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Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    Das Buch "Weg zum Selbst - Zen-Wirklichkeit" von Uchiyama Roshi zhlt ohne Zweifel zu den besten

    Bchern ber den Weg des Zen, den Weg des Zazen. In einer gerade fr Anfnger geeignetenSprache erklrt Uchiyama Roshi die Essenz des Zen, nicht als etwas mystisches geheimnisvolles,

    sondern als Weg zum Selbst durch die Praxis des Zazen. Leider wird das Buch seit einigen Jahren

    nicht mehr aufgelegt wodurch es vielen Interessierten nicht mehr zugnglich ist. Die wichtigsten

    Kapitel des Buches werden im Folgenden prsentiert (im Anhang befinden sind Beitrge angefgt,

    die im Buch nicht erscheinen).

    Meister Uchiyama Roshi war Kodo Sawakis engster Schler und wurde - nach dessen Tod - Meister

    Sawakis Nachfolger als Abt im Kloster Antaiji. Uchiyama Roshi erklrt in seinem Buch "Weg zum

    Selbst Zen-Wirklichkeit" Schritt fr Schritt das Fundament der buddhistischen Lehre nach Meister

    Dogen, und spricht ausfhrlich ber Zazen und die Praxis im alltglichen Leben. Ich kenne kein

    anderes Buch, dass die Grundlagen buddhistischer bung so klar und einfach darlegt, ohne dabei in

    Nebenschlichkeiten abzuschweifen.

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    I N H A L T

    Sinn des ZaZen 9

    Ameisen in einer Zuckerbchse 9

    Von anderen abhngig zu sein, 12

    So bin ich und nicht anders 15

    Der Sinn des Lebens aus der Lebens-Wirklichkeit heraus 19

    Wirklichkeit des ZaZen 25

    Wie bt man Zazen? 25

    Die Gedanken fallenlassen 32

    Zum Leben erwachen 35

    Sesshin in Antai-Ji 43

    Sesshin ohne Spielzeug 43

    Zazen auerhalb der Zeit 46

    Zazen Spiegel des Lebens 49

    Das Selbst des Zen-Menschen 55

    Das Selbst ist das All 55

    Gestaltung der Lebens-Wirklichkeit 58

    Zur Welt erwachen 63

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    Unser Weg: Leben in allem 67

    Anhang 73

    Antwort auf einige Fragen 73

    Wie bt man Kin-hin? 81

    Sieben Punkte der Praxis 83

    An dich, der du noch immer unzufrieden mit deinem Zazen bist 84

    biographisches 91

    Sind wir nicht alle sehr gewhnliche Menschen? 93

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    Sinn des ZaZen

    Ameisen in einer Zuckerbchse

    Eines Tages erhielt ich den Besuch eines fnfzigjhrigen Amerikaners jdischer

    Abstammung; er war Direktor eines amerikanischen Unternehmens. Ich spreche

    nicht Englisch, doch war mein Besucher von einem sehr gebten Dolmetscher

    begleitet, und so war es leicht, uns gut zu verstndigen. Die erste Frage meines

    Gastes war folgende: Ich bin wirtschaftlich gut gestellt, habe eine nette Familie,

    jedoch begann ich vor etwa zehn Jahren anscheinend ohne irgendeinen Grund

    eine groe innere Leere zu fhlen. Da machte ich mich zunchst an das Studium

    der jdischen Religion, dies brachte mir jedoch keinen inneren Frieden. Dannbemhte ich mich mit noch grerer Anstrengung um die christliche Religion,

    jedoch dies befriedigte mich immer noch nicht. Da hrte ich vor einigen Jahren

    vom Zen sprechen, und ich fragte mich, ob ich darin eine Lsung finden knnte.

    Seit jener Zeit habe ich Zen studiert. Nun kam ich nach Japan, um Zen noch

    nher kennenzulernen. Was denken Sie, warum ich mit meinem Leben so unfroh

    bin?

    Meine Antwort angesichts des freimtigen Bekenntnisses und der Frage des

    Mannes war: Sie haben vielleicht bei der Suche nach Ihren Daseinswerten und

    dem Grunde Ihrer Existenz oder nach deren Grundlage und Bewertung nur an

    Dinge gedacht, die auerhalb Ihrer selbst liegen. Sie haben zum Beispiel den

    letzten Wert in Dinge verlegt, die Ihnen gehren, in Ihre Arbeit oder vielleicht in

    die Meinung anderer Leute ber Sie. Dabei haben Sie noch nicht Ihr wahres Ich

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    entdeckt. Daher sind Sie wohl unfroh. Mit anderen Worten: knnte es nicht sein,

    da Ihr Leben unbefriedigt blieb, weil Sie immer nur auerhalb Ihrer selbst

    leben? Sie versuchten, alle Ihre Beziehungen zu den anderen in der Waage zu

    halten, und Sie haben nicht Ihr eigentliches Selbst verwirklicht. Meine kurze

    Antwort schien ins Schwarze getroffen zu haben. Mein Besucher nickte, sichtlich

    betroffen: Sie haben es ausgesprochen. Ich bin wohl zu diesem Gefhl der

    Einsamkeit gekommen, weil ich stndig in meinem Leben nur versuche, meine

    Beziehungen zu den anderen ins richtige Gleichgewicht zu bringen. Da der

    Mann meine Antwort ohne jedes Zgern besttigte, war eine weitere Erklrung

    berflssig. Er fuhr nun fort: Was soll ich jetzt tun? Um Ihre Lebensangst zu

    verlieren, wrde es Ihnen nichts ntzen, auerhalb Ihres Ichs herumzuwandern.Es ist sehr wichtig, zu erfassen, da das Selbst die Wahrheit seines wahren Selbst

    lebt und da das Selbst in seinem wirklichen Leben lebt.

    Zazen ist die Verwirklichung dessen. Mein verstorbener Lehrer Sawaki Kodo

    Roshi (gest.1965) pflegte immer zu sagen: Zazen ist das Selbst, welches das

    Selbst in das Selbst hineinbaut. Wieder nickte mein Gesprchspartner: Er hatte

    eine hnliche Antwort wohl erwartet und sagte: Genauso stellte ich mir Zazenvor. Bitte erlauben Sie mir, hier mit Ihnen Zazen zu ben! Es waren meine

    Entgegnungen zu den genannten Fragen nicht etwa blo meine persnlichen

    Ansichten. Diese Worte sind seit uralter Zeit in den buddhistischen Sutras

    niedergelegt. Im ltesten buddhistischen Sutra, Suttanipada genannt, steht es:

    Von anderen abhngig zu sein, bedeutet Verlust des Gleichgewichtes. Und im

    ebenfalls uralten Dhammapada heit es: Die Sttze des Selbst ist einzig das

    Selbst.

    Warum habe ich unser kurzes Zwiegesprch an den Beginn meiner Arbeit

    gestellt? Wohl, weil ein Mensch nur ganz ausnahmsweise so rasch und mit

    solcher Offenheit und Demut die zwei einfachen, jedoch sehr wichtigen Stze

    der alten Sutras hinnimmt, die ich angefhrt hatte. Es scheint mir, da dieser

    Mann diese wesentlichen zwei buddhistischen Kernworte, die ich nannte, so

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    willig und so vllig annahm, weil sein Geist eben dafr reif war. Jedoch glaube ich,

    da es fr die meisten Menschen einer weiteren und lngeren Erklrung bedarf,

    um zu diesem Verstndnis zu gelangen. Warum jedoch sollten die

    Wohlhabenden und in jeder Beziehung reichen Amerikaner in der heutigen Welt

    eine solche innere Leere fhlen? Ich sprach jetzt von Amerikanern; wie kommt es,

    da darber hinaus so viele Menschen aus reichen Lndern wie England,

    Frankreich, Westdeutschland, Schweiz, Kanada, Australien und anderswoher, die

    in ihrem Leben die Einsamkeit spren und die nun nach dem Zen suchen, ihre

    Schritte gerade nach dem armen Japan und nach diesem rmlichen Antai-ji

    Kloster lenken? Zunchst schien mir dies sehr merkwrdig; nun aber, da ich diese

    Menschen aus der Nhe kennengelernt habe, glaube ich, ein wenig zu verstehen,was sie fhlen und was in

    ihnen vorgeht.

    Ich mchte die Menschen

    der hochentwickelten

    Lnder Europas und

    Amerikas mit Ameisenvergleichen, die in eine

    Zuckerbchse gefallen sind.

    Halten wir einen Augenblick

    dieses Bild fest und

    versetzen wir uns in die

    Lage der Insekten: Ihr Buchlein ist gefllt, sie speichern alle Se des Zuckers in

    sich auf, bis die ganze Welt um sie, alles was sie hren und sehen, nur noch

    Zucker ist. Wenn sie menschliches Gehirn besen, wrden sie dann nicht ganz

    natrlich die Leere des Lebens fhlen? Schlielich und endlich haben sie in der

    Zuckerbchse nichts mehr zu tun wenn sie Menschen wren, wrden sie sich

    zu ihrem Trste berauschen mit LSD und Marihuana und wrden beim

    Selbstmord landen Ich habe mich hier ber Europer und Amerikaner

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    Ameisen in der Zuckerbchse:Rechts der Japaner, daseconomical animal;in der Mitte der durchschnittliche

    Amerikaner;links der Schwarze in den USA.

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    amsiert, die in die Zuckerbchse gefallen sind. Dabei mu ich jedoch auch an

    die Lage der japanischen Gesellschaft denken. Meine Karikatur trifft auch auf den

    heutigen Japaner zu. Tut er nicht sein mglichstes, um in der Zuckerbchse zu

    landen? Er folgt einer Strae von aufgestreutem Zucker, die ihn zur Bchse fhrt,

    und denkt: Wie schn wre es, hier hineinzufallen! In der ganzen Welt sind die

    Japaner als die economic animals verschrien; sie selbst sind dabei, in die

    Zuckerbchse zu fallen, whrend sie sich zu einer der groen Wirtschaftsmchte

    entwickeln. Als Japaner fhle ich das Peinliche dieses Vergleiches, jedoch

    entspricht er den Tatsachen. Schlielich kommt noch eine weitere Gruppe von

    Menschen hinzu, die Farbigen in Amerika. Sie blicken von auen her in die

    Zuckerbchse, in der die Weien fett werden. Wenn wir meinen, die Ameisen, diebereits im Innern sind, wren am besten dran, die anderen, die alles daransetzen,

    hineinzufallen, kmen als nchste; und die Tierchen, die sich mit ihren Fchen

    gegen die Auenwand stemmen, seien am schlimmsten dran, so ist unsere Idee

    die Folge einer rein wirtschaftlichen Einstellung als economic animal. Blicken

    wir jedoch auf die drei Gruppen von Ameisen aus der Schau des wahren

    Lebensgrundes, so sehen wir sie alle auf einem ausweglosen Weg. Ihr aller Leben

    ist der Versuch um wieder zum Menschlichen zurckzukommen eine

    Existenz aus vielerlei ueren Beziehungen aufzubauen und dabei vllig die

    Schau des wahren Selbst zu verlieren. Dies ist der Grund, weshalb wir Menschen

    von heute nicht mehr aus dem Selbst heraus unser Leben gestalten. Von da

    ausgehend, mssen wir weiterdenken, und die erste Frage, die sich uns dabei

    stellt, heit: Wie steht es um das, was wir gewhnlich das Ich nennen?

    !"n anderen abh#ngig $u sein% bedeutet !erlust des &leichge'ichts

    Was ist das, was wir gewhnlich das Ich nennen? Es scheint, als kme das Ich

    zum Vorschein, sobald wir es in Gegensatz zu anderen Menschen setzen, in der

    Begegnung mit anderen. So sieht sich der Mann als Gatte in bezug auf seine Frau

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    und als Vater in bezug auf sein Kind; bei seiner Arbeit sieht er sich als

    Untergebener in bezug auf seine Vorgesetzten, und, falls er untchtig ist, auch in

    bezug auf seine tchtigeren Kollegen. Wir sehen uns als Ich innerhalb einer

    bestimmten sozialen Struktur. Der Geschftsmann sieht sich in bezug auf seine

    Kunden; der Unternehmer in bezug auf seine Konkurrenz, der arme Mann in

    bezug auf einen reichen. Ich sage mir z.B.: Ich kann dies Ding nicht kaufen,

    wenn der Gegenstand meines Wunsches jenseits meiner Mglichkeiten liegt. Der

    Verlierende sieht sich dem Gewinnenden gegenber, der machtlose einzelne hat

    die Gesellschaft gegen sich. Kein Wunder, wenn ein Mensch, der sich seiner

    bewut ist, angesichts solcher Gegenstzlichkeiten zu einem

    Minderwertigkeitsgefhl, ja, zu einer Nervenstrung gelangt. Vielleicht aber auchgeht im Menschen, der ber seine Minderwertigkeit gegenber den anderen

    nachdenkt, etwas anderes vor. Anstatt gekrnkt und bitter zu werden und an

    seinem Komplex zu leiden, mag ein bestimmtes Selbstbewutsein in ihm sich

    dagegen wehren (wie es gegenwrtig der Fall ist bei den japanischen economic

    animals). Der Mensch sagt sich: Gut, ich

    will hart arbeiten und viel dazulernen. Ich

    will den anderen nacheifern, zu Geld, zu

    einer Stellung, zur Tchtigkeit, zu Ruhm

    gelangen; eines Tages hole ich sie ein und

    bertreffe sie noch. Ich will gewinnen!

