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Trauma und Yoga Einführung und Beschreibung in traumasensibles Yoga – ein Fallbeispiel im Einzelsetting sowie die Vorstellung eines Gruppenkonzeptes für Jugendliche und junge Erwachsene Simone Rießinger Abschlussarbeit zur Prüfung der Traumapädagogin und Traumafachberaterin Kurs 3 am Norddeutschen Institut für Traumpädagogik tra-i-n Mai 2013

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Trauma und Yoga

Einführung und Beschreibung in traumasensibles Yoga – ein Fallbeispiel im Einzelsetting sowie die Vorstellung eines Gruppenkonzeptes für Jugendliche und junge Erwachsene

Simone Rießinger

Abschlussarbeit zur Prüfung der Traumapädagogin und Traumafachberaterin Kurs 3 am Norddeutschen Institut für Traumpädagogik tra-i-n Mai 2013

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Gliederung:

1 Das sozialtherapeutische Wohn- und Betreuungsangebot der Hans-Wendt-Stiftung 2

1.1 Wohneinrichtung 1.2 Zielgruppe 1.3 MitarbeiterInnen 1.4 Kooperationspartner 3

2 Yoga mit traumatisierten Menschen 2.1 Hintergründe zu dieser Projektarbeit 2.2 Was ist Yoga? 2.3 Yoga und seine Auswirkungen auf das menschliche Gehirn 4 2.4 Was ist traumasensibles Yoga und wie wirkt es? 5

3 Vorstellung der TeilnehmerInnen 6 3.1 Nele, eine junge Frau aus der Wohneinrichtung: Yoga im Einzelsetting 3.2 Drei/vier junge Männer aus der Einrichtung:

Yoga im Gruppensetting

4 Planung des Projektes 4.1 Anlass und Zeitraum 4.2 Rahmenbedingungen für traumasensibles Yoga und worauf Yogalehrende

achten sollten/müssen 7 4.3 geplantes Dokumentationsmaterial 4.4 Vorstellung einiger Übungen im Einklang mit bestimmten Zielen 8

5 Durchführung des Projektes 5.1 Traumasensibles Yoga mit Nele 5.1.1 Entspannungsübung im Liegen 5.1.2 Mobilisation/Aufwärmen des Körpers 9 5.1.3 Hauptteil 5.1.4 Abschlussentspannung 10 5.2 Auswertung der Übungen im Hauptteil der Yogastunden mit Nele 11 5.3 Abschließende Bewertung des traumasensiblen Yogastils mit Nele 15 5.4 Das Gruppensetting mit den vier jungen Männern 16

6 Reflexion des Projektes 6.1 Nele´s Bewertung und Abschlusskritik 6.2 Meine eigene professionelle Rolle 18 6.3 Abschließende Bewertung und Ausblick Literaturhinweis Anhang 1 20 Anhang 2 21

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1 Das sozialtherapeutische Wohn- und Betreuungsangebot der Hans-Wendt-Stiftung

1.1 Wohneinrichtung

Die Hans-Wendt-Stiftung hält seit Mitte der 90er Jahre ein Wohn- und Betreuungsangebot für psychisch auffällige Jugendliche und junge Erwachsene vor, die aufgrund ihrer besonderen Schwierigkeiten nicht bzw. noch nicht in herkömmliche Gruppenwohnformen integriert werden können. Das Haus in Walle besteht seit 2003 und verfügt insgesamt über acht Plätze. Es bietet 6 Einzelzimmer in zwei 3er Wohnetagen und 2 Ein-Zimmer- Appartements für die BewohnerInnen, weiterhin stehen ein Gruppenraum, ein Werkraum, eine Waschküche, ein Tischtennis- und Kickerkeller, Besprechungs- und Büroräume sowie ein Gäste-/Notzimmer zur Verfügung. Die jungen Menschen beziehen Hilfen zur Erziehung nach §§ 27, 34, 35a, 41 SGB VIII, in Ausnahmefällen auch nach SGB XII; vorrangig nach § 35a SGB VIII. Die Leistungs- und Entgeltverträge schließen die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Kosten für das Zimmer nicht mit ein.

1.2 Zielgruppe

An junge Menschen zwischen 14 und 21 Jahren mit psychischen Beeinträchtigungen und starken Verhaltensauffälligkeiten, psychiatrischen Erkrankungen und/oder unter Trauma-folgestörungen leiden, richtet sich das Betreuungsangebot der Einrichtung. Die Jugendlichen und junge Erwachsenen sind oftmals wegen ihren schweren Beziehungsstörungen nicht oder noch nicht in Gruppensettings integrierbar und benötigen intensive Hilfen, um ihren Alltag zu strukturieren und zu bewältigen. Gemeinsam mit den PädagogInnen und der Psychologin lernen sie nach und nach ihre schulische, berufliche und persönliche Lebens-perspektiven zu entwickeln und gestalten. Nach ca. zwei- bis dreijähriger intensiver sozial-pädagogischer und psychologisch-therapeutsicher Unterstützung können sie dann zur selbstständigen Lebensführung in Hilfemaßnahmen mit geringerer Betreuungsdichte überge-leitet oder in den Familienverband zurückgeführt werden, manchmal sogar auch in die erste eigene Wohnung.

Die psychischen Auffälligkeiten der bisher Betreuten wurden beschrieben als Entwicklungs-verzögerungen, Störungen des Sozialverhaltens, Psychosen, Ängste, depressive Störungen, Zwangsverhalten, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten, aggressive Impulsdurch-brüche, Suizidalität, emotionale Instabilität, posttraumatische Belastungs- und Traumafolge-störungen, Dissoziation, Verdacht auf Persönlichkeitsstörungen sowie Schulvermeidung, Delinquenz, Brandstiftung, etc..

Nicht aufgenommen werden junge Menschen mit einem Abhängigkeitssyndrom, die mit Drogen und Alkohol aktuell so gravierende Schwierigkeiten haben, dass mit ihnen keine Vereinbarungen getroffen werden können. Außerdem kommen junge Menschen mit einer geistigen Behinderung, die eine durchgehende Betreuung benötigen und die absehbar nicht zur selbstständigen Lebensführung befähigt werden können, sowie Jugendliche, gegen die der Verdacht oder eine Anklage wegen sexueller Gewalt erhoben wird, für eine Aufnahme nicht in Frage.

Ein Mindestmaß an Motivation, sich auf die Betreuung einzulassen, ist eine Vorraussetzung, die auch in einer längeren, mit der Behörde abgestimmten Aufnahmephase erarbeitet werden kann.

1.3 MitarbeiterInnen

Betreut werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Schicht- und Wochenend-dienst von 7 PädagogInnen mit unterschiedlichen Ausbildungs- und Zusatzqualifikationen und NachtbereitschaftskollegInnen von 20 Uhr - 7 Uhr morgens. Eine Psychologin und eine

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Hauswirtschafterin in Teilzeit ergänzen das Team. Eine nahezu „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ kann somit vorgehalten werden.

1.4 Kooperationspartner

Die Wohneinrichtung in Walle unterhält gute Kooperationen mit anderen Jugendhilfeträgern, der KJP-Klinik-Ost, niedergelassenen PsychiaterInnen und TherapeutInnen, den umliegen-den Schulen, dem SpSD, der Erwachsenenpsychiatrie der Klinik-Ost, der zuständigen Polizeidienststelle, gesetzlichen BetreuerInnen, verschiedenen Trägern für niederschwellige Arbeitsmaßnahmen, der Arbeitsagentur und Reha-Abteilung in Bremen sowie Wohnformen der Erwachsenen Betreuung für psychisch Erkrankte innerhalb Bremens. Außerdem gibt es eine gute Vernetzung innerhalb anderer Abteilungen der Hans-Wendt-Stiftung.

2 Yoga mit traumatisierten Menschen

2.1 Hintergründe zu dieser Projektarbeit

Die meisten Menschen finden aufgrund körperlicher Gebrechen, Schmerzen oder sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zum Yoga und darin eine Linderung und sogar Heilung ihrer körperlichen Einschränkungen. So erging es mir auch. Seit über 20 Jahren praktiziere ich Yoga. Meine eigenen Wirbelsäulenschädigungen und Verschleißerkrankungen konnte ich durch Yoga lindern, meine Beweglichkeit erhalten und ausbauen. Seit 3 Jahren bin ich selbst Yogalehrende, gab Gruppen- und Einzelunterricht für Erwachsene. Meine ersten Erfahrungen mit Yoga und traumatisierten Jugendlichen sammelte ich während eines Praxis-einsatzes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Bremen-Ost.

2010 erschien das erste deutschsprachige Buch „Yoga in der Traumatherapie“ von Regina Weiser und Angela Dunemann, beide Yogalehrende, Psychotherapeutin und Pädagogin, die in ihrem Buch die Wirkung und Verknüpfung von Yoga gerade für traumatisierte Menschen beschreiben. In Amerika wurde bereits 2003 im Trauma Center des Justice Ressource Institute in Brookline/Massachusetts, dessen Leiter und Begründer Bessel van der Kolk ist, traumsensibles Yoga entwickelt und dessen „heilende“ Wirkung auf Überlebende von traumatischen Erlebnissen klinisch nachgewiesen (vgl. Emerson, Hopper, S. 17 ff). Inspiriert durch die beiden Bücher, mein Fachwissen und meine Erfahrungen als Yogapraktizierende und Yogalehrende versuche ich mit dieser Projektarbeit einerseits theoretisches Grund-wissen in traumasensiblem Yoga darzulegen und andererseits ein Einzelsetting sowie ein Gruppenkonzept für Jugendliche und junge Erwachsene in der Praxis vorzustellen.

2.2 Was ist Yoga?

Kurz zusammengefasst ist Yoga ein ganzheitliches, systemisches Bewusstsein, ein über 2000 Jahre altes philosophisches System aus Indien. Yoga betrachtet den Menschen als Ganzheit bestehend aus Körper, Geist und Seele. „Yoga ist ein Weg der Selbstbegegnung, der die Spürfähigkeit für ein gesundes Gleichgewicht fördert und so die eigene Authentizität entwickeln hilft. (…) Yoga arbeitet mit und an den drei Energiequellen: Bewegung, Atem und Bewusstsein“ (Weiser, S. 8). Jede einzelne dieser drei Energiequellen wirkt bereits für sich alleine gesundheitsfördernd. In ihrem Zusammenwirken verstärken sie sich gegenseitig.

