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UH umschlag RZ - nabu.de · 3 „Die Havel, um es noch einmal zu sagen, ist ein aparter Fluß; (...) Das Blau ihres Wassers und ihre zahllosen Buchten (sie ist tatsächlich eine Aneinanderreihung

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Überflutungsflächen 1900/2000

April 1900 Mai 1900

April 2000 Mai 2000

2

Juni 1900 April/Mai/Juni 1900

April/Mai/Juni 2000Juni 2000

InhaltEin Fluss wird wieder lebendig 4

Naturraum Untere Havel 6

Geschichte der Havel 8

Vision und Ziel 10

Menschen vor Ort 14Chancen für die ehrenamtliche Tätigkeit im Naturschutz 15

Hoffnung auf Havelfisch – Portrait des Fischers Schröder 16

„Die Renaturierung ist gut für die ganze Region.“ – Interview Rocco Buchta 18

Die Untere Havel – eine Kulturlandschaft 22

Leben am Fluss 24

„Naturschutz-Urgestein“ des Westhavellandes – Portrait Achim Seeger 26

Weitere Informationen 30NABU-Projekt mit Modellcharakter 30

Ihre Unterstützung für das Havelprojekt! 30

Restoration project at the river Havel/English summary 31

Partner 32

Projektbüro/Impressum 32

und ihren Wert an die nachfolgenden Generationen weiter-

zugeben.

Unsere Naturlandschaften und Feuchtgebiete bilden in

Brandenburg und Sachsen-Anhalt das – auch kulturelle –

Erbe in seiner ganzen Bandbreite. Sie sind Schatzkammern

der natürlichen Vielfalt und Heimat für zahlreiche Tiere

und Pflanzen.

Ich wünsche mir, dass mit diesem Projekt die Einzig-

artigkeit der Unteren Havelniederung bewahrt und wieder-

hergestellt wird, dass das Vorhaben eine Brücke bildet zur

Erkenntnis, dass der Mensch nicht gegen oder ohne die

Natur leben kann, und dass während und nach der

Renaturierung ein positiver Effekt für die ganze Region und

darüber hinaus entsteht.

Gute Unterhaltung beim Lesen und Entdecken der

Naturschätze entlang der Unteren Havel wünscht Ihnen

Olaf Tschimpke

NABU-Präsident

Liebe Leserinnen und Leser,

die Havel ist eine wichtige Lebensader Ostdeutschlands und

ein wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Es ist

notwendig, dass diese wunderbare Flusslandschaft ge-

schützt und erhalten wird. Ich freue mich sehr, dass dem

NABU die Trägerschaft für das Projekt der Renaturierung

der Unteren Havel vom Bundesministerium für Umwelt,

Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Bundesamt für

Naturschutz, den Ländern Sachsen-Anhalt und Branden-

burg übertragen wurde.

Die Untere Havelniederung ist das bedeutendste

Feuchtgebiet im Binnenland Mitteleuropas: Sein Wasser-

speicher hat einen besonderen Wert für die gesamte Region.

Wasser ist eine der wichtigsten und somit schützens-

wertesten Lebensgrundlagen für Mensch und Natur. An

dieser Stelle möchte ich auch die Gelegenheit nutzen, allen

Menschen zu danken und meine Anerkennung auszu-

sprechen, die sich für den Erhalt von Gewässern und den

Naturschutz einsetzen. Diese Menschen haben es sich zur

Aufgabe gemacht, die Natur zu erforschen, zu bewahren

3

„Die Havel, um es noch einmal zu sagen, ist ein aparter

Fluß; (...) Das Blau ihres Wassers und ihre zahllosen

Buchten (sie ist tatsächlich eine Aneinanderreihung von

Seen) machen sie in ihrer Art zu einem Unikum.

Das Stückchen Erde, das sie umspannt, eben unser

Havelland, ist (...) die Stätte der ältesten Kultur in diesen

Landen. Hier entstanden, hart am Ufer des Flusses hin,

die alten Bistümer Brandenburg und Havelberg.

Und wie die älteste Kultur hier geboren wurde, so auch die

neueste. Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut, von

Sanssouci aus durchleuchtet. Die Havel darf sich einreihen

in die Zahl deutscher Kulturströme.“

Theodor Fontane

(Wanderungen durch die Mark Brandenburg)

4

Ein Fluss wird wieder lebendig

Aus der Vogelperspektive sieht man die von Theodor

Fontane hervorgehobenen Charakteristika der Havel

besonders gut: Sie windet sich in unzähligen Flussschleifen,

durchfließt Seen und hat zahllose Altarme und Inseln. Als

kleiner Wiesenfluss entspringt sie im Gebiet der Mecklen-

burgischen Seenplatte, durchfließt dann bei stetigem

Wachstum die Großstadt Berlin, die Länder Brandenburg

und Sachsen-Anhalt und mündet schließlich in die Elbe.

Für die Menschen in der Region sind die Havel, ihre Ufer,

ihre Altarme und ihre Inseln Orte der Erholung, Lebens-

quell und Existenzgrundlage. �

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in die Elbe gibt es hauptsächlich weite Wiesen und Weiden,

aber auch große Schilfröhrichte und Weidenwälder. Neben

den nassen und feuchten Flächen findet man auch sehr

trockenes Terrain. Diese Standortvielfalt ist einzigartig für

Deutschland.

Pflanzen und TiereIn dem von der Unteren Havel angebotenen Lebensraum,

der über die Ausstattung normaler Auenlandschaften weit

hinausgeht, hat sich eine erstaunliche Tier- und Pflanzen-

welt entwickelt und – wenn auch teilweise nur in Resten –

bis heute erhalten können. Insgesamt wurden etwa 1.000

bedrohte und geschützte Arten nachgewiesen. Das ist ein-

zigartig in Deutschland und Mitteleuropa. Neben ihrer

Funktion als Rückzugs- und Geburtsstätte bedrohter,

anderweitig längst verschwundener heimischer Arten hat

die Untere Havelniederung eine für den gesamten europäi-

schen Raum einzigartige Bedeutung als Rast- und Über-

winterungsraum wandernder Vogelarten.

Zwar sind viele Arten auch an der Unteren Havel sehr

selten geworden, gleichwohl haben andere hier einen ihrer

letzten Zufluchtsorte. So findet man Rotmilan, Seeadler,

Fischadler, Kiebitz, Bekassine, Rotschenkel, Uferschnepfe,

Flussuferläufer, Uferschwalbe, Eisvogel, Großer Brachvogel

und Wachtelkönig, dazu Biber und Fischotter, die seltenen

Fischarten Rapfen, Schlammpeitzger, Meer- und

Flussneunauge und bei den Libellen die Asiatische

Keiljungfer. Sumpfdotterblume, Brenndolde, Lungenenzian

und Schwarze Segge stehen stellvertretend für die enorme

Pflanzenvielfalt. �

Die HavelDie Havel ist ein typischer Tieflandfluss. Sie hat einen 341

Kilometer langen Verlauf, zuerst in südlicher, dann in west-

licher und schließlich in nordwestlicher Richtung. Dabei

überwindet der Fluss lediglich ein Gefälle von rund 40

Metern. Die direkte Luftlinienentfernung von der Quelle

bis zur Mündung beträgt weniger als 100 Kilometer. Der

mittlere jährliche Durchfluss an der Mündung beträgt ca.

