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UEBER DIE METHODEN DER i~HYSIK yon Hans KSnig (Bern). §1. EinIei~:ende Bemerkungen. Es ist !eieht, tiber Einheit zu reden, aber schwer, etwas fiber Einheit zu sagen. Ich gestehe often, dass ich aus Furcht vor .dieser Einsicht Gas Referat fiber die Methoden der Physik nur ungern fiberno.uunen babe. Wenn .man irn praktischen Wis- senschaftsbetrieb stehend an t~i~lichen Sorgen -- in rneinern Falle sind sie physikalisch-rnesstechnischer Art -- ke~nen Mar~gel leidet, so wird man Utilitarist: Ich rnSchte aus Betrachtungen fiber die Methoden, an- geste]lt irn Hinblick auf die Einheit der Wissenschaft, ]ernen, mein Ar- beitsgebiet besser zu iibersehen; vorn Nachbar rnSchte ich etwas ffir mein Arbeitsgebiet lernen, wenn er fiber das seinige spricht, und ich rnSchte seine Arbeitsweise besser verstehen. Konseq~enterweise muss i~h versuchen, dern Anderen den entsprechenden Dienst zu erweisen. Aber wie das? Es ]st eine erprobte Methode des Praktikers, a]lgemeine Ideen an Beispielen zu tiberprtifen und dann erst diesen Ideen sein votles Zu- trauen zu schenken. Ich werde .diesen Weg .des Besprechung von Bei- spielen hier beschreiten auf die Gefahr hin, class mein Bericht fiber die geistige Arbeitsweise des Physikers uneinheitlich und mosaikartig wirkt. .Mancher wird die historische Fundierung und eine gewisse Vollst~ndig- keit in der t~bersicht fiber die 1Vrethoden vermissen. Aber mein Bericht 8oll eben mehr verbindliches Bekenntnis als unverbindliche Obersicht seil~. Jedermann kennt das Bil.d der Physik, das sie als abgerundetste, mathernatisch weitgehend dt~rchgearbeitete und gel~i~tertste Sph[ire der Realwissenschaften erscheinen l~sst. Dieses Bild' gestattet recht klare Unterscheidungen gegenfiber der Mathematik auf der einen, den biolo- gischen Wissenschaften auf der andern Seite. Abet nicht diese Unter- scheidungen in der Objektsph~re, die wir alle kennen und iiber die wir keine Worte zu verlieren brauchen, sondern die Einheit bzw. Einheit- lichtkeit im Vorgehen sollen uns 'heute besch~ftigen. Eine philosophische Theorie .einer gewissen Einheit innerhalb des dem Vortragszyklus ge- s~eckten Rahmens ist abet heute erst ira Werden. Angesichts dieser Sachlage muss der Praktiker zufrieden sein, einen Beitrag zum Geb~iude der Einheit leisten zu kSnhen, indem er fiir einige Pfeiler den Nachweis der Tragf~'higkeit erbringt. Derngern~ss besteht mein Bericht in relativ unabh~ngigen Einzelbernerkungen, die so ausgew~hlt wurden, dass, wenigstens bei vielen, eine Paral]elbetrachtung in der mathematischen und der biologi~chen Sphere angeschlossen werder~ kSnnte. Jeder rnSge von seinem Arbeitsgebiet aus versuchen, solche Analogien zu sehen. Ich masse mir nicht an, Brficken zu schlagen, sondern ich bemfihe mich, an 25

Ueber die Methoden der Physik

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UEBER DIE METHODEN DER i~HYSIK

yon Hans KSnig (Bern).

§1. EinIei~:ende Bemerkungen. Es ist !eieht, tiber Einheit zu reden, aber schwer, etwas fiber Einheit zu sagen. Ich gestehe often, dass ich aus Furcht vor .dieser Einsicht Gas Referat fiber die Methoden der Physik nur ungern fiberno.uunen babe. Wenn .man irn praktischen Wis- senschaftsbetrieb stehend an t~i~lichen Sorgen - - in rneinern Falle sind sie physikalisch-rnesstechnischer Art - - ke~nen Mar~gel leidet, so wird man Utilitarist: Ich rnSchte aus Betrachtungen fiber die Methoden, an- geste]lt irn Hinblick auf die Einheit der Wissenschaft, ]ernen, mein Ar- beitsgebiet besser zu iibersehen; vorn Nachbar rnSchte ich etwas ffir mein Arbeitsgebiet lernen, wenn er fiber das seinige spricht, und ich rnSchte seine Arbeitsweise besser verstehen. Konseq~enterweise muss i~h versuchen, dern Anderen den entsprechenden Dienst zu erweisen. Aber wie das?

Es ]st eine erprobte Methode des Praktikers, a]lgemeine Ideen an Beispielen zu tiberprtifen und dann erst diesen Ideen sein votles Zu- trauen zu schenken. Ich werde .diesen Weg .des Besprechung von Bei- spielen hier beschreiten auf die Gefahr hin, class mein Bericht fiber die geistige Arbeitsweise des Physikers uneinheitlich und mosaikartig wirkt. .Mancher wird die historische Fundierung und eine gewisse Vollst~ndig- keit in der t~bersicht fiber die 1Vrethoden vermissen. Aber mein Bericht 8oll eben mehr verbindliches Bekenntnis als unverbindliche Obersicht seil~.

Jedermann kennt das Bil.d der Physik, das sie als abgerundetste, mathernatisch weitgehend dt~rchgearbeitete und gel~i~tertste Sph[ire der Realwissenschaften erscheinen l~sst. Dieses Bild' gestattet recht klare Unterscheidungen gegenfiber der Mathematik auf der einen, den biolo- gischen Wissenschaften auf der andern Seite. Abet nicht diese Unter- scheidungen in der Objektsph~re, die wir alle kennen und iiber die wir keine Worte zu verlieren brauchen, sondern die Einheit bzw. Einheit- lichtkeit im Vorgehen sollen uns 'heute besch~ftigen. Eine philosophische Theorie .einer gewissen Einheit innerhalb des dem Vortragszyklus ge- s~eckten Rahmens ist abet heute erst ira Werden. Angesichts dieser Sachlage muss der Praktiker zufrieden sein, einen Beitrag zum Geb~iude der Einheit leisten zu kSnhen, indem er fiir einige Pfeiler den Nachweis der Tragf~'higkeit erbringt. Derngern~ss besteht mein Bericht in relativ unabh~ngigen Einzelbernerkungen, die so ausgew~hlt wurden, dass, wenigstens bei vielen, eine Paral]elbetrachtung in der mathematischen und der biologi~chen Sphere angeschlossen werder~ kSnnte. Jeder rnSge von seinem Arbeitsgebiet aus versuchen, solche Analogien zu sehen. Ich masse mir nicht an, Brficken zu schlagen, sondern ich bemfihe mich, an

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Stellen, wo izh vermute, dass :die Grenzgr~iben nicht zu breit seien, Brfickenarme vorzubauen, ohne abet alas jenseitige mir im grossen un<l ganzen fren/de Gebiet mehr als nur zu beriihren. Vielleicht wird sich der eine oder andere dieser Arme mit Unterstfitzung vom jenseitigen Ufer aus zu einer Brficke auswachsen. Ich glaube, auf diese Art am besten den guten Willen zur Synthese mit dem Mange] an Sach- kennmis auf Fremdgebieten in Einktang bringen zu kSnnen.

• § 2. Ist Einheit nachzuweisen oder ist sie eine w issenschaftsiistheti- sche Forderung? Die vorangegangenen Berichte fiber Philosophie und M athematik h~ben, deutlicher als ich es durch Plausibilit~tsbetrach- tungen h~itte nahebringen kSnnen, erkennen lassen, dass (tie Einheit im Wissenschaftsbild als Folge einer Stellungnahme ersche!nt, die das Vor- gehen, ira besondern die Operation als das verbindende methodische Element, und die begriffliche Analyse derselben ins Zentrum stellt. D;e Einheit erscheint also weniger als Gegebenheit, sondern mehr als Forde- rung ~les Wkssenschafters. Noch sch~rfer gesagt: Ohne den Willen zur Einheit sehe ich nicht ein, wie man zur E!nheit gelangen kSnnte.

