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Einzelpreis 9,90 Euro | 30. Jahrgang | 03 2015 PSYCHO SOZIALE Umschau aktuelles aus psychiatrie und gemeinde gespräch mit rainer kukla und arnd schwendy 40 Jahre Psychiatrie-Enquete cornelia schäfer Der Hürdenlauf eines psychiatrie-erfahrenen Elternpaares linda mische und margret osterfeld Staatenberichtsprüfung zur Umsetzung der UN-BRK

UOZmIAsLcE hau - psychiatrie-verlag.de · kampff, eng zusammengearbeitet haben, erinnern an die elenden und menschenunwürdigen Zustände, die damals die Öffentlichkeit ... Hans

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Einzelpreis 9,90 Euro | 30. Jahrgang | 032015

P S Y C H O S O Z I A L EUmschau

aktuelles aus psychiatrie und gemeinde

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03 /20

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gespräch mit rainer kukla und arnd schwendy

40 Jahre Psychiatrie-Enquete

cornelia schäfer

Der Hürdenlauf eines psychiatrie-erfahrenen Elternpaares

linda mische und margret osterfeld

Staatenberichtsprüfung zurUmsetzung der UN-BRK

Im September wird die Psychiatrie-Enquete 40 Jahre alt. Zeit füreine Bilanz: Rainer Kukla und Arnd Schwendy, die beide damalsmit dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission, Caspar Kulen-kampff, eng zusammengearbeitet haben, erinnern an die elendenund menschenunwürdigen Zustände, die damals die Öffentlichkeitund in der Folge auch die Politik mobilisierten (S. 20). In unsererInfografik sind die Meilensteine der Psychiatrie-Reform zu sehen(S. 26) und in der Rubrik »Psychiatrische Praxis« wird der bisherletzte Meilenstein, die Entwicklung der S3-Leitlinie »PsychosozialeTherapien bei schweren psychischen Erkrankungen« von den federführenden Initiatoren vorgestellt (S. 16).

Die Selbsthilfe wurde von der Enquete-Kommission nicht mit-gedacht, auch wenn es sie ohne die Psychiatrie-Reform wohl nichtgäbe. Der veränderte Status der Psychiatrie-Erfahrenen und auchihrer Angehörigen hat erst durch die UN-Behindertenrechtskon-vention (UN-BRK) ihren rechtlichen Bezugspunkt gefunden, der,wie Margret Osterfeld und Linda Mische in ihrem Beitrag zur Staa-tenberichtsprüfung zeigen (S. 10), die Richtung der nächsten Re-formschritte vorgibt.

Die so gestärkte Selbsthilfe hat nun an vielen Stellen die Chance,die psychiatrische Versorgung mitzugestalten. Eine Frage ist nebendem Wie aber auch das Wer: Die AG Partizipation aus Baden-Würt-

temberg hat einige Vorschläge gemacht, wie die nun offen stehen-den Stellen bei Besuchskommissionen, Beschwerdestellen usw. auchbesetzt werden können (S. 44). Wie schwierig es ist, offensiv undselbstbewusst mit den eigenen Erfahrungen in der Öffentlichkeitumzugehen, spiegelt sich nicht zuletzt in den Erfahrungen und Ein-stellungen der Betroffenen im Kontakt mit den Medien (S. 12).

Auch gegenüber Helfenden kann die Offenbarung der eigenenPsychiatriegeschichte heikel sein, wie psychiatrie-erfahrene Elternfeststellen mussten, die sich im Vorfeld der Geburt vertrauensvollan das örtliche Jugendamt gewendet hatten (S. 4). Dass es auch an-ders ausgehen kann, zeigt das Dormagener Modell (S. 8). Der alteFürsorge-Gedanke ist nach 40 Jahren Psychiatrie-Reform schwächergeworden, abgelöst vom Unterstützungsprinzip der UN-BRK ist ernoch lange nicht.