    Wieweit kommt man mit einer solchen

    Einstellung?

    Was geschieht, wenn jemand mit diesen

    Ideen zu einer Stellung gelangt, in

    welcher er sich entsprechend hher und

    im Gegensatz zu den anderen fhlen

    kann, die sich ihrer Minderwertigkeit

    bewut sind? Dem Anschein nach hat

    sich seine Lage vllig gendert. In

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    Kosho Uchiyama Roshi

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    Wirklichkeit jedoch stehen noch beide, der Reiche und der Arme, auf der

    gleichen Ebene. Warum wohl? Der Grund dafr ist, da die Menschen ihr Ich

    als etwas betrachten, was von auen her bestimmt wird, als etwas, das anderen

    Menschen und Dingen gegenbersteht. Im wesentlichen besteht keinerlei

    Unterschied zwischen unseren beiden Beispielen. Wenn wir in einer solchen

    Einstellung leben und glauben, da unser Selbst in der Gegenberstellung zu

    anderen besteht, verlieren wir, dies ist der objektive Schlu, das wahre Selbst, das

    Wesen des Lebens. Jean-Jacques Rousseau schrieb in Emile folgenden Satz:

    Jeder Mensch, ob er ein Knig, ein Adliger oder ein Millionr ist, kam nackt und

    arm zur Welt, und wenn er stirbt, so mu er nackt und arm sterben. Wir drfen

    aber fragen: Bedeutet das etwa, da wir immer, whrend der ganzen Zeitzwischen Geburt und Tod nackt sind? Die Frage erscheint berflssig, denn alle

    von uns tragen in der Zwischenzeit verschiedene Arten von Hllen: seien es

    fabelhafte, knigliche Gewnder, oder aber, fr manche whrend ihres ganzen

    Lebens, elende, grobe Lumpen. Der eine trgt eine Uniform, der andere ein

    Strflingskleid, der dritte die Mnchskutte. Ich denke dabei nicht nur an das aus

    Stoff gefertigte Kleid, sondern an all das, was die soziale Lage des Menschen

    ausmacht: Beruf, Familie, Ruhm, Geld All diese sind blo Hllen, denn es

    kommt immer wieder der Augenblick, in welchem alles vom Menschen abfllt

    wie ein Kleid. Wie schn auch eine Frau sein mag, es kommt einmal die Zeit, da

    ihr Aussehen das einer alten Frau ist. Auch das grte Genie wird am Ende

    altersschwach. So gibt es hundertfache Hllen, in die wir gekleidet sind:

    berheblichkeits- oder Minderwertigkeitsgefhl, Glck und Unglck, ferner alle

    die Ismen, die Zugehrigkeit zu einer Rasse, zu einem Volke. Gewi, wir wechselnmanchmal und ndern unsere Weltanschauung, unseren Ismus; wenn es jedoch

    ans Sterben geht, streift dann nicht der Mensch sogar seine letzte Hlle ab, selbst

    seine Volkszugehrigkeit, und stirbt als ein vllig nacktes Ich? Obwohl es auer

    Frage steht, da wir zwischen unserer Geburt und unserem Tode nur Hllen

    tragen, sind trotzdem fast alle Menschen nur um diese besorgt. Sie konzentrieren

    ihr ganzes Leben auf die Frage: welch schnes Kleid soll ich anziehen? Stimmt

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    erkennbaren Umfange durch die anderen besttigt. Wir bilden uns leicht ein, in

    unserem praktischen Leben unser wahres Selbst zu verwirklichen, als wre es

    etwas Auergewhnliches. Dies ist ein Irrtum im stlichen Denken.

    Das Denken des Westens hat jedoch noch in einer anderen Art seine Blicke vonder Wirklichkeit des Lebens abgewendet. Das westliche Denken, das im alten

    Griechenland begann, gewhnte sich allzusehr daran, alles Existentielle durch

    den Logos (d.h. den sprachlichen Ausdruck) zu erfassen. Dies bedeutet: Wenn wir

    uns des Logos bedienen, um ein Ding zu begreifen, so bauen wir damit eine

    uere Beziehung von Ding zu Ding. Der Westen hat sich allzusehr daran

    gewhnt, in dieser Weise die Dinge zu definieren, und daher trachtet er sogar, das

    Selbst und das Leben durch Definition zu erfassen. Dabei mssen wir folgenden

    wichtigen Umstand festhalten: Sogar unser Vermgen, alle Dinge durch

    Erklrung ihres Inhalts (Definition) zu verstehen, kommt aus dem Leben-des-

    Selbst. Dies letztere aber kann nicht durch Erklrung bestimmt werden. Es ist dies

    Etwas, das als wirkliche Erfahrung vorhanden ist, selbst wenn es nicht verstanden

    und definiert wird. Obwohl nun diese Tatsache als etwas Natrliches anerkannt

    werden sollte, kann sie nicht leicht von der westlichen rationalistischenDenkmethode erfat werden. Sobald jemand ber die Wirklichkeit nachdenkt,

    die bereits vor jeder Definition spekulativen Denkens existiert, so schafft dieser

    Vorgang selbst eine Definition. (Der Mensch des Westens fragt sich: Hat diese

    Wirklichkeit nicht ihren Daseinswert verloren, wenn sie nicht definiert wird?)

    Daher kommt man zum irrigen Schlu zu denken, die Definition selbst sei das

    wirkliche Ding. Die Grundlage des Buddhismus, der in Indien begann, ist jedoch

    die Wirklichkeit des Lebens, die sich in absoluter Weise jenseits aller Definition

    setzt. Mehr als dies: Da tatschlich das Leben alle bedingten Definitionen

    erzeugt, ist jede Art von Definition selbst Leben. Die Wirklichkeit des Lebens

    jedoch kann nicht in eine Definition eingekapselt werden. Obwohl sie alle Arten

    von Definition erzeugt, geht die Wirklichkeit des Lebens darber hinaus und

    setzt sich in absoluter Weise jenseits aller Definitionen. Warum setzt der

    Buddhismus voraus, da es eine Wirklichkeit jenseits aller Definition gibt? Der

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    Grund ist einfach. Wenn wir eine Flamme berhren, werden wir davon verbrannt;

    wenn wir jedoch, ohne das wirkliche Feuer zu berhren, nur ans Feuer denken, so

    wird unser Kopf nicht in Brand gesetzt. Wenn wir das Wort Feuer aussprechen,

    so brennt unsere Zunge nicht. Die Definition des Feuers, dessen Natur es ist, alle

    mit ihm in Berhrung kommenden Gegenstnde zu verbrennen, kann nicht das

    wirkliche Feuer sein. Dieses besteht jenseits seiner Definition. Im Zen sagen wir,

    da ein Mensch warm und kalt nur kennt, wenn er es an den Dingen selbst

    erfhrt. Alles wird hier als die wirkliche Lebenserfahrung durch das Selbst erklrt.

    Im Zen sind Definitionen wertlos, welche Dinge, den Bericht von Menschen

    darber oder die bloe Beobachtung ohne Lebenserfahrung unseres Selbst

    enthalten. Dies steht im Gegensatz zur westlichen Auffassung. Wir knnen sagen,der Unterschied zwischen Zen und Existentialismus besteht in folgendem: Der

    gegenwrtige Existentialismus ist die Philosophie der Existenz im allgemeinen

    und nicht die Praxis des wahren Lebens des Existentialisten selbst. Das

    Entscheidende fr das Selbst ist die Praxis, in welcher es aus seinem eigenen

    Leben lebt, es ist keine theoretische Errterung ber allgemeine Existenz, die

    nur aus der Beobachtung stammt. Nach westlicher Auffassung mssen alle Dinge

    durch den Logos definiert werden. Eine Wirklichkeit jenseits der Definition wre

    demnach Unsinn und absolut unmglich. Die wahre Kraft jedoch, die jenseits des

    Denkens und der gedanklichen Definitionen liegt, besteht eben in der

    Wirklichkeit des Lebens. Professor Daisetsu Suzuki hat bereits von der stlichen

    Spiritualitt gesprochen. Diese ffnet sich jedoch nur dann dem Blicke, wenn wir

    die Lebenswirklichkeit leben, die auf einer anderen Ebene liegt als das westliche

    rationalistische Denken. Man knnte nun versucht sein anzunehmen, da dieWirklichkeit des Lebens, die Definitionen, Worte und Gedanken bersteigt, eine

    mystische, esoterische Welt sei: etwas irgendwo tief Verborgenes, etwas worber

    wir nicht sprechen knnen und das einfach unvorstellbar ist. Dem ist durchaus

    nicht so; denn in Wahrheit leben wir immer die Wirklichkeit des Lebens. Hier ein

    Beispiel: Ich lege meine Hand aufs Herz, spre den Herzschlag. Es schlgt, jedoch

    nicht etwa, weil ich daran denke oder infolge von medizinischen oder

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    physiologischen Definitionen. Eine Kraft, die jenseits von Wort-Definitionen und

    Worten liegt, bringt es zum Schlagen. Solange es jedoch in meiner Brust schlgt,

    ist mein Herz meine Lebens-Wirklichkeit. Dasselbe gilt von meiner Atmung. Im

    Schlafe berlasse ich sie irgendeiner groen Macht jenseits von meiner

    Mitbestimmung, die jedoch in meinem Innern tatschlich wirkt. Auch dies

    bedeutet nichts anderes als das Wirken meiner Lebens-Wirklichkeit. Die

    genannten Beispiele beziehen sich auf das Physiologische. Gehen wir jedoch

    etwas weiter. Ich bin als Japaner geboren und von daher ein anderer als ein

    Weier. Dies ist nicht etwas, das wir durch den sogenannten Willen

    bestimmen, sondern es ist eine gegebene Tatsache: wiederum die Lebens-

    Wirklichkeit, die meine eigene Mitbestimmung und Wahl bersteigt. Ich bin einbuddhistischer Mnch und lebe ein Leben des Zazen in einem bestimmten

    Tempel in Kyoto in Japan. Habe ich mir diesen Lebensweg selbst ausgesucht?

    Sicher, in einem gewissen Sinne. Ich habe meinen Weg gewhlt, woher aber

    erhielt ich die Kraft, ihn zu whlen? Ich mu annehmen, da meine Wahl

    ebenfalls durch eine hhere Macht bestimmt wurde (man mag es Zufall,

    Schicksal oder Vorsehung Gottes nennen), eine Macht, die meine eigene

    sogenannte Willenskraft und Gedanken bersteigt. Wenn wir in diesem Fall

    unseren Verstand anstrengen, um zu einer Antwort zu kommen, so wird sie

    hchstens ein einseitiger und abstrakter Gedanke sein. Was die Lebens-

    Wirklichkeit angeht, knnen wir nur sagen: sie ist, was sie ist. Es ist eben so und

    nicht anders. Die Lebens-Wirklichkeit des Selbst bedeutet, das Leben genauso zu

    leben, wie es ist. Das Selbst existiert nicht etwa, weil ich daran denke. Es existiert

    auch, wenn ich nicht daran denke. Es ist eben mein Leben: Hier stehe ich, ichkann nicht anders. Zazen bedeutet, diese Lebens-Wirklichkeit in die Praxis

    umzusetzen.

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    Der Sinn des *ebens aus der *ebens-Wirklichkeit heraus

    Stellen wir uns nun die Frage: Ist es denn mglich, auerhalb der Wirklichkeit zu

    leben? Physisch gesehen, solange wir atmen, sicher nicht. Wir knnen uns nicht

    auerhalb des Lebens stellen. Trotzdem ist es aber mglich, die Lebens-Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren, wenn Schmerz und Leid in unser Leben

    einfallen.

