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S156 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 Nach dem Siegeszug der winkelstabi- len Implantate an der Wirbelsäule und guten Erfahrungen im Oberschenkel- schaftbereich lag der Wunsch nahe,auch für andere Regionen Fixateur-interne- Systeme zur Verfügung zu haben [10,12]. Schon länger war klar, dass nach dem Druckplattenprinzip kein geeignetes Implantat für den Unterschenkel mach- bar war. Im Bereich der Femurkondylen war der Druckplattenfixateur noch ein- setzbar, aber auch hier war die Begren- zung durch die Implantatdicke zu erken- nen. Somit stellte sich frühzeitig die Fra- ge, wie eine Winkelstabilität ohne größe- re Dimensionierung des Implantats zu er- reichen wäre. Hierzu müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. frei bestimmbare Schraubenrichtung 2. Vermeidung zusätzlicher Bauteile 3. Lösung, die nicht auf einen Knochen beschränkt ist 4. geeignetes Material 5. Nutzung der Erfahrungen aus der Plat- ten- und Nagelimplantation vergange- ner Jahrzehnte 6. einfache und sichere Handhabung Titanfixateur interne mit Gewindeformung im Schraubenloch Theoretische Lösung Beim Versuch,die genannten Forderun- gen umzusetzen, scheiden bestimmte Lö- sungsmöglichkeiten aus. Nach unserem jetzigen Kenntnis- stand bietet sich folgender Lösungsweg an: Beim Eintreten des Kopfs in das Schraubenloch muss es zu einer soforti- gen Verfestigung kommen. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn eine direk- te „Verschweißung“ der Kontaktflächen eintritt. Es liegt auf der Hand, dass die- ser Vorgang durch eine möglichst große Kontaktfläche erleichtert wird. Diese große Kontaktfläche ist am ehesten durch die Verwendung eines Gewindes zu er- zielen. Um eine freie Wählbarkeit zu ge- währleisten, können hierbei nur entwe- der der Schraubenkopf oder das Platten- loch ein vorgeformtes Gewinde aufwei- Trauma Berufskrankh 2001 · 3 [Suppl 2]: S156–S161 © Springer-Verlag 2001 Unterschenkelfraktur Dietmar Wolter · Stefan Fuchs · Hans-Werner Kranz · Uwe Schümann · Klaus Seide Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,BG-Unfallkrankenhaus Hamburg Titanfixateur interne für die Tibia Prof. Dr. Dietmar Wolter BG-Unfallkrankenhaus Hamburg, Bergedorfer Straße 10, 21033 Hamburg, (Tel.: 040-73062701, Fax: 040-73062703) Zusammenfassung Die Verwendung von Fixateur-interne-Syste- men begann 1985 mit dem klinischen Ein- satz von Druckplattenfixateuren für die Brust- und Lendenwirbelsäule. Nach dem Druck- plattenprinzip kamen auch interne Fixa- tionssysteme für das distale Femur zur An- wendung. Für andere Körperregionen mit ei- ner geringeren Weichteildeckung erfolgte die Konstruktion eines Fixateur-interne- Systems. Dieses basiert auf einem Reibschluss von verschieden harten Reintitanmateria- lien. Durch das Eindrängen eines gewinde- tragenden Schraubenkopfs aus einem härte- ren Reintitan in ein Plattenloch, welches aus einem weicheren Titan besteht, kommt es zu einer dauerhaft festen Verbindung. Diese Form der Winkelstabilität erlaubt eine unter- schiedliche Schraubenpositionierung.Vom September 1997 bis Dezember 1999 wurden bei insgesamt 55 Patienten 57 Operationen mit einem Titanfixateur interne für den Unterschenkelschaft durchgeführt. Bei 26 Patienten erfolgte die Fixation bei Pseud- arthrose, bei 3 Patienten die Korrektur von Fehlstellungen und bei 26 Patienten die Fixa- tion von 28 Unterschenkelfrakturen, davon 9 als Umstieg vom Fixateur externe. Intraope- rativ traten keine Komplikationen auf.Post- operativ fanden sich eine kleine, spontan ab- heilende Wundrandnekrose bei Durchblu- tungsstörung, ein passagerer N.-peronaeus- Schaden und ein blander Plattenlagerinfekt bei vorbestehendem ruhendem Infekt, eine Thrombose in der fibularen Gruppe sowie ein nicht revisionsbedürftiges Hämatom. Alle Komplikationen sind bisher folgenlos abgeheilt. Bei 44 Patienten erfolgte die Im- plantation minimalinvasiv über kleine Inzi- sionen und durch Untertunnelung der Weich- teile. In 33 Fällen erfolgte die Anlagerung autologer Spongiosa durch eine kleine 3. In- zision, bei 29 Patienten wurde gleichzeitig eine Refobacin-Palacos-Kette eingelegt. Zum Nachuntersuchungszeitpunkt waren 40 Be- handlungen abgeschlossen. Ein Korrektur- verlust oder Implantatversagen fanden sich nicht. Alle knöchernen Heilungsvorgänge er- folgten störungsfrei. Schlüsselwörter Fixateur-interne-Systeme · Winkelstabilität · Titan · Osteosynthese · Spondylodese