Von den Helfenden verlangt er nicht nur neu organisierte Struk-turen, sondern vor allem auch Mut zur unterstützten Entschei-dungsfindung, die Bereitschaft, auch Umwege mitzugehen, unddas Vertrauen, dass Betroffene und ihre Angehörigen ziemlich ge-nau wissen, was ihnen gut tun.

Die nächste Psychiatriereform wird nur mit ihnen stattfindenkönnen, das meint

Ihre Redaktion

2 | Psychosoziale Umschau 032015 | Editorial

Von der Fürsorge zur Selbstsorge

Foto: Ernst Fesseler

Psychiatrie & GemeindeIm Namen des Kindeswohls Der Hürdenlauf eines psychiatrie-erfahrenen Elternpaares | Cornelia Schäfer 4Mit Wertschätzung das Vertrauen der Eltern gewinnen | Martina Hermann-Biert und Uwe Sandvoss 8BRK fordert nutzerorientierte VersorgungsstrukturenDie Staatenberichtsprüfung zeigt erhebliche Mängel bei der Umsetzung der UN-BRK | Linda Mische und Margret Osterfeld 10Open Face: Die Erfahrungen und Einstellungen der Betroffenen im Kontakt mit den Medien | Beate Lisofsky 12

Psychiatrische Praxis & Soziale Arbeit Familien mit schweren psychischen Erkrankungen besser über Behandlungsmöglichkeiten informieren | Uta Gühne, Steffi G. Riedel-Heller und Thomas Becker 16

Kunst & KulturDie schützenden Arme der MutterWas Menschen im Krieg und in der Nachkriegszeit getröstet hat | Cornelia Schäfer 18Mit der Filmkamera Anti-Stigma-Arbeit leistenDie Filmemacherin Andrea Rothenburg und ihre Produktionsfirma DIADOK | Christoph Müller 19

NachgefragtAls die Psychiatrie laufen lernteGespräch mit Rainer Kukla und Arnd Schwendyüber vierzig Jahre Psychiatrie-Enquete 20

Im BlickpunktDie Psychiatrie-Enquete im Spiegel der Zeit | Lina Kamwar 26

Sozial- & GesundheitspolitikSoziotherapie kann nach Neufassung der Richtlinien endlich durchstarten | Norbert Mönter 28Erster »Strukturierter Dialog« zu PEPP | Ulrich Krüger 29Mehr Verhältnismäßigkeit im Maßregelvollzug | Ulrich Krüger 31Hessen hat ein neues Maßregelvollzugsgesetz | Christoph Müller 32Positionen der Verbände des Kontaktgesprächs Psychiatrie zum geplanten Bundesteilhabegesetz 33Kürzung bei der Hilfe zur Teilhabe? | Ulrich Krüger 35

Arbeit & RehabilitationInklusive Weiterentwicklung einer Werkstatt für seelisch behinderte Menschen | Jo Becker 36

Recht konkretVolle Grundsicherung für Menschen mit Behinderung | Christian Zechert 38

AngehörigenbewegungEin Hilferuf hätte genügt? Tragödien verhindern durch Achtsamkeit | Leonore Julius 39Wann schlägt der Respekt vor der Autonomie eines psychisch erkrankten Menschen in unterlassene Hilfeleistung um? | Hans Joachim Meyer 40Die Anfänge der AngehörigenbewegungHistorisches Buch im Archiv des BApK abrufbar | Margit Weichold 42

Selbsthilfe Psychiatrie-ErfahrenerPartizipationsförderung und Interessenvertretung in der Sozialpsychiatrie sichern | AG Partizipation 44Sprechen über ein TabuIn den Selbsthilfegruppen des Vereins »Schatten und Licht« | Cornelia Schäfer 48

Kurz & knappNachruf für Klaus Laupichler 49 | Kampagne Kein Raum für Missbrauch 49 | Trainingsprogramm Lern von mir 50 | 30 Jahre Rat und Tat 50 | Frankl Museum eröffnet 50 |

