. Die InVen werden vor ihrer Einstellung in die Datenbank anonymisiert. Trotz dieser Anonymisie-rung ist es schwierig, von Integrationsämtern InVen zu erhalten. Nach entsprechender Einigung auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsor-gestellen (BIH) werden InVen durch die Integrationsämter aus Gründen des Daten- und Geheimnisschutzes grundsätzlich nicht an externe Stellen herausgegeben. Auch dort wird aber vermutet, dass in den letzten Jahren weniger InVen neu abgeschlossen werden.

Das Vorgehen der Integrationsämter deckt sich nach Herrn van Haasterens Angaben nicht immer mit seinen persönlichen Erfahrungen, denen zufolge das Thema Geheimnisschutz eher selten Bedenken von Unternehmensseite gegen eine Veröffentlichung auslöse.

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2.8.3 Gründe für nachlassende Aktivität bezüglich aktuellerer Vereinba-rungen

Die wesentlichen Probleme sind aus Sicht Herrn van Haasterens Akzeptanz und Bekannt-heitsgrad des SGB IX im Allgemeinen und der InV im Besonderen sowie die Rolle der Schwerbehindertenvertretungen, wobei diese Aspekte vor dem Hintergrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage zu bewerten sind.

So werde das SGB IX, wenn überhaupt, von Unternehmensseite häufig als gut gemeintes, aber eben nicht mehr zeitgemäßes Gesetz angesehen, das vor allem ein erhöhtes Maß an Bürokratie bedeute und daher erheblichen Akzeptanzschwierigkeiten begegne. Gleiches gelte in Bezug auf die InV. Auch Betriebsräte seien kaum mit dem Instrument der InV und seinen Möglichkeiten vertraut.

Die Schwerbehindertenvertretungen selbst wiederum haben nach Kenntnis Herrn van Haasterens derzeit häufig einen schweren Stand. Die wirtschaftliche Großwetterlage und die Situation in den einzelnen Unternehmen ließen häufig die Bedenken gegenüber einem allzu forschen Durchsetzen nicht akzeptierter gesetzlicher Regelungen wie des § 83 SGB IX überwiegen, zumal man nicht nur sich selbst, sondern auch das bisher für schwerbehinderte Beschäftigte Erreichte gefährdet sehe. Im Verhältnis zu Betriebsräten seien die Schwerbe-hindertenvertretungen oft eher geduldet oder gar belächelt. Die Fülle an Aufgaben, die eine umfassende Qualifizierung wünschenswert erscheinen lasse, trage ihr Übriges dazu bei. Diese Faktoren führten ihrerseits dazu, dass selbstbewusst auftretende Schwerbehinderten-vertretungen eher selten sind. Solche Ausnahmen fänden sich am häufigsten im öffentlichen Dienst, oder aber dann, wenn Schwerbehindertenvertretungen öffentlichkeitswirksam eingebunden seien.

Darüber hinaus hätten auch die Unternehmen, die zunächst rasch InVen abgeschlossen haben, häufig keine aktuelleren mehr aushandeln können, d.h. viele Vereinbarungen, die veraltet wirkten, seien tatsächlich aktuell. Ein Grund dafür sei wohl auch, dass man ungerne einräumen wolle, ausgehandelte Ziele nicht erreicht zu haben.

2.8.4 Der neue § 83 Abs. 2a SGB IX und seine Auswirkungen Die durch den neuen § 83 Abs. 2a SGB IX geschaffenen Möglichkeiten sind laut Herrn van Haasteren in der Sache positiv zu bewerten. Die Möglichkeiten würden aber selten gesehen, es herrsche Schubladendenken vor.

Auswirkungen dieser Neuregelungen auf die Motivationen von Unternehmen zum Abschluss oder zur Veröffentlichung von InVen sieht Herr van Haasteren kaum. Viele Unternehmen hätten für das BGM insgesamt aber bereits umfassende Betriebsvereinbarungen, in die InVen dann eingepasst werden könnten, so dass ein zusätzlicher Anreiz zum Abschluss von InVen nicht geschaffen würde. Allerdings seien umgekehrt im ohnehin bisweilen nicht ganz spannungsfreien Verhältnis zu Betriebsräten Zuständigkeitsquerelen gerade im Bereich Gesundheitsförderung durchaus vorstellbar, was ein Grund für die nachlassenden Aktivitäten zum Abschluss von InVen sein könne.

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Hinsichtlich BGF und BEM könne ein weiteres Akzeptanzproblem beim Beschäftigten entstehen, der in der Regel ein Interesse daran habe, dass der Arbeitgeber möglichst wenig über seine gesundheitliche Situation erfahre.

2.8.5 Stand der Umsetzung – allgemein und in Bezug auf die Neurege-lung des § 83 Abs. 2a SGB IX

Eine Schätzung der Bundesregierung geht für Anfang 2003 auf Grundlage der vom DGB vertretenen Annahme, dass nur jeder vierte Abschluss einer InV gemeldet wird, von einem Bestand von ca. 1400 InVen aus.16

Laut Angaben des Integrationsamts Köln waren Ende 2004 dort 120 InVen gemeldet. Herr van Haasteren rechnet dies unter Berücksichtigung der Anzahl der im Einzugsbereich des LVR lebenden Einwohner (ca. 9,5 Mio.)17 und unter Berücksichtigung der scheinbar nachlas-senden Abschlusszahlen dahingehend hoch, dass derzeit gut 1.000 InVen bei den Integrati-onsämtern gemeldet seien, so dass insgesamt von höchstens 4.000 InVen auszugehen sei, was ungefähr 2% der beschäftigungspflichtigen Betriebe entspräche. In der Folge geht Herr van Haasteren davon aus, dass ca. 10% der InV bisher bei REHADAT eingereicht wurden.

Aus o.g. Gründen sei davon auszugehen, dass nur ein sehr geringer Teil aktuelleren Datums sei und die Möglichkeiten des neuen § 83 Abs. 2a SGB IX nutze.

2.8.6 Vorschläge für eine verbesserte Umsetzung des Instruments „Integrationsvereinbarung“

Zunächst sollten nach Ansicht Herrn van Haasterens die Arbeitgeber durch die Bildung von Netzwerken mehr „ins Boot“ geholt werden. Die Arbeitgeberverbände sollten angesprochen und aktiviert werden. Ein kaum verzichtbares Mittel für diese Schritte sei auch in Bezug auf InVen eine nachvollziehbare Darstellung der Kosten-Nutzen-Rechnungen und die Verbrei-tung von auch aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht erfolgreichen Engagements wie Ford oder Real. Ein verbessertes gesetzliches Bonus-System für die Einführung von BEM/BGF könne auch hilfreich sein.

In inhaltlicher Hinsicht sah Herr van Haasteren vor dem Hintergrund auch der sonstigen bei REHADAT bearbeiteten Themenfelder – wie z.B. praktische Integrationsbeispiele aus Unternehmen – folgende Bereiche als besonders wichtig für eine wirksame InV an: Ist-Analyse, detaillierte Zielvereinbarungen auch und gerade in Bezug auf BGF, Zieldefinition, Teilzieldefinition, Beteiligung aller Zuständigen, Zuständigkeits- und Verantwortungsklärung, Berichtspflicht, Controlling. Sanktionen in einer Vereinbarung zu regeln, könne nicht generell, aber für den einen oder anderen Einzelfall befürwortet werden.

16 Vgl. Bericht der Bundesregierung nach § 160 SGB IX vom 16.12.2004, BT-Drs. 15/1295, S. 27. 17 Vgl. http://www.lvr.de/derlvr/organisation/gebiet/ ; Zugriff am 30.12.2006.

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2.9 iqpr-Empfehlungen zur Gestaltung einer InV Die folgenden Empfehlungen stellen eine Zusammenfassung der bisher gewonnenen Erkenntnisse über Qualitätsmerkmale von Integrationsvereinbarungen und deren Veranke-rung in der Betriebs- und Unternehmenskultur dar. Dabei liegt der Schwerpunkt nicht wie in den vorhergehenden Abschnitten auf den präventionsorientierten Aspekten.

Von ausformulierten Regelungsvorschlägen, die bereits von anderen ausführlich dargestellt und begründet wurden,18 wird hier abgesehen. Diese müssten ohnehin den jeweiligen betrieblichen Besonderheiten angepasst werden. Der Fokus liegt auf der Darstellung der neueren, im Rahmen des Teilhabeprojekts, des Vorgängerprojekts (PRVE), des Diskussi-onsforums „Teilhabe und Prävention“ und im Rahmen anderer unter Beteiligung des iqpr bearbeiteter Projekte und Praxiserfahrungen gewonnenen, Erkenntnisse zu den Inhalten einer Integrationsvereinbarung. Diesen wird eine Checkliste der übergreifend zu beachten-den Regelungsprinzipien sowie der zu regelnden Handlungsfelder beigefügt.

Dabei gehört es zu den Grunderkenntnissen jeglicher betriebsorientierten Arbeit, dass es keine umfassende Musterlösung für jede denkbare betriebliche Konstellation geben kann. Die folgenden Ausführungen sind daher lediglich als eine Empfehlung zu verstehen, die vor konkreter Anwendung noch an die Besonderheiten der jeweiligen Situation angepasst werden muss. Sie gliedern sich auf in grundsätzliche Überlegungen zur Verankerung einer Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruktur und eine Zusammenfassung der bei der Gestaltung einer Integrationsvereinbarung zu beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und Regelungsfelder

2.9.1 Verankerung der Integrationsvereinbarung in der Unternehmens-struktur

Neben den einzelnen in der Integrationsvereinbarung geregelten Maßnahmen zur Veranke-rung der mit ihr geregelten Themenfelder in der Unternehmensstruktur stellt sich auch die Frage, wie die Integrationsvereinbarung ihrerseits in die bestehenden Strukturen eingebun-den werden sollte. Diese Frage lässt sich aufgliedern in die aufeinander bezogenen Fragen nach der Vereinbarungsform bzw. deren Verbindlichkeit und die Frage nach dem Verhältnis der Integrationsvereinbarung zu anderen betrieblichen Vereinbarungen, insbesondere Vereinbarungen zum BEM.

2.9.1.1 Form der Vereinbarung Bei der Wahl der Vereinbarungsform sind die Vorteile hinsichtlich der Verbindlichkeit, die durch Wahl der Form der Betriebsvereinbarung oder durch ausdrücklich vereinbarte Norm-wirkung gewonnen werden können, unter Berücksichtigung der konkreten betrieblichen Situation abzuwägen mit Nachteilen, die durch ggf. entstehende Rechtsunsicherheiten (SBV als Partei einer BV?, Regelung von Themenfeldern des § 83 SGB IX ohne SBV?) und der damit ggf. verbundenen Verschärfung des Klimas verbunden sein können. Die Mitbestim-mungsrechte des Betriebsrates können jedenfalls auch durch Zustimmung zu einer Integrati-

18 Vgl. Feldes aaO. (Fn. 78).

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onsvereinbarung ausgeübt werden. Die gewählte Form der Vereinbarung ist insofern vor allem eine Frage der jeweiligen Betriebskultur.

2.9.1.2 Verhältnis der Integrationsvereinbarung zu anderen Betriebsvereinba-rungen, insbesondere zum BEM

Die Entwicklung hat gezeigt, dass in vielen Betrieben für einzelne nach § 83 SGB IX eigentlich für die Integrationsvereinbarung vorgesehene Themenfelder gesonderte Verein-barungen getroffen werden. Das gilt insbesondere für das BEM. Diese Praxis spiegelt unter anderem wider, welche unterschiedlichen Dringlichkeitsgrade den einzelnen Themenfeldern des § 83 SGB IX beigemessen werden. So hat das BEM aufgrund seines weiten persönli-chen Geltungsbereiches und seiner bereits Mitte 2004 erstmals von Dr. Alexander Gagel im iqpr-Diskussionsforum „Teilhabe und Prävention“ dezidiert dargelegten kündigungsschutz-rechtlichen Implikationen19 eine entsprechend große Thematisierung erfahren, die auch weit über das in dieser Untersuchung gefundene Maß an Verbreitung in abgeschlossenen Integrationsvereinbarungen hinaus geht. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts von iqpr und der Arge der Berufsförderungswerke, EIBE, sind beispielsweise entsprechende Verein-barungen gesammelt worden.

Diese Entwicklung wird hier eher kritisch betrachtet. So ist es natürlich wichtig, dem BEM und anderen laut § 83 SGB IX für die Integrationsvereinbarung vorgesehenen Themenfel-dern eine besondere Bedeutung beizumessen, die sich grundsätzlich auch in gesonderten Vereinbarungen niederschlagen kann. Auch ist zu beachten, dass eine Regelung aller für die jeweiligen Themengebiete und insbesondere das BEM bedeutsamen Details in einer Integrationsvereinbarung diese auf einen beeindruckenden Umfang anwachsen lassen kann20. Dennoch sollte man sich nicht der Vorteile begeben, die eine Zusammenfassung aller für das BGM relevanten Themen in einer Vereinbarung, an der die wesentlichen betrieblichen Akteure mitgewirkt haben, bietet. Sie ermöglicht eine wirklich vom gesamten Betrieb getragene Steuerung des vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wichtigen Themenfelds BGM. Mögliche Überschneidungen zwischen den einzelnen Themenfeldern können hier am sinnvollsten gelöst werden. Andernfalls müsste immer wieder einzelfallbezogen nach Synergien/Abgrenzungen gesucht werden, was die Arbeit in der Sache sehr verzögern kann. Die rechtliche Zulässigkeit einer übergreifenden Integrati-onsvereinbarung, die auch Regelungen für nicht schwerbehinderte Beschäftigte trifft, darf im Übrigen als gesichert gelten21.

Zu konzedieren ist wiederum, dass es unter Umständen aus betriebspraktischer Sicht erforderlich sein kann, einzelne Themenfelder jeweils aktuellen Erfordernissen oder (Rechts)Entwicklungen anzupassen. Dies könnte bei Regelung aller relevanten Themenfel-der in einer einzigen – ggf. mühsam ausgehandelten – Gesamtvereinbarung deren Kündi- 19 Vgl, Gagel „Bedeutung des Eingliederungsmanagements (§ 84 Abs. 2 SGB IX) für den Kündigungs-schutz“ in Gagel/Schian (Hrsg.), Diskussionsbeiträge zum Schwerbehindertenrecht und betrieblichen Gesundheitsmanagement, Köln 2006 und auf www.iqpr.de > Diskussionsforum > Forum B, Beiträge Nr. 4–6/2004. 20 So hat die Mustervereinbarung des EIBE-Projekts (www.eibe.de) für das BEM allein schon einen Umfang von über 20 Seiten. 21 Vgl. Gagel/Schian (Hrsg.) Diskussionsbeiträge zum Schwerbehindertenrecht und betrieblichen Gesundheitsmanagement, Teil III.

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gung und somit Neuverhandlung erforderlich machen, auch wenn es sich nur um einen einzigen Teilbereich handelt. Je nach konkreter betrieblicher Situation insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit und des Klimas zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung, kann es daher tatsächlich angebracht sein, eine im Vergleich zur umfassenden Gesamtregelung etwas flexiblere Lösung zu wählen.

iqpr gelangt unter Berücksichtigung der zuletzt genannten Argumente zu folgenden Mindest-anforderungen an die Verankerung der Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruk-tur:

Es sollten alle in § 83 Abs. 2a SGB IX sowie die weiter unten (vgl. 2.9.2) aufgelisteten Themenfelder in der Integrationsvereinbarung selbst in ihren Grundzügen geregelt, zumin-dest aber angesprochen werden. Für nicht im Einzelnen geregelte Themenfelder sollte ein klarer, aber mit Blick auf mögliche Änderungen in den Untervereinbarungen dynamischer Verweis auf die konkrete Untervereinbarung gesetzt werden.

2.9.2 Zusammenfassung der bei der Gestaltung einer Integrationsver-einbarung zu beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und Rege-lungsfelder

Im Folgenden werden im Sinne eines Leitfadens die beim Aufsetzen einer Integrationsver-einbarung zu beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und einzelnen Regelungsfelder benannt. Da das Ziel des Projekts ist, übergreifende Erkenntnisse darzustellen, werden jeweils nur die Grundzüge benannt und wird ggf. auf interessante in den ausgewerteten Integrationsvereinbarungen enthaltene Details hingewiesen. Konkrete Formulierungsvor-schläge sind demgegenüber immer bereits auf bestimmte betriebliche Gegebenheiten

z.B. Vereinbarung zur Teilzeit Enthält Details zu Voraussetzun-gen und Verfahren und Bezüge zur Integrationsvereinbarung.

Integrationsvereinbarung Enthält gemäß den Strukturprinzipien die grundlegenden Regelungen insbes. zu der Verankerung der Themen des BGM in der Unternehmensstruktur und zu allen Regelungsfeldern sowie die Verknüpfungen zu den konkreten Untervereinbarungen.

z.B. Vereinbarung zum BEM Enthält Detailregelungen zu Voraussetzungen & Verfahren, z.B. Kontaktaufnahme, Datenschutz etc. und Bezüge zur Integrations-vereinbarung.

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abgestimmt und können insofern nicht allgemeingültig vorgeschlagen werden. Für den interessierten Leser finden sich zahlreiche Formulierungsvorschläge in der Literatur22 sowie – nach Branchen gegliedert – in der Datenbank von REHADAT (www.rehadat.de).

2.9.2.1 Strukturprinzipien einer Integrationsvereinbarung Aus den Ergebnissen dieses Projekts, rechtlichen Erwägungen und anderen Erfahrungen des Institutes lassen sich folgende Strukturprinzipien ableiten, deren Einhaltung zwar kein Garant für ein erfolgreiches, auch die Prävention erfassendes BGM ist, ein solches aber wesentlich erleichtern kann.

2.9.2.1.1 Verankerung in der Unternehmensstruktur Ganz wesentlich ist die effektive Verankerung des BGM in der Unternehmensstruktur. Dabei geht es zum einen um Schritte zur Verankerung der inhaltlichen Themen im Unternehmen, zum anderen aber auch um die möglichst effektive Nutzung insbesondere der gesetzlich vorgegebenen Instrumente zur Steuerung eines von allen Beteiligten getragenen BGM.

2.9.2.1.1.1 Verankerung der Vereinbarung selbst a) Wahl der passenden Vereinbarungsform

Hier ist zunächst die Form der Vereinbarung zu wählen: Betriebs- oder Integrations-vereinbarung. Zu den Einzelheiten vgl. 2.9.1.1und 2.2.

b) Verhältnis der Integrationsvereinbarung zu anderen Vereinbarungen zum BGM

Weiterhin ist wichtig, zu entscheiden, welche Funktion die Integrationsvereinbarung haben soll. iqpr plädiert für eine zentrale Integrationsvereinbarung, die die wesentli-chen Strukturprinzipien enthält bzw. klärt, gleichzeitig aber bei besonders umfangrei-chen einzelnen Regelungsfeldern die Möglichkeit gesonderter Einzelvereinbarungen zulässt. Dafür bietet sich beispielsweise das BEM an. Wird eine Vereinbarung für alle Regelungsfelder des § 83 SGB IX gewählt, sollte ggf. für einzelne Bereiche die Mög-lichkeit isolierter Nachverhandlungen festgeschrieben werden.

2.9.2.1.1.2 Verankerung der Themen des BGM in der Unternehmensstruktur a) Verankerung der Themen des BGM im Unternehmensleitbild

Die Verankerung im Unternehmensleitbild ist nicht nur eine effektive Methode, um wirklich alle Ebenen des Unternehmens für das Thema BGM zu sensibilisieren. Es kann auch die entsprechenden Zielsetzungen und Aktivitäten des Unternehmens imagewirksam nach außen kommunizieren, was wiederum Rückwirkungen auf das Unternehmen selbst haben kann.

22 Feldes aaO (Fn. 78), IG-Metall aaO (Fn. 78), Britschgi, Krankheit und betriebliches Eingliederungs-management, Bund-Verlag, Frankfurt 2006; Diskussionsforum B, Beiträge Nr. 2/2005, 3/2005 und 8/2005 auf www.iqpr.de > Diskussionsforen > Forum B.

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b) Schulung der Interessenvertretung, der SBV und der Führungskräfte

Es hat sich immer wieder gezeigt, dass ein funktionierendes BEM voraussetzt, dass die Führungskräfte es mittragen. Das wiederum kann nur erreicht werden, wenn die-se entsprechend geschult werden. Entsprechend gilt dies für die anderen ganz zent-ralen Akteure im BGM, nämlich die betrieblichen Interessenvertretungen nach § 93 SGB IX und die Schwerbehindertenvertretung.

c) Information der und regelmäßige Berichte an die Mitarbeiter

Damit das BGM wirklich vom gesamten Unternehmen getragen wird, reicht es nicht aus, nur die Führungsebene zu unterrichten. Schließlich kommt es ja auch entschei-dend auf das Verhalten der einzelnen Beschäftigten an. Die Betriebsöffentlichkeit sollte also neben den spezielleren Maßnahmenangeboten auch regelmäßig allgemein über Sinn, Zweck und Fortschritt des BGM informiert werden.

d) Ggf. spezielle Schulung der Kollegen

Wenn gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte möglichst umfangreich in den Ar-beitsprozess reintegriert werden sollen, steht und fällt dieses Ziel mit der Unterstüt-zung durch die unmittelbare Arbeitsumgebung. Diese sollte durch spezielle auf den Einzelfall angepasste Informationen erleichtert werden.

2.9.2.1.2 Vernetzung der betriebsinternen Akteure Solange es mit der Betriebsgröße vereinbar ist, sollte zu diesem Zweck ein Integrationsteam gebildet werden, dem zumindest Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat, ein Arbeitgeber-beauftragter und der Betriebsarzt angehören sollten. Die Beiziehung anderer für die jeweili-gen Aufgaben qualifizierter Fachkräfte (z.B. Fachkraft für Arbeitssicherheit) sollte vorgese-hen werden.

Für jedes Handlungsfeld sollten klare Verantwortlichkeiten und ein Ansprechpartner im Integrationsteam (dessen Festlegung wiederum kann dem Integrationsteam überlassen bleiben) festgelegt werden. Bloße Zitierungen ggf. einschlägiger gesetzlicher Regelungen reichen nicht. Leitlinie sollte dabei sein, dass derjenige, der sich nicht auskennt, nicht mehr als die Integrationsvereinbarung (ggf. zzgl. der jeweiligen Untervereinbarung), Bekanntma-chungen des Integrationsteams und ein Telefon benötigt, um für sein Anliegen den richtigen Ansprechpartner zu finden.

Für jeden Regelungskomplex zu den einzelnen Regelungsfeldern sollten zudem klare Verfahrensregelungen getroffen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden (wer veranlasst welche weiteren Schritte?).

Sollte es sich z.B. wegen der möglichen personellen Verschiebungen im Integrationsteam als nicht opportun herausstellen, Ansprechpartner und Verfahrensweisen innerhalb des Integrationsteams direkt in der Integrationsvereinbarung zu regeln, ist es sinnvoll, das Integrationsteam zur Festlegung entsprechender Verfahren und Verantwortlichkeiten zu verpflichten. Die getroffenen Regelungen müssten dann öffentlich gemacht werden.

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Neben dem Ansprechpartner aus dem Integrationsteam sollten für jeden Regelungskomplex der einzelnen Handlungsfelder weitere beizuziehende Akteure benannt werden, z.B. die Fachkraft für Arbeitssicherheit bei den Regelungen zum Arbeitsschutz.

2.9.2.1.3 Vernetzung mit betriebsexternen Akteuren Auch hier gilt es, für jedes Handlungsfeld bezüglich der Kontaktaufnahme mit betriebsexter-nen Akteuren (z.B. Rehabilitationsträger, Integrationsamt) klare Verfahren und Verantwort-lichkeiten festzulegen, bzw. das Integrationsteam zu einer klaren Regelung, die kommuni-ziert werden muss, zu verpflichten.

2.9.2.1.4 Eindeutige Interventionssignale Wichtig ist hier vor allem in Anlehnung an § 84 Abs. 2 SGB IX die Beobachtung längerer AU-Zeiten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass aus Gründen der Selbstbestimmung und des Datenschutzes die Verarbeitung der AU-Daten zu anderen Zwecken als zu denen des gesetzlich geregelten BEM (beispielsweise um eine Intervention schon nach vier Wochen einzuleiten) nicht allein in einer Integrations-/Betriebsvereinbarung geregelt werden kann, sondern zusätzlich der vorherigen Einwilligung eines jeden Beschäftigten bedarf.

Auch andere Interventionssignale können festgelegt werden, die allerdings ebenfalls nicht unangemessen in die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Beschäftigten eingreifen dürfen.

2.9.2.1.5 Lernendes System Eine Integrationsvereinbarung und das zu Grunde liegende BGM können nur dann wirklich gelebt werden, wenn von vornherein Möglichkeiten zur Fehlerverbesserung eingebaut sind, um eine fortlaufende Anpassung an die betrieblichen Notwendigkeiten und Zielsetzungen zu ermöglichen:

a) Ist-Analyse

Wo Kennzahlen vorhanden sind, bietet sich eine Ist-Analyse an, auf deren Grundlage die weiteren Schritte geplant werden können. Ein Beispiel dafür ist die Schwerbehin-dertenquote im Unternehmen, die meist einigermaßen verlässlich beziffert werden kann.

b) Festlegung von Handlungszielen

Ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Umsetzung von Vereinbarungen ist die Setzung von Handlungszielen, die ggf. direkt auf der Ist-Analyse aufbauen können.

c) Regelmäßige Berichte und Kontrolle

Um Fortschritte in der Bearbeitung der Themen des BGM im Unternehmen zu erzie-len, ist es wichtig, Fortschritte messen und eventuelle Defizite und Entwicklungen i-dentifizieren zu können. Dafür ist eine regelmäßige allgemeine Berichterstattung an die Entscheider und Interessenvertretungen (samt SBV) des jeweiligen Betriebes e-benso wichtig wie die Verankerung von Mechanismen, die die konkrete Erfolgskon-trolle von einzelnen Maßnahmen (z.B. stufenweise Wiedereingliederung im Rahmen

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eines BEM) ermöglichen. Letzteres sollte sinnvollerweise Aufgabe des Integrations-teams sein.

2.9.2.1.6 Datenschutz Da es im gesundheitlichen Bereich häufig um sensible Informationen geht und die Persön-lichkeitsrechte des Beschäftigten somit im besonderen Maße betroffen sein können, ist in allen Regelungsfeldern der Datenschutz zu beachten. Eine entsprechende Kultur zum vertraulichen Umgang mit Daten sollte geschaffen und durch klare Regelungen hinterlegt werden. Insbesondere im Handlungsfeld BEM und Rehabilitation sind diese zu beachten. Die zu beachtenden Grundsätze hat Sabine Dalitz im Diskussionsbeitrag Nr. 3/2006 im Diskus-sionsforum B auf www.iqpr.de hinsichtlich des BEM aufgezeigt. Diese Grundsätze gelten aber auch allgemein im BGM, sobald es um sensible Daten geht. Im Rahmen des EIBE-Projekts (Abschlussbericht wird im März 2007 veröffentlicht) wurde auf dieser Grundlage eine entsprechend ausformulierte Mustervereinbarung zum BEM entwickelt.

2.9.2.2 Wichtige Formalia Auch eine Integrationsvereinbarung sollte gewisse formale Anforderungen erfüllen, um den Vereinbarungsrahmen für die Beteiligten und die Betriebsöffentlichkeit transparent zu machen. Im Einzelnen sind zu beachten:

Nennung der Vereinbarungsparteien Festlegung des Geltungsbereichs Regelungen zur Beilegung von Streitigkeiten Schlussbestimmungen In-Kraft-Treten Salvatorische Klausel Gültigkeitsdauer und Kündigung (ggf. Fristenregelung für Pilotphase; ggf. Nachwirkung)

2.9.2.3 Einzelne Handlungsfelder einer Integrationsvereinbarung Im Folgenden werden die Regelungsfelder aufgeführt, die in einer Integrationsvereinbarung zumindest in ihren Grundzügen geregelt werden sollten. Über 1.1.9.2.3.1 hinaus sollte in allen Regelungsfeldern beachtet werden, dass Sonderregelungen für schwerbehinderte Menschen angezeigt sein können. Den einzelnen Regelungsfeldern sind Regelungskomple-xe zugeordnet, die sich in den ausgewerteten Integrationsvereinbarungen fanden und seitens des iqpr als in der Regel besonders sinnvoll betrachtet werden.

2.9.2.3.1 Besondere Personalplanung mit Blick auf schwerbehinderte Mitarbeiter Angezeigt sind eine Ist-Analyse und eine Zielvereinbarung zur Beschäftigungsquote nach § 71 SGB IX.

Konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Quote sollten formuliert werden. In einigen Integrationsvereinbarungen wurde diesbezüglich beispielsweise ein Bonus-Malus-System für einzelne Abteilungen eingeführt.

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Besonderheiten bei der Personalakquise mit Blick auf schwerbehinderte Menschen sollten unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts23 geregelt werden. Als einzelne Regelungskomplexe sind beispielhaft zu nennen: Stellenaus-schreibungen, innerbetriebliche Auswahlrichtlinien, Auswahl- und Einstellungsverfahren, Beteiligungsrechte der SBV und des Betriebsrates.

In dieses Handlungsfeld gehören auch Einzelheiten bei der Ausbildung schwerbehinderter Menschen sowie Regelungen zu Möglichkeiten für Praktika und Probebeschäftigung schwerbehinderter Menschen.

2.9.2.3.2 Qualifizierung Hier sollte festgelegt werden, ob und in welchem Maße gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte bei der Qualifizierung bevorzugt werden können.

Besonders wichtig ist hier die Vernetzung zu den Rehabilitationsträgern und deren Unter-stützungsangeboten.

Hilfreich ist die Etablierung einer Routine für die Feststellung von Fortbildungsbedarf und -wunsch eines Beschäftigten vorzugsweise in Abstimmung mit dem jeweiligen Vorgesetzten.

2.9.2.3.3 Versetzungen und andere Änderungen im Arbeitsverhältnis Hier bietet es sich insbesondere an, den Einfluss von Versetzungen auf den beruflichen Status des betroffenen Beschäftigten zu klären.

Manche Integrationsvereinbarungen sahen die Möglichkeit vor, dass Versetzungen und sonstige AP-Wechsel bei Bedarf begleitet werden durch innerbetriebliche Fachleute, z.B. durch das oder Mitglieder des Integrationsteam/s, oder durch externe Fachleute wie beispielsweise den IFD oder andere Dienstleister, das Integrationsamt oder auch die Rehabilitationsträger.

2.9.2.3.4 Arbeitsplatz- und Arbeitsumfeldgestaltung Die Barrierefreiheit sollte bereits bei der Planung und Gestaltung neuer Arbeitsplätze und/oder deren Umfeld beachtet werden.

Auch die Erfordernisse des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei der Planung und Gestal-tung neuer Arbeitsplätze und deren Umfeld sollten eingehalten werden. Ein Verweis auf das Handlungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz (vgl. 2.9.2.3.9) bzw. eine entsprechende Untervereinbarung sollte erfolgen.

Für schwerbehinderte Beschäftigte bietet sich hier eine Reihe von Möglichkeiten der Sonderregelung, wie beispielsweise die Einräumung von Sonderparkplätzen, an.

2.9.2.3.5 Arbeitsplatz- und Arbeitsumfeldanpassung Verbindliche Regelungen zur Durchführung der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitsplatzbege-hung.

23 Vgl. z.B. BAG, Urteil vom 15.02.2005 – 9 AZR 635/03 –.

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Dabei Berücksichtigung der Belange des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Barrierefreiheit. Ein Verweis auf das Regelungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz (vgl. 2.9.2.3.9) bzw. eine entsprechende Untervereinbarung sollte erfolgen.

Darüber hinaus Regelung zur anlassbezogenen Untersuchung des Arbeitsplatzes auf Möglichkeiten zur Anpassung an die gesundheitlichen Erfordernisse des AP-Inhabers.

Verbindliches und transparentes Verfahren zur Behebung aufgefundener Mängel bzw. zur Nutzung der identifizierten Anpassungsmöglichkeiten der Arbeitsplätze.

Für schwerbehinderte Beschäftigte sollten gerade in diesem Regelungsfeld Sonderregelun-gen getroffen werden.

2.9.2.3.6 Arbeitsorganisation (Leistungsbeurteilung, Arbeitsassistenz) Ein wichtiges und für betroffene Beschäftigte heikles Thema ist die Arbeitsorganisation. Hier ist es schwierig, eindeutige Empfehlungen auszusprechen. Daher wird nur darauf hingewie-sen, dass sich in den Integrationsvereinbarungen unterschiedlichste Regelungen zu diesem Handlungsfeld finden. Teilweise werden schwerbehinderte, in manchen Fällen auch generell gesundheitlich betroffene Mitarbeiter, ausdrücklich von Zielvereinbarungen ausgenommen, hinsichtlich der Leistungsbeurteilung gesonderten Regelungen unterworfen oder es werden entsprechende Sonderregelungen für Gruppenarbeit getroffen.

2.9.2.3.7 Arbeitszeit Hier sollten Einzelheiten für Teilzeitarbeit geregelt werden.

Ebenfalls hierher gehören Regelungen zu aus gesundheitlichen Gründen notwendigen Freistellungen von Arbeit bzw. Anpassungen der Arbeitszeiten an die gesundheitlichen Erfordernisse des betroffenen Beschäftigten.

2.9.2.3.8 Gesundheitsförderung Erfahrungen aus Praxisprojekten zeigen, dass dieses Regelungsfeld sich schon wegen der notwendigen Beteiligung der Betriebsparteien für eine Regelung in einer Integrationsverein-barung besonders empfiehlt. Dem steht eine bislang geringe Berücksichtigung in tatsächlich abgeschlossenen Vereinbarungen gegenüber.

In den Vereinbarungen finden sich Regelungen zu einzelnen Maßnahmen der BGF wie

Einrichtung von Gesundheitszirkeln, Diät-Speisen und -Lebensmittel, Rückenschule, Schulungen für das Heben und Tragen von Lasten, Schulungen für Bildschirm-Arbeitsplätze, Schulungen für Stressbewältigung, Behindertensport, Mobilitätstraining,

und darüber, wie diese Maßnahmen angeboten und seitens des Unternehmens unterstützt werden (beispielsweise durch teilweise Freistellung, Finanzierung der Anbieter solcher Maßnahmen etc.).

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2.9.2.3.9 Arbeits- und Gesundheitsschutz, Notfallunterstützung Aufgrund der Fülle der beim Arbeitsschutz zu beachtenden gesetzlichen und berufsgenos-senschaftlichen Regelungen und Verfahrensweisen bietet sich dieses Regelungsfeld für eine gesonderte Vereinbarung an.

Wichtig ist, dass in der Integrationsvereinbarung zumindest ein klares Bekenntnis zur Einhaltung der genannten Regelungen enthalten ist und dass in Grundzügen Ansprechpart-ner/Verantwortliche und Verfahrensweisen benannt werden.

In einigen Integrationsvereinbarungen werden den Beschäftigten Schulungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie zur Notfallunterstützung angeboten.

2.9.2.3.10 Betriebliche Prävention nach § 84 SGB IX Da es sich hier um ein noch sehr neues, rechtlich in den Details noch immer umstrittenes und zudem aufgrund der kündigungsschutzrechtlichen Implikation sensibles Handlungsfeld handelt, bietet sich auch hier an, eine eigene Vereinbarung abzuschließen. In den Integrati-onsvereinbarungen sollten aber zumindest die Grundzüge festgehalten werden.

Für § 84 Abs. 1 SGB IX bedeutet dies, dass sich immer, wenn Schwierigkeiten in einem Beschäftigungsverhältnis schwerbehinderter Beschäftigter auftauchen, der Arbeitgeber mit Betriebsrat, SBV und Integrationsamt beraten muss. Angesichts neuerer Rechtsprechung des BAG24 empfiehlt sich zudem eine Klarstellung, wie das Verhältnis zur verhaltensbeding-ten Kündigung geregelt werden soll.

Hinsichtlich § 84 Abs. 2 SGB IX sollten zumindest die Grundzüge in einer übergreifenden Vereinbarung geregelt sein (Kontaktaufnahme nach sechs Wochen ununterbrochener oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Jahres bei allen Mitarbeitern, Anbieten von Aufklärungs- und Beratungsgesprächen mit Zustimmung und Beteiligung des Mitarbeiters sowie unter Beteiligung der Interessenvertretung und ggf. der Schwerbehindertenvertretung). Darüber hinaus ist eine Fülle von Einzelfragen zu beachten, deren erschöpfende Regelung wohl nur in einer Detailvereinbarung, die ggf. einer kurzfristigen Anpassung entsprechend den ersten Erfahrungen bedarf, möglich sein werden.

Von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Handlungsfeld der Datenschutz (vgl. 2.9.2.1.6). Auch dazu sollte sich aber bereits in der übergreifenden Vereinbarung eine grundsätzlcihe Regelung finden.

Ein Vorschlag für eine (Betriebs)vereinbarung zum BEM findet sich im Diskussionsforum „Teilhabe und Prävention“, Forum B, Beitrag Nr. 3/2005 auf www.iqpr.de. Auch im Rahmen des EIBE-Projekts wurden viele wichtige Erkenntnisse gesammelt und in einer Musterver-einbarung zum BEM zusammengefasst. Der Abschlussbericht dieses Projekts wird voraus-sichtlich im März 2007 veröffentlicht.

24 Urteil des BAG vom 07.12.2006 - 07.12.2006 -2 AZR 182/06 -.Vgl. dazu Gagel „Urteil des Bundes-arbeitsgerichts zur Bedeutung des § 84 Abs. 1 SGB IX für den Kündigungsschutz“ in Diskussionsfo-rum B, Beitrag 18/2006 auf www.iqpr.de > Diskussionsforen > Forum B.

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2.9.2.3.11 Rehabilitation Dieses für das BGM wesentliche Handlungsfeld weist in der Praxis viele Bezüge zum BEM auf. Auf entsprechende Abstimmung der beiden Handlungsfelder bzw. dieses Handlungsfel-des mit der Untervereinbarung zum BEM sollte daher geachtet werden.

Weiterhin ist hier von größter Bedeutung die Vernetzung mit externen Akteuren wie den Rehabilitationsträgern, dem Integrationsamt, aber auch Dienstleistern.

Auch hier ist der Datenschutz besonders zu beachten (vgl. 2.9.2.1.6). Regelungen sollten sowohl zur medizinischen als auch zur beruflichen Rehabilitation getroffen werden.

Ein betriebsnahes, bekanntes und erfolgreiches Instrument der Rehabilitation ist die stufen-weise Wiedereingliederung. Hilfreich für ein BGM ist ein klares Bekenntnis zu diesem Instrument. In manchen Integrationsvereinbarungen finden sich Regelungen, die eine grundsätzliche Zustimmung zur Durchführung einer stwW auf ärztliches Anraten enthalten.

Weiterhin kann festgelegt werden, ob und in welcher Weise der betroffene Beschäftigte bei betriebsexternen Rehabilitationsmaßnahmen unterstützt wird.

In einigen Integrationsvereinbarungen wurde seitens des Unternehmens unabhängig von der Unterstützung der Rehabilitationsträger in Aussicht gestellt, grundsätzlich einen Beitrag zu ggf. erforderlichen Hilfsmitteln zu leisten.

In einer Vereinbarung wurde sogar eine Wiedereinstellungszusage für diejenigen ausge-sprochen, die nach externer beruflicher Rehabilitation/Qualifikation wieder in das Unterneh-men zurückkehren wollen.

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Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…

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3 Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse als Basis betrieblicher Gesundheitsförderung

Ricardo Baumann, Matthias Czarny

3.1 Exposé Auf der Grundlage theoretischer Modelle, umfangreicher Literaturrecherche und mehrerer eigener empirischer Untersuchungen in verschiedenen Betrieben wurde ein Konzept zur zweistufigen betrieblichen Gesundheitsanalyse entwickelt. Je nach Betriebsgröße, Voraus-setzungen hinsichtlich der Datenlage, betrieblicher Vereinbarungen, organisatorischer Strukturen und betrieblicher Zielsetzungen ergeben sich unterschiedliche Prozeduren. Dabei werden folgende Module miteinander kombiniert: Screening, Fehlzeitenauswertung, Detail-analyse, Checkliste „Gefährdungsbeurteilungen“ der BG.

3.2 Gegenstand, Ziele und Nutzen einer zweistufigen betrieblichen Gesundheitsanalyse

Im Zwischenbericht Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben wurde ein betriebliches Frühwarnsystem beschrieben, das als integrierter Bestandteil des betrieblichen Gesund-heitsmanagements die Funktion des frühzeitigen Signalisierens und Bewertens potenzieller Gesundheitsgefahren in der Lebenswelt Betrieb erfüllt. Dabei wurde von einem mehrstufigen prozesshaften Ansatz ausgegangen, der durch in Stufen ansteigende Analysetiefe charakte-risiert ist und eine progressive Annäherung an den tatsächlich existierenden Handlungsbe-darf ermöglicht. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass sowohl das Signalisieren bereits aufgetretener Gesundheitsprobleme bestehender beruflicher Problemlagen als auch das Signalisieren potenzieller Gesundheitsgefahren in einer Gesundheitsanalyse berücksichtigt werden sollte. Wenn bereits bestehende Probleme erfasst werden, die ansonsten erst später entdeckt würden, z.B. durch eine Langzeiterkrankung eines Mitarbeiters, dann ergibt sich durch eine systematische Gesundheitsanalyse ein Vorteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Nutzen einer betrieblichen Gesundheitsanalyse sollte darin bestehen, auf möglichst ökonomische Art Personen bzw. Personengruppen mit gesundheitlicher Einschränkung, Gesundheitsgefährdung oder mit hohen Fehlzeiten mit zunehmender Analysetiefe zu erkennen, um interventionsbedürftige Fälle bzw. Unternehmensbereiche herauszufinden und Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Verminderung der arbeitsbezogenen gesundheitlichen Problemlage in die Wege leiten zu können.