Titanfixateur interne für die Tibia

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Page 1: Titanfixateur interne für die Tibia

S156 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Nach dem Siegeszug der winkelstabi-len Implantate an der Wirbelsäule undguten Erfahrungen im Oberschenkel-schaftbereich lag der Wunsch nahe,auchfür andere Regionen Fixateur-interne-Systeme zur Verfügung zu haben [10, 12].

Schon länger war klar, dass nachdem Druckplattenprinzip kein geeignetesImplantat für den Unterschenkel mach-bar war. Im Bereich der Femurkondylenwar der Druckplattenfixateur noch ein-setzbar, aber auch hier war die Begren-zung durch die Implantatdicke zu erken-nen. Somit stellte sich frühzeitig die Fra-ge, wie eine Winkelstabilität ohne größe-re Dimensionierung des Implantats zu er-reichen wäre. Hierzu müssen folgendeVoraussetzungen erfüllt sein:

1. frei bestimmbare Schraubenrichtung2. Vermeidung zusätzlicher Bauteile

3. Lösung, die nicht auf einen Knochenbeschränkt ist

4. geeignetes Material5. Nutzung der Erfahrungen aus der Plat-

ten- und Nagelimplantation vergange-ner Jahrzehnte

6. einfache und sichere Handhabung

Titanfixateur interne mit Gewindeformung im Schraubenloch

Theoretische Lösung

Beim Versuch, die genannten Forderun-gen umzusetzen,scheiden bestimmte Lö-sungsmöglichkeiten aus.

Nach unserem jetzigen Kenntnis-stand bietet sich folgender Lösungswegan: Beim Eintreten des Kopfs in dasSchraubenloch muss es zu einer soforti-gen Verfestigung kommen. Dies kannnur dann der Fall sein, wenn eine direk-te „Verschweißung“ der Kontaktflächeneintritt. Es liegt auf der Hand, dass die-ser Vorgang durch eine möglichst großeKontaktfläche erleichtert wird. Diesegroße Kontaktfläche ist am ehesten durchdie Verwendung eines Gewindes zu er-zielen. Um eine freie Wählbarkeit zu ge-währleisten, können hierbei nur entwe-der der Schraubenkopf oder das Platten-loch ein vorgeformtes Gewinde aufwei-

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 2]: S156–S161 © Springer-Verlag 2001 Unterschenkelfraktur

Dietmar Wolter · Stefan Fuchs · Hans-Werner Kranz · Uwe Schümann · Klaus SeideAbteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG-Unfallkrankenhaus Hamburg

Titanfixateur interne für die Tibia

Prof. Dr. Dietmar WolterBG-Unfallkrankenhaus Hamburg,Bergedorfer Straße 10, 21033 Hamburg,(Tel.: 040-73062701, Fax: 040-73062703)

