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Ober das Messen (die quantitativen Verfahren) in der Sinnesphyaiologie.' Die topologische und die metrische Bestimmung der Sinnesinhalte. Von Yrjo Renqvist. (Aus dem Physiologischen Institut der Universitat Helsinki.) (lilt lJ FllflIren 1m Text.) Im folgenden soll versucht werden darzulegen, wie die in der quanti- tativen Sinnesphysiologie bzw. -psychologie benutzten Verfahren, ins- besondere die Versuche zur Untersuchung der UnterschiedsschweHen oder des Weberschen Gesetzes im Grunde Versuche zur Bestimmung einer auf dem Gebiete der entsprechenden Sinnesinhalte herrschenden Metrik (und Topologie) sind. Zu diesem Zweck ist es angezeigt, zunaehst etwas eingehender die Grtinde und den Sinn des quantitativ-messenden Verfahrens im allgemeinen zu untersuchen. Die folgende Darstellung der Bedeutung des Messens folgt R. Carnap (Physikalische Begriffsbildung. G. Braun, Karlsruhe 1926. Siehe auch H. We y I, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft). Eine GroBe wird festgelegt durch folgende Bestimmungen: 1. Die topologische Definition einer GroBenart grtindet sich auf den Befund, daB zwischen den Objekten eines Bereiches oder zweier Bereiche eine transitive, symmetrische und eine transitive asymmetrische Beziehung bestehen. Die erste Beziehung veranlaBt zur Bildung eines Gleichheitsbegriffes, die zweite zur Bildung des Begriffes einer bestimm- ten GroBenart. Die Zuschreibung der Zahlen (topologische Definition) zu den Objekten muB dann so geschehen, daB a) den Objekten, zwischen denen die transitive symmetrische Be- ziehung besteht, gleiche Zahlen zugeschrieben werden; b) einem Objekt, das in der transitiven asymmetrischen Beziehung zu einem anderen steht, eineniedrigereZahl als demanderen zugeschriebenwird. t Der Redaktion am 15: Dezember 1931 zugegangen. 20*

Über das Messen (die quantitativen Verfahren) in der Sinnesphysiologie Die topologische und die metrische Bestimmung der Sinnesinhalte

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Ober das Messen (die quantitativen Verfahren)in der Sinnesphyaiologie.'

Die topologische und die metrische Bestimmungder Sinnesinhalte.

VonYrjo Renqvist.

(Aus dem Physiologischen Institut der Universitat Helsinki.)

(lilt lJ FllflIren 1m Text.)

Im folgenden soll versucht werden darzulegen, wie die in der quanti­tativen Sinnesphysiologie bzw. -psychologie benutzten Verfahren, ins­besondere die Versuche zur Untersuchung der UnterschiedsschweHenoder des Weberschen Gesetzes im Grunde Versuche zur Bestimmungeiner auf dem Gebiete der entsprechenden Sinnesinhalte herrschendenMetrik (und Topologie) sind.

Zu diesem Zweck ist es angezeigt, zunaehst etwas eingehender dieGrtinde und den Sinn des quantitativ-messenden Verfahrens im allgemeinenzu untersuchen. Die folgende Darstellung der Bedeutung des Messens folgtR. Carnap (Physikalische Begriffsbildung. G. Braun, Karlsruhe 1926.Sieheauch H. We yI, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft).

Eine GroBe wird festgelegt durch folgende Bestimmungen:1. Die topologische Definition einer GroBenart grtindet sich auf

den Befund, daB zwischen den Objekten eines Bereiches oder zweierBereiche eine transitive, symmetrische und eine transitive asymmetrischeBeziehung bestehen. Die erste Beziehung veranlaBt zur Bildung einesGleichheitsbegriffes, die zweite zur Bildung des Begriffes einer bestimm­ten GroBenart. Die Zuschreibung der Zahlen (topologische Definition)zu den Objekten muB dann so geschehen, daB

a) den Objekten, zwischen denen die transitive symmetrische Be­ziehung besteht, gleiche Zahlen zugeschrieben werden;

b) einem Objekt, das in der transitiven asymmetrischen Beziehung zueinemanderen steht, eineniedrigereZahl alsdemanderen zugeschriebenwird.

