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Beruflichkeit, Organisations- und Personalentwicklung im Spannungsfeld von Restrukturierung und Kompetenzsicherung Unternehmensübergreifende Lernallianzen in der Metall- und Elektroindustrie

Unternehmensübergreifende Lernallianzen in der …...und Unternehmen aus der Industrie lassen sich in dieser Situation innovative personalpolitische Lösungen finden, die auf eine

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B e r u f l i c h k e i t , O r g a n i s a t i o n s - u n d Pe r s o n a l e n t w i c k l u n g i m Spannungsfeld von Restruktur ierung und Kompetenzsicherung

Unternehmensübergreifende Lernal l ianzen in der M etal l -

und Elektroindustr ie

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ImpressumI nhalt l iche Verant wor tung: Dr. K laus S chmierlI nst itut für S ozialwissenschaf t l iche Forschung e.V. – ISF München, w w w.isf-muenchen.deRedaktion: Frank S eiß, ISF MünchenLayout und S atz: K arla Kempgens, ISF MünchenFotos: Shutterstock ; Ausbi ldungswerkstatt Rober t B osch Fahr zeugelektr ik Eisenach GmbHDruck : FlyeralarmISBN 978-3-938468-08-1München, M är z 2012

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Klaus Schmierl

Unternehmensübergreifende Lernal l ianzen in der Meta l l- und Elektroindustr ie

Was s ind unternehmensübergreifende Lernal l ianzen? 7

Herausforderung Fachk räf teversorgung 10

Was macht er folgreiche Lernal l ianzen aus? 12

Lernal l ianzen bieten zusätzl iche Ausbi ldungsoptionen 20

Worauf sol l ten Lernal l ianzen achten? 25

Lernal l ianzen bereichern die duale B erufsausbi ldung 29

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Das Vorhaben „Beruflichkeit, Organisations- und Personalentwicklung im Spannungsfeld von Restrukturie-rung und Kompetenzsicherung – bops“ wird seit Juni 2009 aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderinitiative „Balance von Flexibilität und Stabilität in einer sich wandeln-den Arbeitswelt“ gefördert (Teilvorhaben des ISF München: „Unternehmensübergreifende Lernallianzen“, Förderkennzeichen 01FH09017). Betreut wird das Projekt vom Projektträger im DLR, Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen. Das Verbundprojekt bops wird koordiniert vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen; beteiligt sind als geförderte Partner zudem die Universität Bamberg und das Uni-versitätsklinikum Köln. Während der zentralen empirischen Feldphasen in den Jahren 2010 und 2011 wurde der Autor Klaus Schmierl vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. – ISF München durch Barbara Wolfer unterstützt. Die Verantwortung für den Inhalt des Beitrags liegt alleine beim Autor.

Internetpräsenz: www.bops-projekt.de

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Diese Broschüre hat unternehmens-übergreifende Lernallianzen zum Thema. Sie sind eine innovative Möglichkeit, qualifizierte Fachkräfte auszubilden, zu gewinnen und zu binden – auch für Betriebe, die keine komplette Berufsausbildung anbie-ten können oder wollen. Wir haben sie für betriebliche Praktiker aus der Industrie geschrieben. Dabei grei-fen wir zurück auf die empirische Forschung, die wir in erfolgreichen unternehmensübergreifenden Ler-nallianzen der Metall- und Elektroin-dustrie betrieben haben.

Was finden Sie in der vorliegenden Broschüre? Wir informieren darüber, welche Typen von Lernallianzen es gibt, und arbeiten an praktischen Beispielen die besonderen Kennzei-chen erfolgreicher Ausbildungsver-bünde heraus. Zudem benennen wir die zusätzlichen Möglichkeiten, die diese unternehmensübergreifende Form der Ausbildung bietet, und die Herausforderungen, denen sich Ler-nallianzen künftig stellen müssen. Schließlich werfen wir einen Blick auf die Bedeutung der Lernallianzen für die Sicherung und Bereicherung der dualen Berufsausbildung in Deutschland.

Eine inno vative Mögl i chkei t , qual i f izie r te Fa ch­kräfte auszubi lden, zu ge winnen und zu binden

Was bietet d ie se Br oschür e?

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07A usbi ldungs­koope rat ionen mehr e r e r r echt l i ch se lbs t s tändige r Unte r nehmen

Was sind unternehmensüber-greifende Lernal l ianzen?Unternehmensübergreifende Lernallianzen sind Ausbildungskooperationen oder Ausbildungsverbünde von mehreren rechtlich selbstständigen Unter-nehmen. Sie stellen besonders in der von Facharbeit und Facharbeitern geprägten Metall- und Elektroindustrie ein innovatives Modell dar, um eine Versorgung der Unternehmen mit Fachkräften langfristig zu sichern. Dies gilt speziell für kleine und mittelständische Unternehmen. Ihnen ist es oft nicht möglich, eigenständig und dauerhaft eine komplette und umfassende Erstausbildung bereitzustellen, weil es ihnen – manchmal auch aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen – an der notwendigen betrieblichen, or-ganisatorischen, personellen oder technischen Infrastruktur für eine eigene Erstausbildung fehlt.

Wir haben in den letzten beiden Jahren im Rahmen eines vom Bundesminis-terium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts Erfolgs fakto-ren und künftige Herausforderungen von unternehmensübergreifenden Lernallianzen untersucht. Der Untersuchungsgegenstand waren eigeninitia-tiv gegründete Ausbildungsverbünde in der deutschen Metall- und Elektro- industrie, die ohne staatliche oder verbandliche Förderung entstanden sind. Es wurden zwei Intensivfallstudien und fünf Betriebsfallstudien in Ausbil-dungsverbünden mit langjähriger Kooperationserfahrung durchgeführt. Wir haben dabei mit Personalleitern, Ausbildungsbeauftragten, Ausbildern, Betriebsräten und Auszubildenden gesprochen. Hinzu kamen Experten-gespräche mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden, Kammern und wissen-schaftlichen Instituten und natürlich die Sichtung der einschlägigen Litera-tur.

Vor allem zwei Typen von Lernallianzen haben wir in den Ausbildungsver-bünden der Metall- und Elektroindustrie gefunden. Es überwiegt bei weitem der Typus „Auftragsausbildung“, gefolgt von dem Modell „Leitbetrieb mit Partnerbetrieben“. Zusammen machen sie weit mehr als drei Viertel aller bestehenden Lernallianzen aus.