3.3 Anforderungen an eine betriebliche Gesundheitsanalyse • Ökonomie • Systematische Vorgehensweise • Praktikabilität • Frühzeitige Erkennung von Handlungsbedarf • Theoriebasierte Verfahrensweise • Aussagekraft der eingesetzten Instrumente sollte empirisch belegt sein.

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Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…

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• Die Gesundheitsanalyse und die Rahmenbedingungen, unter denen sie stattfindet, sollten sowohl an den Interessen des Arbeitgebers als auch an denen der Arbeitneh-mer orientiert sein.

• Die Ergebnisse der Gesundheitsanalyse sollten Hinweise sowohl auf verhaltens- als auch verhältnisorientierte Interventionen geben.

3.4 Grundlagen für die Entwicklung des Konzeptes • Literaturrecherche (u.a. Schaarschmidt 1998 und Schläfti 1997 zu Einflussfaktoren

auf Fehlzeiten) • Theorien zum Verhältnis von Arbeit und Gesundheit (siehe Weinreich 2001) • Eigene Studie in einem Einzelhandelsunternehmen (N=367) • Eigene Studie in einem Unternehmen der Automobilindustrie (N=107) • Eigene Studie in einem metallverarbeitenden Betrieb (N=173) • Eigene Studie in einem Setting der beruflichen Rehabilitation (N=53)

3.5 Theorien • Belastungs-Beanspruchungs-Konzept

Problem: nur negative Belastungswirkungen • Stresstheorie

Hier werden auch positive Einflussfaktoren berücksichtigt • Ressourcentheorie

Fokus: gesundheitsförderliche Faktoren • Handlungsregulationstheorie

Fokus: Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten

3.6 Studie im Einzelhandel (N=367) Ziel Entwicklung eines Screeninginstruments Schwerpunkt Gruppenebene Vorgehen Literaturrecherche, Erhebung von Fehlzeiten, Mitarbeiter-

befragung, Analyse der Zusammenhänge Inhalte der Mitarbeiterbefragung Insgesamt 156 Fragen zu persönlichen Einflussfaktoren,

privater Situation, Arbeitsumwelt, Merkmalen der Organi-sation und sozialen Faktoren im Betrieb

Herkunft der Fragen Udris, Weinreich, Ducki, Deusinger, eigene Fragen

3.7 Literaturrecherche zu Einflussfaktoren auf Fehlzeiten Die Tabelle 2 gibt einen Überblick über einige Einflussfaktoren, wie sie der aktuelle For-schungsstand nahe legt.

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Tabelle 1: Ausgewählte betriebliche und persönliche Einflussfaktoren auf die Fehlzeiten (in Anlehnung an Schläfti, 1997)

Einflussfaktor Ausprägung des Einflussfaktors

Ausprägung der Fehlzeiten

Kommentar

Gestaltung der Arbeit hoch niedrig Persönlichkeitsabhängig

Verantwortung hoch niedrig Persönlichkeitsabhängig

Entscheidungsmöglichkeit hoch niedrig Persönlichkeitsabhängig

Arbeitsumgebung: physische Belastung

hoch hoch abhängig von Person und Schutzmaßnahmen

Führungsverhalten gut niedrig

Gerechte Behandlung durch Vorgesetzte

gegeben niedrig

Demokratischer Führungsstil

gegeben niedrig

Verhältnis unter Kollegen gut niedrig

Gruppengröße hoch hoch

Betriebsklima gut niedrig

Alter Insgesamt kein Einfluss auf Dauer der Fehlzeiten

Junge sind öfter krank, dafür sind Alte länger krank, gleicht sich aus

Geschlecht Fehlzeiten bei Frauen höher als bei Männern

Ausbildungsstand hoch niedrig Passung von Ausbildung und Tätigkeit dürfte von Bedeutung sein

Familie gegeben hoch Wegen familiärer Verpflichtungen (z.B. wenn Kind krank)

Vor dem Hintergrund der Theorien und Forschungsergebnisse wurden im vorliegenden Projekt Skalen aus verschiedenen Befragungsinstrumenten zusammengestellt. Einige Fragen wurden selbst entwickelt. Insgesamt entstanden 156 Fragen zu Merkmalen der Arbeitsaufgabe, Arbeitsbelastungen, organisatorischen Ressourcen, sozialen Ressourcen, Arbeitsplatzsicherheit, subjektiver Gesundheit, Gesundheitsverhalten und soziographischen Merkmalen. Die 156 Fragen wurden über 367 Mitarbeitern in insgesamt 23 Filialen einer Einzelhandelskette im Großraum Niederrhein vorgelegt. Bei den befragten Mitarbeitern handelte es sich überwiegend um VerkäuferInnen. Führungskräfte in den Filialen erhielten ebenfalls einen Fragebogen und eine Checkliste mit 16 Items zur Einschätzung gesund-heitsbezogener Faktoren im Betrieb. Der Betriebsrat erhielt ausschließlich die Checkliste. Befragungszeitraum war das zweite Quartal 2005. Ca. 80 % der Belegschaft in den aufge-suchten Filialen hat sich an der Befragung beteiligt. Geringe Selektionseffekte könnten

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insofern vorliegen, als die Mitarbeiter, die am Befragungstag nicht anwesend waren, gebeten wurden, den Fragebogen nachzureichen, dies jedoch nicht immer geschehen ist.

Bei immerhin 90 % aller realisierten Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung ist das Motiv die Senkung von Fehlzeiten. Deshalb wurden für die Entwicklung des Screenin-ginstruments die Daten aus der Befragung der Mitarbeiter mit den korrespondierenden Fehlzeiten in Beziehung gesetzt und statistisch ausgewertet. Hypothesengeleitet wurden für die Erstellung des Screeninginstruments eine überschaubare Anzahl von Fragen extrahiert, bei denen das Antwortverhalten in der Untersuchung in einem signifikanten Zusammenhang zu den Fehlzeiten stand.

Nach einer ersten Analyse (nur Mitarbeiter, keine Führungskräfte, kein Betriebsrat) wurde zunächst ein Fragebogen mit 10 Fragen zusammengestellt, die unten und auf der nächsten Seite aufgeführt sind. Dieser Fragebogen ist zum Einsatz auf Gruppen-, Abteilungs- bzw. gesamtbetrieblicher Ebene vorgesehen (Checkliste zu arbeitsbezogenen Gesundheitsfakto-ren II). Bei der Auswahl der Fragen wurde darauf geachtet, Merkmale zu nehmen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie in der Regel auch auf Abteilungsebene oder gesamtbetrieb-lich beeinflussbar sind (Verhältnisprävention). Am Ende der jeweiligen Frage sind in Klam-mern die Korrelationen in Bezug auf die Fehlzeiten in den Jahren 2003 und 2004 (fett gedruckt) und die Signifikanzniveaus angegeben, entsprechend der Ergebnisse unserer oben dargestellten empirischen Untersuchung.

3.8 Ergebnisse Zusammenhänge zwischen Arbeitsumwelt, Merkmalen der Organisation, Sozialen Faktoren (AOS) im Betrieb und Fehlzeiten (Korrelation in Klammern)

1. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Tätigkeit (- .462**)? 2. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Unternehmen (- .377**)? 3. Wie zufrieden sind Sie mit dem Betriebsklima (-.491**)? 4. Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Arbeitskollegen (-.490**)? 5. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem direkten Vorgesetzten (-.482**)? 6. Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Möglichkeiten zur Einflussnahme (.320**)? 7. Ich habe das Gefühl, bei meiner Arbeit etwas Sinnvolles zu tun (-.417**) 8. Wie belastend empfinden Sie Ihre Tätigkeit (.426**)? 9. Ich fühle mich häufig überfordert (.414**) 10. Inwieweit liegt bei Ihnen Stress und Hektik vor (.352**)?

Zum Vergleich:

Wie beurteilen Sie Ihren derzeitigen Gesundheitszustand (-.549**)?

Die einzelnen Korrelationen sind angesichts der vielen in der Literatur genannten Einfluss-faktoren auf Fehlzeiten (externe Einflüsse, soziale Faktoren, Bezahlung, Arbeitsumwelt, Merkmale der Organisation, private Situation, persönliche Einflussfaktoren25) recht hoch. Alle

25 Schläfli, N. (1997): Untersuchung der Fehlzeitenproblematik bei der SULZER RÜTI AG Zuchwil

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Ergebnisse sind hoch signifikant. Wie zu erwarten, sind die Zusammenhänge zwischen Antwortverhalten und Fehlzeiten in Bezug auf die Fehltage in 2004 in den meisten Fällen größer als in Bezug auf die Fehltage in 2003, da die Befragung im Jahr 2005 stattfand und somit eine größere zeitliche Nähe zwischen den betrachteten Faktoren und den Fehltagen gegeben ist. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse kann der Einsatz eines Fragebogens mit den oben aufgelisteten Fragen sicherlich Hinweise auf Zielbereiche für Detailanalysen und Interventionsansätze im Betrieb geben.

3.9 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse Die zehn Fragen zu Arbeitsumwelt, Merkmalen der Organisation, Sozialen Faktoren können für ein Screening auf Gruppenebene verwendet werden.

3.10 Studie in einem Unternehmen der Automobilindustrie (N=107) Ziel Entwicklung eines Screeninginstruments Schwerpunkt Individualebene Vorgehen Durchführung des WAI, Entwicklung eines Auswertungsalgorithmus

für eine WAI-Kurzversion, Vergleich des Gesamt-WAI mit dem K-WAI, Ergänzung der Kurzversion um eine Frage.

Hintergrund Positiv bei WAI: gute Vorhersagekraft bzgl. Erwerbsfähigkeit Negativ bei WAI: kein Selbstausfüller, problematische Fragen (z.B. Diagnosen)

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Der K-WAI:

1. Schätzen Sie Ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit bitte im Vergleich mit Ihrer besten, jeerreichten Arbeitsfähigkeit ein.

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

derzeit komplett derzeit diearbeitsunfähig beste Arbeitsfähigkeit

2.a) Wie kommen Sie derzeit mit den körperlichen Anforderungen an Ihrem Arbeitsplatzzurecht?

1 2 3 4 5

sehr eher mittel- eher sehr

schlecht schlecht mäßig gut gut

2. b) Wie kommen Sie derzeit mit den psychischen Anforderungen an Ihrem Arbeitsplatz zurecht?

1 2 3 4 5

sehr eher mittel- eher sehr

schlecht schlecht mäßig gut gut

3. Glauben Sie, dass Sie Ihre derzeitige Arbeit gesundheitlich auch in den nächsten zwei Jahren ausüben können? Gehen Sie dabei bitte von Ihrem jetzigenGesundheitszustand aus.

1 4 7

unwahrscheinlich nicht sicher ziemlich sicher

Auswertungsalgorithmus:

Wert bei Frage 1 < 5*

und/oder

die Summe der Werte bei den Fragen 2a und 2 b < 5*

und/oder

der Wert bei Frage 3 1 bzw. 4 beträgt*,

*Die Cut-off-Werte wurden auf Basis von Auswertungen von über hundert WAI-Bögen von Ford-Mitarbeitern (Werk Saarlouis, 2005) berechnet. Ausschlaggebend war dabei die größtmögliche Trefferquote der vier berücksichtigten Fragen (1, 2a, 2b, 3) mit dem Gesamt-WAI-Index-Wert ≤ 27 (= schlechte Arbeitsfähigkeit).

Die Trefferquote bei den untersuchten Ford-Mitarbeitern:

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Tabelle 2: Kreuztabelle Wai1,2a,2b,3 - WAI Index N= 107 WAI Index

WAI ? 27 (schlecht)

WAI > 27 (mittel bis sehr gut)

Gesamt

Anzahl 0 29 29 unauffällig

In % von WAI Index

0 % 67,4% 27,1%

Anzahl 64 14 78

Wai 1,2a,2b,3

auffällig

In % von WAI Index

100,0% 32,6% 72,9%

Anzahl 64 43 107 Gesamt

In % von WAI Index

100,0% 100,0% 100,0%

Aus der Tabelle lässt sich ablesen, dass auf Grundlage der vier Fragen 100% der Mitarbeiter mit schlechtem WAI richtig erkannt wurden. Keiner wurde übersehen. 67,4 % der Mitarbeiter mit mittlerem, guten oder sehr gutem WAI wurden richtigerweise als unauffällige Mitarbeiter erkannt. 32,6 % dieser Gruppe wurden fälschlicherweise als auffällig gescreent. Es handelt sich hier also um eine restriktive Auslese, die sich jedoch durch einen veränderten Algorith-mus modifizieren lässt.

3.11 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse • Einsatz des K-WAI für Screening auf Individualebene • Zusätzliche Frage an Mitarbeiter: Erscheint Ihnen ihr Arbeitsplatz bzw. Ihre Arbeits-

umgebung gesundheitlich aus irgendeinem Grund problematisch? • Ja nein • Wenn ja, warum? ............................................................................... • Ist ein Mitarbeiter nach K-WAI auffällig, oder beantwortet er die zusätzliche Frage mit

Ja, dann erfolgt die Ansprache durch betrieblichen Gesundheitsförderer, der der Schweigepflicht unterliegt (z.B. Betriebsarzt), um weitere Analysen bzw. Interventio-nen einzuleiten

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3.12 Studie in einem metallverarbeitenden Betrieb (N=173) Ziel Nutzung routinemäßig erhobener Daten für Gesundheitsanalyse Vorgehen Sichtung und Auswertung der verfügbaren Daten Ergebnis (u.a.) 1. Sorgfältig erstellte Gefährdungsbeurteilungen des Arbeitsplatzes (§

5 Arbeitsschutzgesetz) durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit (z.B. Arbeitsschwere, Gefahrstoffe,...) 2. Keine personenbezogenen (psychischen) bzw. organisatorischen Belastungen erfasst

3.13 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse In manchen Betrieben liegen präzise Angaben zu Belastungen und Gefährdungen (physisch und psychisch) am Arbeitsplatz (Beantwortung der Checkliste „Gefährdungsbeurteilungen“ der BG durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit, siehe MHP Mannesmann Präzisrohr GmbH) vor. Die Güte der Informationen hängt von der Sorgfalt ab, mit der die Checklisten im Unternehmen erstellt werden. Bei Einstellungsuntersuchungen, bei Arbeitsunfällen, bei Routineuntersuchungen und im Rahmen eines Frühwarnsystems (siehe Flussdiagramm zum Frühwarnsystem I) kann durch den Betriebsarzt ein Abgleich zwischen aktuellem Leistungs-bild und Arbeitsplatzanforderungen erfolgen. Bei vermuteten Diskrepanzen zwischen Person und Arbeitsplatz erfolgt eine Initiative des betriebsärztlichen Dienstes. Bei Beantragung von med. Reha können die Gefährdungsbeurteilungen zur Unterstützung der Reha-Entscheidung und Behandlung beigefügt werden.

3.14 Eigene Studie in einem Setting der beruflichen Rehabilitation (N=53, siehe ASKOR)

(Teil-) Ziel:

Überprüfung der Güte eines Instruments zur Erfassung arbeitsbezogenen Erlebens – und Verhaltens (AVEM) in Bezug auf Integrationserfolg.

Vorgehen:

1. Fragebogenbearbeitung durch 53 Rehabilitanden, die an einer betrieblichen Integra-tionsförderung teilnahmen.

2. Erhebung des Integrationserfolgs nach mehreren Monaten (3-7 Monate).

3.15 Ergebnisse Teilnehmer mit positivem AVEM-Ergebnis (G-Typ) wurden besser integriert als Teilnehmer mit problematischem AVEM-Ergebnis.

Literaturrecherche:

• Es wurden Zusammenhänge zwischen AVEM-Ergebnissen und Fehlzeiten gefunden. • Es wurden Zusammenhänge zwischen AVEM-Ergebnissen und Rentenantragstellun-

gen gefunden. Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Gesundheitsanalyse: Unterstützung der Detailanaly-se auf Individualebene.

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3.16 Zusammenfassung der Ergebnisse • Der K-WAI ist geeignet als individuumsbezogenes Screening-Instrument (keine falsch

negative Auslese). • Einige selbst entwickelte Fragen und einige Fragen aus bereits validierten Skalen

(z.B. SALSA) sind geeignet für Screening auf Gruppenebene (deutliche Zusammen-hänge mit Fehlzeiten).

• Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen können bei sorgfältiger Erstellung in Einstellungs- und Routineuntersuchungen bzw. nach Arbeitsunfällen hilfreich für Be-triebsarzt sein (Detailanalyse).

• Der AVEM eignet sich zur Erfassung der arbeitsbezogenen seelischen Ressourcen (Detailanalyse).

3.17 Entwurf einer zweistufigen Gesundheitsanalyse im Betrieb Ziel Gesundheitsförderung auf

Individualebene Gesundheitsförderung auf Gruppenebene (Abteilungen, Filialen)

Erste Stufe Screening

(personenbezogene Daten, geschützte Erhebung)

Screening

(anonym)

Zweite Stufe Detailanalyse

(z.B. Arzt)

Detailanalyse

(z.B. betriebliche Steuerungsgruppe)

Intervention verhaltens– und verhältnisorientiert

überwiegend verhältnisorientiert

Beispiel einer zweistufigen Gesundheitsanalyse auf Individualebene

Erste Stufe (je nach Zugänglichkeit von Daten):

• Routinemäßiges Screening mit K-WAI, ggf. Fehlzeitenanalyse • Identifizierung von Mitarbeitern mit potentiellem Handlungsbedarf auf Basis von K-

WAI. Zweite Stufe

• Der Betriebsarzt nimmt Kontakt zu betreffenden Mitarbeitern auf (denkbar ist auch eine Kommstruktur).

• Detailanalyse durch med. Diagnostik. Einsatz des AVEM, Heranziehen der Gefähr-dungsbeurteilungen.

Intervention

• Bei Einwilligung des betreffenden Mitarbeiters Kontakt zu Vorgesetztem bzw. betriebl. Steuerungsgruppe zur Umsetzung von Maßnahmen.

Beispiel einer zweistufigen Gesundheitsanalyse auf Gruppenebene

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Erste Ebene (je nach Zugänglichkeit von Daten):

• Routinemäßiges Screening mit AOS in anonymisierter Form, ggf. Fehlzeitenanalyse. • Identifizierung von Abteilungen, Filialen mit potentiellem Handlungsbedarf durch be-

trieblichen Gesundheitsförderer auf Basis von AOS. Zweite Ebene

• Weitergabe von Informationen an eine betriebliche Steuerungsgruppe. • Die betriebliche Steuerungsgruppe beschließt die weitere Vorgehensweise für betref-

fende Abteilungen, z.B. tiefer gehende Befragung von Vorgesetzten, Mitarbeiterver-tretern.

Intervention

z.B. Führungskräftecoaching

3.18 Ausblick • Erprobung und Evaluation zweistufiger Analyse-Prozeduren in Betrieben • Umfassende Einbindung betrieblicher Interessensvertretungen bei der Umsetzung • Anpassung der Analysetools an spezifische betriebliche Voraussetzungen • Evaluation von Interventionen (auch ökonomisch), die auf Basis zweistufiger Ge-

sundheitsanalysen erfolgen • Vernetzung der betrieblichen Gesundheitsanalyse mit externer Diagnostik und Be-

handlung (z.B. med. Reha)

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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4 Betriebliche Gesundheitsförderung Dr. Holger Wellmann

Mit der Verabschiedung der Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförde-rung (BGF) Ende 1997 einigte sich das Europäische Netzwerk für Betriebliche Gesundheits-förderung (ENBGF) auf ein gemeinsames Verständnis der BGF. Ihr ganzheitlicher Ansatz umfasst danach alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Das Ziel „gesunde Mitarbeiter in gesunden Unternehmen“ kann laut der Deklaration dann erreicht werden, wenn sich die BGF an den folgenden Leitlinien orientiert:

- Die gesamte Belegschaft muss einbezogen werden (Partizipation). - BGF muss bei allen wichtigen Entscheidungen und in allen Unternehmensbereichen

berücksichtigt werden (Integration). - Alle Maßnahmen und Programme müssen systematisch durchgeführt werden: Bedarfs-

analyse, Prioritätensetzung, Planung, Ausführung, kontinuierliche Kontrolle und Bewer-tung der Ergebnisse (Projektmanagement).

- BGF beinhaltet sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Maßnahmen. Sie verbindet den Ansatz der Risikoreduktion mit dem des Ausbaus von Schutzfaktoren und Gesundheitspotenzialen (Ganzheitlichkeit).26

Im Jahr 2002 wurde das nationale Pendant zum ENBGF in Form des Deutschen Netzwerkes für Betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF) gegründet. Ausgangspunkt ist die noch zu geringe Verbreitung von BGF in Deutschland. Die Ziele bestehen in einer verbesserten Kooperation zwischen den nationalen Akteuren der BGF und deren Verbreitung. Außerdem sollen der internationale Erfahrungsaustausch intensiviert, Forschungs- und Praxisergebnis-se aufbereitet und die Unternehmer vom Nutzen der BGF überzeugt werden.

Die Ansatzpunkte scheinen richtig gewählt worden zu sein. Gestiegene Ansprüche an die Arbeitswelt (dies betrifft sowohl das Anspruchsdenken des Arbeitnehmers als auch das des Arbeitgebers) und damit verbundene Investitionen in das Human- und Sozialkapital stehen nicht selten (auf den ersten Blick) im Widerspruch zu der durch die Globalisierung dringlicher gewordenen Notwendigkeit der Kostenreduktion. Weiterhin ist es derzeit noch nicht gerecht-fertigt, von einem Erfolgsmodell der BGF zu sprechen. Dies bezieht sich zum einen auf ihre Verbreitung innerhalb der Unternehmenslandschaft, zum anderen aber auch auf ihre inhaltliche Gestaltung: Im Jahr 2003 sind geschätzte 680.000 Erwerbspersonen und damit 1% der GKV-Versicherten mit Maßnahmen der BGF erreicht worden27. Von einer Durchdrin-

26 Vgl. Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union, November 1997. 27 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen & MDS (2005). Dokumentation 2003

– Leistungen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V. Nicht sicher ist, ob es sich um direkt mit den Aktivitäten erreichte Personen handelt oder ob auch Personen erfasst wurden, die einen indirekten Nutzen aus den Aktivitäten gezogen haben.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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gung der Arbeitswelt mit seinen 36,3 Mio. Erwerbstätigen28 ist man demnach noch weit entfernt. Inhaltlich bleibt zu konstatieren, dass es sich bei der BGF in der Regel um punktuel-le, zeitlich befristete Einzelmaßnahmen der Verhaltensprävention handelt, ohne dass damit ein Prozess der Organisationsentwicklung angestoßen wird29.

Vor diesem Hintergrund geben die folgenden Kapitel einen Überblick über die derzeitige Situation der BGF in Deutschland und die an sie zu stellenden Qualitätsanforderungen.

4.1 Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung Das Thema Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) erlebt in den letzten Jahren einen stetigen Aufschwung. Immer öfter wird sie als ein Element betrachtet, um den Herausforde-rungen des Wirtschaftslebens begegnen zu können. Letztere erschöpfen sich nicht allein in der viel zitierten demographischen Entwicklung und der damit verbundenen Alterung der Belegschaften in den Unternehmen. Auch wirkt sich der allgemeine Wertewandel bis in die Erwerbsgesellschaft aus: Interdisziplinäres Arbeiten in flachen Hierarchieebenen erfordert neue Organisationsstrukturen; fließende Übergänge zwischen Arbeits- und Freizeit stellen neue Anforderungen an die Work-Life-Balance; Mitarbeiter sollen allzeit topfit, kreativ, überdurchschnittlich belastbar, einsatzfreudig sowie niemals krank sein. Hinzu kommt die paradox erscheinende Situation auf dem Arbeitsmarkt: Das derzeitige Überangebot von ca. 4 Mio. Arbeitslosen30 wird begleitet von einem zunehmenden Facharbeitermangel, der Abwanderung Hochqualifizierter ins Ausland und einem eingeengten Rekrutierungsspielraum in den kommenden Jahren durch den Geburtenrückgang. Alle Trends spielen sich ab vor einer zunehmenden Beschleunigung des Austausches von Informationen, Dienst- und Sachleistungen mit der allgegenwärtigen Suche nach den günstigsten Produktions- und Transaktionskosten. Sprich: vor dem Hintergrund der Globalisierung mit all ihren Chancen und Risiken.

Wie erwähnt: Die BGF kann nur ein Element innerhalb einer Wirtschafts- und Sozialpolitik zur Bewältigung dieser Trends sein. Ob Unternehmen ohne Gesundheitsmanagement tatsächlich ihre Marktposition gefährden, wie von wissenschaftlicher Seite prognostiziert31, wird sich herausstellen. Auf jeden Fall können durch solche Aussagen große Erwartungen geweckt werden, was bei deutschen Unternehmen allerdings noch nicht der Fall zu sein scheint. So konnten bei einer Umfrage nur rund 16% aller Unternehmen überhaupt aussage-kräftige Angaben zum eigenen Gesundheitsmanagement machen32. Diese zögernde Haltung kann auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden33:

28 Statistisches Bundesamt – Mikrozensus 2003. 29 Bertelsmann Stiftung & Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.) (2004). Zukunftsfähige betriebliche Gesund-

heitspolitik. Vorschläge der Expertenkommission. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. 30 Quelle: Statistisches Bundesamt (http://www.destatis.de/indicators/d/arb110ad.htm). 31 So Badura, Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, in einem Interview mit der Zeitschrift impulse (Januar 2004, S. 72). 32 Europressedienst Research Studie (2003). Wettbewerbsvorteil Gesundheitsmanagement – Deutsche Unternehmen haben Nachholbedarf. 33 Bertelsmann Stiftung & Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.) (2004). Zukunftsfähige betriebliche Gesund-heitspolitik. Vorschläge der Expertenkommission. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.

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- Immer noch scheint bei den Verantwortlichen für BGF im Unternehmen eine starke Fixierung auf obrigkeitsstaatliches Denken vorzuherrschen. Neben fehlender Investiti-onsbereitschaft seitens der Unternehmen wird in erster Linie der Staat in die Pflicht ge-nommen, für Gesundheit etc. zu sorgen.

- Damit verbunden ist eine Kultur, die sich nach wie vor in weiten Teilen auf die Reparatur und Kompensation von Gesundheitsstörungen beschränkt34.

- Als vermeintlich wichtigstes Hemmnis wird die Unterbewertung von Sozial- und Human-kapital durch die Unternehmensführung genannt35.

- Die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Gebiet der BGF werden zu wenig zur Kenntnis genommen und umgesetzt.

Zudem wird hinterfragt, wann und ob sich Investitionen in die BGF überhaupt rechnen. Aus den bisherigen Praxiserfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich dazu noch keine überzeugende Antwort ableiten. Aus den Befunden geht zwar hervor, dass sich BGF insbesondere durch die Reduktion der Krankheitskosten und der Kosten durch (krank-heitsbedingte) Fehlzeiten (Absentismus) auszahlt. Dabei liegt der Return on Investment zwischen 1:2,3 für die Einsparung bzgl. der Krankheitskosten und 1:10,1 bzgl. der Kostener-sparnisse durch die Verringerung der Fehlzeiten36. Dem einzelnen Unternehmen werden diese Angaben kaum weiterhelfen, weil sie dessen spezifische Ausgangslage und somit einen wichtigen Baustein der BGF, die Analyse, nicht berücksichtigen. Es fehlt an aussage-kräftigen Analysen, für welche Branchen, Mitarbeiterstrukturen etc. sich die BGF besonders lohnen könnte.

4.2 Ziele der Betrieblichen Gesundheitsförderung Die Hauptziele sind durch die Luxemburger Deklaration vorgegeben: Krankheiten am Arbeitsplatz (einschließlich arbeitsbedingter Erkrankungen, Arbeitsunfällen, Berufskrankhei-ten und Stress) gilt es vorzubeugen, Gesundheitspotenziale sollen gestärkt und das Wohlbe-finden am Arbeitsplatz soll verbessert werden.

Die für ein einzelnes Unternehmen maßgeblichen Ziele werden konkreter gefasst werden müssen und spiegeln die Vielfalt der Probleme und Lösungsansätze wider, mit denen das Unternehmen konfrontiert werden kann, so z.B.: Verbesserung des Betriebsklimas, Verhin-derung von Burnout oder innerer Kündigung bei Mitarbeitern, Spannungen und Konflikte zwischen Mitarbeitern oder zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten reduzieren, Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, Kostensenkung durch krankheitsbedingte Fehlzeiten, Reduzierung der Fluktuationsrate, Imageverbesse- 34 Als Indiz dafür können die Ausgaben für Primärprävention und BGF seitens der GKV herangezogen werden. Die laut § 20 Abs. 3 SGB V veranschlagten 2,56 € pro Versicherten für diese Leistungen (für das Jahr 2000) wurden im Jahr 2003 mit einem Betrag von 1,61 €/Versicherten noch nicht annähernd ausgeschöpft (GKV-Ausgabenstatistik KJ1 für das Jahr 2003). 35 Laut einer weltweiten Unternehmensumfrage des Managermagazins (Ausgabe 2/97) gilt das Humankapital als der wichtigste Faktor für den Unternehmenserfolg. 36 Kreis, J. & Bödeker, W. (2003). Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesund-

heitsförderung und Prävention – Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz. IGA Report 3. Essen.

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rung/Reputation, gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeitsumgebung und -organisation und Verbesserung des gesundheitsrelevanten Verhaltens der Mitarbeiter.

Viele Ziele der BGF stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Allerdings können genaue Ursache-Wirkungshierarchien zum gegenwärtigen Forschungsstandpunkt erst in Ansätzen identifiziert werden. Als eine den wirtschaftlichen Nutzen maßgeblich beeinflussende Wirkungskette ist der Zusammenhang zwischen Maßnahmen der BGF und der Ergänzung und Optimierung von Arbeitsschutzstrukturen und Arbeitsschutzmaßnahmen ermittelt worden37. BGF wirkt dabei über eine verbesserte Kommunikation und eine daraus resultie-rende stärkere Lösungsorientierung schließlich auf die Effizienz des Arbeitsschutzes. Daraus ergibt sich ein Belastungsabbau (körperliche Entlastung) bei den Mitarbeitern, was eine Reduzierung des Unfall- und Krankenstandes und eine entsprechende Kostensenkung nach sich zieht.

Ein nicht zu unterschätzender Erfolgsgarant der BGF besteht darin, dass sich ein Unternehmen über die Ziele seiner BGF-Aktivitäten Klarheit verschafft. Diese gilt es sowohl dem Dienstleister gegenüber zu präsentieren als auch der eigenen Belegschaft zu kommunizieren. Wünschenswert wären darüber hinaus die Gewichtung der einzelnen Ziele und eine Operationalisierung in überprüfbare Teilziele. Dies erleichtert die Analysen im Hinblick auf Kosten und Nutzen der durchgeführten Maßnahmen.

Weiterhin sollte bereits im Prozess der Zielabstimmung ein angemessenes Ziel-Mittel-Verhältnis angestrebt werden. Kurze Projektlaufzeiten und knappe dafür zur Verfügung gestellte Ressourcen stehen oftmals in einem Missverhältnis zu den angestrebten Projekter-gebnissen.

4.3 Gesetzliche Regelungen zur Betrieblichen Gesundheitsförde-rung

Bisher findet die BGF nur in § 20 Abs. 2 Satz 1 und in § 65a Abs. 3 SGB V ausdrücklichen gesetzlichen Niederschlag. Diese Paragraphen beschränken sich inhaltlich auf die bloße Erwähnung der BGF. Aus der ausschließlichen Erwähnung im SGB V ergibt sich, dass unter den Sozialversicherungsträgern derzeit nur die GKV Leistungen der BGF erbringen bzw. (teil-)finanzieren kann. Durch die Einbettung in § 20 SGB V wird zudem deutlich, dass die Durchführung von Maßnahmen der BGF ausschließlich über das nach § 20 Abs. 3 SGB V bestimmte Budget von derzeit 2,74 € pro Versichertem gefördert werden kann. Der durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz eingeführte § 65a Abs. 3 SGB V räumt den Krankenkassen die Möglichkeit ein, in ihrer Satzung sowohl für Unternehmen als auch für versicherte Beschäftigte, welche an Maßnahmen der BGF teilnehmen, einen Bonus vorzu-sehen.

Etwas detaillierter ist in § 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V, ergänzt durch § 14 Abs. 2 SGB VII, die Schnittstelle zwischen den betrieblichen Aktivitäten der Krankenkassen und den u.a. im SGB VII vorgeschriebenen Zuständigkeitsbereichen der UV geregelt. Krankenkasse und UV 37 AOK (Hrsg.) (2004): Wirtschaftlicher Nutzen Betrieblicher Gesundheitsförderung aus Sicht der Unternehmen. http://www.aok-bv.de/gesundheit/praevention/gu/index_00943.html, Zugriff am 21.01.2005.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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werden zur Kooperation verpflichtet. In Ausprägung dieser Kooperation muss die Kranken-kasse ihrerseits gewonnene Erkenntnisse an die UV weiterleiten.

Für Unternehmen bedeutet dies insgesamt, dass die Krankenkassen für sie der primäre Ansprechpartner für Maßnahmen der BGF sind und dass neben dem möglichen Bonus-Anreiz hier auch begrenzte Mittel zur finanziellen Förderung der Maßnahmen selbst bereit stehen. Ob entsprechende Maßnahmen durchgeführt bzw. (teil-)finanziert werden, steht allerdings im Ermessen der Kassen. Natürlich ist es den Unternehmen aber unbenommen, auch ohne Unterstützung der GKV eigeninitiativ BGF zu betreiben.

Der ehemalige Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention lieferte in § 3 Abs. 5 PrävG auch inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen der Gesundheitsförderung. Nach dieser Vorschrift beinhalteten diese zum einen die Unterstützung bei Aufbau und Stärkung individueller gesundheitsbezogener Ressourcen und Fähigkeiten zum Vermeiden von Krankheiten, zum anderen die Unterstützung bei Aufbau und Stärkung gesundheitsför-derlicher Strukturen. Da das PrävG jedoch eine grundsätzliche Zweiteilung primärpräventiver Maßnahmen zwischen Maßnahmen der Verhaltensprävention, § 15 PrävG, und der Präven-tion in Lebenswelten, § 17 PrävG, vorsah, blieb die Verortung der BGF insgesamt unklar. Auch die Zuständigkeit ergab sich nicht eindeutig aus dem Gesetzentwurf, sie sollte aber hauptsächlich bei den Krankenkassen verbleiben, § 20b SGB V38.

Die bisherige Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und UV im Schnittstellenbereich zwischen BGF und Arbeits-/Gesundheitsschutz sollte nach dem neuen Gesetz intensiviert werden, § 20b Abs. 3 Satz 1 SGB V. Ein Novum wäre der im § 20b Abs. 3 Satz 2 SGB V formulierte Appell an die Krankenkassen zur Zusammenarbeit untereinander.

Unklar blieb, inwiefern sich die Lage für Unternehmen als Antragsteller für die (Teil)Förderung von Maßnahmen der BGF nach dem neuen Gesetz entwickeln wird. Betrachtet man nur die Vorschrift des § 20b SGB V, so blieb es beim alleinigen Ermessen der Krankenkassen. Sollte die BGF jedoch auch unter § 17 PrävG fallen, so wäre ein erweiterter Kreis von potenziellen (Teil-)Finanziers denkbar (zusätzlich RV und PflV), die Entscheidung obläge dem Gemeinsamen Gremium auf Landesebene, und unter Umständen könnte sich im Einzelfall sogar ein Anspruch auf die (Teil-)Förderung der BGF konstruieren lassen. Weiterhin hätten auf der Bundesebene durch die Stiftung Modellprojekte zur BGF insbesondere in KMU gefördert werden können. Beibehalten wurden jedenfalls die Möglich-keiten des § 65a SGB V.

4.4 Legitimation der Betrieblichen Gesundheitsförderung Inwieweit sehen es die Unternehmen als ihre Aufgabe an, für die Gesundheit der Mitarbeiter zu sorgen? Appellieren sie eher an die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter und gehen davon aus, dass diese sich in ihrer Freizeit ausreichend gesundheitsbewusst verhalten? Je nach Gewichtung dieser Fragen wird die Initiierung von Maßnahmen zur BGF unterschied-lich ausfallen. Wenn sich ein Unternehmen zu dem Thema BGF bekennt, erscheint dessen

38 Dieser § sollte durch das Gesetz zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention neu eingefügt werden.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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Legitimation durch die Unternehmensführung als eine wichtige Erfolgsvoraussetzung. Demnach hat das Top-Management die Aufgaben,

- an der Definition der Zielsetzungen mitzuarbeiten, - an deren Erreichung zu glauben und - sich an deren Realisierung unmittelbar zu beteiligen39.

Damit einher geht die Verankerung der Zielsetzungen der BGF in das Unternehmensleitbild. Dies scheint jedoch bei den meisten Unternehmen noch keine Selbstverständlichkeit zu sein. Eine Befragung in der Finanzbranche ergab, dass lediglich 7,3% der befragten Unternehmen die BGF derart verankert haben40. Eine weitere Studie, die Unternehmen aus diversen Branchen einbezogen hat, kommt zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen41.

Diese Art der Legitimation sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einbin-dung der Mitarbeiter ein ebenso bedeutsames Kriterium darstellt. Letztlich können nur sie die subjektiven Bedürfnisse formulieren – z.B. in Form der Mitarbeiterbefragung – und damit den durch gängige Analyseinstrumente eruierten objektiven Bedarf ergänzen. Legitimation bedeutet demnach auch Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Im Ergebnis erhält man eine Kombination von Top-down und Bottom-up Planung in Form des Sandwich-Modells, ohne dass sich die beiden Ansätze widersprechen würden.

Für die Legitimation der BGF sind Unternehmen gut beraten, den Krankenstand als einen wichtigen Indikator für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter heranzuziehen. Eine Reduzierung auf diesen Faktor birgt jedoch die Gefahr, andere wichtige Ziele der BGF aus den Augen zu verlieren. Denn der sinkende Krankenstand dürfte auch viel mit der momentanen Situation auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben. Hohe Arbeitslosenzahlen korrelieren erfahrungsgemäß mit niedrigen Krankenständen, sprechen aber nicht unbedingt für eine gesunde Belegschaft.

4.5 Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung Maßnahmen der BGF sind in der überwiegenden Mehrzahl auf freiwillige Aktivitäten eines Unternehmens zurückzuführen. Parallel dazu gibt es eine Reihe gesetzlicher Vorschriften, die thematisch im engen Zusammenhang mit der BGF zu sehen sind. Hierzu zählt beispiels-weise die Beurteilung der Arbeitsbedingungen – eine Gefährdungsanalyse – nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und auch die Pflicht des Arbeitgebers, Betriebsärzte zu bestellen. Sie haben nach § 3 Arbeitssicherheitsgesetz (AsiG) die Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen.

39 Weinreich, I. & Weigl, C. (2002). Gesundheitsmanagement erfolgreich umsetzen – Ein Leitfaden für Unternehmer und Trainer. Neuwied: Luchterhand. 40 Umfrage der Commerzbank AG im November 2003 bei 2179 Kreditinstituten und 126 Versiche-rungsgesellschaften (Rücklaufquote 12,8%). 41 Europressedienst Research Studie (2003). Wettbewerbsvorteil Gesundheitsmanagement – Deutsche Unternehmen haben Nachholbedarf. Danach haben ca. 13% der befragten Unternehmen das Thema Gesundheitsmanagement in ihren Grundsätzen festgeschrieben.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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Prävention lässt sich in Verhaltens- und Verhältnisprävention untergliedern. Erstere stellt Angebote an Einzelpersonen mit dem Ziel der individuellen Verhaltensänderung dar. Letztere umfasst Leistungen zur gesundheitlichen Prävention in Lebenswelten. Die beiden Ansätze lassen sich gedanklich und hinsichtlich einzelner Maßnahmen voneinander abgren-zen. Wird jedoch Arbeit als eine dynamische Interaktion zwischen Personen, Situationen und Organisationen betrachtet42, muss man die BGF als ein Zusammenspiel zwischen Verhal-tens- und Verhältnisprävention betrachten (siehe Abbildung 1). Beispielsweise kann es für die Durchführung von Gymnastikpausen Voraussetzung sein, dass der Arbeitsplatz anders gestaltet und Abläufe anders organisiert werden müssen.

Abbildung 1 BGF als Zusammenspiel von Verhaltens- und Verhältnisprävention Der Präventionsbericht 200343 differenziert zwar zwischen verhaltens- und verhältnisbezo-genen Aktivitäten (28,3% verhaltens- und verhältnisbezogene Aktivitäten, 34,4% nur verhaltensbezogene Aktivitäten, 5,9% nur verhältnisbezogene Aktivitäten). Die Kategorien der inhaltlichen Ausrichtung der BGF verwischen jedoch diese klare Trennung (Reduktion der körperlichen Belastung (63,9%), gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung (23,8%), Stressmanagement (19,5%), gesundheitsgerechte Gemeinschaftsverpflegung (16,1%), Prävention von Genuss- und Suchtmittelgebrauch (13,4%) (Mehrfachnennungen möglich)). Dies spricht für die integrierte Sichtweise der BGF als Verhaltens- und Verhältnisprä-vention.

Aktivitäten haben sich außerdem dann als besonders erfolgreich herausgestellt, wenn ganze Maßnahmenkomplexe im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Gesamtprogramms durchgeführt worden sind44.