Zusammenfassung

Die Verwendung von Fixateur-interne-Syste-men begann 1985 mit dem klinischen Ein-satz von Druckplattenfixateuren für die Brust-und Lendenwirbelsäule. Nach dem Druck-plattenprinzip kamen auch interne Fixa-tionssysteme für das distale Femur zur An-wendung. Für andere Körperregionen mit ei-ner geringeren Weichteildeckung erfolgtedie Konstruktion eines Fixateur-interne-Systems. Dieses basiert auf einem Reibschlussvon verschieden harten Reintitanmateria-lien. Durch das Eindrängen eines gewinde-tragenden Schraubenkopfs aus einem härte-ren Reintitan in ein Plattenloch, welches auseinem weicheren Titan besteht, kommt es zueiner dauerhaft festen Verbindung. DieseForm der Winkelstabilität erlaubt eine unter-schiedliche Schraubenpositionierung.VomSeptember 1997 bis Dezember 1999 wurdenbei insgesamt 55 Patienten 57 Operationenmit einem Titanfixateur interne für denUnterschenkelschaft durchgeführt. Bei 26Patienten erfolgte die Fixation bei Pseud-arthrose, bei 3 Patienten die Korrektur vonFehlstellungen und bei 26 Patienten die Fixa-tion von 28 Unterschenkelfrakturen, davon 9als Umstieg vom Fixateur externe. Intraope-rativ traten keine Komplikationen auf. Post-operativ fanden sich eine kleine, spontan ab-heilende Wundrandnekrose bei Durchblu-tungsstörung, ein passagerer N.-peronaeus-Schaden und ein blander Plattenlagerinfektbei vorbestehendem ruhendem Infekt, eineThrombose in der fibularen Gruppe sowieein nicht revisionsbedürftiges Hämatom.Alle Komplikationen sind bisher folgenlosabgeheilt. Bei 44 Patienten erfolgte die Im-plantation minimalinvasiv über kleine Inzi-

sionen und durch Untertunnelung der Weich-teile. In 33 Fällen erfolgte die Anlagerungautologer Spongiosa durch eine kleine 3. In-zision, bei 29 Patienten wurde gleichzeitigeine Refobacin-Palacos-Kette eingelegt. ZumNachuntersuchungszeitpunkt waren 40 Be-handlungen abgeschlossen. Ein Korrektur-verlust oder Implantatversagen fanden sichnicht. Alle knöchernen Heilungsvorgänge er-folgten störungsfrei.

Schlüsselwörter

Fixateur-interne-Systeme · Winkelstabilität ·Titan · Osteosynthese · Spondylodese

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S157

sen.Der Gewinde tragende Teil muss auseinem härteren Material bestehen.

Da die Schraube aufgrund ihrer Di-mensionierung der schwächere Implan-tatpartner ist, hätte die Wahl eines wei-cheren Materials zur Folge, dass die me-chanische Stabilität der Schraube selbstbei gleicher Dimensionierung zu geringausfiele oder die Schraube größer dimen-sioniert werden müsste. Die Lösung kann

also nur darin bestehen, dass der Schrau-benkopf aus härterem Material bestehtund ein Gewinde trägt, das Plattenlochdagegen aus weicherem Material gestal-tet wird. Beim Eindrehen der Knochen-schraube kommt es dann beim Eintau-chen des Gewinde tragenden Schrau-benkopfs in das Plattenloch zu einemMaterialumformungsvorgang, welchereine Gewindeform in der Lochwand er-

D.Wolter · S. Fuchs · H.-W. Kranz · U. Schümann · K. Seide

A titanium internal fixator for the tibia

Abstract

The clinical use of internal fixator systemsstarted in 1985 when screw heads werelocked by small additional plates used totreat fractures of the thoracic and lumbarspine. Fixator systems based on this principlewere also applied to the distal femur.To ad-dress the need for internal fixator systems inbody regions with thin soft tissue coverage,titanium implants were developed that de-velop angular stability by exploiting the fric-tion created by fixing self-tapping screws ofharder titanium in plates made from softertitanium, thus creating a permanently stablebond that also makes various screw anglesand positions possible. Between September1997 and December 1999 we performed 57surgical procedures in 55 patients, using thetitanium internal fixator for the tibia. In 26patients the fixation was performed for thetreatment of pseudarthroses, in 3 patientsfor the correction of deformities, and in 26patients to stabilise 28 fractures; 9 of the pa-tients in the last group had had temporaryexternal fixators prior to implantation of theinternal fixators. No complications were not-ed intraoperatively. Postoperatively, 1 patientwith peripheral arterial occlusive diseasehad a small area of soft tissue necrosis, butthis healed spontaneously. Other complica-tions included peroneal nerve damage withcomplete recovery, an uneventful infectionat the bone implant interface in a patientwith a history of osteitis, 1case of thrombosisand 1 case of haematoma, which did not re-quire revision. In 44 patients a minimally in-vasive technique was used for the osteosyn-thesis, which involved making two small in-cisions and creating a subcutaneous tunnel.In 33 cases, autologous spongiosa was intro-duced at the fracture site through a thirdsmall incision, and in 29 patients local antibi-otics were administered. At the time of fol-low-up, 40 treatments were complete. Nocases of loss of correction or hardware failurewere noted.The course of bone healing wasuneventful in all cases.