Bücher & MedienFamilienschicksal SchizophrenieFritz Bremer, Hartwig Hansen (Hg): Angehörige sind Erfahrene. Ein Ermutigungsbuch | Asmus Finzen 51Empfehlungen für mehr Sachlichkeit in den Medien | Cornelia Schäfer 51Bettina Jahnke: EX-IN Kulturlandschaften. Zwölf Gespräche | Beatrix Brunelle 52Kunst als Heimat Andrea Rothenburg: Alfred & Co. – Kunst, Psychiatrie, das Leben und der Tod | Christoph Müller 5215 Jahre BlitzLicht | Margit Weichold 53

Impressum 54Termine 54

Inhalt | Psychosoziale Umschau 032015 | 3

Karin
Bleistift
nicht fett
Karin
Bleistift
Spannender Beitrag zu EX-IN

»Vom Aussehen her ist Lukas eine Mi-schung zwischen meinem Freund und mir.Er hat hellere Haare und ein bisschen ab-stehende Ohren – wie Uwe –, aber genausolange und gebogene Wimpern wie ich.«Laura S. dazu zu bringen, über ihren SohnLukas zu erzählen, ist gar nicht so einfach.Ihre Worte kommen karg und spröde daher,zu oft hat sie ihre mütterlichen Gefühleschon demonstrieren müssen. Die 39-Jäh-rige ist zwar seit vergangenem OktoberMutter, aber ihr Sohn steht unter Obhut desJugendamtes. Er wurde seinen Eltern einpaar Tage nach seiner Geburt weggenom-men. Bei seinen Eltern wäre das Wohl desSäuglings »akut« gefährdet, argumentiertedie verantwortliche Mitarbeiterin des Bre-merhavener Jugendamts.

Laura ist vor vielen Jahren psychisch er-krankt. »Paranoide Psychose« lautete da-mals die Diagnose. Zweimal musste diejunge Frau für mehrere Monate in die Klinik,doch nach ihrer letzten Entlassung 1998hatte sie keinen weiteren Krankheitsschubmehr. Dennoch gilt sie als schwer behindertund nimmt Medikamente, um sicher zu ge-hen, dass sie nicht mehr krank wird. Seitlängerer Zeit arbeitet Laura in einer Behin-dertenwerkstatt, aber sie würde ihre psy-chiatrische und allgemeine Lebenserfah-rung gern als Genesungshelferin nutzenund hat deswegen im vergangenen Jahrüberlegt, an einem EX-IN-Kurs in Brementeilzunehmen. Dann aber stand erst einmaldie Schwangerschaft im Vordergrund und

gemeinsam mit ihrem Freund Uwe, der aneiner behandelten Borderline-Störung lei-det, begann sie, sich auf die Elternschaft vor-zubereiten. Die beiden suchten die AWO undPro Familia auf, Laura beriet mit ihrer Neu-rologin darüber, wie sich ihr Neuroleptikumund das leichte Antidepressivum gegen ihresozialen Ängste auf das Neugeborene aus-wirken würden und ob sie trotz Medika-menteneinnahme würde stillen können. DieNeurologin habe ihr spontan zu der Schwan-gerschaft gratuliert, erzählt Laura. Als dieSchwangere kurz vor dem errechneten Ge-burtstermin von einem Konflikt mit ihremFreund berichtete, riet ihr die Ärztin, dochauch noch nach Unterstützung beim Ju-gendamt zu fragen. Laura und Uwe befolg-ten den Rat.

Nach einem ersten Gespräch mit der Ju-gendamtsmitarbeiterin D. konnten die wer-denden Eltern einen zweiten mit ihr verein-barten Termin nicht wahrnehmen, einenTag später musste die werdende Mutter mitAnzeichen einer Schwangerschaftsvergif-tung vorzeitig in die Klinik.