4.6 Akteure der Betrieblichen Gesundheitsförderung Die Beteiligten an der BGF werden mit der Unternehmensgröße variieren. Große Unterneh-men haben eine eigene Personalabteilung, mehrere betriebliche Interessenvertretungen und unter Umständen sogar eine eigene Betriebskrankenkasse. Auf diese innerbetrieblichen

42 Kastner, M (2002). Neue Qualität der Arbeit aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht. In Kilger, G. & Bieneck, H.-J. (Hrsg.), Neue Qualität der Arbeit – Wie wir morgen arbeiten werden (S. 259–267). Frankfurt a. M.: Campus. 43 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen & MDS (2005). Dokumentation 2003 – Leistungen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V. 44 Kreis, J. & Bödeker, W. (2003). Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesund-heitsförderung und Prävention – Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz. IGA Report 3. Essen.

Verhaltensprävention - Sportgruppen - Ernährungsprogramme - Antistressprogramme - Rückencoaching - Gymnastikpausen - ...

Verhältnisprävention - Arbeitsorganisation - Arbeitsplatzgestaltung - Arbeitszeitgestaltung - Führungskräfteschulung - Ideenwettbewerb - ...

BGF

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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Strukturen können mittlere, kleine und Kleinstbetriebe oft nicht zurückgreifen. Fehlendes Know-how werden sie sich eher durch externe Berater aneignen müssen. Andererseits haben sie den Vorteil einer weniger komplexen Organisation. Die Mitarbeiter sind z.B. über kürzere Wege zu erreichen und können unmittelbar in die Planungen zur BGF eingebunden werden. Somit haben die KMU bei einem wichtigen Kriterium für den Erfolg der BGF – dem Tragen der Aktivitäten von allen betrieblichen Akteuren – einen Vorteil.

Zu den maßgeblichen internen Akteuren können folgende Personen und Gruppen gezählt werden: Arbeitskreis Gesundheit, Arbeitgeber bzw. Führungskräfte, Personaler, Betriebs- oder Personalrat, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeits- oder Betriebsmediziner, Schwer-behindertenvertretung (SBV) und sonstige spezielle Beauftragte.

Zu den externen Akteuren gehören in erster Linie Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, staatliche Aufsichtsämter, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Dienstleistungsanbieter und sonstige Experten und Berater.

BGF erweist sich in der Regel als erfolgreicher, wenn ein Steuerungsgremium mit internen und externen Vertretern vorhanden ist (z.B. werden mehr Maßnahmen durchgeführt).

4.7 Qualitätssicherung der Betrieblichen Gesundheitsförderung Die Anforderungen an die Qualitätssicherung (QS) nehmen mit fast jedem neuen Gesetz im Gesundheitsbereich zu. Das geplante Präventionsgesetz sieht vor, dass externe Leistungs-anbieter den Qualitätssicherungsnachweis ihrer Angebote selbst erbringen müssen. Und auch die Unternehmen sind gut beraten, zuerst Konzepte zu entwickeln und Strukturen aufzubauen, bevor sie im Sinne des gängigen Regelkreises von Analyse, Planung, Interven-tion, Kontrolle und Evaluation in die Projektumsetzung gehen.

Aufgrund der Bedeutung der Ist-Situation werden an dieser Stelle noch einmal die gängigs-ten Analyseinstrumente aufgelistet: Mitarbeiter- und Expertenbefragungen, Arbeitsplatzana-lyse, medizinische Untersuchungen, Gesundheitsberichte, Präventionsgespräche, Gesund-heitszirkel („Düsseldorfer Modell“ mit dem Ziel der Verringerung arbeitsbedingter Gesund-heitsgefahren und einer interdisziplinären, hierarchieübergreifenden Zusammensetzung, und „Berliner Modell“ mit dem Ziel der Verringerung stressbedingter Gesundheitsgefahren und einer homogenen Zusammensetzung einer Hierarchiestufe), Fehlzeitenanalysen.

Im Folgenden wird eine kurze Übersicht ausgewählter Qualitätsrichtlinien gegeben.

ENBGF45

Die vom ENBGF aufgestellten Qualitätskriterien sind nicht als ein absoluter Maßstab anzusehen, sondern geben die Richtung an, in die sich ein Unternehmen entwickeln sollte. Für die verschiedenen Qualitätsbereiche werden Beispiele angeführt.

- Unternehmenspolitik: z.B. schriftliche Unternehmensleitlinie zur BGF; Betrieb stellt Ressourcen für die BGF zur Verfügung

45 ENBGF (1999). Qualitätskriterien für die betriebliche Gesundheitsförderung. Essen.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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- Personalentwicklung und Arbeitsorganisation: z.B. Beteiligung der Mitarbeiter an Planung und Entscheidung; Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

- Planung der BGF: z.B. Konzept als Voraussetzung; Maßnahmen erstrecken sich auf die gesamte Organisation

- Soziale Verantwortung: z.B. Vorkehrungen, mit denen schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt weitestgehend ausgeschlossen werden

- Umsetzung der BGF: z.B. verantwortliche Steuerungsgruppe; systematische Auswertung aller erforderlichen Informationen

- Ergebnisse der BGF: Auswirkungen im Hinblick auf z.B. Kunden- und Mitarbeiterzufrie-denheit; auf Gesundheitsindikatoren und wirtschaftlich relevante Faktoren

Die einzelnen Bereiche sind in im europäischen Qualitätsmodell für BGF zusammengefasst (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2 Europäisches Qualitätsmodell für BGF

Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen46

Die gemeinsamen und einheitlichen Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen beschreiben Anforderungen an die Anbieter von BGF, an die Krankenkassen und an die Unternehmen. Letztere orientieren sich an den oben vorgestellten Qualitätskrite-rien des ENBGF mit der Ausnahme, dass für kleine und Kleinstunternehmen noch besonde-re Anforderungen entwickelt werden müssen. Für die Krankenkassen gilt, dass sie Maßnah-men der BGF ausschließlich mit Blick auf den betrieblichen Bedarf unterstützen und diesbe-zügliche Risiken, Risikofaktoren und Gesundheitspotenziale der Beschäftigten ermitteln. Die Anbieter müssen über eine adäquate Qualifikation verfügen sowie einen Qualitätsnachweis ihrer Angebote gemäß der im Leitfaden aufgestellten Kriterien (Indikation, Qualitätssiche-rung, Wirksamkeit, Dokumentation und Evaluation) erbringen.

Den prioritären Handlungsfeldern (arbeitsbedingte körperliche Belastungen, Betriebsverpfle-gung, psychosozialer Stress sowie Genuss- und Suchtmittelkonsum) wird jeweils ein

46 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen (2000). Gemeinsame und einheitli-che Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 uns 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 12. September 2003.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

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Präventionsprinzip unterlegt. Weiterhin wird differenziert nach Bedarf, Wirksamkeit, Zielgrup-pen, Zielen der Maßnahme, Inhalten, Methodik und der Anbieterqualifikation.

ENBGF – Kriterien für KMU47

In einer zweiten Gemeinschaftsinitiative des ENBGF wurden Kriterien und gute Beispiele für die BGF in KMU auf einzel- und überbetrieblicher Ebene zusammengestellt. Projekte auf der einzelbetrieblichen Ebene werden vom Unternehmen allein oder mit Hilfe von externen Dienstleistungsanbietern durchgeführt. Projekte auf überbetrieblicher Ebene werden von Organisationen getragen (z.B. Handwerkskammer) und sind danach differenziert, ob es sich um eine zeitlich befristete oder dauerhafte Infrastruktur handelt.

Kriterien der einzelbetrieblichen Ebene werden gegliedert in die Bereiche „Führung und Beteiligung“, „Geschäftsprozesse“ und „Ergebnisse“.

Die Kriterien der überbetrieblichen Ebene gehen weiter. Sie beziehen sich auf die „Integrati-on der BGF in Politik und Handeln der Trägerorganisationen von Unterstützungsstrukturen“, die „Strategie und Planung“, die „Umsetzung“ und die „Ergebnisse“.

DNBGF48

Anlässlich der A & A 2003 wurde im Forum KMU des DNBGF ein Grundsatzpapier vorgelegt, das relevante Erfolgsfaktoren der BGF in Kleinst- und Kleinunternehmen (0 bis 9 bzw. 10 bis 49 Mitarbeiter) beschreibt (für gewerbliche und landwirtschaftliche Betriebe). Diese beziehen sich auf die Struktur der Betriebe, die Methoden des Zugangs sowie die gesundheitsfördern-den Angebote und werden ausschnittsweise dargestellt.

- Struktur: BGF als integraler Bestandteil der Unternehmensführung; Beschränkung auf signifikante Probleme und praxisnahe, umsetzbare Themen; Berücksichtigung familiärer Strukturen

- Methoden des Zugangs: Betriebe wollen spezifisch angesprochen werden; Entwicklung regionaler Netzwerke und Kooperationen; vernetzte Berater erleichtern das Wissensma-nagement (Informationen aus einer Hand); möglichst persönliche Ansprache

- Gesundheitsfördernde Angebote: Die organisatorischen Möglichkeiten eines Kleinbetrie-bes sind zu berücksichtigen

Gerade die Kriterienmerkmale des ENBGF sind nach ihrer zeitlichen Dimension geordnet. Quer zu dieser Betrachtung und in Ergänzung zu den übrigen vorgestellten Ansätzen der QS dürfen die allgemeinen Prinzipien von Prävention und Rehabilitation49 nicht vernachlässigt werden: Dialogorientierung und Selbstbestimmung, Frühzeitigkeit, Nahtlosigkeit und Nachhaltigkeit, Personenorientierung und Ganzheitlichkeit sowie Ressourcenorientierung müssen bei der QS der BGF mitgedacht und konkretisiert werden.

47 ENBGF (2001). Kriterien und Beispiele guter Praxis betrieblicher Gesundheitsförderung in Klein-

und Mittelunternehmen (KMU). Essen. 48 DNBGF (2004). Relevante Faktoren der Gesundheitsförderung in Kleinbetrieben. 49 iqpr (2004). Prävention und Rehabilitation zur Verhinderung von Erwerbsminderung. Köln.

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Ökonomische Aspekte der BGF

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5 Ökonomische Aspekte der BGF Dr. Holger Wellmann, Max Ueberle

5.1 Einleitung Unternehmenserfolge werden zukünftig nicht nur von hochwertigen und gleichzeitig günsti-gen Produktionsanlagen und -standorten abhängig sein. Zunehmend werden auch Investiti-onen in das Human- und Sozialkapital an Bedeutung gewinnen. Ein Teil dieser betrieblichen Investitionsplanung betrifft die Maßnahmen zur BGF, deren Ausgangssituation allerdings von mehreren Schwierigkeiten gekennzeichnet ist.

- Trotz einer Reihe von Kategorien – untergliedert in die Perspektive der Mitarbeiter, des Unternehmens und der volkswirtschaftlichen Relevanz – sind nicht alle Kosten- und Nut-zengrößen genau zu erfassen.

- Hinzu kommt die fehlende Messbarkeit der verwendeten Nutzengrößen – insbesondere dann, wenn man diese rein monetär betrachten möchte.

- Die kausale Verknüpfung von Input- und Outputfaktoren ist bislang nur unzureichend belegt.

- Prävention ist für Unternehmen ein derivates Betriebsziel. Sie stellt ein Mittel zur optimalen Umsetzung des originären Unternehmensziels – der Herstellung einer Sach- oder Dienstleistung mit der Perspektive der langfristigen Gewinnmaximierung – dar.

Den Unternehmensverantwortlichen stellt sich die Frage, ob sich Maßnahmen zur BGF rechnen bzw. wie deren Auswirkungen beschrieben werden können. Bisher gibt es jedoch kaum Verfahren zur ökonometrischen Darstellung präventiver Maßnahmen für Unternehmen. Zudem sollten nicht-monetäre Effekte berücksichtigt werden. Die vorhandenen Instrumente wurden gesichtet und in Form eines 5-Stufen-Modells zusammengefasst.

5.2 Konzeption einer Kosten-Nutzen-Analyse der BGF Ziel ist eine anwendungsbezogene Konzeption zur Erfassung der Kosten und Nutzen präventiver Maßnahmen aus Sicht der Unternehmen. Während sich die Bemessung der Kosten relativ gut monetär darstellen lässt, gilt es, bei der Nutzenbeschreibung quantitative und qualitative Faktoren in die Bewertung einfließen zu lassen.

Möglichen Investoren soll anhand des erarbeiteten Modells in verschiedenen Stufen dargestellt werden, in welcher Relation Input und Output zueinander stehen. Damit wird Anbietern von BGF ein Instrument zur Verfügung gestellt, das gegenüber Arbeitgebern als Argumentationshilfe für die Einleitung von Maßnahmen zur BGF dient. Die Konzeption ist somit für die praktische Anwendung erstellt worden – untermauert durch wissenschaftliche Expertise.

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Ökonomische Aspekte der BGF

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Auf jeder Stufe (siehe Abbildung 3) lautet die entscheidende Fragestellung: Was bringt dem Unternehmen BGF?

1. Stufe: Vorhandene Studien zur BGF werden ausgewertet. Das Unternehmen erhält allgemeine Aussagen zu verschiedenen Interventionen, z.B. zum Return on Investment (ROI) oder Effektstärken.

2. Stufe: Bekannte Kennzahlen werden exemplarisch zusammengestellt. Dem Unterneh-men wird deutlich, durch welche quantitativen und qualitativen Größen die Auswirkungen von Maßnahmen zur BGF abgebildet werden können.

3. Stufe: Gängige Konzeptionen zur Darstellung von Input- und Outputfaktoren werden erläutert. Dies beinhaltet sowohl Kosten-Nutzen-Analysen als auch Analysen zu den mittlerweile gängigen Analysen zur erweiterten Wirtschaftlichkeitsrechnung (EWA).

4. Stufe: Das inzwischen etablierte Controlling-Instrument Balanced Scorecard (BSC) wird auf Maßnahmen zur BGF übertragen. Das Unternehmen bekommt eine Antwort auf die Frage, welche Präventionsstrategie im Rahmen der betrieblichen Gesamtstrategie ver-folgt werden sollte.

5. Stufe: Auf der letzten Stufe wird ein wesentlicher Bestandteil der BSC – die Analyse von Wirkungsketten – auf seine Plausibilität geprüft. Dieses Anliegen wird erst dann ange-gangen werden können, wenn Erfahrungen über die konkrete Maßnahmendurchführung vorliegen.

Abbildung 3 5-Stufen-Modell zur Kosten-Nutzen-Analyse der BGF Die Komplexität der Fragestellung erhöht sich von Stufe zu Stufe. Entsprechend werden mehr Ressourcen und eine intensivere Zusammenarbeit zwischen dem Anbieter von BGF und dem Unternehmen benötigt.

Die einzelnen Stufen werden in den folgenden Abschnitten näher beschrieben.

2. Stufe

3. Stufe

4. Stufe

5. Stufe

1. StufeLebensweltspezifische Erfahrungen mit

verschiedenen Interventionsarten

Kennzahlen

Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse (EWA)

Balanced Scorecard (BSC)

Wirkungsketten

zunehmender Aufwand

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Ökonomische Aspekte der BGF

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5.2.1 Lebensweltspezifische Erfahrungen mit Interventionen der Betrieb-lichen Gesundheitsförderung

In dem ersten Schritt im Rahmen des Stufenmodells zur ökonomischen Bewertung von Maßnahmen aus der BGF wurde nach Referenzwerten über den betriebswirtschaftlichen Erfolg von Maßnahmen der BGF gesucht. Erfahrungen aus verschiedenen Unternehmen sollen für eine erste Abschätzung der Wirkungen und damit die Entwicklung von Faustfor-meln über die Effizienz verwendet werden.

Aus der überwältigenden Fülle von Wirkungsstudien und Studien mit Aussagen zur gesamt-wirtschaftlichen Effizienz wurde die kleine Menge Studien mit streng betriebsökonomischen Aussagen identifiziert. Maßgabe war dabei die Beschränkung auf drei Interventionsarten: Maßnahmen zur Stressverarbeitung, Maßnahmen zur Bewegungsförderung und Aussagen zum Körpergewicht. Die induzierten Interventionen liegen dabei überwiegend auf der Verhaltensebene; allenfalls im Bereich der Stressreduktion sind verhältnispräventive Maßnahmen sinnvoll vorstellbar.

Die Auswahl der Interventionen erfolgte aufgrund der interessanten überwiegend US-amerikanischen Datenlage:

Korrelationsstudien zeigen, dass die Fehlzeiten fettleibiger Arbeitnehmer mindestens ein Drittel höher sind als diejenigen nicht fettleibiger Arbeitnehmer (Tabelle 3). Die Annahme, dass zur Gewichtsreduktion effektive Maßnahmen somit auch betriebswirtschaftlich effizient sind, liegt nahe – gesichert ist der Zusammenhang jedoch nicht. Offen ist insbesondere, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Fehlzeit besteht oder verschiedene Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems zwischengeschaltet sind.50

Für die Studien zur Bewegungsförderung gilt der interessante Befund, dass zwar die Teilnahme an Bewegungsprogrammen mit verringerten Fehlzeiten korreliert (Tabelle 4) – eine relativ hohe kardiovaskuläre Fitness an sich jedoch nicht. Medizinisch gesichert ist der Zusammenhang zwischen Fitness und Gesundheit sehr wohl; ob sich dieser Zusammen-hang auch betriebsökonomisch niederschlägt, ist noch nicht untersucht.

Ein fast umgekehrtes Bild ergibt sich im Handlungsfeld „Stress“. Zwischen der Stressbelas-tung und den Fehlzeiten ist überwiegend eine positive Korrelation festzustellen. Verhaltens-präventive Maßnahmen wie Schulungen im Umgang mit Stress, Entspannungstechniken oder Hilfen zum psychischen Stressabbau führen allerdings zu wechselnden Effekten51 (Tabelle 5).

Der lückenhaften Datenlage zum Trotz kann eine tendenzielle Aussage getroffen werden: Wichtig ist es, dass überhaupt eine Maßnahme durchgeführt wird. Allein durch den Prozess stellen sich erste Erfolge ein. Langfristig sollten Maßnahmen in Unternehmen jedoch auch in Deutschland evaluativ begleitet werden.

Tabelle 3 Kernaussagen: Auswirkungen höheren Körpergewichts

50 Aldana, S. (2001). Financial impact of health promotion programs. A comprehensive review of the literature. American Journal of Health Promotion, 15 (5), 296–320, S. 308. 51 Murphy, L.R. (1996). Stress Management in Work Settings. A Critical Review of the Health Effects. American Journal of Health Promotion, 11,112–135, S. 131.

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1. 10 % der Fehlzeiten bei Frauen sind auf Fettleibigkeit zurückzuführen (Schweden).52

2. Angestellte mit höherem Body-Mass-Index haben höhere Fehlzeiten (USA).53

3. Fettleibige Arbeitnehmer haben 11 % höhere Fehlzeiten als nicht fettleibige (USA).54

4. Fettleibige Frauen haben zweifach höhere Fehlzeiten (USA).55

5. Fettleibige haben im Vergleich zu nicht Fettleibigen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,74 hohe und von 1,61 mittlere Fehlzeiten (USA).56

6. Fehlzeitenbedingte Kosten bei fettleibigen Frauen betragen 178 % von denen für nicht-fettleibige Frauen. Fettleibige Männer verursachen geringere Kosten aus Fehlzeiten als nicht fettleibige, sie betragen im Vergleich 34 % (USA).57

Tabelle 4 Kernaussagen: Teilnahme an Fitnessprogrammen 1. Teilnehmer an Fitnessprogrammen verringern ihre Fehlzeiten in Abhängigkeit von der

Intensität der Teilnahme um im Mittel 22 %.58

2. Nach Teilnahme am Fitnessprogramm im Mittel 1,2 Fehltage pro Jahr weniger. Häufige-re Teilnahme führt zu größerer Reduzierung der Fehltage.59

3. Intensive Teilnahme an einem Fitnessprogramm reduzierte die Fehlzeiten um 4,8 Tage p. a.60

4. Training reduzierte bei Frauen die Fehlzeit.61

5. Teilnahme am Programm führte nicht zu verbesserter Fitness, es gab keine Verände-rung der Fehlzeiten.62

Tabelle 5 Kernaussagen: Teilnahme an Trainings zur Stressverarbeitung 1. Stressmanagementprogramme haben einen positiven Effekt auf Abwesenheit, Kündi-

52 Narbor, K. et al. (1996). Economic consequences of sick-leave and early retirement in obese Swedish women. International Journal of Obesity, 20, 895–903. 53 Burton, W.N. et al. (1988). The role of health risk factors and disease on worker productivity. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 14, 475–482. 54 Bertera, R.L. (1991). The effects of behavioural risks on absenteeism and health care costs in the workplace. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 33, 1119–1124. 55 Tsai, S.P. et al. (1997). Illness absence at an oil refinery and petrochemical plant. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 39, 455–462. 56 Tucker, L.A. & Friedman, G. M. (1998). Obesity and absenteeism. An epidemiologic study of 10,825 employed adults. American Journal of Health Promotion, 12, 202–207. 57 Burton, W.N. et al. (1998). The economic costs associated with body mass index in a workplace. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 40, 786–792. 58 Cox, M. & Shepard, R.J. & Corey, P. (1981). Influence of an employee fitness program upon fitness, productivity and absenteeism. Ergonomics, 24, 795–806. 59 Lynch, W.D. (1990). Impact of a facility-based corporate fitness program on the number of absence from work due to illness. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 32, 9–12. 60 Lechner, L. et al. (1997). Effects of an employee fitness program on reduces absenteeism. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 39, 827–831. 61 Baun, W.B. & E.J. Bernacki & Tsai, S.P. (1986). A preliminary investigation. Effect of a corporate fitness program on absenteeism and health care cost. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 28,18–22. 62 Boyce, R.W. & Jones, G.R. & Hiatt, A.R. (1991). Physical fitness capacity and absenteeism of police officers. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 33, 1137–1143.

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Ökonomische Aspekte der BGF

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gungsintention und Leistung bei Arbeitnehmern, die Effektstärke ist 0,22 (Int.).63

3. Training in Progressiver Muskelentspannung führte bei Straßenarbeitern zu geringeren Fehlzeiten, jedoch zu keiner Veränderung der Leistung (USA).64

4. Das Niederschreiben traumatischer Erfahrungen als Instrument der Stressbewältigung verringert die Fehlzeiten (USA).65

5. Die Implementierung eines Trainings in Progressiver Muskelentspannung führte bei Reinigungsfrauen eines Krankenhauses zu verringerten Fehlzeiten, und zwar auch bei denjenigen Reinigungsfrauen, die an dem Training zu keinem Zeitpunkt teilnahmen (Finnland).66

6. Nach einem Stresstraining stiegen die Fehlzeiten an (USA).67

7. Die Teilnahme an einem Stressbewältigungsprogramm führte bei Polizisten zu keiner Verringerung der Fehlzeit (GB).68

8. Bereits nach geringgradiger Intervention werden bei Arbeitern anhaltend verringerte Fehlzeiten festgestellt, besonders bei jenen, die ausgangs einen mittleren Stressgrad aufwiesen (USA).69

5.2.2 Kennzahlen und Kennzahlensysteme Gegenstand der zweiten Stufe des Modells sind Kennzahlen. Den Entscheidungsträgern im Unternehmen wird deutlich, durch welche quantitativen Größen die Auswirkungen von Maßnahmen zur BGF abgebildet werden können. Durch diese kompakte Art der Informati-onsbündelung lassen sich Führungskräfte oftmals eher überzeugen als durch das weniger greifbare Argument der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Mitarbeitergesund-heit.

Kennzahlen besitzen für Management und Controlling wichtige Funktionen. Sie unterstützen maßgeblich die zielorientierte Planung, Steuerung und Kontrolle der Unternehmensaktivitä-ten und helfen, Risiken bzw. Schwachstellen frühzeitig zu erkennen, aber auch, Chancen zu

63 Bamberg, E. & Busch, C. (1996). Betriebliche Gesundheitsförderung durch Streßmanagementtrai-ning. Eine Metaanalyse (quasi-)experimenteller Studien. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsy-chologie, 40, 127–137. 64 Murphy, L.R. & Sorensen, S. (1988). Employee behaviors before and after stress management training. Journal of Occupational Behavior, 9, 173–182. 65 Francis, M.E. & Pennebaker, J.W. (1992). Putting stress into words. The impact of writing on physiological, absentee, and self-reported emotional wellbeing measures. American Journal of Health Promotion, 6,147–163. 66 Toivanen, H. & Helin, P. & Hanninen, O. (1993). Impact of regular relaxation training and psychoso-cial working factors on neck-shoulder tension and absenteeism in hospital cleaners. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 35, 1123–1130. 67 Higgens, N.C. (1986). Occupational stress and working women. The effectiveness of two stress reduction programs. Journal of Occupational Behavior, 29, 66–78. 68 Doctor, R.S. & Curtis, D. & Isaacs, G. (1994) Psychiatric morbidity in policemen and the effect of brief psychotherapeutic intervention: A pilot study. Stress Medicine, 10,151–157. 69 Seamonds, B.C. (1983). Extension of research into stress factors and their effects on illness absenteeism. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 25, 821–822. Seamonds, B.C. (1982) Stress factors and their effects on absenteeism in a corporate employee group. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 24, 393–397.

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Ökonomische Aspekte der BGF

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identifizieren. Unter der Voraussetzung der Vergleichbarkeit ist es außerdem möglich, ein Benchmarking z.B. zwischen verschiedenen Unternehmen, Betrieben oder Abteilungen durchzuführen. Kennzahlen können somit auch als Frühwarnsystem wirken. Im Kontext des Stufenmodells übernehmen sie jedoch eher die Funktion der Ergebnispräsentation.

Kennzahlen können auf unterschiedliche Weise strukturiert werden:

- Absolute Kennzahlen (Basis- oder Grunddaten eines Unternehmens, auch nicht-monetäre Größen wie Mitarbeiteranzahl)

- Relative Kenzahlen (Basis- oder Grunddaten werden miteinander in Beziehung gestellt), die wiederum aufgeteilt werden können in

Gliederungskennzahlen (Zähler und Nenner mit gleicher Grundgesamtheit) Beziehungskennzahlen (ungleichartige Größen aus verschiedenen Grundge-

samtheiten werden kombiniert) Indexkennzahlen (geben die Entwicklung von absoluten, Gliederungs- und Bezie-

hungskennzahlen an)

Einzelne Abteilungen im Unternehmen benutzen unterschiedliche Kennzahlen. Der Vertrieb favorisiert z.B. Umsatz- und Auftrageingangskennzahlen, während in der Fertigungsabteilung die Anzahl der fehlerhaften Produkte minimiert werden soll. Entscheidend ist die Zusammen-führung der Vielzahl von Kennzahlen zu einem Kennzahlensystem.

Die Entwicklung eines Kennzahlensystems für den Bereich der BGF steht noch am Anfang. Dabei ist zum einen auf die Integrationsfähigkeit eines solchen Systems in ein bereits existierendes Gesamtkennzahlensystem des Unternehmens zu achten. Neben den erwähn-ten harten sind auch weiche Kennzahlen aufzunehmen, um z.B. die Mitarbeiterperspektive analysieren zu können. Zum anderen wird empfohlen, sich auf möglichst wenige Kennzahlen zu beschränken70. Das derzeit auf dem Markt angebotene Präventionskennzahlen-System71 (PKZ-System) des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung berücksichtigt nicht nur ausgewählte Zielgrößen (z.B. Krankenstand, Zufriedenheit und Motivation der Beschäftig-ten), sondern integriert darüber hinaus ursachenbezogene Kennzahlen (Gesundheitsgefähr-dungen und gesundheitsförderliche Potenziale der Arbeit).

Der Erfolg der BGF kann an einer Reihe von kurz-, mittel- und langfristigen Zielgrößen gemessen werden. Im Rahmen von Projekten zur BGF finden folgende Kennzahlen häufig Anwendung: Fehlzeiten, Kosten der ungestörten Arbeitsstunde, Fluktuationsrate, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation, Leistungsfähigkeit, Produktivität und Inanspruch-nahme von Maßnahmen der BGF.

70 Die Beschränkung auf 10 bis 20 Kennzahlen erscheint zweckmäßig. Die Auswahl von Kennzahlen sollte umso kleiner sein, je kompakter, schneller und klarer die Informationen präsentiert werden sollen (vgl. Gehringer, J. & Michel, W. J. (2000). Frühwarnsystem Balanced Scorecard. Düsseldorf: Metropolitan-Verlag.) 71 http://www.bgf-berlin.de/Angebot18.html. Zugriff am 04.01.2005.

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5.2.3 Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse (EWA) Auf Stufe drei sind die Kennzahlen zur Wirtschaftlichkeit zusammenzufügen. Letztlich handelt es sich um eine Addition der Renditen. Allerdings sind Äpfel mit Birnen zu verglei-chen: Auf der Aufwandsseite erscheint es meist recht gut möglich, die Investitions- und die laufenden Kosten monetär darzustellen. Anders ist es auf der Renditeseite, denn der Nutzen besteht nicht nur in monetären Größen. Daher müssen indirekte Maßstäbe herangezogen werden. Wie in Stufe zwei festgestellt, wird häufig die Veränderung in den gesundheitsbe-dingten Fehlzeiten gewählt.

In einem komplexen Prozess sollten sich diese in monetäre Größen umrechnen lassen. Andere Erfolgsmaßstäbe lassen sich nur in Prozesszielen wiedergeben, so eine Verbesse-rung des Betriebsklimas. Hier ist der Zusammenhang mit monetären Größen nur nach umfänglichen Untersuchungen nachzuvollziehen. Ansonsten liegen wechselnde Zielgrößen vor, die zunächst vergleichbar gemacht werden müssen. Ein Hilfsmittel dafür ist die Nutz-wertanalyse. Das Vorgehen ist aus den Testberichten der Stiftung Warentest bekannt: Es handelt sich um ein Verfahren zum Vergleich nichtmonetarisierbarer Kosten und Nutzen aus verschiedenen Handlungsmöglichkeiten. Das Vorgehen dabei ist triadisch. Auf eine Festle-gung der Bewertungskriterien – etwa Arbeitszufriedenheit, Außenwirkung oder Ausstoßmen-ge und deren Gewichtung – folgt für die verschiedenen betrachteten Interventionen eine Beurteilung hinsichtlich der verschiedenen Kriterien und die Vergabe zugehöriger Punktwer-te. Durch Multiplikation von Punkten und Gewichtung ergeben sich Nutzenwerte für die verschiedenen Investitionsmöglichkeiten, die damit vergleichbar wurden.72

Die Kosten-Nutzen-Analyse für monetäre Mittelflüsse und die Nutzwerte für die nicht monetär zu bewertenden Vor- und Nachteile der Investition lassen sich auch gemeinsam betrachten. Eine Möglichkeit ist es, die monetären Bewertungen ebenfalls in die Nutzwert-analyse einfließen zu lassen. Das zusammenfassende Verfahren ist die Erweiterte Wirt-schaftlichkeitsanalyse. In praxi wird die Analyse EDV-gestützt erfolgen. Programme gibt es auch speziell für die Verwendung in der BGF; sie sind auf den Einzelfall anzupassen.73 Das Zusammenwirken der verschiedenen Bewertungen zeigt Abbildung 4: Durch die Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse können monetäre und nicht monetäre Kennzahlen für Zielgrößen dargestellt und vergleichbar gemacht werden. Ziel ist es, eine Entscheidungsgrundlage für eine monetäre Investitionsentscheidung zu liefern.

72 Das Verfahren ist auch auf der Verwaltungsseite zum Vergleich einzelwirtschaftlicher Untersuchun-gen etabliert. Für eine Darstellung s. Bundesfinanzverwaltung: Arbeitsanleitung Einführung in Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Rundschreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 31. August 1995, Az II A 3 – H 1005 – 23/95, Gemeinsames Mitteilungsblatt 1995, S. 764 ff. 73 z. B. „Nutzwert plus“ der Fa. Zangemeister & Partner, Hamburg, siehe URL: http://www.zp-zangemeister.de.

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Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse

ZielrahmenÖkonomie Humanität, Image, Sozialverpflichtung

Wirtschaftlichkeit Leistungs-fähigkeit

direkt indirekt

Arbeits-belastung

Arbeits-sicherheit

Arbeits-qualität

Arbeits-autonomie

Arbeits-motivation

Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse

Direkt monetär NutzwertanalyseIndirektmonetär

RentabilitätInterner ZinsKapital-rückfluß

FehlzeitenAbsentismusAusschußBetriebs-störungenFluktuationNacharbeit

ProduktivitätQualitätFlexibilitätZuverlässigkeitPünktilichkeitSystemverträglich-keit

LärmSchadstoffeKlimaBeleuchtung

GefährdungenSchutz-einrichtungen

FachkenntnisseVerantwortungArbeitsinhalte

Handlungs-spielraumMitwirkungs-möglichkeitZeitliche Ein-bindung

MitwirkungLeistungsanreizeAnerkennung

Integration in das Unternehmen viaBalanced Scorecard

Abbildung 4 Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse für die Betriebliche Gesundheitsförderung

5.2.4 Balanced Scorecard Auf der vierten Stufe bekommt das Unternehmen Unterstützung bei der Formulierung und Operationalisierung der BGF-Strategie im Rahmen der Unternehmensstrategie und der dahinter liegenden -vision. Akzeptanz und Erfolg der BGF setzen voraus, dass sich das Unternehmen offiziell zu dem Anliegen und den Zielen der BGF bekennt. Diesem Umstand wird mit der Implementierung des Themas in eine Balanced Scorecard (BSC) Rechnung getragen.

Die BSC ist Anfang der 1990er Jahre von Kaplan und Norton74 als ein Instrument zur Umsetzung der Unternehmensstrategie entwickelt worden. Ausgangspunkt war die Kritik an der einseitigen und unübersichtlichen Erfolgsmessung der Unternehmen – diese würden sich bei ihrer Analyse fast ausschließlich auf eine nicht nach Bedeutung differenzierbare Vielfalt an monetären Kennzahlen stützen. Neben der Finanzperspektive wurden daher die Kunden- und die interne Prozessperspektive sowie die Potenzialanalyse (Lernen und Entwicklung) berücksichtigt und nach Zielen, Kennzahlen, Vorgaben und Maßnahmen strukturiert (siehe Abbildung 5). Die Berücksichtigung der generell auch anders zu besetzenden Entwicklungs-gebiete hat zur Folge, dass die Strategie – die zwingend vorhanden sein muss – bis auf tägliche Routinen und Handlungen einzelner Mitarbeiter operationalisiert werden kann.

Die weite Verbreitung der BSC hat dazu geführt, dass eine Reihe von branchenspezifischen Erfahrungen mit der BSC existiert. Aspekte der BGF werden bisher jedoch eher selten in das Steuerungsinstrument implementiert.75

74 Siehe z.B. Kaplan, R. S. & Norton D. P. (1997). Balanced Scorecard. Stuttgart: Verlag Schäffer-Poeschel. 75 Kohstall, D., Lauterbach, D., Lüdeke, A. (2002). Die Balanced Scorecard als ein Steuerungsinstru-ment für Call Center. Zugriff am 21.01.2005 unter http://www.hvbg.de/d/bgag/bereiche/oekon/forsch2.pdf. Hier wurden die Kriterien „Krankenstand und Fluktuation“, „Gründe für Fluktuation“ und „Gesundheitliche Probleme der Mitarbeiter“ in die Mitarbei-terperspektive aufgenommen.

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Folglich sind die Umsetzungsschritte für die Realisierung der BGF durch den Einsatz der BSC noch recht allgemein gehalten:

1. Schritt: Entwicklung eines Zielsystems für die Betriebliche Gesundheitsförderung im Rahmen der Balanced Scorecard (abgeleitet aus der Unternehmensstrategie)

2. Schritt: Erarbeitung zielkompatibler Kennzahlen und Messgrößen 3. Schritt: Festlegung von Zielvorgaben und -werten 4. Schritt: Maßnahmepakete zur Zielerreichung entwickeln76

In Abbildung 5 ist die Grundstruktur mit den vier Entwicklungsgebieten einer BSC dargestellt. Das Thema BGF könnte als fünfte Entwicklungsperspektive hinzugenommen werden. Für eine „eigene Karte“ spricht, dass dem Thema BGF formal eine hohe Bedeutung beigemes-sen wird. Gleichzeitig können damit aber auch Begehrlichkeiten geweckt werden, andere Inhalte zum Gegenstand einer BSC-Karte zu machen, worunter die Übersichtlichkeit leiden kann. Alternativ besteht die Möglichkeit, den Komplex BGF in den Bereich „Lernen und Entwicklung“ zu integrieren. Eine allgemeine Empfehlung, welche Variante zu bevorzugen ist, kann derzeit nicht gegeben werden. Ausschlaggebend ist die plausible Darlegung der Ursache-Wirkungsketten zwischen den einzelnen Feldern hinsichtlich der Ziele, Kennzahlen, Vorgaben und Maßnahmen.

Abbildung 5 Grundstruktur einer Balanced Scorecard mit möglicher BGF-Platzierung

76 Kentner, M., Janssen, Ph., Rockholtz, C. (2003). Betriebliches Gesundheitsmanagement und Balances Scorecard – Die Verknüpfung von Prävention und Produktivität bei der Arbeit. Arbeitsmedi-zinische Praxis, 38 (9), 470–476.

Finanzen Auftreten gegenüber den

Teilhabern - Ziele - Kennzahlen - Maßnahmen

Lernen und Entwicklung Veränderungs- und

Wachstumspotenziale - Ziele - Kennzahlen - Maßnahmen

Kunden/Markt Kundenerwartungen und Auftritt gegenüber den

Kunden - Ziele - Kennzahlen - Maßnahmen

Interne Prozesse Prozessoptimierung, um Kunden und Teilhaber zu

überzeugen - Ziele - Kennzahlen - Maßnahmen

Vision &

Strategie

Möglichkeit 1 BGF Möglichkeit 2

BGF

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5.2.5 Wirkungsketten Die letzte Stufe des Modells ist zugleich die anspruchsvollste. Das Unternehmen soll plausibel nachvollziehen können, ob sich die in der BSC theoretisch vermuteten Wirkungs-ketten in der Praxis bewahrheitet haben.

Die diesbezügliche Evaluation der BGF ist ein wichtiger Baustein, um die angebotene Maßnahmenpalette und damit das Verhältnis von Input- und Outputfaktoren optimieren zu können. Vor überzogenen Erwartungen muss jedoch gewarnt werden. Wenngleich statistisch eindeutige Korrelationen z.B. zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit und dem Betriebsergeb-nis liegen, sagt dies noch nichts über den tatsächlich bestehenden ursächlichen Zusammen-hang dieser beiden Größen aus. Ein positives Betriebsergebnis könnte ebenso durch andere Faktoren determiniert sein, beispielsweise durch den Ausfall eines Marktkonkurrenten oder intensivierte Marketingbemühungen.

Nach Belegen über Wirkungsketten oder Instrumenten, welche diesen Nachweis erbringen, sucht man derzeit vergebens. Ein gangbarer Weg scheint die Befragung der beteiligten Akteure zu sein. In einer Studie beschreiben Unternehmer und Führungskräfte den von ihnen selbst erlebten Zusammenhang zwischen konkreten Veränderungen, die durch die BGF initiiert worden sind, und dem festgestellten wirtschaftlichen Nutzen.77 Die Ergebnisse sind in Abbildung 6 zusammengefasst worden. Eine Ergänzung zur Sichtweise der Füh-rungskräfte sollte durch die Berücksichtigung der Mitarbeiterperspektive vorgenommen werden.

77 AOK (Hrsg.) (2004): Wirtschaftlicher Nutzen Betrieblicher Gesundheitsförderung aus Sicht der Unternehmen. http://www.aok-bv.de/gesundheit/praevention/gu/index_00943.html, Zugriff am 21.01.2005.

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Abbildung 6 Wirkungsketten. Eigene grafische Darstellung von Zusammenhängen aus AOK 2004

5.3 Vorstellung und Diskussion des 5-Stufen-Modells

5.3.1 Posterpräsentationen Im Rahmen von Posterpräsentationen konnten unterschiedliche Inhalte des 5-Stufen-Modells dem Fachpublikum vorgestellt werden. Auf der A+A Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in Düsseldorf im September 2005 und auf dem 1. Präventionskongress in Dresden im Dezember 2005 wurden jeweils zwei Posterbeiträge angenommen:

- Konzeption einer Kosten-Nutzen-Analyse präventiver Maßnahmen im Unternehmen - Erfolgsmessung Betrieblicher Gesundheitsförderung mit Hilfe der Balanced Scorecard

Der erste Posterbeitrag stellt das 5-Stufen-Modell in seiner Gesamtheit dar, während das zweite Poster die vierte Stufe des Modells intensiver ausleuchtet. Dort werden drei Möglich-keiten beschrieben, wie die Themen BGF und BSC miteinander gekoppelt werden können.

Das Feedback auf die Posterpräsentation auf der A+A war sehr gering. Insgesamt war die Posterausstellung – auch zur Zeit der offiziellen Begehung – nur sehr mäßig besucht. Ganz anders war die Resonanz in Dresden auf dem 1. Präventionskongress. Das Feedback verteilte sich gleichermaßen auf das Modell als Ganzes sowie auf die Implementierung der BSC. Von Interesse waren vor allem konkrete Hinweise zur Umsetzung vor dem Hintergrund praktischer Erfahrungen. Anfragen kamen sowohl von Vertretern anderer wissenschaftlicher Institutionen, von Unternehmensvertretern und von Mitarbeitern der gesetzlichen Kranken-kassen. Letztere berichteten von zunehmenden Erwartungen der Unternehmen, die BGF betreiben und sich dabei durch die GKV unterstützen lassen, die Maßnahmen auch unter der ökonomischen Perspektive zu betrachten.