    Hier ein Beispiel dafr:

    Vor kurzer Zeit kam eine vierzigjhrige Frau zu mir, um sich auszusprechen.

    Whrend sie mir ihre Geschichte erzhlte, zeigte ihr Geist eine tiefe

    Erschtterung. Seit ihrer frhen Kindheit, so sagte sie, war das Malen ihre liebsteBeschftigung. Man sprach ihr Talent zu, und so entschlo sie sich im Alter von

    zwanzig Jahren, mit Hilfe ihrer Eltern nach Tokyo zu gehen, um sich zur

    Knstlerin auszubilden. Sie hatte Erfolg: Alle Bilder, die sie malte, kamen in

    Ausstellungen, und sie gewann Preise. Die Kritik hielt sie fr eine junge, schne

    und echte Knstlerin. Leider stie jedoch ihr glnzender Aufstieg auf ein

    Hindernis. Whrend einiger Jahre erregten ihre Bilder Aufsehen, und die

    Knstlerin war nahe daran, sich durchzusetzen. Da verlor ihr Vater pltzlich sein

    ganzes Vermgen. Fr die junge Frau bedeutete dies einen schmerzlichen

    Rckschlag; auf sich allein gestellt die Knstlerlaufbahn fortzusetzen, war etwas

    gewagt. Die Sorge um die Eltern, die eine schwere Zeit mitmachten, trieb sie

    schlielich wieder in ihre Heimat. Dort tat sie, was sie nur konnte, fr ihre

    Familie. Die Jahre gingen dahin, und die Eltern wurden alt; die Leidenschaft fr

    die Kunst war jedoch zu stark in unserer Malerin, als da sie sich damitzufriedengeben konnte, zu Hause zu sitzen und zu verkmmern. Sie fate vor

    einigen Jahren den Entschlu, nach Tokyo zurckzukehren, dort fr eine Zeit

    Arbeit anzunehmen und dabei zu versuchen, sich als Knstlerin selbstndig zu

    machen. Die Frau nahm ihre Eltern mit sich in die Hauptstadt. Sie arbeitete

    whrend des Tages fr das tgliche Brot und malte des Nachts. Whrend

    mehrerer Jahre fhrte sie dieses anstrengende Leben, jedoch gelang es ihr diesmal

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    nicht, das zu erreichen, was sie im Alter von zwanzig Jahren vermocht hatte. Alle

    ihre Werke, auf die sie ihre Hoffnung setzte, blieben unbeachtet; sie konnte kein

    Bild mehr verkaufen und war daher gezwungen, zu ihrem Broterwerb

    zurckzukehren. Ihre Energie und ihr Mut waren schlielich gebrochen. Sie klagte

    ber ihre unglckliche Lage und sagte mir: Ich bin unglcklich. Ich habe mein

    Talent nicht verwirklichen knnen, seit meine Eltern ihr Vermgen verloren

    haben. Whrend ich natrlich Mitgefhl mit dem Schicksal dieser Frau hatte,

    deren Knstlerlaufbahn an einem widerwrtigen Umstand gescheitert war,

    antwortete ich ihr: Sie denken ganz falsch. Es ist ein schwerer Irrtum zu glauben,

    es sei ganz selbstverstndlich fr einen Menschen, von seiner Familie Geld zu

    erhalten. Es ist vielmehr natrlich, da jemand berhaupt nichts besitzt.Immerhin war es Ihnen dank dem Vermgen Ihrer Eltern mglich, bis zu Ihrem

    zwanzigsten Lebensjahr die Malerei zu erlernen, die Sie so sehr liebten. Das ist ein

    seltener Glcksfall, und Sie sollten dafr sehr dankbar sein. Dies liegt nun schon

    zwanzig Jahre zurck. Trotzdem denken Sie noch immer an den verlorenen

    Besitz. Darber zu weinen, bedeutet, sich in Phantasien ber die Vergangenheit

    zu verlieren. Ist dies nicht absolut sinnlos? Sie mssen Ihre Augen vor der

    augenblicklichen Wirklichkeit ffnen und mit einem vllig nackten Selbst

    beginnen, das weder Eigentum noch sonst etwas besitzt. Als Sie zwanzig Jahre alt

    waren, haben Ihre ausgestellten Bilder immer Preise gewonnen. Sie denken noch

    immer an diese Tage und wnschen: Knnte ich das doch wieder erleben ! Ihr

    tiefer Schmerz rhrt daher, weil Sie sich ber Dinge, die eben nicht kommen, in

    Phantasien verbohren. Werfen Sie alle diese nutzlosen Wnsche, die Dinge Ihrer

    Jugend wieder haben zu wollen, von sich, und beginnen Sie mit der WirklichkeitIhres Jetzt! Das Wichtigste ist Ihre Liebe zur Malerei, Sie lieben es, Bilder zu

    malen, weil Sie daran Freude haben. Sie sollten sich damit zufriedengeben.

    Anstatt dessen aber malen Sie und beschweren sich dann darber, da Sie Ihre

    Bilder nicht verkaufen knnen. Sie verlangen zuviel. Sie haben ja eine Arbeit fr

    Ihren Unterhalt. Wenn Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen, ist es Ihnen doch

    mglich, den Rest Ihrer Zeit fr Ihre Lieblingsbeschftigung, die Malerei, zu

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    verwenden. Sie haben Interesse und Talent fr diese Kunst mitbekommen, und

    so knnen Sie Ihr Leben damit ausfllen, ob jemand Sie anerkennt oder nicht. Sie

    sollten doch darber froh sein. Ich selbst habe nie Zazen gemacht, um damit

    Geld zu verdienen. Whrend dreiig Jahren habe ich ein Zazen-Leben gefhrt, in

    den ersten zwanzig Jahren war ich der Welt vllig unbekannt. Ich habe Zazen

    gebt im Dunkeln und in Armut; ich hatte kaum genug zum Essen. Doch gerade

    durch Zen war ich imstande, den Sinn meines eigenen Lebens selbst unter

    solchen Umstnden zu finden. In den letzten zehn Jahren sind Menschen, welche

    sich durch meine Methode des Zazen angezogen fhlen, zu mir in der gleichen

    Absicht gekommen, doch auch jetzt habe ich nicht die geringste Absicht, aus

    Zazen ein Verkaufsprodukt zu machen. Ich be mein Zazen, weiter nichts. FrSie bedeutet es das Leben, Bilder zu malen, wie Sie es lieben. Sollte Ihnen dies

    nicht grte Freude bedeuten? Die Frau verstand durchaus, was ich meinte, sie

    kehrte mit einem frohen Blick nach Hause zurck. Wir alle leben stndig in

    unserer Lebens-Wirklichkeit; aber manchmal geschieht es, da wir sie aus den

    Augen verlieren. Kommt es dann zu bedrckenden Vergleichen mit der

    Vergangenheit oder zu Vergleichen mit dem Leben anderer Personen, so verliert

    sich der Betreffende leicht in Hirngespinste. Dies fhrt zu einem Gefhl groer

    Verlassenheit und Einsamkeit, zu Eifersucht, Neid, Schmerz und Leid. Ein

    hnliches Gefhl der Befremdung berfiel mich einmal, als ich einen Tempel auf

    dem Lande besuchte. Aus der Entfernung sah ich auf der einen Seite des Berges

    einen dichten Wald, und ich konnte das Dach eines groen Tempels gewahren,

    der hinter den Bumen versteckt lag. Ein Einheimischer erzhlte mir, der Tempel

    sei frher viel grer gewesen; jedoch nach einem Brande habe man den jetzigenBau viel kleiner aufgebaut. Der Mann fhrte mich, ich stieg eine hohe Steintreppe

    hinan. Als ich endlich oben angelangt war und den Tempel sehen konnte, fand

    ich, da es ein prchtiger Bau und alles andere als klein war. Trotzdem schien er

    keineswegs aus einer jngeren Zeit zu stammen. Ich wunderte mich darber und

    fragte meinen Begleiter, wann eigentlich der vorige Tempel niedergebrannt sei. Er

    nannte die Kamakura-Periode (1185-1333). Wahrscheinlich hatte vorher hier ein

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    viel grerer Tempel gestanden, aber die Kamakura-Periode lag ja sieben oder

    achthundert Jahre zurck. Ich mute lachen, denn ich hatte nach der Erzhlung

    des Mannes, der sagte nachdem der Tempel niedergebrannt ist, an fnf oder

    sechs oder hchstens an zwanzig bis dreiig Jahre gedacht. Es war interessant zu

    beobachten, da die Leute vom Lande hier etwas Geschichtliches, das sie selbst

    nicht gesehen hatten, so behandelten, als wre es gestern geschehen. Wenn man

    es jedoch richtig bedenkt, so ist ein Ereignis, das sich sieben- oder achthundert

    Jahre vor uns zugetragen hat, ein krzliches Ereignis. So erinnert sich das jdische

    Volk lebhaft an den von Salomon vor mehreren tausend Jahren gebauten

    Tempel, als wre es gestern gewesen. Normalerweise sind es Dinge, die sie selbst

    erfahren oder die wenigstens in ihrem eigenen Leben geschehen sind, wenn dieLeute von Erinnerungen sprechen. In diesem Falle jedoch erinnern sie sich

    an das, was in Bchern steht oder was ihre Vorfahren erzhlt haben. Dies wre

    ohne Bedeutung, doch beim jdischen Volk geht es um sein ganzes Schicksal im

    Zusammenhang mit diesen Erinnerungen; es kommt, ebenso bei Christen und

    Moslems, zu gegenseitigem Totschlag um dieser Erinnerungen willen, die ihnen

    allen gemeinsam sind. Aus dem Gesagten geht hervor, da die in mythischen und

    einseitigen Religionen verhafteten Vlker so handeln, wie sie es gelehrt wurden,

    wie es in ihren Bchern steht und wie sie es von ihren Vorfahren gehrt haben.

    Dabei verwickeln sie sich nur allzuoft in schwere Kriege und Massenmorde. Dies

    nur als Beispiel; denn diese Tatsache bezieht sich nicht allein auf Religionen. Das

    gleiche geschieht im Falle von Weltanschauungen. Anstatt die Wirklichkeit des

    wahren Lebens ganz ins Auge zu fassen, verbrmen sie diese mit Namen wie

    Gott, Gerechtigkeit, Frieden; oder mit steifen Dogmen und zur Routinegewordenen Ideen. Wir knnen nicht einfach sagen, da Erinnerungen,

    Illusionen, Mythen, geschichtliche Fakten oder Ideengnge, insofern sie aus dem

    menschlichen Leben geboren werden, sinnlos sind. Sie alle aber sind nicht die

    wahre Lebenserfahrung selbst; sie haben vielmehr eine rein begriffliche Existenz

    innerhalb unseres Denkens. All dies gehrt zur Erfahrung, alles Wissen der

    Vergangenheit und vielleicht der ganzen Menschheit, doch hat es nur einen Sinn,

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    wenn es durch die wirkliche Lebenserfahrung, das Hier und Jetzt, zum Dasein

    gebracht wird. Es kommt manchmal vor, da wir uns allzusehr in die genannten

    Dinge verrennen. Wir bewundern sie, glauben blind daran, werden verrckt und

    fanatisch, da wir diese Hirngespinste mit einem Scheinleben fllen. Wir

    verwechseln vllig diese rein begrifflichen Existenzen mit der wahren

    Lebenserfahrung, die etwas Gegenwrtiges ist. Wir tun Dinge, die unser wahres

    Leben ersticken. Dies kommt immer wieder vor. Das einzelne Individuum, das

    sich auf diesen Irrweg begibt, kann in eine Anstalt fr Schizophrene geschickt

    werden. Was aber, wenn breite Massen von Menschen so handeln? Keine

    Irrenanstalt der Welt ist imstande, sie aufzunehmen und, was schlimmer ist, diese

    Gruppen von Fanatikern sind es, die gelegentlich unsere Zeitgeschichte machen.Ist nicht unsere Geschichte eine fortgesetzte Handlung von Sinnlosigkeit? Gewi

    lebt ein jeder immer seine eigene Lebens-Wirklichkeit, selbst in irriger Weise.

    Worauf es jedoch ankommt, ist, das Leben aus seiner Wirklichkeit heraus zu

    erleben. Von diesem Standpunkt aus erfassen wir, was es bedeutet, wenn wir

    immer wieder betonen, da unser Zazen den Weg zeigt, die Lebens-Wirklichkeit

    praktisch durchzufhren.

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    _____________________________________

    Wirklichkeit des ZaZen

    Wie bt man Za$en+

    Soeben habe ich ber den Sinn des Zazen

    gesprochen, nun will ich erklren, wie man Zazen

    bt.

