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Stückemarkt 2015 Hose Fahrrad Frau Der Staat / The State TALKING STRAIGHT Festival Zersplittert Another great year for shing

Theatertreffen 2015 – Stückemarkt-Broschüre

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32 Seiten mit ausführlichen Informationen zum Stückemarkt www.berlinerfestspiele.de/stueckemarkt

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Stückemarkt 2015 Hose Fahrrad FrauDer Staat / The StateTALKING STRAIGHT FestivalZersplittertAnother great year for !shing

Inhalt

2 Einführung

4 Grußworte

6 Scheiße, was ist denn mit den Typen los? Über die diesjährige Auswahl

8 Die Jury

10 Stückemarkt I: Stefan Wipplinger, „Hose Fahrrad Frau“

12 Stückemarkt II: Alexander Manuilo!, „Der Staat / The State“

14 Stückemarkt III: Daniel Cremer/TALKING STRAIGHT

„TALKING STRAIGHT Festival“

16 Stückemarkt IV: Alexandra Badea, „Zersplittert“

18 Stückemarkt V: Tom Struyf, „Another great year for "shing“

20 Gespräche und Workshops

21 Stückemarkt Revisited: Chris Thorpe, „Con"rmation“

22 Leseproben

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Die neue Dramatik in all ihren Facetten prägt in diesem Jahr das Theatertre!en. Man könnte sagen: Sie ist endlich dort angekommen. Eine Auswahl mit so vielen lebenden Autor*in-nen gab es noch nie, und es konnte auch noch kein Jahrgang eine größere Vielfalt an Textformen vorweisen.

Die Suche nach zukunftsweisenden Autor*innen, ihren Stücken und ihren individuellen Schreibweisen bleibt Auftrag des Stückemarkts. Gleichzeitig stellen wir dabei grundsätzliche Fragen nach innovativen Formen der Autor*innen- und Ur heber*innenschaft im Theater: Wer ist überhaupt der/die Autor*in eines Stückes? Ab wann ist ein Stück ein Stück? Wer ist an seiner Entstehung beteiligt, wer füllt es mit Leben und bringt es zur Erscheinung? Und wie wirkt sich die Form der Autor*innenschaft auf die Theatertexte aus?

2012 hat der Stückemarkt einen Prozess der Ö!nung begonnen, um die Vielfalt zeitgenössischen Schreibens für das Theater zu fördern und insbesondere Theatersprachen zu entdecken, die sich noch nicht unter den Begri!en Autor*innenschaft und Stück durchgesetzt haben. Denn als unabhängiger Wett-bewerb für neue Stücke kann der Stückemarkt frei von den Produktionszwängen des Betriebs ausprobieren, zur Diskussion stellen und seinen Blick in Richtungen lenken, die abenteuer-lustig, visionär und vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig sind – frei mit Heiner Müller gesprochen: eine Flaschenpost an die Zukunft schicken.

2015 zeigen wir neue Stücke – Theatertexte, Text- und Sprach-entwicklungen –, die auf unterschiedliche Weise entstanden sind, vereinfacht gesagt: am Schreibtisch (Stefan Wipplinger), durch Recherche (Alexandra Badea), während des Proben-prozesses (Tom Struyf), durch die Performance selbst (Daniel Cremer) oder aus einer Mischung aller Vorgehensweisen (Alexander Manuilo!). Die Notationsformen der Stücke sind aufgrund des Zeitpunkts ihrer Fixierung sehr unterschiedlich und fallen auch nicht alle in die Kategorien „geschriebenes Wort auf Papier“ oder „nachspielbar“. Die Gemeinsamkeit der Stücke besteht vielmehr darin, dass ihre Autor*innen die Urheber*innen des in der Inszenierung „gesprochenen“ Wortes sind. Die Auswahl des Stückemarktes zeigt in diesem Jahr eine experimentierfreudige Generation neuer Autor*innen, die völlig selbstverständlich mit vielfältigen Formen, Sprachen und Mitteln umgeht. Viel wichtiger als die kategorische Frage

Flaschenpost für die Zukunft

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danach, wer wie warum Autor*in ist oder nicht ist, erscheint uns die Bedeutung einer bewussten Wahl von Formen, Mitteln und Prozessen des Erzählens für das Theater selbst. Das Bewusst-sein über diese Wahl, welches die Stückemarkt-Autor*innen in besonderem Maße zeigen, fasziniert an ihren Arbeiten. Es zeigt sich bei jedem der ausgewählten Stücke ein praktisches Wissen darum, dass das Medium bereits die Botschaft ist – dass die Frage nach der Form der Autor*innen- und Urheber*in-nenschaft nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine politische ist. Die Autor*innen entwickeln Strategien, die auch die Verfasstheit der Kunst selbst und deren politisches Potential in den Fokus rücken.

Der Stückemarkt soll ein Labor sein, das diese Tendenzen unter-sucht, und in dem ein Austausch zwischen den Autor*innen, anderen Künstler*innen, Vermittler*innen und dem Publikum entstehen kann. Der Diskurs, die Vernetzung und das Prozess-hafte sind hierbei genauso wichtig wie die Präsentation des Fertigen. Deshalb laden wir Sie zu vielfältigen Begegnungen mit den Autor*Innen ein – in szenischen Lesungen, Gastspielen, Workshops und Gesprächen.

Christina Zintl Dramaturgin Theatertre!en / Stückemarkt

Der Stückemarkt wird gefördert durch die Heinz und Heide Dürr Stiftung und die Karl Schlecht Stiftung. Er "ndet in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung statt.

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Gemeinsam mit dem Stückemarkt des Theatertre!ens haben wir uns die Förderung unentdeckter Autoren und neuer Stücke zur Aufgabe gemacht. Ein schöner Erfolg für unsere Arbeit ist es daher, dass in diesem Jahr der ehemalige Stückemarkt-Autor Wolfram Lotz mit seinem Stück „Die lächerliche Finsternis“ neben der prominentesten Autorin des Stückemarkts, näm-lich Elfriede Jelinek, in die Zehnerauswahl des Theater-tre!ens eingeladen wurde.

Der Stückemarkt ist den Autoren und der Suche nach starken Texten treu geblieben. Wir freuen uns auf einen Jahrgang mit ganz unterschiedlichen Autoren, starken Sto!en und mutigen Ansätzen. Den vielen interessanten Vorstellungen, dem Austausch und den Diskussionen blicken wir gespannt entgegen.

Die Heinz und Heide Dürr Stiftung unterstützt die Entwicklungen des Stückemarkts seit 2009, seit dem Jubiläumsjahr 2013 gemeinsam mit der Karl Schlecht Stiftung. Dabei haben wir uns viele Fragen gestellt und oft genug unerwartete und überraschende Antworten erhalten. Deshalb freuen wir uns, dass der Stückemarkt auch in diesem Jahr mit frischem Blick wichtige Debatten erö!net: wie Stücke entstehen, was für Formen der Autorschaft es geben kann, wie es mit dem Stückmarkt weiter gehen soll.

Wir sind als Förderer gerne mit dabei und wünschen Ihnen für den Stückemarkt 2015 Überraschungen, aufregende Fragen und viele neue Antworten.

Heinz und Heide DürrDr. Katrin SchlechtFörderer des Stückemarkts

Grußwort

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Das Theater ist seit jeher ein Ort, an dem brisante zeitgenössische Fragen verhandelt werden, die den einzelnen Menschen, die Gesellschaft und die Politik betre!en. Bis heute versteht sich das Theater in dieser Weise: als ein Forum, in dem aktuelle Themen, die den Leuten unter den Nägeln brennen, re#ektiert und Bedürfnisse, Wünsche und Ängste der Gesellschaft o!en gelegt werden.

Damit das Theater seine gesellschaftliche Relevanz auch zukünftig aufrechter-halten kann, muss es das Ohr am Puls der Zeit haben und auf die sich stetig wandelnde Gegenwart adäquat reagieren. Wachsende globale Kon#ikte und soziale Ungleichheiten beschäftigen die Menschen zunehmend und führen in großen Teilen zu Verunsicherungen. Die digitale Revolution, die wir augenblicklich erleben, verändert in atemberaubender Geschwindigkeit sämtliche Lebens-bereiche grundlegend: unsere Arbeit, unser Freizeitverhalten, auch unsere Produktions-, Denk- und Rezeptionsweisen. Um als zentraler Re#exionsraum unserer Gesellschaft bestehen zu bleiben, muss das Theater diese Umbrüche miteinbeziehen. Es muss sich mit den veränderten Lebensbedingungen und Verhaltensweisen auseinandersetzen und daraus neue künstlerische Darstel-lungsweisen entwickeln.

