14
298 tricitat beim Einstellen des Mikroskops ala horizontale Ver- schiebung erscheint. Krakan am 6. August 185% V1II. Ueher rim optische Inversion hei Betrachtung oerkehrter, durch optische Vorrichtung entmorfenur, physischer Bildcr: oon H. Schriider. 1. Iin Jahre 1744 theilte Dr. P h. Fr. Ginelin io Wiirteinberg der Londoner konigl. Geseilschaft eiiiige son- derbare Illusionen mit, welche er bei Betrachtung verschie- dener Korper durch Teleskope und durch zusammengesetzte Mikroskope beobachtet hatte, indein sich haufig die Erha- benheiten der K6rper in Vertiefungen und die Vertiefun- gen in Erhabenheiten verwandelteu. In anderen Fallen ge- schah diefs auch nicht. In deli Philos. Trans. 57011 17-15 hat Gin e i i n uber diesen Gegenstand eine Ahhandlung ver- offentlich. Er bemiihte sich ohne Erfolg einige feste Be- dingungen der Erscheinung aufzusuchen , und hat auch kei- nen Versuch genracht, dieseibe zu erkliiren. Im Jahre 1780 beschaftigte sich D a v i d R i t t c n - h o u s e Prasident der ainerikanischen philosophiscben So- cietat, init diesen Tauschungen. Er gab keine geniigende Erlrl%rung, indein er die Erscheinung lediglich auf eine Um- kebrung des Schattens durch jrne optischen Vorrichtriugen zuriickzufiihren suchte. Es ist klar, dafs die blofse Uin- kehrung des Schattens nicht die Vorsteilung einer h e r - sion, sondern lediglich die Vorstellung einer verlrehrten Be- leuchtung hervorrufen miifste. 3. Sir David Brewster im Edinburgh Journal of Science Vol. IX. 1836, schliefst sich der Erklarung von R i t t e n 11 o ii se an, und fuhrt sie weiter aus. Da inan wisse, 2.

Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

298

tricitat beim Einstellen des Mikroskops ala horizontale Ver- schiebung erscheint.

Krakan am 6. August 185%

V1II. Ueher r i m optische Inversion hei Betrachtung oerkehrter, durch optische Vorrichtung entmorfenur,

physischer Bildcr: oon H. Schri ider .

1. I i n Jahre 1744 theilte Dr. P h. F r . G ine l in io Wiirteinberg der Londoner konigl. Geseilschaft eiiiige son- derbare Illusionen mit, welche er bei Betrachtung verschie- dener Korper durch Teleskope und durch zusammengesetzte Mikroskope beobachtet hatte, indein sich haufig die Erha- benheiten der K6rper in Vertiefungen und die Vertiefun- gen in Erhabenheiten verwandelteu. In anderen Fallen ge- schah diefs auch nicht. In deli Philos. Trans. 57011 17-15 hat Gin e i i n uber diesen Gegenstand eine Ahhandlung ver- offentlich. Er bemiihte sich ohne Erfolg einige feste Be- dingungen der Erscheinung aufzusuchen , und hat auch kei- nen Versuch genracht, dieseibe zu erkliiren.

Im Jahre 1780 beschaftigte sich D a v i d R i t t c n - h o u s e Prasident der ainerikanischen philosophiscben So- cietat, init diesen Tauschungen. E r gab keine geniigende Erlrl%rung, indein er die Erscheinung lediglich auf eine Um- kebrung des Schattens durch jrne optischen Vorrichtriugen zuriickzufiihren suchte. Es ist klar, dafs die blofse Uin- kehrung des Schattens nicht die Vorsteilung einer h e r - sion, sondern lediglich die Vorstellung einer verlrehrten Be- leuchtung hervorrufen miifste.

3. Sir D a v i d B r e w s t e r im Edinburgh Journal of Science Vol. I X . 1836, schliefst sich der Erklarung von R i t t e n 11 o ii se an, und fuhrt sie weiter aus. Da inan wisse,

2.

Page 2: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

299

von welcher Seite das Licht komme, und den Schatten verkehrt sehe, so schliefst der Beobachter sogleich, sagt B r e w s t er, dafs, was friiher eine Vertiefung war, nun eiue Erhabeiiheit seyn m’iisse, rind umgekehrt. Die factischen Be- lege, welche B r e w s t e r zur Unterstutzung dieser Erklarung beibringt, sind irrig, wie ich zeigen werde. Die Erklarung selbst ist unzulassig, weil das Bewufstseyn iiberhaupt iiie- mals im gesunden Zustaiide einen Einflufs auf die sinnliche Wahrnehmuiig ausiibt, und weil durch eine Reihe von That- sachen gezeigt werdeii kann, dafs bei den fraglichen Tau- schungen das Bewufstseyn, von welcher Seite das Licht kommt, nicht den mindesten Einflufs iibt.