GehSrt nun an die :Spitze wissenschaftlicher Bestrebungen ein Willensakt, ein unwissenschaffliches Motiv? Man ffihlt sich verpfl!chtet, rundweg zu verneinen. Abet glauben wit ]a nicht, wit kSnnten solchen lYlotiven ausweichen! Wenn ich nachstehend mit ein paar Bemerkungen die Zwiesp~iltigkeit der Ausgangssituation des Forschenden zu kenn- zeichnen suche, so ist es sicher nicht aus Freude am Kokettieren mit Gegens~tzen, die nach vol]zogenem Ausbau eines Teilgebietes der Physik ad acta getegt werden kSnnen, sondern ich kIage hier das Leid des Pr~ktikers, der mit unfertigem Begriffsgeriist an ungesichtetes, noch nicht schar~ definiertes Beobachtungsmaterial herantreten muss, <ter a m Objekt sein Verhalten schulen und zugteich das Objekt durch sein Ver- ha]ten hindurch kennen lernen muss.

§ 3. Leit~deen, Leitmotive, Schranken. Es ist gut, dass der For- scher beim Forschen sich nicht bewusst ist, was ilm Jenkt.' Aber wir sind hier zusanunengekommen, um nach Beziehungen und Parallelismen zu suchen, un(t ein Weg dazu besteht darin, dass jeder sich fiber die ihn bei der Berufsarbeit mSglicherweise leitenden Ideen und Motive ~iussert. Nachstehend der Versuch eines lahysikers, wobei ich bitte~ die Betonung der Worte ,,Versuch" ~nd ,,eines" zu beachten.

Wir suchen nach Wahrheit, ~ber niemand sagt uns, wie man das macht.

Als Zweck der Forschung nennen wit vorbehaltlos nur die Erkennt- nis, Aber wit kSnnen es nicht verhindern, dass das konkrete Vorgehen im Einzelfall Zeichen spezieller Zweckbestimmung aufweist.

Wit haben zu ermitteln, was ist, und nicht vorzuschreiben, was

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sein soll; why ordnen uns dem Experiment, der F_~ahrung unter, ver- halten uns so passiv wie mSglich, trachten danach, Einzelerlebnisse durch Kollektiverlebnisse zu ersetzen, wi t schalten das Subjekt aus, so gut es geht. Aber derjenige, der die A~u~assung vertritt, dass unser Denken konstruktiv schSpferisch se[ - - und ich bekenne reich dazu - - weiss, dass "jene Ziele nicht erreichbar sind.

Wir mSchten konsequent logisch denken, aber wissen, dass oIme Intuition kehi Gedankengang in Fluss kommt.

"Wir m~chten zu Ende denken, also exakt denken, mathematisieren - - d a s muss doch erlaubt sein T, Aber ist nicht vielleicht die Voraussetzung der Mathematisierbarkeit das st~rkste Strukturaxiom, das man sich denken kann?

Wir suchen nach Wiederholungen, wir ordnen, klassi~izieren,.f'dhren auf Bekanntes zurtick, suchen nach Analogien, wiihlen ~us; aber niemand sagt uns, ob u~.ser Vorgehen Willktir enthalte.

Wir .wollen voraussetzungslos sein, kg'nnnen aber nicht, wenn die Axiome ,,quelque chose ~ mi-chemin entre la fiction et la description du rgel" (Gonseth) sind.

Die Form s olI den Inhalt, die Methode .das Evgebnis nicht b eein- flussen; die Erfahrung zeigt aber, dass dies doch geschieht. Natiirlich Nndern sich vom Diskutieren die Messwerte nicht, aber: ,,Wechsel der Methode" bedeutet: etwas anderes tun, und dies Ftihrt zu andern Mess- veto'ten.

Die Meinu~ag, die Aufgabe des Physikers liege in der Beschreibung, klingt materiel1 verniinftig, ist aber erkenntnis-psychologisch betrachte~ einfach .nicht wahr (SChrSdinger).

Wir mgchten die Spekulation in der Forschung auf ein gesundes 1V~ass beschriinken, abet wer setzt dieses Mass lest?

Mir scheint: Wenn irgendwo eine Sphere geistiger Aktivitiit yon Tendenzen frei[ zu halten sei, so sei es die exakte Naturwissenschaft. Aber trotzdem beeindruckt uns die Harmonie und Einfachheit des Systems der Maxwell'schen Gleichungen. Und was ist Streben nach Ein- heir und Denkgkonomie anders als Tendenz?

Dies sind ein paar Gedanken, die uns die Physik, die dem Beschauer meist als kristallklares Begriffsgebiiude vorge ""fiihrt wird, und es etap- penweise auch ist, im Ga~,zen dem a~{-merksamen Bearbeiter in jeder Phase als geistiges Spannungsfeld erscheinen zu lassen.

Ich weiss nicht, wie der Mathematiker und der Biologe auf solche Gedanken reagieren. Immerhin scheint mir: In den Sorgen urn die Grundlagen stehen Wir uns alle recht nahe.

Dass wi t immer wieder mit rleuem Mut an die Probleme heran- treten und mit geradezu erstaunlicher Sicherheit sagen kSnnen, was wissenschaftlic:hes Verhalten im EinzelNll heisst, ist ein Wunder. Aber

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a]s Wissenschafter .diirfen wir uns von diesem Wunder nicht blenden lassen.

Ieh habe mich der Klarheit zuliebe oft recht drastisch ausgedriickt, und ich habe einiges gesagt, was man, ,urn nicht zum Saboteur an eigener und fremder Arbeit zu we~den, zweckm~ssigerweise zeitweilig wieder vergisst. Aber es kann nichts schaden, wenn man gelegentlich die Schub- lade mit tier Au~schrift ,,tabu" ein wenig herauszieht.

Im Gegensatz zu diesen Ausfiihrungen, welche das Suchen und Tasten, das Ringen mit .dem Unfertigen zum Thema hatten, entspricht die im folgenden § gegebene Dbersicht wegen ihrer mathematischen Struktur mehr dem, was m~an gemeinhin unter Physik a']s exakter Wis- senschaft versteht, und vermittelt mehr ein Teilbi]d tier fertigen Physik.

§ 4. Die haupMichlichsten Begrime und Operationen der pra,ktischen Physik. cDer Physil~er bemtiht sich, mSglichst viele Erschein.ungen auf das Schema der physikalischen Gr6sse abzubilden. Die GrSsse wird auf- gefasst als Produkt eines quantitativen und eines qualitativen, Faktors:

a - - . ( a ) [a] GrSsse ~ ZahIenwert mal Einheit.

He]mholtz spricht von ,;GrSsse" nur, wean nac'hstehende Axiome erftillt sind:

I: aus a -- c, b --- c folgt: a = c (Gleichheit transitiv.) II: (a + b) -~- c -~ a + ,(b + c) (assoziativ)

III: a + b ~- b + a (kommutativ) IV: aus a : c und b : d folgt a + b - - c + d . V: 'Gleiches zu Ungleichem addiert, gibt Ungleiches.

Bemerkung: Diese ~bersicht ist nicht als vollst~ndig zu betrachten. II und III kSnnen nach Grassmann in ein Axiom zusammengefasst werden.

S~ntliche Axiome sind yon Fall zu, Fall experimentell auf ihre Giiltigkeit hin zu prtifen.

Die erste Hauptmethode des Physikers ist im wesentlich.en die- jenige der Vergleichung. Die Grundoperati.on ist die Gleichsetzung. Es wi~d sich sparer z~gen, was alles hinter dem harmlosen W6rtchen ,,gie cn stecken kann.