Um seinen hohen Stellenwert zu behaupten, braucht das Theater auch zeitge-nössische Autorinnen und Autoren, die politische und gesellschaftliche Themen auf außergewöhnliche Art erfahrbar machen, die neue Formen der Autorschaft erproben und innovative Theatersprachen entwickeln. Der Stückemarkt 2015 möchte dem Publikum das Spektrum aktuellen Szenischen Schreibens vorstellen. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb unterstützt den Stückemarkt der Berliner Festspiele seit vielen Jahren und ist immer wieder gespannt auf die Impulse, die von ihm ausgehen.

Thomas KrügerPräsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Grußwort

„Es ist unmöglich, Staub aufzuwirbeln, ohne dass einige Leute husten.“ Erwin Piscator

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Unter Pop-Soziologen gibt es neuer-dings ein – so "nde ich – sehr smartes Konzept: das sogenannte „Massen-original“. Der Begri! beschreibt das hinlänglich bekannte Phänomen, dass der Kulturmensch sich immer dann am originellsten fühlt, wenn er genau das tut oder gut "ndet, was alle anderen auch tun und gut "nden. Denken wir ans Pete-Doherty-Hütchen: Mitte der Nullerjahre tauchte das Mini-Ding plötzlich auf allen Köpfen auf, trotz seiner kaum zu übertre!enden Lächer-lichkeit. Und genauso schnell war es auch wieder weg.

Was bei Hütchen Form und Farbe, ist bei Theaterstücken Sound und soge-nannter „Entstehungsprozess“. Als ich in den 1990ern nach Berlin kam, war gerade die neue englische Dramatik en vogue: schnell getimte, gewalttäti-ge, naturalistische Stücke, die – so sagte man – „"lmisch“ seien. Etwas später trat die gute alte Postdramatik, die man bereits Anfang der 1990er abgeschrie-ben hatte, in der Person von René Pollesch zu ihrem letzten strahlenden Lauf an. Ein, zwei Saisons später er-wachte urplötzlich das dokumentari-sche Theater aus seinem Dornröschen-schlaf, und etwa gleichzeitig wurde das „Kollektiv“, gerade noch als Höhe-punkt kleinbürgerlicher Verschnarcht-heit verspottet, wieder salonfähig.

Scheiße, was ist denn mit den Typen los?

So ging es weiter bis zum heutigen Tag, Saison für Saison. Und kaum trat ein neues Format auf den Plan, war das Massenoriginal nicht weit. Ob „post-migrantisches Theater“, „theatrale Ausstellung“ oder „neue Ernsthaftig-keit“: Jeder Theaterjahrgang hat sein Pete- Doherty-Hütchen, das sich alle Dramaturgien, Preisjurys, Feuilleton-redaktionen und Schreibschulen wie auf geheimen Führerbefehl aufsetzen.

Als ich letzten Winter in die diesjährige Jury des Stückemarkts eingeladen wurde, fragte ich mich: Was ist dieses Jahr das große Ding? Das neo-post-dramatische Schwurbel- Ungetüm? Das postironische Berliner Bohème- Stück? Der politisch engagierte Fußgän-gerzonen-Exhibitionismus? Das neue Volksstück? Das bürokratisch durch-getaktete Well-Made-Play? Okay: Das war natürlich alles dabei. Es gab auch in den diesjährigen Stückemarkt- Einsendungen Genres, es gab die „englischen Stücke“ (aus London und der UdK) und die „postdramatischen“ (aus Gießen und Osteuropa). Es gab Dokumentarisches und Projekthaftes, es gab megalomane Spracherfor-schungsungetüme und ordentliche Recherche-Projekte. Es gab Wagner und John Cage, Crazyness und Genau-igkeit, Dichtung und Wahrheit. Was es aber – und, so scheint mir: vor allem – gab, waren besessene, hochabstrakte, hysterische, ja: schlicht eigenartige Machwerke, die wir uns alle gemein-sam anguckten und dachten: „Aha, was fangen wir denn jetzt damit an?“

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Ich weiß nicht, wie es den Jurys der vergangenen Jahre ging, aber vielleicht ist das Jahr 2015 das Jahr, in dem der Autorbegri! sich endgültig von all den Fesseln befreit hat, die seine selbster-nannten Verteidiger ihm immer wieder anzulegen versuchen. Projekt oder Stück, Verteidigung einer Form oder ihre Kritik: Mir scheint, wir sind an einem Punkt der Theatergeschichte ange-kommen, an dem das keine Rolle mehr spielt. Was soll man zum Beispiel über einen Daniel Cremer sagen, diesen verrückten, genialen Typen, der sich noch einmal voll gerüstet aufs Streitross der postmodernen Ironie setzt und doch tatsächlich ein ganzes Festival gescha!en hat, auf dem anhand einer erfundenen mitteleuropäischen Sprache das Theater und all seine Rituale (Publikumsgespräche, Ibsen-Adaptio-nen, sogar die Indie-Bands im Abend-programm) in das überführt werden, was sie sind: kompletter Unsinn und erhaben ragende Gipfel der Weisheit der europäischen Urbevölkerung? Ist es nicht faszinierend, ja fast verstörend, dass im Jahr 2015 noch – oder wieder? – so tiefenentspannt geplottete und sprachlich klare Werke der Kapitalismus-kritik entstehen wie „Hose Fahrrad Frau“ von Stefan Wipplinger oder „Zersplittert“ von Alexandra Badea? Und sind „The State“ von Alexander Manuilo! oder „Another great year for "shing“ von Tom Struyf nun klassisch oder avantgardistisch zu nennen, sind es die Arbeiten von Autor-Regisseuren oder von Autoren, die keine Regisseure mehr brauchen, sondern nur noch ein Publikum? Vollenden all diese Arbeiten ihr Genre oder verabschieden sie sich von ihm? Und falls zweites zutri!t: wohin? Und von welchem Genre überhaupt?

Natürlich: Diese fünf Beispiele, die wir hier in einer Reihe aufstellen, bezeichnen letztlich nur eine Handvoll zufälliger Haltepunkte in der Text- und Projekt-ebene, die wir in den vergangenen Wochen durchwandert haben – Helgard, Lutz, Tim, Yvonne und ich. Ich ho!e jedoch, dass unsere Auswahl einiger-maßen repräsentativ ist für diesen (wie ich ebenfalls inständigst ho!e) Todesjahrgang der albernen Autoren- Diskussion, die den Stückemarkt begleitet. „Freund ist der, vor dem man erschrickt“, sagt ein Dichter irgendwo. Und so geht es der Jury mit dem europäischen Theater, mit diesen 280 Stücken und Projekten, die wir uns in den vergangenen Monaten reingezo-gen haben, und die uns mehr als einmal den Ausruf abnötigten, ange-sichts von so vielgestaltiger Schönheit und Verbohrtheit: „Scheiße, was ist denn mit den Typen los?“

Milo RauJuror Stückemarkt 2015

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„Ich fand es faszinierend, das enorme Spektrum der Stücke und Projekte zu erleben, die für den Stückemarkt eingereicht wurden: jede Menge starke Ideen, unerschro-ckene Ansätze, wilde Variationen und neue Tänze mit der Idee und der Praxis des Theaters.“

Tim Etchells, Autor, Regisseur und Performer (Forced Entertainment)

Jury

„Ich habe mich gern versenkt und umge-schaut auf diesem Marktplatz der Theater-texte – Highlights für mich waren Stücke, die immer neu entstehen, spielerisch, aber mit klarem Regelwerk. Stücke, die sich mit gegebenen Strukturen beschäftigen, sie aber

performativ und sprachlich neu greifen und umsetzten – Stücke, die immer aussehen werden wie eine Probe, obwohl ihr Konzept schon das eigentliche ,Werk‘ ist. Mehr davon und mehr mit mehr Dringlichkeit behandelte politische Sto!e wünsche ich dem Stückemarkt.“

Helgard Haug, Autorin und Regisseurin (Rimini Protokoll)

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„Der Stückemarkt ist seit jeher die Innovati-onsplattform des Theatertre!ens. Seit 2012 haben wir ihn aus seiner alten Form heraus kontinuierlich weiterentwickelt. Jetzt, 2015, sind wir da! Ein weites Spektrum des zeitgenössischen szenischen Schreibens war unter den Einsen-dungen zu "nden. Das erzeugte bei der Suche eine Spannung, die uns kritischer fragen ließ, was ein gutes Stück ist und brachte eine Auswahl hervor, die vielseitiger in Form, Ästhetik und Inhalt nicht sein könnte.“ Yvonne Büdenhölzer, Leiterin Theatertre!en

„Tendenzen waren nicht erkennbar (was immer ein gutes Zeichen ist: keine literarische Mode regiert). Natürlich gab es das Überambitionierte, Naive, Verschraubt- Akademische, die Festivaldramatik und die

Klugscheißerprojekte – aber auch die Sto!e, die faszinieren, verstören und, ja, glücklich machen. Und davon mehr als die ausgewählten Fünf. Winzer würden sagen: ein guter Jahrgang.“