In seineu Beitragen zur Physiologie des Gesichts- sinnes in den Philos. Trans. 1838 Bd. II., deutsch von Dr. F r anz in den Ann. Erganzangsband No. 1, widerlegt W h e a t - s t o n e in Betreff jener Inversionen B r e w s t e r ’ s Ansicht. Ihm scheint die wahre Erklaning darin zu liegen, dafs, wenn die Gegenstande nur mit Einem Auge betrachtet wer- den, der Urtheilskraft iiber das Relief ihre zuverliissigste Richtschnur fehle, namlich die Z)arstellung verschiedener Bilder auf der Reiina jedes Auges. Die Einbildungskraft ersetze nun den Mange1 derselben, und wir sahen daher das Bild des Objects erhbht, oder vertieft, gerade wie sie es uns, durch andere hinzukommende Umstande beeinflufst, angebe. Da€s auch dieser ErkIaruiigsversuch W h e a t s to n e’s ein ungegrundeter ist, geht schon daraus hervor, dafs man auch mit Einem Auge ein ausreichend dcheres und richti- ges Urtheil iiber das Relief der Objecte hat, und dafs bei monocularem Sehen mit freiem Auge ahnlichc Inversionen, wie bei Betrachtung verkehrter , durch optische Vornch- tungen entworfener, physischer Bilder nicht stattfinden.

In dem Repertorium der Pliysik von D o v e , 18 Id, Bd. 5, S. 377, komint endlich M o s e r auf den (legenstand zuriick. Er erhebt gegriindete Bedcnken uber die Ansichten W h e a t - s t o 11 e ’ s, ohne jedoch selbst eine geniigende Erklarung der Erscheinung zu versuchen. Er 1st der Ansicht, dafs inan die Erklarung nicht a m Fhein Principc ableiteii konne ;

4.

Page 3: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

diese Erscheinungen gehorten zum Theile zu denjenigen, welche inan bei stereoinetrischen Fignren beobachte, welche maiichlnal ahnliche soiiderbare lnversionen erlitten.

6. Sowohl B r e w s t e r , als W h e a t s t o n e , und end- lich auch M o s e r bringen iibrigeiis das Erhabensehen hoh- ler Matrizeii von Kopfen und Figuren mit freiein Auge in dieselbe Kategorie, wie das Umgestulptselien init Hulfe von uinkehreiiden optischen Vorrichtungen, wahrend diese Tau- schuiigen doch auf gaiiz versehiedenen Bedingungcn beru- hen, und iiichts mit den Inversioneti mit freiem Auge ge- ineiii haben. Von dieseii letzteren glaobe ich eiiie voll- stiiiidige und geiiugende Erklarung in dieseii Ann. Bd. 87, S. 306 u. d. f. in eiiier Abhandlung unter deiri Titel: )) Ueber eine optische [iiversion init freiem Auge (I gegeben zu haben.

7. In alleii oben bezeicliiieten Nachrichten, welche bis- her uber die fraglicheii Umstiilpungen gegeheii worden sind, fiiideii sicli die eigentlichen Kedingungen des Versuches selbst so uiideutlich bezeichiiet, daib man dieselben erst nach mancherlei Proben herausfindet, und die& ist wolrl ~ L I C I I die Ursache, weshalb die Erscheinuiig selbst iiur We- iiigen behaiint ist.

Die allgeineine Bedingung der Erscheinung ist : dafs das von eiiier Sammelliiise, oder von einer wie eine Sam- inellinse wirkeaden optischen Vorrichtinig eritworfene pby- sisclie Bild eines Objects eiitweder direct init freiein Auge oder init eiiiem iiiclit uinkehreiiden Oculare betrachtet werde. Sie tritt also unter sonst entsprechenden UinstKndeu eiii, weiin inan einen Gegenstand init eiiieiii urnkehrenden zu- saininengesetzten Mikroskop oder Fernrohr oder Teleshop betrachtet; sie tritt ebenso ein, wenn man das voii eiiier einfachen oder zusaininengesetzteii Lupe , oder VOD einein Hohlspiegel entworfeiie physiclie Bild beschaut. hi letzte- ren Firlle lnuk die Lupe uin inehr als ihre Brennweite Ton den1 Objecte abstehen: aiidererseits inufs das Auge so weit ~ 0 1 1 der Lupe entfernt seyn, daEs das von dieser entwor-

Page 4: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

301

fene physische Bild zwischen das Auge und die Lupe zu liegen komint.