110 Kubikmeter je Sekunde. Die Havel ist nach Moldau und

Saale der drittgrößte Nebenfluss der Elbe.

Von ihrer Typologie her ist sie ein Ausnahmefall in

Deutschland. Sie ist ein sandgeprägter, teilorganischer und

gefällearmer Fluss des Tieflandes mit jährlichem Winter-

und regelmäßigem Sommerhochwasser. Die Untere Havel

ist sehr verzweigt und mäandrierend.

Das ProjektgebietDas Renaturierungsgebiet ist 18.700 Hektar groß. Auf

Brandenburg entfallen davon 11.100 Hektar, auf Sachsen-

Anhalt 7.600 Hektar. Innerhalb des Projektgebiets liegt das

Kerngebiet mit einer Größe von 8.900 Hektar, hier werden

die ersten Maßnahmen umgesetzt.

Wo die Havel in die Elbe mündet, vereinigen sich die

Wasserströme großer Teile Brandenburgs, Sachsens,

Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpommerns. Ausge-

dehnte und unzerschnittene Feuchtgebiete charakterisieren

die sehr dünn besiedelte Untere Havelniederung. Typisch

sind die jährlichen großflächigen Überflutungen, wobei

sich im Frühjahr das Elbhochwasser bis zu 50 Kilometer in

die Havelniederung hineinstaut. Auf den etwa 90

Kilometern Flusslauf zwischen Pritzerbe und der Mündung

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Naturraum Untere Havel

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Geschichte der Havel

Der AusbauDie erste Hochwasserschutzmaßnahme war der Bau eines

Trennungsdeiches zwischen Elbe und Havel in den Jahren

1770/71. Der planmäßige und durchgängige Ausbau der

Havel begann 1875. Der Fluss wurde begradigt und sein

Bett festgelegt, später dann wurde das Hauptbett verbreitert

und vertieft. Staustufen sollten das Wasser im Sommer

zurückhalten. Die Eindeichung großer Teile der Havel-

niederung in den 1970er Jahren kennzeichnete den

Abschluss der Maßnahmen.

Heutige SituationDer Ausbau hatte für die Havel zum Teil schwerwiegende

Folgen. Die Überflutungsflächen schrumpften auf etwa

15.000 Hektar (ein Zehntel der früheren Überflutungsflä-

che, siehe Grafik nach Seite 30), die Überflutungshöhen

wurden halbiert und die jährliche Überflutungsdauer ver-

kürzte sich um sechs bis acht Wochen. Diese Verkürzung ist

verheerend. Insbesondere das Zooplankton als elementarer

Bestandteil des aquatischen Ökosystems der Unteren

Havelniederung leidet darunter. Die Fischbestände waren

davon direkt betroffen, maximal ein Zehntel der ursprüng-

lichen Populationen ist noch vorhanden.

Außerdem fand der Ausbau der Havel für die Schiff-

fahrt zu einem Zeitpunkt statt, an dem diese ihren Zenit

bereits überschritten hatte. Die Frachtmengen stiegen zwar

zunächst, doch die Anzahl der Schiffe und der dort beschäf-

tigten Schiffer sank ständig. Mitte der 1990er Jahre, nach

Auflösung der Zwangstransitstrecke, war die Untere Havel

nur noch eine unbedeutende Wasserstraße.

Auch die Meliorationsmaßnahmen – die Nutzbar-

machung des Bodens für die Landwirtschaft – waren kein

volkswirtschaftlicher Erfolg. Die Ertragsziele wurden nicht

Die ausgeprägte natürliche Gewässerdynamik im unteren

Lauf der Havel stand einer planmäßigen und intensiven

Nutzung und Bewirtschaftung entgegen. Schon frühzeitig

wurde versucht, durch Regulierungsmaßnahmen das

Hochwasserrisiko zu mindern und die Nutzungsbedin-

gungen zu verbessern. Die Havel wurde eingedeicht und

durch Laufbegradigungen, Anlage von Buhnen und Ufer-

deckwerken, Schleusen und Wehren in eine weitgehend

regulierte Wasserstraße umgewandelt. Durch Auspolde-

rungen, das Abtrennen von Auengebieten durch Deiche,

sowie die Anlage von Entwässerungsgräben und Kanälen

wurden immer größere Teile der fruchtbaren Auen und

Niedermoore für die landwirtschaftliche Nutzung er-

schlossen.

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oder nur kurzzeitig erreicht. Trotz der hohen Kosten für

den Erhalt des Systems haben die hiesigen Landwirtschafts-

betriebe deutliche Standortnachteile und sehen einer unge-

wissen Zukunft entgegen.

Ein besonderes Problem ist die durch den Ausbau ver-

ursachte Strukturarmut des Flusses. Es existieren nur noch

wenige Verzweigungen, der Fluss kommt im Sommer in

den Stauhaltungen beinahe zum Stehen und das natürliche

Ausuferungsvermögen ist eingeschränkt. Auch wird der

Rückstau bei Elbe-Hochwasser behindert, was insgesamt zu

geringeren Überflutungen führt. Beinahe durchgängig sind

die Ufer mit Steinen verbaut, es fehlen Abbruchufer und

auch Flachwasserbereiche gibt es viel zu wenig. Zudem ver-

sperren die Staustufen den Wanderfischen den Weg. �

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Vision und Ziel

Die enorme Artenvielfalt der Region zu erhalten, die einzig-

artige Auenlandschaft wiederherzustellen sowie die

Lebensbedingungen in und an der Havel zu verbessern,

sind die Ziele des Projektes.

Auf rund 90 Flusskilometern soll die Havel wieder ein

für sie typisches aufgespaltetes, inselreiches Flussbett

bekommen, mit möglichst vielen unverbauten Ufern, die

sich dynamisch verändern dürfen. Im Hauptarm würde nur

noch eine kleine Fahrrinne unterhalten werden. Die künst-

lichen Uferverwallungen sollen weitgehend aufgelöst und

die alten Flutrinnen wieder durchströmt werden, so dass

das Wasser wieder schneller fließen und sich dadurch bes-

ser selbst reinigen kann. Ziel ist auch, die Wasserstände wie-

der natürlicher schwanken und die Auen im Frühjahr län-

ger überfluten zu lassen. Die Stauwehre bleiben zwar beste-

hen, müssen aber möglichst durchgängig für wasserlieben-

de Lebewesen sein.

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Durch die Renaturierungsmaßnahmen soll ein Mehr an

Lebensqualität durch ein Mehr an Strukturvielfalt und

nicht zuletzt eine verbesserte Selbstreinigungskraft des

Flusses entstehen. Auf den angelandeten Sand- und Kies-

bänken könnten sich dann wieder spezialisierte Vogelarten

wie Flussregenpfeifer und Flussuferläufer heimisch fühlen.