Lutz Hübner, Autor

„Der Zufall wollte es, dass ich fast im gesamten Zeitraum der Lektüren auf Reisen war. ,The State‘ las ich im Vorzimmer eines ostkongolesischen Lokalministers, ,Zersplit-tert‘ in der Metro in Paris. Und so geht es mir wie meinen Schauspielern (die sich auf der Bühne an den Park oder das Kanalufer erinnern, wo sie ihre Texte lernen): ,The State‘ wird für mich immer auch ein Stück sein übers Warten im Vorzimmer eines Minis-ters, ,Zersplittert‘ wird

in meinem Kopf immer zusammenhängen mit den Gesichtern der Menschen, die mir zwischen Châtelet und Nanterre zufällig gegenübersaßen.“ Milo Rau, Autor und Regisseur

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Michaela möchte ein Kind mit ihrem Freund Alf und da sie keines bekom-men kann, fragt sie ihre beste Freundin Janne, ob sie als Leihmutter zur Verfügung steht. Ein Mann ist nach Deutschland gekommen, um seine Schwester zu suchen, die als junges Mädchen nach einer Verge-waltigung dem Täter verkauft wurde und nun fünf Kinder mit ihm hat. Tom möchte mit Janne die Wohnung tauschen, aber sie will sich nur darauf einlassen, wenn auch die Möbel getauscht werden. Ein Penner braucht eine neue Hose, aber er will sie bei der Bahnhofsmission nur im Tausch gegen ein Buch mitnehmen, das dem Spender der Hose überbracht werden soll. Diese Hose hat Alf gehört, weil Michaela der Meinung war, dass er sich auch mal von Dingen trennen sollte. Tom wiederum, der an der Rezeption eines Hostels arbeitet, wird vom Bruder der Frau bedrängt, ihm kostenlos einen Schlafplatz zu geben, während Janne beschließt, sich auf den Vorschlag ihrer besten Freundin einzulassen… „Hose Frau Fahrrad“ ist ein Reigen von Geschichten, die geschickt miteinander verwoben sind und die Themen Besitz, Teilen und Tausch

verhandeln. Was besitzt man, was möchte man besitzen und wie viel braucht man, um zufrieden zu sein? Welchen Preis ist man bereit zu zahlen und wie lange gehört einem noch das, was man verloren hat? Will Michaela ein eigenes Kind nur, damit sie etwas hat, das zu ihr gehört? Hat der Mann, der von seiner Frau verlassen wird, nachdem ihr Bruder sie gefunden hat, noch Ansprüche auf sie und ihre Kinder? Wipplinger liefert keine einfachen Antworten, er verhandelt seine Fragen nicht als trockene Seminarprosa über Ökonomie, sondern schreibt federleich-te, lakonische Dialoge. Seine Figuren sind Schauspielerfutter, die Situationen immer theatralisch und die einge-streuten Monologe bieten einen oft überraschenden Wechsel der Perspek-tive. Wipplinger beweist so in einem

Stückemarkt IStefan Wipplinger Hose Fahrrad Frau(Österreich) – Szenische Lesung

© Matthias Müller

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Stefan Wipplinger wurde 1986 in Oberösterreich geboren, studierte an der Kunstuniversität Linz zunächst Experimentelle Gestaltung und arbeitete als Regieassistent an einem kleinen Linzer Theater und in der Freien Szene. Nach einigen Bewerbun-gen, unter anderem für Schauspiel und Filmregie, zog er zum Studium der Theaterwissenschaft nach Berlin, das er kurz darauf gegen Szenisches Schreiben an der UdK tauschte. Sein Kurz"lm „Es wird sicher passieren“ lief 2013 auf Internationalen Filmfestivals, 2014 wurde er vom Grips-Theater für eine Stückentwicklung beim Berliner Kinder-theaterpreis ausgewählt. Sein erstes abendfüllendes Theaterstück „Hose Fahrrad Frau“ wird seit Januar vom Verlag der Autoren vertreten.

Stück über Ökonomie auch ein Gespür für die Ökonomie der Theatermittel. Er bearbeitet ein großes Thema, ohne didaktisch damit herumzufuchteln, er erzählt Geschichten, die scheinbar alltäglich wirken, aber eine philosophi-sche Dimension haben: Was brauchen wir zum Leben und was wollen wir von anderen Menschen? Janne und Tom werden ein Paar, mit einem Kind, dessen Vater er nicht ist, Michaela und Alf verabschieden sich von Träumen, die sie unglücklich machten und ein Mann will heraus"nden, ob man ohne Besitz leben kann. Alle verändern ihr Leben, Dinge geraten in den Tauschkreislauf und ein geklautes Fahrrad wechselt wieder einmal den Besitzer.

Lutz Hübner

Einrichtung: Jan-Christoph GockelDramaturgie: Sonja AndersMusik: Anton BermannAusstattung: Julia Kurzweg

BesetzungTom: Elias ArensAlf: Christoph FrankenMichaela: Lisa HrdinaJanne: Kathleen MorgeneyerPenner: Wolfgang MichaelBruder: Aleksandar Radencovi$Schwester/ Mitarbeiterin Bahnhofs-mission: Almut ZilcherDritter: Ernest Allan HausmannEhemann: Felix RömerHuda, Aylin und Amelie vom Rollschuh Paradies Berlin e.V.

© privat

Sonntag, 3. Mai 2015 17:00 UhrGespräch mit Stefan Wipplinger und Lutz Hübner im Anschluss / Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne / 10 %

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Alexander Manuiloffs einfache, aber fesselnde Arbeit „The State“ wird nicht als Stück bezeichnet, sondern als Text-gestaltung. Sie besteht aus einer Se-quenz von 63 kurzen Statements. „The State“ ist konzeptionell im weiteren Sinne Arbeiten wie „OK OK“ (2011) von Ant Hampton und Gert-Jan Stam oder „We Are Still Watching“ (2012) von Ivana Müller in Zusammenarbeit mit Andrea Bozic, David Weber-Krebs und Jonas Rutgeerts zuzuordnen. Das Publikum wird aktiv in die Erscha!ung des Dramas

einbezogen; es werden denjenigen Rollen und Stimmen ver liehen, die einem früheren Verständnis von Thea-ter zufolge „nur“ Zuschauer geblieben wären. Die Forderung Brechts, der Schauspieler solle seine Distanz zu den Entscheidungen und Äußerungen der Figuren zeigen, braucht hier nicht weiter

betont zu werden, da jeder spielende Zuschauer deutlich auf die Kluft zwi-schen dem gedruckten Performance-skript und den Realitäten des eigenen psychologischen Innern aufmerksam gemacht wird. Ausformulierte Figuren, die sich mit dem Drama herumplagen, die seine Entscheidungen und Um-stände ablehnen und über seinen Mangel an Ehrlichkeit nachdenken, sind hier heiß begehrt – sie themati-sieren die Situation der Performance, verdoppeln und erweitern sie und fügen

ihr zusätzliche Ebenen hinzu. Manuilo!s „The State“ schlägt auf diesem Feld einen mutigen Weg ein, denn die Arbeit basiert auf einem wirklichen Ereignis: der ungeklärten Selbstverbrennung des 36-jährigen Bulgaren Plamen Goranov im Febru-ar 2013. Ausgehend von dieser Ge-schichte beginnen Manuilo!s Zu-schauer-Schau-

spieler eine Erzählung, die Goranovs ö!entlichen Selbstmord als einen Akt (eine Performance) behauptet, der noch nicht stattgefunden hat, und kündigen ihren Beginn in einer spezi"schen Anzahl von Stunden und Minuten an. Gleichzeitig dienen an-dere Zuschauertexte als angebliche

Stückemarkt IIAlexander Manuilo! Der Staat / The State (Bulgarien) – Performance Aus dem Englischen von Hannes Becker

© Stefan Stefanov

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Ich-Äußerungen von Goranov, Statem-ents, die die Vorbereitungen auf seinen Selbstmord nacherzählen und gleich-zeitig genau die Art von Erklärungen für seine Tat wagen, die Goranov selbst verweigerte. Verschiedene Ebenen realer und struk tureller Gewalt ziehen die Leser ins Geschehen hinein und machen sie zu Beteiligten einer Art beeindruckenden, aber aus zweiter Hand erfahrenen Dramas. Man wird zunehmend gespannt auf einen Akt, der ironischerweise bereits stattgefun-den hat. Als Zuschauer-Schauspieler sind wir nicht nur im „Stück“ gefangen, sondern im historischen Narrativ, der Tatsache eines Todes. Wir sind nicht nur am Ablauf eines Dramas beteiligt, sondern auch an einer Kultur von Kor-ruption, wirtschaftlichem Elend, poli-tischem Stillstand und Entrechtung, die den Rahmen für die Selbstver-brennung Goranovs und zahlreicher anderer bildete. Mit „The State“ reisen wir in eine Grenzregion des zeitgenös-sischen Theaters – eine Konzeptarbeit, die sich mit den Bedingungen von Performance beschäftigt und gleich-zeitig die Kraft des Narrativs dazu nutzt, sich wirklichen politischen Fragen zu stellen.