Eine wissenschaft­l i che Unte rsuchung von Er f olgs faktor en und künft igen He rausf or de r ungen

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Auftragsausbildung: Hier findet eine Kooperation von mehreren Stamm-betrieben mit einem Ausbildungsbetrieb statt. Der Stammbetrieb ist als „Arbeitgeber“ Hauptansprechpartner für die Bewerber um Ausbildungsstel-len im Vorfeld – bezüglich Vertragsabsprachen, Auswahl, Ausbildungsvertrag und Ausbildungsvergütungen. Die meisten Ausbildungsphasen finden aber im „fremden“ Ausbildungsbetrieb statt, der über eine Lehrwerkstatt verfügt. Die Gesamtverantwortung für den Azubi hat der Stammbetrieb, die Verant-wortung für die Ausbildung hat der Ausbildungsbetrieb. In der Praxis reichen die Angebote des Ausbildungsbetriebs von einzelnen Modulen (Modulaus-bildung) bis hin zur Übernahme der gesamten ersten beiden Lehrjahre inkl. Prüfungsvorbereitungen (Kernausbildung). Die Kostenerstattung wird ent-weder über bilaterale Absprachen oder einen vorab geschlossenen Ausbil-dungsauftrag geregelt.

Welche Vorteile hat die Auftragsausbildung?

... für den Ausbildungsbetrieb Für den Ausbildungsbetrieb hat die Auftragsaus-bildung den Vorteil, freie Kapazitäten und das Aus-bildungspersonal in der Lehrwerkstatt auslasten zu können.

... für den Stammbetrieb Den Stammbetrieben ermöglicht die Auftragsausbil-dung eine berufliche Erstausbildung ohne Investi-tionen in eine eigene Ausbildungsinfrastruktur. Beson-ders bei unregelmäßigem oder branchenuntypischem Ausbildungsbedarf ist das ein Vorteil.

TypusA uft ragsausbi ldung

Vor te i l eA uft ragsausbi ldung

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Leitbetrieb mit Partnerbetrieben: Der Leitbetrieb ist die autonome Entschei-dungsinstanz im Netzwerk. Er ist zuständig für Auswahl der Auszubilden-den, Abschluss des Ausbildungsvertrags, Ausbildungsort, Vorbereitung der Curricula, Koordination der Ausbildung sowie Außenvertretung zu externen Institutionen. Die wesentlichen Ausbildungsinhalte der – überwiegend bran-chenbezogenen – Ausbildungsberufe werden im Leitbetrieb vermittelt. Vor allem in den späteren Phasen der Ausbildung vergibt der Leitbetrieb einzelne Ausbildungsmodule an die Partnerbetriebe und organisiert die Entsendung der Auszubildenden dorthin. In der Praxis bildet der Leitbetrieb oftmals über seinen Bedarf aus. Die Auszubildenden werden nach der Ausbildung in der Regel nach vorher vereinbarten Regeln an die Partnerbetriebe verteilt oder bewerben sich dort eigenständig.

Welche Vorteile hat das Modell „Leitbetrieb mit Partnerbetrieben“?

... für den Leitbetrieb Die Vorteile für den Leitbetrieb liegen vorrangig in der weitgehend autarken Gestaltung der Ausbildung und der Auslastung der Ausbildungskapazitäten.

... für die Partnerbetriebe Die Partnerbetriebe können diese Kooperationsform als Einstiegshilfe in eigene Erstausbildung nutzen oder, wenn der Leitbetrieb über Bedarf ausbildet, ihren Fach-kräftenachwuchs sichern, ohne selbst Ausbildungsauf-wand betreiben zu müssen.

Typus Leitbet r ie b mit Par t ne rbet r ie ben

Vor te i l eLeitbet r ie b mit Par t ne rbet r ie ben

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Herausforderung FachkräfteversorgungDas deutsche Produktions- und Innovationsmodell ist einem Wandel der öko-nomischen Rahmenbedingungen unterworfen. Die Marktanforderungen ver-ändern sich, die Unternehmen sind verstärkt in globale Wertschöpfungsket-ten eingebunden, betriebliche Restrukturierungen und Neuzuschnitte von Unternehmen wiederholen sich in immer kürzeren Zyklen, der Innovations-druck wächst. Um global wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht die deutsche Wirtschaft und ganz besonders die Metall- und Elektroindustrie in erhöhtem Maß gut ausgebildete Fachkräfte. Diese Fachkräfte müssen steigenden Anforderungen gerecht werden, sich in den immer komplexer werdenden Arbeitsprozessen zurechtfinden und ihr Wissen ständig aktualisieren.

Das deutsche Beschäftigungs- und Berufsausbildungssystem weist in die-ser Hinsicht bereits heute eine hohe Flexibilität und Reaktionsfähigkeit auf. Gegenwärtig gibt es in Deutschland knapp 350 anerkannte Ausbildungsbe-

rufe (in allen Wirtschaftsbereichen), worin sich betrieblich verwertbare Qualifikationen bündeln. Die beruf-liche Erstausbildung und Weiterbil-dung innerhalb des dualen Systems mit ihrer Kopplung von Theorie und Praxis ist nach wie vor das vorherr-schende und auch gut funktionie-rende Modell zur Rekrutierung von Fachkräften. Die in der Berufsaus-bildung vor einigen Jahren vollzo-gene Neuordnung der industriellen Metall- und Elektroberufe stellt die Prozesskompetenz in den Mittel-punkt – eine wichtige Rahmenbe-dingung für die Zukunftsfähigkeit der Berufsausbildung.

Globale Wettbe w e rbs­fähigkei t ve r langt

gut ausge bi ldete Fa chkräfte

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In der Wissenschaft, in der (Bildungs-)Politik, aber auch in den Personalabteilungen der Unternehmen muss aller-dings zunehmend antizipiert werden, dass der deutschen Industrie aufgrund des demografischen Wandels in der allernächsten Zukunft ein Fachkräftemangel in massivem Ausmaß droht. Gerade in industriell geprägten Branchen mit hohem Innovationsgrad und starken Exportaktivitäten müssen sich die Unternehmen darauf einstellen, dass beruflich qualifizierte Fachkräfte, aber auch ausbildungs-bereite Schulabsolventen sehr knapp werden können. Zu einer zentralen Voraussetzung für die Überlebens-fähigkeit von Unternehmen und Betrieben wird neben der Herstellung alternsgerechter Arbeitsbedingungen die ausreichende Versorgung mit Nachwuchskräften und die langfristige Bindung von Fachkräften.

Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sind im „Wettbewerb um Talente“ größeren Konkurrenten tendenziell unterlegen, da sie als Arbeitgeber oftmals weniger bekannt sind und auch über weniger Ressourcen verfügen. So haben sie es schwerer, eine attraktive Erstausbildung anzubie-ten und eine große Resonanz auf offene Ausbildungsplätze zu erzielen. Eine wichtiger werdende Aufgabe der betrieblichen Personalpolitik ist es demzu-folge, die Attraktivität des Betriebs, der Arbeitsbedingungen und auch der Erstausbildung zu erhöhen. Bei den verantwortungsbewussten Akteuren und Unternehmen aus der Industrie lassen sich in dieser Situation innovative personalpolitische Lösungen finden, die auf eine langfristige Personalent-wicklung abzielen.

Unternehmensübergreifende Lernallianzen schaffen in diesem Rahmen erweiterte Möglichkeiten, qualifizierte Fachkräfte auszubilden, zu gewinnen und zu binden. Damit gehen sie über die begrenzten Ressourcen des iso-lierten Einzelbetriebs hinaus. Sie bieten eine Win-win-Situation mit Vorteilen für alle beteiligten Betriebe und ebenso für die Auszubildenden selbst. Und zugleich helfen sie, die duale Berufsausbildung in Deutschland zu sichern, zu stärken und zu bereichern.