5.3.2 Vorträge

5.3.2.1 GVG-Tagung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement Am 10. Oktober 2005 führte die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG) in Berlin eine Tagung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) durch, auf der auch die ökonomischen Aspekte diskutiert wurden. Grundlage war der Vortrag „Kosten und Nutzen des BEM aus betriebswirtschaftlicher und sozialwirtschaftlicher Perspek-tive“. Dieser Vortrag stützte sich in erster Linie auf das 5-Stufen-Modell und stellt damit den Versuch dar, dieses Modell auf die Thematik des BEM zu übertragen. Der folgende kursiv gedruckte Text ist der Tagungsdokumentation der Veranstaltung entnommen.78

78 GVG-Informationsdienst (Februar 2006): Betriebliches Eingliederungsmanagement – GVG-Konferenz am 10. Oktober 2005.

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Dr. Holger Wellmann (Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln) stellte die Potenziale des BEM aus wirtschaftlicher Sicht dar. Er gab zu bedenken, dass nicht alle Aspekte des BEM aus einer ökonomischen Perspektive sinnvoll bewertet werden könnten. Obwohl fertige Rezepte nicht zu erwarten seien, mache die bisher geringe Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen eine eingehen-dere Beschäftigung notwendig und sinnvoll.

In einem ersten Schritt erörterte Wellmann das zur Verfügung stehende Instrumentarium der ökonomischen Evaluation. Traditionelle Verfahren zur Kosten-Nutzen-Analyse aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre seien für die Bewertung des BEM nicht geeignet. Vielmehr gelte es hier, die Potenziale einer erweiterten Wirtschaftlichkeitsanalyse zu nutzen. Die Kosten-Nutzen-Analyse repräsentiere dabei nur einen Ausschnitt und sei um vielfältige Ansätze zu erweitern, deren Bedeutung in der Einbeziehung qualitativer Faktoren liege. Bei den Sozialversicherungsträgern sei zu erwarten, dass Einsparpotenziale die anfallenden Mehrkosten für BEM mehr als ausgleichen würden: Erhöhten Ausgaben für aktive Wieder-eingliederungsmaßnahmen stünden geringere Aufwendungen der Unfallkassen beim Verletztengeld gegenüber. Auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen fielen Zusatzkosten im Bereich der vermehrt durchzuführenden Reha-Maßnahmen an, während andererseits geringere Krankengeldzahlungen zu erwarten seien. Schließlich seien bei der Rentenversicherung Einsparungen zu erwarten, da auf Grund der durch BEM geförderten Weiterbeschäftigung weniger Mittel für Frühverrentungen wegen verminderter Erwerbsfähig-keit aufzuwenden seien.

Der Frage, inwieweit sich Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter für Unternehmen lohnen, ging Wellmann aus betriebswirtschaftlicher Perspektive mit einem fünfstufigen Modell nach, das zur Analyse des gesamten betrieblichen Gesundheitsmanagements aus Unternehmersicht entwickelt wurde. Zunächst seien für die Betriebe Erfahrungsakkumulation und -austausch notwendig, um Erfahrungen zu systematisieren. Dabei seien Branche und Größe des Unternehmens und regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. In einem zweiten Schritt müssten die charakteristischen Kennzahlen für das eigene Unternehmen ermittelt werden, beispielsweise hinsichtlich Fehlzeiten, Produktivität, Mitarbeitermotivation, Betriebsklima, Firmenimage und Kundenzufriedenheit. Als dritter Schritt müsse eine erwei-terte Wirtschaftlichkeitsanalyse erstellt werden, die zusätzlich zur monetären Dimension eine Nutzwertanalyse der „weichen“ Faktoren erfolgreichen unternehmerischen Handelns berücksichtige. Viertens seien mit Hilfe der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse Vision und Strategie der betrieblichen Gesundheitspolitik eines Unternehmens zu entwickeln: In Erweiterung einer primär monetären Perspektive um qualitative Aspekte seien die Kunden-erwartungen, die Veränderungs- und Wachstumspotenziale des Betriebes sowie die maßgeblichen internen Prozesse zu berücksichtigen und in eine Balanced Scorecard zu integrieren. Zwischen den verschiedenen Bereichen könne Betriebliches Gesundheitsmana-gement im Allgemeinen und BEM im Besonderen integrativ wirken. In einem fünften Schritt geht es darum, die in der Balanced Scorecard vermuteten Wirkungsketten auf ihre Plausibili-tät zu prüfen. In einer einfachen Wirkungskette bedeute dies, dass die Realisierung eines BEM ein besseres Betriebsklima hervorrufe, dass der Krankenstand gesenkt werden könne und dass somit neben der Erlangung einer höheren Zufriedenheit innerhalb der Belegschaft

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die Kosten der Entgeltfortzahlung gesenkt werden könnten. Doch sei der kausale Zusam-menhang dieser Argumentation noch nicht hinreichend wissenschaftlich nachgewiesen.

An zwei Beispielen verdeutlichte Wellmann die betriebswirtschaftlichen Effekte, die sich aus der Anwendung des BEM ergäben:

Im Falle der Kölner Ford-Werke hätten sich die Arbeitsunfähigkeitszeiten erheblich reduziert. Beinahe alle leistungsgewandelten Mitarbeiter hätten erfolgreich in die Arbeitsprozesse reintegriert werden können, u.a. dadurch, dass das Outsourcing von Tätigkeiten zu Gunsten interner Arbeitsplatzwechsel gestoppt bzw. rückgängig gemacht worden sei. Zudem seien die Kosten der Sozialversicherungsträger infolge der Vermeidung von Erwerbsunfähigkeits-renten zurückgegangen.

Im Regensburger BMW-Werk wird ab dem Zeitpunkt von einem BEM-Fall gesprochen – und werden damit die Kosten für seine Bearbeitung erhoben –, ab dem sich das BEM-Team das erste Mal zu diesem Fall zusammensetzt. Auch das Ende eines BEM-Falles wird klar definiert. Die Kosten-Nutzen-Analyse bezieht sich auf den Einzelfall. Verglichen werden die entstehenden Kosten durch die Fallbearbeitung mit den Kosten, die anfallen, wenn sich das BEM-Team nicht mit dem Fall beschäftigen würde. Darüber hinaus erbringe das Integrations-team weitere Leistungen, die die Wiedereingliederung betroffener Arbeitnehmer erheblich verbessere.

Zusammenfassend stellte Wellmann fest, dass die Untersuchung der ökonomischen Aspekte nicht auf eine rein monetäre Betrachtung reduziert werden dürfe, sondern im Rahmen einer gesamtunternehmerischen Zieldefinition erfolgen müsse. Dabei dürfe BEM nicht als isolierte Einzelmaßnahme betrachtet werden, sondern müsse in Überlegungen zu einem umfassen-den Betrieblichen Gesundheitsmanagement eingebettet sein. Auch wenn die Erfolge des BEM aus betriebswirtschaftlicher Sicht bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen werden könnten, seien entsprechende Untersuchungen notwendig und sinnvoll, zumal die langfristi-gen Effekte für alle Beteiligten erheblich sein dürften.

Der Vortrag steckt erste grobe Kategorien ab, innerhalb derer sich monetäre Auswirkungen für die Sozialversicherungsträger ergeben können. In der anschließenden Diskussion wurde auf diese Kategorien nicht weiter eingegangen. Kritischer betrachtet wurde die Praktikabilität des 5-Stufen-Modells für Unternehmen. Aus dem Arbeitgeberlager kam die Anmerkung, dass das Modell in dieser abstrakten Form noch keinen praktischen Nutzen für die konkrete Anwendung in einem Unternehmen habe. Dieser Kritik ist insofern zuzustimmen, als dass ein Modell sich immer auf einem gewissen Abstraktionsniveau halten muss, um die ge-wünschte Allgemeingültigkeit zu wahren. Die spezifische Ausgestaltung der verschiedenen Stufen bleibt dem Einzelfall überlassen. So wird es z.B. Unternehmen gleicher Branche, Größe und Region geben, deren Balanced Scorecard sich eher ähneln wird, als die zweier Unternehmen, welche auf völlig unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig sind. Das Anliegen des Vortrags war jedoch aufzuzeigen, ob das 5-Stufen-Modell grundsätzlich für die ökonomi-sche Evaluation des BEM geeignet ist. Dieser Funktion wurde nicht widersprochen. Die einzelnen Stufen sind so flexibel gestaltbar, dass sowohl Aspekte der BGF als auch des BEM integriert werden können. Ohne dass es im Vortrag thematisiert wurde, kann die These aufgestellt werden, dass auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz abzubilden ist. Somit

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wären sämtliche Handlungsfelder des betrieblichen Gesundheitsmanagements einer ökonomischen Bewertung mit Hilfe des 5-Stufen-Modells zu unterziehen, was sich in der Praxis allerdings erst noch erweisen muss.

5.3.2.2 Jahrestagung der DGAUM Hannover Im März 2006 fand in Hannover die Jahrestagung der Deutsche Gesellschaft für Arbeitsme-dizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM) statt. Eine der zahlreichen Sessions setzte sich mit dem Thema BGF auseinander. Hier konnte von Seiten des iqpr der Vortrag „Implementie-rung der Betrieblichen Gesundheitsförderung in eine Balanced Scorecard“ platziert und somit die Thematik der Posterpräsentationen der A+A in Düsseldorf und des Präventionskongres-ses in Dresden eingehender vorgestellt werden. Der folgende kursiv gedruckte Text gibt einen Ausschnitt des Vortrags aus der Tagungsdokumentation wieder.

Grundzüge der Balanced Scorecard

Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelten Kaplan und Norton (u.a. Kaplan und Norton (1997)) die BSC, um damit einen Beitrag zur Umsetzung der Unterneh-mensstrategie zu leisten. Viele Unternehmen – auch eine Reihe von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) – verfolgen eine bestimmte Vision und eine daraus abgeleitete Strategie. Diese wird oftmals nur schriftlich niedergelegt, ohne dass sie in der Unterneh-menspraxis Relevanz erlangt. Viele klassische Controlling-Instrumente reduzieren zudem die Erfolgskontrolle der Strategie auf die Ermittlung von Finanzdaten.

An dieser Stelle setzt die BSC an. Sie erweitert die einseitige monetäre Erfolgsmessung durch die Integration mehrerer Entwicklungsperspektiven bzw. Karten (siehe Abb.1). In der Grundform der BSC handelt es sich dabei um die Kundenperspektive (wie trete ich am Markt auf?), die Perspektive der internen Prozesse (Arbeits- und Organisationsabläufe) und die Potenzialperspektive. Letztere umfasst alle Tätigkeiten, die im Rahmen von Humankapitalin-vestitionen diskutiert werden, z.B. das Rekrutierungsverhalten von Unternehmen oder Weiterbildungsangebote für die Belegschaft.

Es können andere oder weitere Entwicklungsperspektiven berücksichtigt werden. Die Auswahl hängt z.B. von der Branche des Unternehmens und seiner strategischen Ausrich-tung ab. Bei einer gelungenen Operationalisierung ist dem einzelnen Mitarbeiter bewusst, wie er durch seine täglichen Routinen zur Verwirklichung der Unternehmensstrategie beiträgt. Strategie erscheint dann nicht mehr als etwas Abstraktes, sondern als etwas tatsächlich Gelebtes. Wichtig ist, dass das gesamte System aufeinander abgestimmt wird und Wirkungsketten zwischen den Perspektiven hergestellt werden. Die einzelnen Entwick-lungsgebiete handeln also nicht autonom, sondern sind letztlich doch immer auf den finanziellen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet. Inzwischen existiert eine Reihe von branchenspezifischen Erfahrungen mit der BSC. Zudem hat sie eine Weiterentwicklung in der Hinsicht erfahren, als dass sie nicht mehr nur zur Umsetzung, sondern bereits als Instrument zur Entwicklung der Unternehmensstrategie Verwendung findet. Das Thema BGF wird bisher jedoch eher selten einbezogen. Konzeptionell lässt sich dies auf drei verschiede-ne Arten verwirklichen.

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Implementierungsmöglichkeiten

Die erste Möglichkeit besteht darin, das Thema BGF in das Feld Lernen und Entwicklung einzubeziehen. Die Leitfrage lautet, welche Ziele hinsichtlich der Potenziale und Kompeten-zen des Unternehmens zu setzen sind, um den aktuellen und zukünftigen Marktanforderun-gen gewachsen zu sein. Einen wesentlichen Beitrag für die benötigte Infrastruktur stellen die Mitarbeiterressourcen dar. Alle diesbezüglichen Investitionen können in die Potenzialper-spektive einbezogen werden. Somit finden auch die Investitionen Berücksichtigung, die im Rahmen der BGF getätigt werden. Allerdings werden dabei nur wenig BGF-spezifische Kennzahlen aufgenommen werden können. Folgt man dem Merksatz „Twenty is plenty“ für eine komplette BSC, wird sich die BGF eventuell nur anhand von ein bis zwei Kennzahlen wieder finden lassen.

Diese reduzierte Betrachtungsweise weist einerseits den Vorteil auf, dass die BGF-Thematik mit relativ wenig Aufwand in die Gesamtstrategie eines Unternehmens integriert werden kann. Die Fokussierung auf ein bis zwei prägnante Kennziffern kann außerdem helfen, sich über die Hauptziele der BGF-Maßnahmen klar zu werden. Andererseits lässt sich auf diese Weise kein komplexes Wirkungsgefüge der BGF abbilden. Es können zudem falsche Signale an die Belegschaft gesendet werden. Wenn z.B. nur die Kennzahl „Fehlzeiten“’ Verwendung findet, könnte der Eindruck entstehen, dass es im Wesentlichen nicht um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Belegschaft geht, sondern um die Maximierung der Anwesenheitsquote im Unternehmen. Daher ist die Kommunikation der hinter den Kennzahlen liegenden Ziele und Maßnahmen gerade bei dieser Variante wichtig.

Man könnte als zweite Möglichkeit die BGF zum Gegenstand einer eigenen Karte machen und in eine bestehende BSC integrieren bzw. diese Karte bei einer neu zu entwickelnden BSC mit einfügen. Eine solche Ergänzung erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn zwar im Unternehmensleitbild die BGF Berücksichtigung findet, jedoch keine explizite, unterneh-mensspezifische Gesundheitsstrategie formuliert ist. Diese Situation wird oftmals in KMU vorzufinden sein. Drei bis fünf BGF-spezifische Kennzahlen werden auf diese Weise in die BSC aufgenommen werden können.

Im Vergleich zu ersten Variante finden somit mehrere Ziele der BGF Beachtung. Darüber hinaus wird durch die Darstellung in Form einer eigenen Karte deutlicher, in welchem Wirkungsgefüge die Aktivitäten der BGF mit den übrigen Entwicklungsperspektiven stehen. Beispielsweise können für die BGF-Karte die Themen Arbeitsplatzgestaltung, Gesundheits-verhalten und Betriebsklima von Belang sein. Dadurch werden sowohl Maßnahmen der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention bedacht und zu anderen strategischen Zielen in Beziehung gesetzt. Auswirkungen können z.B. auf die Perspektive der internen Prozesse erwartet werden, wenn es dort um kommunikative Aspekte, das betriebliche Vorschlagswe-sen oder Warenausschuss geht.

Als dritte und aufwendigste Möglichkeit kann es sich anbieten, eine eigene BSC für die BGF zu machen. Damit wird dem Thema BGF im Vergleich zu den beiden anderen Alternativen die höchste Bedeutung beigemessen. Gerade Großkonzerne formulieren in zunehmendem Maße neben der eigentlichen Unternehmensstrategie eigene Visionen und Strategien hinsichtlich der BGF oder sogar eines umfangreichen betrieblichen Gesundheitsmanage-

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ments. Dementsprechend generieren sie eine Reihe von Kennzahlen zur Gesundheitssitua-tion der Belegschaft im Unternehmen. In solchen Fällen erscheint die Abbildung der BGF-Strategie durch eine eigene BSC sinnvoll. Bei der Erstellung ist darauf zu achten, dass der Bezug zur allgemeinen Unternehmensstrategie nicht verloren geht. Dies bringt besondere Anforderungen an die Darstellung diesbezüglicher Wirkungsketten mit sich. Hilfreich ist die Beibehaltung von bedeutsamen Kennzahlen aus der allgemeinen Unternehmensstrategie; hier kann z.B. auf Kennzahlen der Finanzperspektive zurückgegriffen werden.

Der Ablauf der Implementierung gestaltet sich bei allen Möglichkeiten ähnlich, der Aufwand nimmt jedoch von der ersten bis zur dritten Möglichkeit zu. Die Vorarbeiten beinhalten alle Tätigkeiten hinsichtlich der Projektorganisation, der Einbindung der Akteure und die Informa-tion der Belegschaft sowie als tragendes Element die umfassende Kommunikation des Vorhabens. Die eigentliche Erstellung der BSC beginnt mit der Erarbeitung strategischer Ziele für jede Perspektive. Anschließend müssen diesbezügliche Kennzahlen ausgewählt bzw. entwickelt werden und Zielwerte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegt werden. Erst dann sollten die Maßnahmen zur Umsetzung der strategischen Ziele bestimmt werden.

Fazit:

Die BSC bietet verschiedene Varianten, um die Thematik der BGF aufzugreifen. Die Entscheidung für eine Variante hängt u.a. von der Größe des Unternehmens und der Rolle, welche die BGF spielen soll, ab. Insgesamt kann die BSC einen Beitrag zur Steuerung des Managementprozesses der BGF leisten. Einschränkend muss derzeit festgestellt werden, dass die ansonsten weit verbreitete BSC im Handlungsfeld BGF noch nicht angekommen ist. Aus der Praxis wird bisher – bis auf wenige Ausnahmen zumeist aus Großunternehmen – nur von wenigen Anwenderfällen berichtet.

Auf Rückfrage des Moderators, ob es unter den Zuhörern Unternehmensvertreter gäbe, die bereits eine BSC für die BGF eingeführt haben, gab es eine Reihe von Handmeldungen. Es handelte sich hauptsächlich um Betriebsärzte, die aus großen Unternehmen kamen. Das unterstützt die These, dass sich das Thema BGF im Allgemeinen und deren ökonomische Bewertung im Speziellen hauptsächlich auf Großunternehmen konzentrieren.

Die Wortmeldungen lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Erstens erscheint es schwierig, die in einer BSC angestrebten Zielwerte zu erreichen. Dies u.a. deswegen, weil die im Unternehmen für die BGF Verantwortlichen nicht immer ihre diesbezüglichen Vorstellungen in Gänze realisieren können. Damit einher geht der zweite Punkt: Der Erfolgsgarant für die Umsetzung der BSC läge insbesondere darin, dass sich alle Beteiligten zusammensetzen und das Anliegen der BSC hinreichend im Unternehmen kommunizieret wird.

5.3.3 Expertengespräch zum 5-Stufen-Modell Neben den oben beschriebenen Aktivitäten zur Bekanntmachung des 5-Stufen-Modells konnte im Januar 2006 ein Expertengespräch mit Herrn Dr. Thiehoff von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt werden. Herr Dr. Thiehoff ist ein

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jahrzehntelanger Kenner der Diskussion um die Wirtschaftlichkeit insbesondere des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und hat entscheidend zur deren Weiterentwicklung beigetragen79. Derzeit ist er für die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative neue Qualität der Arbeit (INQA)80 zuständig, deren Geschäftsführer er zuvor war.

Das Expertengespräch diente einer allgemeinen Einschätzung im Hinblick auf die Wirtschaft-lichkeitsdebatte der BGF und der Diskussion um das 5-Stufen-Modell. Folgende Fragen standen dabei im Mittelpunkt:

1. Wie beurteilen Sie die Chancen für das Thema betriebliches Gesundheitsmanagement bei einem historisch niedrigen Krankenstand?

Antwort: Bei globalerer Betrachtung lasse sich feststellen, dass die weit entwickelten Industrienationen am Übergang von der Produktions- zur Wissensgesellschaft stünden. Die Wellen der wirtschaftlichen Entwicklung entsprängen den spezifischen Knappheiten einer jeden Zeit. Wir befänden uns gegenwärtig im 6. Kondratjew81, der charakterisiert sei durch einen Mangel an Verarbeitungskapazität von unstrukturierten Informationen (dies sei der gegenwärtige Produktivitätstreiber, vgl. höchst erfolgreiche Unternehmen wie Ebay und Google)82. Es ergebe sich eine extreme Abhängigkeit der Unternehmen von der Leistungsfähigkeit, Flexibilität, Motivation und somit Gesundheit der Mitarbeiter.

Gerade was die Motivation betrifft, habe eine Studie von INQA („What’s a good job“) ergeben, dass in Deutschland zu schlecht geführt wird. Von der Führung hänge jedoch primär die Gesundheitssituation im Unternehmen ab. Hauptpunkt sei damit die Verbesse-rung der Führungsqualitäten des Vorgesetzten bezogen auf dessen Vorbildfunktion, die auch den Bereich des gesundheitsbewussten Verhaltens einschließt.

Schlussfolgerung: Vor diesem Hintergrund kommt dem Betrieblichen Gesundheitsmana-gement eine enorm hohe Bedeutung zu.

2. Welche Rolle kommt dabei dem ökonomischen Nachweis zu?

Antwort: Diesbezüglich führte Herr Dr. Thiehoff an, dass nur ca. 30 % der Entscheidun-gen im Unternehmen rational erfolgten. Die restlichen Entscheidungen erfolgten „aus dem Bauch heraus“ und seien emotional geprägt. Wichtiger als eine streng ökonomische Begründung sei daher der Marketingaspekt, mit dem das Thema Gesundheit im Unter-nehmen und den Verantwortlichen verkauft werden müsse. Daher sei die BSC ein sehr attraktives Instrument, da sie als ein hervorragendes Kommunikationsinstrument gilt. Insgesamt brauche es mehr Motivationsprozesse bei allen Beteiligten, um das Thema Gesundheit auf die Agenda innerhalb der Unternehmen zu setzen. In diesem Kontext

79 Siehe u.a.: Thiehoff, R. (2000): Betriebliches Gesundheitsschutzmanagement. Erich Schmidt Verlag: Berlin. 80 INQA ist ein Bündnis aus Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Stiftungen und Unternehmen, die Verantwortung für die Gestaltung der Arbeitswelt in Deutschland tragen und die Förderung einer neuen Qualität der Arbeit als eine wichtige Aufgabe zur Sicherung der Wettbewerbs-fähigkeit der Unternehmen ansehen. Ziel ist es, ein modernes und ganzheitliches Verständnis von „Gesundheit – Arbeit – Wettbewerbsfähigkeit“ in der Öffentlichkeit zu verankern und in den Betrieben umzusetzen. 81 Hier bezieht sich der Interview-Partner auf die vom russischen Wissenschaftler Nikolai Kondratjew entwickelte Theorie der zyklischen Wirtschaftsentwicklung. 82 Vgl. Händeler, E. (2004): Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen (Kondratieffs Globalsicht). Verlag Brendow.

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Ökonomische Aspekte der BGF

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steht die schlechte Motivationslage der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Einstellung zur Ar-beit. Jüngste Umfragen (u.a. Infratest in Zusammenarbeit mit der BAuA) belegen, dass ein Großteil der Belegschaft „aktiv unengagiert“ sei. Hinzu komme der allgemeine Bewe-gungsmangel, der die Ursache für vielerlei gesundheitliche Beschwerden sei, die auch die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken. Künftig würden sich die Unternehmen erfolgreich am Markt behaupten, die diesen negativen Entwicklungen mit Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements entgegentreten.

Schlussfolgerung: Oberste Priorität besitzt die Implementierung und Umsetzung des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Diese spielt eine wichtige Rolle, u.a. wenn es um die Verbesserung der Arbeitsmotivation in den Unternehmen geht. Dies ist auf jeden Fall die Bedingung dafür, dass man sich überhaupt mit dessen ökonomischen Auswir-kungen auseinandersetzen kann.

3. Welche Anmerkungen haben Sie zu dem 5-Stufen-Modell?

Antwort: Insgesamt sei die Darstellung vollständig. Es würden alle gängigen Instrumente der ökonomischen Evaluation erfasst. Das Kapitel „Wirkungsketten“ erscheint allerdings zu weit hinten im Modell angesiedelt. Weiterhin sieht Herr Dr. Thiehoff die Darstellung in Form von Stufen als einen Kategoriefehler. Es handele sich nicht um Stufen, da sie je-weils verschiedenen Kategorien zugehörten, sondern um eine Prozessdarstellung.

Schlussfolgerung: Die Darstellung des Modells in Form von Stufen bzw. als Prozess ist insofern nicht ausschlaggebend, als dass das Unternehmen selbst entscheiden kann, bei welcher Stufe es bei der Umsetzung einsteigt bzw. welche Stufe mit welcher Intensität realisiert werden soll.

5.4 Umsetzung des 5-Stufen-Modells Durch die Kooperation des iqpr mit dem MediClub83 bei der Konzeption und Auswertung einer Unternehmensbefragung zur BGF ergab sich die Gelegenheit, Teile des 5-Stufen-Modells in der Praxis anzuwenden. Als günstig erwies sich die Tatsache, dass der MediClub bereits in einer zweiten Projektphase Maßnahmen der BGF in dem an dieser Stelle nicht genannten Unternehmen durchführte. Während es sich in einer ersten Phase ausschließlich um die Erbringung von Gesundheitsleistungen handelte, sollte in der zweiten Phase der Aspekt der Wirtschaftlichkeit Berücksichtigung finden. Hierzu erging eine Anfrage an das iqpr.

Da eine komplette Umsetzung von Beginn an als unrealistisch eingeschätzt wurde, konzent-rierte man sich auf die beiden ersten Stufen des Modells. Als Ausgangspunkt dienten die Ziele des Mitarbeiterprogramms:

a) Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Gesundheit) b) Verbesserung der Leistungsbereitschaft (Motivation)

83 Der MediClub bietet Leistungen zur Verbesserung von Gesundheit, Motivation und Produktivität in Unternehmen.

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Ökonomische Aspekte der BGF

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Die Ziele wurden in einem ersten Schritt von Seiten des iqpr operationalisiert. Zu a) wurden dem MediClub folgende Parameter vorgeschlagen:

- Fehlzeiten (Entwicklung der letzten Jahre, Entwicklung im Jahresverlauf, Fehlzeitendauer in Tagen, Fehlzeiten nach Altersstruktur, Fehlzeitendauer in Bezug zur Altersstruktur)

- Altersstruktur - Krankheitsbilder (in Verbindung mit der Altersstruktur) - Krankheitsbedingte Fluktuation - Verbesserung der Befindlichkeit durch Maßnahmen - Verbesserung medizinischer Parameter durch Maßnahmen

Zu b) wurden Kennzahlen zusammengestellt, die eine Analyse der Produktivität zulassen sollen und in mehrere Bereiche eingeteilt werden können.

Leistung pro Mitarbeiter und Zeitbedarf pro Leistungseinheit (unbewertete Größen)

- Durchlauf pro Mitarbeiter in der Sachbearbeitung - Kunden pro Außendienstmitarbeiter - Abschlüsse pro Außendienstmitarbeiter - Zeit für die Ausführung einer bestimmten Verrichtung - Anzahl der Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter (betriebliches Vorschlagswesen)

Bewertete Leistungen pro Mitarbeiter

- Umsatz pro Mitarbeiter und Jahr - Umsatz pro Mitarbeiterstunde

Bewerteter Personaleinsatz und bewertete Leistungen

- Anteil der Personalkosten am Umsatz in % - Anteil der Personalkosten an der Wertschöpfung bzw. an anderen Erfolgsgrößen - Anteil der Personalkosten an der Bilanzsumme

Analyse primär „sozialer“ Tatbestände

- Mitarbeiterzufriedenheit - Betriebsklima - Betriebszugehörigkeit

Analyse Personalaufwand

- Durchschnittlicher Personalaufwand (Gehälter, Löhne, Sozialaufwand einschl. BGF) - Kapitaleinsatz je Arbeitnehmer

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Ökonomische Aspekte der BGF

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Analyse Absatzstruktur und Umsatzbeurteilung

- Angebotserfolg - Umsatzstruktur - Umsatzentwicklung

5.4.1 1. Stufe: Lebensweltspezifische Erfahrungen Der Schwerpunkt des Mitarbeiterprogramms lag bei Maßnahmen für den Rücken. Daher wurde vom iqpr eine Auswertung von Studien bzgl. der Parameter, mit denen die Effekte der Intervention gemessen wurden, vorgenommen. Die Tabelle 6 gibt einen Überblick über die in den Studien verwendeten Parameter.

Tabelle 6 Auswertung von Studien zu Rückeninterventionen 1. Mobilitätsmessung durch 3D-Aufzeichnung mit klinischen Parametern (allgemein sind Daten,

die die Mobilität beschreiben, nur eingeschränkt zu verwenden, da Mobilität mit Haltung, Be-schwerden oder pathologischen Befunden nicht sicher korreliert ist).

- Maße nach Schober und Ott

- Seitneige nach Debrunner

- Finger-Boden-Abstand

- Winkelmaße der HWS-Beweglichkeit

- Neutral-Null-Methode

2. Methode von QUEITSCH in Anlehnung an das Verfahren nach JANDA

Testbeschreibung:

a. Bauchmuskulatur: Ausgangsstellung: Rückenlage, Beine angestellt, Arme überkreuzt vor der Brust. Bewegungen: gleichmäßige Flexion der HWS im vollen Ausmaß der Bewegung und Anheben des oberen Schulterblattrandes von der Unterlage. Bewertung: Wiederholungszahl in 30 Sekunden.

b. Rückenmuskulatur: Ausgangsstellung: Bauchlage, seitlich gehaltene, angewinkelte Arme (90° ). Bewegung: Retroflexion der Wirbelsäule. Bewertung: Zeit ohne Veränderung der Endposition der Retroflexion (in Sekunden). Mit größerem Aufwand verbunden sind apparative Verfahren, insbesondere das Elektromyogramm (EMG).

3. Häufigkeit von Rückenschmerzen. Fragestellung im Bundesgesundheitssurvey 1998:

- „Hatten Sie in den vergangenen 12 Monaten Rückenschmerzen?“

- „Hatten Sie diese Schmerzen während der vergangenen 7 Tage?“

4. Selbstaufschreibung aller Tage mit Rückenschmerzen auf der Graphic Rating Scale (GRS 2)

5. SF-36 (körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen, allgemeine Gesundheit, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, psychisches Wohlbefinden, emo-tionale Rollenfunktion)

6. Chronifizierung von Schmerzen ermitteln durch höhere AU-Häufigkeit nach einer längeren Fehlzeit

7. BMI

8. Kardiovaskuläre Fitness

9. Abdominal strength

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Ökonomische Aspekte der BGF

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10. Duration of low back pain

11. No. of low back pain episodes during 3 yrs

12. N. of days of sick leave due to low back pain

13. Job satisfaction

14. Kenntnisse über wirbelsäulengerechtes Verhalten

15. Schmerzintensität anhand einer Analogskala

16. Erfragen des Analgetikaverbrauchs

17. Spinale Mobilität

18. Häufigkeit der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens

19. Beeinträchtigung der Teilnehmer in den ATL

20. Skalen zur Erfassung der Lebensqualität (SEL) von Averbeck, Leiberich, Grote-Kusch, Olbrich, Schröder, Brieger & Schumacher (1997)

21. Fragebogen zur Erfassung des Gesundheitsverhaltens (FEG) von Dlugosch und Krieger (1995)

22. mehrdimensionaler Befindlichkeitsfragebogen (MDBF) von Steyer, Schwenkmezger, Notz und Eid (1997)

23. Fragebogen zur Erhebung von Kontrollüberzeugung zu Krankheit und Gesundheit (KKH) von Lohaus und Schmitt (1989)

24. Fragebogen zur Lebensqualität (WHO-QOL) von Angermeyer, Kilian und Matschinger (2000)

25. sportbezogene Verhaltensstadien (vgl. Fuchs, 1997; Marcus, Rossi, Selby, Niaura & Abrams, 1992; Proschaska & DiClemente, 1986; Schmid, Keller, Jäkle, Baum & Basler, 1999)

26. Psychosoziale Messinstrumente

- Back Beliefs Questionnaire

- Fear-avoidance beliefs questionnaire

- Roland and Morris Disability Questionnaire

- Pain Locus of Control Questionary

5.4.2 2. Stufe: Kennzahlengenerierung Während mehrerer Arbeitskreissitzungen mit Vertretern des MediClub und der Controlling-Abteilung des Unternehmens wurde diskutiert, welche Kennzahlen mit welcher Differenzie-rung zur ökonomischen Evaluation des Mitarbeiterprogramms generiert werden sollen. Aus vier Bereichen standen Kennzahlen zur Verfügung bzw. konnten mit einem vertretbaren Aufwand gewonnen werden:

a) Daten, die der MediClub im Rahmen des Mitarbeiterprogramms erhoben hat b) Daten, die das Unternehmen erhebt c) GKV-Daten

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Ökonomische Aspekte der BGF

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a) Daten, die der MediClub im Rahmen des Mitarbeiterprogramms erhoben hat

Folgende gesundheitsrelevante Daten wurden zu Beginn und zum Ende der Maßnahmen erhoben:

- Messdaten von Gesundheitstests o Rückenscreening o CardioScan o BMI

- Befragungsergebnisse zur Resonanz und Akzeptanz der Maßnahmen o Teilnehmerzahlen und Nutzerquoten o Bekanntheitsgrad o Zufriedenheit bzgl. der Durchführung/der Ergebnisse

b) Daten, die das Unternehmen erhebt

- Mitarbeiterbefragung

Parallel zum Mitarbeiterprogramm, aber davon grundsätzlich unabhängig, wurde im Herbst 2005 eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Die Items des Fragebogens lagen bereits fest, jedoch konnten noch zusätzlich zwei gesundheitsrelevante Fragestellungen integriert werden:

o Ich fühle mich an meinem Arbeitsplatz wohl. o Ich nutze Möglichkeiten, mich auch bei der Arbeit gesund und fit zu halten.

- Sozialdaten (rückwirkend ab 2003)

Tabelle 7 Basisdaten weiblich männlich insgesamt

Anzahl der Mitarbeiter (gesamt)

Schwerbehinderte Mitarbeiter

Auszubildende

Teilzeitkräfte

Vollzeitkräfte

Ø Betriebszugehörigkeit in Jahren Ø Altersdurchschnitt in Jahren

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Ökonomische Aspekte der BGF

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Tabelle 8 Altersstruktur Altersstruktur Teilzeit Vollzeit Bis 20 Jahre 21 – 30 Jahre 31 – 40 Jahre 41 – 50 Jahre 51 – 60 Jahre ≥ 61 Jahre

Altersstruktur gesamt Tabelle 9 Fluktuation

Fluktuationsrate Angabe in % Natürliche Fluktuation

Kündigung durch Arbeitnehmer Kündigung durch Arbeitgeber

Einvernehmliche Vertragsaufhebung Vertragsablauf, Ablauf 65. Lebensjahr, Rente

Fluktuation unternehmensintern Fluktuation insgesamt

- Fehlzeitenanalyse (rückwirkend ab 2003)

Tabelle 10 Fehlzeitenquote Fehlzeitenquote 2003 2004 2005

Krankheit gesamt

Fehlzeiten gesamt

Tabelle 11 Fehlzeitenverlauf Fehlzeitenverlauf Krankheit gesamt Fehlzeiten gesamt

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

Tabelle 12 Verteilung der Fehlzeitenepisoden

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Ökonomische Aspekte der BGF

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Fehlzeiten 2003 2004 2005 Fehltage bis 42 Tage

Fehlzeiten über 42 Tage

Weitere Differenzierungen erfolgen hinsichtlich:

- Fehlzeitenquote Innendienst/Außendienst - Fehlzeitenquote Teil-/Vollzeit - Fehlzeitenquote Frauen/Männer - Fehlzeitenquote befristete/unbefristete Verträge bzw. Auszubildende

c) GKV-Daten

Ergänzend zu den unternehmensinternen Daten wird ein Gesundheitsbericht seitens der Betriebskrankenkasse erstellt. Es werden repräsentative Daten gewonnen werden können, da ca. ein Drittel der Mitarbeiter am Hauptstandort versichert ist. Weiterhin werden die Fehlzeiten nach der ICD-10 aufgeschlüsselt und im Hinblick auf die Fehlzeitenepisoden stärker untergliedert werden können.

5.4.3 Fazit Die Tabelle 13 stellt einen Abgleich von vorgeschlagenen und gewonnenen Kennzahlen und Daten zur ökonomischen Evaluation der BGF des Unternehmens dar.

Tabelle 13 Übersicht vorgeschlagene und erhobene Kennzahlen/Daten vorgeschlagene Kennzahl/Daten erhoben durch

a) Verbesserung der Leistungsfähigkeit

Fehlzeiten √ Fehlzeitenanalyse

Altersstruktur √ Sozialdaten

Krankheitsbilder (in Verbindung mit der Altersstruktur)

√ Gesundheitsbericht

Krankheitsbedingte Fluktuation (√) Nur Fluktuation durch Sozialdaten

Verbesserung der Befindlichkeit durch Maßnahmen

√ Befragungsergebnisse zur Resonanz und Akzeptanz der Maßnahmen

Verbesserung medizinischer Parameter durch Maßnahmen

√ Messdaten von Gesundheitstests

b) Verbesserung der Leistungsbereitschaft

Durchlauf pro Mitarbeiter im der Sachbear-beitung

-

Kunden pro Außendienstmitarbeiter -

Abschlüsse pro Außendienstmitarbeiter -

Zeit für die Ausführung einer bestimmten Verrichtung

-

Anzahl der Verbesserungsvorschläge pro -

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Ökonomische Aspekte der BGF

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Mitarbeiter Umsatz pro Mitarbeiter und Jahr -

Umsatz pro Mitarbeiterstunde -

Anteil der Personalkosten am Umsatz in % -

Anteil der Personalkosten an der Wert-schöpfung bzw. an anderen Erfolgsgrößen

-

Anteil der Personalkosten an der Bilanz-summe

-

Mitarbeiterzufriedenheit √ BGF-unabhängige Mitarbeiterbefra-gung

Betriebsklima √ BGF-unabhängige Mitarbeiterbefra-gung

Betriebszugehörigkeit √ Sozialdaten

Durchschnittlicher Personalaufwand -

Kapitaleinsatz je Arbeitnehmer -

Angebotserfolg -

Umsatzstruktur -

Umsatzentwicklung -

Die empfohlenen Kennzahlen und Daten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Ziel Gesundheit) werden vollständig erhoben. Anders sieht es bei der Verbesserung der Leis-tungsbereitschaft (Ziel Motivation) aus. Hier werden nur Informationen über die Mitarbeiter-zufriedenheit, über das Betriebsklima und die Betriebszugehörigkeit durch die unabhängig von der Gesundheitsinitiative durchgeführte Mitarbeiterbefragung und durch die Sozialdaten gewonnen. Das muss allerdings nicht heißen, dass dem Unternehmen keine diesbezügli-chen Daten vorliegen. Zusammengefasst kann jedoch von einer umfangreichen Datensamm-lung ausgegangen werden, auf deren Grundlage komplexere Analysen der ökonomischen Evaluation durchgeführt werden können.

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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6 Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsför-derung

Dr. Holger Wellmann

6.1 Ausgangssituation Die Bedeutung des Themas QS wird von mehreren Seiten hervorgehoben. Auf Seiten der Wissenschaft wird bemängelt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bezüglich der Evidenz, QS und der Evaluation von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung noch nicht weit entwickelt ist. Stellvertretend kann angeführt werden, dass es zwar im medizinischen Versorgungssystem seit der Gesundheitsreform von 2004 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gibt. Ein Pendant auf Bundesebene, das mit der Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung beauftragt ist, existiert derzeit noch nicht. Die gesundheitspolitische Gesetzgebung schreibt jedoch immer stärker eine qualitätsgesicherte Leistungserbringung vor. Die Ausführungen zur Qualitätssicherung im – letztlich gescheiterten – Entwurf eines Präventionsgesetzes sind nur ein Beleg hierfür. Die Krankenkassen haben diesen Auftrag in ihrem Leitfaden zur Umsetzung von § 20 SGB IX84 übernommen und präzisiert.

Dass QS nicht nur ein theoretisches Gedankengerüst ist, sondern tatsächlich Niederschlag in der Praxis findet, belegen die Zahlen des Präventionsberichts der Krankenkassen85. Dieser Präventionsbericht liefert einen Überblick darüber, welche Leistungen in der Präventi-on und BGF von der GKV erbracht worden sind (z.B. Kurs- und Seminarangebote in den Lebenswelten, Methoden zur Ermittlung des Handlungsbedarfs, Einbindung von fachlich-sachlichen Ressourcen externer Kooperationspartner, Aussagen über Erfolgskontrollen). Während im Berichtsjahr 2003 lediglich ein Drittel der Unternehmen bestätigen, dass sie Erfolgskontrollen von Maßnahmen der BGF durchführen, hat sich der Prozentsatz für das Berichtsjahr 2004 auf fast 60% erhöht. Weitere 20% der Unternehmen planen, eine Erfolgs-kontrolle durchzuführen.

Diese Zahlen scheinen auf den ersten Blick dem folgenden Zitat zu widersprechen, in dem nicht der Mangel an Instrumenten, sondern vielmehr die Motivation und Bereitschaft zu deren Einsatz kritisiert wird:

„Es besteht (...) kaum ein Mangel an geeigneten Konzepten, Begriffen und Instrumenten der Qualitätssicherung. Der Engpass dürfte viel mehr in der Motivation und Bereitschaft der Akteure liegen, diese Instrumente an die Bedingungen der jeweiligen Intervention anzupas-

84 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen (2000). Gemeinsame und einheitli-che Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 und 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 10. Februar 2006. 85 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS) (2006): Dokumentation 2004 Leistungen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V.

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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sen, sowie in den Ressourcen, die zur Durchführung einer angemessenen Qualitätssiche-rung erforderlich sind (...).“86

Bei genauerer Betrachtung des Präventionsberichtes der Krankenkassen wird ersichtlich, dass die Erfolgskontrolle meistens nur einen kleinen Teil dessen einbezieht, was überprüft werden könnte. Die Zufriedenheit mit der Intervention bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird noch in ca. 64% bzw. 56% der Fälle erfragt. Die Überprüfung mehrerer Bereiche gleichzeitig unterbleibt dagegen meistens. Am häufigsten, jedoch nur in 25%, wird die Kombination „Verbesserung des Krankenstandes“, „Akzeptanz bei Zielgruppen, Inanspruch-nahme“ und „Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Intervention“ kontrolliert. Wenn Quali-tätssicherung also umfassend – wie im folgenden Modell dargestellt – betrieben werden soll, erscheint das obige Zitat wieder zutreffend.

