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Topologische Fragen der Differentialgeometrie 39. Ober das Tangentengeflecht einer ebenen Kurvo viorter Klasse. Yon W. BLASCHKE und G. HOWE in Hamburg. Die vorliegende Arbeit ist yon den vorausgehenden dieser Reihe unabhangig lesbar. Sic bezieht sich durchweg auf Geometrie im kleinen. Hat man zwei Kurvenseharen in der kbbild der Koordinatenlinien x, y = konst. sind, so spreehen wir yon einem Kurvennetz. selben Ebene, von denen je zwei ein solehes ein Kurvengewebe und vier ein Kurvengeflecht. noch Einschrankungen fiber Differenzierbarkeit unwesentlich sind. Ebene, die topologisches yon Parallelkoordinaten Drei Kurvenscharen der- Netz binden, nennen wir Im folgenden werden wir verwenden, die vielleieht Sind u~(x, y) = konst, die Kurven eines Gewebes, so besteht eine Beziehung ~ (ul, u2, ua)= 0, die das Gewebe topologisch kennzeichnet. Ein Ergebnis der Herren GRAF und SAVER1), das wir hier aufs neue herleiten werden, lal~t sich so aussprechen: Die einzigen geradlinigen (d. h. aus lauter geraden Linien bestehenden) Kurvengewebe, die z~r Beziehung ul-~u~u8 ~ 0 geh6ren, sind die Tangenten einer ebenen Kurve dritter Klasse. Das wesentliche Ziel dieser Arbeit ist ein verwandter Satz fiber die Tangenten einer ebenen Kurve vierter Klasse. Sind ni~mlich u~(x, y) = konst., i = 1, 2, 3, 4, die Gleichungen der Kurven eines Gefiechts, so bestehen zwischen diesen Funktionen ui zwei Beziehungen. Wir wollen zeigen: Die einzigen geradlinigen Kurvengeflechte, die zu den Beziehungen gehSren, worin ui n~lr yon ui abhdngt, sind Tangenten einer ebenen Kurve vierter Klasse. Unser Beweis ist einem Verfahren von G. DARBOUX nachgebildet, mit dem er eine yon S. LIE stammende hufgabe in besonders schOner Weise geltist hat, namlich die Aufgabe, alle Fli~chen zu bestimmen, die auf mehrere Arten Schiebfli~chen sind ~). ~) H. (~RAFund R. SAUER, Sitzungsberichte Miinchen (1924), S. 119--156. ~) S. LIE, Arch. for Math. o. Nat. 7 (1882) und Leipziger Berichte 48 (1896), $. 141--198; G. SCHEFFERS, Acta Mathematica 28 (1904), S. 65--92; vgl. auch die

Über das Tangentengeflecht einer ebenen Kurve vierter Klasse

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Topologische Fragen der Differentialgeometrie 39.

Ober das Tangentengeflecht einer ebenen Kurvo viorter Klasse.

Yon W. BLASCHKE und G. HOWE in Hamburg.

Die vorliegende Arbeit ist yon den vorausgehenden dieser Reihe unabhangig lesbar. Sic bezieht sich durchweg auf Geometrie im kleinen.

Hat man zwei Kurvenseharen in der kbbild der Koordinatenlinien x, y = konst. sind, so spreehen wir yon einem Kurvennetz. selben Ebene, von denen je zwei ein solehes ein Kurvengewebe und vier ein Kurvengeflecht. noch Einschrankungen fiber Differenzierbarkeit unwesentlich sind.

Ebene, die topologisches yon Parallelkoordinaten Drei Kurvenscharen der-

Netz binden, nennen wir Im folgenden werden wir

verwenden, die vielleieht

Sind u~(x, y) = konst, die Kurven eines Gewebes, so besteht eine Beziehung ~ (ul, u2, u a ) = 0, die das Gewebe topologisch kennzeichnet. Ein Ergebnis der Herren GRAF und SAVER1), das wir hier aufs neue herleiten werden, lal~t sich so aussprechen:

Die einzigen geradlinigen (d. h. aus lauter geraden Linien bestehenden) Kurvengewebe, die z~r Beziehung u l - ~ u ~ u 8 ~ 0 geh6ren, sind die Tangenten einer ebenen Kurve dritter Klasse.

Das wesentliche Ziel dieser Arbeit ist ein verwandter Satz fiber die Tangenten einer ebenen Kurve vierter Klasse. Sind ni~mlich u~(x, y) = konst., i = 1, 2, 3, 4, die Gleichungen der Kurven eines Gefiechts, so bestehen zwischen diesen Funktionen ui zwei Beziehungen. Wir wollen zeigen:

Die einzigen geradlinigen Kurvengeflechte, die zu den Beziehungen

gehSren, worin ui n~lr yon ui abhdngt, sind Tangenten einer ebenen Kurve vierter Klasse.