Tim Etchells

Ausstattung: Eva Veronica Born

Alexander Manuilo! wurde in So"a geboren und studierte Literatur an der Universität So"a sowie Drehbuch an der Neuen Bulgarischen Universität. Er arbeitet als Autor, Dramaturg und Journalist. 2012 nahm er am Austauschprogramm der Drama League, New York, teil. Für „Film“ (2004) erhielt er den Preis des bulgarischen Schriftsteller-verbands für das beste "ktionale Debüt und war Stipendiat der Karls-Universität Prag (1999). Er ist Gründungsmitglied von Litourne, einem Förderprogramm für junge bulgarische Schrift-steller, sowie des ersten Independent Theatre Festival in So"a (2011). Seine eigenen Theaterstücke wurden in Sofia, Prag, Baltimore und Berlin inszeniert. Seit 2012 publiziert Alexander Manuilo! seine Stücke, Romane, Drehbücher und Artikel im Internet. Eine erste Version von „The State“ entstand im Februar 2014 im Rahmen des Mini Art Fest Fo in So"a.

© Zdravko Yonchev

Sonntag, 3. Mai 2015 20:00 UhrGespräch mit Alexander Manuilo! und Johanna Freiburg im Anschluss Haus der Berliner Festspiele, Seiten-bühne und Hinterbühne / 10 %

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Neulich Abend saß ich in einem hot pot in Reykjavik: der Körper in 39 Grad heißem Wasser, darüber der Kopf im Eisregen. Um mich herum Isländer, jung wie alt, dick wie dünn, alle hell-häutig und munter miteinander plau-dernd, in einer Sprache, die ich nicht beherrsche. Dennoch war alles gesto-chen scharf, ich hatte das Gefühl, durch die Sprache hindurch alles verstehen zu können – fast schon schmerzhaft. Ich bin Teil davon – mag es klingen, wie es will, es wird nach den gleichen Regeln gespielt: auch meine Haut ist hell.Daniel Cremer hat für das Theater eine neue Sprache entwickelt; eine wilde Mischung fremder Vokabeln in erprob-ter Syntax. Während des „TALKING STRAIGHT Festivals“ wird nichts als die-se Sprache gesprochen. Versucht man sie zu lernen, wird man schnell fest-stellen, dass man sie bereits kann: die Codes, Rituale, Ab-läufe und Zuwei-sungen unserer westlichen Welt wurden uns in die Wiege gelegt: Die Vokabeln sind aus-tauschbar, die Muster und Inhalte vertraut. Durch den Gebrauch der Fremdsprache wer-den diese Sicherheit spendenden Über-einkünfte und Ver-abredungen haar-fein nachgezeichnet.

„TALKING STRAIGHT Festival“ ist aber nicht nur ein – auf ein Standardmaß zugeschnittener – Ausflug, die neue Sprache wird auf der Bühne, wie an der Bar kultiviert, sie wuchert in alle Bereiche des Festivalapparats hinein, in"ziert sich an sich selbst und über-schreibt die gängigen Sprachen (Deutsch wie Festival-Englisch). So ist es eine Reise in die eigenen Welt, die mit der „Akkreditierung und feierlichen Erö!-nung unter Anwesenheit aller wichtigen Menschen“ beginnt. Die Besucher tragen Badges mit willkürlich zusam-mengestellten Namen und weiter geht es, in absehbarer Folge mit Grußworten, Nennung der Sponsoren. Das Bühnen- Stück bildet den Mittelteil, Publikums-diskussionen und gemütliches Bei-sammensein den Abschluss des Tages, um am nächsten Tag erneut mit einer

Stückemarkt IIIDaniel Cremer / TALKING STRAIGHT TALKING STRAIGHT Festival (Deutschland) – Gastspiel

© Vincent Stefan

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großen Ernsthaftigkeit auf dieser Neu-ordnung zu insistieren. Es ist also kein billiger Ulk, es geht nicht darum, das Theater als sinnentleert bloßzustellen, der Arbeit liegen sehr präzise Beobach-tungen und Analyse dessen zugrunde, was unsere gegenseitige kulturelle Ver-abredung beinhaltet.Wer spricht, wer schweigt, wer hört zu, wer lacht – wie eloquent spricht der Dramaturg, wie grenzt sich die Regie dagegen ab, wie die Akteure, wie brin-gen sich Zuschauer ein...Während also schnell die Erkenntnis einsetzt, dass man sich auf vertrautem und deshalb gesichertem Terrain be-wegt, die Binnengrenzen also über-wunden hat, zeichnen sich die Außen-grenzen umso klarer ab und das wird zur entscheidenden Frage: Wer ist nicht Teil dieses Arrangements, wer fehlt?

Helgard Haug

Konzept: Daniel Cremer / TALKING STRAIGHTAusstattung: Daniel Cremer und Romy Kiessling

Von und mit Alicia Agustín, Daniel Cremer, Lisa Heinrici, Anja Herden, Sébastien Jacobi, Romy Kiessling, Lina Krüger, Nils Amadeus Lange, René Michaelsen, Tamer Fahri Özgönenc, Antje Prust, Fabian Raabe, Dr. Tucké Royale, Vincent Stefan, Alisa Tretau, Hans Unstern, Anton Weil u.a

Premiere 30. Januar 2014, Maxim Gorki Theater, Berlin

Montag, 4. Mai 2015 16:00 bis 0:00 Uhr

16:00 Erö!nung, Auftaktperformance, HEN ZEK (musikalischer Rezitationsabend)18:00 Young Talent Campus, Workshops, NARO (Gastspiel). Im Anschluss Publikumsgespräch 20:30 Szenische Lesung, Jazz in der Lounge, Young Talent Campus, LOFIKH! (a panel of love)ab 23:30 Feier

language no problem / Haus der Berliner Festspiele / Einzeltickets 10 %, Festivalpass 25 %

© privat

Daniel Cremer wurde 1983 in Mönchengladbach geboren. Er arbeitet als Autor, Regisseur und Soloperformer in verschiedenen Kunstsparten, zuletzt unter anderem am Jungen Schauspiel-haus Düsseldorf und dem HAU 1, außerdem in der Berlinischen Galerie und der NGbK, an der TU Berlin sowie der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder. Zu den Strategien seiner Performances zählen Simulation, Re-enactment, Travestie und be-sonders das Ver#üssigen und Verzerren von Sprache. Unter dem Label „TALKING STRAIGHT“ hat er bereits Coaching-Seminare, Konferenzen, religiöse Rituale und Stadt- und Museumsfüh-rungen verarbeitet, in gebrochenem Englisch, falschem Deutsch und „Fremdsprache“, einer von ihm entwickelten Geheimsprache. „TALKING STRAIGHT Festival“ entstand im Januar 2014 im Studio des Maxim-Gorki-Theaters.

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Alexandra Badeas „Zersplittert“ (Pulvérisés) wirkt auf den ersten Blick wie eine Aneinanderreihung isolierter Lebensläufe, jeder davon ein Solitär an weit verstreuten Orten der Welt. Szenen wechseln im Tempo des um die Welt jettenden Head of Quality und

rinnen dem Leser wie Staub durch die Finger. Gerade noch in einer Fabrik in Shanghai, "ndet man sich gleich dar-auf in einem Bukarester Büroturm wieder, um von dort in ein Callcentre in Dakar geworfen zu werden. Ein Dia-log der Figuren oder nur ein Austausch zwischen Dakar, Shanghai und Bukarest scheinen undenkbar. Was wie eine formverliebte und fade Aufbereitung der gängigen Globalisie-rungsklischees wirken könnte ist je-doch eine dicht gewebte und komplexe Textur von höchster Musikalität. Denn

© Zhan Youbing

Stückemarkt IVAlexandra Badea Zersplittert (Rumänien/Frankreich) – Szenische Lesung Aus dem Französischen von Frank Weigand

die Lebensläufe der vier Figuren sind keineswegs solitär, sie beein#ussen sich gegenseitig und entfalten im Zu-sammenspiel einen originären Rhyth-mus. Themen wie kulturelle und soziale Di!erenz, das Verhältnis zur eigenen Arbeit und die Verortung als Individuum

werden en passant gestreift und sind doch für den ganzen Text ein bestimmen-des Merkmal. Das Mittel der Wahl, um diese Intensität zu erreichen, ist für Alexandra Badea die direkte Anspra-che des Lesers oder Zuschauers, der so zur fünften Figur des Stückes wird. Trotz aller Unterschiede zu den präsentierten Figuren wird jedes Schicksal durch das wiederholte „Du“

zum eigenen, jede existentielle Frage muss an der eigenen Existenz geprüft werden. Dies gibt den aufgeworfenen Fragen die Fähigkeit, Zündsto! zu sein, jenseits aller moralischen Zeige"nger (die der Zuschauer für sich selber "nden kann), aber auch jenseits aller Lösungs-vorschläge (die der Zuschauer für sich selber "nden muss). Ständig zurück-geworfen auf das eigene Ich, kann man sich dem Sog des Textes nicht entziehen und die Lektüre wird mehr und mehr zu einer Selbstbefragung: Wo will man sich wiedererkennen und wo nicht, in