6.2 Begriffsabgrenzung Wegen der Vielfalt von Begrifflichkeiten erscheint es angemessen, sie in einem ersten Schritt voneinander abzugrenzen.

Die Evaluation beschreibt die systematische Informationssammlung von Projekten, um sie zu bewerten87. Ziel der Evaluation ist es, die Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Kosten-Nutzen-Verhältnis) von Programmen zu überprüfen. Der Königsweg der Evaluation ist der der randomisierten, kontrollierten Studie. Diese stellt allerdings in dem Setting der BGF eher die Ausnahme dar. Die Gründe liegen darin, dass die Zielgrößen der Gesundheitsförderung schwierig zu messen sind, die Gesundheitsförderung die Gesundheitsdeterminanten – nicht jedoch die Gesundheit selbst – beeinflusst und sie einen langfristigen komplexen Prozess in Gang setzt88.

Der Begriff der Qualität ist abhängig von der Perspektive. Drei Perspektiven sollten bei Maßnahmen der BGF eingenommen werden: Erstens die Perspektive der wirtschaftlichen Verantwortlichkeit. Der Anspruch, dass sich BGF im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Volkswirtschaft auszahlt, muss für jedes einzelne Projekt belegt werden. Erst bei positiver Kosten-Nutzen-Relation kann unter dieser Perspektive von Qualität ausgegangen werden. Diese Perspektive kommt dem Ziel der Evaluation sehr nahe, Effektivität und Effizienz von Programmen zu belegen. Die zweite Perspektive nimmt die Sicht der Kunden – also der Belegschaft – ein. Wenn die Maßnahmen der BGF dort positiv wahr- und angenommen werden, kann hier von Qualität gesprochen werden. Drittens gilt es, die BGF-Expertensicht zu integrieren. Durch ihre Auseinanderset-zung mit dem Thema haben sie Wissen und Vorstellungen darüber entwickelt, wie die

86 Rosenbrock, R. (2004): Qualitätssicherung und Evidenzbasierung – Herausforderungen und Chancen für die Gesundheitsförderung. In: Luber, E.; Geene, R. (Hrsg.): Qualitätssicherung und Evidenzbasierung in der Gesundheitsförderung. Wer weiß, was gut ist. Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, BürgerInnen? S. 68. 87 Christiansen, G. (1999): Evaluation – ein Instrument zur Qualitätssicherung in der Gesundheitsför-derung. Forschung und Praxis in der Gesundheitsförderung Bd. 8. Köln: BZgA. 88 Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (2006): Prävention und Gesundheitsförderung. Bonn.

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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allgemeinen Ansprüche einer qualitätsgesicherten BGF auf das einzelne Unternehmen zu konkretisieren sind.

Die Qualitätssicherung erstreckt sich demnach nicht nur auf die Bewertung der Ergebnisse, sondern schließt den gesamten Prozess der BGF ein, angefangen von der Implementierung, über die Durchführung der Maßnahmen bis hin zur Auswertung. Entsprechend wird auch von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gesprochen. Teilweise wird sogar von einer Erweiterung dieser Qualitätsdimensionen um die Assessmentqualität ausgegangen (Vierte Dimension, die folgende Fragen beantworten soll: Wird die Intervention überhaupt benötigt? Wie ist die Intervention theoretisch verankert? Welche Erfahrungswerte gibt es aus anderen Maßnahmen? Rahmenbedingungen politischer, kultureller und rechtlicher Art)89.

Die Evidenz umfasst das gesammelte Erfahrungswissen aus bereits abgeschlossenen Studien. Diese Evidenz wird bei der Strategieformulierung neuer BGF-Konzepte bzw. einzelner BGF-Angebote verwendet. Als Beschreibung des „State oft the art“ gilt sie als Messlatte, ob z.B. Einzelangebote oder Gesamtkonzepte der BGF von der Krankenkasse finanziert werden. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wird in Deutschland erst damit begonnen90, die Evidenz der BGF systematisch zu erfassen.

6.3 iqpr-Konzeption zur Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

Um die iqpr-Konzeption zur QS zu verstehen, muss das iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BMG) erläutert werden. Vorangestellt sei die Integration der Prinzipien zur Verhinderung von Erwerbsminderung aus dem PRVE-Projekt91. Durch diese Prinzipien soll dort der Bogen gespannt werden zu der Teilhabe-Orientierung, wie sie durch die ICF vorgegeben ist. Die Übertragbarkeit der Prinzipien auf die QS der BGF gelingt nicht vollständig, da es sich um einen anderen Kontext handelt, der nicht auf ein einzelnes Individuum, sondern auf ein System/eine Konzeption abstellt. Dennoch können einzelne Prinzipien übertragen werden.

Frühzeitigkeit: Im PRVE-Bericht war hiermit die frühzeitige Identifikation von physischen Risikofaktoren und psycho-sozialen Erschwernissen gemeint. In diesem Zusammenhang kann Frühzeitigkeit so verstanden werden, dass, sobald das Thema BGF im Unternehmen diskutiert wird, auch deren QS mitgedacht wird.

Nahtlosigkeit und Nachhaltigkeit: Insbesondere die Nachhaltigkeit ist bei der QS der BGF ein ausschlaggebender Faktor. Erstens ist damit gemeint, dass QS kein einmaliges Geschehen, sondern ein kontinuierlicher Prozess sein sollte. Zweitens wird Nachhaltigkeit dahingehend 89 Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (2006): Prävention und Gesundheitsförderung. Bonn. 90 Als ein erster Schritt können die Präventionsberichte der Krankenkassen in Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden des Medizinischen Dienstes angeführt werden. 91 iqpr (Hrsg.) (2004): Prävention und Rehabilitation zur Verhinderung von Erwerbsminderung. Köln.

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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verstanden, dass die QS keinen Selbstzweck darstellt, sondern dass aufgrund der QS Anpassungen und Optimierungen der BGF erfolgen.

Selbstbestimmung und Dialogorientierung: Gerade die Dialogorientierung muss auch bei der QS der BGF genügend Raum finden. Ohne die Kommunikation zwischen den an der BGF Beteiligten werden kein Konsens und keine gemeinsam getragene Vorgehensweise gefun-den werden können.

Ressourcenorientierung: Das Prinzip der Ressourcenorientierung kann in diesem Kontext so verstanden werden, dass die QS nicht als Kontroll- und Gängelsystem betrachtet wird. Natürlich ist mit der Durchführung der QS immer auch das Aufzeigen von bisher nur subop-timal ablaufenden Strukturen, Prozessen und Ergebnissen verbunden. Im Zentrum aller Bemühungen sollte jedoch immer die Frage stehen, welche Ressourcen genutzt oder geschaffen werden können, um eine sukzessive Verbesserung der BGF zu erreichen.

Das iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements soll veranschaulichen, wie das Thema Gesundheit in einem Unternehmen zu verankern ist. Damit beinhaltet das Modell eine Strukturkomponente. Gleichzeitig liegen dem Modell Vorstellungen über den zeitlichen Ablauf zugrunde. In der Regel wird es ratsam sein, der Implementation/Umsetzung eine Problemdefinition und Strategieformulierung voranzustellen. Diese Zeitkomponente ist allerdings ebenso wenig wie die Strukturkomponente in der Art zu verallgemeinern, dass BGM nur so erfolgreich gestaltet werden kann. Es kommt darauf an, dass durch einen Akteur im Unternehmen das Thema Gesundheit auf die Agenda gesetzt wird und dass an einer Stelle mit der Umsetzung des Modells begonnen wird. Im Einzelnen setzt sich das BGM-Haus wie in Abbildung 7 dargestellt zusammen:

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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Abbildung 7 iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements

Betriebliche Gesundheitspolitik: Abhängig von den im Unternehmen herrschenden Werten und Einstellungen ist die betriebliche Gesundheitspolitik bereits ein Themenfeld, mit dem sich das Unternehmen befasst. Wenn es dies tut, kommt es wesentlich darauf an, dass ein Commitment über die Vision besteht, die das Unternehmen mit dem BGM verfolgt. Aufbau-end auf dieser Vision können Konzepte und Leitbilder erstellt werden.

Planung und Steuerung: Planen und Steuern sind Managementtätigkeiten. Die Einbindung der Begriffe in das Modell soll verdeutlichen, dass das Thema Gesundheit genauso wie alle anderen unternehmensrelevanten Bereiche (z.B. Marketing, Vertrieb, Controlling) den Managementtätigkeiten zuzuordnen ist. Das heißt auch, dass der BGM die notwendigen Ressourcen in materieller und personeller Hinsicht zur Verfügung gestellt werden müssen.

Analyse: Die Analyse der Ist-Situation geht im Allgemeinen der Intervention voran. Klassi-sche Analyseinstrumente sind Mitarbeiterbefragungen, Experteninterviews, Gesundheitszir-kel und die Gefährdungsbeurteilung.

Handlungsfeldbezogene Interventionen: Während die bisherigen Ebenen des BGM-Hauses noch nicht konkrete gesundheitsfördernde Maßnahmen beinhalteten, werden auf dieser Ebene die drei Handlungsfelder angeführt, die Bestandteil eines umfassenden BGM sein sollten. Neben den in der Literatur meistens zitierten Handlungsfeldern der BGF und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zählt das iqpr-Modell ausdrücklich den Bereich des betrieblichen Eingliederungsmanagements dazu. Die Überschneidungen weisen darauf hin,

Betriebliche Gesundheitspolitik Vision, Konzept, Leitbild

Planung und Steuerung

Evaluation & Qualitätssicherung

Analyse

Handlungsfeldbezogene Interventionen

Gesundheits-förderung

Arbeits- und

Gesundheitsschutz

Eingliederung

Betriebliches Gesundheitsmanagement

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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dass die Handlungsfelder keine streng voneinander abgegrenzten Bereiche darstellen, sondern einzelne Maßnahmen durchaus mehreren Handlungsfeldern zugeteilt werden können.

Evaluation und Qualitätssicherung: Die Elemente Evaluation und Qualitätssicherung bilden nicht, wie die grafische Darstellung vermuten lässt, das Ende einer Kette, sondern vielmehr die Basis des BGM-Hauses. Die von dort nach oben führenden Pfeile weisen darauf hin, dass es sich beim BGM wie bei allen anderen Managementprozessen auch um einen ständigen Lern- und Verbesserungsprozess handelt, der Auswirkungen auf alle Ebenen des BGM-Hauses haben kann. So kann z.B. festgestellt werden, dass keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung gestellt worden sind oder dass die Maßnahmen wegen einer nicht ausreichenden Analyse der Ausgangssituation nicht die erhofften Ergebnisse nach sich gezogen haben.

Die iqpr-Konzeption der QS der BGF orientiert sich an diesem Modell. Das bedeutet für die Praxis, dass sich die QS zum einen auf einzelne Ebenen innerhalb des BGM-Hauses beziehen kann. Es werden z.B. mit Hilfe von Checklisten etc. die Bereiche „betriebliche Gesundheitspolitik“ sowie „Planung und Steuerung“ qualitätsgesichert – alle anderen Ebenen bleiben unberücksichtigt. Zum anderen kann das gesamte BGM-Haus einer QS unterzogen werden.

Die folgenden Abschnitte definieren die Ziele und Zielgruppen der QS und stellen Prämissen des Konzeptes auf. Am Anfang stehen einige grundsätzliche Qualitätskriterien, die bei der BGF Beachtung finden sollten.

6.4 Grundsätzliche Qualitätskriterien Die hier dargestellten grundsätzlichen Qualitätskriterien wurden aus einer umfangreichen Literaturrecherche abgeleitet. Sie flankieren die Konzeption und können als generelle Hinweise angesehen werden, wie gut gemachte BGF gelingen kann.

- Die BGF muss im Unternehmen positioniert werden. Da sie auf das Wohlbefinden der Belegschaft abzielt und für bessere Arbeitsbedingungen sorgen soll, sollte sie Gegens-tand der Personalwirtschaftslehre sein.

- Den Aktivitäten der BGF sollte ein theoretisches Konzept (z.B. Belastungs-Beanspruchungsmodell) zugrunde liegen.

- BGF braucht Ziele bzw. eine Zielhierarchie. Bei der Zielsetzung sollte die SMART-Regel (die Ziele sollen spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und terminierbar sein) Verwendung finden.

- BGF darf kein Privileg nur für die dauerhaft anwesende Belegschaft im Unternehmen sein. Zielgruppen der BGF sind auch Auszubildende, Leiharbeiter, Scheinselbständige und andere Beschäftigte in prekären und ungeschützten Arbeitsverhältnissen.

- Die Einteilung in Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gilt auch für die BGF und kann auf das BGM-Haus übertragen werden. Der Bereich „betriebliche Gesundheitspolitik“

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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung

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gehört zur Strukturqualität. Die Ebene „Planung und Steuerung“ beinhaltet sowohl Aspek-te der Struktur- als auch der Prozessqualität. Die „Analyse“ und die „handlungsfeldbezo-genen Interventionen“ sind Bestandteile der Prozessqualität. Die Ergebnisqualität wird durch die „Evaluation und QS“ abgebildet.

- Die Qualitätsbeurteilung sollte nicht nur unternehmensintern erfolgen, sondern durch externe Fachkräfte ergänzt werden.

- Die Dokumentation der QS sollte in einem Qualitätsmanagement-Handbuch vorgenom-men werden.

6.5 Ziele der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheits-förderung

Das iqpr-Modell fokussiert folgende Ziele der QS der BGF:

1. Qualitätsziele definieren und priorisieren

Die Zieldefinition nimmt in der gesundheitspolitischen Debatte einen immer größeren Stellenwert ein. Damit verbindet sich die Frage, welche Leistungen das Gesundheitssystem vorhalten muss, um diese Ziele zu erreichen. Auch im Bereich der BGF besteht eine Reihe von Zielvorstellungen, die zwar alle in eine ähnliche Richtung deuten, jedoch für das einzelne Unternehmen konkretisiert werden müssen.92 Gerade, wenn ein Unternehmen die BGF neu bei sich einführt, werden voraussichtlich zunächst die inhaltlichen Schwerpunkte festgelegt werden, ohne dass die Qualitätsansprüche bis ins Detail ausdifferenziert werden. Letztere genau festzusetzen und zu priorisieren, ist ein Anliegen des QS-Konzeptes. Zwei Fragen stehen dabei im Mittelpunkt:

- Welches Qualitätsniveau soll erreicht werden? - Welcher Bereich des BGM-Hauses soll insbesondere einer QS unterzogen werden?

Bei ausreichenden Vergleichsmöglichkeiten besteht darüber hinaus die Chance eines Benchmarking mit anderen Unternehmen hinsichtlich der Qualitätsziele.

2. Projekt- bzw. Managementplanung unterstützen

Wie unter Punkt 1 erwähnt, werden anfangs die Inhalte der BGF festgelegt und Ressourcen in ihren Aufbau investiert werden müssen. Dies beinhaltet die Organisation innerhalb des Unternehmens ebenso wie die Auswahl geeigneter externer Dienstleistungsanbieter. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch von Beginn an die QS berücksichtigt werden kann. Die Evidenz vorangegangener Projekte kann genutzt werden, um die Projekt- und Manage-mentplanung zu unterstützen. Hilfreich kann dies z.B. bei der Zeitplanung, bei der Planung der erforderlichen Ressourcen und bei der Integration aller Beteiligten sein.

3. Informations- und Kommunikationsprozess initiieren

92 Siehe z.B. den IGA-Report 8, der sich mit der Entwicklung von arbeitsbezogenen Präventionszielen auseinandersetzt.

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BGF soll im besten Fall eine win-win-Situation für das Unternehmen, für die Belegschaft und für die allgemeine Wohlfahrt initiieren. Bis zu diesem Punkt sind eine Reihe von Vorarbeiten zu leisten, die oftmals weniger mit der eigentlichen Organisation als vielmehr mit der Kommunikation innerhalb des Unternehmens zu tun haben. Es gilt, alle Ansprechpartner zum Thema Gesundheit (Betriebsärzte, Fachleute für Arbeitssicherheit, Personalabteilung, Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat, externe Experten wie z.B. Krankenkassen etc.) nicht nur zu informieren, sondern mit ihnen in Austausch zu treten. Die Vorstellungen der verschiedenen Gruppen müssen gesammelt, diskutiert und in eine Zielvorstellung gegossen werden. QS wird nicht nur ein Bestandteil der Diskussion sein, sondern gleichzeitig immer wieder als Aufhänger genutzt werden können, um über BGF im Unternehmen zu reden. Insofern soll das QS-Konzept auch eine Anschubfunktion für die Information und Kommuni-kation bewirken.

4. Ressourcen und Verbesserungspotenziale identifizieren

Hierbei handelt es sich im Grunde genommen um die ureigenste Aufgabe der QS. Sie dient in allererster Linie der Identifizierung von noch nicht optimal gestalteten Strukturen und Prozessen. Zwischen der Definition eines Optimums und der tatsächlich vorgefundenen Qualität wird in der Regel eine Lücke bestehen. Das Aufzeigen dieser Lücken bewirkt z.B. wiederum eine intensivere Kommunikation zwischen den Beteiligten.

Bevor die ersten Maßnahmen die Belegschaft erreichen, vergeht mitunter ein längerer Zeitraum. Ebenso wird ausreichend Zeit einzukalkulieren sein, um die Auswirkungen der BGF beurteilen zu können. Diese Zeitverschiebungen müssen eingeplant werden, um Ressourcen und Verbesserungspotenziale angemessen identifizieren zu können.

5. Kontinuierliche Qualitätsentwicklung garantieren

Wie bereits das BGM-Haus verdeutlicht, ist BGF nicht als eine einmalige, zeitlich befristete Aktion zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um einen Kreislauf. Das bedeutet, dass Ereignisse und Vorkommnisse auf jeder Ebene des BGM-Hauses Auswirkungen auf andere Ebenen ausüben können. Dieses Bedingungsgefüge gilt es unter dem Blickwinkel einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung zu betrachten. Diese kann zum einen aus innerbetrieb-lichen Veränderungen, zum anderen durch das Einfließen neuen Wissens resultieren. Beispielsweise können sich Richtlinien ändern, die als Qualitätskriterium für einzelne Handlungsfelder der BGF verwendet werden.

6.6 Zielgruppen der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Ge-sundheitsförderung

Im vorangegangenen Abschnitt sind bereits wichtige Akteure der BGF angeführt worden. Sie spielen auch eine entscheidende Rolle, wenn es um die QS der BGF geht. Inwiefern sie mit der QS zu tun haben bzw. von ihr profitieren, wird im Folgenden aufgezeigt.

1. Arbeitnehmer

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a. als Begünstigte

Die Arbeitnehmer bzw. die Belegschaft ist die Hauptzielgruppe für die Maßnahmen der BGF. Diese kann weiter aufgeteilt werden, z.B. können spezielle Angebote für Frauen oder Männer, für die älteren Arbeitnehmer, für die Führungskräfte etc. gemacht werden. Erst wenn die Maßnahmen der BGF bei der Belegschaft „ankommen“, kann davon ge-sprochen werden, dass mit der Umsetzung begonnen wurde. Es liegt auf der Hand, dass die Mitarbeiter besonders dann profitieren, wenn die Qualität der Maßnahmen ausrei-chend gesichert ist.

b. als Akteure

Die Belegschaft ist nicht nur Empfänger von Angeboten der BGF. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter ihre wichtigsten Gestalter. Erst wenn sie in den Planungsprozess eingebun-den werden, wird es gelingen, ihren Belangen Nachdruck zu verleihen. Neben der Erfas-sung von objektiven Belastungen wird dadurch die individuelle Beanspruchungskompo-nente integriert.

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2. Arbeitgeber

a. als Auftraggeber

BGF braucht die Unterstützung des Arbeitgebers. In vielen kleinen und mittleren Unter-nehmen (KMU) wird der Arbeitgeber sich sogar selbst um die BGF kümmern (müssen) und sie zur „Chefsache“ erklären. In Großunternehmen wird in der Regel ein Steue-rungsgremium einberufen und vom Arbeitgeber beauftragt. Egal welche Variante – letzt-lich ist der Arbeitgeber für die qualitätsgesicherte Durchführung der BGF verantwortlich. Er muss demnach eine Vorstellung darüber besitzen, welche Qualität erreicht werden soll, wie dies gelingen kann und wo qualitativ hochwertige Angebote eingekauft werden können.

b. für die Akquise von Projektgeldern

Komplexe und langfristige Projekte der BGF werden zum Großteil von den Unternehmen selbst zu finanzieren sein. Genügt die BGF jedoch den von anderen Institutionen aufge-stellten Qualitätsanforderungen, kann den Unternehmen eine finanzielle Unterstützung zukommen. In erster Linie ist an die Finanzierungsmöglichkeiten der Krankenkassen zu erinnern und an Fördertöpfe im Rahmen von Ausschreibungen und Kampagnen. Nach dem im letzten Jahr gescheiterten Entwurf eines Präventionsgesetzes war der Nachweis der Qualität sowohl im Bereich der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention die Grundlage einer finanziellen Förderung. Es ist zu erwarten, dass solche Qualitätsanfor-derungen auch zukünftig eine große Rolle für die Bewilligung von Geldern haben werden.

3. Präventionsdienstleister

a. als Auftragnehmer

Maßnahmen der BGF werden nur im geringen Umfang durch das Unternehmen selbst bereitgestellt werden können. Der Großteil der BGF-Maßnahmen wird extern bei Anbie-tern von Präventionsdienstleistungen eingekauft werden müssen – entweder direkt durch das Unternehmen oder durch die Krankenkassen. Die Angebote werden durch den jewei-ligen Einkäufer auf seine Qualität überprüft werden. Um überhaupt als Anbieter akzeptiert zu werden, aber auch als Grundlage für den langfristigen Unternehmenserfolg, werden sich die Präventionsdienstleister an den Standards der Qualitätsanforderungen auszu-richten haben.

4. Geldgeber

a. als Controller über die zielgerechte Mittelverwendung

Geldgeber (insbesondere Krankenkassen und Ministerien, die Projekt- und Forschungs-gelder zur Verfügung stellen) werden zunehmend überprüfen müssen, ob die bereitge-stellten finanziellen Mittel eine zweckentsprechende effektive und effiziente Verwendung finden. Die Krankenkassen müssen als Verwalter der Versichertenbeiträge darauf ach-

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ten, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V eingehalten wird. Folglich werden ihre Anforderungen an die Qualität und deren Kontrolle immer mehr ausgeweitet93.

5. Gesundheitspolitiker

a. zur politischen Legitimation und Weiterentwicklung der BGF

BGF und Prävention sind derzeit feste Bestandteile des Gesundheitssystems, denen nach Aussage aller im Gesundheitswesen noch mehr Bedeutung und Ressourcen zu-kommen sollten. Trotz dieser Einhelligkeit muss die Prävention sich in Zeiten knapper finanzieller Mittel gegen andere Entwicklungen und Begehrlichkeiten innerhalb des Ge-sundheitssystems und auch sonst im politischen System behaupten. Negative Presse, die schon einmal zum Aus zumindest der gesetzlich geförderten Prävention geführt hat („Bauchtanz finanziert durch Krankenkassen“), gilt es zu vermeiden. Daher brauchen die auf der Politikebene Verantwortlichen „Erfolgsstorys der BGF“, die auf einem qualitätsge-sicherten Fundament beruhen.

Zusammengefasst kann die Interessenlage der einzelnen Akteure an der QS der BGF wie in Abbildung 8 dargestellt in eine Makro-, eine Meso- und eine Mikrodimension unterteilt werden.

Abbildung 8 Interessenlagen an QS der BGF

93 Siehe Leitfaden zu § 20 Abs. 1 und 2 SGB V der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und deren neu entwickelten Instrumente zur Qualitätssicherung.

Makro-Dimension QS der BGF

Gesundheitspolitik

- gesundheitspolitische Legitimation

Meso-Dimension QS der BGF

Präventionsdienstleister und Geldgeber

- als Auftragnehmer - als Controller

Mikro-Dimension QS der BGF

Arbeitnehmer und Arbeitgeber

- als Begünstigte und Akteure - als Auftraggeber und zur Akquise

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6.7 Prämissen Das iqpr-Konzept der QS unterliegt fünf Prämissen, die nachfolgend kurz beschrieben werden.

1. Nutzung vorhandener QS-Leitfäden und Instrumente

Wie in der Ausgangssituation beschrieben, existiert eher kein Mangel an Instrumenten und Methoden der QS, sondern es fehlt an der Bereitschaft, diese einzusetzen. Deswegen baut das QS-Konzept in weiten Teilen auf vorhandenen QS-Leitfäden und Instrumenten auf. Entweder werden sie den einzelnen Ebenen zugeordnet oder sie werden leicht abgewandelt für den iqpr-Leitfaden zur QS verwendet.

2. Modul- und Ebenencharakter

Der Modul- und Ebenencharakter des QS-Konzeptes erklärt sich aus der Konstruktion des BGM-Hauses. Für jede einzelne Ebene können QS-Instrumente gesammelt werden. Dem Anwender bleibt es überlassen, wie viele und welche Ebenen der QS unterzogen werden sollen.

3. Kontinuierliche Systemerweiterung und -aktualisierung

Die Nutzung vorhandener QS-Leitfäden und Instrumente macht eine ständige Aktualisierung und Weiterentwicklung erforderlich. Es handelt sich daher um eine offene Konzeption, die nicht als abgeschlossen gelten kann.

4. Überschaubarer Ressourcenaufwand

Mit diesem Punkt wird der Wirtschaftlichkeitsaspekt der QS angesprochen. Ebenso, wie es die Wirtschaftlichkeit der Wirtschaftlichkeitsberechnung gibt, gilt Gleiches für die QS. Ein überschaubarer Ressourcenaufwand fördert tendenziell die Akzeptanz. Andererseits wird nicht ohne Grund dafür geworben, ausreichend finanzielle Mittel für die QS einzuplanen.

5. Einfache Anwendung durch eingearbeitetes Personal / im Dialog

QS benötigt fachspezifisches Know-how. Es soll aber gleichzeitig nicht zu einem Experten-system werden, zu dem nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand Zugang gefunden werden kann. Das QS-Konzept erhebt daher den Anspruch, dass nach Einweisung die QS im Wesentlichen von eingearbeitetem Personal des Unternehmens durchgeführt werden kann. Dies soll einerseits im Dialog mit außerbetrieblichen Ansprechpartnern/Experten geschehen. Die Dialogorientierung zielt aber auch noch, wie schon angesprochen, darauf ab, das Thema QS im Unternehmen mit allen relevanten Beteiligten zu erörtern.

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6.8 Qualitätssicherung der Ebenen des BGM-Hauses Im Folgenden werden den Ebenen des BGM-Hauses verschiedene, bereits existierende Qualitätssicherungsinstrumente zugeordnet. Dies kann nicht immer exakt vorgenommen werden, da die Instrumente ihrer eigenen Logik und Systematik folgen. Die BGM-Ebenen „Betriebliche Gesundheitspolitik“ und „Planung und Steuerung“ wurden zusammengefasst, da die diesbezüglichen Instrumente sich meistens auf beide Bereiche beziehen. Die weiteren Ebenen sind „Analyse“ und „Handlungsfeldbezogene Interventionen“.

6.8.1 Betriebliche Gesundheitspolitik und Planung und Steuerung Die drei ersten vorgestellten Papiere (Ottawa- bzw. Bangkok Charta, Luxemburger Deklara-tion zur Betrieblichen Gesundheitsförderung) sind keine Instrumente im Sinne von Checklis-ten, sondern besitzen Leitliniencharakter. Sie sind im BGM-Haus noch am ehesten der Ebene „Betriebliche Gesundheitspolitik“ zuzuordnen. Die Qualitätskriterien des Europäischen Netzwerks für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENBGF), die Datenbanken von quint-essenz und die Interviews von GeFüGe betreffen beide Ebenen.

Ottawa-Charta: Bereits im Jahr 1986 ist diese Charta mit dem Ziel „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“ verabschiedet worden. Gesundheitsförderung soll danach den Prozess unterstützen, der zu mehr Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit führt. Gesundheit wird als wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens angesehen. Gesundheit als ein positives Konzept betont die individuellen und sozialen Ressourcen für die Gesundheit inklusive der körperlichen Fähigkeiten.

Auch wenn die Ottawa-Charta nicht speziell für den BGF-Sektor geschrieben wurde, ist es doch möglich, dass sich ein Unternehmen in seiner Gesundheitsleitlinie auf dieses Papier beruft und als anzustrebende Zielvorstellung proklamiert. Die dort an die allgemeine Politik gestellten Forderungen (z.B. Gesundheit als sektorübergreifende Aufgabe) müssten auf das einzelne Unternehmen heruntergebrochen werden.

Bangkok-Charta: Im Jahr 2005 ist die Ottawa-Charta in Form der Bangkok-Charta aktuali-siert worden. Die Anpassung war u.a. wegen der raschen und häufig ungünstigen sozialen, ökonomischen und demografischen Veränderungen, welche die Arbeitsbedingungen, das Lernumfeld, Familienstrukturen und den kulturellen und sozialen Aufbau von Gemeinschaf-ten beeinträchtigen, notwendig geworden. Auch diese Charta hat insofern Relevanz für Unternehmen, als die Gesundheitsförderung hier in den Verantwortungsbereich der Unter-nehmensführung gestellt wird. Damit werden die Unternehmen einer von insgesamt vier Schlüsselbereichen der Gesundheitsförderung.

Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (1997): Neben einer Definition der BGF (moderne Unternehmensstrategie, die darauf abzielt, Krankheiten am Arbeitsplatz vorzubeugen, Gesundheitspotenziale zu stärken und das Wohlbefinden zu erhöhen), werden in der Deklaration erstens Faktoren, welche durch BGF beeinflusst werden

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sollen (Unternehmensgrundsätze und -leitlinien, Unternehmenskultur, Arbeitsorganisation, Personalpolitik, integrierter Arbeits- und Gesundheitsschutz) aufgeführt. Zweitens werden Leitlinien genannt, nach denen sich BGF richten sollte (Partizipation, Integration, Projektma-nagement, Ganzheitlichkeit). Weiterhin wird dazu aufgefordert, Leitlinien für eine effektive BGF zu entwickeln.

Qualitätskriterien des ENBGF: Die Qualitätskriterien des ENBGF aus dem Jahr 1999 sind ein Ergebnis der oben genannten Aufforderung, Leitlinien für eine effektive BGF zu entwickeln. Erarbeitet wurde u.a. ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung über den aktuellen Stand der BGF-Aktivitäten innerhalb eines Unternehmens. Der Fragebogen orientiert sich an dem Modell der European Foundation for Quality Management und teilt sich in sechs Bereiche mit insgesamt 27 Fragen auf. Mit Hilfe des Fragebogens soll eine systematische Selbstbewer-tung der BGF-Aktivitäten erreicht werden. Er zeigt Stärken auf, gibt aber auch Hinweise für Verbesserungsmöglichkeiten. Weiterhin dient er der zukünftigen Schwerpunktsetzung und ermöglicht einen Leistungsvergleich mit anderen Unternehmen. Die Bereiche teilen sich wie folgt auf (mit Beispielfragen):

- Unternehmenspolitik: z.B. schriftliche Unternehmensleitlinie zur BGF; Betrieb stellt Ressourcen für die BGF zur Verfügung

- Personalentwicklung und Arbeitsorganisation: z.B. Beteiligung der Mitarbeiter an Planung und Entscheidung; Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

- Planung der BGF: z.B. Konzept als Voraussetzung; Maßnahmen erstrecken sich auf die gesamte Organisation

- Soziale Verantwortung: z.B. Vorkehrungen, mit denen schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt weitestgehend ausgeschlossen werden

- Umsetzung der BGF: z.B. verantwortliche Steuerungsgruppe; systematische Auswertung aller erforderlichen Informationen

- Ergebnisse der BGF: Auswirkungen im Hinblick auf z.B. Kunden- und Mitarbeiterzufrie-denheit; auf Gesundheitsindikatoren und wirtschaftlich relevante Faktoren

Quintessenz: Die Initiative quint-essenz aus der Schweiz richtet sich an Personen, die sich mit der Planung und Durchführung von Projekten der Prävention und Gesundheitsförderung beschäftigen. Die zusammengestellten Qualitätskriterien sind das Ergebnis einer mehrjähri-gen Auseinandersetzung mit Qualitätsfragen im Rahmen von Projektbegleitungen. Sie gliedern sich in verschiedene Bereiche:

- Konzepte der Gesundheitsförderung - Projektbegründung - Projektplanung - Projektorganisation - Projektsteuerung - Wirkungen

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Neben der Bewertung der einzelnen Kriterien ist vor allem hilfreich, dass sie im Hinblick auf ihre zeitliche Relevanz überprüft werden. So kann angegeben werden, ob sich die Kriterien in der Grob- oder der Feinplanung, in der Durchführung oder im Abschluss befinden.

GeFüGe: Bei GeFüGe handelt es sich um ein Modellprojekt, mit dem die Beschäftigungsfä-higkeit – schwerpunktmäßig in KMU – durch eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung verbessert werden soll. Grundannahme ist, dass die BGF eine Aufgabe der Führungskräfte ist. Für sie wurde ein Interview zu betrieblichem Gesundheitsmanagement/-förderung/-schutz entwickelt. Der Fragebogen beinhaltet hauptsächlich zwei Themenkomplexe, in denen es um die derzeitige Ist-Situation und um die angestrebte Soll-Situation geht. Ein dritter Komplex beschäftigt sich mit dem Nutzen und den Anforderungen an das Gesundheitsprojekt. Neben geschlossenen Fragen gibt es eine Reihe von offenen Fragen, die eine Vergleichbarkeit mit anderen Projekten auf den ersten Blick erschweren.

6.8.2 Analyse Zu den gängigen Analyseinstrumenten können u.a. gezählt werden:

Mitarbeiter- und Expertenbefragungen, Gefährdungsbeurteilung, Gesundheitsberichte, Gesundheitszirkel und Fehlzeitenanalysen. Für jedes Instrument liegen in der BGF langjähri-ge Erfahrungen in der Praxis vor, weswegen auf die Darstellung entsprechender Qualitäts-merkmale der Durchführung der einzelnen Instrumente an dieser Stelle verzichtet wird. Stattdessen wird mit dem WELLNESS CHECKPOINT ein Instrument vorgestellt, das insbesondere dem Anspruch auf Einbindung der Belegschaft gerecht wird.

WELLNESS CHECKPOINT: Beim WELLNESS CHECKPOINT handelt es sich um ein aus Kanada stammendes Internet-basiertes Präventionsinstrument. Es soll dem Arbeitgeber einen Überblick über den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter geben. Gleichzeitig werden diese durch das Instrument aufgefordert, mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Es werden Daten zu Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen in beruflicher und privater Umgebung erhoben, nämlich:

- Persönliche Angaben - Ernährungsverhalten - Konsum von Genussmitteln - Freizeitaktivitäten - Verhalten am Arbeitsplatz - Familiäre Vorbelastungen - Vorerkrankungen - Medikation - Umweltbedingungen - Gesundheitsindikatoren

WELLNESS CHECKPOINT kann als ein Instrument der Qualitätssicherung betrachtet werden, da das Unternehmen aufgrund der Datenauswertung Trends und Entwicklungen

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erkennen kann, die auf eine mögliche Gesundheitsbelastung im Unternehmen hindeuten. Darauf aufbauend können Maßnahmen zur Optimierung der gesundheitlichen Situation eingeleitet werden.

6.8.3 Handlungsfeldbezogene Interventionen Die QS der handlungsfeldbezogenen Interventionen (insgesamt zählen hierzu die BGF, der Arbeits- und Gesundheitsschutz und die Eingliederung) kann für den Bereich der BGF auf zwei Ebenen vorgenommen werden.

1. Ebene:

Auf der ersten Ebene soll QS dahingehend stattfinden, dass die Maßnahmen den Anforde-rungen94 des GKV-Leitfadens zur Umsetzung von § 20 SGB V entsprechen. Dieser definiert Präventionsprinzipien, u.a. für die BGF:

1. Arbeitsbedingte körperliche Belastungen:

- Vorbeugung und Reduzierung arbeitsbedingter Belastungen des Bewegungsappara-tes

2. Betriebsverpflegung:

- Gesundheitsgerechte betriebliche Gemeinschaftsverpflegung

3. Psychosoziale Belastungen (Stress):

- Förderung individueller Kompetenzen zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz - Gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung

4. Suchtmittelkonsum:

- Rauchfrei im Betrieb - „Punktnüchternheit" (Null Promille am Arbeitsplatz) bei der Arbeit

Diesen Präventionsprinzipien werden Kriterien zugeteilt (Bedarf, Wirksamkeit, Zielgruppe, Ziel, Inhalt, Methodik und Anbieterqualifikation). Sie dienen der QS der Maßnahmen. So wird beispielsweise für das Präventionsprinzip „Arbeitsbedingte körperliche Belastungen“ von folgendem Bedarf ausgegangen: „Rund 30 % aller Arbeitsunfähigkeitstage treten infolge von Muskel- und Skeletterkrankungen auf, der Schwerpunkt liegt bei den Dorsopathien (ICD M 53.9). Betroffen sind vor allem die Wirtschaftszweige Feinmechanik, Glas-, Stahl-, Gummier-zeugung, Baugewerbe, kommunale Entsorgungsbetriebe, Personennahverkehr, Post und Bahn.“95

94 Insgesamt beschreibt der GKV-Leitfaden Anforderungen an die Anbieter von Gesundheitsförderung, an die Krankenkassen und an die Betriebe. 95 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS) (2006): Dokumentation 2004 Leistungen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V, S. 51.

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2. Ebene:

Obwohl mit dem GKV-Leitfaden schon eine detaillierte Vorgabe existiert, welche Qualitätsan-forderungen den Maßnahmen zugrunde liegen, kann eine weitere Verfeinerung der Ansprü-che vorgenommen werden. Mit diesem Schritt wird sozusagen die Lupe auf eine ganz bestimmte Maßnahme gehalten und überprüft, ob sie nach neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Praxis durchgeführt wird bzw. worden ist.

Beispielsweise könnten sich Interventionen im Handlungsfeld „Betriebsverpflegung“ nach der Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ der Deutschen Adipositas-Gesellschaft richten, sofern ein Bedarf in diesem Bereich ermittelt wurde.

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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management

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7 Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management

Christian Hetzel, Thorsten Flach, Matthias Mozdzanowski

7.1 Ausgangslage Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen dauerhaft zu sichern. Die wichtigsten Gründe liegen im demografischen Wandel und in der wirtschaftlichen Entwicklung: alternde Belegschaften, Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften, Verlängerung der Lebensar-beitszeit, der Wegfall der Altersteilzeit und nicht zuletzt die gesetzliche Forderung nach einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) für länger oder wiederholt kranke Beschäftigte gem. § 84 Abs. 2 SGB IX. Dabei gilt diese Norm keineswegs nur für privatwirt-schaftliche, sondern auch für öffentliche Organisationen einschließlich ihrer beamteten Bediensteten – insofern ist „Unternehmen“ nachfolgend in einem erweiterten Sinne zu verstehen96.

Eine erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen muss sich messen lassen an

• Begrenzung krankheitsbedingter Fehlzeiten und Leistungseinschränkungen, • Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit insbesondere älterer, chronisch kran-

ker und behinderter Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung • Akzeptanz bei den Beschäftigten und • Berücksichtigung von Standards und gesetzlichen Vorgaben.

Einige Großunternehmen widmen sich den Herausforderungen erfolgreich97. Dagegen besteht ein Umsetzungsdefizit in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)98, obwohl gerade sie der Motor wirtschaftlicher Entwicklung sind und fast 60 % der Beschäftigten dort arbeiten99.

Auf der Grundlage eines internationalen Forschungsprogramms zur Wiedereingliederung Behinderter an den Arbeitsplatz100 hat das Internationale Arbeitsamt im Jahre 2001 Richtli-nien zum Umgang mit Behinderungen am Arbeitsplatz formuliert101. In Kanada hat das National Institute of Disability Management and Research (NIDMAR) das sog. Disability 96 Gagel, M. Schian „§ 84 Abs. 2 SGB IX gilt auch für Beamte“ in Diskussionsforum B, Beitrag 3/2007

auf www.iqpr.de. 97 Kaiser H. FILM - Förderung der Integration leistungsgewandelter Mitarbeiter. Bewegungstherapie

und Gesundheitssport DVGS (Hrsg.) 2004; 2: 56-59. Magin J, Schnetter B. Die Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements – erste Erfahrungen aus der Praxis. Pilotprojekt in einem bayerischen Unternehmen. Behindertenrecht 2005; 2: 52-59.

98 Es gilt die KMU-Definition der Europäischen Union: - Mittlere Unternehmen: Mitarbeiter bis 249 und Umsatz bis 50 Mio. € oder Bilanzsumme bis 43 Mio.

€. - Kleine Unternehmen: bis 49 Beschäftigte, Umsatz bis 10 Mio. € oder Bilanzsumme bis 10 Mio. € - Kleinstunternehmen: bis 9 Mitarbeiter, Umsatz oder Bilanzsumme bis 2 Mio. €.

99 KMU sind 99,5 % aller Unternehmen in Deutschland, 55,5 % aller Beschäftigten arbeiten in KMU. Quelle: Statistisches Bundesamt; Sonderauswertung des Unternehmensregister-Systems 95 im Auftrag des IfM Bonn, Wiesbaden 2006, Berechnungen des IfM Bonn.

100 Albrecht M. Weiterbeschäftigung und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern mit Behinderungen: Internationale Entwicklungen im Spiegel einer ILO-Vergleichsstudie. Impulse 1999; 13.