t Der Redaktion am 15: Dezember 1931 zugegangen.20*

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296 YRJO RENQVIST:

Viele quantitative Verfahren der Sinnesphysiologie basieren darauf,daLl gleiche, wenigstens in irgendeiner Hinsicht gleiche Sinnesinhalte"aufgesucht" und dann "das Entsprechende", die Reize, miteinanderverglichen werden. Und das Wesentliche bei der "Aufsuchung" bei derBestimmung der Reize ist, daJ3 man sie so aufzufinden versucht, daLl auchsie gleich groJ3, entsprechend den gleichen Sinnesinhalten, seien, d. h.man setzt diejenigen im allgemeinen physikalischen GroJ3en, welche beigleichen entsprechenden Sinnesinhalten gleich groJ3 sind, als Reize,definiert sie als Reize. Dies aber ist, dem oben Angefiihrten gemaJ3,eben eine topologische Definition einer GroJ3enart. Zwischen den Ob­jekten (den Sinnesinhalten und den begrifflichen physikalischen GroJ3en)besteht eine transitive symmetrische Beziehung, und ihnen werdengleiche Zahlen zugeschrleben, d. h. der Gleichheit auf der einen Seitewird eine Gleichheit auf der anderen Seite entgegengestellt.

Ein Beispiel hiervon sind in unserem Institut ausgefiihrte Versuchezur Bestimmung der Kraftempfindungstopologie bei Beugungen im Ell­bogengelenk.! In diesen Versuchen sollten die Reize, das begrifflichEntsprechende von gleichen Spannungsempfindungen im Arm, auf­gesucht werden. Es ergab sich, daJ3 bei leichten Bewegungen (kleinenzu iiberwindenden Kraften) gleichen Spannungsempfindungen gleiche"auJ3ere", am Apparat und an der Haut wirkende Krafte, bei schwerenBewegungengleich groJ3e Muskelkrafte (berechnet mit Beriicksichtigungder Hebelverhaltnisse) entsprechen. Wenn wir nun die Hautdruckkrafteim ersteren, die Muskelkrafte im zweiten Fall als Reize der Spannungs­empfindungen setzen, die gleich groJ3en Spannungsempfindungen durchdiese begrifflichen GroJ3en bestimmen, sind die Spannungsempfindungendurch diese GroJ3en begriffsmaJ3ig, topologisch definiert.

Weitere Beispiele der topologischen Bestimmung von Sinnesinhaltensind aIle absoluten Reizschwellenbestimmungen. Es wird in solchenVersuchen eine solche begriffliche, physikalische GroJ3enart aufgesucht,welche eine gleiche GroJ3e bei den entsprechenden, eben merklichenSchwellenempfindungen aufweist.

2. Damit eine GroJ3e auch nach ihren einzelnen Werten, d. h.metrisch und nicht nur topologisch, d. h. nach der Gleichheit (undnach der Richtung des Unterschiedes) bestimmt sei, mussen weitereFeststellungen gemacht werden. Die wesentlichste ist die folgende.

Es ist eine Skalenform zu wahlen, d. h. eine Festsetzung dariiberzu treffen, wann zwei Skalenstrecken, also zwei GroJ3endifferenzen

1 Riitta Wangel, Eeva Elmgren, K. v. Bagh und Y. Renqvist,Kraft- und Liingenmetrik der Bewegungsempfindung bei Beugungen im Ellbogen­gelenk. I. Kraftmetrik. Dies Arckitl. 1931. Bd.L.XIII. S.133.

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der betreffenden GroBe, als gleich gelten sollen. Es ist hierbei zu bemerken,daB (vgl. Carnap, Physikalische Begriffsbildung, S.23) die Gleichheitder Skalenstrecken oder GroBendifferenzen wohl von der Gleichheit derGroBenwerte selbst zu unterscheiden ist; diese letzteren sind, und sie allein,durch die topologische Bestimmung schon festgelegt. Die Festsetzungder Skalenform wird meist so gewahlt, da.l3 die Gesetze, die Formeln,in welchen die GroBen auftreten, eine moglichst einfache Form an­nehmen.