Ich werde nun im Folgenden iminer nur voii einer sol- chen Betrachtung eines Objectes dnrch eine Lupe reden, da sich alles fur die Lupe Gesagte sehr leicht auf andere und zusainmengesetzte optische Vorrichtungen , welche ein verkehrtes Bild geben, ubertragen Bfst. Ich werde ferner, der Kurze wegen, einfach den Ausdruck wahlen: ilbei Be- trachtang mit der LupeR oder limit der Lupecr, indem es sich dabei iminer von selbst versteht, dafs die oben bezeich- neten Redingungen gemeint seyen. Ich kann inich zugleich kurzer fasseii, wenn ich die Theorie der Erscheinung vor- ausschicke, und dann die Uebereinstiminung der Beobach- tun% mit derselben nachweise.

Die bei monocularem Sehen dem Auge und dem unbewrifst thhtigen Urtheile gegebenen Hiilfsmittel zur Schstzung der Entfernung sind bei Betrachtung eines phy- sischen Bildes entweder ganz aufgehoben, oder doch so mo- dificirt, da€s die gewohnte sichere Orientirung der Vorstel- lung damit zugleich griifstentheils weggenoinmen ist. Eines der allgemeinsten Mittel zur Schatzung der relativen Ent- fernung ist die Projection auf den Hintergrund. Dasjenige Object ist das nahere, weIches sich auf ein Auderes proji- cirt. Der Stand jeder optischen Vorrichtung begranzt noth- wendig das durch dieselbe sichtbare Bild; es projicirt sich auf dasselbe, und darin ist der Grnnd zu suclien, weshalb, entge,pen dpr gewohnlichen Annahme, auch das vor einer Linse oder einein Hohlspiegel entworfene physische Bild, mit Eiiiem Augc betrachtet, doch hinter der Linse oder dem Spiegel gesehen wird. Erst vor kurzerer Zeit hat D o v e (dicse Ann. Bd. 85, S. 404) zuerst darauf aufmerksam ge- macht, dafs nur bei binocularem Sehen das Tor einem Hohl- spiegel entworfene Bild wirklich vor demselben gesehen wird.

Ein zweites wesentliches Hulfsmittel ist die ParaIIaxe bei einer hleinen Bewegring des Kopfes und Auges. Es rerschiebt sich die Projection auf den Hintergrund bei ei-

6.

Page 5: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

302

nein naheren Objecte \iel rascher, als bei eineiii entfernte- ren. Auf dieses Hulfsmittel zur Bcurtheilung der relativen Entfernung hat meines Wissens zuerst D e 1 a H i r e aufmerk- Sam gemacht.

Indein nun bei Betrachtung eines physischen Bildes die Projection des Lupenrandes und des Bildes, und die Ver- schiebung dieser Projectionen auf dem Hintergrunde mit der Projection des Lupenrandes auf das Bild selbst im Wi- derspruch steht, und indem aufserdein die Projectionen und ihre Verscltiebiingen im Bilde selbst ganzlich ungewohnli- che Verhaltnisse annehmen, ist das unbewufst thatige Ur- theil vallig unsiclier gemaclit, und irregeleitet.

Ein kauin ininder wesentliches Hiilfsmittel zur Wahr- nehmuiig der Entfernung init Einein Auge ist das Verhall- nib der bekannten oder vorgestellten Groke zur scheinba- ren Grofsc der Objecte; denn die Vorstellung von der Grsfse der Objecte ist von ihrer Entfernung innerhalb be- stiininter Granzen unabhangig. Schon B i o t hat darauf auf- merksam gemacht, dafs ein Mensch, der sich von uns ent- fernt, nicht kleiner zu werden scheint; er wird immer in derselben Grafse vorgestellt, so lange die Entfernung nicht so grofs wird, dafs sie das uns gelaufige Mads iiberschrei tet. 1st daher die Grii€se cines Objects einmal in die Vor- stellung aufgenoniinen, so ist dessen Entfernung fur die Vorstellung unmittelbar init seiner scheinbaren Grofse ge- geben.

Indeui nun bei Betrachtung eines physischen Bildes auch das gewohnliche Verlialtnifs , nach welchem die scheinbare Gr6fse init der Entfernung abniinint , ganzlich geandert ist, so ist der Vorstellung auch von dicser Seite die gewohnte Uiit erlage en tzogen.