101 Internationales Arbeitsamt (IAA). Umgang mit Behinderung am Arbeitsplatz. 1. Aufl. Genf 2004.

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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management

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Management forciert und praktisch weiterentwickelt102. Die wesentlichen Bausteine dieser Weiterentwicklung sind

• Auditierung und Zertifizierung von Unternehmen nach einem standardisierten Verfah-ren (CBDMA™)

• Ausbildung und Prüfung zum Disability Manager (CDMP™) • internationale Qualitätssicherung und Standardisierung durch das so genannte

IDMSC™ In Deutschland trafen diese Entwicklungen auf das seit Mitte 2001 geltende Recht zur Sicherung der Eingliederung von Beschäftigten. Sie befinden sich inzwischen in der Umset-zung103, zum Stand der Aus- und Weiterbildung inkl. Prüfung siehe www.disability-manager.de und der Auditierung bzw. Zertifizierung siehe www.disability-management.de. Gem. § 84 Abs. 2 SGB IX sind alle Arbeitgeber in Deutschland zu einem „betrieblichen Eingliederungsmanagement“ verpflichtet, wenn Beschäftigte – und zwar alle, nicht nur schwerbehinderte Beschäftigte – länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Als Ziele werden benannt: die Arbeitsunfähigkeit überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorbeugen und den Arbeitsplatz erhalten. Zwingende Voraussetzung für alle Handlungen ist die Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person. Der Arbeitgeber oder sein Beauftragter muss dann Kontakt mit der Interessenvertretung, mit der Servicestelle bzw. dem Integrationsamt und gegebenenfalls mit dem Betriebsarzt aufnehmen. Dabei ist ein transparenter Umgang mit Daten und Dokumentation nötig. Ohne Durchführung eines solchen Eingliederungsmanagements wird künftig eine krankheitsbedingte Kündigung regelmäßig unwirksam sein, ferner werden Schadensersatzforderungen diskutiert (zu juristischen Fragestellungen siehe auch www.iqpr.de > Diskussionsforum).

Der Begriff BEM entspricht der Nomenklatur des deutschen Sozialgesetzbuchs, der Begriff DM ist eine spezifische Ausgestaltung des BEM, sozusagen ein (z.B. in Kanada eingetrage-ner) Markenname. Hinter beiden Begriffen steht das gleiche Ziel: die Entwicklung betriebli-cher Strukturen und Prozesse, die - unter Einbindung der Beteiligten in der Sozialen Sicherung - die dauerhafte Eingliederung (und damit die Nichtausgliederung) von gesund-heitlich eingeschränkten und behinderten Beschäftigten zum Ziel haben und den Beschäftig-ten, dem Unternehmen und der Gesellschaft gleichermaßen zugute kommen. Die wesentli-chen betrieblichen Strukturen und Prozesse betreffen die Festlegung einer Planungs- und Steuerungsinstanz, den Aufbau von Kommunikations- und Informationsstrukturen, mehrstu-fige Analysen zur Problemerkennung, fallbezogene und einzelfallübergreifende Maßnahmen sowie Evaluation. Insgesamt muss eine Unternehmenskultur geschaffen werden, in der Beschäftigte auch trotz gesundheitlicher Einschränkungen ihren Beitrag zu Produktivität und Wirtschaftlichkeit leisten können. 102 National Institute of Disability Management and Research (NIDMAR). Disability Management in the

workplace. A guide to establishing a joint workplace program. 2nd edition, Port Alberni 2003. 103 Mehrhoff F. Ein Konzept zur beruflichen Reintegration von behinderten Menschen. In: Mehrhoff F

(Hrsg). Disability Management. Ein Kursbuch für Unternehmer, Behinderte, Versicherer und Leis-tungserbringer. Strategien zur Integration von behinderten Menschen in das Arbeitsleben. Stuttgart: Gentner Verlag, 2004: 9-19. Braun H, Kuwatsch S. Ansatzpunkte für Disability Management im deutschen System der Hilfen Behinderter. Zentrum für Arbeit und Soziales an der Universität Trier 2000. Kaiser H, Flach T, Greve J, Hetzel C et al. Betriebliches Gesundheitsmanagement. Impulse 2004; 30: 34-41.

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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management

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Die empirische Datenlage ist hinsichtlich Krankenrückkehrgespräche ergiebig104, während zur stufenweisen Wiedereingliederung nur wenige Daten vorliegen105. Erfolgsfaktoren für den Umgang mit leistungsgewandelten und schwerbehinderten Beschäftigten wurden identifiziert, beruhen aber hauptsächlich auf Erfahrungen in Großbetrieben106 oder fokussieren die Perspektive der Sozialleistungsträger107. Die Forschung zur kleinbetrieblichen Arbeitswelt ist auf die Arbeitsbedingungen108 und auf Aktivitäten zur betrieblichen Gesundheitsförderung und den Arbeitsschutz beschränkt109.

Nachfolgend werden zunächst Qualitätskriterien für ein „gutes“ BEM vorgestellt und in Abhängigkeit der Komplexität des Unternehmens differenziert. Anschließend wird speziell auf die Situation von KMU eingegangen und entsprechende Arbeitshilfen werden aufgezeigt. Zuletzt wird das BEM-Audit als eine Möglichkeit der Qualitätssicherung vorgestellt.

104 Pfaff H, Krause H, Kaiser C. Gesund geredet? Praxis, Probleme und Potenziale von Krankenrück-

kehrgesprächen. Berlin: Edition sigma, 2003. 105 Bürger W. Stufenweise Wiedereingliederung nach orthopädischer Rehabilitation – Teilnehmer,

Durchführung, Wirksamkeit und Optimierungsbedarf. Rehabilitation 2004; 43: 152-161. Oertel M, Faßmann H. Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Untersu-chung zur Effektivität der stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach langer schwerer Krankheit. Forschungsbericht Sozialforschung. Band 249, Bonn: 1995.

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7.2 Qualitätskriterien für ein „gutes“ betriebliches Eingliede-rungsmanagement (BEM)

Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können die Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch Prämien oder einen Bonus gem. § 84 Abs. 3 SGB IX fördern. Damit lassen sich Unternehmen motivieren, wirksame Prozesse und Maßnahmen zu installieren - gegen lange Abwesenheiten, Produktivitätseinbußen oder vorzeitiges krank-heitsbedingtes Ausscheiden von Beschäftigten. Aber: wirksames betriebliches Eingliede-rungsmanagement verlangt entsprechende Qualität, und die Vergabe eines Bonus verlangt einen Nachweis von definierten Qualitätskriterien.

In der „Gemeinsame Empfehlung „Prävention nach § 3 SGB IX“ haben sich die Rehabilitati-onsträger die Entwicklung von Bonuskriterien zur Aufgabe gemacht. In § 7 (4) heißt es dazu: „Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter prüfen - auch unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Finanzmittel -, ob durch Prämien oder einen Bonus Arbeitge-bergefördert werden können, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen (§ 84 Abs. 4 SGB IX). Hierzu stimmen sie sich gemeinsam über Voraussetzungen sowie Art und Umfang der Förderung ab.“

Bislang gibt es jedoch keine ins Gewicht fallenden Ansätze von Rehabilitationsträgern und Integrationsämtern110. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfür-sorgestellen (BIH) hat Kriterien für die Gewährung eines eigenen Bonus festgelegt111. Allerdings können davon nur einige wenige Unternehmen im Sinne von „best practice“ profitieren. Ob es jedoch eine Ausrichtung finanzieller Anreize in der Breite – entsprechend der gemeinsamen Empfehlung – geben wird, ist offen und hängt nicht zuletzt von den Gesprächen der Träger unter dem Dach der Bar sowie dem fachlichen Austausch z.B. in der Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVFR) ab.

Der nachfolgende so genannte „Standard des BEM“ will dahingehend als Diskussionsgrund-lage verstanden werden. Der Standard wurde aus dem internationalen Disability Manage-ment-Ansatz heraus an die deutschen Verhältnisse angepasst und ergänzt.

Der Standard

• beschreibt Zielvorgaben an das BEM und damit Qualitätskriterien, die über die Min-destanforderungen unter anderem des § 84 Abs. 2 SGB IX hinausgehen,

• ist kompatibel zu den internationalen Standards des Disability Management,

• ist prozessorientiert,

• ist strukturell an der DIN EN ISO 9001:2000 (Qualitätsmanagement) orientiert,

• integriert das Prinzip der Selbstbestimmung,

• stellt einen Rahmen für BEM unabhängig von Unternehmensgröße und Branche dar,

• ist in der Praxis entwickelt und erprobt worden.

110 Mehrhoff (2006): Betriebliches Eingliederungsmanagement – Erweiterter Präventionsauftrag an

Betriebe. Die BG, 11, S.500-502. 111 Seidel R: § 102 Anhang VI. In: Masuch P. (Hrsg.): Kommentar zum SGB IX. Berlin: Erich Schmidt

Verlag 2006.

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7.2.1 Der Standard des BEM112 Der Standard des BEM beschreibt ein optimales System, im Sinne maximaler Sollgrößen. In der Regel entsprechen reale Systeme dem nicht in Gänze. Er verfolgt einen prozessorien-tierten Ansatz, der die Entwicklung, Verwirklichung und Verbesserung der Wirksamkeit des BEM fördert. Der Standard orientiert sich in seiner Struktur an der DIN EN ISO 9001:2000 und ist daher mit dieser Norm kombinierbar. Eine Nutzung im Rahmen eines integrierten Managementsystems ist demnach möglich.

In Unternehmen mit geringem Eingliederungsbedarf und wenig komplexer Organisation ist eher ein einzelfallorientierter und weniger managementorientierter Ansatz notwendig. Grundsätzlich ist der vorliegende Standard für Unternehmen aller Größenordnungen kompatibel.

Abb. 1: Prozessorientierter Ansatz des Standards für BEM

Nachfolgend ist der Standard in leicht gekürzter Fassung wiedergegeben (Vollversion siehe Anhang: Auditierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements).

112 Der nachfolgende Text wurde in leicht veränderter Fassung veröffentlicht in Flach T, Hetzel C,

Mozdzanowski M (2006): Auditierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Köln: Eigen-verlag iqpr. Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M, Schian HM (2006): Wie lässt sich die Qualität des betrieblichen Eingliederungsmanagements messen? Die BG, 11, 516-519. Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M, Schian HM (2006): Standard des betrieblichen Eingliederungsmanagements und dessen Auditierung. Die Rehabilitation, 45, 316-321.

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I. VERANTWORTUNG DER SOZIALPARTNER I-1 Eingliederungspolitische Grundsätze und Ziele Die Leitung der Organisation legt die eingliederungspolitischen Grundsätze wirksam fest. Die Leitung stellt in Abstimmung mit der Interessenvertretung sicher,

• dass aus der Eingliederungspolitik messbare und terminierte Ziele abgeleitet, festge-legt und umgesetzt werden,

• dass die Zielgruppe des BEM definiert ist, • dass Zielgruppe und Ziele unternehmensweit gelten und • dass die Erfolgskriterien der Eingliederung festgelegt sind.

I-2 Planung des betrieblichen Eingliederungsmanagements Die Leitung der Organisation muss – in Abstimmung mit der Interessenvertretung – zur Planung, Durchführung und Verbesserung des BEM den notwendigen Rahmen schaffen:

• einen Beauftragten für die wesentlichen Prozesse gemäß I – VI bestellen („Disability Manager“),

• auf der Basis der eingliederungspolitischen Grundsätze und Ziele einen Arbeits- und Zeitplan festlegen,

• die wesentlichen Prozesse gemäß I – VI wirksam festlegen („Manual“ – siehe Kap. VI-16) und dabei die relevanten gesetzlichen Vorgaben ermitteln und beachten,

• die erforderlichen Ressourcen ermitteln und bereitstellen (z.B. Festlegung, ob die Umsetzung allein mit internem Personal erfolgen kann oder externer Unterstützung bedarf, Budgetierung) – siehe Kap. II,

• der Organisation die Notwendigkeit des BEM vermitteln – siehe Kap. III-8.

I-3 Sozialpartnerbewertung Die Leitung der Organisation bewertet regelmäßig und gemeinsam mit der Interessenvertretung das BEM (Sozialpartnerbewertung), bei Bedarf unter Beteiligung des Disability Managers/DM-Teams. Einfließen müssen mindestens die wesentlichen Ergebnisse der Analyse (siehe Kap. V-15) und der Umgang mit betrieblichen Änderungen, die sich auf das BEM auswirken könnten. Die Ergebnisse der Sozialpartnerbewertung müssen Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen zur Verbesserung des BEM enthalten.

II. MANAGEMENT VON RESSOURCEN II-4 Disability Manager und DM-Team Der Disability Manager ist der Beauftragte der Sozialpartner zur Planung und Steuerung des BEM. Der Disability Manager verfügt über angemessene Kenntnisse und über angemessene zeitliche und finanzielle Ressourcen; er wird je nach Bedarf und Komplexität der Organisati-on regelmäßig von einem DM-Team unterstützt.

II-5 Beteiligung der Beschäftigten Die Beschäftigten werden an der Durchführung und Verbesserung des BEM angemessen beteiligt. Zur Beteiligung der betroffenen Beschäftigten siehe Kap. IV.

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II-6 Kooperation mit externen Partnern In der fallbezogenen Kooperation mit externen Partnern sollen bereits im Vorfeld Verbindun-gen hergestellt, gehalten und gepflegt werden. Es sind Bewertungen der externen Partner vorzunehmen.

II-7 Infrastruktur Die Organisation hat in allen Bereichen den Bedarf an den Materialien zu ermitteln, die zur Umsetzung des BEM benötigt werden.

III. KOMMUNIKATION III-8 Interne und externe Öffentlichkeitsarbeit Ziel ist es, Bewusstsein und Akzeptanz für das BEM bei Vorgesetzten und Mitarbeitern, bei Bedarf auch bei externen Partnern (Leistungsträger, Leistungserbringer) zu schaffen.

IV. EINGLIEDERUNG IM EINZELFALL IV-9 Identifikation von potenziellen Kandidaten Es ist wirksam festzulegen, mit welchen Methoden potenzielle Kandidaten für das BEM identifiziert werden können. Mögliche Methoden sind z.B. Fehlzeitenanalysen, ereignisbezo-gene Mitarbeitergespräche durch die Vorgesetzten, Routinegespräche, Arbeitsmedizinische Untersuchungen und Altersstrukturanalysen.

IV-10 Kontaktaufnahme Sobald ein potenzieller Kandidat für das BEM identifiziert ist, muss frühzeitig Kontakt mit diesem aufgenommen werden und bei längerer Erkrankung der Kontakt regelmäßig gehalten werden. Wirksam festzulegen sind die Gesprächsthemen und die verantwortliche/n Per-son/en für die Kontaktaufnahme.

IV-11 Erfassung der Ausgangssituation Mit Zustimmung des Betroffenen folgt die Phase „Erfassung der Ausgangssituation“:

a) Die Fähigkeiten des betroffenen Mitarbeiters einschließlich Beschäftigungsprognose sind systematisch zu ermitteln. In einem Gespräch mit dem Beschäftigten ist diesbe-züglich die Selbsteinschätzung zu erfragen. Darüber hinaus ist eine arbeitsmedizini-sche Stellungnahme einzuholen, der Verzicht auf eine ärztliche Stellungnahme ist zu begründen.

b) Potenzielle Eingliederungsmöglichkeiten einschließlich Tätigkeitsanforderungen sind systematisch und unternehmensweit zu ermitteln, z.B. den bestehenden Arbeitsplatz umgestalten, technische Hilfsmittel einsetzen, Teilzeit z.B. im Rahmen der stufenwei-sen Wiedereingliederung, auf einen anderen Arbeitsplatz umsetzen, einen neuen Ar-beitsplatz schaffen, Trainings- oder Rehabilitationsmaßnahmen anregen.

erteilt der Beschäftigte im Falle des § 84 Abs. 2 SGB IX seine Zustimmung, ist dies zu dokumentieren. Dies gilt auch für das weitere Vorgehen.

IV-12 Planung der Maßnahmen In der Phase „Planung der Maßnahmen“ entscheiden die relevanten Akteure (i.d.R. das DM-Team) unter Beteiligung des Betroffenen über die Umsetzung der Eingliederungsmöglichkei-ten. Besteht Beratungs- und Unterstützungsbedarf hinsichtlich Leistungen zur Teilhabe am

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Arbeitsleben, stellt der Disability Manager sicher, dass die Sozialleistungsträger frühzeitig eingebunden werden. Es sind Aufzeichnungen zu führen, das Planungsergebnis ist schrift-lich festzuhalten (Eingliederungsplan).

IV-13 Durchführung der Maßnahmen Vor Maßnahmebeginn ist der direkte Vorgesetzte über das geplante Vorgehen zu informie-ren. Die Durchführung der Maßnahmen und deren Monitoring erfolgt gemäß dem Eingliede-rungsplan. Auftretende Schwierigkeiten werden zunächst vom direkten Vorgesetzten angegangen. Bei Bedarf wird dann der Disability Manager eingeschaltet, der dann weitere Schritte zur Problemlösung (z.B. Arzt einschalten) einleitet. Aufzeichnungen sind zu führen.

IV-14 Bewertung von Prozess und Ergebnis Am Ende der Eingliederung werden Prozess und Ergebnis vom betroffenen Beschäftigten, dessen Vorgesetzten und dem DM-Team kritisch bewertet, um Verbesserungspotenziale zu erkennen. Aufzeichnungen sind zu führen.

V. ANALYSE UND BEWERTUNG V-15 Analyse und Programmbewertung Die Organisation muss das BEM regelmäßig in Analyse- und Verbesserungsprozesse integrieren. Für die Analyse sind Erhebungsmethoden einschließlich des Erhebungszyklus festzulegen. Mindestens folgende Parameter werden analysiert:

• Wirksamkeit der eingliederungsrelevanten Prozesse aus Sicht der betroffenen Be-schäftigten und der beteiligten Vorgesetzten (siehe Kap. V-14)

• Wirksamkeit und Effizienz des BEM • Bei Bedarf die Qualität externer Leistungserbringer

Der Disability Manager stellt sicher, dass aus der Analyse Korrektur- und Vorbeugungsmaß-nahmen abgeleitet werden. Der Disability Manager trägt Verantwortung dafür, dass die Sozialpartner bei der Bewertung des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Ergeb-nisse der Analyse mit einbeziehen.

VI. DOKUMENTATIONSANFORDERUNGEN Die Schritte I-VI sind hinsichtlich der wesentlichen Abläufe, Verfahren, Festlegungen, Zuständigkeiten, Befugnisse und Ergebnisse zu dokumentieren (Manual). Relevante (Zwischen)-Ergebnisse sind nachzuweisen (Aufzeichnungen).Genauigkeit, Umfang und Tiefe der Dokumentation zum BEM entsprechen der Größe sowie den branchen- und betriebsspe-zifischen Gegebenheiten der Organisation. Manual und Aufzeichnungen stellen die wirksame Planung, Durchführung und Verbesserung der eingliederungsspezifischen Prozesse der Organisation sicher. Sie dienen der internen Qualitätssicherung, sie liefern den Qualitäts-nachweis für Externe und sie sind die notwendige Datenbasis für die Einschätzung der Wirksamkeit und Effizienz des BEM.

VI-16 Manual Der Disability Manager stellt die Aktualität des Manuals und dessen Konformität mit dem Standard sicher. Die Sozialpartner zeigen ihr Commitment durch Unterschrift des Manuals, u.U. ist der Status einer Betriebsvereinbarung sinnvoll.

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VI-17 Aufzeichnungen Folgende Aufzeichnungen von (Zwischen-)Ergebnissen sind mindestens zu führen: Falldo-kumentation zu den Prozessen gem. Kap. V sowie Bewertungen des BEM durch die Sozialpartner und das DM-Team.

7.2.2 Der Standard des BEM in Abhängigkeit von der Komplexität des Unternehmens

Grundsätzlich ist der Standard des BEM für Unternehmen aller Komplexitätsgrade kompati-bel. Jedoch kann sich die Ausgestaltung je nach Unternehmensgröße und Fallzahl unter-scheiden (siehe Tab. 1). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, das BEM in Abhängigkeit von den Ausgangsbedingungen in folgende drei Programme zu differenzieren:

• Interne Komplettstruktur, große Fallzahl (Programm 1) • Interne Teilstruktur, kleine bis mittlere Fallzahl (Programm 2) • Kleinunternehmen (Programm 3)

Tab. 1: Umfang und Zielvorgaben des Standards des BEM differenziert nach den Ausgangsbe-dingungen

Programm

1 2 3

I-1 Grundsätze und Ziele +++ ++ + I-2 Planung des BEM +++ +++ + I. VERANTWORTUNG

DER SOZIALPARTNER I-3 Sozialpartnerbewertung +++ ++ + II-4 Disability Manager und DM-Team +++ ++ + II-5 Beteiligung der Beschäftigten +++ ++ + II-6 Kooperation mit externen Partnern +++ ++ +

II. MANAGEMENT VON RESSOURCEN

II-7 Infrastruktur +++ ++ + III. KOMMUNIKATION III-8 Interne und externe Kommunikation +++ ++ ++

IV-9 Identifikation von potenziellen Kandidaten +++ +++ +++IV-10 Kontaktaufnahme +++ +++ +++IV-11 Erfassung der Ausgangssituation +++ ++ ++IV-12 Planung von Maßnahmen +++ ++ ++IV-13 Durchführung der Maßnahmen +++ ++ ++

IV.EINGLIEDERUNG IM EINZELFALL

IV-14 Bewertung von Prozess und Ergebnis +++ ++ ++V. ANALYSE UND BEWERTUNG V-15 Analyse und Programmbewertung +++ ++ +

VI-16 Manual +++ ++ + VI. DOKUMENTATIONS- ANFORDERUNGEN VI-17 Aufzeichnungen +++ ++ +

Legende: Programm 1: Unternehmen mit interner Komplettstruktur und großer Fallzahl; Programm 2: Unterneh-men mit interner Teilstruktur und kleiner bis mittlerer Fallzahl; Programm 3: Kleinunternehmen; +++ / ++ / + Umfang und Zielvorgaben in hohem / mittlerem / geringem Maße

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Die Programme unterscheiden sich hinsichtlich ihres Formalisierungsgrades, des Umfangs und der jeweiligen Zielvorgaben. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten:

• eine zentrale interne Verantwortlichkeit (Ansprechpartner, Kümmerer), • die interne Kommunikation, um Akzeptanz zu schaffen, • die Identifikation von potenziellen Kandidaten, • die Kontaktaufnahme mit potenziellen Kandidaten und • die frühzeitige Signalgebung an Experten.

Im Folgenden wird zunächst der Standard des BEM für Unternehmen mit interner Komplett- bzw. Teilstruktur (Programm 1 bzw. 2) skizziert. Das Programm 3 für Kleinunternehmen wird erst in Kap. 7.3.3 beschrieben, weil dies zunächst eine tiefere Analyse der Ausgangsbedin-gungen erfordert.

7.2.2.1 Der Standard des BEM bei interner Komplettstruktur und großer Fallzahl

Große Unternehmen haben zum einen mit ihren internen Strukturen (Personalwesen, Betriebs-/ Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Betriebs-/Werksarzt, Arbeitssicherheit etc.) Artikulationsinstanzen für Fragen der Gesundheit, Krankheit und Behinderung. Zum anderen ist die Fallzahl an potenziellen Kandidaten hoch. Dies erfordert die komplette Erfüllung des Standards des BEM im Sinne eines managementorientierten und von den Sozialpartnern getragenen Ansatzes (Programm 1 in Tab. 1). Der Kernprozess der betriebli-chen Eingliederung wird in erster Linie von internen Akteuren geplant, durchgeführt und abschließend bewertet. Dafür gibt es in der Regel einen (teilweise) freigestellten und qualifizierten Mitarbeiter. Die relevanten Prozesse sind wirksam festgelegt. Das Thema BEM wird im Unternehmen strategisch kommuniziert. Regelmäßige Programmbewertungen finden statt, was insbesondere systematische Aufzeichnungen erfordert. Programme dieser Art sind in der Literatur beschrieben113.

7.2.2.2 Der Standard des BEM bei interner Teilstruktur und geringer bis mittlerer Fallzahl

Mittlere Unternehmen haben teilweise interne Strukturen (Personalwesen, Betriebs-/ Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Betriebs-/Werksarzt, Arbeitssicherheit etc.) und eine geringe bis mittlere Fallzahl an potenziellen Kandidaten. Dies erfordert eine Mischform aus management- und fallorientiertem Ansatz, der mit der Interessenvertretung – sofern vorhanden – abgestimmt ist (Programm 2 in Tab. 1). Dabei soll der Aufwand im Verhältnis zu

113 siehe u.a. Kaiser H, Flach T, Greve J, Hetzel C et al. Betriebliches Gesundheitsmanagement.

Impulse 2004; 30: 34-41. Mehrhoff F. Ein Konzept zur beruflichen Reintegration von behinderten Menschen. In: Mehrhoff F (Hrsg). Disability Management. Ein Kursbuch für Unternehmer, Behinder-te, Versicherer und Leistungserbringer. Strategien zur Integration von behinderten Menschen in das Arbeitsleben. Stuttgart: Gentner Verlag, 2004: 9-19. Kaiser H. FILM - Förderung der Integration leistungsgewandelter Mitarbeiter. Bewegungstherapie und Gesundheitssport DVGS (Hrsg.) 2004; 2: 56-59. Magin J, Schnetter B. Die Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements – erste Erfahrungen aus der Praxis. Pilotprojekt in einem bayerischen Unternehmen. Behindertenrecht 2005; 2: 52-59.

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den Fallzahlen liegen. Der Kernprozess der betrieblichen Eingliederung wird mit internen, geschulten Akteuren durchgeführt. Gleichzeitig werden die Schnittstellen zwischen Unter-nehmen und externen Partnern gepflegt, damit frühzeitig Beratung und Unterstützung eingebunden werden kann. Je nach Fallzahl erfolgt die Ausrichtung eher Richtung Pro-gramm 1 (siehe Tab. 1 und Kap. 7.2.2.1) oder Programm 3 (siehe Tab. 1 und Kap. 7.3.3).

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7.3 BEM in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)114 BEM erfordert ein komplexes Zusammenwirken verschiedener Funktionen und Aufgaben, das durch „fünf Rollen“ beschrieben werden kann. Das Denken in Rollen ist eine Hilfe zur flexiblen Aufteilung von (Teil-)Aufgaben, ohne den Blick für den Gesamtprozess zu verlieren. In Großunternehmen können alle fünf Rollen innerbetrieblich ausgefüllt werden und eine Rollenaufteilung auf verschiedene Personen ist sinnvoll. Aus Mangel an personellen, fachlichen oder zeitlichen Ressourcen sind die Rollen in KMU meist auf eine oder wenige Personen konzentriert und müssen teilweise von externen Akteuren übernommen werden.

• „Entscheider“: Die strategische Ebene entscheidet z.B. über Ressourcen und die operative Ebene über konkrete Aktivitäten am Arbeitsplatz.

• „Signalgeber“: Zum einen müssen potenzielle Kandidaten für das BEM frühzeitig identifiziert werden, z.B. über Fehlzeitenanalyse oder Präventionsgespräche. Zum anderen muss bei Bedarf ein Korrektursignal im Sinne eines Controllings während des Eingliederungsprozesses erfolgen.

• Der „Berater“ hat das notwendige Expertenwissen zu fähigkeits- und arbeitsplatzbe-zogenen Aspekten, zu rechtlichen Fragen, zu Fördermitteln etc.

• Der „Macher“ ist für die konkrete Umsetzung beschlossener Maßnahmen verantwort-lich, räumt Hindernisse aus dem Weg, beantragt Fördermittel etc.

• Der „Netzwerker“ bringt die beteiligten internen Akteure zusammen und baut Kontak-te zu Sozialleistungsträgern und Leistungserbringern auf.

Unbestritten besteht für KMU die Notwendigkeit der exogenen Unterstützung. Folgende Institutionen kommen für die exogene Unterstützung von Unternehmen in Frage:

• Die Servicestellen könnten wegen des gesetzlichen Auftrags eine Schlüsselrolle ein-nehmen. Problematisch sind jedoch die primäre Zuständigkeit für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen (Individualberatung)115, der geringe Bekanntheits-grad, die geringe Personalkapazität, teilweise fehlende Entscheidungsbefugnis und die strategische Ausrichtung als „Komm-Struktur“.

• Die Integrationsfachdienste stehen in der Strukturverantwortung der Integrationsäm-ter. Sie bieten ein Beratungs- und Betreuungsangebot „aus einer Hand“ an und ge-nießen bei Arbeitgebern und Beschäftigten vielfach ein hohes Ansehen. Fraglich ist, ob sie sich auch für nicht-schwerbehinderte Menschen öffnen können.

• Die Experten der einzelnen Sozialleistungsträger, d.h. die Case- oder Fallmanager, die Reha-Berater, die Berufshelfer, werden in der fallbezogenen Arbeit ohnehin ein-gebunden – allerdings in der Regel erst dann, wenn das „Kind schon in den Brunnen gefallen ist“.

114 Der überwiegende Teil des nachfolgenden Textes incl. Literaturangaben wurde veröffentlicht in:

Hetzel C., Flach T., Weber A., Schian H.-M. (2006): Zur Problematik der Implementierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen. Das Gesund-heitswesen, 68, S. 303–308.

115 siehe § 22 SGB IX; allerdings haben die Rehaträger mit der „Gemeinsame Empfehlung „Prävention nach § 3 SGB IX“ vom 16. Dezember 2004 eine weitgehende Selbstverpflichtung zur Beraqtung und Unterstützung der Unternehmen vereinbart (vgl. §§ 7,8)

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• Die Berufsförderungswerke vereinen die nötigen Kompetenzen unter einem Dach, z.B. im Bereich Assessment und Case-Management. Ein entsprechendes Dienstleis-tungsangebot für KMU ist in der Entwicklung und teilweise bereits in der Umsetzung.

• Die Gewerkschaften sowie das institutionelle Umfeld von KMU nehmen einen Groß-teil der Funktionen wahr, die in Großunternehmen von internen Stäben erbracht wer-den. Sie sind damit Teil der sozialen Infrastruktur und könnten eine aktive Rolle über-nehmen.

• Arbeitsmedizinische Dienste, sofern sie sich über die Regelbetreuung hinaus öffnen. • Andere private Beratungsdienstleister, die in der Lage sind, die entsprechenden Ver-

netzungen operativ nutzbar zu gestalten.

Aber nur auf exogene Unterstützung zu setzen, ist teuer und hemmt die Eigeninitiative und Eigenaktivität. Das führt zu folgender Ausgangsthese: Nur wenn KMU ein Mindestmaß an Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz für die Thematik haben, werden sie sich der (bislang nur suboptimal vorhandenen) exogenen Unterstützung öffnen.

7.3.1 Befragung von Geschäftsführern in KMU116 Die Sicherung der Leistungsfähigkeit von Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkun-gen und damit die dauerhafte Eingliederung im Unternehmen ist eine Führungsaufgabe, die mit entsprechender Personal- und Organisationsentwicklung einhergehen sollte. Ziel der Befragung ist es, diesbezüglich Einstellungen, Aktivitäten sowie konkrete Vorschläge und Erwartungen von Geschäftsführern in KMU zu erfassen, um daraus Erkenntnisse für die Gestaltung von Unterstützungskonzepten ableiten zu können.

Kollektiv und Methode Ein Mengengerüst an Informationen ist zunächst von sekundärer Bedeutung, eine Hypothe-senprüfung steht nicht im Vordergrund. Vielmehr sollen Einstellungen, Vorschläge und Erwartungen mit Blick auf Unterstützungskonzepte exploriert und diskutiert werden. Aus diesem Grund und aus Mangel an empirischer Datengrundlage wird ein qualitatives Vorge-hen gewählt.

Es wird eine mündliche leitfadenorientierte Befragung von Geschäftsführern von KMU durchgeführt (Gesprächsdauer 30-45 Min.) und inhaltsanalytisch ausgewertet. Bei der Auswahl wurde keine Positivselektion vorgenommen, sondern lediglich „Offenheit zum Thema krankheitsbedingte Abwesenheit und frühzeitige Rückkehr zur Arbeit“ vorausgesetzt. Die befragten Unternehmen (N=13) weisen folgende Strukturmerkmale auf:

• Anzahl der Beschäftigten: 1-9 (n=3), 10-49 (n=4), 50-99 (n=1), 100-250 (n=5). • Tätigkeitsanforderungen: hohe (n=6) bzw. wechselnde (n=5) körperliche Anforderun-

gen, Bürotätigkeit (n=2) • Branchen: Gartenbau, Produktion, Altenpflege, Fachhandel, Behörde, Dienstleistung

Als Gesprächspartner wurden die Geschäftsführer ausgewählt, weil Eingliederungsarbeit auch Führungsaufgabe ist und weil in KMU dem Unternehmer eine besondere Rolle in 116 Der Volltext zu dieser Befragung ist im Anhang abgedruckt.

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gesundheitsbezogenen Fragen zukommt: „Er kann Motivator und treibende Kraft sein oder hemmend einwirken“. Allerdings waren die Geschäftsführer in größeren KMU teilweise nur mittelbar in die Thematik eingebunden, weshalb nicht alle Aspekte in gleicher Tiefe eruiert werden konnten.

Barrieren und Förderfaktoren für die Einführung von BEM Zusammenfassend nehmen die Geschäftsführer das Thema BEM kaum als Handlungsfeld wahr. Meistens bauen sie auf passives, aber teilweise sehr engagiertes Ad-hoc-Management, d.h. sie reagieren auf Notfälle, setzen auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und betreiben Schadensbegrenzung. Frühzeitige Maßnahmen sind die Selten-heit.

In der Literatur werden als Kernbarrieren für gesundheitsbezogenes Handeln in KMU der hohe Kosten- und Leistungsdruck sowie das Fehlen innerbetrieblicher Kompetenz und Artikulationsinstanzen aufgeführt; dem gegenüber stehen Förderfaktoren, wie soziale Unterstützung, geringe Verantwortungsdiffusion, kurze Entscheidungswege und die Fähig-keit zu pragmatischen Lösungen.

In der Befragung konnten folgende Barrieren für die Einführung eines Eingliederungsmana-gements identifiziert werden:

• Informationsdefizit. Der demografische Wandel wird noch nicht als zukünftiges Prob-lem wahrgenommen. Die gesetzlichen Verpflichtungen zum Eingliederungsmanage-ment sind nahezu unbekannt, ebenso Servicestellen, Integrationsämter und -fachdienste sowie gesetzliche Fördermittel.

• Fehlende Prioritätensetzung. Häufige, aber teilweise widerlegbare Argumente für „Nicht-Engagement“ waren: „bei dem gegenwärtigen Kosten- und Leistungsdruck ha-ben wirtschaftliche Investitionen Vorrang“, „nur gesunde Mitarbeiter sind zu gebrau-chen“ oder „es gibt keine Fälle, die länger als 6 Wochen krank sind“.

• Eingeschränkte Eingliederungsmöglichkeiten. Sicherlich haben KMU im Gegensatz zu den Großunternehmen einen geringeren Spielraum hinsichtlich Arbeitsplatzgestal-tung und -organisation, aber zum Teil auch aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit.

• Eingliederung ist Aufwand. Richtig, aber externe Unterstützung und konkrete Hand-lungshilfen können den Aufwand reduzieren, insbesondere wenn die Chancen des BEM transparent gemacht werden und pragmatische Lösungen gefunden werden können.

• Teilweise geringe Eigenverantwortung der Beschäftigten, zumindest in den Augen von einigen Geschäftsführern. Die einen bleiben länger als nötig zu Hause, die ande-ren schleppen sich krank zur Arbeit. Beides ist suboptimal und bedarf der Überzeu-gungsarbeit.

• Krankheit ist ein Tabuthema. Sicherlich ist Krankheit Privatsache. Allerdings kann ein BEM nur funktionieren, wenn dieses sensible Thema Teil der betrieblichen Kommuni-kation wird. Wegen der sozialen Nähe ist dies in KMU häufig eine Selbstverständlich-keit.

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Schlussfolgerungen Soll BEM mehr als eine Notfalloperation am Einzelfall sein und auf die Prioritätenliste der Geschäftsführer gelangen, dann:

• Problembewusstsein und Nutzenklarheit sind zu schaffen; • Kompetenz ist zu fördern durch pragmatische und unbürokratische Umsetzungshil-

fen, was konkret zu tun ist und von wem Hilfe zu erwarten ist; • Wissen über und Kooperationsbereitschaft mit externen Partnern ist zu fördern; • Auf dieser Basis sind dann vom Betrieb Verantwortlichkeiten und transparente Ver-

haltensregeln festzulegen; • die einflussreichsten Mitarbeiter als Promotoren zu gewinnen, um innerbetriebliche

Akzeptanz und ein mitarbeiterorientiertes Betriebsklima zu schaffen; • die Eigenverantwortung der Beschäftigten ist zu fördern. Dazu sind den Beschäftigten

zum einen die Chancen, zum anderen auch die Arbeitgeberpflicht und die Konse-quenzen fehlender Mitwirkung zu vermitteln. Beteiligungsmöglichkeiten sind zu för-dern und zu fordern, z.B. in dem Verhaltensregeln gemeinsam festgelegt werden.

7.3.2 Modellvision Auf dieser Basis lässt sich ein Modell (siehe Abb. 2) skizzieren, für das folgende Thesen handlungsleitend sind:

• Ein pragmatisches und unbürokratisches Handlungsmodell, was ein Unternehmen im Falle längerer oder wiederholter Krankheit konkret zu tun hat – im Idealfall in einem Handbuch fixiert.

• So, wie in größeren Unternehmen die Fäden an einer Stelle zusammenlaufen sollten, muss in kleineren Unternehmen überhaupt jemand die Verantwortung übernehmen – die betriebliche Ansprechperson im Sinne eines „Kümmerers“.

• Erst auf dieser Basis kann der externe Unterstützungsbedarf konzipiert werden. Die externe Unterstützung sollte wie „aus einer Hand“ und als Gehstruktur erbracht wer-den – hier käme z.B. der Disability Manager nach dem Bildungsangebot des Haupt-verbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Frage.

• Bei welcher Institution dieser Experte angebunden wird, ist nachrangig - das „Wie“ ist entscheidend. Die Qualitätssicherung kann anknüpfen an bestehende Standards, z.B. im Rahmen des DM und an bestehende Forschungsergebnisse.

• Das System „betriebliche Ansprechperson – externer Disability Manager – Hand-buch“ ist für Dritte transparent und Einheit der Qualitätssicherung, operationalisiert über das BEM-Audit. Auf dieser Grundlage können dann Boni oder Prämien gem. § 84 Abs. 3 SGB IX vergeben werden.

• Das institutionelle Umfeld, d.h. Kammer, Innung, Verbände, ist von den KMU grund-sätzlich akzeptiert und sollte für operative Aufgaben der Promotion und der Interven-tion im Bereich Eingliederung integriert werden.

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Abb. 2: Modell für betriebliches Eingliederungsmanagement in KMU (die dargestellten Zahlen werden im Text erläutert) Strukturelle Voraussetzung im Unternehmen ist die Ansprechperson im Sinne eines „Küm-merers“, die im Wesentlichen die Rolle des „Signalgebers“ übernimmt; außerhalb des Unternehmens eine zentrale Anlaufstelle (Disability Manager) als „Berater“ und „Netzwerker“, angegliedert bei welcher Institution auch immer.

Prozess 1: Akzeptanz im Unternehmen schaffen, und zwar bei der Unternehmensführung als strategischer Entscheider und bei den Vorgesetzten als operativer Entscheider. Diesen Prozess gestalten die Ansprechperson und/oder der externe Disability Manager. Auch bestehende Kanäle sind zu nutzen, wie z.B. das Innungs- und Kammerwesen, Fachzeit-schriften oder im Rahmen des Unternehmermodells der Berufsgenossenschaften.

Prozess 2: potenzielle Kandidaten für das BEM identifizieren. Mindestens über die gesetzli-che 6-Wochen-Regelung. Effektiver wäre aber schon früher und mit zusätzlichen Informati-onsquellen, z.B. regelmäßige oder ereignisbezogene Mitarbeitergespräche, betriebsärztliche Untersuchungen.

Prozess 3: Kontakt mit dem Mitarbeiter aufnehmen mit dem Ziel, ihn für das BEM zu gewinnen. Für das weitere Vorgehen ist die Zustimmung und die Beteiligung des Mitarbeiters eine zwingende Voraussetzung. Eine Verweigerung stoppt den Eingliederungsprozess, der Mitarbeiter kann sich dann allerdings nicht mehr auf den Schutz vor krankheitsbedingter Kündigung berufen.

Prozess 4: Einzelfallarbeit mit festem Regelkreislauf.

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1. Die Ausgangslage erfassen (z.B. ärztliche Gutachten einholen)

2. Maßnahmen planen über den Abgleich von Fähigkeiten und Anforderungen und schriftlich in einem Eingliederungsplan festlegen. In Frage kommen Maßnahmen

• zur Technik (z.B. Arbeitsplatzanpassung, technische Hilfen) • zur Organisation (z.B. stufenweise Wiedereingliederung, Umsetzung an

anderen oder neuen Arbeitsplatz) und • zur Person (z.B. Qualifizierungs- oder Rehabilitationsmaßnahmen).

3. Die beschlossenen Maßnahmen werden durchführt und kontrolliert, um ggf. Ände-rungen vorzunehmen und

4. nach erfolgreichem Abschluss bewertet, um für zukünftige Fälle zu lernen.

Sofern vorhanden, sind bei diesem Kernprozess der Betriebs-/Personalrat und die Schwer-behindertenvertretung einzubinden.

Prozess 5 ist das eigentliche Kernproblem. Kann der Betrieb den Fall nicht alleine lösen, wendet sich die Ansprechperson in Abstimmung mit dem betroffenen Mitarbeiter an den externen Disability Manager. Hier muss die Bereitschaft der Betriebe gefördert werden, frühzeitig Bedarf nach außen zu signalisieren.