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Alexandra Badea wurde 1980 in Rumänien geboren und studierte Regie an der Nationaluniversität für Theater- und Filmkunst Bukarest. Seit 2003 lebt sie in Paris und arbeitet als Autorin, Regisseurin und Drehbuchautorin, ihre Stücke schreibt sie auf Französisch. Sie inszenierte unter anderem Stücke von Biljana Srbljanovic, Sarah Kane, Igor Bauersima und Nicoleta Esinencu wie auch ihre eigenen Stücke, die seit 2009 bei L’Arche Editeur in Paris verlegt werden. „Pulvérisés“ (Zersplittert) ist ihr viertes Stück. 2014 wurde es am Théâtre National de Strasbourg uraufgeführt und als Hörspiel bei France Culture sowie dem Saarlän-dischen Rundfunk ausgestrahlt.

© Liova Jedlicki

welche weltumspannenden Netze ist man selbst eingebunden und wie geht man mit zunehmend komplexen Zeit- und Raumstrukturen um, ohne sich in ihnen zu verlieren?Die fragmentarische Struktur von „Zersplittert“ ist dabei nie akademisch oder didaktisch. Sie fängt eine um sich greifende Desorientierung ein und bleibt trotzdem klar genug, große Fragen und Themen zu vermitteln, ohne auf Kitsch und pessimistische Parolen zurückgrei-fen zu müssen. Denn der Text ist nicht nur ein Spiegel für den Leser, der un-unterbrochen Fragen aufwirft, son-dern auch eine Bestätigung, eine Vergewisserung, dass man da ist und lebt, egal wie.

Yvonne Büdenhölzer

Einrichtung: Anne LenkDramaturgie: Andrea KoschwitzMusik: Camill JammalAusstattung: Eva Veronica Born

BesetzungHead of Quality, Zulieferung, Lyon: Hans LöwTeamleiter Kunden-Center, Dakar: Camill JamallFertigungskraft Shanghai: Kathrin WichmannVersuch- und Entwicklungsingenieur Bukarest: Jenny Schily

Dienstag, 5. Mai 2015 18:00 Uhr Gespräch mit Alexandra Badea und Falk Richter im Anschluss / Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle / 10 %

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„Another great year for "shing“ von Tom Struyf gehört zum Genre der Lecture Performance. Es gibt einen Aus-gangspunkt (eine Beziehungskrise, gefolgt von einem Burnout), ein Thema (die Sinnsuche in der Multioptions-gesellschaft) und eine Form (die des klassischen Storytel-ling, verknüpft mit Video und Tanz). Struyf tritt selbst als Interpret seines Stücks auf, sekundiert von der groß-artigen Tänzerin Nelle Hens und einer ganzen Reihe von Spezialisten auf Video. Allein schon die soziologische Präzision der Geschichten und Statements, die Tom Struyf erzählt und einspielen lässt, die geradezu altmodische existenzielle Emp"ndsamkeit des Autor-Performers gepaart mit seinem Humor würden genügen, den Abend zum Stücke-markt (und überhaupt zu jedem Festival) einzuladen. Struyfs Rhythmusgefühl ist perfekt, er schreibt und performt mit der poetischen Klarheit eines Romans von Paul Auster, und zweifel-los ist er einer der besten Erzähler, die die europäischen Bühnen zwischen Rejkjavik und Kairo zu bieten haben. Aber all diese technische Perfektion dient – wie übrigens vor allem Nelle Hens‘ Tanz, der zu Beginn der Perfor-

mance rätselhaft oder gar dekorativ erscheinen mag – , einer viel weiter-führenden Absicht: die Zuschauer in einen Raum jenseits aller Informationen und aller Geschichten zu führen, in einen Raum der Erschöpfung (Struyfs hellblaues Hemd ist am Ende des 80minütigen Abends dunkel vor Schweiß) und damit der Ruhe. Das Stück von Tom Struyf ist, wie man dann plötzlich merkt, zugleich ein Essay (der sich ein Problem greift und es umkreist) und ein Ritual (das dieses Problem bearbeitet und es, wenn auch nur im Raum der Kunst, aufhebt). Neben der Tatsache, dass Tom Struyf einen wunderbaren, unendlich schönen, wahren, geduldigen und weisen Thea terabend gescha!en und unser Wissen über die Welt und die Menschen erweitert hat, ist „Another great year for fishing“ so ein – man

Stückemarkt VTom Struyf Another great year for !shing(Belgien) – Gastspiel Aus dem Flämischen von Uwe Dethier und Katrin Lohmann

© Clara Hermans

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entschuldige den religiösen Terminus – erlösendes Ereignis. Wer sich von Struyfs Schlussmonolog, in dem er sich eine (noch) schrecklichere Welt (in der scheiternde Beziehungen nicht mit Therapiesitzungen, sondern zwangs-läu"g mit dem Tod eines der Partner ausgehen würden) und eine bessere vorstellt (aus der man hinaustreten, komplett und körperlich ins All hinaus-treten könnte, um „tatsächlich nach-zudenken“), wer sich davon nicht berühren lässt, der hat schlicht und einfach kein Herz.

Milo Rau

Konzept, Text und Spiel: Tom StruyfTanz: Nelle HensDramaturgie: Willem De MaeseneerKamera und Montage: Geert De Vleesschauwer

Premiere 23. Oktober 2014 Monty Kultuurfaktorij, Antwerpen

In Koproduktion mit d e t h e a t e r m a k e r , Vlaams Cultuurhuis, De Brakke Grond en deBuren, Provinciaal domein Dommelhof en C-Mine Tom Struyf wurde 1983 geboren und studierte

Schauspiel in Maastricht (NL). Er arbeitet als Autor, Schauspieler und Regisseur unter anderem mit fABULEUS, Theater Artemis, HETPALEIS, Grand Theatre, Onafhankelijk Toneel und dethea-termaker. Seine Performances „The Tatiana Aarons Experience“ (2010) und „Act to forget“ (2012) wurden zu Het Theaterfestival eingeladen. In „Another great year for "shing“ arbeitete er erst-mals zusammen mit der Tänzerin Nelle Hens, die Produktion entstand im Oktober 2014 und tourt seitdem durch Belgien und die Niederlande.

© Tine Struyf

Dienstag, 5. Mai 2015 20:30 UhrGespräch mit Tom Struyf und Christina Zintl im Anschluss Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne / 10 %

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Stückemarkt Erö!nungImpuls Thomas OberenderJurygespräch mit Yvonne Büdenhölzer, Helgard Haug, Lutz Hübner und Christina Zintl

Sonntag, 3. Mai 2015 16:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei

Stefan Wipplinger und Lutz Hübner im GesprächSonntag, 3. Mai 2015 18:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei

Alexander Manuilo! und Johanna Freiburg im GesprächSonntag, 3. Mai 2015 21:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei

Alexandra Badea und Falk Richter im GesprächDienstag, 5. Mai 2015 19:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei

Tom Struyf und Christina Zintl im GesprächDienstag, 5. Mai 2015 22:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei

What if...ANFANGEN.WEITERMACHEN.FERTIGWERDEN.Workshop mit Stefan Wipplinger und Lutz Hübner

„What if...“/ „Was wäre wenn...“ – Das ist der Beginn von "ktivem Erzählen, ein Grundimpuls, Wirklichkeit zu befragen und zu eigenen Entwürfen von Wirklichkeit ins Verhältnis zu setzen. Das ist dem dramatischen Schreiben allein freilich nicht vorbehalten, aber doch nach wie vor sehr nütz-lich. Ausgehend von kurzen Aufgaben versuchen wir, Fantasien für Figuren und Situationen zu entwickeln, weiterzugeben, weiterzuentwickeln. Und was das Fertigwerden betri!t, werden wir wohl nur Mutmaßungen anstellen können, uns die Frage stellen: Was braucht man tatsächlich und was kann man streichen?Zwei Autoren, die in ihrem Schreiben eine Verwandt-schaft fanden, machen sich auf die Suche nach den Unterschieden. Der eine mit der Erfahrung von über 40 Stücken, der andere mit einem bodenlo-sen Fass voll Fragen, zwischen den Stühlen sitzend, von Studium und Beruf, Form und Inhalt, Genres, Medien und Disziplinen. Wie entscheidet man sich für das Richtige? Kann man auch einfach alles machen, vielleicht nicht gleichzeitig aber wenigs-tens hintereinander?