Aus der Elbe aufsteigende Aale, Maifische, vielleicht sogar

Lachse und Störe, werden hoffentlich eines Tages wieder

das Havelwasser besiedeln. In den Auwäldern könnten sich

Hopfen, Wein- und Waldrebe lianenartig um Weiden,

Pappeln, Eschen, Ulmen und Eichen schlingen.

Hauptziele:1. Ökologische Verbesserung der Unteren Havelniederung

zum Schutz und zur Entwicklung der charakteristischen

und auetypischen Lebensgemeinschaften, Strukturen

und Funktionen sowie Sicherung der

Retentionspotenziale (Hochwasserrückhaltevermögen)

der Havelaue in Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

2.Eine naturnahe, durch biotoplenkende Maßnahmen

und fließgewässerdynamische Prozesse geprägte

Entwicklung im Unterlauf der Havel und innerhalb

der Aue zur Verbesserung der Gewässerstruktur,

zur Verkleinerung des Abflussprofils und für häufigere

und längere Ausuferungen der Havel.

3. Optimierung der Bindegliedfunktion im Biotop-

verbundsystem zwischen Elbe und Oder und Entwick-

lung als Lebens- und Reproduktionsraum für an

Feuchtgebiete gebundene Lebensgemeinschaften. �

Rotmilan In Mitteleuropa gehört der Rotmilan zu den seltensten

Greifvögeln. Deutschland trägt eine große Verant-

wortung für die Zukunft dieses Vogels, denn mehr als

die Hälfte aller Rotmilane weltweit leben hier. Keine

andere Vogelart brütet bei uns mit einem so hohen

Anteil ihrer Weltpopulation.

Zu seiner Nahrung zählen Mäuse und andere

Kleinsäuger, Fische, Amphibien und Vögel. Rotmilane

sammeln auch kranke und tote Fische von der Wasser-

oberfläche und vom Ufer auf und jagen anderen

Greifvögeln ihre Beute ab. Mit einer Flügelspannweite

von bis zu 190 Zentimetern ist der Rotmilan eine

imposante Erscheinung. Der für diese Art typisch lang

gegabelte Schwanz, auch die rostrote Schwanzober-

seite, die rotbraune Unterseite und die großen hellen

Felder auf den Handflügeln machen diesen Greifvogel

unverwechselbar. Rotmilane überwintern rund um das

Mittelmeer und kehren Anfang März zu uns zurück.

12

Heute

Vision

Heute

Vision

Maßnahmenbeispiele

heutiger Hauptarm

Flusslauf nach Altarmanschluss

Änderung des Flusslaufs

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In der ersten Phase (2005–2008) erarbeitet das Projektbüro

in Abstimmung mit allen Beteiligten zunächst einen Pflege-

und Entwicklungsplan. Dieser beinhaltet: Aufgabenvergabe

an externe Gutachter, Fachaufsicht und Prüfung der

Zwischenberichte, Vorbereitung des Flächenerwerbs,

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

In der zweiten Projektphase (2009–2018) erfolgt die

Umsetzung der Maßnahmen nach den Vorgaben aus dem

Pflege- und Entwicklungsplan. Dazu gehören:

• die Verminderung von Unterhaltungsmaßnahmen,

• der Rückbau von Uferbefestigungen,

• der Anschluss von Altarmen,

• die Aktivierung von Flutrinnen sowie

• der Bau von Fischwanderhilfen.

Der NABU möchte mit diesem Flussrenaturierungsprojekt

auch helfen, die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu

erreichen und die Öffentlichkeit für den Gewässerschutz zu

sensibilisieren. In diesem Zusammenhang sind umfangrei-

che Aktivitäten geplant: Informationsveranstaltungen und

Konferenzen, Reisen in das Projektgebiet, Kultur-

veranstaltungen sowie sportliche Ereignisse. �

Teilziele:• naturnahe Wasserstandsschwankungen bei sich

änderndem Wasserdurchfluss und Wandlungsfähigkeit

der Ufer- und Flussbettstrukturen

• Erhöhung der Strukturvielfalt, der Strömungsdynamik

und des Standortmosaiks

• Wiederherstellung der biologischen Durchgängigkeit

• Verbesserte Vernetzung von Fluss und Aue

• Bau von drei Fischwanderhilfen

Maßnahmen/UmsetzungDie Umsetzung und Verwirklichung der Renaturierung

erfolgt in mehreren Etappen. Die Einbindung der

Bevölkerung vor Ort ist dabei ein besonders wichtiger

Bestandteil. Denn die Renaturierung wird erst dann begon-

nen, wenn die Akzeptanz vor Ort vorhanden ist.

Erste Planungs- und Kommunikationsmaßnahmen

sind bereits umgesetzt. Nach langjähriger Vorarbeit startete

das Projekt im Herbst 2005 mit der Arbeitsaufnahme des

NABU-Projektbüros und der Auftaktkonferenz in Rathe-

now. Die 13-jährige Laufzeit ist in zwei Projektphasen

gegliedert.

1 m

2 m

1 m

2 m

Havelquerschnitt, ausgebaut, Ufer befestigt und regelmäßig ausgebaggert (überhöht)

Havelquerschnitt, durch Strömungsdynamik geprägt (überhöht)

Fahrrinne 1,4 x 20 m

Fahrrinne 2 x 37 m

Boje

Änderung des Havelquerschnitts

14

Menschen vor Ort

Wer per Schiff oder Boot die Havel abwärts zur Elbe oder

von der Elbe kommend in die Havel fährt, der kommt an

Havelberg nicht vorbei. Dem Charme des kleinen Städt-

chens in idyllischer Lage zwischen Havel und Prignitzer

Platte mit den liebevoll gepflegten kleinen Gassen und alten

Häusern der Stadtinsel kann sich wohl niemand entziehen,

der ihn einmal erlebt hat. Die 1050-Jahrfeier hat Havelberg

schon hinter sich, doch seine Geschichte reicht viel weiter

zurück und sie ist unmittelbar mit der Havel verbunden.

Bevor Eisenbahn und moderne Straßen zur Verfügung

standen, waren Flüsse wichtige Transportwege für

Baumaterial und Handelsgüter. Havelberg konnte durch

seine Lage gleich von zwei bedeutenden Verkehrswegen

profitieren. Die Elbe erschloss die Märkte im Binnenland

„Ich bin an, auf und in der Havel sowie den umliegenden

Gewässern groß geworden. Wasser ist mein Element. Als um

so wichtiger empfinde ich es, dass diese einmalige Wasser-

landschaft, das Havelland, geschützt und in wichtigen Teilen

wieder in seinen ursprünglichen Zustand gebracht wird.“

Birgit FischerDie achtfache Olympiasiegerin im Kanu

unterstützt als Botschafterin das Havelprojekt.

und gewährte über Hamburg den Zugang zum Seehandel.

Die Havel ermöglichte den Handel mit Berlin. Zu dieser

Zeit herrschte in Havelberg reger Schiffsverkehr. Bereits

1274 existierte in Havelberg ein Hafen.