Einste l l en auf e inen dr ohenden Fa chkräftemangel

KMU stehen vor de r A ufgabe, a t t raktive r für A uszubi ldende und Fa chkräfte zu w e r den

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Was macht erfolgreiche Lernal l ianzen aus?Bei allen Ausbildungskooperationen, in denen wir unsere Interviews geführt haben, zeigen sich fünf Besonderheiten. Man kann sie als günstige Voraus-setzungen für das Gelingen einer unternehmensübergreifenden Lernallianz verstehen, aber auch allgemein als besondere Kennzeichen solcher kollabo-rativer Ausbildungsverbünde.

>> Balance von Stabi l i tät und F lexibi l i tätUnternehmensübergreifende Lernallianzen vereinen einen eigentlich unver-einbaren Gegensatz: Stabilität und Flexibilität.

Die Stabilität wird dadurch gewährleistet, dass die Aus-bildungsstätte durch einen weitgehend festen Stamm von beteiligten Unterneh-men ausgelastet werden kann. Meist gibt es einen Kern größerer Mittelständler, die jährlich wiederkehrend eine „kriti sche Masse“ an Azubis bei einem Ausbil-dungsbetrieb zur Kernaus-bildung anmelden. Damit wird Planungssicherheit im Hinblick auf die Personal- und Kapazitätsauslastung geschaffen, die – auch lang-fristig wirkende – Entschei-dungen für Investitionen in den Ausbilderstamm oder

Die fünf Besonde rheiten

Stabi l i tät dur ch Planungss i che rhei t

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den Maschinenpark erleichtert. Zudem wird so ein personell weitgehend sta-biler Kreis von Ausbildungsverantwortlichen etabliert, die sich „blind verste-hen“. Die Abstimmung wird einfacher und kann sich auf die Lösung kritischer und strategischer Fragen beschränken.

Die Flexibilität von unternehmensübergreifenden Lernallianzen besteht darin, dass ausbildungswillige Unternehmen, die nicht in jedem Jahr im glei-chen Umfang und mit demselben Ausbildungsprogramm eigene Azubis aus-bilden lassen wollen oder können, dennoch jederzeit über Ausbildungsmög-lichkeiten verfügen. Es gibt gewissermaßen eine barrierefreie Eintritts- und Austrittsschwelle: Die Lernallianz kann sich punktuell um weitere Betriebe aus der Region ausweiten, die nicht ständig am Verbund teilnehmen. So wird es möglich, weitere Gemeinkostendeckungsbeiträge zu erwirtschaften und die einzelnen Verbundmitglieder bei den Fixkosten zu entlasten. Wir haben festgestellt, dass das Einzugsgebiet für Ausbildungspartner in Abhängigkeit

von der Verkehrsin-frastruktur des ört-lichen Umfelds recht groß sein kann: Es kann 20 bis 100 Kilometer umfassen. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen sind derartige flexible Kooperationsformen eine probate und einfach einzuführen-de Möglichkeit, duale Berufsausbil-dung zu gewähr-leisten und ihren künftigen Fachkräf-tebedarf besser zu decken.

F le xibi l i tät dur ch bar r ie r e fr e ie Ein­ und A ust r i t t s­s ch w el len

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>> Große Bandbreite an AusbildungsangebotenDie Grundlage und Voraussetzung für die Balance aus Stabilität und Flexi-bilität liegt darin, dass die Ausbildungsbetriebe eine große Bandbreite an unterschiedlich umfangreichen und intensiven Ausbildungsmaßnahmen anbieten können. Es kann sich um die Durchführung einer vollständigen Erstausbildung handeln oder um die Absolvierung der anfänglichen Grund-ausbildung in den M+E-Berufen (in der Regel einschließlich der erfolgten Zwischen prüfung). Aber möglich sind auch eine punktuelle Modulausbildung und die Nutzung von Seminaren, bis hin zur freien und „kreativen“ Mischung nach dem Cafeteria-Prinzip.

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Wir haben zwei Hauptformen festgestellt: Beim ersten Fall, einer sehr weit-gehenden Kernausbildung beim ausbildenden Verbundpartner, verbringen die Azubis das Gros der Ausbildungszeiten im Ausbildungsbetrieb und nicht in ihrem Stammbetrieb. Sie sind in den ersten beiden Lehrjahren zur Vermitt-lung von Grundlagen im Wesentlichen in der Lehrwerkstatt des Ausbildungs-betriebs eingesetzt. Erst das dritte Lehrjahr findet im Stammbetrieb statt. Dort passen die Azubis das bisher Gelernte an die spezifischen Betriebsstruk-turen und -besonderheiten an. Die Prüfungsvorbereitung wird üblicherweise wieder vom Ausbildungsbetrieb übernommen. Für den Ausbildungsbetrieb garantiert diese Form der Zusammenarbeit eine stabile Anzahl an Azubis und damit relative Planungssicherheit.

Zu unseren Intensivfällen gehörte ein besonders interessanter Fall der Kern-ausbildung, die „Ausbildungspartnerschaft“ um die Robert Bosch Fahrzeug-elektrik Eisenach GmbH. Hier ist das dritte Lehrjahr in der Form eines betrieb-lichen Durchlaufs organisiert, die Azubis rotieren für je drei- bis vierwöchige Hospitationen zwischen den vier regelmäßig beteiligten Kernunternehmen und lernen dabei „fremde“ Produktionsbedingungen, Arbeitsorganisationen, Wertesysteme, Führungstechniken und Dimensionen kennen. Das schätzen sie auch selbst sehr: So bezeichneten Azubis aus der Elektroausbildung den Einsatz im Großwerkzeugbau der Automobilwerke mit seinen großdimen-sionierten Anlagen und Produkten und vergleichsweise „grobschlächtigen“ Bearbeitungsverfahren (Pressen, Entgraten) als kurios, aber durchweg lehr-reich.

Bei der zweiten Form, der Modulausbildung, kooperieren Stamm- und Aus-bildungsbetrieb nur punktuell. Die Azubis absolvieren den Hauptteil ihrer Ausbildung im Stammunternehmen, der Ausbildungsbetrieb übernimmt lediglich einzelne, klar definierte Module wie Lehrgänge oder Prüfungsvor-bereitung, für die im Stammbetrieb die spezifischen Maschinen, das qualifi-zierte Personal oder die Kompetenzen fehlen. Klassischerweise handelt es sich bei solchen Modulen beispielsweise um Schweißlehrgänge, SPS-Semi-nare, Schulungen an CNC-Maschinen oder – bei Mechatronikern – denjeni-gen Teil der Ausbildung (Metall oder Elektrik), der im Stammbetrieb nicht angeboten werden kann.