Prozess 6 betrifft den externen Disability Manager, der bei Bedarf Sozialleistungsträger und Leistungserbringer an einen Runden Tisch holt und dadurch den Eingliederungsprozess unterstützt. Insgesamt sollte dieser „Berater und Netzwerker“ niederschwellig erreichbar sein, aktiv auf KMU zugehen, gemeinsam mit der Ansprechperson die wesentlichen Prozes-se verbindlich festlegen und Dokumentationsaufgaben übernehmen.

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7.3.3 Der Standard des BEM in Kleinunternehmen Die Ausgangsbedingungen in Kleinunternehmen sind skizziert und darauf aufbauend wurde eine Modellvision für das BEM abgeleitet. Kleinunternehmen haben nicht den regelmäßigen akuten Bedarf an BEM. Der Aufbau von aufwändigen innerbetrieblichen Strukturen für die Umsetzung der betrieblichen Eingliederung ist daher nicht sinnvoll, vielmehr ist externe Unterstützung bei der Fallarbeit notwendig. Es gilt, den Aufwand des BEM gering zu halten und gleichzeitig die Basis für eigenverantwortliches Handeln zu legen.

Im Folgenden soll der Standard des BEM für Kleinunternehmen (siehe auch Kap. 7.2.2) umrissen werden. Praxishilfen für Anwender werden in Kap. 7.3.4 vorgestellt. Damit kann der Aufwand für Kleinunternehmen reduziert werden.

Eingliederungspolitische Grundsätze, Ziele und Planung Die Betriebsführung legt die eingliederungspolitischen Grundsätze und Ziele sowie die Zielgruppe entsprechend der betrieblichen Gegebenheiten fest (siehe Praxishilfen Kap. 7.3.4). Es muss eine Person bzw. eine Systematik geben,

• die innerbetriebliche Handlungsmöglichkeiten kennt, • die die Potenziale externer Unterstützung insbesondere in der Region kennt, • die regelmäßig Bewusstsein in der Belegschaft für das Thema schafft, • die den Kernprozess „Eingliederung im Einzelfall“ sicherstellt und • die frühzeitig Unterstützungsbedarf gegenüber den Rehabilitationsträgern / der Servi-

cestelle bzw. dem Integrationsamt signalisiert (das ist der Schwerpunkt). Die Betriebsführung muss entscheiden, ob sie diese Aufgaben selbst übernehmen will oder teilweise an eine „Ansprechperson“ delegiert. Die wesentlichen Handlungsschritte inklusive der Verantwortlichkeiten werden unter Berücksichtigung des Datenschutzes und der Selbstbestimmung des betroffenen Mitarbeiters wirksam festgelegt (sofern eine Interessen-vertretung vorhanden ist, bedarf dies der Mitbestimmung).

Management von Ressourcen Die Fallarbeit wird je nach Komplexität der Problemlage entweder komplett intern gesteuert oder auf externe Hilfe zurückgegriffen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, bereits im Vorfeld Kontakte zu externen Partnern aufzubauen (Liste von Ansprechpartnern). Für die interne Arbeit sind angemessene Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Kommunikation Um Problembewusstsein, Nutzenklarheit und Akzeptanz in der Belegschaft zu schaffen, muss das Thema BEM und die wesentlichen Handlungsschritte kommuniziert werden, z.B. über Betriebsversammlung, Workshop, Aushänge, Jahresgespräche, leichte Zugänglichkeit von Informationsmaterial.

Eingliederung im Einzelfall Der Kernprozess der Eingliederung im Einzelfall wird von internen und ggf. externen Akteuren in Kooperation durchgeführt. Der erste Schritt, die Identifikation von potentiellen Kandidaten, erfolgt unternehmensintern. Dies ist die zentrale Aufgabe des Kleinunterneh-mens, nämlich die frühzeitige Erkennung von Bedarf. Die Ansprechperson spricht den

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Mitarbeiter an und informiert ihn über ein mögliches weiteres Vorgehen. Sehen beide die Notwendigkeit, dann führen beide ein weiteres Gespräch, um die Ausgangslage zu erfassen und Lösungsansätze zu finden. Sehen beide die Notwendigkeit, dann findet ein Gespräch mit dem Vorgesetzten oder der Betriebsführung statt, um über das Machbare zu entschei-den. Konkrete Maßnahmen werden geplant. Bei Bedarf werden Experten eingeschaltet (zum Beispiel Arzt, Fachkräfte der Rehabilitation, Fachkräfte der Arbeitssicherheit). Die Maßnah-men werden durchgeführt. Regelmäßig überprüfen die Beteiligten, ob die Maßnahmen die erhofften Ergebnisse erzielen und nehmen bei Bedarf Änderungen vor.

Analyse und Bewertung Regelmäßig (z.B. jährlich) wird der Stand der Dinge hinsichtlich der Wirksamkeit und Effizienz überprüfet und ggf. verbessert, am besten gemeinsam mit ausgewählten Mitarbei-tern.

Dokumentationsanforderungen Aus Gründen der Rechtssicherheit, der Qualitätssicherung und der Transparenz sollten die wesentlichen Handlungsregeln wirksam festgelegt sowie wichtige (zwischen-)Ergebnisse aufgezeichnet werden (siehe Praxishilfen Kap. 7.3.4).

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7.3.4 Arbeitshilfen für KMU Zurzeit existieren zwei getrennte und zudem weit auseinander liegende Welten „KMU“ und „Rehabilitation“. Soll BEM ein Handlungsfeld auch für KMU werden, dann müssen diese Welten ineinander greifen. Dazu müssen zum einen im Unternehmen Bewusstsein, Akzep-tanz und Kompetenz gefördert werden durch Information und Schulung über vielfältige Kanäle, insbesondere unter Einbeziehung des institutionellen Umfelds der KMU. Zum anderen muss sich die Welt der Rehabilitation bewegen, in dem der Reha-Dschungel für KMU ein zentrales Gesicht bekommt und in dem dieses zentrale Gesicht aktiv, pragmatisch, unbürokratisch, aber dennoch qualitätsgesichert auf die Unternehmen zugeht. Darüber hinaus müssen auch KMU in den Genuss von Bonus und Prämien gem. § 84 Abs. 3 SGB IX kommen können, sei es als direkter finanzieller Anreiz oder indirekt über eine kostenlose Schulung. Zur Förderung von Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz hinsichtlich der systematischen Umsetzung des BEM in KMU wurden im Rahmen des Projektes nachfolgen-de Arbeitshilfen erstellt und erprobt.

Broschüre (12 Seiten): Mitarbeiter krank – was tun!? Informationen und Handlungs-empfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX.

Ziel: Bewusstsein für das Thema Eingliederung schaffen, erste Handlungshilfen geben

Zielgruppe: Personalverantwortliche in KMU, Interessierte

Inhaltsverzeichnis:

• Vorteile: Eingliederung sichern – es lohnt sich!

• Aus der Praxis: Eingliederung sichern statt Ausmustern

• Auf einen Blick: Eingliederung si-chern – so geht’s!

• Tipps: Das können die „Kleinen“ tun!

• Interview: Dr. Alexander Gagel über die rechtlichen Verpflichtungen des Arbeitsgebers zum Eingliederungs-management

• Ansprechpartner: Hier gibt es Unter-stützung! Abb. 3: Titelbild der Broschüre

„Mitarbeiter krank – was tun!?“

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Praxishilfen: Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung des betriebli-chen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen.

• Ziel: Bewusstsein für das Thema Eingliederung schaffen, Konkrete Handlungshilfen (Vordrucke, Anschreiben, Checklisten, Leitfäden etc.) bereitstellen insbesondere zur Umsetzung des Standards des BEM in KMU

• Zielgruppe: Personalverantwortliche in KMU, Sicherheitsfachkräfte, Betriebsärzte • Textausschnitt „Fundament legen“:

Die ersten Schritte

1. Der Chef legt die Ziele fest, bestimmt die betriebliche Ansprechperson und versorgt diese mit Informationsmaterial (zum

Beispiel Praxishilfen, Schulung)1.

2. Chef oder Ansprechperson knüpfen erste Kontakte zu externen Partnern, um das Fundament auszubauen und um für den Ernstfall

vorbereitet zu sein.

3. Chef und Ansprechperson legen wichtige Regeln fest, zur Steigerung

der Akzeptanz am besten gemeinsam mit Führungskräften und

ausgewählten Mitarbeitern1.

4. Die gesamte Belegschaft über Ziele und wichtige Regeln informieren.

5. Mögliche Kandidaten erkennen und sie der Ansprechperson nennen.

6. Der Chef kann einen Antrag auf Bonus und Prämien bei den

Rehabilitationsträgern und beim Integrationsamt stellen.

____________ 1) Sofern ein Betriebs-/Personalrat vorhanden ist, bedarf dieser Schritt der Abstimmung.

Eine vorhandene Schwerbehindertenvertretung sollte gehört werden.

Die Langfassung wird zeitnah im Universum-Gentner-Verlag veröffentlicht.

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7.4 Qualitätssicherung: CBDMATM / BEM-Audit CBDMATM steht für „Consensus Based Disability Management Audit”. Dieses Audit wurde, wie eingangs erwähnt, von NIDMAR in Kanada entwickelt und basiert auf Forschungsergeb-nissen des Internationalen Arbeitsamts. CBDMATM wurde an die deutsche Rechts- und Sozialordnung angepasst und wird daher auch unter dem Titel „BEM-Audit“ kommuniziert. Zertifizierungsstelle ist der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG). Im Jahr 2006 wurden drei Unternehmen auditiert und zertifiziert.

Unter einem Audit versteht man die Untersuchung und Bewertung von Prozessabläufen. Beim BEM-Audit wird über Stichproben systematisch und unabhängig untersucht, wie wirksam das BEM ist. Um ein Audit sinnvoll durchführen zu können, sind zwei Dinge erforderlich. Zum einen ein innerbetriebliches System, das die entsprechenden Strukturen, Abläufe und Verhaltensregeln zur Wiedereingliederung enthält. Zum anderen ein externes Auditsystem, das geeignete Qualitätskriterien (siehe Kap. 7.2.1) und Prüfroutinen definiert.

Das BEM-Audit will die Qualität des BEM nachweisen sowie Verbesserungspotenziale erkennen, Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen empfehlen (hier liegt der Schwerpunkt).

Unternehmen können mit dem BEM-Audit

• klare und transparente Strukturen und Abläufe sichern, • die Abläufe in Richtung des Standards verbessern, • den Qualitätsnachweis als Marketing-Instrument einsetzen und • die Chancen erhöhen, Prämien oder einen Bonus von Seiten der Rehabilitationsträ-

ger und Integrationsämter zu erhalten.

Das Zertifizierungsverfahren ist in

Abb. 4 schematisch dargestellt.

Abb. 4: Das Zertifizierungsverfahren

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Das Audit vor Ort dauert je nach Komplexität der Organisation und Reifegrad des BEM-Systems 1,5 bis 2 Tage (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Ablauf und Zeitbedarf des BEM-Audits im Unternehmen

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Anhang

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8 Anhang

8.1 Anhang Kapitel 6 – Integrationsvereinbarungen Details zu den Auswertungsergebnissen

8.1.1 Stichprobe 1 Auswertungsergebnisse Integrationsvereinbarungen, die vor dem 01.06.2004 abge-schlossen wurden (n = 95) 1. Persönlicher Geltungsbereich

- Nur Schwbeh. Mitarbeiter: 46

- Behind. Mitarbeiter: 18

- Sonstige Mitarbeiter: 31

2. Aufgeführte Maßnahmen

- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 95 IntVereinbarungen

o Arbeitsplatzgestaltung: 62 o Arbeitsplatzanpassung: 23 o Flexible Arbeitszeiten: 65 o Qualifizierungsmaßnahmen: 53 o Sonderparkplätze: 42 o § 84 Abs. 1 SGB IX: 36 (davon 2x auch für Behind.) o § 84 Abs. 2 SGB IX: 16 o Vorgesetztenqualifizierung: 40 o Stufenweise Wiedereingliederung: 18 o Integrationsprojekte: 6 o Arbeitsassistenz: 5 o Anpassung der Arbeitsorganisation: 15 o Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung:: 3 o Wiedereingliederungsgespräche: 7

inkl. Beratung: o Qualifizierung SBV: 2 o Bonus-Malus-System: 3

- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 26 Intvereinbarungen, (33 inkl. Unfallverhü-tungsregelungen)

o Gesundheitsfördernde Maßnahmen: 14 o Behindertensport fördern: 7

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o Gesundheitszirkel: 9 o Wiederherstellung der Gesundheit: 3 o Diätspeisen und -lebensmittel: 1

3. AU-Zeit als Interventionssignal (z.T. doppelt gezählt)

- längere Erkrankung: 7

- mehr als 3 Monate: 18

- mehr als 6 Wochen: 4

4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure

- Intern o SBV: 88 o Betriebs/Personalrat: 68 o Personalabteilung: 37 o Arbeitgeber: 34 o JAV: 4 o Arbeitsassistenz: 2 o Vorgesetzte: 37 o Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst: 44

/ Betriebsarzt: o Arbeitgeberbeauftragter: 45 o Fachkraft für Arbeitssicherheit: 28 o Techn. Beratungsdienst: 3 o Dienststelle: 5 o Betriebliche Sozialberatung: 3 o Frauenbeauftragte: 5 o Verwaltung: 2 o Parkplatzkommission: 1 o Führungskräfte: 8 o Integrationsteam: 43

- Extern o Gemeinsame Servicestellen: 1 o Reha-Träger: 19 o Integrationsamt: 58 o Fürsorgestellen: 2 o Techn. Dienst des Integrationsamtes: 7 o Behindertenbeauftragter: 1 o IfbG: 1

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o IFD: 13 o Behandelnder Arzt: 7 o Arbeitsamt: 27 o Techn. Dienst des Arbeitsamtes: 3 o BG: 3 o Sozialdienst: 2 o Stadtverwaltung: 2 o Berufsbegleitender Dienst: 1

5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:

o BV: 15 o BV ohne SBV: 3 o InV ohne BR: 2 o InV ohne SBV: 1 o InV mit IA: 2

6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen

Überblick über Anzahl der IntV mit Regeln zu Berichts- und/oder Überwachungspflichten

Nur Berichts-pflichten

Nur Überw.-pflichten

Überw.- und Berichtspflichten

Weder Überw.- noch Berichtspflichten

20 14 43 18

8.1.2 Stichprobe 2 Auswertungsergebnisse neuer Integrationsvereinbarungen(IntVen) (Abschluss nach dem 01.06.2004; n = 21) 1. Persönlicher Geltungsbereich

- Nur Schw. Mitarbeiter: 12

- Behind. Mitarbeiter: 0

- Sonstige Mitarbeiter: 9

2. Aufgeführte Maßnahmen

- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 21 IntVereinbarungen

o Arbeitsplatz/-umfeldgestaltung: 16 o Arbeitsplatzanpassung: 20 o Anpassung der Arbeitsorganisation: 8 o Flexible Arbeitszeiten: 18 o Qualifizierungsmaßnahmen: 16

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o Sonderparkplätze: 11 o § 84 Abs. 1 SGB IX: 10 o § 84 Abs. 2 SGB IX a.F: 4 o Vorgesetztenqualifizierung: 11 o Stufenweise Wiedereingliederung: 6 o Integrationsprojekte: o Arbeitsassistenz: 3 o Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung: 6 o Wiedereingliederungsgespräche 6

inkl. Beratung/besonderen Angeboten: o Qualifizierung SBV: 1 o Bonus-Malus-System zur SB-Quote 1

In den neuen Integrationsvereinbarungen erstmals genannte Maßnahmen: o Aufnahme ins Unternehmensleitbild 2

„Beschäftigung Schwerbehinderter“ o Bes. Begleitung eines AP-wechsels 10 o § 84 Abs. 2 SGB IX: 7 (davon 2mal nur für SB)

- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 4 IntVereinbarungen

o Gesundheitsfördernde Maßnahmen allg.: 2 o Behindertensport fördern: 2 o Gesundheitszirkel: o Wiederherstellung der Gesundheit: o Diätspeisen und -lebensmittel: o Mobilitätstraining: 1 Erstmals in den neuen IntVereinbarungen erwähnte Maßnahmen o Spezielle Angebote des BÄD 2 o Rückenschule 2 o Schulung Heben und Tragen von Lasten 2 o Schulung Unfallverhütung/ASi 2 o Schulung Bildschirm-AP: 2 o Schulung Stressbewältigung 2

3. AU-Zeit als Interventionssignal (in insgesamt 12 der neuen IntVereinbarungen, z.T. doppelt gezählt)

- längere Erkrankung: 6

- mehr als 3 Monate: 2

- mehr als 6 Wochen: 7

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4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure

- Interne

o SBV: 21 o Betriebs/Personalrat: 19 o Personalabteilung: 8 o Arbeitgeber: 15 o Vorgesetzte: 11 o Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst 10

/ Betriebsarzt: o Arbeitgeberbeauftragter: 5 o Integrationsteam: 11 o Betr.-int. Arbvermittlung: 2 o JAV: 3 o FaSi: 2 o Frauen/Gleichstellungsbeauftragte: 2

Akteure, die zum ersten mal in den neuen IntVereinbarungen benannt wurden:

o Fortbildungsbeauftragte: 2 o Betriebspsychologen: 2 o Ausbildungsleitung: 2

- Externe

o Reha-Träger: 4 o Integrationsamt (IntA): 17 o IFD: 7 o Behandelnder Arzt (behA) 3 o Arbeitsamt (BA): 12 o Unfallversicherung (UV): 1 o Rentenversicherung(RV) 2

5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:

o Betriebsvereinbarung: 1 o IntVereinbarung mit IntA: 1

6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen

Überblick über die Anzahl der Integrationsvereinbarungen, in denen sich Regelungen zur Berichts- und/oder Überwachungspflichten finden

Nur Berichts-pflichten

Nur Überw.-pflichten

Überw.- und Berichtspflichten

Weder Überw.- noch Berichtspflichten

2 3 8 8

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8.2 Veröffentlichungen Im Rahmen des Projektes "Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" sind zur Thematik Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management folgende Veröffentli-chungen entstanden. Die Veröffentlichungen im Eigenverlag (kursiv gesetzt) sind zudem im Volltext abgedruckt.

• Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M (geplant 2007): Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen. Universum-Gentner-Verlag.

• Hetzel C, Flach T (2006) Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen (Kurzfassung). Köln: Eigenverlag iqpr.

• Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M (2006): Auditierung des betrieblichen Eingliede-rungsmanagements. Köln: Eigenverlag iqpr.

• Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Wie lässt sich die Qualität des betrieblichen Eingliederungsmanagements messen? Die BG, 11, 516-519.

• Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Standard des betrieblichen Eingliederungsmanagements und dessen Auditierung. Die Rehabilitation, 45, 316-321.

• Hetzel C., Flach T., Weber A., Schian H.-M. (2006): Zur Problematik der Implementie-rung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unter-nehmen. Das Gesundheitswesen, Heft Nummer 68, S. 303–308.

• Hetzel C, Dalitz S, Schian H-M, Flach T (2005): Mitarbeiter krank – was tun!? Wichti-ge Informationen für kleine und mittlere Unternehmen. Informationen und Handlungs-empfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 Sozi-algesetzbuch IX. Köln: Eigenverlag iqpr.

• Hetzel C, Flach T, Schian H-M (2005): Betriebliches Eingliederungsmanagement zur Verhinderung von Ausgliederung - Akzeptanz und Kompetenz in kleinen und mittle-ren Unternehmen. Journal of Public Health Zeitschrift für Gesundheitswissenschaf-ten, Volume 13 Supplement 1, November 2005, S61-S62.

• Hetzel C, Flach T, Marquardt D (2005): Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit. Materialien aus dem Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Re-habilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Juli 2005, Köln: iqpr

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8.3 Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unter-nehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

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8 Anhang

8.1 Anhang Kapitel 6 – Integrationsvereinbarungen Details zu den Auswertungsergebnissen

8.1.1 Stichprobe 1 Auswertungsergebnisse Integrationsvereinbarungen, die vor dem 01.06.2004 abge-schlossen wurden (n = 95) 1. Persönlicher Geltungsbereich

- Nur Schwbeh. Mitarbeiter: 46

- Behind. Mitarbeiter: 18

- Sonstige Mitarbeiter: 31

2. Aufgeführte Maßnahmen

- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 95 IntVereinbarungen

o Arbeitsplatzgestaltung: 62 o Arbeitsplatzanpassung: 23 o Flexible Arbeitszeiten: 65 o Qualifizierungsmaßnahmen: 53 o Sonderparkplätze: 42 o § 84 Abs. 1 SGB IX: 36 (davon 2x auch für Behind.) o § 84 Abs. 2 SGB IX: 16 o Vorgesetztenqualifizierung: 40 o Stufenweise Wiedereingliederung: 18 o Integrationsprojekte: 6 o Arbeitsassistenz: 5 o Anpassung der Arbeitsorganisation: 15 o Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung:: 3 o Wiedereingliederungsgespräche: 7

inkl. Beratung: o Qualifizierung SBV: 2 o Bonus-Malus-System: 3

- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 26 Intvereinbarungen, (33 inkl. Unfallverhü-tungsregelungen)

o Gesundheitsfördernde Maßnahmen: 14 o Behindertensport fördern: 7

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o Gesundheitszirkel: 9 o Wiederherstellung der Gesundheit: 3 o Diätspeisen und -lebensmittel: 1

3. AU-Zeit als Interventionssignal (z.T. doppelt gezählt)

- längere Erkrankung: 7

- mehr als 3 Monate: 18

- mehr als 6 Wochen: 4

4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure

- Intern o SBV: 88 o Betriebs/Personalrat: 68 o Personalabteilung: 37 o Arbeitgeber: 34 o JAV: 4 o Arbeitsassistenz: 2 o Vorgesetzte: 37 o Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst: 44

/ Betriebsarzt: o Arbeitgeberbeauftragter: 45 o Fachkraft für Arbeitssicherheit: 28 o Techn. Beratungsdienst: 3 o Dienststelle: 5 o Betriebliche Sozialberatung: 3 o Frauenbeauftragte: 5 o Verwaltung: 2 o Parkplatzkommission: 1 o Führungskräfte: 8 o Integrationsteam: 43

- Extern o Gemeinsame Servicestellen: 1 o Reha-Träger: 19 o Integrationsamt: 58 o Fürsorgestellen: 2 o Techn. Dienst des Integrationsamtes: 7 o Behindertenbeauftragter: 1 o IfbG: 1

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o IFD: 13 o Behandelnder Arzt: 7 o Arbeitsamt: 27 o Techn. Dienst des Arbeitsamtes: 3 o BG: 3 o Sozialdienst: 2 o Stadtverwaltung: 2 o Berufsbegleitender Dienst: 1

5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:

o BV: 15 o BV ohne SBV: 3 o InV ohne BR: 2 o InV ohne SBV: 1 o InV mit IA: 2

6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen

Überblick über Anzahl der IntV mit Regeln zu Berichts- und/oder Überwachungspflichten

Nur Berichts-pflichten

Nur Überw.-pflichten

Überw.- und Berichtspflichten

Weder Überw.- noch Berichtspflichten

20 14 43 18

8.1.2 Stichprobe 2 Auswertungsergebnisse neuer Integrationsvereinbarungen(IntVen) (Abschluss nach dem 01.06.2004; n = 21) 1. Persönlicher Geltungsbereich

- Nur Schw. Mitarbeiter: 12

- Behind. Mitarbeiter: 0

- Sonstige Mitarbeiter: 9

2. Aufgeführte Maßnahmen

- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 21 IntVereinbarungen

o Arbeitsplatz/-umfeldgestaltung: 16 o Arbeitsplatzanpassung: 20 o Anpassung der Arbeitsorganisation: 8 o Flexible Arbeitszeiten: 18 o Qualifizierungsmaßnahmen: 16

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Anhang

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o Sonderparkplätze: 11 o § 84 Abs. 1 SGB IX: 10 o § 84 Abs. 2 SGB IX a.F: 4 o Vorgesetztenqualifizierung: 11 o Stufenweise Wiedereingliederung: 6 o Integrationsprojekte: o Arbeitsassistenz: 3 o Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung: 6 o Wiedereingliederungsgespräche 6

inkl. Beratung/besonderen Angeboten: o Qualifizierung SBV: 1 o Bonus-Malus-System zur SB-Quote 1

In den neuen Integrationsvereinbarungen erstmals genannte Maßnahmen: o Aufnahme ins Unternehmensleitbild 2

„Beschäftigung Schwerbehinderter“ o Bes. Begleitung eines AP-wechsels 10 o § 84 Abs. 2 SGB IX: 7 (davon 2mal nur für SB)

- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 4 IntVereinbarungen

o Gesundheitsfördernde Maßnahmen allg.: 2 o Behindertensport fördern: 2 o Gesundheitszirkel: o Wiederherstellung der Gesundheit: o Diätspeisen und -lebensmittel: o Mobilitätstraining: 1 Erstmals in den neuen IntVereinbarungen erwähnte Maßnahmen o Spezielle Angebote des BÄD 2 o Rückenschule 2 o Schulung Heben und Tragen von Lasten 2 o Schulung Unfallverhütung/ASi 2 o Schulung Bildschirm-AP: 2 o Schulung Stressbewältigung 2

3. AU-Zeit als Interventionssignal (in insgesamt 12 der neuen IntVereinbarungen, z.T. doppelt gezählt)

- längere Erkrankung: 6

- mehr als 3 Monate: 2

- mehr als 6 Wochen: 7

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4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure

- Interne

o SBV: 21 o Betriebs/Personalrat: 19 o Personalabteilung: 8 o Arbeitgeber: 15 o Vorgesetzte: 11 o Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst 10

/ Betriebsarzt: o Arbeitgeberbeauftragter: 5 o Integrationsteam: 11 o Betr.-int. Arbvermittlung: 2 o JAV: 3 o FaSi: 2 o Frauen/Gleichstellungsbeauftragte: 2

Akteure, die zum ersten mal in den neuen IntVereinbarungen benannt wurden:

o Fortbildungsbeauftragte: 2 o Betriebspsychologen: 2 o Ausbildungsleitung: 2

- Externe

o Reha-Träger: 4 o Integrationsamt (IntA): 17 o IFD: 7 o Behandelnder Arzt (behA) 3 o Arbeitsamt (BA): 12 o Unfallversicherung (UV): 1 o Rentenversicherung(RV) 2

5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:

o Betriebsvereinbarung: 1 o IntVereinbarung mit IntA: 1

6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen

Überblick über die Anzahl der Integrationsvereinbarungen, in denen sich Regelungen zur Berichts- und/oder Überwachungspflichten finden

Nur Berichts-pflichten

Nur Überw.-pflichten

Überw.- und Berichtspflichten

Weder Überw.- noch Berichtspflichten

2 3 8 8

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8.2 Veröffentlichungen Im Rahmen des Projektes "Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" sind zur Thematik Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management folgende Veröffentli-chungen entstanden. Die Veröffentlichungen im Eigenverlag (kursiv gesetzt) sind zudem im Volltext abgedruckt.

• Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M (geplant 2007): Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen. Universum-Gentner-Verlag.

• Hetzel C, Flach T (2006) Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen (Kurzfassung). Köln: Eigenverlag iqpr.

• Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M (2006): Auditierung des betrieblichen Eingliede-rungsmanagements. Köln: Eigenverlag iqpr.

• Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Wie lässt sich die Qualität des betrieblichen Eingliederungsmanagements messen? Die BG, 11, 516-519.

• Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Standard des betrieblichen Eingliederungsmanagements und dessen Auditierung. Die Rehabilitation, 45, 316-321.

• Hetzel C., Flach T., Weber A., Schian H.-M. (2006): Zur Problematik der Implementie-rung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unter-nehmen. Das Gesundheitswesen, Heft Nummer 68, S. 303–308.

• Hetzel C, Dalitz S, Schian H-M, Flach T (2005): Mitarbeiter krank – was tun!? Wichti-ge Informationen für kleine und mittlere Unternehmen. Informationen und Handlungs-empfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 Sozi-algesetzbuch IX. Köln: Eigenverlag iqpr.

• Hetzel C, Flach T, Schian H-M (2005): Betriebliches Eingliederungsmanagement zur Verhinderung von Ausgliederung - Akzeptanz und Kompetenz in kleinen und mittle-ren Unternehmen. Journal of Public Health Zeitschrift für Gesundheitswissenschaf-ten, Volume 13 Supplement 1, November 2005, S61-S62.

• Hetzel C, Flach T, Marquardt D (2005): Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit. Materialien aus dem Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Re-habilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Juli 2005, Köln: iqpr

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8.3 Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unter-nehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

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Ergebnisse einer Befragung

von kleinen und mittleren Unternehmen

zur frühzeitigen Eingliederung

von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

Christian Hetzel, Thorsten Flach, Daniela Marquardt

Juli 2005

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Hetzel, Christian; Flach, Thorsten; Marquardt, Daniela (2005): Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit. Materialien aus dem Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Re-habilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Juli 2005, Köln: iqpr

iqpr Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln Sürther Str. 171 50999 Köln Tel.: 0221/3597-550 Fax: 0221/3597-555 Mail: [email protected] Internet : http://www.iqpr.de

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

Inhalt 1 Fragestellungen ................................................................................................................4 2 Beschreibung des Samples ..............................................................................................4 3 Handlungsvoraussetzungen..............................................................................................6

3.1 Erfahrungen und grundlegende Einstellungen zum Thema Wiedereingliederung ...6 3.2 Problembewusstsein ................................................................................................7 3.3 Potenzielle Eingliederungsmöglichkeiten .................................................................8 3.4 Nutzenbewertung ...................................................................................................10

4 Aktivitäten........................................................................................................................12 4.1 Kontakt zum Mitarbeiter..........................................................................................12 4.2 Experten einbinden.................................................................................................13 4.3 Kollegen und Vorgesetzte einbinden......................................................................13 4.4 Anreize für Mitarbeiter einsetzen............................................................................13 4.5 Durchführung der Wiedereingliederung..................................................................14 4.6 Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention ...........................................14

5 Konkrete Erwartungen an externe Unterstützung ...........................................................14 5.1 Externe Experten....................................................................................................14 5.2 Externer zentraler Ansprechpartner „Disability Manager“.......................................15

6 Fazit: Förderfaktoren und Barrieren ................................................................................16

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

1 Fragestellungen Demographischer Wandel und § 84 Abs. 2 SGB IX erfordern vom Arbeitgeber ein betriebli-ches Eingliederungsmanagement, wenn Beschäftigte länger oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Ziel ist es Ausgliederung zu verhindern. Wegen fehlender personeller, zeitlicher und fachlicher Ressourcen besteht in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ein Umset-zungsdefizit. Wiedereingliederung von Mitarbeitern ist eine Führungsaufgabe, die mit entsprechender Personal- und Organisationsentwicklung einhergehen sollte. Daher ist es Ziel der Untersu-chung, Einstellungen, Aktivitäten sowie konkrete Vorschläge und Erwartungen von Ge-schäftsführern in KMU hinsichtlich frühzeitiger Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer oder wiederholter Krankheit zu erfassen, um daraus Erkenntnisse für die Gestaltung von Unterstützungskonzepten ableiten zu können. Folgende Fragestellungen stehen im Vordergrund:

• Wie relevant ist das Thema „längere Erkrankung / gesundheitliche Einschränkung“ für den Betrieb?

• Welche Möglichkeiten bestehen und wie wird der Nutzen bewertet, Mitarbeiter nach längerer Erkrankung frühzeitig einzugliedern und weiter zu beschäftigen?

• Welche Erfahrungen liegen vor, gesundheitlich beeinträchtigte Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, d.h.

o Welche Aktivitäten (Kontakt zum Mitarbeiter, Einbindung von Experten, För-dermittel, Arbeitsplatzanpassung, Umsetzung, Teilzeit etc.) wurden durchge-führt?

o Welche Faktoren waren förderlich bzw. hinderlich? • Kennen die Unternehmen die gesetzlichen Regelungen zum Betrieblichen Eingliede-

rungsmanagement gem. § 84 SGB IX? • Welche konkreten Erwartungen an externe Unterstützung (überbetriebliche Akteure,

Disability Manager) werden formuliert? • Welche Indikatoren lassen sich finden, die frühzeitige Eingliederung nach längerer

Erkrankung fördern bzw. behindern? • Wie müssten Unterstützungskonzepte für die Weiterbeschäftigung von gesundheitlich

beeinträchtigten Mitarbeitern ausgestaltet sein? Es wird eine mündliche leitfadenorientierte Befragung durchgeführt. Die Interviews wurden mit Einverständnis der Befragten aufgezeichnet. Fast alle Interviews wurden transkribiert, von einem Interview wurde ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. Das zentrale Kriterium für die inhaltsanalytische Auswertung der Gespräche liegt auf der Beschreibung der Geschäftsfüh-rer hinsichtlich deren Kenntnisse, den grundlegenden Einstellungen, den bisherigen betrieb-lichen Aktivitäten und den konkreten Erwartungen an externe Unterstützung.

2 Beschreibung des Samples Die befragten Unternehmen weisen nachfolgende Strukturmerkmale auf. Vor dem Hinter-grund der Tätigkeitsanforderungen wurden die Unternehmen kategorisiert:

• hohe körperliche Anforderungen: verarbeitendes Gewerbe, Bau, Gesundheitsdienst • überwiegend sitzende Bürotätigkeit: Verwaltung • wechselnde körperliche Anforderungen: Handel, Dienstleistung

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

verarb. Gewerbe, Bau,

Gesundheitsdienst „hohe körperliche Anforderungen“

Verwaltung

„Büro“

Handel, Dienstleistung

„wechselnde körperli-che Anforderungen“

Σ

Unternehmen mit ... MA • 1-9 • 10-49 • 50-99 • 100-250

- 2 1 3

1 - - 1

2 2 - 1

3 4 1 5

Σ 6 2 5 13 Nachfolgend werden die befragten Unternehmen kurz charakterisiert. Es wird die Branchen-zuordnung, das Tätigkeitsspektrum, relevante Strukturen und die Anzahl der Mitarbeiter an-gegeben. Zitate aus den Interviews werden unter Angabe des entsprechenden Kürzels an-gegeben. Kürzel Kurzcharakteristik Strukturen MA A_5 Dienstleister für Audio- und Video-Produkte

Bürotätigkeiten externe Personalverw. 5

B_8 Fachhandel Haustechnik überwiegend Bürotätigkeiten, Lagertätigkeiten

8

C_8 Fachhandel für Messtechnik überwiegend Bürotätigkeit; 2 Geschäftsführer, QM-System geplant

externe Personalverw. 8

D_13 Gärtnerei und Landschaftsbau hohe körperliche Anforderungen (heben, bü-cken, Klima)

externer Betriebsarzt

12

E_14 Veranstaltungstechnik Bürotätigkeiten; im Außendienst: Auf-/Abbau von Ausstattung, Arbeitszeitspitzen

externe Personalverw. 14

F_16 EDV-Handel und Dienstleistung Bürotätigkeiten, im Außendienst geringe kör-perliche Anforderungen

16

G_27 Kunststoffverarbeitung z.T. sehr hohe körperliche Anforderungen (schweres Heben), 3-Schicht-Betrieb; über-wiegend ungelernte Mitarbeiter

externer Betriebsarzt und FaSi

23 gewerbl., 4 admin.

H_55 Altenpflege sehr hohe körperliche Anforderungen (Heben, Bücken);

Mitarbeitervertretung, Be-triebsarzt

55

I_160 Sozialtherapeutische Dienstleistungen Beratung, Betreuung, Beschäftigung und Ver-mittlung von Behinderten; QM-System in Teil-bereichen

Mitarbeitervertretung Schwerbeh.-vertretung externer Betriebsarzt und FaSi

110 geistig, 40 körperli-che

J_173 Metallverarbeitung körperliche Anforderungen

Mitarbeitervertretung Schwerbeh.-vertretung FaSi externer Betriebsarzt

153 ge-werbl., 20 admin.

K_280 Maschinenbau körperliche Anforderungen

Mitarbeitervertretung Schwerbeh.-vertretung FaSi externer Betriebsarzt

260 ge-werbl., 20 admin.

L_270 Finanzamt Bürotätigkeiten

Mitarbeitervertretung Schwerbeh.-vertretung Gleichstellungsbeauftragte Gesundheitsbeauftragte Personalverwaltung

270

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

3 Handlungsvoraussetzungen Aktivitäten hinsichtlich frühzeitiger Wiedereingliederung setzen voraus, dass ein Problembe-wusstsein vorliegt, dass Eingliederungsmöglichkeiten bestehen und dass die Aktivitäten als nutzenbringend bewertet werden. Positive oder negative Erfahrungen mit Wiedereingliede-rung wirken ebenfalls handlungsleitend.

3.1 Erfahrungen und grundlegende Einstellungen zum Thema Wie-dereingliederung

Die Geschäftsführer wurden gefragt nach grundlegenden Einstellungen und nach Erfahrun-gen im Umgang mit Mitarbeitern, die gesundheitliche Einschränkungen haben oder längere Zeit krank waren. Die meisten der befragten Unternehmer haben Erfahrungen im Umgang mit gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitern gesammelt, sei es mit Wiedereingliederung oder Neueinstel-lung. Die Erfahrungen in den kleineren Unternehmen beschränken sich auf wenige Einzelfäl-le, in den mittelständischen Unternehmen sind die Erfahrungen vielfältiger. In den kleinen Unternehmen sind die befragten Führungskräfte wegen der flachen Hierarchien meist direkt in Wiedereingliederungsaktivitäten eingebunden. In den mittelgroßen Unternehmen haben die Befragten häufig eine mittelbare Rolle, weil die operative Umsetzung dann bei den direk-ten Vorgesetzten oder Arbeitnehmervertretern liegt. Aus der Sicht der befragten Führungskräfte ist Eingliederungsarbeit in der Regel dann erfolg-reich, wenn der jeweilige Mitarbeiter motiviert ist und zur Arbeit zurückkehren will. Die Eigen-verantwortung des Mitarbeiters wird als der Kern zum Wiedereingliederungserfolg bewertet. Darüber hinaus muss ein Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten gege-ben sein.

„Wenn das ein vernünftiger Mitarbeiter ist, dann würde ich auch alles dafür tun.“ (B_8) „Eine Gruppe von kranken Mitarbeitern will wieder arbeiten, die andere genießt das Fernbleiben vom Betrieb.“ (K_280)

Als weitere Erfolgsfaktoren werden genannt kooperativer Führungsstil, aufgeschlossenes Vorgesetztenverhalten, kooperatives Kollegenverhalten und eine faire Personalpolitik. Dabei kommt dem Arbeitgeber eine tragende Rolle zu. Beispielsweise solle die Kooperationsbereit-schaft ein Kriterium für die Leistungsbeurteilung von Vorgesetzten sein.

„Man muss offen mit den Mitarbeitern umgehen ... alles andere funktioniert nicht.“ (F_16) „Ich glaube das Entscheidende [bei der Eingliederung] ist das Betriebsklima, das spielt die größte Rolle ... gegenseitige Kooperation ... Zusammenhalt in der Be-legschaft.“ (L_270)

Es wurden auch weniger förderliche Einstellungen deutlich. So werden von einer Führungs-kraft die Mitarbeiter zu reinen Kostenfaktoren degradiert. In einem anderen Betrieb werden Mitarbeiter nach Ende der Entgeltfortzahlung so schnell wie möglich durch eine Ersatzkraft ersetzt. In den Augen eines anderen Befragten können Mitarbeiter nur ganz oder gar nicht arbeiten, Zwischenstufen werden nicht zugelassen. Bei einigen Befragten ist der Gedanke völlig fremd, durch frühen Kontakt zum Mitarbeiter und entsprechende Maßnahmen eine Eingliederung beschleunigen zu können.

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

3.2 Problembewusstsein Es wurde danach gefragt, wie relevant die Themen Krankheit und Wiedereingliederung für den Betrieb sind, ob erhöhte Risiken auf Mitarbeiter- bzw. Arbeitsplatzseite vorhanden sind und ob die gesetzlichen Verpflichtungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement be-kannt sind. Das Thema Krankheit wird in den Unternehmen grundsätzlich als relevant eingestuft. Insbe-sondere in Kleinunternehmen werfen krankheitsbedingte Fehlzeiten erhebliche organisatori-sche Schwierigkeiten auf, z.B. Aufträge können nicht oder nicht fristgerecht abgearbeitet werden, Kollegen werden noch mehr belastet, Qualifikation fehlt, Maschinen stehen still. Dies kann sogar soweit führen, dass die betriebliche Existenz gefährdet ist. In vielen Unter-nehmen, insbesondere in den kleineren, wurden in diesem Zusammenhang weitere Belas-tungen wie der hohe Kosten-, Konkurrenz- und Leistungsdruck, die eingeschränkte Kredit-würdigkeit und die hohen Lohnnebenkosten thematisiert. Die Leiterin eines kleinen Dienst-leistungsbetriebs erklärt:

„Ich meine klar, nur wenn man gesunde Mitarbeiter hat kann man gut arbeiten. Ganz klar. Es spielt, denke ich, auch eine sehr große Rolle, sobald hier ein Mit-arbeiter ausfällt und sei es nur für eine Woche krank, spüren das natürlich die anderen Mitarbeiter erheblich. Das heißt, die sind alle schon sehr stark mit Arbeit ausgelastet. Also können wir uns eigentlich fast gar nicht leisten, dass wir krank werden.“ (A_5)

Insgesamt wird Krankheit – und auch Gesundheit – einerseits als wichtig bewertet. Anderer-seits sind diese Themen eher Randthemen und kein potenzielles Handlungsfeld, die meisten Unternehmen verhalten sich eher passiv. Das Thema frühzeitige Wiedereingliederung ist für die kleineren Unternehmen erst dann wichtig, wenn konkrete Fälle vorliegen. Man baut auf „Feuerlöschen“ und „Notfallmanagement“: die Dinge werden dann geregelt wenn sie anfal-len. Langzeiterkrankungen sind in den meisten kleineren Unternehmen die Ausnahme.