Durch die Elbe-Erklärung von 1996 wurden wir erst-

mals mit dem Vorhaben des Bundes und der mitzeichnen-

den Naturschutzverbände konfrontiert. Die Untere Havel

sollte streckenweise für die Schifffahrt endgültig aufgegeben

und renaturiert werden.

Zusammenfassend kann ich sagen, das Naturschutz-

projekt Untere Havel ist in der Region gut angekommen.

Auf Veranstaltungen wurden u.a. einige Vorschläge für

mögliche Maßnahmen an das Projektbüro übergeben und

kommunale Planungen vorgestellt, die mit Realisierung des

Projektes in greifbare Nähe rücken würden.

Sind Sie neugierig geworden? Kommen Sie nach

Havelberg und schauen Sie sich alles mit eigenen Augen an.

Bernd Poloski

Bürgermeister Havelberg

15

Chancen für die ehrenamtliche Tätigkeit im Naturschutz

Im Jahr 2000 zog der Förderverein in ein über dreihundert

Jahre altes Forsthaus in Havelberg. Das Grundstück wurde

dem Verein durch die Stadt übertragen, was beispielhaft für

das gegenseitige Verständnis und die sehr gute Zusammen-

arbeit ist. Die Lage des Forsthauses bietet beste Voraus-

setzungen für die Tätigkeit und Erreichbarkeit des Vereins,

so dass nun eine umfassende Ausstellung über Pflanzen und

Tiere der Region aufgebaut werden konnte.

Mittlerweile ist der Sitz des Naturschutzvereins belieb-

ter Anlaufpunkt für naturinteressierte Bürger und

Schulklassen. Der nahe Auenwald sowie die vielen um das

Forsthaus angeordneten Modelle praktischer Naturschutz-

arbeit laden besonders an Wochenenden Familien aus

Havelberg und Umgebung, aber auch Nutzer des Elberad-

weges zum Verweilen.

Mit der Auszeichnung der Havel zur Flusslandschaft

des Jahres 2004 und dem Start des Projektes „Renaturie-

rung der Unteren Havel“ richtet der Förderverein

Naturschutz seine Arbeit auf die Havel betreffende Themen

aus. Dabei sind besonders die ökologischen Zusammen-

hänge bei der Wiederanbindung alter Nebenarme interes-

sant. Und bei der Initiierung von Weich- und Hartholzauen

sieht der Verein eine gute Möglichkeit, seine ehrenamtliche

Naturschutzarbeit einzubringen. Denn, so der Geschäfts-

führer Rolf Paproth, „das Ziel Natur zu erhalten, zu pflegen

und zu entwickeln, erhält mit dem Projekt der Unteren

Havel eine neue Dimension“.

Klaus Heidrich

Förderverein Naturschutz im Elbe-Havel-Winkel e.V.

Dort, wo sich Elbe und Havel annähern und zweimal

berühren, bei Havelberg durch den Bau der Schleuse und

bei Quitzöbel an der großen Wehranlage, liegt der

Wirkungsbereich des Fördervereins Naturschutz im Elbe-

Havel-Winkel e.V.

Seit seiner Gründung 1993 setzt sich der Verein ehren-

amtlich für den Erhalt, die Pflege und die Entwicklung der

heimatlichen Landschaft, Flora und Fauna ein. Dabei rich-

tet sich die Verantwortung auf einen umfassenden Natur-

und Landschaftsschutz in der Region, die Umweltbildung

und -erziehung in der Schule und bei der Erwachsenen-

weiterbildung, die Erforschung der Natur sowie die

Unterstützung eines verträglichen Naturtourismus im

Elbe-Havel-Winkel.

Erkunden und erfahren kann man all dies bei den

monatlichen Führungen, Exkursionen und Untersuchungen

des Fördervereins. Dabei richtet sich die praktische

Naturschutzarbeit auf Landschaftspflege in den Gebieten

Mühlenholz und Möwenwerder sowie Tonabgrabungen in

Havelberg/Sandau, den Erhalt und die Vermehrung aue-

typischer Gehölze wie Feldulme, Schwarzpappel, Stieleiche,

alter Obstsorten und von Wildobst im vereinseigenen

Lehrpflanzgarten.

Beim Biotop- und Artenschutz setzten sich die Natur-

schützer ein für den Erhalt und die Renaturierung von

Kleingewässern, sie kartieren heimische Orchideen, sie

überwachen die Bestände des Bibers, sie unterstützen das

Brutgeschehen der Trauerseeschwalbe, die regelmäßige

Gewässeruntersuchung sowie die Pflege des Waldnaturlehr-

pfades in Mühlenholz.

16

Die ursprüngliche Havel-Fischerei gibt es nicht mehr.

Mittlerweile sind aus China eingeschleppte Wollhand-

krabben die Haupteinnahmequelle von Wolfgang Schröder.

Er ist einer der letzten Fischer an der Unteren Havel. Der

39-jährige Brandenburger stammt aus einer alten Fischer-

familie und geht dem Gewerbe in der vierten Generation

nach. Ein inzwischen seltener Beruf an dem Fluss: In den

20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die Havel noch

weit über 1.000 Fischerfamilien ernährt, heute sind es noch

ganze 30.

Wolfgang Schröder geht zu einem seiner Bassins und

schnappt sich mit gezieltem Griff eine etwa 15 Zenti-

meter große braune Wollhandkrabbe. Die Tiere sind im

Hoffnung auf HavelfischWolfgang Schröder – einer der letzten Fischer an der Havel

Der nun in Angriff genommenen Renaturierung der Havel

blickt der Fischer mit Freude und Hoffnung entgegen.

„Wenn der Fluss renaturiert wird, dann fließt das Wasser

nicht mehr so schnell aus der Flussniederung heraus. Die

Fische bekommen mehr zu fressen, weil sie mehr Nahrung

auf den überschwemmten Wiesen finden“, so Schröder.

Auch werden im Fluss wieder unterschiedlich tiefe Bereiche

und Sandbänke entstehen. Die Jungfische erhalten dadurch

mehr Unterstand und Schutz vor ihren natürlichen

Feinden. Fischer Schröder hofft im Zuge der Naturschutz-

maßnahmen auf mehr Havelfisch – und vielleicht tummeln

sich ja eines Tages auch wieder Lachse in der Havel. �

17

vergangenen Jahrhundert mit dem Ballastwasser von

Schiffstransporten aus China in Elbe und Havel einge-

schleppt worden. Heute verkauft Fischer Schröder jährlich

mehrere Tonnen an Händler und China-Restaurants im

gesamten Bundesgebiet. Die kleineren Tiere werden zu

Fischsuppensud und Krabbenchips verarbeitet, die großen

Krabben landen als Delikatesse auf dem Teller.

Viel lieber als Wollhandkrabben würde Fischer

Schröder wie seine Vorfahren frischen selbstgefangenen

Havelfisch verkaufen, doch hochwertige Speisefischarten

wie Hecht und Zander sind heute rar. Leben könnte er

davon nicht. „Wir Fischer sind heute eher Fischhändler. Wir

kaufen Fische dazu und verarbeiten sie dann“, erläutert

Wolfgang Schröder.