Ke r nausbi ldung beim e xte r nen Par t ne r

Modulausbi ldung mit punkt uel l e r Koope rat ion

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Diese beiden Formen erlauben es prinzipiell jedem Partnerbetrieb der Region, ungeachtet seiner spezifischen Rahmenbedingungen und eigenen Ausbildungskapazitäten, das auf ihn zugeschnittene spezifische Ausbildungs-programm zu „buchen“. Das Angebot flexibler Formen der Zusammenarbeit macht es andererseits dem Ausbildungsbetrieb möglich, seine Kapazitäten im Ausbildungsbetrieb auszulasten und damit Fixkosten zu reduzieren. Gedruckte Ausbildungsprogramme und Seminarkataloge können es den Stammbetrieben erleichtern, die für sie passende besondere Mischung von Ausbildungsmaßnahmen auszuwählen.

>> Zusammentreffen von Angebot und NachfrageBei den untersuchten unternehmensübergreifenden Lernallianzen liegt in der Region die Situation vor, dass ein Angebot an Ausbildungskapazitäten (im Ausbildungsbetrieb/Leitbetrieb) auf eine Nachfrage von Unternehmen trifft, die aus welchen Gründen auch immer nicht selbst in vollem Umfang aus-bilden können oder wollen, die aber dennoch ein hohes Interesse an einer langfristigen Versorgung mit qualifizierten Fachkräften haben und darin auch zu investieren bereit sind. Das bedeutet: Es gibt einen „Überschuss“ im Sinn eines qualifizierten Stamms von Ausbildern der M+E-Berufe im Ausbildungs-betrieb – bei gleichzeitigem Mangel an Ausbildungskapazitäten in anderen Betrieben der Region.

Der Überschuss kann in unternehmensstrategischen Entscheidungen be-gründet sein, etwa dem Aufkauf von Unternehmensteilen oder dem Abbau eigener Produktionsabteilungen. So ist es möglich, dass Betriebe bei ihrer Restrukturierung die eigene Erstausbildung nicht aufgeben, sondern weiter betreiben. Manche Lernallianzen sind aber auch durch Management-Buy-out entstanden: Engagierte Ausbildungsleiter haben die Lehrwerkstätte in Eigenregie und auf eigenes wirtschaftliches Risiko übernommen, weil mit der Insolvenz oder dem Verkauf des Produktionsbetriebs auch die Ausbildungs-stätte „den Bach runtergegangen wäre“. In einem der untersuchten Fälle in Ostdeutschland hatte der Ausbildungsbetrieb (Robert Bosch) einen ehema-ligen Kombinatsteil inklusive Ausbildungswerkstätte übernommen – und die Ansiedlung von produzierenden Unternehmen „auf der grünen Wiese“ in

Maßgeschneide r te Mischungen

A usbi ldungs­w e rkstätten und

A usbi lde r im Ü be rschuss . . .

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räumlicher Nähe (Opel Eisenach, BMW Krauthausen) produzierte dann „Ab-nehmer“ für die damit verbundenen Ausbildungskapazitäten.

Der Mangel an Ausbildung in Metallberufen betrifft nicht nur Betriebe aus derselben Branche, sondern kann auch in branchenfremden Betrieben entstehen, etwa in Handwerksbetrieben, kommunalen Stadtwerken oder Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen, wo komplexe Maschinen und Anlagen zum Einsatz kommen (z.B. in der Ernährungsindustrie). Dort werden M+E-Fachkräfte oft nur vereinzelt oder in größeren Zeitabständen gebraucht, und die branchentypischen Lehrwerkstätten sind dafür unter Umständen nicht geeignet oder reichen nicht aus.

>> W in-win-S ituat ion für die Unternehmen und die AzubisWir haben in den letzten 20 Jahren nur sehr wenige Forschungsthemen bearbeitet, bei denen eine derartig weitreichende Interessenübereinstim-mung zwischen Vertretern der Management- und Arbeitskräfteseite gegeben war wie im Fall der unternehmensübergreifenden Lernallianzen.

Dem Ausbildungsbetrieb verschafft die im Ver-bund organisierte, quantitativ umfangreiche Erst-ausbildung eine langfristig planbare Auslastung seiner Ausbildungskapazitäten und die Absiche-rung des Ausbildungspersonals. In einem Fall konnten sogar die von den Partnerunterneh men bezahlten Ausbildungskosten in Neuanschaffun-gen von Maschinen für die Lehrwerkstätte re-investiert werden. Die Stammbetriebe, die ihre jungen Azubis in den Ausbildungsbetrieb ent-senden, haben interne Vorteile: Kostenentlastung durch Verzicht auf größere Investitionen und auf das Vorhalten von Ausbildungskapa zitäten, zugleich aber auch externe Vorteile: Sie können

. . . und Mangel an A usbi ldungs­kapazitäten

Vor te i l e für A usbi ldungsbet r ie be und Stamm bet r ie be

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die qualitativ spezialisierte und permanent geschulte Ausbildermannschaft im Ausbildungsbetrieb nutzen.

Wenn man sich nun die Interessenlagen der Azubis ansieht, fiel es ihnen in den Interviews durchweg schwer, überhaupt Nachteile der unternehmens-übergreifenden Lernallianz zu benennen. Dagegen sahen alle Azubis weit-reichende individuelle Vorteile in der Verbundausbildung. Einige typische Aussagen:

„Ein Vorteil an der Ausbildungspartnerschaft ist, dass man andere Azubis ken­nenlernt und neue Kontakte knüpfen kann. Dadurch, dass in der Ausbildungs­partnerschaft mehrere Azubis in einer ähnlichen Situation sind, kann man in einer großen Gruppe lernen.“

„Wir können von der hochwertigen Ausbildung profitieren, weil qualifizierte Aus­bilder, moderne Technik und notwendiges Werkzeug garantiert vorhanden sind.“

„Man kann zwischenzeitlich auch durch die Fertigung des Ausbildungsbetriebs gehen. Und im Betriebsdurchlauf sieht man auch die Werke von den anderen drei Firmen. Das wär´ nicht der Fall, wenn man seine Ausbildung in einem normalen kleinen Betrieb machen würde.“

„Hier in der Lehrwerkstätte sind mehrere Azubis, die im Team zusammenarbeiten müssen. Bei meinem eigenen Betrieb wären wir nur zwei Zerspaner im zweiten Lehrjahr und dann ja eigentlich kein Team. Mit den Gleichaltrigen hier kann man auch Probleme austauschen.“

„Für mich ist ein Vorteil der gemeinsamen Ausbildung, dass ich im eigenen Unter­nehmen der einzige Azubi im vierten Lehrjahr wäre und hier im Verbund von den anderen Azubis lernen kann und andere fragen kann, wenn ich an Maschinen nicht klarkomme.“

„Hier kann man viel mehr und viel besser für die Prüfung lernen. Und in der Lehrwerkstatt kann ich bestimmte Dinge für die Prüfung nachholen. Im eigenen Unternehmen hätte ich fast gar nicht gefräst und gedreht, weil ich nicht aus einem Metallbetrieb komme.“

A zubis s ehen g r oße Vor te i l e

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>> Rückendeckung durch Personal le i tungen und Betr iebsräteDamit hängt es zusammen, dass in den von uns untersuchten unterneh-mensübergreifenden Lernallianzen eine weitere Win-win-Situation besteht, nämlich zwischen dem Unternehmensmanagement in Gestalt der Perso-nalleitungen und den betrieblichen Interessenvertretungen in Gestalt der Betriebsräte. Das gilt sowohl für die Ausbildungsbetriebe und Leitbetriebe als auch für die entsendenden Stammbetriebe.