Durch die vielfältigen Techniken des Yoga werden sowohl Energie und kraftvoller Ausdruck, als auch Entspannung im Wechsel miteinander gefördert. Im Yoga ist die Aufmerksamkeit auf den Atem, die Wirbelsäule, die Aufrichtung und die eigenen Grenzen gelenkt, deshalb kann man sagen, dass Yoga konsequent ressourcenorientiert ist. Im Yoga werden alle Bewegungen mit dem Atem und einer Haltung von Bewusstheit, auch Achtsamkeit genannt, verbunden; dies ist der Unterschied zu anderen Gymnastikarten.

Yoga übt das Fühlen und Spüren des Körpers. Durch Yoga-Übungen werden der Körper oder Körperstellen gedehnt, besonders die Körperstellen, die im alltäglichen Bewegungsab-lauf nicht bewegt werden. Die Dehnungen weiten und lassen dadurch mehr Atem fließen, an

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Körperstellen, die sonst bewegungslos und nicht belebt bleiben. Die Übungen helfen, einen Körperteil infolge der Bewegung bewusst zu machen. Auch die reine Gedankenkraft kann diese Bewusstmachung verschiedener Köperteile hervorrufen, dies wird z.B. bei Entspan-nungstechniken genutzt. Wird Atem achtsam mit Bewusstsein begleitet und dann dieses Bewusstsein an eine bestimmte Körperstelle gelenkt, fließt mehr Atem und gleichzeitig mehr Energie an diese Stelle. Atemübungen können durch bewusste Lenkung des Atems das Energiesystem beeinflussen. Durch den Atem und das Dehnen können im Yoga bestimmte Muskelgruppen in statischen Haltungen, Asanas genannt, erspürt, losgelassen und ent-spannt werden. Durch Yoga ist es auch möglich, tiefere Muskelschichten, die unserem Unterbewusstsein unterliegen, z. B. chronische Verspannungen, zu erreichen und sogar lösen zu können.

Eine Philosophie des Yoga möchte ich an dieser Stelle vorstellen und zwar die der feinstofflichen Körper. Im Yoga gibt es fünf Hüllen, die von außen nach innen und umgekehrt wirken. Die äußere Hülle, die körperliche Hülle, Ana-Maya-Kosha, ist die Nahrungshülle. Sie wird durch Ernährung, Schlaf und Bewegung gestärkt. Die zweite Hülle, die Ätherhülle, Prana-Maya-Kosha, auch Vitalitäts- oder Energiekörper genannt, wird genährt durch Atem und Rhythmen. Die Ätherhülle verlässt den Menschen kurz nach dem Tod. Die dritte Hülle, der Emotions- oder Mentalkörper, die Geisthülle, Mano-Maya-Kosha, ist der Sitz der unbewussten Gefühle, aller Programmierungen, Vorurteile, Sympathien, Antipathien, Wünsche, Schuldgefühle, Triebe. Der Denk- und Mentalkörper ist die vierte Hülle, die Bewusstseinshülle, Vinjana-Maya-Kosha, der Sitz der bewussten Einstellungen und Gedanken, der entwickelten Werte, der Vernunft und der gesteuerten Willenskraft, wie Disziplin, Konzentration, Aufmerksamkeit, Kontemplation. Die fünfte Hülle ist die Wonnehülle Ananda-Maya-Kosha, der vergeistigte Körper. Er kann nur meditierend erreicht werden und hat viele Namen, wie das höhere Selbst, Buddha-Natur, Lichtmensch, innere Sonne, göttlicher Funke. Jede Hülle wirkt auf die andere ein, je feinstofflicher die Hülle (5. auf 4., 4. auf 3., 3. auf 2. etc.) desto stärker die Kraft (vgl. Weiser, Dunemann, S. 88ff)

Das heißt also, dass Gedanken und Einstellungen (der Mentalkörper/die Bewusstseinhülle), die Gefühle (den Astralkörper/die Geisthülle), die wiederum den Vitalitätskörper/Ätherkörper (die Ätherhülle) und diese die Körperhülle durch Bewegung, Dehnung und Weitung beeinflussen und auch verändern können. Gerade im traumsensiblen Yoga wird diese Wirkungsweise sehr deutlich und macht sich bereits nach wenigen Übungseinheiten für die Yogaübenden mit ihren traumatischen Lebenserfahrungen erfahr- und spürbar. Der traumasensible Yogastil ist im Prinzip eine sehr basale Stimulation auf entwicklungspsycho-logischer Ebene. In vielen Übungen werden kleinste Bewegungen in verschiedenen Körperhaltungen mit Hilfe des Atems und der Achtsamkeit spürbar gemacht und dadurch dem Yogaübenden eine Möglichkeit geboten, den eigenen Körper zurückzugewinnen und auf eine neue oder andere, „positive“ Weise zu erleben.

2.3 Yoga und seine Auswirkungen auf das menschliche Gehirn

Die Affektregulationsfähigkeit wird als einer der bedeutsamsten Parameter für die Verarbei-tung von posttraumatischem Stress angesehen. In einer Studie wies Bessel van der Kolk durch Messungsverfahren der Herzfrequenzvariabilität (HFV) nach, dass Yoga-Übungen die PTBS-Symptome signifikant verringern können. Auch eine deutliche Verringerung von Intrusionen und schweren Hyperarousel-Symptomen konnte beobachtet werden (vgl. Weiser, Dunemann, S. 13; Emerson, Hopper, S.17ff). PTBS-Patienten leiden unter einer verringerten Aktivierung des Präfrontalkortex, d. h. unter einer Einschränkung des planerischen Handelns. „Durch Yoga, Meditation und Achtsamkeitsübungen wird dieser Teil unseres Neokortex, der für überlegtes, sinnvolles Handeln und Bewerten zuständig ist, trainiert. Neuere Forschungen um Ulrich Ott und Britta Hölzel konnten feststellen, dass Achtsamkeit und Meditation nicht nur die Vernetzungen und Verschaltungen im Gehirn ausbauen, sondern auch die messbare Anzahl der Nervenzellen in diesem so wichtigen Bereich des präfrontalen Kortex um fünf bis sieben Prozent wachsen lassen“ (Weiser, S. 20).

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Das heißt also, dass durch gezielte Yoga-Übungen Selbstregulation und Selbstwirksamkeit hergestellt, traumatischer Stress gezielt „herunterreguliert“ und auch mit den verschiedenen Atem- Bewegungs- und Achtsamkeitsübungen ein Verbleiben im Hier und Jetzt bewusst trainiert wird.

Viszerale Erfahrungen sind Erfahrungen, die als körperliche Empfindungen wie „Gehalten sein“, „Geborgen sein“, „in Sicherheit zu sein“, „in Ordnung zu sein“ in einem Teil des Gehirns, das Insel genannt wird, gespeichert werden. Neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass das Selbstgefühl unmittelbar mit dem Körper verbunden ist, dass Körperempfindungen in bewusstes Gewahrsein umgewandelt werden. „Folglich ist das Bewusstsein im Grunde ein Produkt dessen, wie wir erlebte körperliche Empfindungen deuten“ (Emerson, Hopper, S. 23).

Gerade in frühester Kindheit haben traumatisierte Menschen in der Regel nicht die Erfahrungen machen können, sicher gehalten zu werden, geborgen und in Sicherheit zu sein. Durch Yoga können solche viszeralen Erfahrungen nachgeholt werden.

2.4 Was ist traumasensibles Yoga und wie wirkt es?

Im traumasensiblen Yoga werden die Yogahaltungen und Atemübungen genutzt, um das Gefühl der Traumatisierten, mit sich selbst verbunden zu sein, zu stärken. Der trauma-sensible Yogastil fördert die Fähigkeit, innere Erlebnisse zu registrieren und zu ertragen, in der Gegenwart präsent zu sein und präsent bleiben zu können. Und er fördert eine neue Beziehung zum eigenen Körper entwickeln zu können. Die körperbasierte Form der Yogaübungen wirkt nach und nach auch auf die Beziehungen der Betroffenen, auf ihre emotionale und psychische Gesundheit und auf ihre Empfindungen des Lebens in der Welt. Körperorientierte Ansätze, wie der traumasensible Yogastil, werden unter therapeutischen Gesichtspunkten als „Bottom-up“ – Ansätze bezeichnet, d.h. das somatische Erleben wird als Zugang zur Psyche genutzt. Der Körper wird in die Trauma Behandlung miteinbezogen, denn traumatische Erinnerungen sind oft in somatischer Form gespeichert. Traditionelle Therapieformen wie die klassische Verhaltenstherapie, die Gesprächstherapie oder andere kognitive Behandlungsansätze werden „Top-down“ – Ansätze genannt. (vgl. Emerson, Hopper, S. 50)

Die zentralen Aspekte der traumasensiblen Yogapraxis sind:

das Erleben des gegenwärtigen Augenblicks

das Treffen eigener Entscheidungen (bzgl. des eigenen Körpers!), eine Wahlmöglichkeit und somit auch Kontrolle zu haben

effektives Handeln bzw. die Wiederherstellung zu effektivem Handeln, traumapädago-gisch ausgedrückt als Erleben von Selbstregulation, Selbstwirksamkeit und Selbstbe-mächtigung. In einer Yogaübung kann durch eigenständig vorgenommene Veränderung der Haltung oder Atmung körperliches Unbehagen gelindert werden.

Entwicklung von Rhythmen und Zeit, d.h. Herstellung von Synchronie und Verbunden sein mit sich und seinem Körper und der Welt, statt Dyssynchronie und Unverbundenheit gerade durch z.B. Dissoziation und Depersonalisation. Und das Erleben von „normalen“ Zeitbewusstseins, statt eines zeitlosen, erstarrten Zustand oder gefühlslosen Zustandes.

das Erleben eines (…) definierten Anfang und Ende innerhalb der Yogaübung, statt Gefangensein in Starre oder Flashbacks (vgl. Emerson, Hopper, S. 65 – 84)

Traumasensible Yogaübungen können zu innerem Sicherheitsempfinden und Steigerung der Handlungsfähigkeit verhelfen. Sie können die Nutzung eigener Wahlmöglichkeiten verbes-sern oder steigern und zu einer positiveren Selbstwahrnehmung und Selbstregulation führen. Traumasensibles Yoga kann traumatisierten Menschen helfen, mit ihrem Körper Freund-schaft zu schließen und ihre Zentriertheit auf Traumareaktionen aufzulösen. Dieser Yogastil ermöglicht ihnen, Entscheidungen zu treffen, die auf ihren Körper im gegenwärtigen Augen-blick einen positiven Einfluss haben – oder nicht.