Vor allem hat auch die Havel-Fischerei unter dem

Ausbau des Flusses und der Trockenlegung der Havel-

niederungen gelitten. Der Fischbestand reduzierte sich in

den letzten Jahrzehnten dramatisch und damit verschwand

die Lebensgrundlage für die zuvor zahlreichen Fischer in

der Region.

Trotzdem liebt Wolfgang Schröder seinen Beruf. Er

fühlt sich auch der alten Tradition seiner Familie verpflich-

tet – seit 1704 sind die Schröders in der Branche tätig.

17 Leute hat der Betrieb vor dem Zweiten Weltkrieg

beschäftigt, bereits zu DDR-Zeiten waren es nur noch vier,

heute ist Wolfgang Schröder ein Einmannbetrieb. Für viele

Touristen ist die idyllisch und direkt an der Havel gelegene

Fischerei Schröder ein beliebtes Ausflugsziel. Viele kommen

schon seit Jahren und machen Halt, um sich bei ihm mit

einem leckeren Fischimbiss zu stärken. Für solche Zwecke

bietet der Havelfischer auch Feinheiten der Regionalküche

aus eigener Produktion. Ein Höhepunkt für Naturfans ist

eine von Wolfgang Schröder geführte Tour mit dem

Fischerkahn auf der Havel.

18

Rocco Buchta gilt als„Projektvater”der Havelrenaturierung.

Er hat das Projekt in mehr als zehnjähriger Arbeit, zusam-

men mit engagierten Fachleuten vor Ort, entwickelt.

Geboren wurde er 1965 in Rathenow. Rocco Buchta ist ver-

heiratet, hat drei Kinder und wohnt heute in Strodehne,

einem kleinen Dorf an der Havel. Beruflich leitet er den

Naturpark Westhavelland. Der gelernte Werkzeugmacher

und dreifache Diplomingenieur ist Gründungsmitglied

und Sprecher des Bundesfachausschusses (BFA) „Lebendige

Flüsse“ im NABU. Seine ersten Renaturierungsmaßnahmen

an der Havel – Auenwaldbegründungen, Uferrenaturie-

rungen und die Anbindung eines ersten Altarms – plante

und realisierte er bereits Mitte der 80er Jahre. Wir befragten

ihn zu seiner Motivation für das Großprojekt Havel:

„Die Renaturierung ist gutfür die ganze Region.“ Interview Rocco Buchta

19

Herr Buchta, was wollen Sie für die Havel erreichen?

Die Havel soll ein lebendiger Fluss werden, ein attrak-

tiver Lebensraum für typische Pflanzen und Tiere einer

Flussaue. Die Generation meiner Kinder soll wieder die

Chance haben, im glasklaren Havelwasser zu baden, an

Sandstränden zu sitzen und Eisvogel, Biber und Fischotter

beobachten zu können.

Wie ist die Idee zum Havelprojekt entstanden?

Ich bin an und auf der Havel aufgewachsen. In meiner

Kindheit sind wir im Frühling ständig an den über-

schwemmten Wiesen und in den hohen Weiden herumge-

stromert. Mit Vater, Großvater und einem Angelkahn bin

ich dann auch viel auf der Havel unterwegs gewesen.

Wunderbare Erinnerungen an ausgedehnte Angelpartien

auf der morgendlich-nebligen Havel und unzählige Tier-

beobachtungen haben den Grundstein für meine Liebe zur

Havellandschaft gelegt. �

Bekassine

Mit ihren kurzen Beinen, dem langem Schnabel und ihrer

gedrungenen Gestalt ist die Bekassine ungefähr so groß

wie eine Drossel. Ursprünglich war sie in ganz Europa zu

finden. Heute existieren in Deutschland und seinen west-

lichen Nachbarländern nur noch kleinere Restpopula-

tionen – eine Folge der großflächigen Vernichtung von

Feuchtgebieten durch jahrzehntelange Entwässerungs-

maßnahmen.

Die Bekassine wird im Volksmund auch „Himmelsziege“

genannt, denn bei rasanten Sturzflügen gibt sie ein lautes

Meckern von sich. Bekassinen sind sehr schnelle Flieger,

die bei Gefahr Zacken und Haken schlagen. Ihre Nahrung

suchen sie mit dem Schnabel im Schlamm und im feuch-

ten Erdreich. Der obere Teil des Schnabels ist biegsam, so

dass die Beute besser gehalten werden kann. Das

Bodennest der Bekassine liegt meist gut versteckt zwi-

schen dichtem Pflanzenwuchs. Die Jungen sind Nest-

flüchter, die von den Eltern bei Gefahr auch im Flug trans-

portiert werden können. Dabei werden die Küken mit

dem Schnabel an die Brust gedrückt.

Gab es im Projektverlauf entscheidende Meilensteine?

Ich fand zum Glück schnell Wegbegleiter, die selbst

schon seit Jahren für die Erhaltung der Unteren Havel-

niederung kämpften. Mit der Wende ergaben sich für uns

dann neue Möglichkeiten, da die Schifffahrt gänzlich

zusammenbrach. Mit dem Verzicht auf die weitere Nutzung

der Havel als Bundeswasserstraße wurde eine wichtige

Weichenstellung vorgenommen. Die Unterstützung durch

die Bevölkerung und die Landesregierungen von Branden-

burg und Sachsen-Anhalt ist besonders wichtig für unsere

Arbeit. Das Elbehochwasser 2002 brachte dann den ent-

scheidenden Durchbruch. Auf der Grundlage von

Voruntersuchungen konnten wir endlich überzeugend dar-

legen: Die Renaturierung ist gut für die ganze Region!

Wird es auf der Havel überhaupt noch Schifffahrt geben?

Ja, aber es werden nur noch Freizeit-, Fahrgast- und

Hotelschiffe fahren dürfen. Die Anschlussstrecke südlich

von Rathenow und das Stadtgebiet von Havelberg werden

für die Güterschiffe weiterhin erreichbar sein.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass von dem Projekt Impulse für das

ganze Havelland und den Elbe-Havel-Winkel ausgehen.

Das Projekt ist die größte Maßnahme zur Renaturierung

eines Flusses in Europa. Unsere Erfahrungen möchten wir

deshalb auch anderen zur Verfügung stellen. �

20

21

FischotterFischotter können bis zu 120 Zentimeter lang werden, davon

entfallen alleine 30 bis 40 Zentimeter auf den kräftigen und

völlig behaarten Schwanz. Das Fell des Fischotters ist einheit-

lich braun, Brust und Kehle sind wie die Wangen heller

gefärbt. Wie alle Marder ernähren sich Fischotter recht vielsei-

tig. Neben Fischen und Fröschen erbeuten sie auch Krebse,

Insekten, Schermäuse und Wasservögel. Der Otter frisst

immer das, was er am leichtesten erbeuten kann.