    Zunchst: der bungsraum soll so ruhig wie mglich

    gelegen sein. Er sollte weder zu hell noch zu dunkel

    sein, warm im Winter und khl im Sommer. Achtet

    darauf, den Raum von Wind und Rauch freizuhalten,

    haltet ihn sauber und rein! Mit anderen Worten,

    trachtet, hier eine Umwelt des Friedens zu schaffen, die nicht dem Wechsel

    unterworfen ist, einen Ort, der stndig zum Zazen-Sitzen benutzt werden kann.

    Ihr knnt eine kleine Buddhastatue aufstellen, dazu ein paar Blumen in einer

    Vase und Weihrauchstbchen anznden. Das

    Buddhabild stellt die Ruhe des Zazen dar und

    ist ein knstlerischer Ausdruck desweltumfassenden Mitleides und der Weisheit

    des Zen. So schaffen wir die rumliche

    Stimmung fr unsere bung. Dem Orte, wo wir

    Zen ben, gebhrt Achtung. Daher gren wir

    mit aneinandergelegten Hnden (Gassho),

    wenn wir den Zen-Raum betreten. Lat uns

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    Zafu (Kissen) und Zaniku(gepolsterte Matte)zur Zazen-

    bung

    Schema des Zazen-Sitzeslinks: halber Lotussitzrechts: voller Lotussitz

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    stets die Stimmung des Ortes wahren, die es uns ermglicht, Zazen zu ben. Wie

    sollen wir sitzen? Legen wir eine Zaniku vor die Wand und darauf einen Zafu!

    Setzt euch auf den Zafu und kreuzt die Beine: Der rechte Fu ruht auf dem linken

    Schenkel und umgekehrt. Dies nennt man die volle Lotus-Stellung. Wenn ihr dieBeine nicht in dieser Weise kreuzen knnt, so legt nur den linken Fu auf den

    rechten Schenkel. Dies ist die halbe Lotus-Stellung. Setzt euch nicht mitten auf

    den Zafu. Dieser mu zum Groteil frei bleiben; eure Knie sollen fest auf der

    Decke liegen. Das Gewicht des Oberkrpers sttzt sich auf drei Stellen: auf eure

    beiden Knie, auf den Zaniku und auf euer Ges (auf dem Zafu). Setzt euch

    gerade und streckt den Rcken, als wolltet ihr das Ges tief in den Zafu stoen!

    Haltet euren Nacken gerade und nehmt das Kinn zurck! Schliet den Mund und

    legt die Zunge fest an den oberen Gaumen, lat im Innern des Mundes keinen

    Hohlraum entstehen! Stot euren Kopf nach oben, als wolltet ihr die

    Zimmerdecke eindrcken! Die Daumen begegnen einander oberhalb der Hnde.

    Eure Ohren sollen in einer Linie

    mit den Schultern liegen, die

    Nase in einer Linie mit demNabel. Lat die Augen offen wie

    gewhnlich, blickt auf die Wand

    und senkt dann etwas den Blick!

    Sobald ihr die Zazen-Stellung

    eingenommen habt, ffnet den Mund und atmet tief aus! Dadurch ndert ihr

    eure ganze Stimmung. Um die Steife in den Gelenken und Muskeln loszuwerden,

    wiegt euch langsam zwei- oder dreimal nach rechts und nach links, erst dann

    nehmt eure unbewegte Stellung ein! Von nun an atmet ruhig durch die Nase! Es

    ist wichtig, natrlich zu atmen, die kurzen Atemzge kurz und die langen lang zu

    halten, je nach eurer Gewohnheit. Atmet so natrlich wie mglich vom

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    Haltung der Hnde beim Zazen

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    tanden1aus! Macht beim tiefen Atmen keine Gerusche.2

    Meister Tendo Nyojo3sagt:

    Der Atem geht in den Unterleib. Versucht jedoch nicht zu

    erfahren, woher er kommt! Ihr sollt nicht absichtlich langoder kurz atmen. Wenn der Atem wieder den Unterleib

    verlt, ist es das gleiche: Versuchet nicht zu wissen, wohin er

    geht! Auf alle Flle aber kann

    man nicht sagen, ob die

    Atemzge an sich lang oder kurz

    sind.

    Mein Meister erklrte es in dieser Weise,

    und wenn mich jemand danach fragen

    wrde, so wrde ich wahrscheinlich ebenso

    antworten. Es ist dies jedoch nicht etwas,

    das man eigens als Mahayana oder als

    Theravada bezeichnen kann. Es geht ber

    beide hinaus. Sollte der Fragesteller mich

    weiterfragen: Wie ist es also darum

    bestellt?, so wrde ich antworten, da das

    Atmen an sich weder lang noch kurz ist.

    Die hier beschriebene Zazen-Haltung kann

    1 Etwa drei Zentimeter unterhalb des Nabels gibt es eine tandem genannte Zone. Wenn ihr die richtige Zazenhaltung

    einnehmt, wird der Schwerpunkt eures Krpers und Geistes ganz natrlich ins tandem fallen, vor allem, wenn ihr eureAtmung regelt. Im brigen sollt ihr ganz natrlich atmen. (Anm. des Verf.)2 Bei unserem Zazen ist die richtige Haltung das wichtigste. Hat man diese eingenommen, so beruhigt man das Herz, indemman den Atem kontrolliert, das heit, man atmet natrlich. Im Theravada-Buddhismus gibt es zweierlei Gesichtspunkte.Der eine richtet sich auf das Physische, das Zhlen der Atemzge, und der andere auf das Psychische, die Reinigung desHerzens. Im Theravada kontrolliert man also den Atem, indem man die Atemzge zhlt. Dies unterscheidet sich jedochvllig von der Unterweisung, die Buddha gab. Buddha sagte: Im Theravada zhlt man die Atemzge. Ihr aber kontrollierteuren Atem nicht wie die Leute des Theravada! Gegenwrtig praktizieren die Shibunritsu- und die Kushna-Sekte in Japandiese Atemkontrolle. Im Mahayana-Buddhis-mus gibt es auch eine Atemkontrolle. Man wei jedoch hier, da fr deneinen lange, fr den anderen kurze Atemzge seiner Natur entsprechen, es hngt von der einzelnen Person ab. Der Atemwird in den Unterleib eingezogen und kommt aus diesem wieder zurck. Wenn auch Einatmen und Ausatmenverschieden sind, so hngen doch beide vom Unterleib ab. Wenn die Atmung zunchst nicht regelmig vor sich geht, sowird es doch leicht und bald gelingen, das Herz zu beruhigen.

    3 Tintng Rjng.

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    Kodo Sawaki Roshi

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    als eine einzigartige Entdeckung des Ostens bezeichnet werden, da sie die

    wirkungsvollste ist, um unsere per-snlichen menschlichen Gedanken aus uns zu

    entfernen. Dies kann leicht verstanden werden, wenn wir die Zazen-Haltung mit

    Rodins Skulptur Der Denker vergleichen. Die Bezeichnung Denker klingt

    schn, aber die Stellung des Denkers ist die eines Mannes, der seinen Illusionen

    nachtrumt. Der Oberleib ist vornbergebeugt, Arme und Finger sind gekrmmt,

    und sogar die Zehen sind krumm. Wenn wir uns so gekrmmt halten, stockt

    unser Blut, wir verfangen uns in unseren Einbildungen und knnen uns nicht frei

    fhlen. Im Gegensatz dazu bleibt beim Zazen alles an uns vllig gerade: Oberleib,

    Rcken und Kopf. Unser Unterleib ruht entspannt auf den richtig gekreuzten

    Beinen, dadurch strmt das Blut aus dem Kopf und kreist ungehindert gegen denUnterleib zu. Infolge dieser Entlastung des Kopfes entsteht keine Stauung, unsere

    Erregbarkeit sinkt, und es wird uns unmglich, weiterhin Phantasien und

    Trumen nazuhngen. Darum ist die beraus korrekte Krperhaltung beim

    Zazen so entscheidend, darauf kommt es an, und alles brige hngt davon ab. Es

    ist nun freilich leicht zu sagen: Richtet eure Glieder auf diese richtige Haltung aus;

    jedoch in der Praxis ist es nicht so einfach, dies zu tun. Wenn ihr trotz eurer

    Zazen-Haltung weiter den Gedanken nachhngt, so denkt ihr eben und seid

    nicht im Zazen. Oder wenn ihr in Zazen-Stellung in Schlaf fallt, so schlaft ihr

    eben und macht kein Zazen mehr. Zazen ist weder Denken noch Schlafen,

    sondern Hinstreben auf lebendige Zazenhaltung. Wenn ihr whrend des Zazen

    schlfrig werdet, so erschlafft eure Energie, und euer Krper sinkt zusammen.

    Verfolgt ihr aber eure Gedanken, so wird eure Stellung verhrtet. Zazen bedeutet

    weder schlaff und leblos noch versteift zu sein. Es mu im Gegenteil Lebensflleund Energie beinhalten. Es ist das gleiche wie beim Autofahren. Wenn ein Fahrer

    trinkt oder sich schlfrig fhlt, so schwcht sich seine Kraft, und er luft groe

    Gefahr. Andererseits wird ein Fahrer, der nervs oder vllig von seinen Gedanken

    gefangengenommen ist, sich verkrampfen, auch dies ist gefhrlich. Dasselbe gilt

    fr Geschftsleute, Politiker, usw.

    Unsere Lebenskraft soll weder erschlafft noch allzu gespannt sein. Das Wichtigste

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    ist, da sie absolut wach bleibt. Zazen ist die am meisten kondensierte Form von

    Leben in hchster Wachsamkeit, seine direkte und reinste Form. Allerdings ist es

    leicht, darber zu reden, jedoch sehr schwer, es richtig durchzufhren. Nochmals:

    wenn wir Zazen sitzen, so drfen wir nicht dsen und uns nicht in unsere

    Gedanken verspinnen. Wir mssen hellwach sein und mit Haut und Haaren,

    mit allen Krften auf die rechte Haltung zusteuern. Knnen wir sie jemals

    erreichen? Knnen wir sagen, da es hier ein Erreichen oder ein Endziel gibt?

    Nein! Denn darin ist eben Zazen einzigartig. Wohl mssen wir nach Krften

    darauf zusteuern, jedoch wir erreichen den Endpunkt niemals. Anders

    ausgedrckt: der Mann, der Zazen sitzt, wird niemals wissen, ob er das Ziel

    erreicht oder nicht. Wer denkt: Mein Zazen ist wirklich ausgezeichnet., oder:Ich habe es nun erreicht!, der bildet sich dies nur ein, und gerade dadurch fllt

    er von seiner Zazen-Wirklichkeit ab. Stehen wir tatschlich vor einem solch

    ungewhnlichen Gegensatz? Die meisten Menschen denken: wo es um einen

    Zweck geht, gibt es ein endgltiges Ziel. Wo kein Ziel vor Augen steht, wird

    niemand versuchen, sich anzustrengen. Dies ist die gewohnte Denkweise und

    bliche menschliche Verhaltensweise, die auf logischer Berechnung fut. Hier

    aber, beim Zazen-Sitzen, mt ihr alle Berechnung fahren lassen, an die ihr im

    Verkehr mit den anderen gewhnt seid. Zazen ist: das Selbst, welches das Selbst

    ins Selbst hineinbaut. Zazen macht Zazen. Zazen bedeutet das berbordwerfen

    einer Denkweise, die annimmt, wo ein Weg sei, msse auch ein Ziel sein. Hier

    steht ihr eben im Zentrum des Gegensatzes: Obwohl ihr euch bemht, auf etwas

    zuzusteuern, knnt ihr absolut nicht sehen, ob ihr das Ziel erreicht. Ihr steht

    mitten in einem Gegensatz, der absolut absurd ist, wenn ihr ihn von eurembeschrnkten Gesichtswinkel her seht. Wenn ihr nun so Zazen bt und einfach

    dasitzt, fhlt ihr euch vermutlich ganz im Ungewissen. Ihr fhlt euch unzufrieden

    und vllig verloren. Gerade deshalb ist Zazen etwas Unerhrtes! Solange das

    winzige Ich, dieses dumme kleine Selbst mit sich zufrieden ist, bedeutet

    dieser Stolz, diese Anmaung nichts als ein Weiterspinnen unseres trichten Ich-

    Denkens. In unserem Zazen ist das der springende Punkt: Unser trichtes kleine

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    Ich oder Selbst zeigt sich unzufrieden oder vorlufig aus der Fassung

    gebracht, wenn das unermeliche wahre Leben jenseits des Denkens unseres

    kleinen Selbst in Bewegung kommt. Gerade hier, wenn wir vllig verloren sind,

    wirkt das LEBEN; hier wirkt die MACHT des Erwachten, des Buddha! Wer immer

    die Absicht hat, sich dem Zen hinzugeben, mu sich zunchst verstandesmig

    darber klar sein, da Zazen eben dies oben Ausgefhrte bedeutet. Sobald man

    aber Zazen zu sitzen beginnt, mu man sich einzig auf die richtige Haltung

    konzentrieren, nicht mehr mit dem Verstande, sondern dem ganzen Krper-

    Geist. Endlich heit es: alles fallenlassen und sich ganz der korrekten

    Zazenhaltung hingeben. Mit euren eigenen Augen knnt ihr unmglich das

    eigene Angesicht anschauen. Da Zazen die lebendige Wirklichkeit unseres Selbstschafft, so wie es ursprunghaft vorhanden ist, knnt ihr es niemals wahrnehmen.