Keywords

Internal fixator systems · Angular stability ·Titanium · Fracture fixation · Spondylodesis

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 2]: S156–S161 © Springer-Verlag 2001

Abb. 1 � Schnittbild eines Unterschenkeltitanfixateur interne. Innige Verbindungdes Kopfgewindes mit den geformten Gewindegängen des Plattenlochs

Abb. 2 � a Nach Bohren und Gewindeschneiden erfolgen das Heranziehen und dieFixation der Tifix-Platte am Knochen zuerst mit 1 bzw. 2 herkömmlichen Knochen-schrauben. Bohrwinkel zum Knochen möglichst zwischen 0° und 10°, höhere Winkelbis 15° möglich. b Bohren des Lochs für die Tifix-Schraube (4,2 mm). Bei Bohrwin-keln > 10° muss mehr Titanmaterial umgeformt werden. Der Formvorgang erfordertdann mehr Kraft. c Drängen des Gewindes im Plattenloch mit dem hexagonalenGewindeformer (8 mm) und Ausspülen und Absaugen zum Entfernen möglicherAbriebpartikel. d Knochengewinde schneiden (4,2/5,5 mm). e Einsetzen der Tifix-Schrauben (Kompression von 0,5 mm bei 1 Schraubenumdrehung). f Entfernen derprimären herkömmlichen Knochenschrauben und Ersetzen durch Tifix-Schrauben.g Fertige Montage

11 2 a

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Page 3: Titanfixateur interne für die Tibia

zwingt. In der Technik ist dieser Vorgangals Kaltverschweißung bekannt.

Eine Abstützung der Platte am Kno-chen erscheint sinnvoll, um einen Er-müdungsbruch des Schraubenhalses zuvermeiden.Dies beinhaltet,dass es zu ei-nem Anpressen der Platte am Knochenwährend der Implantation kommen muss.Um dies zu erreichen, besteht die Not-wendigkeit, das Knochengewinde unddas Schraubenkopfgewinde mit unter-schiedlichen Steigungen auszustatten.Als praktikabelste Lösung erschien eineKompression von 0,5 mm/Umdrehung.

Praktische Lösung

Es wurde nach Materialkombinationengesucht, die eine Überprüfung des ange-dachten Prinzips möglich erscheinenließen.

Die Tatsache, dass es ein so genann-tes weiches Titan 0 mit einem besondersgeringen Sauerstoffgehalt gibt, war vonentscheidender Bedeutung.

Dieses Metall erfüllt alle Kriterieneines Implantatmaterials. Die daraufhindurchgeführten mechanischen Tests über-trafen die Erwartungen. Zuerst jedochernüchterte eine Beobachtung. Die Situa-tion war zwar gegenüber Titan I gebes-sert, aber bei dickeren Platten war im-mer noch ein erheblicher Kraftaufwandnötig, um den Schraubenkopf in dasPlattenloch einzubringen. Die Lösungdieses Problems erfolgte durch eine Ge-windeformung als gesonderten Schritt.Es wurde ein hexagonaler Gewinde-

dränger angefertigt. In einem Zwischen-schritt wurde in der jeweiligen Schrau-benkanalrichtung ein Gewinde in dasLoch gedrängt, damit war das Problemgelöst (Abb. 1, 2 a–g). Bei einer geringe-ren Implantatstärke ist dieses Gewinde-formen nicht notwendig, es kommt zueiner festen Schrauben-Platten-Verbin-dung allein durch das Eindrängen desKopfs. Dieser Kopf weist eine birnenar-tige Form auf [11, 13].

Die mechanischen Testungen durchDehnen [1] ergaben bei quasi statischerTestung eine hohe Festigkeiten der Ver-bindung [1, 14]. Insbesondere über-raschte die Standfestigkeit dieser Ver-bindung bei einer Wechsellast von bis zu248.000 Zyklen (Abb. 3).