Helmholtz sagt .(Z~hl.en und Messen ,S. 391)'. Die GrSssen sind Ob- jekte, die wit nu t noch als Exemplare Lhrer Klasse betrachten und deren Wirksamkeit nach der untersuchten Richtung nu t davon ab- h~ngt, dass sic solche Exemplare sind. In den aus ihnen gebildeten Gr~ssen bleibt .dann nut der zuf~lligste der Unterschiede, der der An-. zahl bestehen.

Die Einheiten k~muen beliebig (in Form materieller Etalons) ge-. w~hlt werden.

Die zweite Hauptmethode ist diejenige der Verkntipfung durch

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.Addition. Die Operation der Addition bezweCkt eine Zusammer~figung unter vollkommener Erhaltung der TeHe. Die Teile wahren beim Ad- dieren il~re vollkommene Unabhiingigkeit.

Die Tendenz, sich in unabh~ingigen Elementen, d.h. analytisch aus- zudrficken, ~ehrt in mannigfaltiger Form wieder. Der Physiker bevor- zugt lineare Systeme, in denen sich Zustiinde ungestSrt iiberlc~gern (Superpositionsprinzip). D~ese Systeme werden beschrieben durch lineare Gleichungen, im besonderen lineare Differen~ialgleichungen.

Die Operafionen der Glechsetzung und der Addition erschliessen einen Arbeitsbereich, dem mathematisch die Lehre von den Propor- tionen .und experimentell die Technik der Rel~t~vmessungen entsprlcht, im Gegensatz zu den Absolutmessungen, bei denen verschiedene GrSs- sen mit einander verh~ngt werden. Subtraktion ist Umkehroperation zur Addition.

Zur Beschrei,bung der Wechselwivkung (Koppelung) bedient sich der Physiker der 3. Operation: der qualitativen Multiplikation. Ffir das Produkt zweier GrSssen gilt noch ausgesprochener als ffir die Summe zweier (gleicher) GrSssen" Es muss eine Anordmmg angegeben werden, welche die Operation eindeu~ig definiert (vergl. im Abschnitt fiber Gleichheit das Beispiel der magnetischen Feldst~rke). Die multiplika- riven Zusammenh~inge zwischen den Einheiten spiegeln einen Tell der Naturgesetze wieder; ~ Studium ist Objekt der DimensionanaIysis.

Diejenige formale Bindung, die vielleicht am st~rksten das metho- dische Gerfist der Physik bestimmt, ist das Prinzip von der Invarianz der D~mensionen. Wir wissen recht gut, was makroskopisch ,,L~inge" bedeutet. Wenn man die Einheit der L~nge aus der Mikrowelt ent- nimmt, so ~ann Zweifel fiber die MSglichkeit .der Auffindung einer passenden MessvorsehrLft auftreten, abet niemals wird daran gezwei- felt, .class dimensionell yon einer Lfir~ge die Rede sei. Vor 50 Jahren w~ire ein Student .durehgefallen, wenn e r behauptet h~itte, Licht bestehe aus Teilehen. Heute wfir<te er .durehfa]len, -¢¢enn er bei einem Grenz- fibergang die Dimension des Ausdrueks zu ~indern versuehte. Ieh ent- halte mich der Schlussfolgerung.

Der Multiplikafion als symbolischer Operation wohnt eine ent- seheidende Kraft inne. Bei der Multiplikation wird jedes Element des Multiplikanden mit jedem Element des Multiplikators verknfipft, also maximale Abh~ingigkeit erzeugt, im Gegensatz zur Addition, welehe maximale Unabh~i~gigkeit zum Ausdruek bringt.

Be~spiele formater t?berlegungen fiber die mathematisehe Struk- tur: Das Elektron kann niemals als LSsung der linearen Maxwell'schen Feld-Gleiehungen erhalten werden, denn ein beliebiges Vielfaehes da- yon w~re auch eine LSsung. Teilehen bestimmter GrSsse kSnnen, wenn iiberhaupt, so nu t aus nichtlinearen Feld-Gleichungen als LSsung er-

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halten werden. Ferner: Einen Zusammenstoss zweier Lichtquanten kann man mit linearen Feld-Gleichungen nicht beschreiben. Die Nicht- Linearitgt ist das formale Kennzeichen von Wechselwirkung, Struktur~ Gestalt, Abschliessung gegen aussen, System, StabiIitiit.

Van Interesse scheint mir, dass besonders im-Zusammenhang mit nichtlinearen Problemen und Systemen in tier Physik der Begriff der Funktion ,(im nichtmathematischen Sinn) auftaucht.

Beispiele: Der nichtlineare Zusammen,hang zwischen Strom und Spannung 'bei der EtektronenrShre fibernimmt die Funktion des Frequenztransformators ,und Gleichrichters im Radioapparat; .ebenso sorgt er daffir, dass die Schwingungen eines Senders nicht von selbs~ ins Unendliche anwachsen.

Auf den Zusammenhang zwischen Funktion, Plan, gestalttheore- tischer Betrachtungsweise und Technik sei bier nicht eingegangen (siehe besonderen Abschnitt). Der Physiker l~nearisiert, wenn immer mSglich. Wo es nicht gelingt, versuch~ er oft mit Vorteil Reihenent- wicklung urtd Zerlegung nach GrSssenordnungen:

/ , df / ~ d f ' [

Wenn der ,betrachtete Abschnitt aus dem Geschehen sehr klein isl gegenfiber dem Gesamtgeschehen, dann ist dieses Vorgehen ge~echt- fertigt. Ffir Theoretiker mit spekulativen Neigungen ist es ein reiz- roller Gedanke, umgekehrt aus der MSglichkeit der Linearisierung auf die ,Beschr~inkheit des uns bekannten Geschehensbereiches zu schliessen.

Der Physi~ker bedient sich oft der Extrapolation. Es braucht sehr viel Fingerspitzengeffihl, damit diese Methode nicht zur Krankheit wird. BSse Zungen erw~hnen unter den w~chtigen praktischen Verfahren des Physikers nach dasjenige der Vernachlhssigung der OrSssen hSherer Ordnung.

Ich habe in diesem Abschnitt eine unphilosophisohe Sch!lderung des theoretischen Verha]tens des praktischen Physikers gegeben, aber in einer Form, die, wie ich hoffe, jedem leicht Ausblicke gestattet.

Begriffe wie Gesetz, Kausalit~it, Induktion, Deduktion, Dialekti- sierung, konstruktives Schema . . . . besprach ich in diesem Zusammen- hang nicht.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass gewisse Operationen, fiber deren Ausffihrung und Tragweite wit uns z un~chst keine grossen Gedanken machen, das Verhalten des Physikers schematisch bestimmen werden.

Greifen wir nun aus der Rekhe der Operationen die ers!e, die Gleichsetzung, heraus und fiberzeugen wir uns, dass mit der Ausffih- rung dieser Operation allerhand verbunden ist, was wir nicht voraus- sehen kSnnen.

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§ 5. Ueber den Begri~ der Gleichheit. In der Reihe der Mathe- matik, Physik, Biologie . . . . ist der Mathematiker am ehesten in der Lage, mit den Aussagen ,identisch" und ,,gleich" den Glauben an wirklic'h vollkornmene Gleichheit ( i ra intuitiven Sinn) zu verbinden. Wo Unterschiede den Grad der Gleichheit einschr~nken, verffigt er fiber besondere Bezeichnungen: ,,ungef~b_r gleich', ,,dem Betrage nach gleich", ,,dem Vorzeichen nach gleich", usw.

Mancher Biologe vergleicht m~t .Neid den hohen Grad der Differen- zierung, den seine Objekte erfordern, mit der relativen Einheitlichkeit des Arbeitsgebietes des Physikers. Um den Biologen zu trSsten, kSnnte ich ibm zu beweisen versuchen, dass diese Eimheitlichkeit wirklich nur relativ sei. Wirksamer zur Be~onung der Aehnlichkeiten zwischen den genannten Gebieten scheint mir aber der Beweis, dass schon innerhaIb der Methode in der Physik eine weitgehende Differenzierung notwen- dig wird. Der Biologe hat es meistens beim Vergleichen mi~ 2 Systemen zu tun, d_e ,,nahezu gleich" oder s0gar nur ,,in gewisser Beziehung nahezu gleich" bezeichnet werden dfirfen. Es mag im Anschluss an die folgenden Bemerkungen mit GenugtuUng feststeller~, dass es dem Physiker nicht iibertrieben viel besser geht, nut quantitativ ist die Situation f~ir den letzteren gfinstiger.