Wenn verschiedene Skalenformen gebraucht werden, treten im mathe­matischen Ausdruck verschiedene Funktionen der GroBe auf; die ein­fachste unter den Funktionen ist naturlieh die GroBe selbst.

Die Verfahren zur Untersuchung der Unterschiedsschwellen und desWeberschen Gesetzes sind nun in der Tat Versuche zur Bestimmungeiner auf dem Gebiete der entsprechenden Empfindungsinhalte herrsehen­den Metrik. Die Sinnesinhalte sind im gewohnlichen Sinne, d. h. mitHilfe begrifflicher GroBen (physikalischer Gro.13en) nicht direkt me.13bar.Es kann aber eine Zuordnung der Sinnesinhalte zu den begrifflichenGroBen (ihren Reizen) aufgezeigt werden, welche eine Beschreibung oderBestimmung der ersteren mit Hilfe der letzteren gestattet. So wird beider Bestimmung der Unterschiedsschwellen untersucht, wie die Reiz­differenzen, d. h. die den Sinnesinhalten zugeschriebenen, .sie dar­stellenden GroBen, sich zueinander verhalten, wenn die Sinnesinhalts­differenzen selbst aIle eben merklich sind (oder allgemeiner, wenn dieInhaltsdifferenzen untereinander gleich sind, wie die Untersuchung auchgetrieben werden kann, wenn sie nicht auf eben merkliche Unterschiedeausgeht). Es werden hierbei, analog wie im Falle der topologischenDefini­tion, solche GroBen oder GroBenfunktionen aufgesucht, welche einfachsind, im allgemeinen beim "Fortschreiten" in der Reihe der Unterschieds­schwellen Konstanz aufweisen. Eine solche begriffliche Bestimmung dereben merklichen Empfindungszuwachse ist das We bersche Gesetz. Esbesagt, da.l3 eben merkliche Empfindungszunahme auf den meisten Sinnes­gebieten durch eine physikalisch definierte GroBe (Reiz) folgenderma.l3enbestimmt werden kann: wenn man die Grundempfindung (E) durch einephysikalische GroBe (R) beschreibt, so kann die eben merkliche Emp-

findungszunahme durch eine Relation ill: beschrieben werden, Ll E =

il: 'worin Ll R den Zuwachs der physikalischen GroBe (Reiz) darsteIlt,

welche Relation au.l3erdem eine ziemlich gute Konstanz aufweist

(AI: = konst.), wenn von nicht allzu kleinen oder aIlzu groBen Grund­

empfindungen ausgegangen wird. Nun ist es deutlich, daB die Be­stimmung durch verschiedene physikalisch-begriffliche GroBen erfolgen

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kann und daB die Wahl dieser Gro.6en (die Wahl der GroBe, welche alsReiz angesprochen wird) durch die Form der obengenannten Funktion

(z. B. Ll::) bedingt ist.

Man muf sagen, daB die Wahl dieser Reizgro.6en im allgemeinenohne Einsicht darein erfolgt, da.6 ihre Wahl die Form des Ausdrucksbestimmt und der springende Punkt der ganzen Reizdefinition, der Kernder Begriffsbeschreibung der Sinnesinhalte, der .Psychophysik" derSinnesinhalte ist. Als R bzw. Ll R wird im allgemeinen die sich am"nattirlichsten" darbietende physikalische GroBe angenommen; physi­kalische Lichtintensitat bei Untersuehung der Empfindung der Hellig­keit usw. Wir werden sehen, da.6 diese willktirliehe Wahl der Reize dieUrsaehe dazu ist, daB in einem beschrankten Umfang der Untersehieds­sehwellen der meisten Sinnesgebiete ein Gesetz von der Form desWeb ersehen herrseht, da.6 dagegen auf beiden Seiten des Gtiltigkeits-