Von alien HiilfsmitteIn zur Wahrnehmung der Ent- ferauiic;, von welchen ich ein sehr wesentliches noch fer- iier beibringen werde, scheint nur Eines bei Betrachtring eines physischen Bildes iibrig zu bleiben; es ist dasjenige, welches durch die Schatten - und Licht - Verhaltnisse gege- ben ist. Ein beleuchteter Theil des Objects inufs uber

9.

i0.

Page 6: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

303

den von ihni bescbatteten Theil des Objects in der Rich- tungslinie des einfdlenden Lichtes hervorragen.

Aber gerade die Schatten - und Licht- Verhiiltnisse, wenn nicht noch anderweitige Hiilfsmittel zur Wahrnehmung der absoluten und relativen Entfernung mitwirken , erlauben im Allgemeinen eine doppelte Auffassung des Reliefs, in- dem sie in der Regel ebcn so gut mit einer etwas modifi- cirteii Umstiilpung oder Inversioii eines Objects harmoni- ren, wenu nur die Beleuchtung als von der anderen Seite kommend in diesem Falle vorgestellt wird, und dieser letzte- ren Vorstellung steht ubcrall nichts im Wege.

Es ist hierdurcli klar, weshalb die Wahrnehmung der Entfernung und des Reliefs bei Betrachtuu;; eines phy- sischen Bildes unsicher gemacht ist. Bei der Ansicht eines aufrechten physischen Bildes reichen die erwahnten Hiilfs mittel, wie sehr sie aucb abgeschwacht und gestort seyn magen, gleichwohl fast iinmer noch voIIstiindig hin, die rich- tige Vorstellung des Reliefs zu sirhern. Bur Einmal, wah- rend einer grofseu Reihe von Versuchcn, ist es mir vorge- koinmen, die Hohlleisten einer Thiire uiid die Matrize ei- nes Kopfes bei Betrachtung eines aufrechten physischen Bildes revertirt zu sehen. Die Vorrichtung bestand in zwei grofseren Sammellinscn, welche um mehr als die Summe ihrer Brennweiten von einander abstanden, so dafs die zweite von dem verkehrten physischen Bilde entfernter Objecte, welches die erste gab, wieder ein verkebrtes also nun auf- rcchtes physisches Bild entwarf, welches mit freiem huge aogesehen wurde. Ein zweiter feriisichtiger Beobachter, dem die Iiirersion hei verkehrten Bildern eine vie1 regel- mafsigere Erscheinung ist, konnte sie hier, mit Ausnahme der Inversion YOU ein panr HoIilleisten der Thure, nicht wahrn ehmen.

Die Ursache, weshalb bei Betrachtung verkelirter physischer Bilder die Inversionen eine gewissermafsen re- gelmtifsige, und wenn noch besondere Moineiite hinzutreten; sogar nothwendige Erscheinung ist , liegt darin , da€s Eins der Hulfsmittel zur Wahrnehmung der Entfernang bei mo-

11.

12.

Page 7: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

304

lecularein Sehnen von entgegengesetzter Wirkung werden, und deshalb iiber die iibrigen, im htichsten Maafse abge- schwachten uiid gestorten Hulfsmittel das Uebergewicht cr- langen kann.

Ein wesentliches Element zur Beurtheilung der relati- ven Entfernung auch bei inonocularem Sehen, welches ich iiirgend hervorgehoben finde, ist namlich die Lage in Ver- biiidung mit desr Continuitat der Theile der Objecte. Die Lage ist unmittelbur durch die Richtungslinie des Sehens bestimmt. Die Stellung des Kopfes liegt vollkominen in der Einpfindung. 1st nun diese z. B. aufrecht, so sind in dem horizontalen Theile der Ausbreitung jeder Flache die naher liegenden Punkte die unteren, die entfernter liegen- den die oberen des Gesichtsfeldes. Wenn nicht besondere Projectionen oder Schatten- uiid Licht - Verhiiltnisse eine andere Vorstellung init Nothwendig bediogen, so wird da- her in der in die Horizontalprojectiou fallenden Ausbrei- tung eiuer Flgche ein Punkt um SQ naher vorgestellt, je tiefer, und urn so entfernter, je haher er im Gesichtskreis zu liegen koinint; wie denn z. B. in der Landschaftsmale- rei stets die untersten Punkte dem Vordergrunde, die ober- sten, wenn sie nicht besondere Hervorragungen darstellen, den entferntesten Theilen des sichtbaren Horizontes ange- horen.