Patienten und Methode

Im Zeitraum von September 1997–Juli1999 wurden bei insgesamt 55 Patienten57 Operationen mit dem Titanfixateurinterne (Tifix, Fa. Litos, Hamburg) fürden Unterschenkel durchgeführt, davonwaren 18 Patienten weiblich, 37 Patien-ten männlich.Der Altersdurchschnitt be-trug 38,3 Jahre (17–69 Jahre).

Der Tibiafixateur interne bietet einLow-contact-Prinzip mit je 3 proxima-len und distalen Plattenlöchern. DieWinkelstabilität des Tibiafixateur inter-ne wird durch die Gewindeverbindungdes Schraubenkopfs mit der Platte um-gesetzt, wobei der Gewinde tragendeSchraubenkopf aus hartem Reintitan einGewinde in das weiche Reintitan des

Plattenlochs drängt. Das System erlaubtverschiedene Winkelgrade der einzu-bringenden Schraube. Entsprechend derBohrrichtung wird über ein Instrumentein Gewinde in die Platte gedrängt. Dieunterschiedlichen Steigungen der Ge-windegänge im Schaft der Schraube undim Schraubenkopf führen zu einem An-pressen der Platte an den Knochen von 0,5 mm/Umdrehung. Ist die Strecke zwi-schen Implantat und Knochenoberflä-che mehrere mm lang, empfiehlt es sich,die Kompression der Platte an denKnochen erst durch eine herkömmlicheKnochenschraube herzustellen. Bei fes-tem Sitz kann sie dann gegen die Fixa-teurschraube ausgetauscht werden.

Unter der Prämisse einer Weichteileschonenden Operationstechnik wird derTibiafixateur interne minimalinvasivüber kleine Hautinzisionen in der Unter-tunnelungstechnik eingebracht.Über ei-ne klein zu haltende 3. Inzision auf Höhez. B. des Pseudarthrosenspalts könneneine zusätzliche autologe Spongiosa-plastik durchgeführt werden oder eineFehlstellungskorrektur erfolgen. Darü-ber hinaus besteht insbesondere bei Ver-fahrenswechseln die Möglichkeit, lokaleAntibiotikaträger (z. B. PMMA-Ketten)einzubringen.

Bei 26 Patienten mit insgesamt 28Unterschenkelfrakturen wurde die win-kelstabile Osteosynthese mit Titanfixa-teur interne durchgeführt. Dieser wurdebei 7 Patienten primär eingesetzt, bei 9Patienten erfolgte der Verfahrenswech-sel vom Fixateur externe auf das Im-plantat innerhalb der ersten 10 Tage. Bei4 Patienten wurde, bei längerer Liege-zeit, der Fixateur externe entfernt undnach Abheilung der Pineintrittstellennach 2–4 Wochen ein Verfahrenswech-sel vorgenommen (Abb. 4 a–g).

Bei 26 Patienten mit Pseudarthro-sen lagen zusätzliche Fehlstellungen in7 Fällen vor. Bei den Pseudarthrosen(Abb. 5 a–c) fanden sich

∑ in 3 Fällen eine Vorbehandlung mitPlattenosteosynthese,

∑ in 12 Fällen eine Fixateur-externe-Behandlung,

∑ in 10 Fällen eine Versorgung mit UTNsowie

∑ in 1 Fall eine Schraubenosteosynthese.

Bei 3 Patienten wurde eine konsolidier-te Fehlstellung mit Fixateur interne kor-rigiert.

S158 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Unterschenkelfraktur

Abb. 3 � Dauerversuch des Titanfixateurs bei einer Wechsellast von bis zu 248.000 Zyklen

Page 4: Titanfixateur interne für die Tibia

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S159

Abb. 4 a–g � 47-jährige Frau, a–c Stoß-stangenverletzung, offene Unterschen-kelfrakturen beidseits mit Weichteilquet-schung, Stabilisierung der Fibula durchPlatte beidseits, Wundversorgung mitRefobacin-Palacos-Ketten-Einlage, Fixa-teur-externe-Anlage beidseits. d, e 4 bzw.6 Wochen später Verfahrenswechsel. Mi-nimalinvasives Einbringen der Fixateur-interne-Systeme und Spongiosaanlage-rung. Volle Mobilisation in Gehapparatenab der 8. Woche. Vollständiger röntgeno-logischer Durchbau und Vollbelastungbeider Extremitäten 4 bzw. 4 1/2 Monatenach dem Unfall. f, g Weichteilsituation14 Tage nach Verfahrenswechsel, endgra-dig eingeschränktes Bewegungsausmaßzum Zeitpunkt der Vollbelastung

aa

bb

d

g

c

e

f

Page 5: Titanfixateur interne für die Tibia

Der Titanfixateur interne wurdeminimalinvasiv mit Weichteiluntertun-nelung bei 44 Patienten implantiert. Bei12 Patienten erfolgte in herkömmlicherWeise die offene Versorgung. 33-mal wa-ren eine Spongiosaplastik oder das Ein-bringen eines kortikospongiösen Blocksnotwendig (Korrekturosteotomie).