Unser Beweis ist einem Verfahren von G. DARBOUX nachgebildet, mit dem er eine yon S. LIE stammende hufgabe in besonders schOner Weise geltist hat, namlich die Aufgabe, alle Fli~chen zu bestimmen, die auf mehrere Arten Schiebfli~chen sind ~).

~) H. (~RAF und R. SAUER, Sitzungsberichte Miinchen (1924), S. 119--156. ~) S. LIE, Arch. for Math. o. Nat. 7 (1882) und Leipziger Berichte 48 (1896),

$. 141--198; G. SCHEFFERS, Acta Mathematica 28 (1904), S. 65--92; vgl. auch die

96 W. Blaschke und G. Howe.

w Wir setzen die Beziehung voraus

3

(1) ~_~ui(x, y) ~--- O, 1

worin die u, ~ konst, gerade Linien in tier Ebene sind, in der die x, y Parallelkoordinaten bedeuten. Diese Geraden sollen die Gleichungen haben

(2) x - ~ g i y = h~ mit (3) gi = g~(ui), h = hi(~) .

Da (2) und u; = konst, dieselbe Gerade darstellen, so sind die Gleichungen in dx , dy

0 ui _ ~Uiox d x - ~ - y - y dy ~ O,

d x ~ g i d y ~ 0

vertraglich, also ihre Determinante null oder

0 ui d ui (4) ~y - - gi Ox"

Aus (1) folgt durch Ableitung einerseits nach x, andererseits nach y mittels (4)

(~) ~ - o , ~ g i - - - o . 0x ~x

Nach (4), (5) ist ferner fiir jeden Wert der Konstanten g

Ui ~ Ui

(6) ~ , ~y g ~ = ~ , ~, i -~u - o. g i - - g

Wir setzen

(7) ~ . ox - - o. g i - - g

Dann ist sicher 0 nicht identisch null, wenn wir die gi als verschieden voraussetzen. Ferner ist nach (6)

ui

(s) y , ~y - g~. g i - - g

Angaben in S. LIE und G. SCHEFFERS, Geometrie der Berfihrungstransformationen (Leipzig 1886), S. 398--411; W. BLASCHKE und K. REIDEMEISTER, Differential- geometrie 2 (Berlin 1993), w 37.

Tangentengeflecht einer ebenen Kurve vierter Klasse. 97

Sehlielilieh ist aus (8) und (7) bei festem g

(9)

O ui O ui

y_, = o F .

Es ist dazu nachzuweisen

(10) ~ 0u~ 0 1 _ ~ Oui 0 1 Oy Ox g i - - g Ox Oy g i - - g "

Das ist aber richtig wegen (4) und da aus (3), (4) folgt

(11) Ogi , Oui , Oui Ogi 0 y - - gi 0 y - - gigi 0 x - - gi vlx "

Aus unserer Differentialgleichung (9) ffir O, ni~mlich

O0 Oo (9) g Ox Oy - - O,

ergibt sich, daft 0 von x und y nur in abh~ngt: (12) 0 = O(g, h)

der Verbindung x + g y ~ h

Andererseits ist nach (7) 0 der Quotient kubisches Polynom in g

(13) O - - p~ ('q) P~ (g)

eines quadratisehen dureh ein

deren Koeffizientea yon x, y abhangen. Entwickelt man nach Potenzen von 1 :g, so folgt aus (8)

ui

(14) 0 - - 1 ~ @ x __ 1 ~ 0 u i 1 0u_A/ . . . . g 1 g i g Ox g2 ~_,gi Ox '

g

und nach (5) fallen in dieser Reihe die beiden ersten Glieder weg. 0 hat also in g = Gc eine Nullstelle yon dritter Ordnung und daher mug in (13) P~ auf eine Funktion )~ (x, y) zusammenschrumpfen, die nach dem Vorhergehenden sicher yon Null verschieden ist. Somit ist naeh (12), (13) ftir /)8* = Ps:~ (15) P : (g) : ~ (g , x + . q y )

ein Polynom dritten Grades in g, also seine vierte Ableitung nach g identisch null. Setzen wir h = x + g y , so wird demgemal~

98 W. Blaschke und G. Howe.

r ig' 4 y-ro (16) 0 4 04~ 4

ftir a l l e y . Somit sind si~mtliehe vierte Ableigungen yon S~ nach g, h null, d. h. ~ ist ein kubisches Polynom in g, k. Ffir g ---= gi wird naeh der Erkliirung yon 0 in (7) ~ ----- 0 und naeh ('2) ist

(17) ~(gi, hi) = 0.