In dem Lupenbilde, wenn es ein verkehrtes ist, entspre- chen nun alle oberen Punkte des Sehfeldes den unteren uiid naheren Punkten einer sich vor uns ausbreitenden Flache, rind alle unteren Punkte des Sehfeldes entsprechen den oberen uiid entfernteren des freien Gesichtskreises. Man wird daher stets geneigt seyn, in dein Lupenbilde je- der init theilweise horizontaler Erstreckung sich ausbreiten- den Flache die unteren Punkte, die den entfernteren ent- sprechen, fur die naheren, und die oberen Pnnkte, die den naheren des Objects entsprechen, fur die entfernteren zu halten. Mit der Vorstellung, dak die naheren Punkte die entfernteren seyen und uingekehrt, is: jedoch die Iiiversion des Reliefs unmittelbar gegeben. Es ist leicht, die gleichen

Page 8: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

305

Schliisse auch auf eine andere als verticale Stellung des Gesichtslireises auszudehen.

Legt man in der That einen rechteckigen Bogen Papier vor sich auf den Tisch und betrachtet das verkehrte physische Bild desselben durcb die Lupe, so erscheint der- selbe im oberen Theile des Sehfeldes verbreitet, im unte- reii verengert. Jeder Unbefangene, der gefragt wird, wel- cher Theil der illhere sey, wird aber in der Regel sagen: der schmalere, obgleich dieser in der That der entferntere ist. Legt inan auf einen Tisch drei verschiedene Objecte hintereinandcr und betrachtet sie iiiit der Lupe, so wird ebenfalls jeder Unbefangene, der gefragt wird, in welcher Ordnung er sie sieht, in dcr Regel die verkehrte von der wirklichen angeben. Er wird das nachste Object fur das entfernteste halten.

Es ist diese verkehrte Vorstellung von der relati- veil Entfernung jedoch kcine Nothwendigkeit ; denn bcwegt man die Lupe so, dak man den Rand des Tisches und den Fufsbodeii in das Gesichtsfeld bekoinint , daiiii scheiut der Tisch die Fiifse nach oben zu kehren, iind seine Oberflache erscheint iiun so, als ob sie, uber ihre Begranzung durch die Lape hinaus ausgedehnt, schief iibcr den Kopf des Beob- achters hin sich fortsetzen miifste. In dieser Lage werdcii die nahcren Puiikte des Objects auch als die naheren vor- gestellt. Obwohl diese letztere Vorstellung sehr ungewohn- licli ist, so ist sie doch nicht schwierig festzuhalten; und sie wird noch dadurch besonders unterstulzt, dafs die naheren Gegenstande auch grofser, die entferntereii auch kleiiier er- scheinen. Fur die horizontale Erstreclung jeder einzeliien Flache kann nun gleich von Vornherein die eine oder die andere dieser Vorstelluugen Platz greife:~, und dadurch inafs- gebend werden fur die Vorstellung dcs Reliefs.

Es liegen soiiiii eiiiander entgegenwirkende Elemeiite fur die Vorstellung der Entfernung und des Reliefs bei Be- trachtung verkehrier physiseher Bilder vor, uiid es ist hier- iiach begreiflich, daEs jede eiilzelne Besonderheit, dafs jedc weitere fiir eine der beiden Vorstellungell hinzutretende Un-

13.

14.

Poggendorfl’s Annal. Rd. CV. 20

Page 9: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

306

terstatzung dem einen oder and"een dieser Elemente das Uebergewicht verschaffen wird; ja dafs, je iiachdem die eine oder andere Flache eiiies Korpers bei Betrachtung dessel- ben durcli die Lupe unter sonst gaiiz gleichen Urnstanden zuerst ins Auge fgllt, auch das invertirte oder das urspriing- liche Relief in der Vorstellung entspringen, d a m aber, SO

lange der Blick iiicht abgewendet wird, beharren wird i und da€s endlich nichts im Wege steht, dafs selbst einzelne Objecte oder Theile cines Objectes iiivertirt hervortreteii iieben anderen, deren Relief als das wirkliche erscheint. Es wird endlich begreiflich, dafs gewisse plotzliche Ver- anderungen im Glanz oder in der relativen Lage der Theile die Vorstellung auch plotzlich uinspringen machen konneii.

Ich werde nun eine Reihe voii Thatsachen beibringen, welche die vorausgehenden Schlusse bestatigen; mufs jedoch bemerken, dafs ich diese Thatsachen langst gesammelt hatte, ehe mir ilire Erklarung geniigend miiglich schien.