Voroperationen fanden sich

∑ bei der Patientengruppe mit Pseud-arthrosen im Durchschnitt 1,7,

∑ bei den Frakturbehandlungen 2,6,∑ bei Fehlstellungskorrekturen 1,5.

Lokale Antibiotikaträger (PMMA-Ketten)wurden 29-mal eingebracht.

Ergebnisse

Von September 1997–Dezember 1999 wardie Behandlung bei 40 Patienten abge-schlossen. Vollbelastung wurde bei die-sen Patienten zwischen der 10. und 29.Woche erreicht. Alle Patienten wurdenfrühfunktionell nachbehandelt, die Teil-belastung auf 10 kg limitiert. Die Belas-

tungssteigerung erfolgte entsprechenddem röntgenologischen Durchbau.

Bei allen Behandlungen waren kei-ne intraoperativen Komplikationen zuverzeichnen. Als postoperative Kompli-kationen traten auf:

1. Eine kleine Wundrandnekrose bei vor-bestehender arterieller Verschluss-krankheit, die ohne weitere operativeMaßnahmen zur Abheilung kam.

2. Ein passagerer N.-peronaeus-Schadenmit vollständiger Remission (Lagerungs-schaden).

3. Ein blander Plattenlagerinfekt bei posi-tivem Keimnachweis zum Zeitpunkt derImplantation des Titanfixateurs (vorbe-stehende Pseudarthrose 1,5 Jahre). DieMaterialentfernung erfolgte nach knö-cherner Konsolidierung.

4. Eine Thrombose in der fibularen Gruppe.5. Ein nicht revisionsbedürftiges Hämatom.

Alle Komplikationen heilten bisher fol-genlos ab. Zum Zeitpunkt des Verfah-renswechsels ließ sich bei 3 weiterenPatienten ein positiver Keimbefund

(Staphylococcus aureus) nachweisen, derpostoperative Heilungsverlauf war je-weils erfreulicherweise ohne Infekt.

Postoperative Stellungsverluste undImplantatversagen wurden nicht be-obachtet.

Diskussion

Für die Versorgung von Unterschenkel-frakturen bieten sich heute zahlreicheVerfahren an. Im Schaftbereich stellt dieintramedulläre Markraumschienung dieVersorgung der Wahl dar [5].

Die Plattenosteosynthese ist auf-grund schwerer Weichteilkomplikatio-nen und z. T. auch zögerlicher Fraktur-heilung in Misskredit geraten. Bei offe-nen Frakturen stellt die Versorgung durchFixateur-externe-Systeme,zumindest alserster Schritt, nach wie vor die Methodeder Wahl dar.

Problematisch wird es dann,wenn esnicht zu einer knöchernen Durchbauungder Unterschenkelfraktur kommt oderFehlstellungen verbleiben, die eine er-neute operative Korrektur erfordern [2,8, 9].

Das Umsteigen von Fixateur-ex-terne-Systemen auf intramedulläre Im-plantate weist ein z. T. hohes Risiko auf.Fixateur-externe-Systeme selbst ermög-lichen durchaus die Therapie von Pseud-arthrosen und Fehlstellungen. Die we-sentlichen Nachteile dieses Verfahrensstellen jedoch

∑ ein mangelnder Komfort für den Patienten,∑ eine lange Liegezeit und∑ lokale Komplikationen, wie Pininfekte,

dar [2, 6].Aufgrund der guten Erfahrungen

von Fixateur-interne-Systemen im Wir-belsäulenbereich [3], aber auch bei derAnwendung von Fixateur-interne-Syste-men im Oberschenkelbereich [10] sahenwir eine Verbesserung der Therapie-möglichkeiten durch ein geeignetes Sys-tem für den Unterschenkel.