„Krankheit ist ein Thema, was wir hoffen erst möglichst spät angehen zu müssen ... Im Moment haben wir das Glück, dass unsere Belegschaft relativ fit ist.“ (C_8)

Für den Leiter eines mittelgroßen Altenpflegeheims ist Wiedereingliederung nach längerer Erkrankung überhaupt kein Thema. Er begründet seine abwehrende Haltung damit, motivier-te Mitarbeiter sollten eingliederungsbezogene Themen mit dem Betriebsarzt besprechen.

„Dann versuchen wir, wenn die 6-Wochen-Frist erfüllt ist, d.h. also dass er aus der Lohnfortzahlung raus ist, dass wir das irgendwie ersetzen können ... Exter-nen oder Teilzeitmitarbeitern eine volle Wochenarbeitszeit geben.“ (H_55)

In einem mittleren Produktionsbetrieb spielt das Thema langfristige Integration von leis-tungsgewandelten Mitarbeitern eine wichtige Rolle. Während früher Frühverrentung und Werksrente mit gegebenenfalls einer Abfindung häufig das Mittel der Wahl gewesen sind, müssen jetzt integrative Lösungen gefunden werden. Der Krankenstand in diesem Betrieb liegt über dem Branchendurchschnitt. Abgesehen von dieser Ausnahme werden die Krankenstände in den befragten Unternehmen als unauffällig, normal oder durchschnittlich beschrieben. Eine systematische Auswertung der Fehlzeiten wird allein in dem zuvor beschriebenen mittleren Betrieb des produzierenden Gewerbes vorgenommen. Als Kernergebnis wird genannt, dass ca. 1/3 der Krankheiten Scheinkrankheiten im Kurzzeitbereich sind.

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko wird in allen Unternehmen gesehen, in denen hohe körperli-che Anforderungen vorliegen. Hier werden überwiegend Rückenbeschwerden genannt. In einigen Unternehmen werden hohe psychische Belastungen beschrieben durch Arbeitsver-dichtung, hohe Flexibilitätsanforderungen, Arbeitszeitschwankungen. In all diesen Unter-nehmen wird frühzeitige Eingliederung als schwierig bewertet, vielmehr wird der Prävention eine größere Bedeutung beigemessen – entsprechende Maßnahmen werden jedoch nur eingeschränkt umsetzt. Einzelne Mitarbeiter mit erhöhtem Krankheitsrisiko gibt es in den meisten Unternehmen. Die befragten Führungskräfte haben zu diesen Fällen mehr oder weniger begründete Theorien im Kopf. Diese reichen von „Abstempeln als Simulant“ über „Verdacht auf Alkoholabusus“ bis hin zu „Wissen über Krankheiten“ und „altersbedingt“. Im Falle von Verdachtsmomenten wünschen sich einige Befragte einen kompetenten Ansprechpartner, bei dem Sie das nötige Wissen über nächste Handlungsschritte erhalten können. In den mittleren Unternehmen wurde zusätzlich danach gefragt, ob es Mitarbeitergruppen mit einem erhöhten Krankheitsrisiko gibt. Die Gruppe „ältere Mitarbeiter“ wurde von keinem Be-trieb als Problemgruppe thematisiert. Das bedeutet aber nicht, dass die Problematik nicht bei einzelnen Mitarbeitern gesehen wird. Den schwerbehinderten Mitarbeitern werden meistens unterdurchschnittliche Fehlzeiten bescheinigt. Ein Betrieb führt jedoch an:

„Schwerbehinderte sind teilweise häufiger krank. Ob man jetzt zu denen schwar-ze Schafe sagt oder nicht, sie wissen ja wie es ist. Die einen nehmen ihre Schwerbehinderung als Entschuldigung, die anderen sind tatsächlich krank.“ (K_280)

Das Unternehmen für sozialtherapeutische Dienstleistungen beschäftigt eine größere Zahl von psychisch erkrankten Mitarbeitern. Diese sind durchschnittlich krank. Allerdings fehlen sie lange, wenn sie einmal krank sind. Die gesetzlichen Verpflichtungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement sind nur in zwei der insgesamt 14 Unternehmen bekannt gewesen. Die befragten Führungskräfte be-werteten die Verpflichtungen aus § 84 Abs. 2 SGB IX teilweise als überflüssig, teilweise rea-gierten sie mit Unverständnis. Das Unternehmen für sozialtherapeutische Dienstleistungen war mit den Regelungen vertraut. Der Leiter eines Finanzamts war informiert, bewertet die Regelungen aber für seine Behörde als unproblematisch.

„Das was der § 84 will, ich sag mal, das ist für uns kein Problem ... ich glaube dass das hauptsächlich ein Problem ist, die körperlich arbeiten. Bei uns ist Schreibtischarbeit, der Kopf ist ja noch klar. Man muss nur sitzen können.“ (L_270)

Allerdings will der Befragte auch eine Zunahme psychischer Erkrankungen in anderen Be-hörden feststellen, was im Erkrankungsfall die obige Argumentation entkräftet.

3.3 Potenzielle Eingliederungsmöglichkeiten Im Dialog mit der Führungskraft wurden Möglichkeiten diskutiert, wie ein Mitarbeiter mit ge-sundheitlichen Einschränkungen oder nach längerer Erkrankung frühzeitig wieder arbeiten kann. Thematisiert wurden Teilzeitmodelle insbesondere im Rahmen einer Stufenweisen Wiedereingliederung, innerbetriebliche Umsetzung, technische Arbeitsplatzanpassung und Veränderung der Arbeitsorganisation. Grundsätzlich konnten in fast allen befragten Unternehmen Möglichkeiten zur frühzeitigen Eingliederung identifiziert werden, allerdings ist die Vielfalt der Möglichkeiten häufig einge-

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

schränkt. Keine Möglichkeiten zur Wiedereingliederung sieht nur ein Betrieb, und zwar das Altenpflegeheim.

„Ich sehe keine Möglichkeiten. Entweder ganz oder gar nicht arbeiten.“ (H_55) In den kleineren Unternehmen können in der Regel individuelle Wiedereingliederungsmög-lichkeiten geschaffen werden, solange die gesundheitliche Einschränkung nur temporärer Art ist. Dann werden Teilzeitmodelle, Umsetzung und Veränderung der Arbeitsorganisation so-wie Kombinationen aus diesen Möglichkeiten häufig umgesetzt. Die Kollegen werden von Mehrarbeit entlastet und unterstützen den Betroffenen, der Chef bzw. der Vorgesetzte nimmt den erhöhten organisatorischen Aufwand in Kauf. Teilzeitmodelle sind fast immer möglich und werden auch häufig umgesetzt. Es gibt aber auch Ausnahmen. Bei einem kleinen Produktionsbetrieb ist wegen Schichtbetrieb eine Stü-ckelung der täglichen Arbeitszeit nur mit erheblichem organisatorischem Aufwand möglich – eine tageweise Wiedereingliederung wäre aber möglich, wurde bislang aber noch nicht er-wogen. In einem Altenpflegeheim wird Teilzeitarbeit als sinnlos bezeichnet, weil die hohen körperlichen Anforderungen schließlich gleich bleiben – auch hier ist tageweise Wiederein-gliederung derzeit kein Thema. Innerbetriebliche Umsetzungen werden von den kleineren Unternehmen insgesamt eher als schwierig bewertet, weil häufig keine Arbeitsplätze mit den entsprechenden Anforderungen zur Verfügung stehen, weil alle Arbeitsplätze ähnliche Anforderungen haben, weil jeder Mit-arbeiter Spezialist auf seinem Gebiet ist und/oder Qualifikationsgefälle bestehen.

„Bei uns muss jeder alles können.“ (C_8) In zwei Kleinunternehmen mit überwiegender Bürotätigkeit könnten Heimarbeitsplätze zwar mit technischem Aufwand, aber immerhin eingerichtet werden. In einem anderen Betrieb wurde eine Umsetzung vom Außen- in den Innendienst realisiert. Allen Kleinunternehmen gemeinsam: besteht die Leistungseinschränkung des Betroffenen längerfristig oder sogar permanent, dann wird eine dauerhafte Integration schwierig. Die Zu-satzbelastungen für die Beteiligten sind dann nur noch bedingt tragbar. Die dauerhafte Leis-tungseinschränkung wird zum Unternehmensschicksal, das die betriebliche Existenz gefähr-det.

„Ja, ich meine gerade im Bereich der Pflege ist das natürlich ein Problem, weil es da schon leichtere Tätigkeiten gibt, weil die Kollegen des Betreffenden aber dann auch sagen, wir sind doch nicht bekloppt und arbeiten für dich doppelt und drei-fach, nur damit du hier eine leichtere Tätigkeit bekommen kannst.“ (H_55)

„Die Möglichkeit für andere Tätigkeiten ist relativ gering, das ist bei uns fast wie die Nadel im Heuhaufen. Vielleicht ein oder zwei Fälle von 100 [...] Wir haben bestimmte Einsatzgebiete und da wird überall gehoben und wenn da einer ein Rückenleiden hat und kann deswegen nicht arbeiten, da kann ich da nichts ma-chen. Da kann ich nur sagen, ist jetzt Chance auf Heilung, irgendwann ist wieder gut und du kannst den Job wieder so ausüben – aber wenn die Krankheit dauer-haft ist oder sich immer wiederholt, dann muss man sich überlegen ob der Ar-beitsvertrag dann aufrecht erhalten werden kann.“ (G_27)

In den mittleren Unternehmen kommen potenzielle Eingliederungsfälle absolut gesehen häufiger vor. Es gibt innerbetriebliche Instanzen, die die Thematik artikulieren und umsetzen (sollten). Die Möglichkeiten zur Eingliederung von Mitarbeitern mit gesundheitlichen Ein-schränkungen sind vielfältiger als in den kleineren Unternehmen. Problematisch wird es dann, wenn die Maßnahmen bestehende Arbeitszeitregelungen oder Abteilungsgrenzen ü-berschreiten.

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

Teilzeitmodelle, insbesondere im Rahmen einer Stufenweisen Wiedereingliederung, werden in den befragten mittleren Unternehmen regelmäßig eingesetzt. Dies trifft nicht auf die be-fragten produzierenden Unternehmen mit Schichtsystem zu. Dort müssen entweder tempo-rär neue Arbeitsplätze geschaffen werden oder zwei Personen teilen sich eine Schicht. Letz-teres kommt jedoch aus organisatorischen Gründen kaum zur Anwendung. Wie auch in dem Kleinbetrieb mit Schichtsystem ist die Möglichkeit einer tageweisen Stufenweisen Wieder-eingliederung nicht bekannt gewesen. Arbeitsplatzumgestaltung, technische Hilfen und Umsetzung an einen neuen Arbeitsplatz können häufig eingesetzt werden. Allerdings wird der organisatorische Aufwand für derartige Maßnahmen häufig betont, insbesondere wenn Abteilungsgrenzen überschritten werden oder Kooperationen mit externen Stellen eingegangen werden müssen. Im befragten Finanzamt sind die Eingliederungsmöglichkeiten sehr vielfältig: Stufenweise Wiedereingliederung wird routinemäßig eingesetzt, es gibt Fahrdienste für den Weg zur Ar-beit und nach Hause, es gibt für Mitarbeiter mit Schwierigkeiten bei längerem Sitzen höhen-verstellbare Stehtische, bei Langzeiterkrankungen (mehr als 2 Jahre) ist eine behördlich fi-nanzierte Nachqualifizierung möglich. Kann ein Mitarbeiter krankheitsbedingt sein Arbeits-pensum nicht erfüllen, dann kann ein Springer personelle Unterstützung leisten. Schwieriger ist eine innerbetriebliche Umsetzung, weil in der Regel Spezialkenntnisse nötig sind und weil organisatorische Schwierigkeiten bestehen. Ein mittlerer Produktionsbetrieb führt an, dass leistungsgewandelte Mitarbeiter nur einge-schränkt wiedereingegliedert werden können, weil entweder die intellektuellen Vorausset-zung für eine weniger körperliche und mehr geistige Arbeit fehlt, oder die Abteilungen schon mehrere Leistungsgewandelte beschäftigt.

3.4 Nutzenbewertung Die Führungskräfte wurden gefragt, welche Vor- oder Nachteile bzw. welchen Nutzen oder Aufwand sie bei frühzeitiger Eingliederung sehen, insbesondere nach längerer Erkrankung oder bei gesundheitlicher Einschränkung. Die befragten Führungskräfte differenzieren zwischen mitarbeiter- und arbeitgeberbezoge-nen Argumenten.

„Ich denke es ist für beide Seiten gut, im Betrieb bleibt nicht so viel liegen, es können auch Informationen weitergegeben werden. Und andererseits: jemand langweilt sich nicht zu Hause und kann auch wieder etwas tun und wird auch wieder gebraucht.“ (F_16)

Der Nutzen für den Mitarbeiter wird in folgenden Punkten gesehen: Selbstbewusstsein steigern, positives Selbstbild schaffen, Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg vermeiden, nach längerer Krankheit die volle Einsatzfähigkeit beschleunigen. Am häufigsten werden die Ar-gumente Selbstbewusstsein und Selbstbild genannt. Es wird betont, dass eine frühzeitige Eingliederung jedoch nur dann den erhofften Nutzen bringt, wenn der entsprechende Wille des Mitarbeiters sowie die medizinischen Voraussetzungen gegeben sind.

„Stufenweise Wiedereingliederung ist sinnvoller als so ad-hoc-Geschichten, es immer wieder zu versuchen.“ (I_160)

Allerdings werden auch Nachteile hervorgehoben. So besteht bei zu früher Eingliederung eine Rückfallgefahr, die zu Unsicherheit bei der Personaleinsatzplanung und damit zu Unmut bei den Kollegen führt. Ein weiterer Betrieb argumentiert, dass genau aus diesem Grund keine Aktivitäten zur frühzeitigen Eingliederung unternommen werden.

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

In einem produzierenden Betrieb wird ein Nachteil darin gesehen, dass qualifizierte Arbeits-kräfte bei einer innerbetrieblichen Umsetzung dann minderwertige Tätigkeiten verrichten müssen. Dies könne zu Demotivation führen. Nutzenargumente für den Arbeitgeber sind sowohl monetärer Art, aber auch intangible Werte werden angesprochen. Kleinere Unternehmen betonen, dass die Kollegen von ihrer Mehrarbeit entlastet werden. Dadurch können Aufträge schneller bzw. überhaupt erst abge-wickelt werden und das Betriebsklima wird positiv geprägt– sofern der Mitarbeiter nicht „si-muliert“. Ein Betrieb für sozialtherapeutische Dienstleitungen mit vielfältigen Eingliederungs-erfahrungen stellt fest, dass die Motivation der gesamten Belegschaft steigt, wenn die Kolle-gen frühzeitig in die Planung eingebunden werden, sei es für eine individuelle Eingliederung oder für Maßnahmen auf Betriebsebene. Derselbe Betrieb sieht den Imagefaktor als nicht zu unterschätzendes Argument an, auf dem Markt als sozial engagiertes Unternehmen zu gel-ten. Kostenaspekte werden von allen Führungskräften angesprochen. Für einige liegt der Haupt-grund für ein Engagement hinsichtlich frühzeitiger Wiedereingliederung darin, Fehlzeiten in den ersten 6 Wochen und damit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu minimieren.

„Richtig interessant ist es nur in den ersten 6 Wochen, danach ändert sich das schlagartig, dann habe ich ja auch nicht mehr den Druck.“ (G_27)

In der Diskussion wurden Möglichkeiten externer Förderung angesprochen: u.a. die Finan-zierung der Stufenweise Wiedereingliederung, Eingliederungszuschüsse, Finanzierung von Arbeitsanpassungen, Boni und Prämien für die Einführung eines Betriebliches Eingliede-rungsmanagement. Insbesondere kleinere Unternehmen betonen den hohen Kosten- und Leistungsdruck, unter dem sie stehen. Sie sehen in den Möglichkeiten einer externen Förde-rung starke Argumente, die Lohnnebenkosten senken zu können und damit wettbewerbsfä-hig zu bleiben.

„Bonus [§ 84 Abs. 4 GB IX] hört man gerne – alles was hilft die Lohnnebenkosten zu begrenzen ist natürlich sehr willkommen. Die Frage ist natürlich wie viel Auf-wand man da rein stecken muss, um diesen Bonus zu erhalten.“ (C_8)

Umso erstaunlicher ist, dass viele Unternehmen über Möglichkeiten der Förderung nicht oder nur unzureichend Bescheid wissen. Mögliche frühzeitige Wiedereingliederungen werden un-terlassen, der mögliche Nutzen bleibt aus. Nachfolgend ist die Finanzierung der Stufenwei-sen Wiedereingliederung unklar:

„Interessant für mich wäre, wenn die [Kostenträger] sagen würden: Der Mitarbei-ter ist 3 Wochen krank für die Tätigkeit, die er normal macht und wenn du den vorher beschäftigen kannst, welche Position auch immer, dann zahlen wir 50 % des Gehaltes ... was sich aber nach 6 Wochen schon wieder schlagartig ändert, dann kostet der mich letztendlich gar nix mehr, dann habe ich auch nicht mehr den Druck.“ (G_27)

Für einen mittleren Betrieb sind Fördermöglichkeiten kein Argument für gesteigertes Enga-gement seinerseits, obwohl die Mittel natürlich mitgenommen werden würden.

„3-4 Mark mehr von der Kasse für einen Mitarbeiter der frühzeitig wieder einge-gliedert... das bringt mir nichts.“(J_173)

Ein weiteres häufig genanntes Argument ist, dass erfahrene Mitarbeiter und die damit ver-bundenen Bildungsinvestitionen erhalten bleiben. Aufwändige Neueinstellungen können

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vermieden werde. Dieses Argument zählt jedoch nicht für einen produzierenden Betrieb, der überwiegend ungelernte und damit relativ leicht zu ersetzende Arbeitskräfte beschäftigt. Insgesamt sieht ein Großteil der Führungskräfte in einem verstärkten Engagement hinsicht-lich Eingliederung weniger einen Zusatznutzen als vielmehr „Schadensbegrenzung“.

4 Aktivitäten Zu den Aktivitäten der Wiedereingliederung zählen die Planung, Durchführung und Monito-ring der Wiedereingliederung auf Einzelfallebene und Programmebene. Auf der Einzelfall-ebene geht es um die konkreten Maßnahmen zur Eingliederung eines Betroffenen. Von Inte-resse dabei sind der Kontakt und die Kommunikation, die Vernetzung/Verbindung zu exter-nen Experten bzw. Wissen darüber, wer die Ansprechpartner zum Thema betriebliche Wie-dereingliederung sind. Auf Programmebene interessiert, ob formale Handlungsanleitungen (Standards) vorliegen und diese im konkreten Fall angewendet werden.

4.1 Kontakt zum Mitarbeiter Im Gegensatz zu Großunternehmen bestehen bei den KMU in der Regel keine Kontaktdefizi-te. Allen gleich ist die Krankmeldung durch den Betroffenen. Danach ist es häufig im Einzel-nen nicht explizit geregelt, wer im Falle einer langandauernden krankheitsbedingten Arbeits-unfähigkeit den Kontakt aufrechterhält. Teilweise fließt die Information über die Kollegen o-der direkten Vorgesetzten zum Geschäftsführer, oder dieser informiert sich persönlich. Dabei zeigte sich, dass die meisten Geschäftsführer in den kleineren Betrieben in einem solchen Anruf keinen Kontrollaspekt sehen.

„Man nimmt automatisch Kontakt auf, weil in so einem Kleinunternehmen muss die Arbeit ja weitergehen. Man bespricht die Arbeit und dabei spricht man auch über die Krankheit – das ist das normalste von der Welt.“ (F_16)

„ ... frühzeitige Kontaktaufnahme ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn man an größere Unternehmen denkt, die sind wahrscheinlich froh, wenn einer wegfällt, dann ist der schnell abgeschoben, erledigt... bei uns, wir sind so klein, da ist der Kontakt immer da, da will man das beste für seinen Mitarbeiter.“ (B_8)

Bei mittelständischen Unternehmen wird von Seiten der Geschäftsführung seltener Kontakt zu den Betroffenen aufgenommen oder aufrechterhalten. Es kümmert sich ein Vertreter aus dem Betriebsrat, der direkte Vorgesetzte oder Abteilungsleiter. Teilweise wird von Betriebs-seite bis zu 6 Wochen nach Fehlzeitenbeginn kein Kontakt aufgenommen. Deutlich wurde mit steigender Betriebsgröße die Skrupel der Unternehmensseite während AU-Zeiten in Kon-takt mit dem Betroffenen zu treten. Hier wird davon ausgegangen, dass die Kontaktaufnah-me nicht erlaubt sei und dass diese einen Kontrollaspekt habe.

„Als Personalkraft hat man eine schlechte Position bei Krankenkontakten.“ „Also nur insofern, wenn jetzt eine freundschaftliche Beziehung zwischen Mitar-beitern besteht, ja. Ansonsten von uns aus nicht.“ (H_55) „Ich habe mich in der Vergangenheit nie getraut einen anzurufen, weil ich dann immer das Gefühl hatte, darfst du gar nicht, den auszufragen, das ist ne Belästi-gung oder so was ... Die [arbeitsunwilligen Langzeitkranken] sind ja nicht an-sprechbar in dem Sinne. Ich sag mal, selbst wenn ich die anrufen würde oder ei-nen Brief schreiben, melden Sie sich mal bitte oder ein Formular zum ankreuzen,

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es geht mir gut oder schlecht – mal Butter bei die Fische, wie soll das ausse-hen?“ (G_27)

Krankenrückkehrergespräch im Sinne des Wortes und nicht einer Methode wird in allen Un-ternehmen durchgeführt. In der Regel geschieht es nicht nach expliziten Regeln, so auch in den Kleinunternehmen und in einigen mittelständischen Unternehmen. Teilweise werden in mittelständischen Unternehmen auch formale Krankenrückkehrgespräche geführt.

4.2 Experten einbinden Das Einbinden von Experten stellt sich für die KMU als schwierig dar. Es wird deutlich, dass auf Grund der bisher peripheren Behandlung des Themas Wiedereingliederung geringe bis gar keine Kenntnisse über die Ansprechpartner vorliegen. Am ehesten wurde der Integrati-onsfachdienst als bekannter Ansprechpartner benannt. Hilfe erhoffen sich KMU-Akteure in erster Linie von der Krankenkasse, “...da es sich um Erkrankungen handelt“, teilweise wurde auch die BG benannt; Servicestellen sind den KMU-Akteuren unbekannt. Das Einleiten einer Stufenweisen Wiedereingliederung und die Kommunikation zwischen den Akteuren wurden in erster Linie von dem Betroffenen geführt. Teilweise wurde von Betriebs-seite der Betriebsarzt bzw. der externe betriebärztliche Dienstleister hinzugezogen.

4.3 Kollegen und Vorgesetzte einbinden Die Kollegen und Vorgesetzte im Falle einer Wiedereingliederung einzubinden stellt die KMU nicht vor eine große Herausforderung, da auch hier die soziale Nähe von Geschäftsleitung und Mitarbeiter Kontakte und Kommunikation einfach gestaltet. Bis auf 2 Ausnahmen sah die Geschäftsführung der Unternehmen keinen Grund an die Solidarität der Kollegen zu zwei-feln. Sie gehen davon aus, dass eine temporäre Teilarbeitsübernahme von den Kollegen möglich sei. Auch wird es als wichtig betrachtet, dass die unmittelbaren Kollegen und Vorge-setzten im Vorfeld einer Wiedereingliederung darüber informiert werden. In einem Kleinstbetrieb werden die Kollegen zu einem Krankenrückkehrgespräch (im Sinne des Wortes) dazu eingeladen, wo das Team den Krankenrückkehrer über den neusten Be-triebsstand informiert und gleichzeitig über eventuelle Veränderung auf Seiten des Betroffe-nen erfährt.

4.4 Anreize für Mitarbeiter einsetzen Alle befragten Unternehmer sind sich darin einig, dass externale Anreize, um Mitarbeiter frü-her wieder einzugliedern, nicht sinnvoll seien. Vor allem finanzielle Anreize wurden hier ein-stimmig abgelehnt. Vielmehr erwarten die Geschäftsführer das Engagement ihrer Mitarbeiter zum frühestmöglichen Termin in Arbeit wieder zurückzukehren. Sie gehen davon aus, dass sich die Mitarbeiter moralisch verpflichtet sehen müssen, frühestmöglich wieder am Arbeits-platz zu erscheinen, um die direkten Kollegen zu entlasten. Man setzt also eine intrinsische Motivation (Verantwortung) zur frühst möglichen Wiedereingliederung bei den Mitarbeitern voraus, die man nicht durch externale Anreize schaffen kann. Ein Betrieb sieht das Problem eher in Übermotivation als in fehlender Motivation.

„Wir haben eher das Problem, dass Leute hier halb tot ankommen, die man dann hier raus prügeln muss, damit sie nach Hause gehen und man denen sagt, ruhe dich mal drei Tage aus.“ (F_16)

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4.5 Durchführung der Wiedereingliederung Die befragten KMU beschrieben sich in der Planung und Durchführung einer Wiedereinglie-derung als passive Teilnehmer. Potenzielle Eingliederung werden von Unternehmensseite im Vorfeld nicht systematisch geplant, sondern eher ad hoc und nach Initiative von Betroffenen oder Externen durchgeführt. Über die Hälfte der Befragten verfügen über Erfahrung mit Wie-dereingliederung. Die Wiedereingliederung wird vom Betroffenen selbst, den Kollegen oder von den direkten Vorgesetzten gesteuert und überwacht.

4.6 Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention Gesundheitsförderung und Prävention wird in der deutlichen Mehrzahl der Unternehmen mittels verschiedener Aktivitäten umgesetzt. In erster Linie versucht man im Arbeits-, Unfall-schutz und Ergonomie präventiv zu handeln. Auf der Seite der Gesundheitsförderung wird in den KM-Unternehmen deutlich weniger angeboten. Themen im Bereich Gesundheitsförde-rung sind in den befragten KMU: Ernährung, Vorsorgeuntersuchung, Rückengerechtes He-ben. Im Weiteren Nichtraucherangebote, Entspannungsseminare und Fitness. Dabei ist dem überwiegenden Teil der Interviewten die Notwendigkeit der Gesundheitsförderung bewusst, sie sehen sich aber nicht in der (wirtschaftlichen) Lage, in angemessener Weise Maßnah-men anzubieten. Häufig – gerade in den Kleinstunternehmen - könne der Arbeitgeber nur an die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter appellieren oder durch „gute Laune“ das Betriebs-klima positiv beeinflussen. KM-Unternehmer, die im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung nicht tätig sind, se-hen diese Aufgabe in der Eigenverantwortung der Mitarbeiter oder in der Zuständigkeit der Betriebsärzte.

5 Konkrete Erwartungen an externe Unterstützung In diesem Kapitel werden die Erwartungen der KM-Unternehmer an externer Unterstützung im Rahmen einer Wiedereingliederung wiedergegeben. Teilweise wurden keine akteurspezi-fischen Erwartungen formuliert, sondern externe Unterstützung in Form von finanziellen Zu-schüssen bei der Eingliederung erwünscht. Auch wurde in einem Fall das Modell der exter-nen Unterstützung abgelehnt. Hier wurde die Meinung vertreten, dass dem Unternehmer durch Senken der Lohnnebenkosten und mehr Eigenverantwortung in diesem Bereich bes-ser geholfen sei.

5.1 Externe Experten Der überwiegende Teil der KM-Unternehmer erwarten von einer externen Unterstützung im Rahmen einer Wiedereingliederung einen direkten, zentralen und kompetenten Ansprech-partner. Dieser sollte in der Lage sein, wichtige Informationen zeitnah zu vermitteln. Die kon-krete Maßnahme soll dadurch u.a. in ihrer Planung beschleunigt werden. Des Weiteren wün-schen sich die KM-Unternehmer einen externen „Sozialen Dienst“, wo Fachberater (Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter) mit Schweigepflicht Mitarbeiter bei körperlichen, psychi-schen oder sozialen Problemen beraten.

„Als Selbstständiger hat man nicht die Information darüber, an wen man sich in einen bestimmten Fall wenden soll.“ (D_13)

„Von wem die Hilfestellung kommt, ist mir letztendlich egal.“ (C_8)

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5.2 Externer zentraler Ansprechpartner „Disability Manager“ Wie schon oben erwähnt, wird ein zentraler und kurzfristig erreichbarer Ansprechpartner von den KM-Unternehmern präferiert. Uneins ist man sich hingegen bei der Frage, ob überhaupt und welcher Institution ein externer Disability Manager angehören soll. Hier gehen die Mei-nungen auseinander. Die Notwendigkeit einer institutionalen Anbindung wurde von einem Teil betont, vom Gegenteil abgelehnt. Als mögliche Institutionen wurden die Berufsgenos-senschaften, die Bundesagentur für Arbeit, Integrationsämter und die Krankenkassen be-nannt. Die wesentliche Fertigkeit des Disability Managers soll aus Sicht der KM-Unternehmer die Kenntnis über die Arbeitsplätze im jeweiligen Betrieb sein.

„Ich würde mich an so einen Disability Manager wenden, wenn es brennt. Inso-fern muss er kurzfristig zu erreichen sein, sonst hätte ich ja nichts davon.“ (I_160)

„Wenn das [erfolgreiche Eingliederung] dann gut gelaufen ist, dann hätte man als Disability Manager einen Fuß in der Tür und könnte dann kucken, ein Gesamt-konzept zu entwickeln, also in einem zweiten Schritt dann Dinge umgestalten, dass Leute weniger krank werden.“ (I_160) „Das ist wie früher mit dem Arbeitsamtberater – wenn sie einen haben, der noch nie hier war, das können Sie vergessen. Wenn Sie einen kriegen, der schon ein-mal hier war, dann kriegen Sie eine super Beratung ... früher hätte ich dem Ar-beitsamt ne eins gegeben.“ (F_16)

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6 Fazit: Förderfaktoren und Barrieren Weiterbeschäftigung und frühzeitige Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer oder wie-derholter Krankheit wird von den befragten Geschäftsführern in KMU nur bedingt als Hand-lungsfeld gesehen. Meistens bauen sie auf passives ad-hoc-Management, d.h. sie reagieren auf Notfälle, setzen auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und betreiben Schadensbe-grenzung. Durch die Befragung konnten Gründe für mangelnde Umsetzung aktiver betrieblicher Ein-gliederungsarbeit identifiziert werden. Daraus können Überwindungsmöglichkeiten abgeleitet werden, die die innerbetriebliche Kompetenzentwicklung und mögliche Unterstützungskon-zepte betreffen. 1. Informationsdefizit und unzureichende Handlungskompetenz

• Problembewusstsein unzureichend: Der demographische Wandel und die damit ver-bundene Verknappung der Arbeitskraft wird häufig noch nicht als zukünftiges Prob-lem wahrgenommen. Die gesetzlichen Verpflichtungen zum Betrieblichen Eingliede-rungsmanagement sind nahezu unbekannt. Häufig sind bei langzeiterkrankten Mitar-beitern Frühverrentung, Abfindung oder Kündigung die Methoden der Wahl.

• Unzureichende Kenntnis über Unterstützungspotenziale: Sind KMU mit potenziellen Eingliederungsfällen konfrontiert, wird auf die Eigenverantwortung des Mitarbeiters verwiesen. Externe Unterstützungspotenziale, z.B. der Servicestellen und der einzel-nen Sozialleistungsträger, sind wenig bis überhaupt nicht bekannt. Daher werden diese auch nicht aktiv um Unterstützung ersucht, eine Förderung der betrieblichen Handlungskompetenz bleibt damit aus.

• Eine mögliche Ursache für das Informationsdefizit ist, dass in KMU nicht das nötige Personal mit dem entsprechenden Wissen vorhanden ist. Dies zieht eine fachliche und zeitliche Überforderung nach sich.

Konsequenz: Informationsdefizit multimodal ausgleichen und Umsetzungshilfen entwi-ckeln Wissen ist die Voraussetzung für kompetentes Handeln. Fehlendes Wissen führt zu Ü-berforderung und Inaktivität. Daher sind Beispiele gelungener Praxis zu vermitteln. Not-wendig sind einfache und konkrete Umsetzungshilfen, d.h. Informationen darüber was bei gesundheitlich beeinträchtigten Mitarbeitern konkret zu tun ist. Diese Hilfen sind zu entwickeln in unterschiedlicher Informationstiefe und Aufbereitung (Flyer, Handbuch, Checklisten, Schulung, Webseite etc.). Bestehende Kommunikationskanäle sind zu nut-zen (Innung, Kammer, arbeitsmedizinische Zentren, Fachzeitschriften etc.). Ferner soll-ten Informationsveranstaltungen im Rahmen von bestehenden Ausbildungen (Berufs-schulen, Meisterschulen, Innungen etc.) stattfinden, um Multiplikatoreneffekte zu erzie-len. In KMU fehlende Personalstrukturen können durch betriebliche Netzwerk-Modelle kompensiert werden. Es sind – wie im Bereich „Arbeit und Gesundheit“ – betriebliche Netzwerk-Modelle in Kombination mit Expertenwissen zu bilden bzw. bestehende Netz-werke um das Themenfeld „Eingliederung“ zu erweitern.

2. Fehlende Akzeptanz der Geschäftsleitung

• Das Thema Wiedereingliederung hat bei vielen Geschäftsführern keine Priorität. Vor-gebrachte Argumente sind: keine akuten Fälle insbesondere in Kleinunternehmen1, hoher Kosten- und Leistungsdruck, nur gesunde Mitarbeiter sind zu gebrauchen, kei-ne Eingliederungsmöglichkeiten vorhanden, wirtschaftliche Investitionen haben Vor-

1 zwar kommen potenzielle Fälle in der Regel selten vor, aber wenn doch, dann ist die betriebliche Leistungsfähigkeit gefährdet

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rang. Im Rahmen der Interviews hat sich jedoch gezeigt, dass die Argumente zwar nicht im Ganzen zu widerlegen sind, aber durch konstruktiven Dialog teilweise ent-kräftet werden können.

• unzureichende Nutzenklarheit: Fördermöglichkeiten sind nur dann bekannt, wenn be-reits Erfahrung mit schwerbehinderten Mitarbeitern vorliegen. Die meisten KMU se-hen den Nutzen für die „Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern mit gesundheitlichen Einschränkungen“ darin, dass Schaden begrenzt wird, ein Zusatznutzen wird nur für den betroffenen Mitarbeiter gesehen.

• Maßnahmen zur Eingliederung nach Krankheit sind in KMU in der Regel „Chefsa-che“. Gleichzeitig fehlt meist eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Insofern hängt der Erfolg betrieblicher Eingliederungsarbeit in hohem Maße von der Persön-lichkeit des Geschäftsführers ab. Ist dessen Akzeptanz für entsprechende Maßnah-men nicht gegeben, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Allerdings zeigten sich in der Befragung die meisten Geschäftsführer dann engagiert und kompromissbereit, wenn der Mitarbeiter aktiv ist und der Aufwand überschaubar bleibt.

Konsequenz: Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit Geschäftsführer sind vom Nutzen frühzeitiger Eingliederung und Weiterbeschäftigung von gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitern zu überzeugen. Bestehende Negativar-gumentationen sind zu entkräften und positive Argumentationsketten sind aufzubauen. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Investitionen in Wiedereingliederung (und gesundheitsförderliche Maßnahmen) und die Chance auf erhöhte Mitarbeiterzufrieden-heit, -loyalität, Imagegewinn, Kosteneinsparung muss nachvollziehbar verdeutlicht wer-den. Finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten der Sozialleistungsträger sind aufzuzeigen. Die Akzeptanz von Maßnahmen zur frühzeitigen Eingliederung hängt entscheidend vom Nachweis ihrer Wirksamkeit und Praktikabilität ab. Hilfen zur (Selbst-)Evaluation von Ein-gliederungsmaßnahmen sind zu entwickeln. Best practice ist zu vermitteln, den Ent-scheidern wie auch der Belegschaft.

3. Eigenverantwortung der Mitarbeiter Einerseits fehlen bei einigen Mitarbeitern die Motivation und die Eigenverantwortung zu frühzeitiger Rückkehr an den Arbeitsplatz – zumindest in den Augen von einigen Ge-schäftsführern. Andererseits sind insbesondere in Kleinunternehmen Mitarbeiter häufig übermotiviert und schleppen sich krank zur Arbeit, was früher oder später zum Bumerang werden kann.

Konsequenz: Krankheit und frühzeitige Wiedereingliederung sind sicherlich auch Privatangelegenhei-ten und von der Einstellung der Mitarbeiter abhängig. Allerdings unterliegen Unterneh-men den Verpflichtungen aus § 84 SGB IX, ein Eingliederungsmanagement unter Wah-rung der Selbstbestimmung zu organisieren. Dabei kann das Unternehmen die Akzep-tanz und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zur Wiedereingliederung fördern. Sinn und Zweck des Betrieblichen Eingliederungsmanagements sind den Mitarbeitern zu er-läutern, ferner sind diese bei der Festlegung von Regeln zu beteiligen (jährlicher Work-shop, regelmäßiges Besprechungsthema, Flyer etc.). Wenn keine formale Interessenver-tretung der Mitarbeiter vorhanden ist, sind einflussreiche Mitarbeiter wertvolle Promoto-ren und damit für die Eingliederungsarbeit zu gewinnen. Darüber hinaus kann das Unter-nehmen das Bewusstsein und das Verhalten der Mitarbeiter hinsichtlich Gesundheit und frühzeitige Wiedereingliederung fördern. Dazu zählen z.B. vorbildliches Vorgesetztenver-halten, positives Feedback, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, Gesundheitsan-gebote (z.B. der Krankenkassen).

4. Fehlende Eingliederungsmöglichkeiten

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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit

In kleinen Unternehmen sind weniger Eingliederungsmöglichkeiten für Mitarbeiter mit ge-sundheitlichen Einschränkungen im Vergleich zu größeren Unternehmen vorhanden. Er-fahrungen mit Casemanagement und Expertenmeinungen unterstreichen dies. Gleich-wohl konnten in konstruktiver Diskussion mit den befragten Geschäftsführern z.T. Mög-lichkeiten gefunden werden, die zunächst nicht in Erwägung gezogen wurden. Konsequenz: Sicherlich sind Eingliederungsmöglichkeiten vor allem in den kleinen Unternehmen be-schränkt. Trotzdem können derartige Möglichkeiten bei kompetenter Unterstützung und Kooperationsbereitschaft des Unternehmens rekrutiert werden. Demnach sind Arbeitge-ber bei der Identifizierung von Eingliederungsmöglichkeiten zu unterstützen. Hier ist ei-nerseits aktiv auf die Unternehmen zuzugehen, wenn potenzielle Eingliederungsfälle von extern identifiziert werden können (z.B. durch die Krankenkasse oder Unfallversiche-rung)2. Andererseits müssen die Unternehmen dazu befähigt werden und dazu bereit sein, möglichst frühzeitig externe Partner einzuschalten. Dies setzt auf Seiten dieser ex-ternen Partner kompetente, pragmatische und kosteneffiziente Lösungen voraus, auf Sei-ten der Unternehmen Kooperationsbereitschaft und Wissen über den Partner.

5. „Krankheit ist (kein) Tabu“ Wegen der flachen Hierarchien und der personalisierten, teils familiären Arbeitsbezie-hungen sind in KMU die Themen Krankheit und Gesundheit in der Regel kein Tabu („man spricht darüber“). Im Gegensatz zu Großunternehmen sind Daten aus dem priva-ten Umfeld häufig bekannt. Allerdings besteht auch die Gefahr der sozialen Kontrolle, wenn Krankheit als Schwäche gewertet wird. Konsequenz: Die Vorteile der sozialen Nähe können genutzt werden im Rahmen der frühzeitigen Ein-leitung von Eingliederungsmaßnahmen. Hier sind den KMU Hilfen an die Hand zu geben, was die konkreten ersten Schritte sind. Ähnliches gilt für das Monitoring der individuellen Eingliederung. In allen Unternehmen – aber insbesondere dort, wo Gesundheit und Krankheit Tabuthemen sind – sollte klar kommuniziert werden, dass Krankheit nicht gleich Schwäche bedeutet. Chancen und Möglichkeiten frühzeitiger Eingliederung sollte transparent gemacht werden.

6. „Wiedereingliederung ist Aufwand“ Viele Geschäftsführer thematisieren den Aufwand von Eingliederungsmaßnahmen. Hinzu kommt, dass in KMU nur begrenzte Erfahrungen diesbezüglich vorliegen sowie zeitliche, personelle und fachliche Ressourcen minimiert sind. Konsequenz: Sicherlich bedeutet Eingliederungsarbeit eine Störung im Tagesgeschäft. Um die meist unter hohem Kosten- und Leistungsdruck stehenden KMU zu entlasten, ist der Aufwand möglichst klein zu halten und der Forderung nach pragmatischen Lösungen entgegen zu kommen. So sind Dokumentationspflichten und „Hintergrundarbeit“ (z.B. Zuständigkeits-klärung, Antragsformulare) minimal zu halten bzw. müssen von der externen Betreuung übernommen werden. Expertenwissen muss schnell und einfach verfügbar sein. Ferner ist der entstehende Aufwand zu kalkulieren und damit transparent zu machen, entweder von der externen Betreuung oder über Handlungshilfen. (Noch zu setzende) Signale von Staatsseite zur Entlastung der Unternehmen sind hilfreich, z.B. transparenter und nie-derschwelliger Zugang zu Bonus und Prämien gem. § 84 Abs. 4 SGB IX.

2 siehe CMB-Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), Informationen unter http://www.ifes.uni-erlangen.de/pub/bestell.php

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