Bctrachtet man nebeneinander mit der Lupe das Basrelief und die Matrize cines ICopfes oder einer mensch- lichen Figur, sey cs in Gyps, Wachs, Schwefel u. s. w., so werden beide invertirt erscheinen. Die Matrize wird unter allen Uinstanden und jedesinal als Basrelief gesehen, weil sich hier zu dem Momente der Inversion, welches das verkebrte physische Rild als solches beibriiigt , noch jefies andere Moment gesellt, dafs ein Kopf, eiiie Figur uberhaupt nicht anders als plastisch vorgestellt werden kanii, und wel- ches ich in diesen Ann. Bd. 87, S. 306 u. d. f. zur Erlda- rung der Inversion hohler Formen von Kopfen und Figuren bei Betrachtung mit freiem Auge naher eiitwickelt habe. Aus dem gleichen Grunde aber erscheint das Basrelief in der Regel nur dein Unbefangenetr, und beim erstmaligen Aublick, als hohle Form; diese geht bei langerer Bdrach- r m g unfehlbar wieder in das Basrelief uber, uiid wird bei haufiger Wiederholung des Versuchs iiberhaupt nicht inehr invertirt geseh en.

Ganz anders bei blofsen Ornameliten, z. B. einer bronzirten Vorhangsrosette. Auch diese erscheint bei erst-

15.

16.

Page 10: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

307

maliger Betrachtung in der Eegel dem Unbefangenen inver- tirt. Bei Sfterer Wiederholung scheint jedoch das iiiver tirte kind nicht invertirte Bild im allgeineiiien gleich leicht hervorzutreten; es gcht aber nieinals das eine in das andere iiber, wenn inan den Blick nicht abwendet.

17. Das invertirte Object wird immer so vorgestellt, nls ob das Licht von der nzmlichen Seite Iranie, von der es wirklicli koinlnt ; das nicht invertirte Object erscbeint so beleuchtet, als ob das Licht von der andereri Seite homine. In den meisten Fallen finden sich einzelne Licht- und Schat- ten-Partien, welche mit einer reinen Inversion des Objects nicht vertraglich sind, und diese fuhren d a m bestiminte ei- genthuinliche Veranderungen in der Gestalt des vorgestell- ten Objects herbei. So erscheint 2. E. die Inversion einer einfachen prismatischen Rime nicht rein als prisinntischer Stab. Es sey Fig. 15, Taf. 111 a b c d e f die Ritine oder Hohl- leiste, Zg die Richtung des einfallenden Liclites; so sind e d und g d beschattet, alle anderen Theile, nainentlich auch e h sind beleuchtet. Die reine Inversion derselben wie Fig. G Taf. I11 wurde deli widersiniiigen Schatten d g enthalten: und auf e h wiirde der nothwendige Schatten fehlen; man sieht daher die prismatische R ime nicht als prisniatischen Stab, sondern in der Form a b c g i e f Fig. 7 Taf. 111, einsei- tig als Rundstab uiid bctrachtlich verschmalert. Ebenso geht ein prisinatischer Stab a b c d e f Fig.8 Taf. I11 nicht in eine prismatische R ime a b c d e f Fig. 9, Taf. 111 tiber, in wel- cher der Schatten h b widersinnig wiire und der nothwen- dige Schatteii e g fehlen wiirde; sondern er erscheiiit als einspitig ausgerundete uiid betriichtlich erweiterte Riuiie a h i c d e f Fig. 10, Taf. 111.

Es ist leicht einzusehen, dafs in ahnlicher Weisc im ill!- gemeinen bei diesen lnversionen Erhabenheiten als uerbrei- terte Vertiefungen, Vertiefungen als vcrschmalerte Erhaben- heiteii gesehen werden mussen, urn so mehr \ erbreitert odcr verschinalert, je hoher und tiefer sie sind und je schiefer die Beleuchtung ist, denii das oben entwickelte Schema kfs t

20 ?k

Page 11: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

508

sich auf die Schatten - und Licht - Verhaltnisse sehr vieler Formen uninittelbar iibertragen.

Aber eben diese oft sehr gezwungenen und ungewdhn- lichen Differenzen zwischen der gcsehencn Form uiid der reinen Inversion liefern zugleich den Nachweis, dafs alle anderen Elemente zur Wahrnehmung der Eniferrlung und des Reliefs, mit alleiniger Ausnahme der Schatten- und Licht-Verhaltnisse, entweder ganz fehlen, oder doch in ih*-er Bedeutung so sehr abgescliwacht sind, dafs die letzteren ganz allein die Vorstellung von der Form der Objecte in einer Reihe von Fallen bedingen. Vielleicht der auffal- lendsie iii dieser Beziehung ist der folgende. Eine bohle Matrize in Gyps voii eiiiein Kopfe in dir ectrm Sonnenlichte, so dafs ein sehr schadsr Schatten qoer auf das Gesicht f;illt, init der Lnpe betrachtet, erscheint gleichwohl als Bas- relief; aber in dem Gesichte erscheint an der Stelle, wo die Granze des Schattens hinfdlt, eine scharfe Kante, von welcher ah der beschattete The3 des Gesichts sich pl6tzlich abwarts senkt.