Aus Vertrauen wird Misstrauen

»Als ich da im Krankenhaus während derWartezeit zwischen zwei Untersuchungenin meiner Akte blätterte, dachte ich, ich sehenicht richtig«, erzählt Laura. »Da stand dochtatsächlich drin, eine richterliche Entschei-dung über das Sorgerecht stehe noch aus.Offenbar hatte das Jugendamt unsere Taug-

lichkeit als Eltern angezweifelt, ohne uns inirgendeiner Weise in die Überlegungen ein-zubeziehen oder auch nur zu informieren.«

Laura war erschrocken und wütend zu-gleich. Doch es war Freitagnachmittag undkein Arzt zu erreichen, der sie darüber hätteaufklären können, was da hinter dem Rü-cken der Eltern in Gang gesetzt worden war.Als Jugendamtsmitarbeiterin D. am Montagdarauf mit einem Familienhelfer der AWOins Krankenhaus kam, um den versäumtenTermin nachzuholen, brachten Laura undUwe ihre Empörung über den Vertrauens-bruch zum Ausdruck und kündigten die Zu-sammenarbeit mit dem Jugendamt auf.Frau D. habe sich zwar dafür entschuldigt,dass sie den Eltern nichts von ihren Beden-ken gesagt habe, erinnert sich Laura, siehabe aber auch gesagt, an sich sei das Vor-gehen so »üblich«. Im Übrigen müssten siesich darauf einstellen, dass ihnen das Kindweggenommen werde, wenn sie nicht ko-operierten. So unter Druck gesetzt, erklärtensich Laura und Uwe »unter Protest« zur Zu-sammenarbeit bereit. Doch wie sich zeigte,half ihnen das nicht. Denn die Sozialarbei-terin hatte das Krankenhaus gebeten, seineBeobachtungen vor allem der Mutter an ihrAmt weiterzugeben.

Die Sozialarbeiterin D. wird später gegen-über der psychologischen Gutachterin von»Missverständnissen« sprechen – die Kinds-mutter habe fälschlicherweise aus ihrerKrankenakte geschlossen, beim Jugendamtbestünden Bestrebungen für eine Inobhut-

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Im Namen des Kindeswohls Der Hürdenlauf eines psychiatrie-erfahrenen Elternpaares Von Cornelia Schäfer

Zahl der InobhutnahmenMinderjährigerQuelle: Statista

2003

27.378

2004

25.916

2005

25.664

2006

Fall Kevin

25.998

2007

28.192

2008

32.253

2009

33.710

2010

36.343

2011

38.481

2012 2013

42.123

40.227

nahme. Dabei habe sie, D., zunächst garkeine Kindeswohlgefährdung gesehen unddie Inobhutnahme erst veranlasst, nachdemÄrzte und Krankenschwestern ihre Sorgebezüglich der Versorgung des Kindes geäu-ßert hätten. Das Krankenhaus jedoch bestä-tigt indirekt Lauras Darstellung.

»So wie bei Frau D. informiert uns das Jugendamt regelmäßig über alle ihnen be-kannten Schwangeren mit Verdacht auf Ge-fährdung des Kindeswohls, bei denen voreiner Entlassung des Kindes eine Prüfungdurch das Jugendamt erfolgen sollte, ob denEltern das Kind mitgegeben werden kann«,erklärt Chefarzt Dr. Wolfgang Friedmannvon der Frauenklinik im Klinikum Bremer-haven Reinkenheide gGmbH, wo Laura S. ih-ren Sohn zur Welt gebracht hat. Dieser Briefhabe seiner Abteilung bereits vorgelegen,als Laura S. dort mit Verdacht auf Schwan-gerschaftsvergiftung aufgenommen wurde.In solchen Fällen bemühe sich das Klinikumstets die erbetenen Informationen beizu-bringen, »so zeitnah wie es eben geht, damitggf. kurzfristig richterliche Entscheidungengetroffen werden können, falls das Amt tat-sächlich von einer Kindeswohlgefährdungausgeht. In diese Entscheidung sind wir üb-licherweise nicht eingebunden, da die zu-grunde liegenden familiären Umstände unsin der Regel nicht bekannt sind«. Wieso aberglaubten Jugendamt und Klinik überhaupt,sich einfach so über Laura und Uwe austau-schen zu dürfen? Die beiden erinnern sichnicht, eine Entbindung von der Schweige-pflicht unterzeichnet zu haben.