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3 Vorstellung der TeilnehmerInnen

3.1 Nele, eine junge Frau aus der Wohneinrichtung: Yoga im Einzelsetting

Nele ist eine 25jährige junge Frau, die seit mehr als vier Jahren in der Wohneinrichtung lebt. Sie leidet an einer schweren komplexen Traumafolgestörung, einschließlich Dissoziationen. Sie macht Fortschritte in der Verarbeitung der Traumata und im besseren Umgang mit ihren Dissoziationen (bei Einzug hatte sie viele dissoziative Krampfanfälle). Sie kann mehr Erinnerungen bewusst zulassen (einschließlich eingesetzter Folter), muss weniger „abspalten“. Zu einzelnen „inneren Bereichen“ hat sie immer noch wenig Zugang, meidet diese wegen der damit verbundenen weiteren Erinnerungen. Bei dieser Verarbeitung braucht sie unbedingt immer wieder einige Wochen „Pause!“, auch um sich von erneuten Suizidgedanken wieder distanzieren zu können. Nele konnte nach dreieinhalb Jahren interner Psychotraumatherapie soweit stabilisiert werden, eine externe Therapie aufzu-nehmen, welche notwendig wurde, da eine weitere Kostenübernahme in unserer Einrichtung unsicher war.

Dem Vorschlag, traumasensibles Yoga auszuprobieren, stimmte sie begeistert zu. Aufgrund ihrer Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen war jedoch klar, dass dies nur im Einzelsetting möglich ist.

Die junge Frau ist 1,75cm groß und wiegt ca. 100kg.

3.2 Drei/vier junge Männer aus der Einrichtung: Yoga im Gruppensetting

Die vier jungen Männer sind zwischen 18 und 20 Jahre alt und befinden sich seit wenigen Monaten beziehungsweise seit ein, zwei oder sogar seit drei Jahren in der Wohneinrichtung. Alle sind mit zum Teil schweren traumatischen Erfahrungen in ihrer bisherigen Lebens-geschichte belastet, haben Angststörungen, Panikattacken, Dissoziationen, Sozialphobien, PTBS-Symptome und andere Traumafolgestörungen entwickelt.

Die jungen Männer willigten (zögerlich bis begeistert) ein, traumasensibles Yoga im Gruppensetting auszuprobieren. Drei der jungen Männer besuchen seit mehreren Monaten ein Fitness-Studio und praktizieren ihr individuell ausgearbeitetes Sportprogramm. Es wird spannend sein, ihre Erfahrungen mit beiden sportlichen Aktivitäten zu vergleichen!

4 Planung des Projektes

4.1 Anlass und Zeitraum

Wie bereits in Punkt 2.1, Seite 3 dargelegt, versuche ich, die positiven Auswirkungen eines traumasensiblen Yogastils auf (junge) Menschen, die in ihrer Lebensgeschichte traumatische Erlebnisse hatten und in deren Folge mit zum Teil erheblichen Beeinträchtigungen in Form von Traumafolgestörung belastet sind, darzustellen und zu beschreiben. Dieser Yogastil ist nicht neu, in Deutschland jedoch noch relativ unbekannt beziehungsweise wenig verbreitet.

Das Einzelsetting mit der jungen Frau plante ich für einen Zeitraum von viereinhalb Monaten mit wöchentlich einer Yogastunde über 90 Minuten, was insgesamt 15 Unterrichtseinheiten entspricht. In den ersten Unterrichtsstunden waren die Planung und das Angebot der Yoga-Übungen breit gefächert: was tut ihr gut und macht ihr Spaß und gefällt ihr, welche Übungen gehen gar nicht, welche Positionen/Haltungen kann sie gut und leicht einnehmen, welche sind schwieriger. Neben der Voraussetzung ihrer freiwilligen Teilnahme und jederzeit ohne Angabe von Gründen von der Teilnahme zurücktreten zu können, holte Nele das Einver-ständnis ihrer beiden Psychotherapeutinnen ein. Für die letzten fünf bis sechs Yogastunden plante ich eine festgelegte Reihenfolge von Übungen, die sie bis dahin kennengelernt haben sollte, die ihr gut taten und Spaß machten, mit dem Ziel, diese auch weiterhin und vor allem dann eigenständig durchführen zu können.

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Für das Gruppensetting mit den jungen Männern plante ich zwei bis drei Unterrichtseinheiten mit je 90 Minuten in einem vorher genau festgelegten Ablauf.

4.2 Rahmenbedingungen eines traumasensiblen Yogastils und worauf Yogalehrende achten sollten und müssen

Traumatisierte Menschen haben in ihrer Lebensgeschichte Ereignisse erlebt, in denen sie Situationen hilflos, ohnmächtig, ohne Schutz und handlungsunfähig, oft auch lebens-bedrohlich ausgeliefert waren. Für einen Yogalehrenden ist es deshalb im höchsten Maße erforderlich, diesen Menschen mit Hilfe der traumasensiblen Übungen ihre Entscheidungs-fähigkeit und die Wiederherstellung ihrer Fähigkeit zu effektivem Handeln zu vermitteln, indem immer wieder „Einladungen“ ausgesprochen werden, innerhalb der Übungen Wahlmöglichkeiten zu nutzen, durch Bewegungen/Haltungen/Atmung ihren Körper kennenzulernen und zu erspüren. Der Yogalehrende hebt immer wieder hervor, dass bei auftretenden Schmerzen, Unbehagen oder Unwohlsein die Haltung verändert, durch Hilfsmittel, wie beispielsweise eine Decke, verbessert und natürlich jederzeit beendet werden kann. Damit werden Fähigkeiten zu unabhängigem Handeln vermittelt. Yogaübende erfahren, dass sie selbst etwas unternehmen können, um ihre aktuelle Situation zu verbessern bzw. sich besser zu fühlen. Tonfall und Stimmlage der Anleitung des/der Yogalehrenden sind sehr wichtig. Durch sanfte und einladende Anleitungen soll die Neugier der Yogaübenden geweckt und sie selbst ermutigt werden mit Bewegungen oder Atmung den eigenen Körper zu entdecken und auszuprobieren. Die Yogalehrende benutzt eine „untersuchende Sprache“ mit Wörtern wie „beachten“, „erforschen“, „untersuchen“, „experimentieren“. Der yogaübenden Person wird die eigene Kontrolle vermittelt, die sie in ihrer Vergangenheit in traumatisierenden Situationen nicht hatte. Genauso wird die Wahlmöglichkeit immer wieder betont und angesprochen; denn eine Wahlmöglichkeit hatten die Yogaübenden in traumatisch erlebten Situationen ebenso nicht (vgl. Emerson, Hopper, S. 151 – 173).

Der Raum, in dem Yoga stattfindet, sollte warm sein und den Yogaübenden Schutz und Sicherheit bieten können. Die Kleidung der Yogaübenden sollte bequem und nicht einengend sein. Es genügt, wenn diese Punkte angesprochen, darauf hingewiesen und den Raum betreffend nachgefragt wird; die Yogaübenden werden reagieren, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Weiterhin sollte die Yogalehrende darauf achten, nicht (nicht soviel) im Raum herum-zulaufen, die Yogaübenden nicht anzufassen/zu berühren (wenn, nur auf Nachfrage!) und innerhalb einer Gruppe das Ansprechen mit Namen vermeiden (eine Korrektur eher allgemein aussprechen) sowie das persönliche Lob in der Gruppe vermeiden.

4.3 Geplantes Dokumentationsmaterial

Im Einzelsetting mit Nele konnte ich sie für die Anfertigung von Foto´s begeistern. Dass sie selbst nicht abgelichtet werden wollte, war von vorneherein aufgrund ihrer Erfahrungen klar. Nach den ersten Yogastunden berichtete sie mir, dass sie nach jeder Stunde schriftliche Aufzeichnungen mache, um genau festzuhalten, wie ihr die Stunde gefallen hat, was für sie wichtig war und gut tat oder nicht. So hatte ich die Überlegung, ihre Aufzeichnungen mit in die Projektauswertung einfließen zu lassen. Ab Mitte April wurde absehbar, dass Nele durch ihre bevorstehenden Prüfungsarbeiten für ihren Schulabschluss im Mai zunehmend belastet war und stark unter Druck stand. Das Anfertigen der Fotos bereitete zusätzlichen Druck, deshalb schlug ich vor, die Foto-Aktion einfach fallen zu lassen und die letzten geplanten Yogastunden mit ihren favorisierten Übungen durchzuführen und diese mit Spaß und Freude zu „genießen“ (Damit jedoch eine Vorstellung für die LeserIn zu den später genannten Übungen hergestellt werden kann, ließ ich Fotos von mir in den verschiedenen Asanas die ich mit Nele praktizierte, machen und füge sie im Anhang 2 an).

Im Gruppensetting mit „den Jungs“ vereinbarte ich Foto´s machen zu dürfen, die einer der jungen Männer anfertigen wollte (auch er wollte aufgrund seiner Erfahrungen nicht

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abgelichtet werden), und holte mir im Vorfeld ihre schriftliche Einverständniserklärung ein. Vereinbart wurde, dass dieses Fotomaterial ausschließlich für die Dokumentation dieser Abschlussarbeit zur Verfügung gestellt wird.

4.4 Vorstellung einiger Übungen des traumasensiblen Yogastils im Einklang mit bestimmten Zielen

Eine Auflistung verschiedener Yogaübungen ist mit Problem- und Zielbeschreibung zur besseren Übersicht im Anhang 1 aufgeführt.

5 Durchführung des Projektes

5.1 Traumasensibles Yoga mit Nele im Einzelsetting

Da mir aufgrund ihrer zum Teil schweren Beeinträchtigungen nicht klar war, wie Nele auf einzelne Übungen, Haltungen und Atmungen anspricht bzw. diese „ertragen und aushalten“ kann, war ich anfänglich sehr vorsichtig und - mit sehr viel Respekt - neugierig. Bevor wir loslegen konnten, mussten wir zuerst den großen Besprechungsraum der Wohneinrichtung umräumen, d.h. in dem ca. 30 qm großen Raum (incl. Küchenzeile) alle Tische und Stühle auf eine Seite des Raumes räumen sowie drei bis vier Pflanzen wegstellen, damit wir die Wände für Entspannungsübungen nutzen konnten. Für die Yogastunde blieb eine Fläche von ca. 15 qm, ausreichend Platz für zwei Personen. Yogamatten und Decken stellte ich zur Verfügung.