Es giebt Formen, welche nur theilweise invertirt werden , weil die vollstandige Inversion mit den Schatten- verhaltnissen unvereinbar ist. Ein runder Bilderrahmen n i t Hohlrinnen an der Wand wird mit Rundleisten, und wie in einer nacli der Schattenseite verbreiterten Grube in der Wand gelegen, erscheinen. Der Schatteii cines viercckigen Bilderrahineiis auf ebener Wand Iril'st hingegen die Vorstel- lung, dafs er in ciner Gruhe liege, nicht zu. I)er Rahinen erscheint auf der Wand mit seinem natiirlichen Schaiten; gleichwohl wird der Kahmen selbst mit einer dcm Schatten, welchen er auf die Wand wirft, widersprechenden Belench- tung invertirt erscheinen kihineii , so dafs die Leisten als R ime und die Rinne als Leisten geseheii werden.

Es giebt Falle, in welchen ein Object hei Betrach- tung init der Lupe init seinem Schatten in der Vorstellung verwechselt wird. Man halte z. B. bei einseitiger Beleuch- time durch cine Lairipe, mittelst eines leiscn Druckes init dein Finger cinen Draht , oder eine Stecknadel, auf eiiieln

18.

19.

Page 12: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

309 weifsen Bogen Papier als Unterlage schief aufgesiellt. Man wird in der Regel deli Schatten fur den Draht, rind den Draht fur den Schatten halten. Fast ebenso leicht wird jedoch auch die richtige Vorstellung Platz greifen.

T:itt irgend ein neues Element zur Schatzung der Entfernung hinzu, so findet nicht selten ein plirtzliches Um- spriiigen der Vorstellung statt.

Es sey a b c Fig. 1 I Taf. Ill. ein auf einem weifsen Bogen Papier wit den Enden a und c schief aufgestutzter, bei b init den Fingern festgehahener , doppelt gebogener Draht; a.A c b t i einseitiger Lampenbeleuchtung sein Schatten. Ureht inan iiun wahrend der Betrachtung mit der Lupe den Draht um den Sttitzpunkt a allmahlich in die Lage ab'c', so tritt die Projectiousverschiebung eines Drahtarms auf den Schat- ten,. oder des Schattens auf einen Drahtarin wabrend dic- ser Bewegung in Widersprucli mit der Vorstellung, und diese schlagt regelmafsig in ihr Gegentheil urn, d. h. das Object erscheint plirtzlich als Schatten, wenn es vorher als Object gesehen wurde, und es erscheint als Object, weiin es vorher als Schatten geselien wurde.

Das Auge ist immer geneigt, hell erleuchtete Punkte als naher erscheinen zu lassen. Fallt der Glanz eines vertieft gra- virten Buchstabens aaf einem Siegel auf die Kante der Gra- virung, so wird diese rnit der Lupe erhaben gesehen. Dreht man allmahlich das Siegel, bis der Glanz auf die ebene Flache fallt, und die Kante der Gravirung ohne Glanz er- scheint, so springt die Vorstellung in der Regel in diesem Momcnte urn, und die Gravirung erscheint vertieft.

Iminer aber, wenn die Vorstellung oinspringen soll, mi& das hinzutretende neue Element zur Schatzung der relati- ven Enlfernung in dein vorgestellten Gegenstande selhst eine Veranderung hervorbringen. Sieht man ein Ornainent durch die Lupe umgestulpt, und halt nun, ohne den Blick abzuwenden, einen Stab, einen Finger oder sonst ertwas hinein, so fgllt der Schatten dieses auf das Object gehahe- lien Kbrpers in Bezug auf die vorgestelltc Belenchtung des Objects verkehrt. Diefs hindert aber niclit die Vorstelluug,

20.

Page 13: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

die man einmal hat; sie geht nicht in die dem Object ent- sprechende dadurch iiber, wie B r e w s t e r irrthumlich an- giebt. Es trifft sich wohl einmal, dafs im Momente der Be- ruhrnng mit einein fremden Korper die Inversion umscblagt, es riihrt diefs aber daher; dafs inan wahrend dieser Bewe- gang seine Aufmerksainheit auf den hinbewegten Korper riclitct und den Gegenstand einen Moment aus dein Auge verliert. Es ist d a m gerade so, als ob inan den Gegen- stand von Neuem mit der Lupe betrachtete, und es ist scbon hervorgehoben worden, dafs von Anfang beide Vorstellun- geo im Allgenieinen gleich rnoglich sind.