Der Physiker als Prakt.ker weiss, dass sein ,,gleich' hSchstens ein ,,ungef~hr gleich" ist, misst aber in der klassischen Physik diesem Umstand keine prinzipielle Bedeutung be i. In der Quantenphysik, d.h. irn B e r e c h der Gfiltigke~t der Unbestimmtheitsrelationen sieht er die enge Bindung, die eigentlich dutch die Setzung ,,gle'ich" gemeint und bezweckt ist, reissen: Er kann den Ort eines Elementarteilchem~ rues- sen, er kann noch den Impuls denken u n d j h n einem bestimmten Wert g lech setzen wollen, aber dann ist es fertig. Die Natur desavouiert dieses Vorgehen. Dm Unbes~nmtheitsrelation nennt nux den Bereich, innerhalb dessen der Weft wahrscheinlich liegt. Nun kann man aus dem Experiment imm~r einen bestimmten Wert errechnen. Wenn man an der Formulierung, d~'-e GrSsse babe in diesem Falle diesen bestimmten Wert angenomraen, festhalten will, so muss man zum mindesten ein- schr~inkend sagen: . . . . ,indiesem Fall zufiiltig gleich diesem Weft". Die statistische Deutung der Quantenmechanik ffihrt daher zum Begriff ,,zufii]lig gle'.ch".

Nun ein Be~spiel aus einem Gebiet, wo, wie ich vermuten dar~, die wenigsten unter Ihnen eine Kritik am Gleich_heitsbegri~ als notwendig erachtem Ich nenne Ihnen elne sog. Eimheitengleichung, deren Sinn, oder,, wenn Sie wollen, in der der Sinn des Gleichheitszeichens rnehr- deutig ist:

[H] : [I]/[1] Der Techniker sieht darin den Sa:z: Die Einheit der magnetischen

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Feldst~'rke [H] wird z.B. (beachten Sie dieses z.B. !) durch die Einheit der Stromst~irke [I] pro Einheit der Spulenl~nge [1] in einer unenc~- lich ~angen Spule erzeugt. Der Satz enth~lt ein Wort, clas man der Gleichung nicht ansieht: Spule. Der Quotient der zwei Symbole fiir die Einheiten des Str~mes und der L~nge erh~lt seine voile Bedeutung erst mit der Nennung einer Messano~clnung. Weil diese Anordnung die Einheiten abgestim~t (d.h. ohne Zahlerdaktoren) definiert, spieh sie eine ausgezeichnete Rolle und darf fiiglich a]s Fu~damentalgestalt dieses IYlassystems bezei~hnet werden. Je nachdem man als Fundamen- tatgestalt eine dem Biot-Savart-Gesetz entsprechende Anordnung oder eine unendliche stro~ndurchilossene Ebene w~_hlt, stSsst man auf ver- schiedene Massysteme. Ich erw~hne nebenbei, dass das Chaos in den Massy~tem der Physik nie solche Ausmasse angenommen h~itte, wenn beizeiten .die gestalttheoretische Betrachtungsweise in .diesem Gebiet eingeffihrt worden w~re. iViir lag hier mehr daran zu zeigen: tier Ex- perimentalphysiker k.ennt keine Gleichheit ohne dazugehSrige definie- rende konventionelle, einen Kommentar d!arstMlende Armrdnung.

Kommentieren heisst aber beschr~inken. Also keine Gleichheit an sich, sondern bezogene Gleichheit!

§6. Die Dif~erenzierung des Gleihheitsbegriffes in der physio- logischen Optik. All unsere wissenschaftliche T~tigkeit dient einem Genera]zweck, der Erkenntnis. Aber ~amit fst die Art und Weise, wie wir an die Erlebnisse ordnend heranh~eten sollen, nicht ausreichend bestimmt. Es braucht hierzu oft der Nennung eines Sonderzweckes. Urn dies zu zeigen, w~hle ich natiirlich das Beispiel nicht aus dem Zen- trum der klassischen Physik, w o e s z.B. nur eine einzige Art, L~nge durch Divison dutch Zeit in eine Geschwindigkeit zu verwandeln, gibt. l~]an muss eine Festuag nicht auf ihrer st~rksten Seite berennen. Ich entnehme die Beispiele daher aus dem Gebiet .der l~hysiologie, wo u.a. Empfindungen auf GrSssen abgebildet werden. Ich z~hle nut auf:

2 physikatisch gleich zusammengesetzte Lichter sehen gleich aus. 2 Lichter kSnnen gleich aussehen, ohne physikalisch gleich zusam-

mengesetzt zu sein (Kolorimetrie, niedere Farbenmetrik, Grass- mannsche Gesetze).

2 verschiedenfarbige, also notorisch ungleich aussehende Lichter kSnnen in gewisser Beziehung als gleich ange~ehen werden: hinsichtliche Helligkeit

Farbton S~i~tigung;

im besonderen kann gleichhell die Bedeutung haben yon: arbeits~iquivalent sehnsch~irfen~quivalent etc.

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Gerade die letztere Differenzierung muss uns besonders interes- sieren: es ist nicht gesagt, dass ,,gleich gut arbeiten kSnnen" und ,,gleich scharf sehen" unbedingt dasselbe bedeuten mfissen. Die Entscheidung bei der Auswahl im Falle einer mSglichen Differenzie:ung wird hier durch eine Zweckbestimmung gelenkt.

LiVIan kann aber noch wei%er gehen und F~ille nennen, bei denen hinter der zweckbestimmten Auswahl des Urteils ,,gleich" ein Wert- urteil erkennbar wird, ohne dass abet dadurch schon alas Gebiet der vollst~indig l~onventionellen Bewertung ~(Examensnoten, Sportresu!tate usw.) betreten wird. Das folgende Beispiel zeigt dies.

§ 7. Ein~aches Beispiel ~iir das Hineinspielen einer Wertung und einer Zweckbest immung in die Beschreibuug eines Phiinomens. A m Wechselstromne~z angeschlossene Lichtquellen geben An.lass zum Ph~inomen des sog. Bewegungsflimmerns. Man erkennt es am einfach- sten, indem man einen gl~inzenden schmalen Gegenstand vor dunklem Hintergrur~d bewegt. Wir bewerten in der Praxis dieses Ph~inomen als StSrung, die beseitigt "~verden soll±e, Gleichzeitig verlangt die Industrie Auskunft 4ariiber, unter welchen Bedingungen z w e i verschiedene Lichtfarben punkt0 Flimrnern iiquivalent seien. Man kann nun den Begriff Flimmer~iquivalent im Hi~blick ant~ die Beseitigung der St6rung de~inieren: Zwei gteichstarke Lichter sind flimmer~iquivalent, wenn bei Zumischung gleicher Mengen konstanten Lichtes das Flimxnern bei beiden verschw:kndet. Also kein Vergleich beliebiger StSrungen, son- dern Untersuchung des Verschwindens der StSrung. Ausgangspunkt ist e i n ~iquivalentes Phiinomen und ein Werturteil; die Vereinigung fiihrt zu einer tendenz-geladenen Definition des Kriteriums ,,gleich" ~iir diesen Fall. An Hand einer Messanordnung wird diese Definition verwirkticht. Damit ist an Stelle des reinen unreflektierenden Erlebens ein begriffsgeladenes Erleben getreten: Mit den Ph~nomen wird jetzt sofort das Attribut ,,bestimmt" verknfipft; denn man weiss ja jetzt genau, was gemeint ist, und damit ist die gedankliche Unterstellung unter die Prim~ir-Tendenz vollzogen. Wer mir daraufhin entgegenh~ilt, ich wolle reich nur um die Anerkennung des Ph~nomens an sich drficken, den kann ich nur bitten, nicht von mir zu verlangen, dass ich ihn genau verstehe, wenn er sich mit mir fiber das Ph~nomen un- terhalten will.