Für die Personalleitungen bildet die Lernallianz nicht nur eine langfristig abzielende Strategie zur Sicherung des eigenen Fachkräf-tenachwuchses, sondern erlaubt auch die Etablierung eines Images als sozial engagierter Arbeitgeber in der Region. Hier lässt sich das hohe gesellschaftliche Prestige ablesen, das der Durchführung einer beruflichen Erstausbildung innewohnt.

Die Betriebsräte agieren sehr wohlwollend, stehen zumeist in engem, manchmal nahezu freund-schaftlichem Kontakt zu den Ausbildern, Ausbildungsleitern und Ausbildungsbeauftragten und bilden gewissermaßen von Natur aus die strategischen und taktischen Koalitionspartner der Personalleitungen und Ausbil-dungsleitungen. Aus ihrer Sicht signalisiert das Unternehmen da-

Pe rsonal le i t ungen und Bet r ie bsräte im Einklang

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mit die hohe Wertschätzung einer qualifizierten und in der Regel langfristig beschäftigten Mannschaft, beweist aus gewerkschaftspolitischer Perspektive gesellschaftliche Verantwortung und setzt sich zugunsten einer Langfristper-spektive in der Personal politik strategisch gegenüber kurzfristigen Profit-maximierungs- und Shareholder-Value-Orientierungen ab. Darüber hinaus erhalten die Betriebsräte aller Teilnehmerunternehmen durch eine solche Langfristinvestition der Betriebe in die Personalausbildung und -entwicklung gewissermaßen eine informelle Bestätigung, dass das eigene Unternehmen keine Standortver lagerungen vorbereitet.

Als ein weiterer interessenpolitisch wirksamer, aber auch für die Auszubilden-den motivierender Effekt ließ sich in den von uns untersuchten Fällen eine wachsende Zusammenarbeit der verschiedenen betrieblichen Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) erkennen. So wurde mancherorts mit gemeinsamen Treffen und dem Aufbau von Kommunikationsstrukturen begonnen, um ggf. auch gemeinsam Veränderungen in den Ausbildungsin-halten oder der Organisation zu initiieren. Aus Betriebsratsperspektive kann es im Hinblick auf eine Angleichung von tariflichen und arbeitspolitischen Standards auch ein Vorteil sein, dass sich die Azubis über Ausbildungs-bedingungen, Lehrlingsgehälter, Tarifbindungen und Einsatzbedingungen austauschen.

Lernal l ianzen bieten zusätzl iche Ausbi ldungsoptionenGegenüber einer „klassischen“ Erstausbildung im Einzelbetrieb verfügen Lernallianzen oft über erweiterte Möglichkeiten, die in ihrer Eigenschaft als kooperierender Ausbildungsverbund begründet liegen. So können sich die Betriebe bei der Gewinnung von Auszubildenden wechselseitig unterstützen. Die Kontinuität der Ausbildung kann auch dann sichergestellt werden, wenn ein Partner zeitweise oder ganz ausfällt. Auszubildende können fachliche und Schlüsselqualifikationen in besonderer Breite, Form und Qualität erwerben, die zugleich den Anforderungen der Partnerbetriebe besonders gut ange-passt sind.

Die Bet r ie be können s i ch

w echse l se i t ig unte rs t ütz en

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Wechselse i t ige UnterstützungIn Ausbildungsverbünden können sich die Betriebe gegenseitig bei der Ver-sorgung mit Bewerbern unterstützen. Es gibt Unternehmen, die immer noch einen Überschuss an ausbildungsfähigen Bewerbern haben. Vor allem aber unterscheiden sich häufig die Selektionskriterien der Betriebe, was zum Teil an unterschiedlichen Einsatz- und Weiterbildungsstrategien nach erfolgter Ausbildung liegt. Deshalb können bei dem einen Unternehmen abgelehnte Bewerber für ein anderes durchaus in Frage kommen. Ein Ausbildungsleiter berichtet:

„Bei der Auswahl bleiben immer Bewerber übrig, die zwar geeignet sind, für die wir aber keinen Ausbildungsplatz anbieten können. Wir informieren die sehr guten abgelehnten Bewerber über die Anschriften unserer Partnerbetriebe und über die Tatsache, dass auch unser Partner XY ausbildet, damit sie sich dort bewerben können. Das unterstützt natürlich auch die Partner und es sind schon viele zusätzliche Ausbildungsverträge durch diese Vorgehensweise zustande gekommen.“

Über diese ad-hoc-Versorgung hinaus bieten unternehmensübergreifende Lernallianzen die Chance, gemeinsame Ressourcen strategisch zum Marke-ting der Ausbildung zu nutzen. Unternehmensübergreifende Lernallianzen können die Besonderheit als „Flottenverband“ herausstreichen, um die Wahr-nehmbarkeit des Ausbildungsverbunds durch Schulen und Schulabgänger zu verbessern. Maßnahmen wie gemeinsame Auftritte an Schulen und auf Berufemessen, die Schaffung eines gemeinsamen „Verbund-Labels“, Werbe-broschüren über den Verbund und seine Vorteile, ein gemeinsamer Internet-auftritt etc. erhöhen den Bekanntheitsgrad der Verbundausbildung in der Region sowie deren Attraktivität für künftige Azubis und deren Eltern. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen können angesichts ihrer begrenzten Ressourcen von einem gemeinsamen Ausbildungsmarketing und einer ge-meinsamen Außendarstellung profitieren. Ein Ausbildungsleiter:

„Ein wesentlicher Punkt ist, dass man ein gutes Image in der Region hat. Das führt sicherlich dazu, dass wir doch noch eine relativ hohe Anzahl von Bewer­bungen bekommen.“

Geeig nete Be w e rbe r brauchen nicht übr igzuble iben

Gemeinsame Ö ff ent­l i chkei t sarbei t e rhöht die A tt raktivität

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Chance zur kontinuier l ichen Ausbi ldungIn Lernallianzen ist es besser als in einer herkömmlichen einzelbetrieblichen Ausbildung möglich, langfristig und dauerhaft für eine kritische Masse an Auszubildenden eine qualitativ hochwertige Erstausbildung anzubieten. In dieser Hinsicht bieten kooperative Lernallianzen die Planungssicherheit, absehbare Diskontinuitäten in der Verbundzusammensetzung frühzeitig zu erkennen und ggf. durch kompensatorische Maßnahmen innerhalb des Un-ternehmensnetzwerks abzufangen. Eine wichtige Aufgabe in Lernallianzen ist somit die langfristige zukünftige Sicherung der Kontinuität des Ausbildungs-verbunds.