Ich habe oben die Griinde entwickelt, weshnlb mit der Lupe die Inversion fast iiienials eine reiiie ist, sondern iininer eine gewisse Verzerrung in der Gestalt des Objects zur nothwendigen Folge hat. Es stort diefs bei der.Be- trachtung der Lupenbilder deshalb nicht , weil das vorge- stellte Relief lediglich von den Schatten - und Licht - Ver- h~ltnissen abliangt und alle anderen Hiilfsmittel fehlen.

Ganz anders bei der Bd. 87 diese Ann. von mir erldu- terten Inversion hohler Formen von Kopfen und Figuren init freiem Auge. Dem freien Auge sind allc anderen Hiilfs- inittel zur Wahrnelimung der relativen Entfernung und dcs Relief iiicht genoinmen oder gestort. Die init freiem Auge geseliene Inversion congruirt nothwendig init dem umge- stiilpten Object, wie das Basrelief init der Mntrize, aus der es abgegossen ist. Diese Congruenz ist aber niir iniiglich init der Vorstelliiirg einer a. a. 0. n6her gescliilderteii Bc- leuchtung von Innen heraus.

Es ist hierdurch zugleicli Mar, wesbalb init freiein Auge niemals eine Inversion init scheinbar verkehrter Beleuchtung von AuCsen, nnd weshalb init der Lupe nieinals Fine Inrer- sion init jener inagischen Beleuchtung von Innen zu Stnnde kommt.

'22. Es ist unzweifelhaft, dafs opake Objecte init dem uinkehrenden zusainmengesctzten Mikrosbope sehr haufg iiingestiilpt gesehen werdrn. Aucb init einein grofsen Fra u 11-

21.

Page 14: Ueber eine optische Inversion bei Betrachtung verkehrter, durch optische Vorrichtung entworfener, physischer Bilder

31 t

11 o f e r 'schen astronornischeii Feriirohre erschien inir t+inial die Oberflache des Mondes invertirt.

Vielleicht ist in dieser Beziehuiit; eine Recision lnaiicher inihroskopiscben Abbildungen und Bcschreibungen opaker Objecte erforderlich. Man kaiin zwar erkennen, dak die liiversioii stattfindet , wenn die Schatten in Bezug auf das wirklich einfallende Licht nicht verkehrt liegen. (Yeichwohl w2ire es niitzlich, den Mikroskopen zur Controle ein Ocu- lar beizugeben, welches eiii aufrechtes Bild liefert.

l c h fuge iiocli ein selir auffallendes Heispiel von dein Uiiispringen der Vorstellung, selbst bei Betrachtung voii Zeiclinungeii, bei. Fig. 13, Taf. 111 ist niit Fig. 12, Taf. Ilf daselbst identiscli, aber so gezeichnet, wie Fig. 12 Taf. I11 er- scheint, w e m inan das Blatt in seiner Ebeiie um 180" dreht. ist Fig. 12 Taf. 111 oben, so stellt es eine Treppe lor. Drelit iiian das Elalt in seiner Ebeiie um 180", wlhrend inan den Rlick fest auf Fig. 12 Taf. ill gerichtet halt, so koinint Fig. 12, Taf. I11 in die Lage voii Fig. 13 Taf. III uiid ersclieint IS eine won uiiteii stufeiiweise ausgebrochene Mauer.

Da irian jedoch iininer geiieigt ist, die uiitereii Theile einer perspectivisch gezeichiietcn horizontalen Linie fur na- her, die oberen fur eiitfernter zu halteii, uiid diefs Verhdt- nil's uingelrehrt ist, wenn Fig. 13 l'af. llf als voii untcn aus- gebrocheiie Mauer ersclieint , so sieht inau Fig. 13, Taf. 111 leichter ebenfalls als Treppe , aber in ihrer Beleuchtulig vou Fig. 12, Taf. 111 verschieden.

Hat niaii nun diese letztere Vorstellung von Fig. 12 u. 13 , d. h., erscheint jedc der beideii Figuren als eiiie aufrechte Treppe uiid inan drelit das Blatt 1.asc1i urn 180" , so hat iiiaii nun wieder dasselbe Bild vor sicli, die ndmlichen zwei aufrechten Treppen, obwohl beide unigekelirt wurden. 111

:ihiilicher Weise gelingt der Versuch, wenti iiiaii die Zeich- nung in eiiier uiii 91)" gedrehteo Stellung betrachtet uud daun rasch um 180" dreht.

23.

Manlieiui deu 30. August 1858.