    Halten wir uns eines vor Augen: Wenn bei allem etwas in uns unzufrieden bleibt,

    so ist es unser verstehensschtiger Geist, der dies bewirkt, weil er den Erfolg

    seiner Ttigkeit nicht beobachten kann. Auf alle Flle ist Zen die beste Haltung

    und damit die Mglichkeit, zur tatschlichen Flle der Lebens-Wirklichkeit zu

    gelangen. Ein alter gelufiger Ausdruck nennt dies: Shikantaza Zweck des

    Zazen-Tuns ist Zazen. Niemals kann das Ziel dabei sein, um irgendeiner Absicht

    willen zu sitzen, so etwa, um eine Art besonderes Satori zu empfangen. Weiter

    unten wird dies an den Worten des Altmeisters Dogen noch deutlicher. Zazen

    heit: Krper und Geist fallenlassen. Zazen-tun ist Satori. Es ist das wahre

    Dharma; die Wahrheit Shobogenzo (Nehanmyoshin). Zazen machen bedeutet,

    das Satori, die Erweckung, zu ben, zur Wirksamkeit zu bringen, in Wirklichkeit

    zu setzen. Nur, wenn wir in diesem Geiste Zazen wirken, drfen wir vonShikantaza sprechen. Das recht berlieferte Dharma, der Weg von Buddha zu

    Buddha, von einem Erweckten zum anderen, von einem Patriarchen zum

    anderen, ist je immer nur dies gewesen: Zazen tun. Dies ist vllig eindeutig. Zazen

    an sich ist bereits die letzte Stufe des Satori. Anders gesprochen: Satori, das

    Erwachen, ist eben Zazen machen (Eihei Koroku, Buch 4). Der von einem

    Buddha zum anderen, von einem Patriarchen zum anderen berlieferte Weg ist:

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    durch Zazen-Wirken das Gesetz erfllen.

    Mein Meister Tendo Nyojo sagte:

    Mit gekreuzten Beinen sitzen, ist seit jeher die Haltung des

    Erwachten. Vertraut ihr daher dem Zen euren Krper an, solat ihr Krper und Geist fallen.

    Es ist nicht notwendig, Weihrauch zu verbrennen, um euren Geist in Stimmung

    zu bringen, Buddhastatuen zu verehren, Nenbutsu zu rezitieren, d. h. den Namen

    Buddhas oft wiederholen; es bedarf keiner Akte der Reue, Lektre der Lehrtexte

    (Sutras) und anderer religiser Gebruche. Es gengt einzig, Zazen zu ben.

    (Eihei Koroku, Buch 6). Bodhidharma kam nach China, er begann keineswegs,sich mit allen mglichen religisen Praktiken abzugeben. Er hielt keine Reden,

    auch nicht ber die Sutras. Er tat einzig Zazen: im Shorin Tempel.Whrend

    neun Jahren sa er, das Gesicht gegen die Wand gerichtet, nichts anderes. Dies ist

    der Weg der Buddhas, die wahre Gnaden-berlieferung, genannt Shobogenzo

    Nehanmyoshin. (Eihei Koroku, Buch 4.)

    Tendo sagte:

    Zazen-tun heit: Krper und Geist fallenlassen; es ist nicht

    notwendig, Weihrauch zu verbrennen, Buddhas Bild zu

    verehren, seinen Namen zu wiederholen, Sutras zu singen

    und andere religise Zeremonien zu vollziehen.

    In den letzten vier- oder fnfhundert Jahren war es wohl nur Tendo, welcher

    Buddhas Auge ausri und mit seinem eigenen Auge schaute. Selbst in China

    gab es keinen seinesgleichen. Nur wenige wissen, da Zazen der Weg des

    Buddhas ist und da der Weg jeden Buddhas (Dharma) Zazen ist. Wohl mag es

    manchen geben, der durch Erfahrung wei, da Zazen der Weg des Buddhas ist.

    Keiner wei jedoch, da Zazen-tun nichts weiter ist als Zazen-tun. Es gibt keinen,

    der die Wahrheit Buddhas lebt. Shobogenzo: Zammai-o-zammai

    Mein Lehrer Sawaki Kodo, der Alte Meister, pflegte immer zu sagen:

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    Zazen tun, das ist alles. Dies Wort bedeutet das gleiche wie:

    kmmert euch nicht darum zu erfahren, ob Zazen der Weg

    Buddhas, und ob der Weg Buddhas Zazen ist. Zazen ist

    Zazen.

    Darum ist Zazen alles, was zu tun ist. Da es viele Zweifel gibt, worin eigentlich die

    Za-zen-bung besteht, fllt es vielen Leuten schwer, die rechte bungsweise zu

    entwickeln. So ist es denn meine Absicht, auf den folgenden Seiten dieses

    Bchleins dies zu erklren. Versteht, ich bitte euch, da es fr meine ganze Schrift

    keine andere Schlufolgerung gibt als Dogens Wort:bt Za$en,

    Die &edanken allenlassen

    Ich sagte bereits: wenn ihr whrend des Zazen denkt, dann ist es kein Zazen

    mehr. Bedeutet das etwa, da whrend des Zazen keinerlei Gedanken uns

    anfallen? Kann man nur dann von gutem Zazen sprechen, wenn alle Gedanken

    aufhren, in uns einzustrmen? Wir mssen unterscheiden zwischen: denken,

    den Gedanken nachjagen, und den Gedanken, die zufllig kommen. Wenn

    whrend des Zazen ein Gedanke in euch auftaucht und ihr ihm folgt, dann denkt

    ihr bereits und seid nicht mehr im Zazen. Dies heit aber nicht, da ihr nur dann

    im Zazen seid, wenn alles Denken aufgehrt hat. Genauer: stellt einen groen

    Stein neben eine Person, die Zazen bt. Niemals wird der tote Stein einen

    Gedanken haben. Wir sind jedoch lebende Wesen. Auch wenn ihr euch

    unbeweglich hinsetzt wie ein Stein, so heit das nicht, da keine Gedanken auf

    euch eindringen. Dies wre unnatrlich, da ihr ja lebt, und die Wirklichkeit desLebens wird immer in euch pulsieren. Es wre falsch zu sagen, das Denken hre

    auf, sobald einer Zazen sitzt. Die Gedanken kommen, das ist nur allzu natrlich.

    Wenn allerdings jemand den Gedanken nachhngt, dann denkt er eben und hrt

    auf, Zazen zu ben.

    Wie sollen wir uns also verhalten?

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    In kurzen Worten: unsere geistige Einstellung soll so sein, da wir uns um die

    rechte Haltung im Zazen bemhen: mit dem ganzen Krper-Geist, mit allen

    Krften. Der richtige Ausdruck fr unser Verhalten wre vielleicht: Lat die

    Gedanken fallen!

    Was heit dies?

    Wenn wir denken, so denken wir an etwas. Dies bedeutet, da sich die Gedanken

    an einen Gegenstand heften. Whrend des Zazen ffnen wir weit unser Inneres,

    das daran ist, sich an etwas zu klammern. Unsere Hnde - geistig gesprochen -

    halten dann nichts mehr. Dies ist, was wir nennen:

    Lat die Gedanken fallen!Genauer gesagt: ein Gedanke kommt in uns auf. Wird er jedoch nicht

    festgehalten, so hat er keine Mglichkeit, zu einem Ding zu werden. Zum Beispiel:

    selbst wenn der Gedanke A (eine Blume) auftaucht, bleibt er ohne Bedeutung,

    solange er nicht von einem Gedanken B (ist schn) gefolgt wird. Kommt der

    Gedanke A in unseren Sinn, so bleibt er, wenn er nicht weitergefhrt wird, allein

    und erhlt keine Bedeutung. Er ist sinnlos und wird verschwinden, whrend

    unser gedankenloses Bewutsein weiterluft. Da das Blut infolge der Zazen-

    Haltung aus dem Kopfe strmt und unser seelisches Erregungsvermgen infolge

    der Zazen-Haltung vermindert wird, sind beim Zazen von vornherein Gedanken-

    Assoziationen unmglich. Solange ihr alles auf diese Haltung konzentriert, wird

    der freie Fall der Gedanken ganz natrlich erfolgen. Immerhin ist das

    menschliche Leben keine Maschine. Selbst in Zazenhaltung seid ihr physisch

    imstande zu denken, soviel ihr wollt, wenn euch danach zumute ist. Versteht esrecht: Beim Zazen-Sitzen ist es das Wichtigste, von ganzem Herzen, mit dem

    ganzen Krper-Geist sich auf die Haltung einzustellen. Kmmert euch

    ausschlielich um die Haltung, die Gedanken lat fallen! Wenn ihr euch danach

    richtet, so sind beide, Krper und Verstand, im Geiste des Zen. Whrend des

    Sitzens drfen wir niemals daran denken, da wir Zazen machen. Es soll nichts als

    die Ausfhrung einer erworbenen Praxis sein. Zenmeister Dogen nannte dies

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    unter Berufung auf die Worte von Yakusan: das Denken des Nicht-Denkens.

    Das heit: whrend ihr mit dem ganzen Krper-Geist Zazen bt, erstrebt ihr

    (denkt ihr an) das Fallenlassen der Gedanken (Nicht-Denken). Altmeister

    Eisan gebrauchte das Wort kakusoku. Er meinte damit, da wir hellwach sind

    und mitten aus der Wirklichkeit leben. Kakusoku charakterisiert in

    ausgezeichneter Weise die mentale Einstellung einer Person, die Zazen bt. Es

    bedeutet, aufzuwachen und wirklich zu sein. Vielleicht darf ich es so ausdrcken:

    das Wirkliche erwacht zu seiner Wirklichkeit. Wohlgemerkt: dieses Erwachen

    ist nicht das, was man in der gewhnlichen Sprache denken oder

    wahrnehmen nennt.Beim Denken und Wahrnehmen geht es um eine

    Gegenberstellung !on Erkennendem und Erkanntem, bei diesem "Erwachen#$edoch wird nichts einander gegenbergestellt.Dies ist wichtig. Wie schon

    vorher erklrt, leben wir immer und berall innerhalb der Wirklichkeit unseres

    Lebens. Leicht verlieren wir diese unsere Lebens-Wirklichkeit aus den Augen, und

    so erscheint sie dann getrbt und nebelhaft.

    Wie geschieht dies nur?

    Auf zweierlei Art: dadurch, da wir mde und schlfrig werden oder durch unserallzu konkretes Denken. Wenn wir einen Wagen lenken und dabei dsen oder an

    etwas ganz anderes denken, so zeigen sich bald gefhrliche Folgen. Aufwachen

    heit hier: Schlaf und konkrete Gedanken fahrenlassen, um die Zazen-

    Wirklichkeit zu gestalten, mit Leib und Leben zu ben.