Tendenzen sind fibera]l dort zu erwarten, wo eine Konvention zu Begirm notwendig ist. ~Namentlich Poincar6 hat auf den konventio- nellen Charakter der Grundlagen aller Wissenschaften hingewiesen.

§ 8. Gleichheit und analytisches Urteil. Gin kurzes Wort fiber die logische Stellung des Urteils ,,gleich". Kant hat m.E. dem Streben nach Einheit im Den_ken mit seiner iibertrieben scharfen Scheidung in

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analytische und synthetische Urteile direkt ein Hindernis in den Weg gelegt, und ich erinnere gerne daran, dass die positivistische Auffassung von Mach hier eine wohlt~tige Korrektur gebracht hat.

,,Zwei Sachen, .die einer dritten gleich sind, sind unter sich gleich" - - dieses Urteil findet sich schon bei Euklid als Axiom und gilt nach Kant als analylisches Urteil; denn es will su'bstanziell nichts Neues dazutun, was nicht schon in den vorg~ingigen Aussagen irger~dwie ent- halten w~re. In den Augen von Galilei und Newton w~re z.B. Gleich- heir zweier Massen nur ein algebraischer oder geometrischer Vergleich, z.t~l-~.eine Gleichhei~ zweier Anzahlen von Massenteilchen. Mach ]ehnt abet jede ~orstellung fiber die Masse, insbesondere die Atomistik ab, muss daher den e rw~mten Satz als der experimentellen Priifung be- diirftig ansehen; die transitive Eigenschaft der Gleichheit ist nicht selbstverstiindIich. Es kann ein neues Moment dazu kommen, womit der synthetische Charakter erwiesen ist.

Der Praktiker rut gut, an .die Existenz rein analytischer Urteile nicht zu glauben.

§ 9. Erkenntnistheoretischer Sinn der Betrachtungen i~ber ,,GIeichhe~t". "Die angefiihrten Beispiele aus Mathematik, Physik, Physiologie zeigen, dass eine einheit]iche methodische Tendenz, das VergIeichen, in der praktischen Durchf'dhrung yon der l~annigfaltig- keit des Objekts ,,infiziert" wird und dieselbe widerspiegelt. Legen wir aber den Akzent in dieser Feststellung nicht auf die Tatsache der Ver'dstelung des Begriffes, sondern auf den Ursprung aus einer intui- tiven, undifferenzierten Idee, ,,gleiches zusammenzufassen", so ist (wenigstens meinem) Bediirfnis nach Querverbindungen und Gemein- samkeiten im Bereich der Methoden Geniige geleistet.

Wie fiir die Operation .des Gleich-Setzens, so w~re nun fiir die an- deren, der ganzen Physi~ alas Gepr~ige verleihenden Operationen der Addition und der Multiplikation die analoge Spannung zwischen Wille zu Identifizierung und Ein_heitlichkeit im Vorgehen einerseits und Viel- gestaltigkeit in tier Durchfiihrung andererseits aufzuweisen. Im Rahmen eines zeitlich beschr~nkten Vortrages kann das nat[irlich nicht ge- schehen; abet ich bitte Sie, die MSglichkeit eines entsprechenden Nach- weises zu glauben.

Es wird wohl immer so bleiben, dass durch Betonung des philo- sophisch-deduktiven Standpunktes der Empiriker, d.h. derjenige, der sich immer wieder an die ~atur -a ls Aussenwelt anlehnen will, dazu gereizt wird, seinen gegenteiligen Stan~tpunkt fi'berzube~onen. ~Bei allem guten WiHen zur Versenkung in eine gegenteilige Auffassung muss sich der Empiriker fragen: Was hilft mir das Reden von vollkommener Gleichheit und yon Identit~t, wenn ich bei jeder neuen Gruppe van Ph i -

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nomenen neu erraten oder mir yon der Natur suggerieren lassen muss, was unter ,,gleich" bier gemeint sein kSnnte? Der Praktiker spiirt die F~rung durch eine apriorische gedankliche Basis (in unserem Beispiel die Grenzidee der Gleichheit) iiberall doff, wo ein Gebiet, wie die phy- siologische Oplil[ reich an neuen MSglichkeiten zu Begriffs-Differen- zierungen ist, so wenig, class es verst~indlich ist, dass er den Entwick- lungsgedanken in der Erkenntnistheorie in den Vordergrund stellt, wie es z.B. Gonseth rut. Denn diese Art, sich gedanklich zu ,bewegen", gew~_rt die praktisch notwendige Bewegungsfre[heit und zugleich das ist vielleicht das beste an einer solchen Einstellung -- einen dauern- den Schutz gegen ein Uebermass an Selbstiiiuschung.

Obiges gilt m.E. jedenfalls fiir den Fall einer unabgeschlossenen Begriffswelt. Anders bei re]ativ abgeschlossenen Theorien, Modellen usw. oder bet Arbeitsgebieten, wo wenigen erprobten Begriffen (Trans- plantation, Organisator-Bezirk .... ) ungeheure technische Schwierig- keiten i(Mikrochirurgie .... ) gegeniiberste'hen, und im Grenzfall bei Eihzelgedanken. In all diese~ F~llen erscheint die begriffliehe Basis verh~tnismfissig: stabil und direkt yon ,,apriorischer Soldit~t". Fiir den Einzelgedanken ist iiberhaupt nicht zu sehen, wie ein Begriff in ibm auf seine Konstanz beprilft werden sollte. Hier kommen alle Auf- fassungen einander nahe. Abet es sind dies eben nicht die F~lle, die a]s Repr~isentanten des Wissenschaftsganzen dienen kSnnen, wenn 1~aan die Einheit im gedemklichen Vorgehen herausarbeiten will. Die relativ in sich geschlossenen Gendankenkreise, wie die euklidische Geometrie, die The orie der Integralgleichungen, die Newtonsche Mechanik, die spezieUe Relativit~itstheorie, .die Maxwellsche Theorie, die Bohrsche Theorie ~(das letzte Beispiel zeigt, dass Geschlossenheit nieht zu Richtig- keit verpflichtet!) haben alle den Charakter yon Realit~iten mit Eigen-

leben angenormnen, und bereiehern durch i~re Existenz die Vielge- staltigCkeit unseres geistigen Lebens. Sie sind statische Kunstwerke. Sie verpflichten uns zu hSehster Bewunderung. Abet unsere heutigen Betrachtungen .dienen einem bestimrnten Zweck: Ich wollte lhnen nicht schSne Gemfilde zeigen, sondern Sie sollten sehen, dass Malen durchaus keine so saubere Besch~iftigung ist.

Urn einem Missverst~indnis vorzubeugen: ich babe bet dem Quer- schnitt dutch die sich an das WSrtchen ,,gleich" ankniipfenden Ge- danl~engiinge nichts gesagt, was nicht l~ngst bekannt w~ire. Die Situa- tion liegt ~hnJiclh wie bet dem Attribut ,,wahr". Zu Kants Zeiten wusste man, was ,wahr" :bedeutet. Dann kam die nichteuklidische Geometrie. Wir wissen heute, dass es ein ,,widerspruchsfrei" und ein ,,wirklich zutreffend" gibt. Man karm die letztgenannten Eigenschaften als begriff- liche Gegebemheiten hinnehmen. Dann gibt's hier kein Problem, und man muss sich konsequenterweise fragen: Wozu das Geschrei urn die

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Bedeutung der nichteuklidischen Geometrie? Und entsprechend: Wozu so viel W, orte fiber die Differenzierung des 'Gleichheits-Begriffes? Die Antwort ist sehr einfach: Wit wollen diese Begriffsspaltungen nicht nur reg~strieren, sondern als Zeichen der begri~lichen Entwicklung inter- pretieren. Uns interessiert hier weniger die Tatsache, dass man gewisse Begriffe heute besitzt, als dass man gewisse Begriffsspaltungen nicht zum voraus kommen sah. Hierauf kann gar nicht gen~g Gewicht gelegt werden.