Vom Umgang mit sensiblen Informationen

Tatsächlich ist ein solcher beinahe schonroutinemäßiger Informationsaustauschvom Gesetzgeber nicht gewollt. So be-stimmt §4 des Gesetzes zur Kooperationund Information im Kinderschutz, KKG,dass Angehörige der Gesundheitsberufewie z. B. auch Berater und Beraterinnen, Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen,Lehrkräfte und Psychologen und Psycholo-ginnen als Geheimnistragende der Schwei-gepflicht unterliegen. Daten dürfen sie nurdann weitergeben, wenn sie selbst zu derEinschätzung kommen, dass eine Kindes-wohlgefährdung vorliegt – wobei die Elternin den Prozess der Gefahreneinschätzungeinzubeziehen sind. Wer unsicher ist, kannauch Rat beim Jugendamt holen, dann aber,ohne die Betroffenen beim Namen zu nen-nen. Dass die Eltern bei weitreichenden Ent-scheidungen über ihr Kind nicht einfachübergangen werden, war dem Gesetzgeber

wichtig. So sieht auch der für das Jugend-amt maßgebende Paragraf 8a des Sozialge-setzbuchs VIII, »Schutzauftrag bei Kindes-wohlgefährdung«, vor, »die Erziehungsbe-rechtigten in die Gefährdungseinschätzungeinzubeziehen«, soweit der wirksameSchutz des Kindes dadurch nicht infrage ge-stellt wird.

Was also waren denn nun die »gewichti-gen Anhaltspunkte« (§8a SGB VIII) für dieakute Kindeswohlgefährdung, die Sozialar-beiterin D. dazu veranlassten, bereits vor derGeburt von Lauras Kind dessen Inobhut-nahme in Erwägung zu ziehen – und diesauch noch, ohne die Eltern in ihre Überle-gungen einzubeziehen? Immerhin hattendie werdenden Eltern doch von sich ausKontakt zum Jugendamt aufgenommen.

In einem Eilantrag des Jugendamtes andas Gericht drei Tage nach Lukas’ Geburtlegt Sozialarbeiterin D. dar, warum sie dieInobhutnahme des Neugeborenen für ge-boten hält. Keine Rede ist von einem Kon-flikt zwischen ihr und den werdenden El-tern, wie ihn Laura berichtet. Stattdessenheißt es: »Die Kindeseltern haben sich imVorfeld über eine Vielzahl von Unterstüt-zungsangeboten informiert und auch fürdie Zeit nach der Geburt angemeldet. Zudem

wollten die Kindeseltern nach einem Erst-gespräch Familienhilfe in Anspruch neh-men. Nach einem weiteren Gespräch konn-ten sie sich die Inanspruchnahme der Fa-milienhilfe nicht mehr vorstellen. Wir ver-deutlichten, dass uns ihre ErkrankungenSorge bereiten und wir die Inanspruch-nahme von ambulanter Hilfe zur Erziehungzunächst für erforderlich halten würden. DieKindeseltern erklärten daraufhin, die am-bulante Hilfe zur Erziehung ›unter Zwang‹wahrnehmen zu wollen.«

Derart unerklärt wirft der plötzliche Sin-neswandel der Eltern kein gutes Licht aufihre Vernunft und ihr Verantwortungsbe-wusstsein. Susanne Hild, Leiterin des Bre-merhavener Jugendamtes, nach ihrer Ver-sion des Ablaufs gefragt bzw. danach, ob einVorgehen hinter dem Rücken der Eltern üblich sei und ob nicht erst hätte versuchtwerden müssen, das Vertrauen des Paareszurückzugewinnen, bevor man ein Neuge-borenes von seinen Eltern trennt, bittet um»Verständnis, dass wir in ein laufendes Ver-fahren nicht nur aus Datenschutzgründengenerell die Presse nicht einbeziehen kön-nen. Dies erfolgt u.a. auch, weil die Selbst-einschätzung der betroffenen Personen na-türlich in der ersten Phase von anderen Ein-

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Lukas und seine Mutter genießen die Zeit, die sie zusammen verbringen dürfen – wenn auch unter Beobachtung.