    - 34 -

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    Zum *eben er'achen

    Im folgenden will ich nun, soweit wie mglich ins

    einzelne gehend, unsere innere Erfahrung beim

    Zazen-Sitzen beschreiben.Die Linie ZZ' stellt die korrekte Zazen-Haltung dar. Sie

    bedeutet unsere Lebens-Wirklichkeit, in der wir

    bleiben mssen. Ein Mensch ist jedoch selbst beim

    Zazen-Sitzen kein Stein, und so geschieht es zuweilen

    da er diese Linie zu verlassen sucht; entweder gehen

    ihm Gedanken durch den Kopf oder er wird schlfrig. Ein Beispiel: jemand verlt

    die Linie ZZ'; ein Gedanke "a" steigt in ihm auf. Wenn er diesen zum

    Ausgangspunkt nimmt und mit anderen Gedanken "a" assoziiert, so denkt er

    eben. Es ist klar: wenn dem Betreffenden seine Arbeit einfllt und er berlegt, wie

    er sein Werk einteilen und ausben knnte, so tut er nichts anderes als dies: er

    denkt. Pltzlich aber lt er seine Gedanken fahren und erwacht wieder zum

    Zazen mit Fleisch und Blut. Er kehrt zur Lebens-Wirklichkeit zurck. (Siehe den

    Pfeil). Nach einer Weile wird unser Mann schlfrig. (Siehe b). Wenn er soweiter macht ('b' und b"), dst er bereits. Daran ist nichts Erstaunliches. Wenn ihr

    beim Zazen schlfrig werdet und sich Gedanken dazu gesellen, so schlaft ihr

    bereits. Eine Gedankenflut erscheint ihr trumt. Den Gedanken nachjagen

    oder schlafen, darin sehe ich fr das Zazen keinen Unterschied. Wenn wir

    whrend des Wachens einem aufsteigenden Gedanken folgen, so denken wir.

    Wenn wir schlfrig sind und unseren Gedanken folgen, so werden daraus

    Trume. Gelegentlich kann es vorkommen, da ihr einnickt und im Schlafe

    denkt: Ich bin schlfrig, doch halte ich durch und mache weiter Zazen. (Ich

    spreche da aus eigener Erfahrung. Von Hypnose verstehe ich nichts, aber ich

    kann mir denken, da die Hypnose diesen Halbschlaf zu ihrem Zwecke

    verwendet.) Wenn ihr beim Zazen schlfrig werdet, so mt ihr aufwachen,

    indem ihr mit Leib und Seele eure Energie auf das Zazen konzentriert und es vor

    - 35 -

    Schema zur Erklrung derinneren Einstellung beim

    Zazen

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    allem vermeidet, den Gedanken zu folgen. (Dieses Aufwachen ist auf der

    Zeichnung ebenfalls mit einem Pfeil gekennzeichnet.) Es kann auch sein, da ihr

    vllig das Aufwachen verget. Vielleicht geht ihr euren Gedanken nach (siehe c,

    c', c", c'"), und ihr kommt weit ab von der Lebens-Wirklichkeit. Mit anderen

    Worten: ihr trennt euch von der Tatsache, da ihr Zazen sitzt. Ohne es zu

    gewahren, kommt ihr zu einer Gedankenassoziation, zu einem Dialog mit einer

    anziehenden Person (c"'), z. B. einer Freundin, die jedoch vllig von eurer

    Phantasie geschaffen wurde. Selbst hier gibt es eine rasche Lsung: wenn jemand

    beim Zazen aufwacht, d.h. wenn er sich wieder mit Leib und Seele

    hineinversenkt und seine Gedanken fallenlt, so wird selbst die anziehendste

    Person (c'") sofort verschwinden, und der Trumer kann zur Zazen-Wirklichkeitzurckkehren (ZZ'). Dies ist eine sehr bedeutende Bemerkung. Zeigt sie doch in

    aller Klarheit, da die Erscheinung (c'") keinen konkreten Krper besitzt und da

    sie nichts als ein inhaltloses Kommen und Gehen darstellt. Wie dem auch sei: falls

    ihr whrend eures Zazen eine solche Erfahrung macht, sei es im Stadium c', c"

    oder c'", so mt ihr so rasch wie mglich aufwachen und zum Zazen ZZ'

    zurckkehren. Wie wir vorhin sahen, bedeutet die Linie ZZ' unsere Lebens-

    Wirklichkeit. Drcken wir es besser aus: ZZ' zeigt unsere notwendige Haltung

    beim Zazen. Unsere Lebens-Wirklichkeit aber ist weit mehr als das. Wir sind ja

    keine leblosen Steine. ZZ' ist eine Richtschnur, an die wir uns halten mssen, die

    wir jedoch niemals vollstndig erreichen. Wir weichen leicht in verschiedener

    Weise davon ab. Die wahre Lebens-Wirklichkeit liegt dahinter: es ist unser

    stndiges Streben, aufzuwachen und uns nach ZZ' auszurichten. Durch unser

    Zazen erfahren wir, da alle Gedanken in unserem Kopf nichts sind als leeresKommen und Gehen, ohne konkrete Substanz und jederzeit zum Schwinden

    verurteilt.

    Zenmeister Yoka Daishi sagt:

    Die fnf Skandhas sind nur wandelnde Wolken, die ziellos

    kommen und gehen, whrend die drei Gifte: Begierde, Zorn

    - 36 -

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    und Stumpfheit des Geistes nichts sind als Wasserblasen;

    Trugbilder, die erscheinen und verschwinden. Wenn erst das

    Wirkliche erfat wird, dann gibt es kein Ego und kein

    Dharma, kein Ich und kein Suchen des Weges. Und in einem

    einzigen Augenblicke zerbrechen die Ketten des avici Karmas,

    der tiefsten Hlle.4

    Wahrlich, alle Gedanken, Illusionen und Begierden sind gleich Wasserblasen;

    nichts als leeres Kommen und Gehen ohne wirkliche Substanz, sobald du zum

    Zazen aufwachst. Selbst die avici genannte Hlle, die aus der Phantasie

    entsprungen ist, verschwindet mit einem Schlage. Zazen lt uns dies als

    Wirklichkeit erleben. Das Gesagte ist von hchster Wichtigkeit. Der Grund,

    weshalb ich versucht habe, durch eine Skizze verstndlich zu machen, was

    whrend des Zazen vorgeht, ist der Wunsch, Irrtmer vermeiden zu helfen. Ich

    mchte klarmachen, da das Zazen des wahren Lebens, das Zen-Meister Dogen

    vorschwebte, jenes ist, das er das richtig bermittelte Zen der Buddhas und der

    Patriarchen nannte. Hren wir dazu folgende Stze aus Altmeister Dogens Eihei

    Koroku, Buch 7:Der Patriarch Nagarjuna sprach also: Zazen ist der Weg aller

    Buddhas. Andersglubige Schulen ben auch Zazen, sie

    gehen jedoch zu weit; sie verfrben die Natur des Zazen, und

    ihre unrichtigen Ansichten sind vom bel. Es ist dies nicht

    das gleiche wie das Zazen der Buddhas und der Bodhisattvas,

    der Erweckten und derjenigen, die dahin auf dem Wege sind.

    Auch die Theravada-Schler machen Zazen, doch sie

    wnschen, vollkommen zu werden, sie suchen die

    Auslschung, das Nirwana zu erreichen. Dies ist eben nicht

    dasselbe, wie das Zazen der Buddhas und Bodhisattvas.

    Diese Worte von Nagarjuna (150-250 unserer Zeitrechnung) von Altmeister

    4 Aus dem Shodoka (Zheng Daoge) von Yoka Daishi (Yongjia Xuanjue).

    - 37 -

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    Dogen zitiert, zeigen, da er bereits das Problem klar erblickte. Das Zazen von

    andersglubigen Schulen ist nicht das lebendige. Es vermischt und frbt sich mit

    allerlei Gedanken an Vorteile und bedeutet eine Entartung, ein Streben zu

    weltlichem, auf Ntzlichkeit bedachtes Denken. Die Theravada-Schler ben

    Zazen in der Absicht, stufenweise Illusionen und Begierden zu vermindern, und

    suchen diese endlich ganz zu lschen (Nirwana). Nichts davon hat mit dem

    wahren Zazen der berlieferung zu tun.

    Unser Zazen (ZZ') trachtet nicht nach Verminderung der Illusion und nach deren

    vlligem Auslschen. Falls jemand dieses Auslschen, im Theravada Nirvana

    oder Satori genannt, fr die letzte Wirklichkeit des menschlichen Lebens

    nimmt, dann hiee dies, da die Wahrheit des Lebens das Nicht-Leben, der Tod

    ist. Im Theravada-Buddhismus sind die Begierden des menschlichen Lebens der

    Grund des Leidens; man lscht sie und sucht nach der Seligkeit des Nirwana. Ist

    jedoch das Suchen, sich vom Schmerz zu befreien und die Seligkeit des Nirwana

    zu erlangen, nicht schon ein Wunsch und eine Begierde? Wer danach strebt, ist in

    Widerspruch mit sich selbst, und mu daher leiden. Daher die warnenden Worte

    des Meisters und die Mahnung eines Sutras: Ihr sollt niemals versuchen, imZazen dem Theravada-Weg zu folgen, dessen Jnger danach streben,

    vollkommen zu werden. Wahres Lebens-Zazen ist anders. Sind doch auch

    Wnsche und Begierden eine Manifestation der Lebenskraft. Daher ist es einfach

    nicht wichtig, sie zu meiden und zu versuchen, sie auszulschen. Wenn es jedoch

    soweit kommt, da Wunsch und Gier uns beherrschen und ganz ausfllen, dann

    zerrinnt das Leben. Dies eine tut not: Unser Leben darf nicht durch Gedanken

    berschattet werden; alle unsere Gedanken und Wnsche sollten wir zwar als

    lebenswichtige Bestandteile ansehen, sie jedoch in ihrem Rahmen be-lassen und

    uns nicht von ihnen vergewaltigen lassen. Dazu bedarf es keiner besonderen

    Anstrengung. Nur eines: aufwachen und zur Lebens-Wirklichkeit zurckkehren!

    In unserem Beispiel heit dies: Selbst wenn allerlei Gedanken (a und b) auf uns

    einstrmen, so werden sie verschwinden, sobald wir zum Zazen erwachen.

    - 38 -

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    Versuche nicht, Scheinbilder zu vertreiben, und suche auch

    nicht zu erfahren, was wirklich ist. Ein solches Suchen kommt

    aus Unwissenheit. Wir Menschen besitzen jedoch Buddha-

    Natur. Selbst unser Krper, der in dieser Welt wie ein

    Phantom erscheint und wieder verschwindet, ist nichts

    anderes als Lebens-Wirklichkeit. Wenn ihr zu dieser erwacht,

    dann gibt es einfach kein Ding mehr. (Yongjia Xuanjue's

    Shodoka)

    In der Tat: wer selbst Zazen bt, kommt mit seinem ganzen Herzen zur

    Erfahrung, da Gedanken nichts sind als ein leeres Erscheinen und Vergehen

    ohne wirklichen Hintergrund. Dies aber kann nicht leicht verstanden werden,

    wenn ihr nicht wahrhaft Zazen bt. Dies mag uerst anmaend erscheinen.

    Gewhnlich ist es uns unmglich, ohne weiteres zu erkennen, da alles leeres

    Kommen und Gehen ist, was sich in unserem Kopfe abspielt. Wir versenken uns

    viel zu sehr in das Denken, und wir leben zu sehr aus der Welt des Denkens

    heraus. Sobald wir etwas wnschen, nehmen wir an, die Tatsache, etwas zu

    wnschen, beinhaltet dies bereits dessen Verwirklichung. Wir fhlen unsverpflichtet, das betreffende Etwas zu suchen; wir laufen ihm berall hin nach,

    und schlielich bleibt uns nur ungeordnetes Verlangen und Gereiztheit.

    Mit anderen Worten: die Ttigkeit in unserem tglichen Leben ist fast ganz vom

    Streben nach Verwirklichung von Ideen bestimmt. Der physiologische Vorgang

    ist dabei folgender: Wir kristallisieren in unserem Geiste ein Bild unserer

    Einbildung; wir fixieren es, um so unserer Illusion, unserem Begehren mehr

    Konsistenz zu geben. Unser Handeln wird daher ganz von Illusionen und

    Begierden bestimmt. Ja, wir knnen sagen, da die Menschen sich gewhnlich in

    dieses hineinstrzen, ohne es selbst gewahr zu werden. Ein Mann, der Sake trinkt,

    lt sich von seiner Einbildung hinwegschwemmen, er wei, da er betrunken

    ist; kommt er jedoch in ein Stadium, wo Sake sich gleichsam selber trinkt, und

    noch weiter, wo Sake den Trinker trinkt, dann lt sich der Mann in seinem

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    Rausche gehen und handelt dementsprechend. Dies als Beispiel. Es gilt fr fast

    alles in der Welt: Der einzelne und die Gesellschaft werden von Begierden und

    Illusionen begleitet und hinweggeschwemmt. Daher die hohe Bedeutung

    unseres Zazen. Wenn wir zum Zazen erwachen, so erleben wir die Erfahrung,

    da alle Dinge, die in unseren Gedanken sich entwickelten, in einem einzigen

    Augenblick verschwinden knnen. Anders ausgedrckt, wir forcieren fast stndig

    den Inhalt unserer Gedanken. Wachen wir jedoch auf, so kehren wir zur Lebens-

    Wirklichkeit zurck, und diese wird zu unserem geistigen Schwerpunkt. Wenn

    Zazen ein Teil von uns wird, und zwar in unserem gesamten tglichen Leben,

    dann beherrschen uns keine Trugbilder mehr, die sonst eben kommen und

    gehen. Wir beginnen dann von neuem unsere Lebens-Wirklichkeit. Von der LinieZZ' her gesehen vermgen wir, den Gedanken, Begierden und Illusionen ihre

    eigentliche Rolle auf der Lebensbhne zuzuweisen. Solange wir auf dieser Welt

    sind, wird es Glck und Unglck geben, Annehmlichkeiten und

    Unannehmlichkeiten, Dinge, die uns anziehen, und solche, die uns kalt lassen, wir

    werden lachen und weinen. All dies spielt sich auf der Ebene ab, die wir die

    Lebensbhne nennen. Wer sich wahllos davon treiben lt, verliert sein

    Gleichgewicht. Im Erwachen zum Zazen aber vermgen wir, den wahren Wert

    und Unwert all dieser Dinge, die selbst whrend unseres Lebens auf uns

    einstrmen, zu erfassen. Wir kommen nun in diesem Zusammenhang wieder auf

    das Ich zurck, das, wie vorher erwhnt, durch die Beziehungen zu den

    anderen bestimmt wird. Wir knnen leicht erkennen, da dieses Ich, das von

    auen her bestimmt wird, die Bhne unseres Lebens, unseres Selbst ausfllt.