umfanges dieses Gesetzes Ll1: immer gro.6ere Werte annimmt (Ver­

teilung naeh Wahrseheinlichkeit).Die Festsetzung der Skalenform wird, wie gesagt, im allgemeinen so

gewahlt, da.6 die Form der Bestimmung moglichst einfaeh wird. Dieeinfaehste Form zur Bestimmung der Sinnesinhaltsdifferenzen (Unter­schiedsschwellen) ware, eine solche GroBe ausfindig machen zu konnen,welehe selbst (also keine Funktion von ihr) eine Konstanz aufwiese,deren den eben merkliehen Sinnesinhaltsdifferenzen entspreehendeGro.6endifferenz Ll R also konstant ware.

Wenn es gelange, die Untersehiedsschwellen dureh geeignete Wahlder Reizgrol3e in dieser einfaehsten Weise zu bestimmen, so wtirde dieMetrik des dem Empfindungsgebiete zugeordneten beschreibendenphysikalisehen (Reiz-) Gebietes homogen sein.

Die in der vorigen Arbeit- besehriebenen Experimente zur Be­stimmung der Untersehiedssehwelle des Spannungssinnes zeigen nun,dal3 eine solehe Wahl moglich ist. Es ergab sieh, da.6 die Spannungs­zunahme zur Erzielung eben merklieher Spannungsempfindungszunahmenimmer gleieh gro.6 sein muli, gleiehgtiltig, welehe die Grundspannungund die Grundspannungsempfindung waren. Die Spannung, also einephysikalisehe Gro.6e, vermag mithin die Spannungsempfindungsdifferenzenzu besehreiben dureh den Ausdruck Ll R = konst. Oder wenn man dietibliche Bezeiehnung der "psycho-physisehen" Formel braucht, zlE =zl R = konst. Das ist ein Ausdruek von der einfaehsten moglichen Form.

1 Renqvist, Y., E. Elmgren und K. v. Bagh, Dies Archiv. 1932.Bd. LXIII. S. 285.

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Er charakterisiert auch eine homogene Metrik der ReizgroBen. D. h.die Schritte, die Zuwachse oder Differenzen der Spannungsempfindung,die Empfindungsunterschiedsschwellen werden durch die Reize (physi­kalische Entsprechungen) als aIle gleich groB beschrieben. Also istdie Spannung, der physikalische Kraftbegriff, ein zweckmaJ3iger Begriffzur einfachen begrifflichenBeschreibung der Spannungswahrnehmungen,nur dies bedeutet es, wenn man sagt, daB es auf diesem Gebiet eine abso­lute Reizunterschiedsschwelle gibt.

Auf den anderen Sinnesgebieten hat man im allgemeinen nicht dieentsprechend zweekmalsigen ReizgroBen, also die der metrischenSkalenform der begrifflich definierten Sinnesinhalte die einfache Formgebenden GroBen finden und definieren konnen. Eine Ausnahme dUrfteder Temperatursinn bilden (Hahn, vgl. unten). Und auf dem Ge­biete des Lichtsinnes ist die unten zu besprechende Hypothese vonH ech t ein Versuch, eine die obige Forderung der Einfachheit (derHomogenitat der Metrik) erfUllende ReizgroBe auf diesem Gebietzu finden.

Hahn! hat auf dem Gebiete der Temperaturempfindungen gezeigt,daB, wenn die Adaptation der Haut von den Versuchen dadurch aus­geschaltet wird, daB die Versuchsperson beim Bestimmen der Unter­schiedsschwellen die Empfindung ihrer beiden verschieden temperiertenUnterarme und Hande im erst en Augenblick der Reizsetzung vergleicht,man das Ergebnis bekommt, daB den eben merklichen Empfindungs­unterschiden gleich groBe a b sol ute Temperaturdifferenzen entsprechen.Wenn aber die Versuche so angeordnet sind, daB die sehr bedeutendeTemperaturadaptation ihre Wirkung entfalten kann, und in dieser Weisewaren im allgemeinen die Versuche auf diesem Gebiete frUher angeordnet,so erhalt man das Resultat, daB den eben merklichen Empfindungs-

zuwachsen gleiche relative Reizzuwachseentsprechen, also ,11: = konst.