§ 10. Ueber die tdee des Probek6rpers. Der Grundsatz, die zu untersuchenden Systeme nicht zu stS, ren, wird in der sog. k]assischen Physik verwirklicht, indem .die Kraftfelder mit beliebig ~]einen Probe- kSrpern ausgemessen gedacht werden. Das Volumenelement roll Mate- rie ode rLadung z~hlt als Realit~t.

Da die Elementarteilchen die kleinsten wirklichen ProbekSrper sind, sind die Schlussfolgerungen nur ffir makroskopische Systeme sicher zutreffend.

In der Quantenmechanik hat man es vorwiegend mit atomaren Systemen zu tun. Der Mindest-Wirkungsumsatz bei der Messung ist z h (Planck-sches Wirkungsquantum). Der Umsatz des zu unter- suchenden ~Vorgangs ist yon gleicher G~ossenordnung~ der Eingri~f da- her alles andere als ,,unendlich klein"; das System ist vor und nach der Messung ein ganz anderes. Man kSnnte direkt yon den endlichen Reizschwellen der Atome sprechen!

Damit ist ~tie Schwiiche der Idee .des ProbekSrpers aber noch nicht geniigend gekennzeichnet. Die statistischen ,Gesetze des MakrokSrpers und die Quantengesetze sind verschieden. Man muss bei jedem System darauf achten, ob die GrSsse des ProbekSrpers allein oder die Struktur des Systems, d.h. seine Gesetze im Spiele stehen. Beispiel: O6 zwischen den Platten eines K.ondensators zur Messung des elektrischen Feldes ein Ladungsdifferential ocier ein Elektron verwen- det wird, ist gleichgfiltig; aber ' -Das Verhalten des Einzelelektrons i n einem grossen Volumen voll FAek~ronengas (Metall) ist eigenartig: Wegen des Pauli-Verbotes kommen so hohe Eiektronengeschwindig- keiten vor, dass man, werm man aus der Geschwindigkeitsverteilung nach .der klassischen Theorie grSssenordnungsm~issig eine Temperatur er- rechnen wollte, auf Temperaturen yon weit fi, ber 10.000 ° stossen wiirde.

Ich bin der Kiihraheit der Verallgemeinerung, die ich im folgenden vornehmen werde, wohl bewusst, aber es lohnt sich vielleicht, sie aus- zusprechen und zu priifen.

Werm ein ProbekSrper mit alt seinen spezifischen Eigenschaften zur Reaktion kommt, <]ann bedeute~ seine Einffihrung nicht eine Sondie- rung, sondern einen Eingrfff. Im besonderen wirkt das Elektron im

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elektrostatischen Feld unspezifisch, im Atemfeld spezifisch. Anders aus- gedriickt: Ein KSrperehen iibernimmt .die Funktion des ktassischeu ProbekSrpers n~r, wenn es sich in einer quantitativ und qualitativ andersartigen Umgebung befindet.

In dieser Form dfirfte der Satz auch den Mediziner interessieren.

§ 11. Uebe~ Wahrschein~ichk,eit und Ko?npleme~tariti~t, Um sich tier Ffille tier Ezscheinungen anzupassen, hat der Physiker seinen Be- griffsschatz ausgebaut. Hierbei ist es nun vorgekommen, dass Begriffe aus diametral entgegengesetzten Anschauungskreisen entnommen wer- den mussten.

So l~iuft die Haltung, in die man sich versetzt, wenn man an Gesetz, eindeutigen bestimmten Zusammenhang, Kausalit~it . . . . denkt, der in- nern Einstellung auf Gesetzlosigkeit, Zufall, Wahrscheinlichkeit, Statis- tik, Unbestimm~heit, Undefiniertheit . . . . entgegen. Man hat sich an die l~ara~lel~'dhr~ng solcher gegens~'tz]icher Aspekte gewShnt, wie man sich auch an den Gegensatz Kontinuit~t-Diskontinuit~it gewShnt hat. De Broglie hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch zwischen den Begriffen Korpuskel und System eine Spannung bestehe. Er ist damit nu t auf einen Sonderfall des Gegensatzes Tefl~Ganzes, bzw. Element- Gestalt gestossen.

Diese Situation der Notwendigkeit gegens~tziicher, sich abet doch erg~inzender Komponenten in Denken und Anschauung hat sich nun mit dem Aufkommen der Quantenmechanik versch~irft. Dieselbe Sub- stanz kann als Teilchen oder als Welle in Erscheinung treten, je nach Messanordnung. Anders ausgedriickt: Es gibt Gestalten, die im Ganzen gleichen Real~t~itsgrad aufweisen, abet im Einzelversuch als die eine oder ,die andere Elementargestalt auftreten. Bohr sagt: Es besteht Kom- plementarit~it zwischen Teilchen und Welle. Man kann Komplementari- t~tten deuten als Ausdruck dafiir, (lass Begniffe aus allzu welt a,useinan- derliegenden Gebieten verkettet und durch Versch~rfung in Opposition geraten sind. Der eine Begriff muss damn, wenn ich so sagen darf, alles iibernehmen, was sich der an.dere nicht auf'bfirden ]~sst .(Auffang- begriff).

Die gedantdiche Basis der Physik ist durch diesen Ad~iquations- prozess tier Eh~ffihrung der Komplementarit~'ten gewaltig gewachsen. Die Hoffnung, dass damit auf das Lebensproblem neues Licht f~llt, ist berechtigt.

Zur Frage tier Bemfihungen der Physiker, zur LSsung dieser letzt- genannten Pro'blerns einen Beitrag zu leisten, nur wenige Worte. So wie ich es verstehe, meint der Physiker, wenn er yon Leben spricht, nicht jene schwer iibersehbare Dom~ine, die der Biologe allei.n um- schreiben kann, sondern er meint nur das Nicht-Tote, das Nicht.

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Kausale, clas Nicht-Determinierte. Alle Versuche, dieses negativ um- schriebene enge Gebiet zu verlassen, sind als erste Gehversuche zu be- werten und vom Biologen w ohlwollend zu beurteilen. Wenn der Phy- siker meint, mit der physikalisch-chemischen und mathematischen Deu- tung der Vorg~nge im Gen auf Grund quantenmechanischer Vorstel- ]ungen die beriikmte Liicke ausgeffillt zu haben, so ist das, wie Baltzer mit Recht bemerkt, hSchster Optimismus. Abet an diesem Optimismus sind alle schuld: Es ist zu oft versucht wooden, das ffir den ]ebendigen Organismus Charakteristische in k]einsten Elementen und Bezirken konzentriert sich zu denken, mit andern Worten die geometrisch- analytische Denkweise ist zu oft iibertrieben worden, als das man sich wundern darf, wenn nun bei den Physikern der Irrtum sich breit macht, mit der Erkl~rung des Verhaltens gewisser hochmolekularer Verbin- dungen sei alIes getan. Andererseits clfirfen aber keine ~erbottafeln den Physiker und Chemiker hindern, das Gebiet der elementaren bio- logischen ~org~nge zu betreten. Er w~re ein Verstoss gegen anerkannte Prinzipien der Wissenschaft, werm sich ~ie Vertreter tier exak~en Naturwissenschaften durch ~lie h~ufigen Hinweise auf Kr~fte, die ,,nicht mechanisch" gedeutet werden kSnnen, die ,,ganz ar~ders sind als alle physikalischen Kr~fte", sich abschrecken lassen wiirden, nach den feh- lenden Gliedern der Reihe zu suchen, mag cliese so lang sein wie sie will. Diese Feststellung gilt unabh~ngig davon, ~b die Frage nach clem Gegensatz tot-lebendig, so wie sie heute die Gemfiter bewegt, richtig oder falsch gestellt ist.