In jeder Yogastunde ist der Ablauf in vier Sequenzen aufgeteilt:

Entspannungsübung im Liegen oder Sitzen: ca. 10 Minuten, in der Regel wird die Entspannungsübung zunächst angeleitet, danach erfolgt Gewahrsein/Atmung und Achtsamkeit in Stille

Mobilisation/Aufwärmen des Körpers: ca. 10 Minuten, dafür gibt es diverse Übungen, die im Sitzen und Stehen erfolgen können, ich benutzte auch Musik mit Nele wir tanzten uns warm

Hauptteil: ca. 30-45 Minuten. Wie im „normalen“ Yoga auch, lässt sich im Hauptteil eine genau festgelegte Reihenfolge von Asanas üben, die konsequent jede Stunde verfolgt wird oder man variiert verschiedene Yogaübungen in jeder Yogastunde. Beides bietet Vorteile. Gerade mit Nele wollte ich für ihre Befindlichkeiten und Likeabilities offen sein und nach ihren Möglichkeiten Übungen, die ihr Spaß machen und gut tun, ausprobieren und einsetzen.

Abschlussentspannung: ca. 10 Minuten, sie wird ausführlicher in Bezug auf die Körperteile zum „Nachspüren“ angeleitet, danach erfolgt eine kurze Stille

5.1.1 Entspannungsübung im Liegen

Die Entspannungsübung zu Beginn der Yogastunde kann in drei verschiedenen Varianten durch geführt werden. Erste Variante ist flach auf dem Boden liegend, in der Totenstellung – Savasana; zweite Variante ist in sitzender Haltung auf dem Boden im leichten Schneidersitz oder Lotussitz (zu anstrengend für Anfänger) oder als dritte Variante auf dem Rücken liegend, die Beine an der Wand hochgestellt, eine regenerative Umkehrhaltung – Viparita Karani. Nele probierte die Entspannungsübung auf dem Boden liegend, die Beine hochgestellt (dritte Variante) und flach auf dem Boden liegend als erste Variante aus. Einmal probierte sie sogar das Angebot sich über eine zusammengerollte Decke (die eine leichte Brustöffnung macht und die Belüftung der Lunge so optimal fördert) flach auf den Boden zu legen, aus und konnte diese Übung nicht ertragen. Sie empfand sich ungeschützt. Nele bevorzugte das „normale“ Savasana – die Totenstellung, flach auf dem Boden liegend.

Die ersten drei-vier Yogastunden gab Nele an, die angeleitete Entspannung und die anschließende Stille (ca. 3 – 5 Minuten) gut zu finden, sich dabei wohlzufühlen. Selbst-

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verständlich hatte ich sie „im Blick“, ich hatte Bedenken, sie würde mir in der Stille wegrut-schen, dissoziieren. Nach der Übung besprachen wir ihr Körperempfinden. In der fünften Stunde berichtete Nele, sie habe die Entspannungsübung alleine in ihrem Zimmer durch-geführt und sei dissoziiert und ganz schlecht aus diesem Zustand herausgekommen und hätte nun ein wenig Angst/Beklemmung vor der Übung. Von da an leitete ich die Anfangs- und Abschlussentspannung durchweg an und bat sie, diese Übung nicht mehr alleine zu machen. Die angeleiteten Entspannungen konnte sie weiterhin genießen. Einmal unternahmen wir sogar eine ca. 30 minütige Körperreise (Bodyscan), die Nele sehr gut genießen konnte und als sehr wohltuend und entspannend empfand. Ich passte gut auf, dass sie nicht wegdriftete. Im Bodyscan wird der ganze Körper durchgegangen, vom Scheitel bis zur Sohle. Mittels Atem wird der Körper mit Energie und Sauerstoff durchflutet, durch die Achtsamkeit und Aufmerksamkeitslenkung (durch den Yogalehrenden angeleitet) bleibt der/die Übende wach und entspannt.

5.1.2 Mobilisation/Aufwärmen des Körpers

Die Mobilisationsphase dient zum Aufwärmen des Körpers. Sie kann sowohl im Sitzen als auch im Stehen erfolgen. Alle Körperteile werden gezielt angesprochen und bewegt: Kopf, Schultern, Arme, Hände, Rumpf, Beine Füße. Es gibt sehr schöne Übungen gerade zum Lockern der Schultern und Arme. Diese Übungen sind sehr spielerisch und dynamisch wie zum Beispiel das „Holzhacken oder Honigtopf“. Diese beiden Übungen haben Nele sehr gut gefallen, sie konnte berichten, wie gut es sich anfühlte, die Schultern zu lockern, Druckent-lastung zu verspüren.

Tanzen als Aufwärmen des Köpers ist im Yoga eine nicht übliche Variante. Ich wählte sie für Nele als eine Abwechslung und andere Form der Körperarbeit. Sie konnte sich gut auf das Tanzen einstellen bzw. sich einlassen, hatte sogar große Freude daran und wünschte sich im späteren Verlauf der Yogastunden mehr davon.

5.1.3 Hauptteil

Folgende Yogaübungen habe ich mit Nele in acht Yogastunden behutsam durchgeführt:

Statische Übungen:

Der Berg = Tadasana im Sitzen und im Stehen

Der Baum = Vrksasana

Der Stuhl = Utkatasana, Standübung, eine machtvolle energetische Haltung u. Standübung

Dreieck = Trikonasana, eine energetische und zentrierende Standübung

Der Held/der Krieger = Virabhadrasana, eine ernergetische und zentrierende Standübung

Stabhaltung = Dandasana im Sitzen

Vorwärtsbeuge im Sitzen = Paschimottanasa

Sitzen auf den Beinen/Fersen mit Hilfsmittel Decke = Virasana im Sitzen

Krodkodil im Liegen, den Brust- und Herzraum öffnen

Fisch im Liegen = Matsyasana, auch die Öffnung des Ostens, Brustöffnung

Kind-Haltung = Balasana, Öffnung des Westens

Schildkröte I+II = Öffnung des Westens

Seitenbeugen / Seiten dehnen im Liegen = Öffnung nach Norden und Süden

Statische Übungen haben eine entspannend-beruhigende Wirkung, dadurch dass die Position eine längere Zeit gehalten wird. Mit diesen Übungen wird ein behutsames Körper-erspüren und Körpergewahrsein ermöglicht. Mit Hilfe der Ausatmung wird entspannt, kann

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Spannung losgelassen werden, obwohl der Yogaübende die Position beibehält. Die übende Person kann angenehme oder unangenehme Körperempfindungen wahrnehmen, durch Bewegung verändern, und auch erträgliche Belastungen wahrnehmen und lernen diese „zu erdulden“, also auszuhalten oder auch diese bewusst zu beenden. Lernen und Erspüren belastende Bewegungen auszuhalten kann den Yogaübenden helfen, ihr Toleranzfenster zu erweitern (vgl. Weiser, Dunemann, S. 160).

Asanas wie der Berg, der Baum, der Stuhl, der Held, das Dreieck sind Energie bringende, vitalisierende, machtvolle und zentrierende/erdende Yogaübungen. Standübungen helfen „schwierige Situationen“ durchzustehen, sie können Stärke und Erdung vermitteln, sie haben eine stabilisierende Wirkung. dynamische Übungen: Die dynamische Baum-Übung, eine Standbewegungsübung

Die Vorwärts-Rückwärts-Übung = geniale Bewegungsübung im Stehen, Nele´s Favorit

Die Katze = Birlasana, Vier-Füßler-Stand

Die Blume = Herzöffnung, ich öffne mich für die Welt und neue Werte

„Last von den Schultern werfen“- Übung im Sitzen

Rückenlage Beine angewinkelt mit kreisenden Bewegungen

Schulterbrücke = Setu Bhandasana auf dem Rücken liegend

Die Kobra = Bhujangasana auf dem Bauch liegend

Durch die fließende Bewegung und ständige Wiederholungen gelingt mit den dynamischen Yogaübungen ein vertiefendes Kennenlernen und langsames Sich-Einlassen auf die Übung. Wiegende/kreisende Übungen wie in der Rückenlage mit angewinkelten Beinen liegen, die Hände auf den Knien und diese in kleinen bis größeren Bewegungen kreisen, lassen die Aufmerksamkeit erspüren, es findet eine Gegenwartszentrierung statt. Dynamische Übungen können einer Vorbereitung auf eine statische Asana dienen und eröffnen die Erfahrung in harmonischer Bewegung zu sein. Dynamische Übungen mobilisieren die Wirbelsäule stärker als die statische Form.

Alle Übungen leitete ich sorgfältig an. Ich lenkte Nele´s Wahrnehmung und Achtsamkeit mit Fragen welche Bewegungen, Veränderungen, Gefühle von Wärme, Enge oder Weite, zwicken oder drücken, sie erspüren könne oder wahrnehme. Ich fragte, ob die Yogahal-tungen angenehm oder unangenehm, leicht oder anstrengend seien, mit der Aufforderung, die Position durch Bewegung oder Atmung zu verändern, um die Haltung angenehmer zu machen oder natürlich diese zu beenden.

5.1.4 Abschlussentspannung

Die Abschlussentspannung von ca. 10 Minuten ist eine wohltuende, angeleitete Entspannung, die in der Regel sehr genossen wird, da man nun am Ende der Stunde spürt, dass man doch ganz schön den Körper bewegt und natürlich auch angestrengt hat. Die Anspannung der Stunde fällt in der Abschlussentspannung ab, die angeleitete Körperreise wird als sehr angenehm und wohltuend empfunden.

Als ich vor einigen Jahren in Thailand einen indischen Yogalehrer kennenlernte, gefiel mir dessen Abschlussritual sehr gut. Ich brachte es mit und integrierte es in meinen Yoga-unterricht: nach der Abschlussentspannung sitzt man im Schneidersitz in aufrechter Haltung und spricht eine Danksagung an die universelle Energie, an die anderen Yogaübenden und schließlich an sich selbst aus. Ich betone gerne die Danksagung an uns selbst, dass „… wir uns wieder aufgerafft und so schön Yoga geübt haben und nun frisch, vital und voller neuer Energie sind. Danke“. Die Danksagung an uns selbst und dass wir „den müden Popo aufrafften“ gefiel Nele besonders.