Ohne Adaptation haben wir also auf dem Gebiet der Temperaturempfin­dungen die allereinfachste Skalenform der Metrik, wenn die Temperatur­differenz bzw. die Temperatur als Reiz angesetzt wird. Ein Pendanthierzu ist es, daB ohne Adaptation zwei gleicheTemperaturen die gleicheTemperaturempfindung "hervorrufen", ohne Adaptation die GroBeTemperatur also auch topologisch den Sinnesinhalt bestimmt. MitAdaptation ist es naturlich nicht so; zwei gleichen Empfindungen konnendann zwei ganz verschiedene Temperaturen entsprechen. Der Fall mitAdaptation ist wahrscheinlich sowohl topologisch als metrisch vielschwerer zu definieren.

1 Hahn, H., Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 1929. Bd. LX. S. 162.

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YRJO RENQVIST:

Die sehonen Untersuchungen von Hecht! tiber das WeberscheGesetz auf dem Gebiete der Gesichtsempfindungen gehoren auch hierher.Wenn die den Unterschiedsschwellen entsprechenden ReizgroJ3endiffe­renzen durch die GroJ3e Lichtintensitat (1) definiert werden, wird dieForm der Metrik auf einem besehrankten Gebiet der Gesiehtsintensitats-

inhalte durch den Ausdruck ~l = konst., also durch das Webersche

Gesetz dargestellt. Bei kleineren und bei groJ3eren Grundempfindungen

wird aber ~I groJ3er als bei den obengenannten mittleren Intensitaten,

und auJ3erdem ist dieser Ausdruck dann auch nicht mehr konstant. DieWahl der Lichtintensitat zur beschreibenden ReizgroJ3e ftihrt also zukeiner einfachen Form der die Inhalte bestimmenden Formel. Hechthat nun gezeigt, daf man bei Annahme eines in der Retina stattfindendenphotochemischen Prozesses, dessen Art ganz unbestimmt bleibt, - nur dieOrdnung der Reaktion mu.6 vorausgesetzt werden -, das theoretische Er­gebnis erzielen kann, daJ3 den eben merkliclien Empfindungszuwachsenimmer gleich gro.6e Mengen zersetzter photoempfindlicher Substanz (8)bzw. eine konstante Anzahl neu in Aktion tretender (Retina-) Elementeentspricht. Wenn diese Substanzmenge bzw. diese in Aktion tretendeElementanzahl als ReizmaJ3 der Unterschiedsschwellen angesetzt wird,ist also die einfachste Form, L1 8 = konst., zur metrischen Bestimmungder entsprechenden Sinnesinhalte erreicht, .

Es erhebt sich noch die Frage, warum die Metrik auf einigen Sinnes­gebieten zwanglosdurch die einfache Form L1 R = konst. bestimmt werdenkann (Spannungsempfindung, Temperaturempfindung), auf anderen Ge­bieten (Gesichtsempfindungen) durch diese Form nur mit Hilfe vontheoretischen Ansatzen, die den "Reiz" von der Au.6enwelt in dasAuge hineinverlegen, zu beschreiben ist, und warum schlie.6lich dieMetrik der meisten Sinnesgebiete durch diese homogene Art bis jetztnicht zu bestimmen war.

Ein Beispiel vom Gebiete der elektrischen Reizphysiologie ist beider Behandlung dieser Frage sehr instruktiv. Wie bekannt, kann dieelektrische Reizbarkeit der Muskeln des Frosches gut durch die Hoor­wegsche Hyperbelformel dargestellt werden. D. h. bei der Schwellen­zuckung eines Muskels werden die zur Zuckung erforderliche elektrischeSpannung V und die Reizzeit t durch die Formel (V-R)· t = a be­stimmt, wo R die sog. Rheobase, d.h. die bei langer Reizzeit erforderlicheelektrische Spannung und a den Hyperbelparameter darstellen. In unserem

1 Hecht, S., Die physikalische Chemie und die Physiologie des Sehaktesin ErgeJmiBse der Physiol. 1931. Bd. XXXII. S. 243.