Je nach Qualität des Lebensraumes sind die Streifgebiete

erwachsener Fischotter entweder nur wenige hundert Meter

groß – unter guten Voraussetzungen – oder auch mehrere

Dutzend Kilometer bei ungünstigen Bedingungen. Ihre

Ruhephasen verbringen die vorwiegend nachtaktiven Tiere in

Verstecken unter den Wurzeln alter Bäume in dichten Weiden-

und Erlenbüschen direkt am Ufer oder aber in unterirdischen

Bauen im Ufer. Da Otter sich ihre Baue ungern selber graben,

nehmen sie gerne Fuchs-, Dachs-, Bisam- oder Biberbaue in

Anspruch. Dort bringen die Weibchen ihre ein bis drei

zunächst blinden Jungen zur Welt. Seitdem die Jagd auf

Fischotter streng verboten ist, beginnen sich die auf wenige

hundert Individuen zusammengeschmolzenen Vorkommen

in Deutschland wieder langsam zu erholen. Mittlerweile keh-

ren die ersten Tiere in verlorengegangene Lebensräume

zurück. Nach wie vor stellen aber ausgebaute und begradigte

Flüsse sowie von Umweltgiften belastete Beutetiere ein ernst-

zunehmendes Problem für die Otter dar. Zu einer bedeutsa-

men Todesursache ist darüber hinaus der Fahrzeugverkehr

geworden, denn Otter vermeiden Gewässerabschnitte, die eng

von Brücken überspannt werden, und weichen in solchen

Fällen nicht selten auf benachbarte Straßen aus.

Man verfolgte den Fischotter früher aufgrund seines wertvol-

len Felles, aber auch weil er als Fischjäger zum Nahrungs-

konkurrenten des Menschen wurde. Wie der Biber galt der

Fischotter früher zudem als „Fisch“. Somit durfte sein Fleisch

selbst während der Fastenzeit gegessen werden. Wie häufig

Fischotter früher waren, belegen Zahlen aus Westfalen. Dort

gab es noch vor hundert Jahren eigens angestellte Otterjäger,

die mit ihren Otterhunden umherzogen und für jedes erlegte

Tier zwischen drei und zehn Mark erhielten. Mehr als 10.000

Otterfelle wurden vor dem Ersten Weltkrieg jährlich zu Pelzen

verarbeitet. Das dichte Fell des Fischotters war ausgesprochen

wertvoll, weil es hervorragend gegen Kälte schützt. 50.000

Haare wachsen einem Otter je Quadratzentimeter Haut, ein

Mensch hat dagegen höchstens 120 Haare auf der gleichen

Fläche.

Das Kulturzentrum in Rathenow strahlt in neuem Glanz.

Seit zwei Jahren ist es nach langen Umbau- und Renovie-

rungsmaßnahmen und mit einem neuen Programm wieder

in Betrieb genommen worden. Dahinter steckt – wie so oft

– das Engagement einzelner Personen. Im Besonderen ist

hier Bettina Götze zu nennen, sie ist die Geschäftsführerin

des Hauses. Man merkt ihr die Verbindung zur Region und

zu den Menschen sofort an. Begeistert spricht sie von

Johann Heinrich August Duncker, dem Begründer der

Optikindustrie in Deutschland, vom Umbau des Hauses,

der Programmneugestaltung und der Kulturgeschichte der

Unteren Havelniederung.

Schon immer war im Havelland die Beziehung zwi-

schen Mensch und Wasserlandschaft von großer Bedeu-

tung. So ist beispielsweise die älteste Erwähnung einer

Wassermühle aus dem Jahr 1173 überliefert. Wegen des zu

geringen Gefälles der Havel mussten Mühlenstaue angelegt

werden, um Wassermühlen betreiben zu können. Dabei

führten die Wassermühlen in Rathenow, Spandau,

22

Die Untere Havel – eine Kulturlandschaft

Brandenburg und anderen Orten zu einem Anstieg des

Wasserstandes in der Landschaft, der die Entstehung groß-

flächiger Niedermoorgebiete begünstigte.

Über viele Jahrhunderte zeigte sich das Gebiet der

Unteren Havel als eine Naturlandschaft, nur wenig vom

Menschen geprägt und geformt, wie es auch Theodor

Fontane in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in sei-

nen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ be-

schrieb. Doch liegt es in der Natur des Menschen, sich mit

bestimmten Gegebenheiten nicht abzufinden, und so

begann die allumfassende Nutzbarmachung des Bodens für

die Landwirtschaft. Sümpfe und Moore wurden trocken-

gelegt, Flüsse reguliert, Waldstücke gerodet. Im 18. Jahr-

hundert wurden rund 7500 Hektar Land für den landwirt-

schaftlichen Anbau gewonnen, 25 neue Dörfer angelegt und

310 Familien, die unter anderem aus der Pfalz, Schlesien

und Holland stammten, im westlichen Havelland angesie-

delt, der bis dahin umfangreichste Eingriff des Menschen in

die Landschaft. Weitere grundlegende Veränderungen des

Landschaftsbildes brachte die Industrialisierung im 19.

Jahrhundert, v.a. durch die Ziegelindustrie, und die bereits

genannten Eingriffe im 20. Jahrhundert. Gehölze, Hecken

und Wäldchen, alles Voraussetzungen auch für Arten-

vielfalt, verschwanden in großen Mengen. Die vom

Hochwasser überspülte Fläche verringerte sich um 90

Prozent. Eine über Jahrhunderte entstandene Kultur-

landschaft, reich an seltenen Pflanzen- und Tierarten, droht

somit auszutrocknen.

Nostalgie und neue HerausforderungenAus dem ehemaligen Kulturhaus ist nach über fünfjähriger

Umbauzeit ein modernes Kulturzentrum geworden. Als

„Kreiskulturhaus“ am 7. Oktober 1958 eröffnet, steht das

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Haus im Stadtzentrum von Rathenow. Das Gebäude

umgibt ein besonderer Charme, eine Mischung aus

Nostalgie und neuen Herausforderungen.

In der Region ist es ein wichtiges Zentrum für alle mög-

lichen gesellschaftlichen Aktivitäten und Veranstaltungen

geworden. Mit dem vielfältigen Konzept des Hauses kön-

nen Brücken geschaffen werden. So bringt Bettina Götze

mit ihrer Arbeit dem Publikum die regionale Kultur und

Natur näher. Sie stellt den Bezug von Kulturlandschaft,

Mensch und Natur her – und kommt dabei auf eine ganz

friedvolle Weise zu dem Schluss, dass eine Erhaltung der

Natur- und somit Kulturlandschaft die wesentliche Grund-

lage für alle zukünftigen Entwicklungen in der Region des

Westhavellandes ist.