Die Winkelstabilität scheint bei Plat-tensystemen bessere mechanische Vor-aussetzungen für die Knochenheilungzu schaffen [7]. Diese mechanischen Vor-züge bedürfen jedoch einer Weichteileschonenden Operationstechnik in Ver-bindung mit autologer Knochentrans-plantation, um knöcherne Fehlheilun-gen mit möglichst großer Sicherheit zuvermeiden.

S160 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001

Unterschenkelfraktur

Abb. 5 a–c � 58-jährige Patientin mit Pseudarthrose linker Unterschenkel nach Fraktur und Platten-osteosynthese sowie Umstieg auf Fixateur externe wegen Infekt. Raucherin, Narbenfeld prätibial,Fixateur-interne-Implantation, Spongiosaplastik und Refobacin-Palacos-Ketten-Einlage. KnöcherneKonsolidierung nach 3 Monaten. Intraoperativer Situs, Weichteilsituation 3 Monaten postoperativ

a c

b

Page 6: Titanfixateur interne für die Tibia

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2001 S161

Das Implantat muss dabei denschwierigen Weichteilverhältnissen, wiesie im Unterschenkelbereich von vorn-herein vorliegen, besonders Rechnungtragen.Somit darf dieses Implantat nichtwesentlich dicker sein, als es bei her-kömmlichen Plattensystemen der Fall ist.

Nachdem die technischen Problemebeherrscht waren, erfolgte zuerst derEinsatz des Titanfixateur interne, wennFixateur- oder Marknagelanwendungennicht zum Erfolg geführt hatten.

Erst nachdem hier, bei diesen schwie-rigen Verhältnissen, gute Heilverläufe zuerkennen waren, erfolgte der Einsatzdieses Implantats im Rahmen der Frak-turbehandlung [4]. Bei Weichteilschä-den wurden zuerst eine Ruhigstellungim Fixateur externe und die Repositionvorgenommen. Anschließend wurde ei-ne exakte Reposition, falls notwendigmit dem Hexapodensystem, ohne Nar-kose durchgeführt. Bei guten Weichteil-verhältnissen wurde zum frühestmög-lichen Zeitpunkt auf einen Titanfixateurinterne umgestiegen.War ein Umsteigenerst nach einer längeren Zeit möglich,wurde zur Verminderung der Infektge-fahr der Fixateur externe entfernt undnach einer Wartezeit von 2–3 Wochendie Implantation des Fixateur-interne-Systems vorgenommen.

Da die intraoperativen Abstrichebei den Sekundäroperationen, insbeson-dere bei Pseudarthrosen, in 4 Fällen einenpositiven Keimnachweis zeigten, gingenwir ähnlich wie im Oberschenkelbereichdazu über, neben der autologen Spongio-saplastik auch eine Refobacin-Palacos-Kette einzulegen.

Trotz des nicht unproblematischenPatientenguts kam es lediglich bei 1 Pa-

tienten zu einem blanden Infekt. Auf-grund der geringen entzündlichen Zei-chen konnte die Konsolidierung des Kno-chens abgewartet werden. Bei der Ent-fernung des Materials zeigte sich, dasslediglich in einem Schraubenloch einebegrenzte Osteitis vorlag. Das Implantatwar fest im Knochen verankert.Von den6 Schrauben wies lediglich die Schraubeim infizierten Lochbereich eine Locke-rung auf. Der weitere Verlauf ist bis zumheutigen Zeitpunkt ohne Infektzeichen.

Die mechanischen Vorteile durchdie Winkelstabilität und das Titanmate-rial, stellen u. E. nach in Kombinationmit Weichteilen schonenden Operations-techniken, autologer Spongiosaplastikund lokalem antibiotischem Schutz dieVoraussetzungen dar, dass mit hoher Si-cherheit eine knöcherne Heilung auchbei ungünstiger Ausgangssituation er-reicht werden kann.

Erfahrungen aus der Plattenosteo-synthese vergangener Jahrzehnte hin-sichtlich Indikation, Implantationstech-nik und Nachbehandlung können beimTitanplattenfixateur interne weitgehendeingesetzt werden.

Die Entfernung des Implantatmate-rials erfolgt ebenfalls über kleine Inzi-sionen. Durch die geringere operativeExposition und die hohe Festigkeit wer-den Schmerzfreiheit oder -armut nachunseren Erfahrungen frühzeitiger er-reicht,als dies mit anderen Systemen derFall ist.

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