Nun noch einige Worte fiber die seit 20 Jahren schwebende unge- lSste Frage der Bede~tung des StatistiSchen in der Quantenmechanik. Die Physiker zerfallen in 3 Gruppen:

Die Vertreter der ersten Gruppe hoffen, es f'mcle sich einmal eine einheitliche Theorie, welche die Zwiegesichtigkeit Welle-Korpuskel ver- stehen lasse, sowie die kinetische Gastheorie den ersten und zweiten Hauptsatz der W~rmetehre erkl~irt hat. Diese Gruppe, welcher viele prominente Physi~er angehSren, hofft also auf die Auffindung verbor- gener Parameter.

Die Vertreter der zweiten Gruppe glauben an die UnumstSsslich- keit des Beweises van Neumann, wonach die Struktur der quanten- mechanischen Gesetze derart sei, dass die erstgenannte Auffassung nicht mSglich sei. Das bedeutet mit den heute klassischen Begriffen von Raum, Zeit, Energie . . . . , dass das Mikrogeschehen nicht fixierbar ist; der Auf- fangbegriff des Zufalls tritt in roller Sch~rfe in Aktion: Nicht nur Zufall als Ersatz fiir ,,noch nicht wissen" oder ,,nie wissen", sondern ffir ,,nicht wissen kSnnen". Man miisste also schon die Voraussetzungen dieses Be- weises zu Fall bringen, um wieder Spielraum fiir die erstgenannte Auf- fassung zu schaffen und wieder unbeschr~inkt kausal denken zu diirfen.

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Die dritte Gruppe ist in ihren Auffassungen nioht scharf umrissen; gekennzeichnet ist diese Gruppe da, durch, dass sowohl der klassische Begriff der Kausalit~t, wfe auch die vollkommene Gesetzlosigkeit, die ein Kernstfick der zweitgenannten Auffassung bilde.t - - dass dies e beiden Extreme, Grenzideen wiirde sie Weyl wohl nennen, als Konstruktionen nnseres schSpferischen Geistes gar keine dO erschiitteluade Bedeutung haben. Sie sirid vielmehr Ausdruck gegenl~ufiger gei'stiger Tendenzen. Eine Analyse der Grun.dlagen aller Wissenschaften diirfte diese Gegen- s~tze stark verblassen bzw. sie auf die Stuf.e yon Eigentiimlichkeiten spezieller denktechnischer Hilfsrgittel herabsinken lassen. Diese MSg- lichkeit hat Bernays im Anschluss an den Bericht von Gonseth ange- deutet.

§ 12. Ueber Zusammenhgnge zwischen Form und InhaIt, QuaIitgt und Quantitgt. Die Weir ist gross, der menschliche Horizont [st eng. L~Jngen von 1/10 mm bis einigen km erleben wir noch ,,unmittelbar", was darunter und dariiber liegt, ist nur noch verstandesm~ssig zug~inglich. Mus:kelkr~te kSnnen wir noch direkt ,,spiiren", Kerr~kr~te nicht. Abet wir kSnnen das Extrapolieren der im Alltag gewonnenen Bilder nicht lassen. Dies kann dazu fiihren, dass etwas, gas der Verstancl nur als ungeheuer viel grSsser oder als ungeheuer viel kleiner erklfirt, uns pri- rni~iv als qualitativ anders erscheint. Ich erinnere bier an die Absch~'~- zuag von Dessauer, wonach die Impuls- und Gravitationsempfindlichkeit des Menschen t0 ~1 mal kleiner ist als seine Seh- und HSrempfindlichkeit. Der Mensch erlebt schwere und tr~ige Masse als etwas ganz anderes als Licht und Schall. Urn die Verbundenheit zwischen Materie und Energie zu erkennen bedurfte es etwa 2Y2 Jahrtausende Physik.

Der euklidische Raum mit seiner vollkommenen Unterschiedslosig- keit aller Rau~nelemente erscheint uns als Prototyp der linearen Mannig- faltigkeit, dererl Teile yon einander vollst~indig unabh~ngig sind.

Warum [st nun der physische Raum nahezu euklidisch? StSren die Gravitationskr~fte die Geometrie so wenig, well sie so gering sind? Oder sol]. ich fragen: Sind die verborgenen Wechselwir~ungskriifte des Aethers so ungeheuer, dass ~lie Gravitationskriifte nut wie eine Kr~iuse- lung der Obe~l~iche des Aetherozeans wirken (WeyI)? Soll man die Grur~dstruktur ,,Geometrie als Form" oder ,,Fiihrungsfeld als Realit~t bzw. In_halt" nennen?

Die Quantenmechanik gibt Anlass zu ~ihnlichen Fragestellungen, z.B.: Die Bel~rsche Atomtheorie erlaubt dem Elektron nur bestimmte Bahnen. Aber ausser der uns bekannten Coulombschen Anziehungs- kraft und der Zentrifugalkraft kennen wi'r keine besondere geheimnis- volle Kraft. Ferner verbietet das Pauliprinzip, dass sich mehr als 1 Elek- tron in einem System im genau gleichen Zustand befindet. Wiederum

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keine explieite neue Kraft, nu t eine Beschri~nkung der MSgliehkei~en. Und trotzdem grSsste dynamisehe Konsequenzen: die Exis~enz stabiler Atome, die Existenz des periodischen Systems, die Existenz hoehmole- kularer Verbindungen trotz der destruktiven Wirkung der Temperatur- bewegung (eine der Vorbedingungen der Existenz yon Lebewes,en) dies alles nu t als Folge formaler Bedingu~gen!

Ist es vielleicht so, dass die grSssten Kr~ te das Gescheh.en unver- rfickbar steuern, dass sie sich aber unserem auf kleine Variationen ein- gestellten Geist nur als formale Bedihgungen dieses Geschehens offen- baren? als Formen, in denen jene ]deinen Variationen yon uns inhalflich gedeutet werden?

Sind vielleicht die von uns aus denkSkonomischen und ~sthetischen Grfinden bevorzugten einfachen Formen Gleichgewichtszust~nde von ungeheuer grossen oder ungeheuer kleinen Systemen, die yon fibersinn- ]ich grossen Kr~ften beherrscht werden?

Man sagt oft, die klasslsche Physik abziig!Lch die Materie sei ein Stiicl~ Mathematik. Unter Materie sind hierbei diejenigen Zentren yon schwachen Feldern im leeren Raum gemeint. Diese Nlaterie (d.h. die Kr~uselung) sich veto Ozean wegzudenken~ bedeutet kaum etwas Prin- zipielles, denn der Hauptteil der Wechselwirkungen - - die ,,inneren" wenn ich so sagen darf - - verschwinden damit nicht. Das Abstrahieren yon diesem Restchen Materie ist also nu t ein bescheidenes Rfickw~irts- extrapolieren, urn einige spezielle reale Ziige loszuwerden und um vor- behaltlos Logik des beliebigen Objekts tree.ben zu diirfen. Dies is~ ein Weg, u m - - ich kann nicht sagen, ob v o n d e r 1Y~ethode oder vom Objekt aus - - Mathematik und Physik unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu verstehen. Er bedeutet: Auffassung der Mathematik als Grenzfall einer Realwissenschaft, realistische Deutung der Formen.

Kr~fte im gewDhnlichen Sinn als solche zu er~ermen, kann uns aber nicht nur Mtihe machen, wenn sie ungeheuer gross sind, sondern auch wenn sie z.B. ungeheuer selten neu in Erscheinung treten. Ich denke an die sog. Lebenskr~i~te. Wenn ein Reaktionpartner A mi~t einem Reak- tionspartner B nicht auf ein und demselben ,,Weg",. sondern hin und zuriick auf verschiedenen ,,Wegen" wirkt, und wenn ausserdem der Prozess ,,B wirkt auf A" zur Aufrechtezh.al~ung des Prozesses ,,A wirkt auf B" beitr~igt (der Techniker spricht in einem solchen Fall yon Rfickkopplung), dann kommt man, so scheint es, zu Systemen, ffir die die Wahrscheinlichkeit des Weiterbestehens ungeheuer viel grSsser ist als die Wahrscheinlichkeit des Entstehens.