Montag, 4. Mai 2015 12:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei Anmeldung erforderlich unter [email protected]

Erö!nung, Gespräche und Workshops

Dramaturgy of Restrictions Workshop mit Alexander Manuilo"

The workshop will explore how various forms of constraints may be used as an artistic way of expression. The process may include physical activities so, please, bring comfortable shoes and clothes.

Montag, 4. Mai 2015 14:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei Anmeldung erforderlich unter [email protected]

Another great workshop Workshop mit Tom Struyf, Nelle Hens und Willem De Maeseneer

We will talk about the origins of “Another great year for "shing” and about how a production is created by intuitively bringing together diverse elements (interviews on video, dance, narration) without knowing in advance what the result should look like. A conversation about the power of per-sonal stories, the narrow line between "ction and reality, about narrating experiences of reality in a theatrical context and about cooperation. Together with dancer Nelle Hens, we will put the connection between the various disciplines to practice and explore the interplay of two bodies in combination with a personal story.

Dienstag, 5. Mai 2015 12:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei Anmeldung erforderlich unter [email protected]

Writing from an actuality image Workshop mit Alexandra Badea

How can we react to what we are seeing? How can we talk about the contemporary world? What are our possibilities to reinvent the reality, to imagine other possibilities? We’ll choose one picture from the #ux of images that circulate on the internet and this will be the starting point of the writing process. The form is free. Everything will be reinvented.

Dienstag, 5. Mai 2015 14:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei Anmeldung erforderlich unter [email protected]

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Chris Thorpe Con!rmationDer Stückemarkt zeigt Inszenierungen seiner ehemaligen Teilnehmer*innen. In diesem Jahr kehrt der britische Autor Chris Thorpe (Stücke-markt 2014) zurück nach Berlin. Das Gewinner-stück des Edinburgh Fringe-Festivals 2014 geht den Fragen nach, warum wir glauben, was wir glauben, wie es möglich ist, in einen aufrichtigen Dialog mit jemanden zu treten, dessen Ansichten wir verachten, und wie standhaft eine extreme Überzeugung bleibt, wenn sie sich permanent erklären muss. Für „Con"rmation“ führte Thorpe Gespräche mit einem Neonazi und Holocaust-leugner. Den daraus entstandenen Text performt er selbst.

Regie: Rachel Chavkin

Mittwoch, 13. Mai 2015 bis Samstag, 16. Mai 2015 20:00 Uhr / Autorengespräch am 14. Mai im Anschluss an die Vorstellung / English Theatre Berlin/International Performing Arts Center / 18 %

TALKING STRAIGHT. In A Meeting With Daniel Cremer Workshop und Coaching

Vedh’s mendern hen Succes? Ode val Restsobbe por mîn olsdrath gar med Raber’n, gorndod Theaten olschag-hor. Daniel Cremer gardet usming Rablarge, var sekh serzet Holsmarg. Aber werst ums Midra sin! Gedlo ornd Üramins rodder. Migst hen Theaten, hen Kunst, Mosd, hen Spirits, hen Entertainment: urnd par vödh-humensist Regi-mesind glöd megen Futur’ne. Ens Workshop mar sadgermen Müdesig.

Montag, 6. Mai 2015 15:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei Anmeldung erforderlich unter [email protected]

Politisches Schreiben heute – Abschlussgespräch zum Stückemarkt 2015 In Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)Mit Yvonne Büdenhölzer (Leiterin Theatertre!en), Daniel Cremer (Autor, Regisseur und Performer Stückemarkt 2015), Valerie Göhring (Bloggerin Theatertre!en 2015), Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung), Ewald Palmetshofer (Autor, Juror Stückemarkt 2012) Moderation Christine Wahl

Mittwoch, 6. Mai 2015 17:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei

Wolfram Lotz, Hannes Becker: Bring das Zeug von draußen ins Theater! Aber "x! Ein gemeinsamer Workshop des Internationalen Forums und des Stückemarkts

Alle Teilnehmenden bringen ein Textstück, einen Zeitungsbericht, ein Bild, ein Objekt oder sonst etwas mit, das eine gesellschaftliche Wirklichkeit außerhalb des Theaters bezeichnet. Dann wird nach der Verbindung zum Mitgebrachten gefragt. Es dient als Grundlage für Theaterarbeiten, die im Laufe des Workshops kollektiv entwickelt werden. Die Autoren Wolfram Lotz und Hannes Becker schreiben Thea-terstücke, Gedichte, Essays, Hörspiele und Prosa. Gemeinsam formulierten sie das Vorhaben eines „Unmöglichen Theaters“, mit dem sie das Verhältnis von Text, Bühne und Wirklichkeit befragen.

Präsentation am Samstag, 9. Mai 2015 16:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Camp / Eintritt frei Anmeldung erforderlich unter [email protected]

Stückemarkt Revisited

Chris Thorpe © Armin Friess

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U-Bahn (Penner/Tom)

Tom Wieso starren Sie mich so an? Gehen Sie weiter.Penner Ich starre Sie nicht an.Tom Etwas an mir starren Sie an.Penner Hätten Sie die Güte –Tom Ich hab nichts.Penner Wissen Sie, was ein Déjà-Vu ist?Tom Ja weiß ich.Penner Was verstehen Sie darunter?Tom Lassen Sie mich in Ruhe.Penner Bitte antworten Sie.Tom Was? Was wollen Sie –Penner Was ist ein Déjà-Vu?Tom Na. Das ist, wenn man etwas schonmal erlebt hat. Wenn man etwas ein zweites Mal erlebt.Penner Das ist falsch.Tom Aha.Penner Ihre Antwort ist äußerst interessant.Tom Ja. Danke.Penner Tatsächlich ist das, was Sie beschreiben, nämlich das Gefühl, das bei diesem Phänomen

entsteht. Statistisch gesehen ist es aber extrem unwahrscheinlich, eine Situation zweimal zu erleben.

Tom Bitte. Ich hab noch 50 Cent. Ok? Mehr hab ich nicht.Penner Daher ist viel mehr anzunehmen und übrigens auch wissenschaftlich erwiesen, dass die

Erfahrung eines Déjà-Vus das Ergebnis einer qualitativen Gedächtnisstörung ist.Tom Ja toll. Das wusste ich nicht. Es interessiert mich aber auch nicht.Penner Also eine Täuschung. Eine Täuschung des eigenen Hirns.Tom Ihr Hirn funktioniert aber auch nicht einwandfrei oder?Penner Was!?Tom Nichts. Nichts für ungut.Penner Nein, nein sprechen Sie weiter. Sie haben nicht unrecht. Eben deshalb spreche ich sie an.Tom Aha.Penner Weil mir diese Situation sehr bekannt vorkommt und ich heraus"nden wollte, ob es ein

Déjà-Vu ist.Tom Alles klar. Und es ist ganz o!ensichtlich eins. Tut mir leid.Penner Nein nein nein, das ist es eben. Das hier ist keines.Tom Ist keines.Penner Nein.Tom Ich glaube, Sie haben das Phänomen doch noch nicht ganz verstanden. Es gehört ja eben zum Déjà-Vu dazu, dass Sie glauben, es sei echt.Penner Das weiß ich.Tom Sehen Sie. Ein Déjà-Vu. Herzlichen Glückwunsch. Genießen Sie‘s. Und jetzt –

Stefan Wipplinger Hose Fahrrad Frau

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Penner Das Besondere an meinem Déjà-Vu ist, dass ich diese Situation zwar kenne, aber aus einer anderen Perspektive.