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Institut ausgeftihrte Arbeiten (Renqvist u. Hirvouen! sowie Hir­vo n ent) haben gezeigt, daB die Hoorwegsche Formel nicht nur fUrSchwellenzuckungen, sondern auch fUr unter sich gleich starke Zuckungengilt. Bei einer bestimmten Muskelspannung sind eine bestimmte Anzahl

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motorischer Muskeleinheiten in Funktion, bei einer unbedeutend kleinerenMuskelspannung ist die Anzahl funktionierender Muskelelemente um dieAnzahl derjenigen vermindert, welche eben erst durch die die unbedeutendhohere Muskelspannung bedingende Reizzunahme in Aktion treten. DieReizgronen, welche der hoheren Muskelspannung entsprechen, ent­sprechen also auch diesen Muskeleinheiten. Wenn man die Reizpara­meter (R und a) bestimmt, welche verschiedenen Muskelspannungs­groBen (von der Minimal- bis zur Maximalspannung) entsprechen, kannalso die Reizbarkeit aller motorischen Elemente des Muskels, die Reiz­barkeit des Gesamtmuskels klargelegt werden. Es zeigte sich nun, daB

1 Renqvist, Y. und Hirvonen, M., Vortrag, gehalten am 3. nordischenPhysiologenkongreB in Kopenhagen 1931. Dies Archill. Bd. LXIII. S.94.

2 Hirvonen, M., Ebenda. 1932. Bd. LXIV.

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der Hyperbelparameter a fur aIle Muskelelemente (aIle Muskelspannungen)gleich grol3 ist, daB dagegen der Parameter R, die Rheobase, sich auf dieverschiedenen Elemente gemal3 dem Verteilungssatz des Wahrscheinlich­keitskalktils zerstreut. D. h. die Muskelspannung bzw. die Anzahl funk­tionierender Elemente als Funktion der Rheobasenspannung gibt einesigmoide Kurve, mit flachem Anfangs- und Endanstieg und steilemAnstieg in der Mitte, urn den Wendepunkt der Kurve (Fig. 1). Da dieReizhyperbeln der verschiedenen motorischen Elemente aIle von gleicherForm sind (a = konst.) und nur senkrecht tibereinander stehen, bedeutetdiese Verteilung der R-Werte unter ihnen, dal3 die Anzahl der Elemente,welche eine mittlere Rheobase (mittelhoch gelegene Hyperbeln) haben,grol3 ist, dal3 dagegen die Anzahl der mit grol3erem oder kleinerem Rversehenen Elemente immer geringer wird, je mehr man sich den

Rheobasen des SchweIlen- bzw.des Maximalelementes nahert.DieFig. 2 gibt schematisch diesesVerhalten wieder.

Wir sehen, die Verteilungder Rheobase unter den Muskel­elementen ist analog der Ver­teilung der Liehtintensitat unterden Elementen der Netzhautgemal3 Hecht. Wie sich ausseiner theoretischen Deutungder Schlul3 ergibt, dal3 die Licht­intensitat, eben weil sie sich nurgemal3 der Wahrscheinlichkeitauf die Unterschiedsschwellenverteilt, ein ganz arhitrarer

Fig. 2. Mal3stab, wie ich es ausdrtickenmoehte, eine ganz zufallige be­

griffliche Beschreibung der Metrik der Sinnesinhalte der Unterschieds­schwellen ist, welche keine einfache Form der Bestimmung gibt, so folgtaus dem analogen Sachverhalt der Muskelelektrophysiologie, daB dieRheobase auch nur in arbitrarer Weise einen Reizmal3stab fur dieZunahme der Muskelspannung liefert, wenn diese durch nacheinander­folgendes Infunktiontreten des einen Elementes nach dem anderenerfolgt. Die Rheobase als Wahrscheinlichkeitsfunktion der Elementeist ein ganz zulalliger Mal3stab ihrer Reizbarkeit. Dagegen kanndie Konstanz des Hyperbelparameters a zur Begrtindung einer ein­fachen Metrik der Reize gebraucht werden, und dies kann durch eineInterpretation geschehen, welche den Gedankengangen von Hecht

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analog ist. Man kann also ein Modell konstruieren (ein chemischesModell der Nervenmuskelreizbarkeit), welches, wie die anderen Mo­delle (Kemleiter-, Membranmodelle usw.) die Resultate der Reiz­versuche zusammenzufassen versucht. Dies soll in einer anderen Arbeiterfolgen.