Foto: privat

schätzungen abweichen und daher famili-engerichtliche Entscheidungen abzuwartensind. Dies gilt insbesondere dann, wenn An-zeichen und Anzeigen zur möglichen Kin-deswohlgefährdung vorliegen«.

Die mutmaßliche Gefährdung des Kin-deswohls wird in dem Eilantrag des Jugend-amtes an das Familiengericht auch aus wiedergegebenen Äußerungen des Kran-kenhauspersonals abgeleitet. Da heißt esetwa, der Umgang der Mutter mit ihrem ers-ten Kind sei »teilweise liebevoll, jedoch viel-fach auch grob (Berührungen, nicht achsen-gerechtes Lagern usw.)«, und die Mutterhabe sich wenig offen für Belehrungen undangebotene Hilfen gezeigt. Einmal sei dieMutter über eine Stunde zu spät zum Füt-tern ihres Kindes gekommen, weil sie zuvorselbst etwas habe essen wollen und in derletzten Nacht sei sie gar nicht zu wecken ge-wesen. »Als Frau S. heute morgen darauf an-gesprochen worden sei, habe sie angegeben,dass sie so etwas schon befürchtet habe,denn wenn man versuche, sie nachts zu we-cken, würde sie sehr wehrig sein und oft-mals auch ›schlimme Sachen‹ sagen.«

Laura bestreitet, dass mit dieser Schilde-rung der Wahrheit Genüge getan wurde.»Die Nachtschwester hat eben gar nicht ver-sucht, mich zu wecken. Sie hat mir amnächsten Morgen erzählt, ich hätte so schöngeschlafen, da habe sie mich nicht aufschre-cken wollen. Und ich habe so im Scherz ge-sagt, ja, ich wäre auch echt unleidlich, wennich nachts geweckt würde. Auch die Ge-schichte mit dem Essen kann ich erklären.Ich habe Diabetes und da muss ich manch-mal einfach essen, um keine Unterzucke-rung zu riskieren. Hinzu kommt, dass ichnicht gut zu erreichen war. Ich habe meineHandynummer nämlich der falschen Persongegeben. Und einmal hat man versucht,mich zu finden, als ich ein längeres Ge-spräch mit meiner Mutter in der Cafeteriahatte. Aber all das konnte ich gar nicht mehrrichtig vorbringen. Als Frau D. mir die Vor-würfe drei Tage nach Lukas´ Geburt vorhielt,– sie hatte erst mit der Kinderärztin der Neo-natologie gesprochen und mich dann dazugebeten –, hat sie mir ganz schnell das Wortabgeschnitten und einfach alles abgebü-gelt.«

Die Mutter von Lukas erinnert sich auchnicht, dass jemand behauptet habe, sie sei»grob« mit ihrem Sohn umgegangen, eshabe wohl geheißen, sie sei »ungeschickt«,was aber ja bei einem ersten Kind nicht un-gewöhnlich wäre. Insgesamt könne sie sichschon vorstellen, dass sie den Kinderkran-kenschwestern nicht immer sympathisch

erschienen sei. »Wenn ich unsicher bin,wirke ich leider oft etwas arrogant.«

Inwieweit die Zitate aus dem Eilantrag andas Gericht aber überhaupt mit den tatsäch-lichen Schilderungen der Pflegekräfte über-einstimmen, lässt sich nicht mehr klären.Chefarzt Friedmann vom Klinikum Bremer-haven Reinkenheide mochte sich dazu je-denfalls ebenso wenig äußern wie zu seinerAuslegung des §4 KKG, wo es um dieSchweigepflicht von Geheimnistragendengeht. Die Ameos Klinik am Bürgerpark Bre-merhaven, in deren Verantwortung die Neo-natologie liegt, wo man Lukas noch ein paarTage beobachtete, um etwaige nachteiligeFolgen von Laura S. Medikamentenein-nahme auszuschließen, antwortet erst garnicht auf die zweimalige Anfrage, wie manden Kontakt mit dem Jugendamt erkläre, obman denn selbst von einer Kindeswohlge-fährdung ausgegangen sei und ob die Zitatestimmten.