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5.2 Auswertung der Übungen im Hauptteil der Yogastunde mit Nele

Bereits in den ersten beiden Yogastunden hatte ich selbst zwei der „Kardinalfehler“ gemacht. Als Yogalehrende war mein Ziel, Nele in eine gute Haltung (der Berg im Stehen) und eine gute Sitzhaltung, Dandasana ebenso durch Korrektur zu bringen. Natürlich hatte ich sie gefragt, ob ich sie anfassen dürfe; der traumasensible Yogastil sieht keine Korrekturen durch die Yogalehrende vor. Die Yogaübende korrigiert bzw. reguliert sich selbst! Außerdem hatte ich zwei Yogagurte (gängige Hilfsmittel im Hatha-Yoga) mitgebracht, um mit deren Hilfe eine angenehmere und aufrechte Sitzhaltung im Dandasana durch Zuhilfenahme des Gurtes selbst regulieren zu können. Gurte sind Tabu im traumasensiblen Yoga.

Statische Übungen: Der Berg = Tadasana, den aufrechten Stand übten wir in ersten drei Stunden, Nele fand ihre gute Haltung durch Erspüren der eigenen Körperwahrnehmung. Anleitung war Streckung und sicheren Stand erspüren, Festigkeit und Stand in den Füßen und Beinen, Verwurzelung in den Boden, eine Aufrichtung nach oben, Kopfhaltung, langer Nacken. Nele fühlte sich wohl in dieser Position und konnte diese Asana nach den ersten Stunden eigenständig durchführen. Die Berg-Haltung lässt sich auch im Sitzen durchführen, sie vermittelt Erdung und Zentrierung und ist damit gut geeignet gegen Dissoziation. Die Aufmerksamkeit wird im Hier und Jetzt verankert, eine Gegenwartsübung.

Der Stuhl = Utkatasana, eine machtvolle energetische Haltung und Standübung, jedoch anstrengend für die Oberschenkel. Bei dieser Übung wird Sicherheit, Kraft und Verwurzelung vermittelt. Sie ist für Anfänger gut geeignet, da man selbst bestimmen und regulieren kann, wie weit man in die Hocke gehen möchte. Je tiefer man in die Hocke geht, desto anstrengender wird die Position. Nele empfand die Übung zunächst als besonders heraus-fordernd. Je öfter wir sie übten desto angenehmer wurde diese Haltung.

Das Dreieck = Trikonasana, und der Held/der Krieger = Virabhadrasana, sind beides energetische und zentrierende Standübungen. Nele empfand die Übungen als schwierig, da es ein ungewohntes Beugen und Dehnen und Weiten war. Beide Asanas sind Standübungen, Zentrierung und Erdung werden spürbar gemacht. Sie erfordern Balance und Gleichgewicht und sind für Anfänger in den ersten Yogastunden schon etwas anspruchsvoller. Die Heldenstellung fördert das Selbstbewusstsein, innere Stärke, Stabilität und Willenskraft, bündelt die Energie (vgl. Weiser, Dunemann, 2010, S. 181).

Alle Sitzpositionen stärken über die Sitzbeinhöcker die Verbindung zur Erde, sie stärken und erden. Sie können Sicherheit und Verwurzelung bewirken, der Beckenboden wird aktiviert. Dandasana, eine aufrechte Sitzhaltung mit ausgestreckten Beinen, war zunächst anstrengend, Nele konnte sich aber in die Position begeben und einige Zeit halten. Die ungewohnte Haltung war zunächst anstrengend, die Aufrichtung der Wirbelsäule mit Öffnung im Brustbereich konnte sie für kurze Zeit als angenehm empfinden. Wir begannen Dandasana mit einigen Vorübungen wie Erspüren der Sitzbeinhöcker, Gewahrsein, wie der Körper, das Becken, das Gesäß in den Boden sinken kann und sich verwurzelt. Nele, die ihr Gesäß als viel zu dick findet, konnte hier die Erfahrung machen, wie toll es sich auf einem „so dicken“ Hintern sitzen lässt, statt auf einem dünnen und knöchernen Hinterteil. Der aufrechte Sitz, Dandasana, fiel Nele von Mal zu Mal leichter, wurde gewohnter für sie, und sie konnte die aufrechte Sitzhaltung als angenehm empfinden.

Dandasana mit Vorwärtsbeuge zum Paschimottanasana war für Nele wie für alle Anfänger nur begrenzt in der Vorwärtsbeuge möglich. Bei Anfängern ist das Ziel der Übung in der aufrechten Haltung im Sitzen, also mit einer Brustöffnung und langem Nacken, in eine leichte Vorbeuge zu gehen. Das Ziel aller vorwärtsbeugenden Übungen ist das Loslassen, Probleme wie Erstarren, an etwas Festhalten wollen oder auch Verstopfung können gelöst werden.

Der Fersensitz = Virasanana, Sitzen auf den Beinen/Fersen mit einem Hilfsmittel (1-2-3 Decken oder Yogakissen) ist eine beruhigende Yogaübung, die Gelassenheit vermittelt. Die Aufrichtung der Wirbelsäule, die Brustöffnung und der gelockerte Schulterbereich mit auf den

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Oberschenkeln abgelegten Armen ermöglichen eine tiefere Entspannung. Jedoch will diese Haltung auch geübt werden. Nele war diese Position ungewohnt, sie konnte jedoch mit Zuhilfenahme der Decken eine angenehmere Haltung (kurzfristig) erreichen. Der Fersensitz bereitete Nele insgesamt Schwierigkeiten und sie verließ die Haltung schnell.

Das Krodkodil im Liegen, eine Stabilisierungsübung und eine Brust- und Herzraumöffnung, auch die Nieren werden wunderbar durch Dehnen der Flanken massiert und beatmet, dadurch mit Sauerstoff angereichert. Die Anleitung dieser Yogaübung zielt auf die Öffnung von Brust- und Herzraum ab, die Übende wird aufgefordert die Öffnung und Schließung des Oberkörpers in Ruhe zu erforschen, hinzuspüren, Weite und Dehnung sowie Enge und Schließen haben ihre Qualitäten. Dabei wird auch das Rollen des Körpers bewusst wahrgenommen, Beweglichkeit angeregt. Nele konnte diese Übung genießen, immer deutlicher wurde ihr, dass sie doch gar nicht so unbeweglich (und dick) ist, wie sie meint!

Der Fisch = Matsyasana, die Öffnung des Ostens. Die Brustöffnung ermöglicht eine optimale Lungenbeatmung und wird als sehr angenehme Yogaposition empfunden. Nele konnte diese Asana nicht aushalten, da die exponierte Stellung äußerst unangenehme Gefühle verursachte, sie empfand sich als entblößt und ungeschützt.

Die Kind-Haltung = Balasana, mit dem Gesäß auf den Fersen, Oberkörper nach vorne zur Erde, Stirn liegt auf der Matte auf. Die Öffnung des Westens, eine Schutz- und Entspannungshaltung, der Rücken wird beatmet und gedehnt. Diese Asana ist gut einzunehmen, hat man sich mit seinem Bauch arrangiert, der zunächst im Weg erscheint. Die Beatmung des Rückens fällt leicht, die Stirn auf dem Boden wird als Schutz und Sicherheit empfunden, Brust- und Herzraum sind nach Innen gekehrt. Als Nele sich mit ihrem Bauch zurecht gerückt hatte, empfand sie die Übung als angenehm. Die Kindhaltung mit ausgestreckten Armen und leicht auseinander gespreizten Knien, der Frosch, wird im Yoga gerne als Ausgleichs- und Entspannungsübung nach anstrengenderen z.B. dynamischen Übungen benutzt.

Der Hase = Shashankasana, auf Knien, die Oberschenkel gestreckt und der Oberkörper zur Erde gebeugt, die Stirn auf der Matte, ebenfalls eine Öffnung des Westens, eine Schutz- und Entspannungshaltung, der Rücken wird beatmet und gedehnt. Diese Asana empfand Nele als eher einfach, da sie zu Anfang noch Schwierigkeiten mit dem Fersensitz hatte und der Bauch nun mehr Freiraum hat als in der Kind-Haltung. Genau wie die Kind-Haltung bietet der Hase Schutz und Sicherheit. „Sie fördert eine tiefe Selbstbegegnung und Aussöhnung mit einem Schicksal“ (Weiser, Dunemann, S. 170).

Die Schildkröte I+II, auch eine Öffnung des Westens, sie dehnt und beatmet den Rücken. Die Yogaübende sitzt im Fersensitz, Oberkörper zur Erde gebeugt, Stirn ruht auf der Matte oder auf den übereinander gelegten Handrücken oder auf den übereinander gestellten Fäusten. Weiser und Dunemann leiten diese Übung mit folgenden Sätzen an: „Manchmal tut es gut, nur bei mir zu sein und die Welt draußen zu lassen“. Die Schildkröte II: hier ist Oberkörper und Kopf leicht angehoben, das Gesicht, der Blick zu den Händen: „Danach kann ich geschützt und vorsichtig oder manchmal auch neugierig um mich schauen“ (Weiser, Dunemann, S.75). Diese Yogahaltung empfand Nele nun insgesamt als einfacher und angenehmer, wir hatten während einer längeren Sequenz in dieser Yogastunde die drei Übungen in einer Reihefolge geübt.

Seitenbeugen / Seiten dehnen im Liegen = Öffnung nach Norden und Süden. In der Rückenlage werden mit dem Einatmen beide Beine etwas vom Boden angehoben und, soweit wie möglich und es angenehm ist, mit dem Ausatmen auf die Erde abgelegt. Mit dem Atem wird die Dehnung und Weitung der einen Flanke sowie die Enge der anderen Flanke erspürt. Diese Yogahaltung empfand Nele als angenehm.

dynamische Übungen:

Bereits in den ersten drei Yogastunden initiierte ich mit Nele die Vorwärts-Rückwärtsübung und die Baum-Übung als eine dynamische Variante. Wir wiederholten diese Übungen in den

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nachfolgenden Stunden, sodass sie diese schnell lernte und sich sicher fühlte, um sie auch eigenständig in ihrem Zimmer alleine durchführen zu können. Wie sich herausstellte, wurde die Vorwärts-Rückwärts-Übung zu ihrem Favoriten. Dynamische Übungen bieten den Vorteil der intensiven Vertiefung, der tieferen Entspannung und Lockerung, des Loslassen-Könnens, des Sich-Einlassen ebenso. Beide Übungen werden durch Ein- und Ausatmen geleitet und begleitet. Atmung und Bewegung werden zu einer Einheit, die wiederum beruhigend wirken kann. Eine solche Übung kann zu einem Mantra werden, sie kann mit vielen Affirmationen begleitet werden und verstärkt somit ihre Wirkung.