Die "ZufiUligkeit" der Rheobase als Reizma.6 wird auch durch eineandere Feststellung klar beleuchtet. Die Versuche in unserem Institutergaben1, da.6 bei dem M.gastrocnemius und dem M.peroneus des Froschesdie Differenz der Rheobase des Maximal- und des Minimalelementes ineinem konstanten Verhaltnis zur Rheobase des Minimalelementes steht.Das kann auch so ausgedrtickt werden, da.6 das Verhaltnis der Rheobasendes mittleren und des Schwellenelementes eine Konstante ist (auch dasVerhaltnis der entsprechenden Chronaxien (r) ist konstant, da a = konst.und R· r = a). Dies bedeutet, daf die prozentische Zerstreuung derRheobasenwerte der Elemente jedes Nervenmuskels konstant ist; dieZerstreuungsbreite ist proportional der mittleren Rheobase. In dieserWeise verhalt sich, gema.6 der Wahrscheinlichkeit, eben eine in ein Gebieteingeftihrte ganz arbitrate Gro.6e.

Die sigmoiden Kurven der Reizabhiingigkeit, welche auf so vielenGebieten sowohl der Reiz- wie der Sinnesphysiologie auftreten, durftenauch eine zwanglose Erklarung dafiir geben, warum das WeberscheGesetz die Metrik auf diesen Gebieten in eincm beschrankten Umfangbestimmt. Die Sigmoide sind in ihrem mittleren Verlauf, auf beidenSeiten ihres Wendepunktes, relativ geradlinig, und dies bedingt, da.6 einescheinbar lineare Abhiingigkeit der Reizdifferenzen von den Grundreizenvorgetauscht wird, und zwar bei beinahe jeglicher Wahl der Reizma.6e,wie sie im allgemeinen ziemlich willkiirlich geschieht. Diese Reizma.6e,diese Art, die Metrik des Gebietes zu bestimmen, ist aber natiirlicheigentlich nichtssagend; eine Wahrscheinlichkeitsbeziehung ergibt sichbei jeder Wahl der Ma.6e. Die einzige ausgezeichnete Art, die Metrik zubeschreiben, ist die, welche der Beschreibung die einfachste Form zugeben gestattet. Und der dementsprechenden Definition der Ma.6e,z. B. der Reizgrolsen, welche begrifflich die Differenzen des Gebietes,z. B. die eben merklichen Sinnesinhaltsdifferenzen, oder die kleinst­moglichen Zunahmen der Muskelspannung, die motorischen Einheitenbeschreiben, ist vor allen anderen Definitionen der Vorzug zu geben.

1m Anschlu.6 an Hecht konnen wir die gewif nur theoretisch voraus­gesetzte chemische Umsetsungsgrolse bzw. das Infunktiontreten derSehelemente als Ma.6, als Reizgro.6e zur Beschreibung der Metrik desLichtempfindungsintensitatsinhaltes nehmen und konnen hierdurch der

1 Die Versuche werden spater veriiffentlicht.

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Bestimntung der Metrik die sehr einfache Form .18 = konst. geben.Dasselbe ergibt sich auf dem Gebiete des Temperatursinnes, wenn, wie inden Versuchen Hahns, die Adaptation hier ausgeschaltet wird; die Formder Metrik ist dann .1T = konst. Und unsere in der vorigen Arbeit be­schriebenen Versuche zur Bestimmung der Metrik der Spannungs­empfindungen (Unterschiedsschwellen) ergaben die Form .1R = konst.,wobei die Differenz .1R direkt meffbar ist.