Es sei »alles schief gelaufen, was schieflaufen konnte«, urteilt eine der Beteiligtenan dem auf die Inobhutnahme folgendenrechtlichen Verfahren, die nicht namentlichgenannt werden möchte. »Aber jetzt kanndie Zeit nicht mehr zurückgedreht werden,diese Verdachtsgründe sind in der Welt, undnun muss Klarheit und Sicherheit geschaf-fen werden«.

Kämpfen um das Kind

Laura S. und ihr Freund Uwe, denen dreiTage nach Lukas‘ Geburt per einstweiligerAnordnung das Aufenthaltsbestimmungs-recht für ihren Sohn entzogen wird, legendagegen Einspruch ein. Doch der kleine Lu-kas kommt in eine Pflegefamilie. Und dasGericht entscheidet rund vier Wochen spä-ter und im Einklang mit dem Antrag desJugendamtes, die Erziehungsfähigkeit derKindseltern sei gutachterlich zu überprü-fen. Zwar dringt der Richter darauf, dassden Eltern gestattet wird, ihr Kind stattzweimal in der Woche nun dreimal zu se-hen. Auch solle es der Mutter ermöglichtwerden, bis zur Fertigstellung des Gutach-tens und einer erneuten richterlichen Ent-scheidung gemeinsam mit ihrem Sohn ineinem Mutter-Kind-Heim zu leben. Aberdas Jugendamt vermag nicht, dort einenPlatz organisieren, und Lauras Bemühun-gen, ihre Notlage beim Heimträger geltendzu machen, bringen ebenfalls nichts.»Meine Neurologin hat mir sogar für diePsychologin des Wohnheims attestiert, dassich zuverlässig bin und alle Verabredungeneinhalte. Dann hat sie aber auch geschrie-

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ben, dass aus ihrer Sicht überhaupt keineUnterbringung in einem Mutter-Kind-Heim erforderlich ist. Da habe ich dann inder Praxis drum gebeten, diesen Zusatz bittewegzulassen, denn ich brauchte den Platzja nun mal, um mit Lukas zusammen seinzu dürfen«. Dies ist Laura S. umso wichtiger,da die Eltern auch die häufigeren Treffenmit ihrem Kind teilweise regelrecht er-kämpfen müssen. »Wir dürfen Lukas ja nurunter Aufsicht sehen, der Sozialarbeiter hataber nicht immer Termine frei«, erzähltLaura im März. Fast schon müßig zu erwäh-nen, dass die Treffen der Eltern mit ihremKind besonders anfangs recht hölzern ab-laufen. »Ich fühle mich jetzt einfach immerunter Beobachtung«, seufzt die Mutter deskleinen Lukas. »Vor Gericht wurde dannauch gegen mich verwendet, dass ich mei-nem Kind bei den ersten Treffen kein ein-ziges Mal vorgesungen hätte. Das stimmtnoch nicht mal, einmal habe ich ganz leiseetwas gesungen. Aber so richtig traue ichmich vor dem Sozialarbeiter tatsächlichnicht. Ich kann nämlich nicht besonders gutsingen.«