Bettina Götze hat noch viele Ideen und Wünsche für

die Zukunft, für die Region, für die Natur und für die

Havel. Wir sind gespannt auf weitere Entwicklungen. �

Uferschwalbe Die Uferschwalbe ist mit einer Länge von 13 Zentimetern

die kleinste Schwalbe in Europa. Sie hat einen nur leicht

gegabelten und recht kurzen Schwanz, einen verhältnis-

mäßig langen, flachen Schnabel und zarte unbefiederte

Zehen. Ihre Oberseite ist erdbraun, die Unterseite weiß

mit graubraunem Brustband. Die Tiere sind sehr gesellig

und leben in Kolonien, die jedoch nur selten mehr als 50

Brutpaare umfassen. Uferschwalben besiedeln heute über-

wiegend Sand- und Kiesgruben oder aber geeignete Ufer

von Flüssen und Teichen. Einige größere Kolonien befin-

den sich auch an Steilküsten der Ostsee. Sie benötigen leh-

mige oder sandige Steilufer, um dort ihre Brutröhren

anlegen zu können.

Uferschwalbe fliegen oft sehr niedrig über dem Wasser

und fangen dabei Insekten aus der Luft. Wie ihre

Verwandten ist auch die Uferschwalbe ein Langstrecken-

zieher. Sie verlässt ihr Brutgebiet meist im August und

kehrt Mitte April, gelegentlich schon Ende März, aus ihren

afrikanischen Überwinterungsquartieren zu uns zurück.

Ein Leben ohne die Havel kann sich Ines Kias nicht vorstel-

len. Die amtierende Geschäftsführerin des Tourismus-

verbandes Havelland hat schon ihre Kindheit an dem Fluss

verbracht. Aufgewachsen ist sie in Molkenberg an der

Havel, ein Leben am Fluss von Anfang an. „Als Kind saß ich

oft am Ufer und habe die dicksten Kähne die Havel rauf-

und runterfahren sehen“, erinnert sie sich. Mit dem

Güterverkehr auf dem Fluss ist es im Renaturierungsgebiet

nun vorbei, stattdessen wird es in den kommenden

Jahrzehnten mehr Überflutungsflächen und damit auch

mehr Artenreichtum an der Havel geben.

24

Leben am Fluss„Ein Leben ohne Havel kann ich mir nicht vorstellen.“

Auf dem Netz aus Flussarmen kann man nach Lust und Laune dem Wassersport nachgehen.Hier wird gewandert, geangelt, geschwommen – ganz nahe dem Berliner Großstadtgebiet.

25

Als Geschäftsführerin des Tourismusverbandes weiß Kias

die Vorteile des Naturschutzgroßprojektes zu schätzen.

„Eine intakte Natur ist für die Anziehungskraft und

Attraktivität einer ganzen Region enorm wichtig“, berichtet

die Tourismusexpertin aus Erfahrung. „Wir haben hier

einiges zu bieten. So ist der Naturpark Westhavelland der

größte Naturpark Brandenburgs. Unsere Störche und

Graureiher sorgen nach wie vor bei vielen Gästen aus den

anderen Teilen Deutschlands oder sogar aus dem Ausland

für Begeisterung.“ Und wenn sie so etwas höre, werde ihr

immer wieder klar, in welchem Naturparadies sie zuhause

sei, betont Ines Kias.

Von der Havelrenaturierung verspricht sich Ines Kias

daher einen weiteren Aufschwung. „Gerade der Wasser-

tourismus ist noch ausbaufähig“, meint die 43-jährige. In

den vergangenen Jahren habe die Nachfrage nach Kanu-

Wasserwandertouren deutlich zugenommen. Besonders

beliebt sind Ausflugsfahrten und Radtouren. „Die

Menschen suchen als Ausgleich zum Alltagsstress in der

Natur Ruhe und Entspannung“, erläutert Ines Kias. Wenn

sie dann seltene Vögel oder auch Biberburgen sehen, sei das

etwas ganz Besonderes. Daneben gibt es Kulturangebote wie die Havelländischen Musikfestspiele, die Lehniner und

Caputher Sommermusiken oder die „Ribbecker

Sommernacht“.

Dass der Tourismus ein wichtiges Standbein der Region

ist und auch ein Wirtschaftsmotor für Brandenburg sein

kann, davon ist Ines Kias überzeugt, „gerade Natur-

parkregionen verbinden Naturschutz und Nutzung der

Landschaften. Sie liefern Erholungsmöglichkeiten und bie-

ten Menschen in der Region Arbeit“. Aber auch die

Umweltbildung darf nicht zu kurz kommen. Die Menschen

müssen für den Naturschutz sensibilisiert werden. Daher

müsse es im Interesse aller sein, den nachhaltigen

Tourismus im Land zu fördern. �

26

Großer Brachvogel

Eigentlich wollte Achim Seeger am Wochenende lieber

Fußball spielen, doch sein Vater nahm ihn immer mit, um

auf dem alten Segelboot „Windsbraut“ die Havel mit ihren

Seen zu durchschippern.

Was damals wie ein ungerechter Nachteil den Spiel-

kameraden gegenüber wirkte, stellte sich später beim

Biologiestudium als unersetzbarer Vorteil heraus: denn

Achim Seeger merkte, wie viel Wissen er eigentlich schon

von Kindheit an über die Havel aufgenommen hatte. Vor

allem die Vögel hatten es ihm angetan und er konnte

Kommilitonen und Professoren mit dem Erkennen seltener

Vogelstimmen beeindrucken.

„Naturschutz-Urgestein“des Westhavellandes

Portrait Achim Seeger

27

Bald hatte er den Spitznamen „Limikolen-Seeger" - Limi-

kolen sind Watvögel, zu denen z.B. Kiebitz, Bekassine,

Uferschnepfe, Großer Brachvogel und Rotschenkel zählen.

Heute ist Achim Seeger unangefochtener Vogelexperte der

Havel und arbeitet mit seinen 68 Jahren tatkräftig an der

Bewahrung der natürlichen Gegebenheiten der Unteren

Havelniederung. Achim Seeger gehört zum Naturschutz-

Urgestein dieser Region. Bereits 1962 war der ausgebildete

Biologie- und Chemielehrer Naturschutzhelfer und seit

1965 Naturschutzbeauftragter des Kreises Rathenow. Er

arbeitete ehrenamtlich an ökologischen Wiesenbrüter-

untersuchungen und leitete die Arbeitsgruppe Limikolen

bei der Zentrale für die Wasservogelforschung in der DDR.

Kiebitz Der Kiebitz ist besonders auffällig durch seine große

Federhaube (Holle) auf dem Kopf. Er ist ein etwa tauben-

großer, schwarz-weiß gezeichneter Vogel. Im charakteri-

stisch schwankenden Flug sieht man die breiten, runden

Flügel.

Kiebitze brüten bevorzugt in offenen und feuchten

Landschaften. Durch das Trockenlegen und die Kulti-

vierung von Sümpfen und Feuchtwiesen mussten sie ihre

Lebensweise vielfach auf Äcker und intensiv genutztes

Grünland umstellen. Wegen der fortschreitenden

Mechanisierung der Landbewirtschaftung, des Einsatzes

von Pestiziden, der zunehmenden Umstellung auf früh

wachsendes Wintergetreide sowie früher und häufigerer

Wiesenmahd schaffen es die Kiebitze kaum noch, genü-

gend Nachwuchs aufzuziehen. Kiebitzpopulationen in

Deutschland sind dadurch oft schon überaltert und dro-

hen in den nächsten Jahren gänzlich zu verschwinden,

wenn es nicht gelingt, wirksame Maßnahmen zum Schutz

dieses eindrucksvollen Vogels umzusetzen.