Das heilit, die Linienkoordinaten g, h unserer Gewebegeraden (2) erftlllen alle dieselbe kubische Gleichung. Oder: Die Geraden eines geradiinigen Gewebes mit ux + u~ + us = 0 bflden notwendig die Tangenten einer Kurve dritter Klasse.

Es bleibt zu zeigen, dal] die Tangenten einer Kurve dritter Klasse aueh tatsi~ehlich die behauptete Eigenschaft haben. Besehri~nken wir uns auf den aUgemeinen Fall einer Kurve dritter Klasse yore Geschleeht Eins. Dann kann man die Kurve dutch ihr Abelsehes Integral erster Gattung u bekanntlich so ,uniformisieren":

g ----- g(u), h = h (u),

dait die Bedingung ftir drei Tangenten durch einen Punkt die Form annimmt ui -[- u~ @ us ---- Periode. Diese Bedingung reduziert sieh aber im kleinen auf die unsere ui -{- u~ + us = 0. Wir haben es hier mit dem einfachsten Sonderfall yon ABELS Theorem zu tun. Damit ist unsere Bedingung wenigstens im allgemeinen Fall als hinreichend erwiesenS).

w

Gehen wir nun darauf aus zu beweisen: Ein geradliniges Geflecht, das zu den Beziehungen

4 4

(18) ~ u / = 0, ~ , ( ~ ) = 0 1 1

geh6rt, besteht notwendig aus den Tangenten einer Kurve vierter Klasse! Wit haben bei der Benutzung der Bezeichnung yon w 1 (2), (3), (4), (5)

_ 0 , = 0 , ~x ~x

(19) = o, ,gi - - o .

Ox ~x

Dabei gehen jetzt alle Summen yon eins bis vier.

3) Man kann diesen Beweis ohne Kenntnis des Abelschen Satzes genau so fiihren, wie wit den entsprechenden ftir die Kurve vierter Klasse ira folgenden bringen werden.

Tangentengefleeht einer ebenen Kurve vierter Klasse. 99

Genau wie vorhin zeigt man:

4

(20) o = ~ ~ = o ( q , ~ + g y ~ i gi-- .q

und ebenso

(21) ~_~_ ~_~ Ox _ O ( q , x + g y ) . g i - - g

Entspreehend zu (13) ist jetzt

(22) o = P~ (.q), ~- = ~ (g) P~ (g)' P, (g) '

wo beide Male derselbe Nenner auftritt, niimlich

(2~) P,(q) = H c q ~ - g).

Dabei sind t)8,/)8 nicht identisch null, wie sich aus (20), (21) und der Verschiedenheit der gi ergibt.

Entspreehend zu (14) zeigen wir hier aus (19), dag/)~ und Pa in g linear sein mfissen. (24) /)8 = a g + ~ , P~ = ~ g + ~ _

Somit ist naeh (20), (21), (22), (24)

(25) ag + ~ -~_ F(g, x + gy),

worin a, ~, ~, ~ yon x, y abhangen. Aus tier Funktionalgleiehung (25) wollen wir den Sehlug ziehen,

dab F die Form haben mu6

kl ! /+ k~ h -~- k8 (26) F = k'~g+k~h-q-k~' h = x + g y ; k~, k~ = konst.

Dazu fassen wit flir den Augenbliek g, h als Punktkoordinaten und die dutch die Beziehung der vereinigten Lage x + g y = h mit ihnen ver- bundenen x, y als zugeh0rige Linienkoordinaten in einer projektiven Ebene auf. Diese Vertausehung der Bedeutung ist begrifflieh v611ig unwesentlieh, ecleiehtert aber die Ausdrueksweise.

Die linke Seite yon (25) ligt erkennen, da~ auf jeder Geraden x, y = konst, im Existenzgebiet {g, h} der Funktion F(g, h) der Funk- tionswert F projektiv auf einen projektiven Parameter der Geraden bezogen ist, also, falls F auf der Geraden nieht fest ist, jeden Wert nur einmal annimmt. Ist nun F nieht tiberhaupt konstant, so k6nnen wit zwei sich in {g, h} schneidende Geraden x~, y~ tmd x,2, y~ annehmen,

100 W. Blasehke und G. Howe.

auf denen F nieht konstant ist. Verbinden wir auf diesen Geraden Punkte, die zu gleiehen F-Werten geh0ren, geradlinig, so gehen, da die Punktreihen ihren Schnittpunkt entsprechend gemein haben, alle diese Geraden dureh einen festen Punkt go, ho. Ferner hat auf.jeder solchen Geraden F einen festen Wert, da die Werte in den Schnittpunkten mit xi, yi tibereinstimmen. F i s t also der projektive Parameter ftir das Geradenbiisehel mit dem Scheitel go, hound damit ist (26) nachgewiesen.