    Indessen steht meine Lebens-Wirklichkeit hinter allem Schein. Sie ist zwar dessenUrsache, ohne sich jedoch von ihm beeinflussen zu lassen. Zazen grndet das

    Leben und seine Wirklichkeit, es ist das wahre Selbst.

    Dogen sagt:

    Zazen ist die Praxis des Buddha. Zazen ist Nicht-Tun. Es ist

    die Wirklichkeit des Selbst. Dies und nichts anderes soll auf

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    dem Wege des Buddha gesucht werden. (Shobogenzo,

    Zuimonki, 2. Buch)

    Mit anderen Worten: das Bedeutendste beim Zazen ist nicht, Illusion und

    Begehren zu verringern und vllig mit ZZ' eins zu werden. Gewi kommt esmanchmal dazu, aber selbst dies ist nur ein Teil des Zazen Es bleibt in uns immer

    wieder das Bestreben, von der Grundlinie ZZ' abzuweichen. Worauf es jedoch

    ankommt, ist das Hinstreben zum Erwachen, dem eigentlichen Grund des

    Lebens.

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    _____________________________________

    Sesshin in Antai-Ji

    Sesshin ("hne S.iel$eug)

    Zunchst mchte ich ber unsere Sesshins in Antai-ji sprechen und die

    Erfahrungen zu beschreiben versuchen, die wir hierbei machen. Es ist mein

    Wunsch, Zazen und unser Verhalten zum Leben in diesem Lichte klarer

    hervorzuheben. Seit dem Tode meines Meisters Sawaki Kodo im Jahre 1965

    begann ich, unser Sesshin in folgender Weise zu halten. Jedes dauert fnf Tage,

    und zwar vom Freitag bis Dienstag, so da der Sonntag in die Mitte fllt. Im

    Februar, wenn es kalt ist, und im August, wenn es hei ist, findet kein Sesshin

    statt. Im Juli und im September dauert das Sesshin nur drei Tage. UnserProgramm beinhaltet Zazen und Kinhin, und nichts anderes, von vier Uhr

    morgens bis neun Uhr abends. Wir haben drei Mahlzeiten am Tage und halten

    Kinhin unmittelbar nach jeder Mahlzeit, danach gibt es eine Ruhepause von

    jeweils dreiig Minuten fr persnliche Bedrfnisse. Unsere Sesshins zeichnen

    sich durch zwei Merkmale aus: zunchst durch absolutes Sprechverbot. Wir

    gren uns nicht und haben keinen Kontakt miteinander, wir rezitieren auch

    keine Sutras. Auerdem wird der Warnstab, der Kyosaku, nicht verwendet, der

    dazu da ist, im Falle von Unachtsamkeit oder Schlfrigkeit die benden auf die

    Schulter zu schlagen. Sogar ich selbst, der Vorsteher des Tempels, sitze stndig

    mit dem Gesicht zur Wand und beobachte nicht die anderen beim Zazen. Diese

    beiden Merkmale bilden die Besonderheit der Antai-ji-Sesshins. Jeder einzelne

    mu, unabhngig von den anderen, sein eigenes Zazen kontrollieren. Diese Art

    - 43 -

  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    von Sesshin ist das Resultat verschiedener vorangegangener Sesshin-Erfahrungen.

    Wir ben sie hier seit 1965. Ich glaube, es ist dies der beste Weg, das in die Praxis

    umzusetzen, was mein Meister Sawaki Kodo Roshi mit den Worten ausdrckte:

    "Zazen ist das Selbst, welches das Selbst in das Selbst einbaut.#

    Der Grund fr fnf Tage absoluten Stillschweigens ist, da auf diese Weise, ohne

    mit anderen Verbindung zu halten und ohne Zerstreuung durch andere, der

    Mensch zu jenem Selbst wird, das nichts als dieses ist. Gleichzeitig wird dadurch

    das Sesshin mit seinen fnf Tagen zu einer einzigen Zeitspanne von Zazen ohne

    Unterbrechung. Der Grund, weshalb wir den Warnstab nicht verwenden, ist vor

    allem, weil so jedermann ganz zu seinem eigenen, wahren Ich wird. Da Zazen hier

    bedeutet, alles brige fallenzulassen und, gegen die Wand sitzend, nichts als

    man selbst zu sein, wird dies als schreckliche Lange-Weile im ursprnglichen

    Sinne des Wortes empfunden. Wrde jedoch der Kyosaku die Runde machen, so

    wrde er zu einer Art Spielzeug, und die benden wrden gewissermaen

    beginnen, damit zu spielen. So knnte zum Beispiel einer der ruhig

    dasitzenden Teilnehmer, bald er den Kyosaku in die Nhe kommen sieht, denken:

    Seht nur meine Haltung an! Ist sie nicht fabelhaft! Es besteht kein Grund, michmit dem Stock zu schlagen. Oder auch: Ach diese endlosen Nachmittagsstunden!

    Vielleicht gibt er mir einen Schlag mit dem Kyosaku, das wird mich ein wenig

    erfrischen! Der Mahnstab wre hier zum Spielzeug geworden. Wenn wir

    genauer zusehen, gleicht unser ganzes Leben einer Suche nach Spiel und

    Spielzeug. Dies beginnt schon bald nach unserer Geburt: Das erste Spielzeug ist

    die Milchflasche. Spter sind es Puppen und Teddybren. Werden wir lter, so

    interessieren wir uns fr mechanische Spiele, Fotoapparate und Autos. Und in

    der Jugend ist es das andere Geschlecht, spter Studien und Forschungen,

    Wettbewerb aller Art und Sport. All dies bedeutet schlielich nichts als Spiel. Bis

    zu unserem Tode tauschen wir ein Spielzeug gegen das andere aus, das ganze

    Leben ist nichts als Spielen. Unser Zazen dagegen ist die Lebens-Wirklichkeit. Es

    ist das Ich allein, das zu seinem eigenen, wahren Ich wird. Hier gibt es kein

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    Spielzeug mehr. Es geschieht das, was sich im Augenblick vor unserem Tode

    ereignet, wenn alle Spielzeuge verschwinden. Beim Zazen suchen wir jedoch

    leicht immer wieder nach einem Spielzeug, wenigstens fr einen Augenblick.

    Sobald der Kyosaku uns nahekommt, wird er zum Spielzeug, das Ich wird nicht

    mehr Ich sein. Aus diesem Grunde verzichten wir beim Sesshin auf den

    Warnstab. Was sollen wir aber tun, wenn wir beim Antai-ji-Sesshin schlfrig

    werden? Werden wir etwa ohne Kyosaku, der ja zum Wecken der Mden da ist

    schlafen? Dies ist nicht zu befrchten, da es niemanden gibt der whrend der

    ganzen siebzig Stunden des fnftgigen Sesshins nur schlafen wird. Es liegt an

    euch selbst: Macht Zazen, so gut ihr eben knnt! Ihr sollt euch nicht dazu

    gezwungen fhlen. Es ist eine Praxis die allein von euch abhngt. Es kann aberauch der Fall eintreten, da ihr zwar wach seid, euch jedoch zu Tode langweilt.

    Um die Zeit zu vertreiben, denkt ihr an eine bestimmte Sache und unterhaltet

    euch selbst mit dieser Idee. Es ist aber ganz unsinnig zu meinen, da ihr es so die

    lange Zeit aushaltet; freilich gibt es Menschen, die dazu imstande sind. Seid ihr

    jedoch geistig normal, so ist dies unmglich. Whrend eines Sesshins gleich

    unserem, wo Stunde auf Stunde Zazen in absolutem Stillschweigen dahinluft,

    wrdet ihr euch einfach uerst unbehaglich fhlen und glauben, verrckt zu

    werden. Ein normales Gehirn kann es einfach nicht ertragen, auf lange Zeit hin

    sich an Phantasiegedanken zu klammern. Am Ende begreift ihr es von selbst, da

    es das beste ist, die Illusionen fahrenzulassen und zur korrekten Zazen-Haltung

    zurckzukehren. Anders gesagt: dieses unser Sesshin ist nicht etwa durch

    ueren Zwang bestimmt; ihr kommt einfach, ob ihr wollt oder nicht, zu jenem

    Punkt, wo das Ich in sich selbst zur Ruhe kommt. Ich selbst sitze beim Sesshin wiealle anderen mit dem Gesicht gegen die Wand gekehrt und nicht gegen die

    Teilnehmer. (Gewhnlich ist es nicht der Fall, da der Vorsteher eines Soto-

    Tempels diese Stellung einnimmt.) Ich tue dies, um jeder Beziehung von Mensch

    zu Mensch, jedem Beobachten oder Beobachtetwerden, die Spitze abzubrechen.

    Wrde ich Zazen sitzen in der Absicht, die anderen zu berwachen, so wrde ich

    eben nur dies tun und wahrscheinlich mein eigenes Zazen aus den Augen

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    verlieren. Ebenso wrde, falls jeder sich vom andern beobachtet fhlt, unser

    Zazen ein Haften am andern werden und nicht mehr authentisch sein. In einem

    Sesshin in Antai-ji besteht keine Spur von Anleitung. Daher mssen unsere

    Teilnehmer von vornherein erfat haben, wie ihre innere Einstellung zu sein hat.

    Aus diesem Grunde habe ich bereits einige Schriften darber verfat und bin

    darin soweit wie mglich in Einzelheiten gegangen. Ich wnsche, da meine

    Sesshin-Teilnehmer bereits vorher diese Bcher gelesen und verstanden haben.

    Dieses Bchlein gehrt auch dazu. Wenn dann die Interessierten noch Fragen zu

    stellen haben, knnen sie mich ohne weiteres besuchen und - auerhalb des

    Sesshins - bei mir um Auskunft bitten. Ich bemerke, da Menschen, die meine

    Bcher gelesen haben und sich dann zum Zazen entscheiden, verschieden vonjenen sind, welche ohne diese Vorkenntnisse kommen. Viele Menschen kommen

    und suchen, Zazen intellektuell zu verstehen. Sie sind von didaktischen, oft vagen

    Theorien belastet. Ich mchte, da diese Dialektiker durch ihre eigene Erfahrung

    zu dem Schlu kommen, da Zazen absolut nichts Theoretisches ist, sondern

    etwas, das man tun mu. Daher ermuntere ich sie immer, sich direkt auf die

    Praxis des Zazen einzustellen, dessen Weg nichts als Schweigen ist.

    Za$en au/erhalb der Zeit

    Welches sind nun die Erfahrungen und Wahrnehmungen whrend eines Sesshins

    nach der Art von Antai-Ji? Zunchst die endlose Ausdehnung der Zeit whrend

    der Versenkungsstunden. Dies erinnert uns an zwei Zen-Redensarten: Ein Tag ist

    so lang wie die ganze Vergangenheit der Welt und: Ein Tag ist so lang wieunsere Kindheit. Wie oft sind wir im gewhnlichen Leben in heiterem Gesprch

    mit Freunden oder beim Fernsehen oder sonst mit einer angenehmen Ttigkeit

    beschftigt. Ehe wir uns versehen, ist ein halber oder ein ganzer Tag dahin. Sitzen

    wir jedoch Zazen whrend eines ganzen Tages, so vergeht die Zeit nicht leicht.