Die dynamische Baum-Übung verläuft in vier Schritten. Ausgangsstellung ist der Berg. Mit dem Einatmen werden im ersten Schritt die Arme auf Schulterhöhe seitwärts angehoben und ausatmend wird der rechte Fuß mit der Ferse auf dem linken Fußrücken sachte abgestellt. Im zweiten Schritt werden die Arme einatmend über den Kopf angehoben und die Hand-flächen aneinandergelegt, ausatmend werden die Hände vor die Brust zur Namaste-Geste gesenkt. Im dritten Schritt werden die Fingerspritzen einatmend nach vorne gedreht und ausatmend nach vorne geschoben. Im vierten und letzten Schritt werden die Arme einatmend schulterbreit geöffnet und mit dem Ausatmen gesenkt und dabei der Fuß zurück gesetzt, sodass wir wieder in der Ausgangsstellung dem Berg = Tadasana stehen. Und nun lässt sich diese Übung beliebig oft wiederholen. Die dynamische Baum-Übung fördert die innere Stabilität und die Körperwahrnehmung, schult den Gleichgewichtssinn und zentriert. Diese dynamische Übung gefiel Nele sehr gut, besonders die Namaste-Geste. Durch den längeren Ablauf, muss diese Übung öfter angeleitet werden, insbesondere das Zusammenspiel von Bewegung und Atmung, bis sie in die eigenständige Praxis von Nele aufgenommen werden kann. Nele hat eine leichte Rechts-Links-Koordinationsschwäche, die es ihr schwerer macht, diese Übung zu erlernen. Außerdem stellt sie eine kleine Heraus-forderung an Nele´s Gleichgewichtssinn.

Die Vorwärts-Rückwärts-Übung, wie Nele und ich sie nennen, ist eine reinigende Atem-übung. So wie sie von Weiser und Dunemann in ihrem Buch, S. 57-58 beschrieben ist, habe ich die Übung für Nele aufgrund ihrer Recht-Links-Koordinationsschwäche ein wenig abge-wandelt und damit langsamer und leichter gemacht. Ausgangsstellung ist der Berg = Tadasana, diese Übung wird in zwei Schritten durchgeführt. Mit dem Einatmen werden beide Arme nach vorne hochgehoben und der linke Fuß nach vorne gesetzt, während der rechte Fuß stehen bleibt. Mit dem Ausatmen senken sich die Arme in die Ausgangstellung und zeitgleich wird der linke Fuß nach hinten versetzt. Nun wiederholt sich die Übung, der linke Fuß wird nun vorwärts mit dem Einatmen und rückwärts mit dem Ausatmen gesetzt. Quasi ein Vorwärts-Rückwärts-Wiegeschritt mit Fußwechsel. Nach wenigen Minuten und genauer Anleitung, ich stand neben ihr, konnte sie Schrittfolge und Atmung verbinden und sich auf die Übung gut einlassen. Ich setzte folgende Affirmationen: „Ich gehe in die Welt“ mit der Vorwärtsbewegung, „Ich gehe zurück“ mit der Rückwärtsbewegung. „Ich öffne mich, ich schließe mich“. „Ich begrüße das Leben, ich trete zurück“. „Ich öffne mich, ich schließe mich“. Diese Übung wurde zu Nele´s Favoriten, sie berichtete mir, dass sie diese öfter auf ihrem Zimmer durchführe. Ich regte Nele an, diese Übung auszuprobieren, wenn sie wieder einmal nicht schlafen könne, vielleicht könne sie eine beruhigende Wirkung feststellen. Die Vorwärts-Rückwärts-Übung lindert Stress, vertieft indirekt den Atem, macht wach und lebendig, wirkt energetisierend.

Die Katze = Birlasana, Vier-Füßler-Stand: Ausgangsstellung ist der Vier-Füßler-Stand, mit dem Einatmen wird der Kopf zur Brust gebeugt und ein Rundrücken gemacht, mit dem Ausatmen wird in die entgegengesetzte Richtung gewechselt, das Brustbein wird durchge-drückt, die Brust geöffnet, Kopf/Gesicht zeigt nach vorne (langer Nacken). Die Anleitung erfolgt spielerisch, fordert auf zum eigenständigen Erforschen, was ist angenehm, fühlt sich weit oder eng an, locker oder angespannt. Es wird dazu aufgefordert, die Bauchmuskulatur anzuspannen und zu entspannen. Diese Übung fördert die Körperwahrnehmung, die Fähigkeit, sich selbst zu spüren und führt zu harmonischen Bewegungen. Nele konnte der Anleitung gut folgen, im Birlasana konnte sie sich gut spüren. Auch diese Übung konnte sie sehr schnell selbstständig durchführen und wendete sie an.

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Die Blume = Herzöffnung: ich öffne mich für die Welt und neue Werte. Ausgangsposition ist der Fersensitz, Hand vor der Brust zur Namaste-Geste, einatmend erhebt sich die Yoga-übende in den Kniestand, die Arme werden über den Kopf geführt, Daumen, Zeige- und Mittelfinder bleiben zusammen, der Blick geht nach oben. Mit einer leichten Rückbeuge erfolgt die Brust- und Leistenöffnung. Mit dem Ausatmen zurück in den Fersensitz, Handflächen nun wieder zusammen vor der Brust, oder weiter in einer Vorwärtsbeuge zur Erde, Stirn auf die Matte ablegen. Diese Übung lässt sich beliebig oft wiederholen. Die Qualität dieser Yogaübung liegt darin, sich für etwas Größeres zu öffnen und es symbolisch auf die Erde zu holen. Die Yogaübung stärkt ein positives Selbstbild, öffnet und weitet den Brustkorb, wirkt harmonisierend und vertieft den Atem. Für Nele war diese Übung nicht angenehm. Der Fersensitz ließ sich mit der Decke nicht angenehm einrichten, da durch die dynamische Variante die Decke immer wieder verrutschte und sie bereits etwas unsicher in den Kniestand und die Armstreckung ging. Sie beendete die Übung sehr schnell.

„Last von den Schultern werfen“- Übung im Sitzen: Ausgangsposition ist der aufrechte Sitz, mit Decke gepolstert im Schneidersitz. Die Hände werden auf die Schulter gelegt, die Daumen schauen nach hinten. Einatmend werden die Ellenbogen angehoben und mit dem Ausatmen im großen Bogen nach hinten gekreist. Genüsslich und langsam werden die Kreise gezogen, mit dem Ausatmen darf tief und lang geseufzt werden. Die Yogalehrende kann die Übung mit Worten wie „Mit jedem Kreisen plumpst ein großes Gewicht von meinen Schultern“ begleiten. Oder auch hier wieder „Ich öffne und ich schließe mich“ (je nach Ellenbogenstellung). Diese Übung war sehr angenehm für Nele. Sie stärkt die eigene Willenskraft und fördert Durchsetzungsfähigkeit.

Rückenlage, die Beine angewinkelt mit kreisenden Bewegungen, ist sehr gut für den unteren Rücken. In der Rückenlage werden die Beine an den Körper herangezogen, die Handflächen liegen auf den Knien und halten die Beine ein wenig zum Körper. Mit kleinen und größer werdenden Kreisen werden die Beine in die eine und andere Richtung ganz langsam bewegt. Die Übung ist wie eine kleine Massage für den unteren Rücken, eine Aufmerk-samkeits- und Gegenwartsübung und wirkt beruhigend. Ich hatte den Eindruck Nele gefällt diese Übung nicht bzw. sie empfindet sie als unangenehm.

Die Schulterbrücke = Setu Bhandasana auf dem Rücken liegend. Ausgangsposition ist die Rücklagen, beide Beine werden angewinkelt, die Füße in Richtung Po etwas auseinander aufgestellt, die Arme liegen seitwärts neben dem Körper. Nun wird ganz sanft, der Po und das Becken mit dem Einatmen angehoben, die Beine und Fersen werden fest in die Erde gedrückt, ausatmend wieder zurück in die Rückenlage. In dieser Yogaübung geht es um das Experimentieren den Po und das Becken nur soweit anzuheben, wie es gut tut und angenehm ist. Die Schulterbrücke ist eine vitalisierende und stabilisierende Haltung, bringt Flexibilität in Nacken, Schultern und in die Lendenwirbelsäule. Für Nele war auch diese Yogahaltung eher unangenehm.

Die Kobra = Bhujangasana, Ausgangsposition ist die Bauchlage. Die Hände werden neben die Brust, so nah wie möglich an den Körper gestellt. Mit der nächsten Einatmung wird das Schambein in den Boden gedrückt, der Kopf wird mit Kraft aus dem Rücken heraus mit dem Brustkorb hoch gedrückt. Mit dem Ausatmen werden der Brustkorb und der Kopf langsam und sachte auf die Matte zurück gelegt, die Stirn auf die Matte abgelegt. Diese Yogaübung einige Male wiederholen. Bhujangasana fördert die Ausdruckskraft und das Selbstbe-wusstsein, unterstützt den Verdauungsprozess und kräftigt den Willen und die Durch-setzungsfähigkeit. Nele liebte diese Übung auf Anhieb und wünschte sich, sie weiterhin durchführen zu können. Interessanterweise empfand sie in dieser Position die Brustöffnung als supertoll, (auf dem Bauch liegend und mit geschütztem Brustraum), während sie die Brustöffnung bei dem Fisch und der Blume, beides Übungen mit exponiertem Brustraum, als stark unangenehm empfand.

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5.3 Abschließende Bewertung des traumasensiblen Yogastils mit Nele

Zu Beginn des Yogaprojektes mit Nele war ich darauf eingestellt, dass sie höchstens zwei bis drei Stunden daran teilnehmen würde. Von daher war ich sehr überrascht und natürlich hoch erfreut, als ich feststellte, wie viel Spaß, Begeisterung und auch Ausdauer Nele entwickelte. Sie freute sich auf die Yogastunden, war zu Beginn jeder Stunde aufgeregt und neugierig und experimentierfreudig. Mir machte es sehr viel Spaß mit ihr zu arbeiten.

Bereits nach den ersten beiden Yogastunden entwickelten wir ein Ritual: während ich meinen Schreibtisch aufräumte und mein Tagesgeschäft beendet und Tee für uns beide kochte, bereitete Nele den Raum vor, erledigte das Wegschieben der Tische und Stühle.