Dem Leiter eines Ausbildungsverbunds zufolge wird Konti-nui tät dadurch sichergestellt, dass die Ausbilder ständige Wei terbildung erhalten und so die „Kundenbedürfnisse“ der Partnerbetriebe nach Ausbildungsqualität befriedigt werden können. Während der Wirtschaftskrise mussten mit einigem Aufwand aktiv neue Partnerunternehmen akqui-riert werden, weil die Azubi-Zahlen der Stammpartner zurückgingen. Ähnlich verhielt es sich bei einer sehr großen Lernallianz in Bayern: Als ein Partnerunternehmen, das bis-her mit die größten Azubikontingente gestellt hatte, Insol-venz anmelden musste, beschloss man, dessen Azubis für die Dauer der restlichen Erstausbildung im Ausbildungs-betrieb zu übernehmen und sie ihre berufliche Ausbildung fertig stellen zu lassen.

In der zweiten intensiver untersuchten Lernallianz hat die Zusammenarbeit mit der örtlichen Industrie- und Hand-werkskammer (IHK) und deren aktive Vermittlungstätigkeit es möglich gemacht, bisher noch keine aktive Werbung für den Verbund betreiben zu müssen. Der Ausbildungs-verbund wächst im mer noch kontinuierlich, betont der Ausbildungsleiter der ThyssenKrupp Umformtechnik Biele-feld (heute: GMF Umformtechnik GmbH): „Es spricht sich herum, obwohl wir keine große Reklame machen.“

Kontinuität auch be i A usfa l l von

Stammpar t ne r n

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Hohes fachl iches Niveau und Schlüsse l- qual i f ikat ionenDie zentralen Wettbewerbsfaktoren von Unternehmen in Hochlohnländern wie Deutschland sind Wissen und Qualifikationen. Hier wirken unterneh-mensübergreifende Lernallianzen in mehrfacher Hinsicht unterstützend.

Einerseits erhalten die Azubis eine Ausbildung auf hohem fachlichem Niveau. Diese wird gewährleistet durch eine moderne Ausstattung der Lehrwerkstät-ten sowie durch qualifizierte, hauptamtliche Ausbilder, die im Gegensatz zu ihren nebenamtlichen Pendants sowohl über größere zeitliche Ressourcen verfügen als auch meist fachlich eher in der Lage sind, individuelle Schwä-chen der Azubis zu erkennen und gezielt auszumerzen. Einige Ausbildungs-betriebe fördern dies durch spezielle Weiterbildungen der Ausbilder in den Bereichen Kommunikation mit Jugendlichen, Teamentwicklung, Moderation, Konfliktmanagement etc. und bieten den Azubis als Ergänzung zur Berufs-schule zusätzlichen Werkunterricht oder Nachhilfe an. Neben fachlichem Know-how wird in den untersuchten Fällen andererseits der gezielten Ver-mittlung von Methodenwissen und persönlichen Kompetenzen ein hoher Stellenwert beigemessen.

Mehrtägige Einführungsseminare abseits der Arbeitsumgebung (Outdoor-seminare mit Rafting, Zelten, Schneeschuhtouren etc.) wie auch das gemein-same Lernen der Azubis über mehrere Lehrjahre dienen dem Kennenlernen und der Stärkung der Teamfähigkeit. Im Eisenacher Verbund der Robert Bosch Fahrzeugelektrik GmbH bearbeiten die Azubis darüber hinaus eine ganze Woche lang ein regionales soziales Projekt (wie z.B. die Anfertigung einer Kletterburg für einen örtlichen Kindergarten oder eines Heuhotels für eine Jugendherberge), bei dem sie von der Projektplanung über die Materialbe-schaffung und die Arbeitsplanung bis hin zur Übergabe an den Auftraggeber alles selbst organisieren und durchführen. Damit werden die Azubis frühzei-tig auf die im späteren Arbeitsleben benötigten Kompetenzen vorbereitet.

Die Flexibilität der Azubis wird dadurch erhöht, dass sie sich – besonders wenn regelmäßig Betriebsrotationen zwischen Partnerunternehmen vorge-sehen sind – auf unterschiedliche Führungsstile, Produktionstechniken und

Mode r ne A usbi ldung auf hohem fa chl i chem Niveau

Stärkung de r Teamfähigkei t

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Unternehmenskulturen einstellen müssen. Die zunehmende Prozessorientie-rung in der Ausbildung festigt schließlich die Selbstständigkeit, Eigenverant-wortung und Problemlösungskompetenz der Azubis, die frühzeitig umfas-sende Arbeitsprozesse von der Auftragsannahme bis zur Endkontrolle planen und eigenständig durchführen müssen.

Die Personalleiterin eines Partnerbetriebs berichtet:

„Die Schlüsselqualifikationen, die sie dort lernen, wie Präsentationstechniken, Problemlösungskompetenzen, Projektmanagement, sind alle dienlich. Aber man versucht, den Azubis möglichst viele Komponenten neben dem Fachwissen auf dem Weg mitzugeben, damit der Einstieg in die Arbeitswelt leichter fällt. Da ha­ben sie ein ordentliches Rüstzeug, das man ihnen mit auf den Weg gibt.“

F le xibi l i tät , Se lbst s tändigkei t ,

Eigenve rant w or t ung und P r oblemlösungs ­

kompetenz

Inhalt l i che, organisator i s che und methodis che

Vor te i l e

Ausbildung in unternehmensübergreifenden Lernallianzen vermittelt also in besonderer Weise die Qualifikationen, die für die künftigen Anforderun-gen und Aufgaben in modernisierten Arbeits- und Produktionsprozessen gebraucht werden. Sie nimmt diese gewissermaßen im Ausbildungsverfah-ren vorweg:

• Inhaltlich durch Identität von zeitgemäßen, ganzheitlichen Ausbil-dungsinhalten und künftigen Arbeitsanforderungen, wie autonome Problemlösung und Selbstständigkeit (z.B. durch eigene betriebliche Produktionsaufträge).

• Organisatorisch durch Arbeit in einem größeren, evtl. interdiszipli-nären und sogar unternehmensübergreifenden Teamzusammenhang. Durch heterogene Herkunft der Azubis sowie betriebsübergreifende Erfahrungshintergründe und Koordinierungsanforderungen werden soziale Qualifikationen und koordinierende Fähigkeiten vorausgesetzt und zugleich intensiv gelehrt.

• Methodisch durch das Erlernen von Teamfähigkeit und Projektmana-gement, sozialer Koordinierung sowie Flexibilität und Selbstorganisa-tion (z.B. durch Betriebsrotation).