    Unsere Knie schmerzen, und unser Kopf fhlt Langeweile. Und, was noch

    schlimmer ist, nichts ist da, uns vor der Langeweile zu retten. Da gibt es nur eines:

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    unsere Versenkungszeit als Lebens-Wirklichkeit in jedem Augenblick

    durchzuleben. Whrend des Sesshins wird alle Ttigkeit durch Glockenzeichen

    geregelt. Zwei Schlge sind das Zeichen frKinhin: Alles steht auf und beginnt

    zugehen. Ein Gedanke erwacht in uns: Jetzt aber bin ich schon von Zazen

    berfttert... Wenn wir noch etwas weiterdenken, dann ist uerst

    entmutigend, sich vorzustellen, da wir erst am Morgen des zweiten Tages

    stehen, da erst weniger als die Hlfte des Sesshins vorber ist. Ohne Zweifel hat

    jeder von uns diese Erfahrung gemacht. Wie kann es uns nur gelingen, ber die

    restliche Zeit hinwegzukommen? Hier hilft nur eins: die Zeit zu berschreiten.

    Wenn wir das, was wir Zeit nennen, nicht vergessen, ist es unmglich, durch die

    vielen brigen Stunden des Zazen hindurchzukommen. Nur wenn wir die Zeitberschreiten und das Zeit benannte Etwas vergessen, begegnen wir der

    nackten Wirklichkeit des Lebens. Das japanische Wort fr Zeit ist toki. Ich

    glaube, es hat einen tiefen Inhalt. Toki kommt von toshi, das schnell, rapid

    bedeutet. Mit anderen Worten: gerade weil wir einen Vergleich anstellen knnen,

    bei welchem wir die dahingleitende Schnelle erspren, ersteht vor uns die

    sogenannte Zeit. Wenn wir nicht vergleichen wrden, so wrden wir auch die

    Schnelle oder Zeit berschreiten; wir wren dann das Selbst, das nur das Selbst

    ist. Wenn wir weiterhin in unserem Sesshin sitzen, so denken wir nicht mehr an

    Zeit. Drei Gongschlge und das Zazen-Sitzen fngt wieder an. Dann zwei Schlge:

    nochmals Kinhin. So folgen wir dem Sesshin. So folgen wir den tnenden

    Signalen und denken nicht weiter daran, ob die Zeit zwischen ihnen kurz oder

    lang ist. Sodann, ohne da wir dessen gewahr wurden, sind fnf Tage vergangen.

    Das Sesshin ist aus. Wir denken: Beim Zazen-Sitzen habe ich vllig die Zeitvergessen. Ich frchte, da dieser letzte Satz beim Leser ein starkes

    Miverstndnis hervorrufen kann. Es wre richtiger zu sagen: Whrend ich mich

    in dieses Zazen und Kinhin begeben habe, sind fnf Tage von selbst

    vorbeigegangen. Ob wir diesen oder jenen Ausdruck gebrauchen, ist von keiner

    Bedeutung, da sie beide die Wirklichkeit nur andeuten. Worauf es ankommt, ist

    die persnliche Erfahrung. Auf alle Flle zeigt uns diese Art von Erfahrung, was

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    eigentlich die sogenannte Zeit bedeutet, und auch, was auerhalb der Zeit

    bedeutet. Gewhnlich haben wir das Gefhl, inmitten der Zeit zu leben. Hier

    erleben wir das Gegenteil: Das Leben unseres Selbst, unseres Ich schafft die Zeit.

    Ferner, wenn wir Zazen ben, kreuzen wir die Beine, bewegen den Leib nicht, wir

    halten uns vllig ruhig; man knnte sagen, da diese Stellung schmerzvoll sei im

    Vergleich mit unserer normalen Lebensweise, in der wir uns nach Belieben

    bewegen knnen. Wenn wir bei einem Sesshin darber nachgrbeln, wie

    schmerzvoll Zazen ist und wie tapfer wir diesen Schmerz durchhalten, so wird es

    uns unmglich sein, die ganzen fnf Tage gut durchzuhalten. Gewi, selbst dann

    knnen wir zwei oder gar vier oder fnf Stunden Zazen sitzen, entsprechend

    unserer Fhigkeit und Geduld, Schmerz zu ertragen, jedoch vermgen wir nicht,einen ganzen Tag lang und noch viel weniger ein ganzes Sesshin von fnf Tagen

    zu ertragen. Undenkbar, aus eigenen Krften heraus mo-nate- und jahrelang ein

    solches Zen-Leben zu fhren. Selbst wenn der Krper es aushielte, wre es

    sinnlos. Es wre eine knstliche Geste, eine Art Schaustellung der eigenen

    Fhigkeit, auszuhalten und zu dulden. Nein, das Wichtigste bei unseren Sesshins

    ist, ber den eitlen Gedanken hinauszukommen: Wie schwierig ist dies, und wie

    wundervoll ertrage ich die Pein! Ihr mt einfach im Zazen untergehen, in

    jenem Selbst, welches das Selbst als solches in sich einbaut. Unbewegliche

    Haltung! Nur dann verrinnt die Zeit von selbst. Weg mit den migen Gedanken

    ber die Mhe und Unannehmlichkeit, die ihr erduldet: nur so wird euer Sesshin

    leicht. In dieser wichtigen Erfahrung sprengt ihr eure Gedankengrenze, und ihr

    vermgt es, Unbehagen und selbst Schmerz zu vergessen. Fhren wir einen

    Vergleich aus dem tglichen Leben an. Wenn uns schwere Probleme und Unglckbedrcken, sind wir gewohnt zu kmpfen, und wir verstricken uns damit noch

    tiefer. Handelt es sich aber um jemand anderen, so begreifen wir sein Problem

    leichter. Wenn es unseren Nchsten angeht, so geben wir ihm als Beobachter den

    Rat, nicht zu kmpfen und sich vielmehr zu beruhigen. Als Auenstehende

    knnen wir dies kalten Blutes sagen. Geht es aber uns an den Kragen, dann

    wehren wir uns mit Hnden und Fen. Wie knnen wir nur dieses Ich, das sich

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    so strubt, daran hindern und zur Ruhe bringen? Dazu gibt es nur einen Weg:

    Unsere Gedanken zu sprengen, so da sie sich nicht an unser persnliches Leiden

    und Ringen klammern. Auf unseren Fall bezogen, geht unser Sesshin diesen Weg:

    Wir mssen uns in einen Zustand versetzen, der diesseits aller Unterscheidung

    von einer Ich-Macht und einer Macht von auen steht. Wir machen unser Zazen

    gleichsam auf einer anderen Ebene, diesseits von Aushalten und Leiden und

    auerhalb der Zeit.

    Za$en 0 S.iegel des *ebens

    Wir kommen nun zu einer weiteren Erfahrung, die wir bei den Antai-ji-Sesshinsmachen. An einem Septembertage kamen zwei Amerikaner, J. und F., die recht

    gut japanisch sprachen, mit ein paar Fragen zu mir. Beide hatten bei uns ber ein

    Jahr geweilt und unsere Sesshins mitgemacht. Wenn ich Zazen be, mu ich

    dann nicht zur Erfahrung des Satori kommen?, war ihre erste Frage. Ich

    antwortete: In Japan scheinen Satori und Zen in enger Beziehung zueinander zu

    stehen; sobald jemand sagt: Satori, denkt jedermann an Zen und

    umgekehrt. Satori ist nun ein schwerwiegender Begriff, und es wre besser, dieses

    Wort nicht zu gebrauchen. Ich sage dies, weil gewhnlich die Leute Satori als

    Gegensatz zu Verwirrung, Unklarheit, Unwissenheit ansehen, als wren sie

    einander entgegengesetzte Begriffe. Es handelt sich hier um den allgemeinen

    Sprachgebrauch. Das wahre Satori des Shakyamuni ist jedoch nichts dergleichen.

    Es wird uns berichtet, da Shakyamuni im Augenblick, als er das Satori erreichte,

    ausrief:Ich habe den Weg zugleich mit der ganzen Erde und mit

    allen fhlenden Wesen erlangt. Alles: Berge, Bche, Bume,

    Gras alle sind zu Buddhas geworden.

    Fr Shakyamuni war Satori nicht etwas, das ihm allein zukam. Es war das Satori

    des Lebens, das ihn und alle Dinge miteinschlo. Eine solche Wahrheit geht

    manchmal ber das Fassungsvermgen gewisser Leute. Das Sutra des Herzens

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    oder von der groen Weisheit, Prajna Paramita genannt, drckt etwas

    hnliches aus, dort heit es:

    Es gibt keine Geburt und keinen Tod, nichts Reines noch

    Unreines, kein Wachstum noch Verdorren.Dies bedeutet: Satori jenseits von Geburt und Tod, von Reinem (Satori) und

    Unreinem (Verworrenheit, Unklarheit, Unwissenheit), von Wachsen und

    Verfallen. Es bedeutet: Zur Wirklichkeit des Lebens erweckt (erleuchtet) zu

    werden, die, physisch gesehen, vor allen Unterscheidungen von Ich und den

    anderen, vor Unwissenheit und Erweckung steht. Andererseits steht fest: Wenn

    jemand Versenkung bt und sich auf Grund dessen rhmt: Ich habe Satori

    erreicht!, so ist sein Satori etwas, das nur seinem Ich angehrt. Es ist dies ein

    Satori, das im Nachhinein kommt, nach logischen Unterscheidungen. Es entsteht

    nur aus vernunftmigem Denken, als Produkt des schlecht vorbereiteten

    Geistes.

    Hren wir dazu ein Wort des Altmeisters Dogen:

    Wenn ihr euch die Idee des Satori als Ziel in den Kopf setzt,

    so wird die daraus erfolgende Erweckung wertlos sein. Satori

    ist nicht das Ziel. Da es alle Dinge berschreitet, kann nur

    Satori dem Satori mit seiner Macht zu Hilfe kommen.

    Erfahret, da es Unwissenheit nicht gibt! Erfahret, da es

    Satori nicht gibt! (Shobogenzo, Kapitel: Yubutsu yo butsu,

    wrtlich: Nur Buddha ergibt den Buddha)

    F. entgegnete nun folgendes: Wenn ich Zazen be, kommen Tage, wo ich trotz

    aller Bemhungen, meine Gedanken fernzuhalten und mich in richtige Haltung

    zu versetzen, nicht umhin kann, ihnen nachzugehen. An anderen Tagen wieder

    gelingt es mir, Zazen mit vllig offenem Sinne zu machen, ohne da Gedanken

    aufsteigen. Wrden Sie dies Satori oder Kensho (Wesensschau) nennen? Ich

    antwortete darauf: Gewi, wenn Sie Sesshin erleben wie jene in Antai-ji, so

    werden Sie diese Erfahrung oft machen. Wenn Sie aber die Tage, an denen Sie

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  • 8/11/2019 Uchiyama Roshi - Weg Zum Selbst - Zen-Wirklichkeit

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    den Gedanken nachjagen mssen, >Wirrnis oder Unwissenheit< Ihre guten Tage

    aber >Satori< nennen, dann ist diese Art von Unklarheit und Satori nur durch

    die Temperatur und die Feuchtigkeit bedingt. Hier in Antai-ji haben wir das

    ganze Jahr hindurch sehr unterschiedliches Wetter, und selbst whrend eines

    einzigen Sesshins kann das Wetter stark wechseln. Durch Ihre Erfahrungen, die

    sich ber mehr als ein Jahr erstrecken, werden Sie wohl den Zusammenhang

    zwischen der Temperatur drauen und Ihrer persnlichen seelischen Verfassung

    erfat haben. Im allgemeinen werden Sie dies fhlen, sobald gewisse

    Wetterbedingungen eintreten. Ist es erstickend hei, so mgen Sie sich noch so

    sehr bemhen; Ihr Kopf scheint zu gren und Sie kommen zu nichts. Wenn

    jedoch die Luft trocken ist und ein khler Abendwind weht, klrt sich Ihr Kopf,und Sie kommen zu einem guten Zazen. In beiden Fllen handelt es sich um eine

    Wechselbeziehung zwischen Ihrem Organismus und dem Wetter. Sicher ist im

    zweiten Fall Ihre Zazen-bung ausgezeichnet, aber das heit nicht, da dies

    schon ein gutes Zazen sein mu; wie auch umgekehrt ein Zazen unter

    ungnstigen Umstnden kein Versager ist. Unabhngig davon kommt es darauf

    an, da Sie Zazen