Mit diesem spekulativen Wink m~chte tch meine Bemerkungen fiber methodische Eigentfimlichkeiten im Denken des Physikers ab- brechen und reich kurz der Technik zuwenden.

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§ 13. Ueber konstruktives Denken in der Technik. Mehr als in der Physik tritt in der Technik der Begriff der Funktion als NIerkmal eines komplexen Gebil~les hervor, denn hier ist von Geri~ten die Rede, deren Plan yore Konstrukteur aufzustellen ist. in diese T~itigkeit des Er- lindens kann ein gewisses System gebracht werden durch ,,Denken in Funktionen und Teilstrukturen". Ich nenne als Beispiel zun~ict~st eine in der Verst~irk~technik wichtige Funktionen:

Verstiirkung Rtickk0pp}ung Entzerrung Gleichrichtung Frequenzwemdlung Modulation Schwingungserzeugung automatische Regelung . . . . . °

Man braucht nur zu sagen, welche Eigenscha~ten ein Apparat haben soll, also welchem Zweek tier Apparat dienen soll, und man weiss, we]che Funktionen erfii]lt werden mtissen. Da die Funktionen an Konstruktions- elemente (Grundstrukturen) oder Kombinationen hiervon gebunden s~d, weiss man, was ftir Teile der Apparat etwa enth~lt und wie er abschnittweise etwa gebaut ist. Das Prinzipschema darau~hin zu erraten, ist nicht mehr allzuschwer, wenn man einmal das wesentliche in Stich- worten kennt. (Mir scheint dieses Beispiel ausgezeichnet als Illustration daffir, was wesentlich und Stichwort im Hinblick auf eine Konstruktion konkret bedeuten.)

Ich sage nicht, dass die skizzierte Betrach~ungsweise sich mit der morphologischen Betrachtungsweise des Mineralogen oder Chemikers decke, abet sie ~st ihr jedenfalls viel verwandter als der kausanalytischen Betrachtungsweise.

Ich habe d ~ Beispiel aus de r Konstruktionslehre genannt, well hier die konstru~tive tastende Denkweise nicht als Notbehelf, sondern als die ad~iquate Denkweise zu gelten h a t

§ 14. Zusammen~assung und Schlus~bemerkungen. Wit sind zu- sammengekommen, nicht um uns Tatsachen zu erz~ihlen, sondern um sie zu verbinden, urn unsere Sprachen aneinander anzugleichen und uns m unsern Bestrebmngen besser zu verstehen. Die Frage, warum wir uns verstehen wollen, bleibt offen.

Mit der Feststellung, die Physik unterscheide sich v o n d e r Mathe- matik, wie das Gesetz yon der Beziehung, und sie unterscheide sich yon der Biologie, ~de clas Tote vom Lebendigen, und sie unterscheide sich yore Psychischen, wie das bedingungslos Gebundene vom Sinn- und

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Zweckerfiillten, ist es nicht getan. Nicht sie unterscheiden sich, sondern wit un~erscheiden diese Gebie~e so. Und wir tun praktisch gut daran, nicht weil diese Trennung ~iefste Wahrheiten zum Ausdruck br~chte, sondern weil sie uns die orientierende Uebersicht erleich~ert.

Je~le der von einander ziemlich unabh~ngi~en Einzelbetrachtungen meines Vortrages war r~un ein Versuch, dieser Trennung ihre Sch~rfe zu nehmen uncl Verbindungsf~iden zu spinnen.

,Der Physiker (auch als Chemiker, Astronom, Mineraloge) steHt die Grundfrage nach den Wiederholungen in der Sphere des Materiellen; er hat das Recht, ibm ei~ach erscheine.ude Systeme auszuw~ihlen, und befindet sich daher analytisch ih gfinstigerer Ausgangsposition als der Biologe. Wenn sich abet letzterer zu einem Ignorabimus verleiten l~sst, so muss ihm der Physiker widersprechen: Ignoramus - - ja - - aber nicht Ignorabimus. Um ]etzteres sagen zu cliirfen, wissen wit zu wenig.

Wenn der NIathematiker versuchen wollte, sich in die Sphere des sicher Gfiltigen, aller Kontrolle Entzogenem zu fliichten, so miisste ihn der Physiker zurfickhalten mit mdem Hinweis: Es wfirde dir nie ganz gelingen, so wenig wie es mir gelingen wfirde, reich ins Reich des sog, rein Experimentellen, Beobachtbaren zu flfichten.

Abstrakt - - k onkre~, lebend - - tot . . . . d as sind tier Erlebniswelt sehr ad~iquate Konstruktionen, abet eben doch Konstrul~tio~en unseres Geistes. Wir sind nun einmal S]~laven dieser Konstruktionen uncl miissen sehen, wie wit uns hewegen kSnnen, ohne den Druck cler Ketten zu stark z,u spfiren.

So komm~ es, dass Mathematik, Physik und Biologie sich in der Wahl der Untersuchungsobjekte getrennt h~ben; in der Art der Bearbeio tung d~eser Objekte jed.och - - ich deutete .dies be fder Besprechung der Operation der ~Gleichsetzung an - - durchdringen sich 2 Aspekte: Duroh die Tendenz zur Einl~eit schimmert die Mannigfaltigkeit ¢ter Objekte hin- dutch; diese Mannigfaltigkeit be~ingt eine starke Differenzierung der Operationen und der zugehSrigen Begriffswelt schon innerhalb der ein- zelnen Disziplinen; der gemeinsame Kern --i~n Beispiel die Grenzklee ,,gleich" - - wirkt aber als Bindeglied, und zwar nicht nu t in Bezug auf die verschiedenen Abarten dieses Begriffes - - irn Beisp,_'el die verschie- denen Arten ,,gleich" in tier Physik ~ sondern fiber die Grenzen der Einzeldisziplin hindus - - im Beispiel in das Gebiet der M athematik und Physiologie hinein. Der Bio]oge mfisste prfifen, ob der Homologiebegri~ in ~ihnlicher Weise ordnend gewi~kt hat.

Dass in den Grundlagen sich alle betrachteten Disziplinen n~hern, geht weniger aus dem meinigen als aus dem Bericht von Gonseth hervor.

Und nun noch einige Behauptungen, die, wie i"ch ausdriicklieh be- merke, nut zum Teil durch meinen Bericht plausibel gemacht worden sind:

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Die gestalttheoretisch-morphologische Betrachtungsweise ist im Ge- biete der Physik nicht N~herungsmethode und Durchgangsstufe, sondern einfach Methode.

Die exakt, mathematisch-analytische Betrachtungsweise ist in Jhren Wurze]n selbst gestalttheoretisch belastet.

Die Physik ist nicht das kristallklare, abgeschlossene Geb~i~de, das man sich so gerne vorstellt, sondern ei~ Spiegel aller Schwierigkeiten, auf die der Mathematiker bei der P~lege seiner Grtmdlagen stSsst. Ma- thematik und Physik sind der Biologie verwandter, als der Biologe aus Bescheidenheit g]aubt annehmen zu dfirfen.

Wertung urLd Zweckbestimmung sollen ik.bereinkunfsgem~s in der Physik mtiglictu~t zurficktreten, aber sie lassen sich daraus nicht ver- bannen. Wenn ich dies ausspreche, so denke ich dabei an die sog. reine Physik, nicht an die Technik, in der Denken in Funktionen, Strukturen und Zweckbestimmungen ein selbstverstfindlicher Brauch i~st.

Ich kann zum Schluss nur meinem Bedauern Ausdruck geben, dass ich nicht eine g:cSsse Zahl von Beispielen dialektisch behandeln konnte, im Bestreben, zu zeigen, dass unsere Sehnsucht nach Einheit sich auch rein praktisch g!esehen rechtfertigt.

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