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Worauf sol lten Lernal l ianzen achten?Auch in gut funktionierenden unternehmensübergreifenden Ausbildungs-allianzen können Problemlagen entstehen, die für die Zukunft bedrohlich werden können, wenn sie nicht rechtzeitig und gründlich bearbeitet und gelöst werden. Derartige Problemlagen können entweder interne Konflikt-konstellationen unter den Verbundpartnern oder auch durch externen ge sellschaftlichen Wandel hervorgerufene Handlungserfordernisse sein. Wir haben in den von uns untersuchten Lernallianzen festgestellt, dass bei derar-tigen Herausforderungen Wege und Möglichkeiten gefunden wurden, primär durch solidarische Aktionen, Vertrauen schaffende Maßnahmen und klare Absprachen eine Gefährdung des Ausbildungsnetzwerks zu vermeiden.

Konkurrenz e indämmen, Koordinat ion s icherste l lenWenn in einem marktwirtschaftlichen Gesellschaftssystem Knappheit an be-stimmten Produkten oder Leistungen herrscht, treten herkömmlich Konkur-renzmechanismen um dieses knappe Gut auf. Nichts anderes ist zu erwarten, wenn dieses knappe Gut aus jungen Absolventen einer erfolgreichen Erstaus-bildung besteht. In einem ungeschützten, rein kapitalistischen Wirtschafts-raum würde in dieser Situation der Fall eintreten, dass sich die Unternehmen einen Konkurrenzkampf liefern würden, der bis zum „Headhunting“ gehen könnte. Diese Gefahr besteht im Grundsatz auch in unternehmensübergrei-fenden Lernallianzen.

In den von uns untersuchten Fällen ist diese Gefahr von den Beteiligten zwar als potenzielles Risiko erkannt worden, für den eigenen Ausbildungsverbund hielten sie sie aber nicht für real, faktisch und drohend. In diesen durchweg erfolgreichen und über viele Jahre kooperierenden Lernallianzen sind – gewissermaßen in Form eines ungeschriebenen Gesetzes – Abwerbungen für alle Beteiligten undenkbar, um die Allianz nicht zu gefährden. Es gelingt

P r oblemen vor beugen dur ch so l idar i s che A ktionen, Ve r t rauen s chaf f ende Maßnah­men und k lar e A bspra chen

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diesen Firmen, den Mechanismus der Arbeitsmarktkonkurrenz in den Griff zu bekommen bzw. gar nicht auftreten zu lassen. Dabei spielt – wenig überra-schend – der Begriff des „Vertrauens“ eine bedeutende Rolle.

Damit Lernallianzen dauerhaft erfolgreich sein können, müssen also Ge-fahren wie Trittbrettfahrereffekte, Interessenegoismen, Angst vor Wissens-abfluss oder vor der Abwerbung vielversprechender Azubis neutralisiert werden. Deshalb und auch zur Erhöhung der Transparenz und Vertrauens-bildung entwickeln Ausbildungsverbünde sozial-kommunikative Regularien zur Eindämmung von Arbeitsmarktkonkurrenz und zur Vertrauensbildung: gemeinsame Entscheidungsgremien, standardisierte Kommunikationsver-fahren und institutionalisierte Konfliktbearbeitungsprozesse. Die Formen der Koordinierung, die wir vorgefunden haben, reichen von einer lediglich punktuellen Kontaktaufnahme beim „Buchen“ von Ausbildungsmodulen und Seminaren bis hin zu fest verabredeten und institutionalisierten Entschei-dungsgremien.

Die weitgehende Koordinierung in regelmäßig tagenden Entscheidungs-gremien kann so aussehen: In jährlich stattfindenden Ausbildungspartner-runden haben alle am Verbund Beteiligten die Möglichkeit, eine Bilanz des vergangenen Ausbildungsjahres zu ziehen und Verbesserungen anzuregen, über die anschließend gemeinsam entschieden wird. Künftige Herausforde-rungen und Neuerungen, die den Verbund bzw. die Ausbildung betreffen, wie etwa die Integration neuer Verbundpartner, die Veränderung von Ausbil-dungsinhalten oder -berufen oder die Rotation der Azubis zwischen den Ko-operationsbetrieben, werden ebenfalls dort oder im Rahmen von separaten, themenbezogenen Terminen diskutiert. Neben der regelmäßigen Kommuni-kation innerhalb der Gremien findet ein enger, bilateraler Austausch zwi-schen dem Ausbildungsbetrieb und den Ausbildungsbeauftragten der jewei-ligen Stammbetriebe statt. Letztere sind bis zu einmal wöchentlich vor Ort, um aktuelle Themen zu erörtern. Darüber hinaus gibt es eine Mischung aus festen, jährlich vorab terminlich festgelegten Gesprächsrunden und themen-bezogenen Treffen, die ad hoc und auf Zuruf und bei Bedarf angesetzt wer-den. Eine Besonderheit der Lernallianz bei der Robert Bosch Eisenach GmbH ist eine egalitäre, von zwischenbetrieblichem Vertrauen geprägte, jährlich

A b w e rbung, Tr it tbr et t fahr e r­

e f f ekte und Kno w­ ho w­ A bf luss

ve r meiden

Koor dinie r ung dur ch r egelmäßige

Kommunikation und bi late ralen A ustausch

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stattfindende Gremienarbeit zur Definition und gemeinsamen Entscheidung über die künftig angebotenen Berufsprofile und Ausbildungsgänge.

Nachwuchskräf te ans Unternehmen bindenIn der zunehmenden Konkurrenz um Talente spielt neben der Gewinnung von Nachwuchskräften die langfristige Bindung von Personal eine immer wichtigere Rolle. Gerade in den am weitesten verbreiteten Ausbildungsver-bünden nach dem Typus der „Auftragsausbildung“ verbringen die Azubis längere Teile der Ausbildung nicht im Stammbetrieb, sondern in einem an-deren Unternehmen. Die Identifikation mit dem Stammbetrieb während der Ausbildung und die Schaffung von attrak tiven Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten werden deshalb zu zentralen Bindungsfak-toren.

Für die Identifikation mit dem Stammbetrieb sind ein regelmäßiger Kontakt mit dem Aus-zubildenden und eine transparente Informa-tionspolitik unabdingbar. In der Praxis beste-hen hier vielfältige Ansatzpunkte, wie z.B.:

• frühzeitige Information der Bewerber über den wechselnden Lernort,

• periodische Einsätze der Azubis im Stamm-betrieb, z.B. in den Sommermonaten,

• frühzeitiges Heranführen an den künfti gen Kollegenkreis,

• regelmäßige Besuche des Ausbildungs-beauftragten des Stammbetriebs in der Ausbildungswerkstatt,

• Beteiligung von Ausbildungsbeauftrag-ten des Stammbetriebs an Mitarbeiter-gesprächen.