Tom Wow. Dann scheinen Sie ganz außerordentlich begabt zu sein.Penner Sie verstehen mich immer noch nicht.Tom Nein. Da haben Sie völlig recht. Lassen Sie mich endlich in Ruhe.Penner Sie sind sehr unfreundlich.Tom Sie sind sehr anstrengend.Penner Erlauben Sie mir noch eine Frage.Tom Eine Frage.Penner Woher haben sie dieses Fahrrad?Tom Was? Was geht Sie das an?Penner Sehen sie? Genau so habe ich auch reagiert damals.Tom Wovon zur Hölle reden Sie?Penner Ihr Fahrrad. Sie haben es vor kurzem erst gekauft. Oder gestohlen.Tom Jetzt reicht‘s. Hauen sie ab.Penner Und das weiß ich, weil es bis vor kurzem noch mir gehört hat. Weil es ein bisschen immer noch mir gehört. Verstehen Sie? Es hat nicht aufgehört mir zu gehören. Ich hab es nicht verkauft oder gespendet. Ganz

sicher hab ich es Ihnen auch nicht geschenkt. Es wurde mir geklaut. (lange Pause)Tom Das... das kann doch jeder sagen.Penner Ist das so?Tom Lassen Sie den Scheiß. Es gibt tausend Fahrräder, die so ähnlich aussehen, Sie könnten

sich irren.Penner Könnte sein.Tom Sehen Sie?Penner Es besteht kein Zweifel.Tom Beweisen Sie das erst mal.Penner Das ist nicht nötig. Ich weiß es ja. Unglaublich. Wirklich faszinierend.Tom Hören Sie mal. Ich klaue nicht. Ich hatte keine Ahnung.Penner Wovon hatten Sie keine Ahnung?Tom Na, dass der Typ... das war auf so einem Markt... dass der geklaute Räder vertickt.Penner Tatsächlich?Tom Woher soll ich denn wissen ... Na, ich gebe zu, der Gedanke stand mal im Raum, woher der die hat, aber ich hätte doch

niemals gedacht, dass… Penner Jemand sein altes Fahrrad wiedererkennen würde. Nicht wahr? Hochinteressant.Tom Sie können nicht von mir erwarten –Penner Keineswegs. Machen Sie sich keine Sorgen. Wirklich verblü!end.Tom Was ist denn so verblü!end?Penner Dass ich genau weiß, was Sie sagen. Es ist, als hätte ich dasselbe schon einmal gesagt.Tom Ja. Ein Déjà-Vu. Bestimmt.Penner Außerordentlich faszinierend. Nicht wahr? Guten Tag.Tom Hallo? Warten Sie.

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Ich bin Plamen. Plamen heißt „Flamme” auf Bulgarisch. Was für ein böser Zufall! Ich hätte nie gedacht, dass ich das tun würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich das Leben ablehnen könnte. Aber jetzt muss ich. Ich muss anderen zeigen, dass es noch einen Ausweg gibt. Und ich muss einen Brief schreiben. Ich muss diesen Brief schreiben und sie wissen lassen, dass es einen Grund dafür gibt, dass ich es tue.

Alexander Manuilo! Der Staat / The State

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Ich bin Plamen. Das letzte Mal, als ich glücklich war… Ich dachte auf einmal, ich muss mich erinnern, wann das letzte Mal, als ich glücklich war, war … Das letzte Mal, als ich glücklich war, ist… ist heute eigentlich. Als ich den Entschluss fasste, wurde alles langsamer. Ich bin voll da. Ich bin in der Lage, so viele Dinge auf einmal wahrnehmen: Dinge, die sonst unbemerkt an meinen Bewusstsein vorüberziehen. Gerüche, Farben, feine Variationen in den Stimmen der Menschen, die so viel zum Ausdruck bringen, Musik, das Singen der Vögel, weils gerade Frühling wird. Das unfassbare Grün der Bäume. Das Leben.

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GrußwortDr. Tucké Royale(Schirmherm des Festivals)

Vödhödest Grososen, Ersbangern, en mift honorabelen Gritten, Hermen Grobvoss, Langho! – en, vòsodest: Herm Farbarjewitch, kolst migsen Master ar hen Studiokurmst! Velkom.

Velkom Herm Krobenstropp en sisal, poften Fafst Mitterer, Grauck, Hock, Sobben, Mopti, Frega Mohn, ensoden gipf ar hons subsern Finanzhoggen: Sáliss ar Berstelsmarm Nogdsôr, Mosd Stift, Kussel Migsdrath en Ogga Mirsvothen ar hen Initaititve Nyhen Sozialfakh ar vödhen Markprapt, Hen Gersosenbank, Gorki Theat op hen Megasponsor TOTALIS.Herm Sentator, Kuroren – en schunsrinsdest: mîn vödhest org Publikum!

Olvodd' hübbe hen Schirmhermft lobhoden ar mîn hochkrathen Dimond nar sobstbrad'hen Kurmstscene: hen TALKING STRAIGHT FESTIVAL, en Zechtfreege ar kiesen voft dorm eminente Ilmen: Kollektsen orb Kunstesten umst hen diversteven Vödh-Uppen: Performance, Kiese, Theaten, Musa, Worpe en Kimo. Mar ogfe hen Publikhoggen, Theorecken, hen Selholmigher en Kuroren - kol-voggen podg hendern vödhe Humen. So, himst ar hogden par hen Festivals trem Degen jullen interssanter Kontakten ar sobridh kin Jinden.

En var gedhest Koften, varbek ar Herm Bonsel Grobvoss.

Alkid sieden oft Usmangen rin pobbt. Son Sentator, mogen Hömmer, urs laubt ar hen Kurmst, Justiz, en kraften Bauweest. Üphel singdem ens dett Kirvak. Sáliss ar Herm Grobvoss umst Gengen. En pluus. En pluus. En Pluss.

Daniel Cremer / TALKING STRAIGHT TALKING STRAIGHT Festival

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Du steigst über den schlafenden Körper auf der gegenüberliegenden Seite deinesBetts Du durchquerst das NachbarzimmerAndere Körper schlafen/Du gehst raus in den HofDu ö!nest den Wasserhahn und hältst deinen Kopf unter das WasserEine Minute lang bleibst du soKopf unter Wasser/Nach einer Nacht voller Alpträume von Telefonklingeln und blinkendenBildschirmen atmet dein Gehirn endlich aufDu bleibst unter Wasser und könntest noch stundenlang dort bleibenDoch die Zeit verrinnt, und du musst sie aufholen/Du ziehst Shorts und ein T-Shirt anStopfst dir den verbrannten Reis von gestern Abend reinUnd wühlst in deinem Kopfkissen nach ein paar Scheinen /Dein Nachbar schläft noch, also kannst du in Ruhe suchenDie Fülle des Geldes macht dir AngstHöchste Zeit, die Hälfte des Kopfkissens in Euros umzutauschenDu zögerst, dein Nachbar dreht sich in deine RichtungDas ist riskantEr könnte jeden Moment die Augen ö!nenAlso lässt du es und gehst/Du rennstDer Reis kommt dir beinahe hoch, doch du rennst weiterDer Expressbus Sainte Marie-Bonne mère fährt genau in dem Augenblick an, als duihn beinahe erwischt hastDein Herz klopftWut steigt hochDu ballst die Fäuste und bist stillDu setzt den Kopfhörer auf und hörst„Die Zeit der Wunder ist nicht vorüberDie Blinden sehenDie Lahmen gehenDie Wahnsinnigen kommen wieder zu VerstandDie Toten erwachen zu neuem LebenJesus ist die Lösungfür Krankheiten und Probleme aller ArtUnd wenn auch du willst, dass er in dein Leben eingreiftDann setze deinen Glauben einGlaube an WunderGlaube an JesusDenn er wird bald wiederkehren“Beim vierten Stück der auf CD aufgezeichneten und von deiner Kirche für 5000Franc CFA verkauften Predigt mit der Schwarzweiß-Kopie des Predigers auf demCover kommt der Expressbus Société musulmane –La vérité vorbeiDu nimmst ihn nur ungern, doch die Zeit verrinnt, und du musst sie aufholen/Du setzt dich auf die Außentreppe des Busses und während der einstündigen Fahrthörst du:„Gott kann dich spirituell erfüllenGott kann dich emotional erfüllenGott kann dich mit Intelligenz erfüllenGott kann dich an diesem Morgen mit einem Plan erfüllenDem Plan, der dir fehlt, um vielleicht eine Tür in deinem Leben zu ö!nen“

Teamleiter Kunden-Center, Dakar (männlich)

Alexandra Badea Zersplittert

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Du hörst deinen Namen/Er kommt von weit wegAls käme er aus deinem 3700 Kilometer entfernten DorfAls würde ihn deine 35 Zugstunden entfernte Großmutter sagenAls würde ihn der Atem der Toten tragen, die die Erde deiner Eltern fruchtbarmachenDu hörst deinen Namen, und dein Fleisch fühlt sich an wie durchgeschüttelt vonInsektenbeinen /Du ö!nest die AugenFünf Frauenkörper sind um das Bett herum zu Gange- Da-Xia Da-Xia- Du bist spät dran.- Steh auf- Wasch dich- Schnell- Sonst 5 Yuan- Oder 10- 5 pro Minute- Wenn zehn Minuten, dann der ganze Morgen- Und sie ziehen dir den halben Tag ab- Los- Mach schon- Hoch mit dir- Schlafen kannst du nachher.Wann, nachher? Nach was?Schwachsinnige Fragen, die durch dein mit Müdigkeit vollgesogenes Gehirngeistern.Du tauchst deinen Kopf in einen Eimer WasserDrei ZahnbürstenbewegungenDu ziehst deine neongelbe Uniform Made in China über und verlässt den Schlafsaal /Keine Zeit, dein Gesicht zu betrachten, das ein bleibendes Ekzem übel zugerichtethatDu reihst dich in den gemeinsamen Marsch einDu durchschneidest den Raum mit deinen herunterhängenden Armen und atmestdurch/300 Meter weit geht ihr an den 17 Kilometern Laufbändern entlangan den Gittern, die rund um die Uhr von Wachleuten in Militäruniform bewachtwerdenan der Liebesquellean der Buddhastatuean der abgesperrten Kantine, und ihr seid da /Eine Plakattafel in leuchtenden Farben lächelt euch zu„Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag“

Fertigungskraft, Shanghai (weiblich)

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Kay Alles wird gut, ist meine Ansicht. Alles wird gut, denn wir sterben alle. Das Leben ist, wie es ist: man wird geboren, man lebt, und man stirbt – manche früher als andere. Also, alles wird gut. Aber: Probleme können auch schön sein. Es können Herausforderungen sein, wenn man sich ihnen stellt, darüber nachdenkt, Dinge verändert.