In den ersten zwei, drei Stunden war ich sehr vorsichtig in Bezug auf ihr evtl. schnelles Abdriften bzw. ich hatte ihre Fähigkeit (und Gewohnheit), zu dissoziieren, „gut im Blick“. Nach der zweiten bis dritten Stunde war Nele mit dem Ablauf der Stunde und damit, wie ich ihr die Übungen vorstellte, vertraut und „sicherer“. Zu jeder Übung zeigte ich ihr vorher, wie diese einzunehmen und was zu beachten ist, um Nele dann sachte und sanft durch die Haltung zu be- und geleiten. Nele war sehr mutig und offen, Übungen die ihr unangenehm waren, beendete sie schnell und konnte dies sogar benennen.

Langsam gewöhnten wir uns an, über die Übungen, die Körperempfindungen, das jeweilige Erspüren, zu sprechen. Nele fand es toll, festzustellen, dass ich bei einer speziellen Drehung so ähnliche Gefühle hatte wie sie. Nele brachte mir ein großes Geschenk entgegen: ihr Vertrauen.

Wie in Punkt 5.2, Seite 11-14 vorgestellt, probierten wir, für die Anzahl der Stunden, etliche Übungen aus. Einige Yogahaltungen gefielen Nele nicht, waren ungewohnt und manche direkt unangenehm für sie. Ein großer Teil der Yogahaltungen und -Übungen gefielen ihr gut bis sehr gut und waren ausgesprochen wohltuend, z.B. die Vorwärts-Rückwärts-Übung, die Kobra und die Schultern entlastenden Übungen. Besonders das Tanzen als Mobilisations-übung wünschte sich Nele häufiger zu wiederholen. Das Abschlussritual, unsere Verabschie-dung zum Abschluss jeder Stunde, siehe Punkt 5.1.4, Seite 10, gefiel ihr besonders gut.

Im Zeitraum dieses Projektes, Januar bis Mitte Mai, ging es Nele aufgrund ihrer psychischen Instabilität öfter schlecht bis sehr schlecht. Einige Male konnte sie unsere Verabredung nicht einhalten, konnte sich nicht aufraffen. Für mich war es jedes Mal eine Überraschung, ob die Yogastunde stattfindet oder nicht. Wenn sie mir absagte, war das völlig in Ordnung. Nach der achten Yogastunde setzten wir uns zusammen und besprachen ihre bisherigen Erfah-rungen und persönliche Auswertung. Nele berichtete mir bereits zu Beginn des Yogaunter-richtes, dass sie nach jeder Stunde in ihrem Zimmer noch „nachspürt“ und ihre eigenen Aufzeichnungen macht. Sie diktierte mir ihr Fazit, ihre Erfahrung mit dem traumasensiblem Yogastil. Für die letzten drei Stunden im Mai bereitete ich Übungen vor, die wir bereits geübt hatten und die ihr am meisten Spaß und angenehme Gefühle bereitet hatten. Auch diese Asanas kann Nele dann zusätzlich in ihr Repertoire aufnehmen und eigenständig und sicher durchführen. Außerdem vereinbarten wir eine weitere Sicherheitsmaßnahme bezüglich des Raumes, in dem wir übten, für Nele einzurichten. Sie wünschte sich vor der Stunde ein Schild an die Außentür zu hängen mit „Yogastunde, bitte nur im Notfall stören“ und die Innentür noch einmal extra abzuschließen.

Das Buch von Emerson und Hopper gab ich Nele zwischendurch zur Ansicht und zum Lesen. In einem Kapitel am Ende des Buches werden Rahmenbedingungen beschrieben, die traumatisierte Menschen, die an einer Yogagruppe interessiert sind/wären, unbedingt beachten sollten; Nele kam zu dem Schluss, dass eine solche Gruppe eine noch viel zu hohe Herausforderung an sie darstellt. Momentan könnte sie sich eine traumasensible Yogagruppe höchstens mit einer anderen jungen Frau, die sie zuvor kennenlernen müsste, vorstellen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich der traumasensible Yogastil sehr beeindruckt, in seiner Wirkungsweise bestätigt und überzeugt hat. Die wenigen Yogastunden mit Nele

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waren und sind eine tolle Erfahrung. Die Wirkungsweise und zentralen Aspekte, die ich in Punkt 2.4 Seite 5 aufzeigte, sind für mich in der Praxis mit Nele bestätigt.

5.4 das Gruppensetting mit den vier jungen Männern

Die Planung der Stunde ist wie im Einzelsetting in vier Sequenzen eingeteilt:

Entspannungsübung zu Beginn der Stunde: ca. 10 Minuten, nach der Erfahrung mit Nele durchweg angeleitet, ohne Stille

Mobilisation/Aufwärmen des Körpers: ca. 10 Minuten, auch mit den Jungs möchte ich einmal mit Musik arbeiten, dann mit der gängigen Mobilisation wie auf Seite 9 beschrieben

Hauptteil: ca. 30-40 Minuten, der Berg, der Stuhl, der Held/der Krieger, die Vorwärtsbeuge im Stehen, das Dreieck, Halber Mond, Parsvakonasana. Im Sitzen der aufrechte Sitz mit Vorbeuge, das Boot (halbes Boot), die Schulterbrücke, das Brett, die Kobra, der Hund und die Kind-Haltung. Für die jungen Männer habe ich etwas anspruchvollere Asanas geplant, da drei von ihnen bereits seit längerem ein Fitness-Studio besuchen und die sehr langsamen und basalen Übungen und Bewegungen ggf. zu langweilig und vielleicht auch unterfordernd sind. Aber selbstverständlich kann ich jede Übung in einer einfacheren Variante anbieten; ich gehe individuell auf die Fähigkeiten der jungen Männer ein.

Abschlussentspannung: ca. 10 Minuten geführtes „Nachspüren“ in Form einer kleinen Körperreise

Zur Durchführung der zwei ggf. drei Yogastunden mit den vier jungen Männern kam es nicht, strukturelle Rahmenbedingungen, die meine Arbeit in der Einrichtung wesentlich beeinträch-tigten, hinderten mich an der Umsetzung.

Ein Gruppensetting mit vier bis höchstens sechs Menschen zusammenzustellen ist einfach, dazu sind alle von mir bisher aufgeführten Übungen geeignet. Schwieriger wird es, die Rahmenbedingungen, wie einen für Yoga geeigneten Raum und die Sicherheitsgebenden Bedingungen, für die einzelnen Yogaübenden herzustellen bzw. zu schaffen, damit sie sich vertrauensvoll sowohl auf den Yogastil als auch auf den Yogalehrenden einlassen können (siehe dazu unter Punkt 6.3 meine abschließende Bewertung und Ausblick, S. 18-19).

6 Reflexion

6.1 Neles Bewertung und Abschlusskritik

Bevor wir uns zu Nele´s Abschlusskritik zusammen setzten, gab ich ihr einige Fragen mit, um ihr eine Orientierung für ihre Auswertung zu geben.

Was gefällt dir am traumasensiblen Yoga gut oder nicht gut oder gar nicht?

Von welchen Übungen hast du am meisten profitiert?

Welche kannst du bereits alleine?

Welche Übungen, die du weiterhin machen möchtest, können wir für die letzten Stunden zusammenstellen?

Um Nele´s Erfahrungen und ihre Auswertung nicht zu verfälschen, gebe ich ihre Kritik so, wie sie sie mir diktierte, wieder und mache keine Zuordnung nach den oben genannten Fragen.

Nele:

„Ich hatte Schwierigkeiten am Anfang, Vertrauen aufzubauen“.

„Was ich gut fand, dass es vor besprochen wird, vor jeder Übung was wir machen“.

„Die Befindlichkeit, wie es mir geht, wie angespannt bin ich heute, bin ich gut nicht gut drauf, dann wurden die Übungen angepasst“.

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„Den Körper wahrzunehmen finde ich gut, sich selbst fühlen“.

„Deine ruhige, sanfte und bodenständige Stimme, die anleitet, ist sehr wichtig“!

„Auch wenn es mir schlecht ging, dass ich trotzdem versucht habe, mich auf Yoga einzulassen, um einfach zu merken, dass es mir danach besser geht“.

„Die Vorwärts-Rückwärts-Übung und den Katzenbuckel kann ich alleine machen“.

„Ich möchte die Kobra und das Tanzen weiter machen“.

„Ich finde gut, dass ich durch Yoga und die Yogamatte, wieder eine gute Beziehung zu meinen Füßen gewonnen habe“.

„Sehr wichtig sind die Pausen zwischendurch und du mich fragst, bist du noch da, wie geht es dir gerade, ist die Bewegung/Übung angenehm oder unangenehm“.

„Ich habe die Wahlmöglichkeit und Kontrolle, Selbstkontrolle“.

„Ich bin sehr begeistert davon, dass man allein schon mit kleinen Techniken sich auch wieder in den Ruhepohl bringen kann“.

„Ich habe mehr Selbstbewusstsein bekommen, ich mit Sicherheit und Körperwahr-nehmung offener umgehen kann“.

„Ich kann meinen Körper intensiver wahrnehmen, das ist einfach toll zu wissen und zu spüren“.

„Ich würde Yoga gerne weiter machen, auch wenn es momentan schwierig ist mit mir, durch meinen ganzen Schulprüfungsstress und meine ganzen anderen Geschichten“.

„Ich kann es jedem empfehlen, wer Mut hat etwas Neues zu entdecken, meinen Körper neu zu entdecken, neue Gefühle wie Zufriedenheit und Freude“.

„Ich kann mich auf was freuen, was mit mir zu tun hat, wo es nicht um andere geht“.

„Und jemand, der es mit mir teilt. Jemand der da ist ohne zu bewerten, der da ist und einem hilft“.

„Zu wissen, es gibt auch Menschen, die sind nicht nur böse“.

„Jemand tut etwas für mich“.

„Die Chemie muss stimmen zwischen Yogaschüler und Yogalehrer“.

„Ich wünsche mir, dass ich mein Inneres Kind mehr mit der Übung des Wiegens machen kann, auch wenn´s nur für eine Stunde ist“.

Das Thema Sicherheit ist Nele sehr wichtig, sie sagt:

„Der Raum muss abgeschirmt sein, muss groß sein“.

„Gardinen, Fenster und Türen schließen, es soll auch möglichst keiner reinkommen und es sollten keine Geräusche von außen rein kommen“.

Yogalehrer soll sich immer wieder versichern, dass jede/r Übende sein Sicherheitsempfinden bekommt“.

„Fragen, ob man angefasst werden darf“.

„Kleidung: Hinweise auf bequeme Unterwäsche und auch hinsichtlich SVV, dass viel Kleidung akzeptiert wird“.