Seeadler

28

Achim Seeger weiß wie kein Zweiter über die Vogelwelt des

Westhavellandes Bescheid. Sein Augenmerk war dabei

immer auf die Unterschutzstellung der Unteren Havel-

niederung gerichtet. In den sechziger und siebziger Jahren

hat er den weiteren Niedergang des Flusses und seiner Auen

hautnah miterlebt. Sich gegen die Melioration großer Über-

flutungsflächen, also die Trockenlegung zur landwirtschaft-

lichen Intensivierung, auszusprechen, war in der DDR zur

Erfolglosigkeit verdammt.

Der konsequente Einsatz für den Erhalt von Natur und

Heimat, als Lebensraum auch für den Menschen, wurde

und wird nicht immer begrüßt. Für Achim Seeger brachte

diese Konsequenz nach 1990 berufliche Folgen: Seine

Berufung in die Kreisverwaltung als Amtsleiter für

Landschaftspflege und Naturschutz gab er bald freiwillig

auf, um in anderer Anstellung effektiver für den Natur-

schutz im Westhavelland wirken zu können.

Achim Seeger kann von all dem berichten, ebenso wie

von seinen Erfahrungen als Gründungsmitglied und

Vorsitzender des ersten NABU-Kreisverbandes in den neu-

en Bundesländern, als Brandenburger Landesvorsitzender

1998 bis 2002. Und das macht er auch gerne, der jetzige

Rentner ist nach wie vor aktiv: unaufdringlich, ehrlich und

mit fester Überzeugung. �

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Weitere Informationen

Der NABU benötigtIhre Unterstützung für das Havelprojekt!

Schenken Sie Biber, Fischotter und Eisvogel eine natürli-

che und für sie lebensfreundliche Umgebung. Unter-

stützen Sie das Havelprojekt. Jede Hilfe zählt! Ob für den

Rückbau von Uferdeckwerk oder die Anschaffung eines

Bootes zur Erfassung der Pflanzen- und Tierbestände.

Helfen Sie uns und der Havel mit Ihrer Spende.

Vielen Dank!

NABU-SpendenkontoBank für Sozialwirtschaft Köln

BLZ 370 205 00

Konto 100 100

Stichwort: Havel

NABU-Projekt mit Modellcharakter

Das Renaturierungsprojekt an der Unteren Havelniederung

ist europaweit das größte Projekt seiner Art und soll weg-

weisend für einen neuen und zeitgemäßen Umgang mit

unseren Flüssen sein.

Gleichzeitig werden positive gesellschaftliche und wirt-

schaftliche Effekte für die Region erwartet. Seit Projektstart

entwickelt sich ein Wissenschafts- und Projekttourismus,

der mit Impulsen für den Fremdenverkehr und damit ein-

hergehenden Investitionswirkungen verstärkt werden soll.

Mit dem Projekt wird sich die Untere Havel als „Marken-

zeichen“ für eine naturnahe und besuchenswerte Region

entwickeln.

Der NABU möchte Menschen dafür begeistern, sich durch

gemeinschaftliches Handeln für die Natur einzusetzen.

Wir wollen, dass auch kommende Generationen eine Erde

vorfinden, die lebenswert ist, die über eine große Vielfalt

an Lebensräumen und Arten, sowie über gute Luft, sauberes

Wasser, gesunde Böden und ein Höchstmaß an endlichen

Ressourcen verfügt.

Nähere Information unter www.NABU.de

The restoration of the lower Havel is the largest project of

its kind in Europe and will likely serve as a model for a new

and innovative approach to restoring degraded lakes and

rivers, especially in light of the European Union Water

Framework Directive.

With 400,000 members, 1,500 local groups and 25,000

volunteers, NABU is the leading non-profit and non-

governmental organization for nature conservation and

environmental protection in Germany. The goals of NABU

are to:

• Ensure that conservation becomes a matter

of common interest in Germany

• Preserve biological diversity in Germany

and in other parts of the world

• Ensure that future generations will be able to live

with clean air, water and soils and with as many

non-renewable resources as possible

• Encourage people to become actively involved

and voluntarily engaged in the conservation of

the environment

Restoration project at the river Havel

Over the next 13 years, the Naturschutzbund Deutschland

(NABU), together with the Federal Ministry of Environ-

ment, Nature Conservation and Nuclear Safety, and the

federal states of Brandenburg and Sachsen-Anhalt will join

forces to restore the lower Havel river valley. The lower

Havel river valley is the largest and most important non-

coastal wetlands area in Central Europe. The area suffered

serious ecological degradation especially in the 20th centu-

ry due to stream corridor construction projects. Over the

past 15 years, the problem has been compounded by a water

shortage in the region, which has pushed many protected

plants and animals to the brink of extinction.

Now the Havel should once again become a natural

river, full of life and offering a valuable habitat for the

characteristic plants and animals of a river landscape. To

achieve this, previous tributaries and tide gutters of the

river will be restored, bank stabilizations will be built back,

and fish migration assistance will be established. The pro-

ject not only benefits nature and water protection, but also

offers opportunities for development in the entire region.

The Havel will remain open as a waterway for sports and

leisure boats and the ports of Rathenow and Havelberg will

remain integrated in the waterway network. Thus, this

restored river in the Havelland will become an attractive

location for both residents and visitors.

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Projektbüro

Kontakt

NABU-Projektbüro

Gewässerrandstreifenprojekt Untere Havelniederung

Dorfstraße 5

14715 Havelaue, OT Parey

Projektleiter: Andreas Löbe

E-Mail: [email protected]

www.NABU.de/unterehavel

Partner

Das Gewässerrandstreifenprojekt wird gefördert durch das

Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundes-

ministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

sowie durch die Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

Impressum

Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU)

Bundesgeschäftsstelle Berlin,

Invalidenstraße 112, 10115 Berlin

Redaktion: Karin Flohr

Fotos: Gerhard Bussmann, Frank Derer, Helge May,

Rocco Buchta, Kreismuseum Rathenow,

Naturpark Westhavelland

Infografik: Rocco Buchta, Merim Bakasova,

Naturpark Westhavelland

Gestaltung: art_work_buero®, Köln

Druck: Brandenburgische Universitätsdruckerei

und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH

gedruckt auf Recyclingpapier

Oktober 2006

Art.-Nr.: 5038

Projekt- und Kerngebiet

LandesgrenzeKerngebietProjektgebiet

Sandau

Strohdehne

Rhinow

NeustadtHavelberg

Rathenow

Premnitz

Sachsen Anhalt

Brandenburg

Sachsen-Anhalt

Berlin

Magdeburg

Potsdam

Rathenow

Brandenburg

Unter Havelniederung