Identi f ikat ion mit dem Stammbet r ie b s chaf f en

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Besonders engagierte Ausbildungsverbünde führen über den direkten Kon-takt mit den Azubis hinaus Zufriedenheitsbefragungen sowie regelmäßige Kommunikationsrunden durch, um Konflikte frühzeitig bearbeiten und Verbesserungsvorschläge aufnehmen zu können. Der Produktionsleiter eines Partnerbetriebs erzählt etwa:

„Sie legen Wert darauf, dass die Azu­bis mindestens einmal im Monat in den Stammbetrieb gehen, nicht nur, um sich Abrechnungen abzuholen, sondern auch um Berichte vorzule­gen und Kontakt zu halten, damit sie nicht als Außenstehender betrachtet werden. Den Betrieben soll signali­siert werden, dass der Azubi ein Mit­arbeiter des Stammbetriebs ist, um den sie sich zu kümmern haben.“

Die Personalleiterin eines Partner-betriebs gibt zu bedenken:

„Man verliert sie schnell aus den Augen. Dann kümmert man sich vielleicht um die Auszubildenden, die hier sind, aber dass bei unserem Ausbildungspartnerbetrieb noch welche sind, vergisst man schnell.“

Betriebsübergreifend agierende Jugend- und Auszubildendenver-tretungen verschaffen den Aus-zubildenden in der spezifischen Verbundstruktur noch mehr Gehör.

Eine vorbildliche Motivierung haben wir beispielsweise im Eisenacher Ausbildungsverbund

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gefunden: Auch die Auszubildenden der Partnerbetriebe nehmen am unter-nehmenseigenen internationalen Hospitationskonzept teil und können so z.B. Produktionsstätten in England, Mexiko, Australien, Spanien oder Tsche-chien für einen zweiwöchigen Auslandsaufenthalt besuchen.

Das Angebot attraktiver Beschäftigungs-, Weiterbildungs- und Aufstiegsmög-lichkeiten im Stammbetrieb nach erfolgter Erstausbildung ist ein weiteres zentrales Bindungsinstrument. Ein qualifikationsgerechter Einsatz und eine frühzeitige Prozessplanung in Richtung höherwertiger Arbeitsplätze sind dafür erforderlich, zumindest nach einer gewissen Berufserfahrung. Einige Betriebe bieten zudem duale Studiengänge oder Stipendien an, um die jun-gen Fachkräfte unter betrieblicher Anbindung weiterzuqualifizieren.

Lernal l ianzen bereichern die duale Berufsausbi ldungErfolgreiche Lernallianzen bieten sowohl für die jungen Azubis als auch für die beteiligten Betriebe also vielfältige Vorteile und schaffen im produzie-renden Gewerbe einen zusätzlichen Pfad zur Versorgung mit ausgebildeten Fachkräften. Denn allzu oft fehlt es an adäquaten Erstausbildungsstrukturen und -kapazitäten „in eigener Regie“. Dies gilt in besonderer Weise für kleine und mittelständische Unternehmen, die bisher aufgrund unzureichender betrieblicher, organisatorischer, personeller oder technischer Infrastruktur eine eigene Ausbildung nicht anbieten konnten. In dieser Situation können unternehmensübergreifende Lernallianzen eine Unterstützung anbieten, von der alle Beteiligten profitieren: die Unternehmen, die Personalabteilungen, die Betriebsräte und die Auszubildenden.

Auch die Gesellschaft als ganze profitiert davon, wie eine arbeits- und indus-triesoziologische Betrachtung zeigt. Durch unternehmensübergreifende Lern allianzen können zusätzliche Ausbildungsverträge von Schulabgängern zustande kommen. Die Lernallianzen erweitern das duale Ausbildungssystem um ein zusätzliches Element und leisten einen wertvollen Beitrag zu dessen Sicherung und Bereicherung. Das ist besonders wichtig, weil das deutsche

Hoch w e r tige A rbei t splätz e anbieten

A l le Bete i l igten pr of i t ie r en . . .

. . . und auch d ie ganz e Gese l l s chaft

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Produktions- und Innovationsmodell auf beruflich qualifizierten Fachar-beitern und damit auf dem dualen Ausbildungssystem beruht. Dies ist der vorrangige Weg zur Vermittlung von praktisch verwertbaren Qualifikationen, die sich in gesellschaftlich definierten Berufen bündeln. Ein Teil dieser Berufe und Qualifikationen wird nun in unternehmensübergreifenden Lernallianzen mit ganz spezifischen Strukturbesonderheiten vermittelt.

Im Hinblick auf die Vermittlung beruflicher Qualifikationen liegt der ent-scheidende Vorteil von unternehmensübergreifenden Lernallianzen unserer Einschätzung nach in der hochgradigen Übereinstimmung der Lehrinhalte, der Lehranforderungen und der Kooperationserfordernisse mit den zukünftig abgeforderten Qualifikationen von qualifizierten Beschäftigten in moderni-sierten Arbeits- und Produktionsprozessen.

Lernallianzen sind eine innovative Antwort auf die „Herausforderung Fach-kräfteversorgung“. Erfolgreiche Lernallianzen zeichnen sich durch fünf zen-trale Kennzeichen aus: die Balance zwischen Stabilität und Flexibilität, eine große Bandbreite an Ausbildungsgängen, das Zusammentreffen von Ange-bot und Nachfrage bzgl. Ausbildungskapazitäten, eine Win-win-Situation für Unternehmen und Azubis sowie die Rückendeckung durch Betriebsräte und Personalleitungen.

Sie bieten gegenüber einer „klassischen“ Erstausbildung erweiterte Ausbil-dungsmöglichkeiten: in der wechselseitigen Unterstützung der Betriebe, in der Kontinuitätssicherung und in der Sicherstellung eines hohen Qualifika-tionsniveaus, sowohl auf der fachlich-inhaltlichen Seite als auch bei Kompe-tenzen wie Teamfähigkeit, Flexibilität und Selbstständigkeit.

Achten müssen Lernallianzen besonders darauf, dass die Konkurrenz zwi-schen den Betrieben eingedämmt bleibt und genug für die Bindung der Nachwuchskräfte getan wird. Zur Erhöhung der Transparenz und zur Ver-trauensbildung werden sozial-kommunikative Regularien gebraucht: ge-meinsame Entscheidungsgremien, standardisierte Kommunikationsverfah-ren und institutionalisierte Konfliktbearbeitungsprozesse.

Lehr inhalte passen zu den prakti s chen

A nf or de r ungen

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Weiter führende Literatur aus unserem Forschungsprojekt Schmierl, Klaus (2011): Unternehmensübergreifende Lernallianzen in der Metall- und Elektroindustrie – Typologie, Besonderheiten und theoretische Implikationen. In: Voss-Dahm, Dorothea/Mühge, Gernot/Schmierl, Klaus/Struck, Olaf (Hrsg.): Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität, Wiesbaden, S. 25-48.

Schmierl, Klaus (2011): Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Re strukturierung und Kompetenzsicherung. In: Gesellschaft für Arbeits-wissenschaft e.V. (Hrsg.): Mensch, Technik, Organisation – Vernetzung im Produktentstehungs- und -herstellungsprozess, Tagungsband GfA-Frühjahrs-konferenz 2011, GfA Press, Dortmund, S. 935-938.

Schmierl, Klaus/Wolfer, Barbara (2011): Unternehmensübergreifende Lern-allianzen – Königsweg der Erstausbildung? In: Praeview, Nr. 5/2011, S. 20-21.

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