Joris Man sitzt im Flugzeug und sieht durch das Fenster einen der Motoren abstürzen. Und man denkt: „Wow, das ist nicht gut!“ Also sagt man’s seinem Nachbarn und der sagt: „Nein, Mann, so schlimm kann’s nicht sein, wir sind in guten Händen.“ Ich trau dem Braten nicht. Alle sitzen bei einem Drink, beschäftigen sich mit ihren Handys und gucken Fern-sehen. Die Stewardess sagt: „Jetzt setzen Sie sich erst mal gemütlich hin.“ Und ich: „Nein, ich will denPiloten sprechen! Wir haben einen Motor verloren!“ „Bleiben Sie ruhig. Sind Sie sicher, haben Sie das wirklich gesehen?“ „Ja, hab ich wirklich!“ Und du gehst weiter, am Air Marshal vorbei, der dich vor Entführungen schützen soll, und du machst die Tür auf … und in dem Cockpit sitzt niemand. Das ist die Wirklichkeit. Während die Optimisten glauben: „Da ist ein Schurke im Cockpit, und dann kommt der Held, der den Schurken packt, und dann kommt ein Journalist und erzählt die Geschichte, und dann ist alles wieder gut.“

Noël Die Realität ist, dass viele Dinge durcheinander passieren, dass da nicht immer Logik hinter steckt, dass es nicht immer eine klare Ursache und Wirkung gibt, und dass am Ende nicht immer klar ist, wer gewonnen hat, oder verloren. Was das angeht, gleicht Realität eher einem Schwedischen Film, als einem Amerikanischen Action"lm.

(Stille. Bewegungssequenz.)

Tom Struyf Another great year for !shing

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Tom Keine vierundzwanzig Stunden später werde ich wach auf einer Matratze in einem Hotel. Ich weiß nicht wo ich bin. Es ist superwarm. Stimmen auf dem Flur, in einer Sprache die ich nicht verstehe. Kopfschmerzen. Muskelkater. Und langsam, ganz langsam kommt alles zurück: schmutzige Toilette, Gehen, der Zug zum Flughafen Brüssel. Ja. Ich wollte so schnell wie möglich, so weit wie möglich weg. Ja. Ich liege auf einer Matratze in einem Hotel in Kapstadt. Südafrika. Ich sammle mich und suche im Labyrinth von Fluren den Weg zur Rezeption. Ein kleiner, schwarzer, kahler Mann fängt an zu lachen und zu rufen, sobald er mich sieht. „Goodmorning Sir! How are you? You like South-Africa?“ Ich sage, dass ich gerade angekommen bin und frage, ob ich einen Ka!ee bekommen kann, aber er ist nicht zu stoppen. „Of course my friend! What would you like to do? Clubbing, diving, hiking, township-tour, Robben- Island, Table Mountain?“ „Äh“, ich komme nicht mit. „Äh, nothing“, sag ich. „Just nothing.“ Ich erzähle kurz, wie ich hierherge-kommen bin und das "ndet er scheinbar unglaublich – er schlägt mit der #achen Hand auf den Tisch und lacht, hoch und schrill und ruft: „You crazy Europeans! Crazy Europeans!“ Ich lache ein bisschen mit ihm mit. „Yeah.“ „But my friend“, sagt er. „You´re searching for the end of the world, aren´t you? But that´s not here, I´ll show you, wait. “ The end of the world ... Wenn man auf der Höhe Belgiens langsam aber sicher anfangen würde zu sinken. Würde man dann hier wieder auftauchen? Das Ende der Welt – ja, stimmt, denke ich. Genau das suche ich.

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Leitung Theatertre!en: Yvonne Büdenhölzer

Dramaturgie Theatertre!en / Stückemarkt: Christina ZintlMitarbeit Dramaturgie / Produktion: Katrin SchmitzPraktikantin: Ra!aela PhannavongAusstatterinnen: Eva Veronica Born, Christiana Symeonidou (Assistenz)Regieassistenz: Philipp Urrutia

Stückemarkt-Jury 2015 Tim Etchells, Autor, Regisseur und Performer (Forced Entertainment)Helgard Haug, Autorin und Regisseurin (Rimini Protokoll)Lutz Hübner, AutorMilo Rau, Autor und Regisseur (International Institute of Political Murder) Yvonne Büdenhölzer (Leiterin Theatertre!en)

Festivalbüro: +49 30 25489 [email protected]

Stückemarkt-BroschüreHerausgeber: Berliner FestspieleRedaktion: Barbara Behrendt, Christina TilmannÜbersetzung: Elena KrüskemperGraphik: Ta-Trung, BerlinSchrift: LL BrownPapier: PlanoPlus, Circle o!set whiteHerstellung: enka-druck GmbH, BerlinCopyright 2015 Berliner Festspiele und AutorenStand: April 2015

VeranstalterBerliner FestspieleEin Geschäftsbereich derKulturveranstaltungen des Bundes GmbHGefördert durch die Beauftragte derBundesregierung für Kultur und MedienIntendant: Dr. Thomas OberenderKaufmännische Geschäftsführerin: Charlotte SiebenLeitung Redaktion: Christina TilmannLeitung Marketing: Stefan WollmannLeitung Presse: Claudia NolaTicket O"ce: Ingo FrankeHotelbüro: Heinz Bernd KleinpaßProtokoll: Gerhild Heyder

Berliner FestspieleSchaperstrase 24, 10719 BerlinT +49 30 254 89 [email protected]

Das Theatertreffen wird gefördert durch die

Medienpartner

Der Stückemarkt wird gefördert durch

In Kooperation mit

Die Berliner Festspiele werden gefördert durch

Impressum

Außerdem danken wir dem Maxim Gorki Theater und dem Deutschen Theater Berlin

Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung von

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Haus der Berliner Festspiele Andere Spielorte

3.5.So

16:00 CampEröffnung Stückemarktmit Yvonne Büdenhölzer, Helgard Haug, Lutz Hübner, Thomas Oberender, Christina Zintl17:00 bis 18:15 SeitenbühneStückemarkt I: Hose Fahrrad Frau von Stefan Wipplingerim Anschluss Gespräch mit Stefan Wipplinger und Lutz Hübner20:00 bis 21:30 Stückemarkt II: Der Staat / The State von Alexander Manuiloffim Anschluss Gespräch mit Alexander Manuiloff und Johanna Freiburg

4.5.Mo

12:00 bis 14:00 CampWhat if... Workshop mit Stefan Wipplinger

14:00 bis 16:00 CampDramaturgy of Restrictions Workshop mit Alexander Manuiloff

16:00 bis 0:00Stückemarkt III: TALKING STRAIGHT Festival von Daniel Cremer / TALKING STRAIGHT

5.5.Di

12:00 bis 14:00 CampAnother great workshop Workshop mit Tom Struyf, Nelle Hens und Willem De Maeseneer

14:00 bis 16:00 CampWriting from an actuality image Workshop mit Alexandra Badea

18:00 bis 19:15 CampStückemarkt IV: Zersplittert von Alexandra Badeaim Anschluss Gespräch mit Alexandra Badea und Falk Richter20:30 bis 21:45 SeitenbühneStückemarkt V: Another great year for fishing von Tom Struyf im Anschluss Gespräch mit Tom Struyf und Christina Zintl und Abschlussfeier

6.5.Mi

15:00 bis 17:00 CampTALKING STRAIGHT. In A Meeting With Daniel Cremer Workshop und Coaching

17:00 bis 18:30 CampPolitisches Schreiben heute – Abschlussgespräch zum Stückemarkt 2015 in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)

9.5.Sa

16:30 Uhr CampWolfram Lotz, Hannes Becker: Bring das Zeug von draußen ins Theater! Aber fix! Workshop-Präsentation

13.5.Mi –

16.5.Sa

20:00 bis 21:20 English Theatre Berlin/International Performing Arts CenterStückemarkt RevisitedConfirmation von Chris Thorpe Regie Rachel Chavkin Am 14.5. im Anschluss Autorengespräch

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Aus: Another great year for fishing © Clara & Wies Hermans