Nele´s Fragen:

„Machen wir Yoga auch weiterhin, wenn du mit der Projektarbeit fertig bist“?

„Wenn ich mal woanders wohne, an wen kann ich mich wenden, wenn ich trauma-sensibles Yoga machen möchte, was kostet das, übernimmt das die Krankenkasse“?

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6.2 Meine eigene professionelle Rolle

Nele und ich haben, als sie vor über vier Jahren in unsere Einrichtung kam, acht-neun Monate miteinander gearbeitet. Für uns beide war es „Schwerstarbeit“. Als ich die Betreuung an eine andere Kollegin abgab, konnten wir sehr schöne Erfahrungen, ohne den Druck gemeinsam an irgendwelchen Zielen zu arbeiten/umzusetzen, machen. Einfach nur schöne Momente, wie eine Tasse Kaffe zusammen zu trinken, oder einen netten Nachmittag in unserem Hof mit einer Blumenpflanz-Aktion verbringen, konnten wir gut genießen und gewannen einen sehr schönen Kontakt zueinander.

Als Yogalehrende habe ich schon einige Erfahrungen sammeln können und viele positive Rückmeldungen zu meiner Art zu lehren, zum Stundenaufbau und zu meiner Person als Yogalehrerin bekommen. Natürlich war ich zu Beginn der ersten Stunde mit Nele tüchtig aufgeregt. Meine Befürchtungen waren, nicht schnell genug mitzubekommen, wenn Nele dissoziieren würde und sie best- und schnellstmöglich ins Hier und Jetzt zurückzuholen. Nele dissoziierte kein einziges Mal; einmal berichtete sie von „Wechselzuständen“(ein kurzfristiges Auftauchen einer anderen Innenperson).

Schon gleich nach der ersten Yogastunde war ich mindestens so begeistert wie Nele selbst. Sie kam fast zu jeder Stunde sehr aufgeregt an, was sich dann schnell legte. Durch ihre mutige Art, sich auf die Yoga-Übungen einzulassen und ihren Körper erfahren und erspüren zu wollen, hat mir die Yoga-Arbeit mit ihr schlichtweg einfach nur Spaß und Freude gemacht. Oft war ich zu den verabredeten Yogastunden nach regulären mehrstündigen Gesprächs-terminen selbst müde und kaputt und konnte feststellen, wie ich durch die Yoga-Übungen und die Arbeit mit Nele nach der Stunde erfrischt und frohgelaunt war. Angespornt durch Nele´s Eifer und wie viel Spaß es ihr machte, probierte ich diverse Übungen zuhause aus und bereitete voller Genuss die jeweils nächste Yogastunde vor.

Wie im „normalen“ Yoga machte ich im traumasensiblen Yoga die Erfahrung, in die Stundenvorbereitung zu viele Übungen zu bringen, die sich in der praktischen Stunde dann „wie von alleine“ reduzieren (in dem ich sie weglasse). Im traumasensiblen Yoga ist der Hauptteil der Stunde mit noch wenigeren Übungen zu planen, weil dem Erspüren und Nachspüren der Übungen einfach viel mehr Zeit/Raum zu geben ist.

In der zweiten Yogastunde machte ich Nele das vorsichtige Angebot, uns über das Erspüren der Körperempfindungen austauschen zu können. Zunächst war Nele zurückhaltend, da sie annahm, ich wollte über ihre psychische Befindlichkeit sprechen. Als sie dann feststellte, dass ich „nur“ einen Austausch des momentanen Körperempfindens beabsichtigte, auch als eine Art Orientierung für sie, konnte sie sich gut einlassen bzw. austauschen.

Nele gab mir viele positive Feedbacks, wie gut ihr der traumasensible Yoga gefällt und wie gut ich als Yogalehrerin bin und wie toll ich die Übungen mit meiner Stimme anleiten würde.

Das größte „Geschenk“ das sie mir machte, war/ist ihr Vertrauen zu mir, zu „ihrer“ Yoga-lehrerin.

6.3 Abschließende Bewertung und Ausblick

Diese Projektarbeit hat mir Spaß gemacht wie keine andere Arbeit, die ich bis heute geschrieben habe. Ein „Herzenswunsch“ ist in Erfüllung gegangen, ich konnte meine langjährige Yogapraxis mit meiner ebenso langjährigen beruflichen Erfahrung mit dem Schwerpunkt Junge Menschen mit traumatischen Belastungen in einem Projekt verbinden. Zusammengefasst eine beglückende Erfahrung.

Dass der traumasensible Yogastil eine wunderbare Wirkungsweise auf Menschen mit traumatischen Lebenserfahrungen hat, habe ich mit dieser Arbeit theoretisch dargelegt und (meiner Meinung nach) in der Yogapraxis mit Nele (auch wenn es nur wenige Stunden waren) überzeugend belegt.

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Nele´s Wunsch werde ich gerne erfüllen und weiterhin Yoga mit ihr in unserer Einrichtung praktizieren. Die Yogastunden mit den jungen Männern möchte ich gerne nachholen, beispielweise ein einwöchiger Kurs, je 1,5 Stunden am Vormittag in den Sommerschulferien.

Diese Projektarbeit hat jedoch auch gezeigt, dass die Rahmenbedingungen, wie die Raum-größe (und dadurch Sicherheit für die Yoga-Übenden), die Zusammensetzung „mutiger“ TeilnehmerInnen, die Gruppengröße und schließlich der erfahrene Yogalehrende in Trauma-Yoga, eine sehr hohe Anforderung an ein zu realisierendes Konzept darstellen.

Vorstellbar wären z.B. traumasensible Yogaeinheiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, es gibt dort große Räume sowie auch yogainteressierte Jugendliche. Die größere Hürde wird es vermutlich sein, den verantwortlichen ÄrztInnen die positive Wirkung des trauma-sensiblen Yogastils näher zu bringen.

Eine weitere meiner Ideen ist es, mit einem Gruppenkonzept „traumasensibles Yoga für Klientinnen mit posttraumatischen Belastungssymptomen“ an Psychotherapeutinnen in eigener Praxis heranzutreten. Es stellte sich dann die Frage, ob sie selbst und ihre Klientinnen mutig und interessiert sind, diesen Yogastil auszuprobieren und ihre Erfahrungen damit zu machen. Entsprechende Räumlichkeiten müssten gegeben sein, die Klientinnen kennen die Praxis bzw. den Raum und die Sicherheitsfrage ist eingegrenzter.

Zunächst ist dies die erste Hürde, die Zweite, die der Finanzierung.

Eine weitere Hoffnung und Idee von mir ist es, den traumasensiblen Yogastil mit dieser Abschlussarbeit weiter zu verbreiten und damit ein „Samenkorn zu setzen, das wachsen und sich entwickeln wird“. Vielleicht bekomme ich noch die Gelegenheit über diese Yoga-Methode einen Fachartikel schreiben und veröffentlichen zu können und stoße außerdem auf die „richtigen“ Menschen, die ich überzeugen kann, einerseits mit mir traumasensibles Yoga zu praktizieren, andererseits mit mir Wege zu gehen, um eine Finanzierung zu ermöglichen. Nach dem Motto: Nichts ist unmöglich!

Mit dem Ratschlag von B. Lang möchte ich diese Projektarbeit beenden:

„Wer mit traumatisierten Menschen arbeitet, muss drei Dinge beherzigen: Erstens: gut essen, Zweitens: Viel feiern, Drittes: Wütend putzen“ (V. Engel: In: Lang 2009, S. 217).

Literatur:

Emerson, D., E., Hopper, E. (2012): Trauma-Yoga Heillung durch sorgsame Körper-arbeit, G.P. Probst, Lichtenau/Westfalen

Weiser, R., Dunemann, A. (2010):Yoga in der Traumatherapie, Klett-Cotta, Stuttgart

Weiser, R. (2012): Mit Yoga Lebensängste bewältigen, Patmos, Ostfildern

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Anhang 1

Problem Ziel Yogahaltungen

Gefühl erstarrt zu sein, an Dingen festzuhalten, Verstopfung

Loslassen Vorwärtsbeugen im Stand, Paschimottanasana (sitzen)

Von Emotionen überwältigt werden, ungeschützt sein

Containment Die Kind-Haltung, der Frosch

Gefühl der Hilflosigkeit, Machtlosigkeit

Stärkung (spüren der Kraft des Zentrums)

Längung der Wirbelsäule, Beinheben, Standübungen: der Baum, der Berg, der Held/der Krieger, der Stuhl

Emotionale Taubheit oder Empfindungslosigkeit, Energiemangel

der Untererregung entgegenwirken

Aktivierende Haltungen im Stehen: der Krieger, das Dreieck, dynamische Baumübung, Vorwärts-Rückwärts-Übung

Traumareinszenierungen, Reviktimisierung

Grenzen Spüren des Körpers, Schaffen körperlicher Grenzen: Achtsamkeitsübungen, Atemübungen, Body-Scan

Somatoforme Dissoziation, emotionale Abstumpfung

Körpergewahrsein jede Art von Achtsamkeitsübung

Festsitzen; nicht fähig Entscheidungen zu treffen oder zu handeln, nicht fähig, sich zu verteidigen

Auflösen der Erstarrung; Reorganisation der Fähigkeit zur aktiven Verteidigung

Bewegungsbasierte Haltungen dynamische Haltungen, z.B.

Vorwärts-Rückwärtsübung, dynamische Baumübung, die Katze

Gefühl, das Gleichgewicht verloren zu haben; widersprüchliche Empfindungen

Zentrieren Drehung im Sitzen, das Gewahrsein auf das Zentrum richten, Krokodil, der Held/der Krieger, das Dreieck

Dissoziation Erden Standübungen: der Berg, der Baum, der Held/der Krieger, der Stuhl,

im Sitzen: der Berg, Dandasana/die Stockhaltung

Isolation Aufbau einer Beziehung

Gespiegelte achtsam integrierte Bewegung, Üben in der Gruppe

Angst, Anspannung, Panik Abbau von Übererregung

Nackenrollen im sitzen, rhythmisches Atmen, Bauchatmung

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Anhang 2

Der Berg Das Dreieck

Der Stuhl

Der Baum

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Der Fisch

Der Frosch

Die Totenstellung

Der Krieger

Der Fersensitz

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Kind-Haltung Die Schildkröte

Die Rückenlage

Die Stockhaltung

Die Blume

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Die Katze

Die Kobra

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Vorwärts-Rückwärts

Das Krokodil