Warum gelingt die Definition, das Finden der zweckmalfigsten Reiz­groBe auf dem Gebiete der Spannungswahrnehmungen so einfach undleicht? Schon friiher versuchte ich darzulegen-, daB der Zusammenhangder sein diirfte, daB auf diesem Sinnesgebiete der beschreibende physi­kalische Kraftbegriff eine begriffliche GroBe ist, welche in intimstempsychologischen Kontakt mit dem durch ihn zu beschreibenden Sinnes­sektor steht und daB sich hierdurch die Bestimmung (der Metrik und derTopologie) so zwanglos ergibt.

Zusammenfassung.Die in der Sinnesphysiologie als quantitativ bezeichneten Verfahren

werden als topologische bzw. metrische Bestimmung der Sinnes­inhalte mittels ihrer begrifflichen Zuordnungen, der Reize, beschrieben.Das Bestimmen der den absoluten SchwellenempfindungenentsprechendenReize ist eine Bestimmung, Definition, der Topologie der entsprechendenInhalte. Die Untersuchungen der Unterschiedsschwellen sind dagegenVersuche zur Bestimmung einer auf dem Gebiete der Empfindungs­inhalte herrschenden Metrik. Insbesondere ist ein Versuch dieser Be­stimmung das Weber sche Gesetz, bei dessen Priifung auf den ver­schiedenen Sinnesgebieten man sich im allgemeinen doch nicht bewuBtgewesen ist, daB die in der Form der Bestimmung auftretenden GroBen(GroBendifferenzen), die Reizdefinitionen, von dieser Skalenform ebenbestimmt werden. Bei der Bestimmung der Reizgrofien ist die Einfach­heit der Form die einzig ausgezeichnete Art der Definition.

Es wird darauf hingewiesen, wie auf dem Gebiete der Spannungs­empfindungen (im Anschlu13 an die vorstehende Arbeit, Renqvist,Elmgren und v. Bagh), der Temperaturempfindungen (Hahn) undder Gesichtsempfindungen (Hecht) die Unterschiedsschwellen sichnicht dem Weberschen Gesetz gemii.l3 verhalten, sondern daB demeben merklichen Empfindungsunterschied auf diesen Gebieten eine ab­solute GroBe des Reizunterschiedes, .1 R = konst., entspricht, welcheeinfachste Bestimmung der metrischen Skalenform der Inhalte denReiz eben auch definiert.

1 Renqvist, Yrjo, Die NaturwiBs. 1931. Heft 26. S.567. PsyckologiBckeForsck'Ung 1931. Bd. XIV. S.294. Dies Archill. 1930. Bd. LIX. S.53. .

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An der Hand in unserem Institute ausgeftihrter Untersuchungen tiberdie elektrische Reizbarkeit von Froschmuskeln (Hirvonen) und derUntersuchungen tiber den Gesichtssinn von Hecht wird die gemaB demVerteilungssatz der Wahrscheinlichkeitskalktile stattfindende Verteilungder "ReizgroBen" auf die verschiedenen Elemente eines Gebildes (Muskelnbzw. Retina) darauf zurtickgeftihrt, daJ3 die Reizgro13en willktirlich gewshltsind. Die sich ergebende sigmoide Kurve der Verteilung, mit ihremmittleren, recht geradlinigen Teil, dtirfte auch die We bersche Regel insich schlieBen und auch den bei kleineren und groJ3eren Reizwertenstattfindenden Abweichungen von dieser Regel eine Erklarung geben.Eine in dieser Weise erfolgende Bestimmung der Metrik ist also eigentlichnichtssagend, denn es ergibt sich eine Wahrschcinlichkeitsbeziehung beijeder Wahl der MaJ3e (ReizmaJ3e). Die einzige ausgezeichnete Art, dieMetrik zu beschreiben, ist die, welche der Bestimmung die einfachsteForm zu geben gestattet, eine Art der metrischen Bestimmung, die auchauf den obengenannten Sinnesgebieten (Unterschiedsschwellen) ge­lungen ist.