Der Vergleich yon (25) und (26) ergibt die Identitat

(27) ag + ~ = ~(x, y ){k ig+ k~(x-~yg)+ ks}

mit nicht identisch versehwindendem 2. Somit folgt aus (22), (24), (27)

(28) 0 = k lg+k2(x+gy) -~ka pg(q) '

worin P* = P4:X wieder ein Polynom vierten Grades in g is t , dessen Koeffizienten yon x, y abhi~ngen. Aus (20), ('28) ist somit

(29_) P~ (g) = ~(g, x + gy) = ~(g, h).

Danach ist die ftinfte Ableitung yon ~ nach g in y identisch null, und daraus folgt wie in (16), dab alle ffinften Ableitungen 0 ~ : OgrOhS, r~-s = 5 null sind, also ~o ein Polynom vierten Grades in g, h ist. Naeh ('2), (20), (28), (29) ist (30) ~(.qi , hi) = 0

far die Geraden unseres Gefleehts. Also beriihren sie tatsitehlich eine Kurve vierter Klasse ~o = 0.

w Wir wollen uns jetzt auf den allgemeinen Fall beschranken, da~

die biquadratische Gleichung (31) ~(.q, h) = 0

eine Kurve vierter Klasse des Geschlechts Drei darstellt4). Setzen wir k = x + y g bei gegebenen x, y, so erhalten wir vier Wurzeln gi der Gleiehung (32) qo (g, x + yg) = ~ (g) = O, die wir reell annehmen wollen.

Wir haben die Teilbruehentwicklung

1 ~ _ ~ 1 1 _ 1~_~ 1 { gi (.qi) 2 } (33) ~o (g) ~P'(.qi) g - - gi g q~ (g~) 1 + g + g + . . . .

4) Das Folgende genau wie bei BLASCHKE, REIDEMEISTER, Differentialgeometrie 2, 1923, S. 98,

Tangentengefiecht einer ebenen Kurve vierter Klasse. 101

Beachten wir, dab ftir g-~oc links eine vierfache Nullstelle auftritt, so folgen die Identiti~ten

1 q' - o, X S - (34) X lpt(gi) - - 0, X l~,(gi) (gi) 0.

Aus (32) folgt durch Ableitung

(35) ~fl'(gi) dgi-F O~(gihi) (dx-~-gi dy) = O.

Wegen (34) ist aber

~_~ dx-~ gi dy dx~ gi dy (36) ~,(g~) = o, ~ ,q i ~p,(g~) o,

~ k i dx~-gidy __ ~ ( x + y g i ) dx-~gidy ~P'(a~--) ~,(g~) - o .

Somit folgt aus (35), (36)

dgi - - 0 X gi dgi - - O, X ]ti dgi (37) ~ . ~ : oh~ ' ~ i ~t. oso~: o h ~ - - o.

Ftihren wir also die sogenannten Abelschen Integrale erster Art auf unserer Kurve ein,

g~ g~ g~

J ' d g i 5 dgi ~ dgi (38) Ui z 0 ~i : ~ ]?i ' ?/i ----- gi 0 ~)i : 0 ]'~i ' Wi = hi 0 ~Pi : 0 hi ' r

gio gio g~o so ist (39) ~.~u/ ---- konst., ~ v i = konst., ~ w , : konst.

Wir haben also nicht nur zwei, sondern sogar drei Beziehungen der gewfinschten Art, von denen nattirlich nur zwei unabhi~ngig sind wohl aber alle drei linear unabhi~ngig sind.

Damit ist gezeigt: Sind u und ~ irgend zwei der drei linear un- abhi~ngigen Abelschen Integrale erster Art einer Kurve vierter Klasse vom Geschlecht Drei, so gilt ffir vier Tangenten durch einen beweg- lichen Punkt

ui -~ konst., ~ ui ~ konst.

Wahlen wir also eine solche Kurve so, dal~ sie durch ein Gebiet der Ebene ein Gefiecht reeller Tangenten schickt, so haben wir eine Ltisung unserer Aufgabe vor uns.

Wir hoffen, spi~ter auf Fragestellungen zurtickzukommen, die mit der bier vorliegenden verwandt sind.

H a m b u r g , Weihnachten 1931.