Dass all der Ärger und die Sorgen um ih-ren Sohn Laura und Uwe nicht schon nachkurzer Zeit vollständig zermürbt haben, erscheint besonders vor dem Hintergrundihrer psychiatrischen Vorgeschichte fast wieein Wunder. »Na ja, wir haben uns ebenganz fest vorgenommen, uns nicht unter-kriegen zu lassen, zum Beispiel nicht dau-ernd über die schlimme Situation zu klagen,sondern auch mal etwas Schönes zu unter-nehmen«, erklärt Laura die erstaunliche Sta-bilität der Eltern noch im März. »Außerdemhaben wir beide Therapieerfahrung. Da hatman dann auch gelernt, mit Belastungenhalbwegs vernünftig umzugehen.«

Mit dem Gutachten der vom Gericht be-auftragten Psychologin scheint dann imApril auch endlich Licht am Ende des Tun-nels aufzuscheinen. Die Sachverständigekommt nach zahlreichen Gesprächen undnachdem sie die jungen Eltern in Aktion ge-sehen hat, zu einem positiven Schluss. Siebescheinigt ihnen die notwendigen elterli-chen Kompetenzen wie Einfühlungsvermö-gen, Fürsorgeverhalten, Förderkompetenzsowie Reflexionsfähigkeit und -bereitschaftund fasst auf Seite 69 ihrer Expertise zu-sammen: »Nach eingehender Bewertungund Abwägung aller zur Verfügung stehen-den Untersuchungsbefunde lautet die gut-achterliche Einschätzung, dass bei beidenElternteilen die Fähigkeit zu einer kindes-wohldienlichen und entwicklungsfördern-den Erziehung und Betreuung von L. gese-

hen wird, sofern ein unterstützendes undbegleitendes Netzwerk eingerichtet und vonden Kindeseltern langfristig, d.h. über Jahre– jeweils an die aktuellen Bedürfnisse desKindes angepasst – in Anspruch genommenwird.«

Zusammen leben

Beim Gerichtstermin ist die Psychologindann überraschenderweise selbst nicht an-wesend, dafür meldet das Jugendamt er-neut Bedenken an: Die Gutachterin habedie Eltern ja nicht im tatsächlichen Zusam-menleben beobachten können. Und so müs-sen Laura und Uwe jetzt eine weitere Prü-fung ihrer Erziehungsfähigkeit hinnehmen.Eine vom Richter zu diesem Zweck vorge-schlagene gemeinsame Unterbringung derkleinen Familie im Mutter-Kind-Heim kanndas Jugendamt in der vorgegebenen Fristvon drei Wochen nicht arrangieren. Wohlaber ist nun im Mai dort auf einmal Platzfür die Mutter allein mit ihrem Kind. DerVater könne tagsüber acht Stunden dazukommen, bescheidet man die mittlerweiledoch recht zermürbten Eltern. »Ich hätteLaura gern auch nachts bei der Betreuungunseres Sohnes unterstützt«, bedauert Uwe,und Laura erzählt am Telefon: »Die Leute indem Heim haben sich gewundert, dass wiruns nicht wahnsinnig freuen. Aber wir sindjetzt wirklich ziemlich am Ende mit unse-ren Nerven. Wir sind schon so lange vonunserem Kind getrennt. Haben uns immerbemüht, die Fassung zu bewahren. Unddann dieses Hin und Her. Die enttäuschtenHoffnungen auf das Mutter-Kind-Heim.Das positive Gutachten und dass uns danndie erzwungene Trennung zum Nachteilausgelegt wird... Irgendwann habe ich ge-dacht: Ich gebe auf, ich leg mich jetzt hin,und fertig.«

Laura und Uwe werden nun also mit ih-rem Sohn zusammenleben. Nicht in ihrergemütlichen kleinen Wohnung mit dem fer-tig eingerichteten Kinderzimmer. Und er-neut unter Beobachtung. Aber wenigstenszusammen. Es ist ihnen zu wünschen, dassihnen diese Nähe und die positive Beurtei-lung der psychologischen Gutachterin Kraftgibt, auch diese Probe noch zu bestehen. Unddass sich die monatelange Trennung nichtallzu negativ auf die Eltern-Kind-Bindungauswirkt. Dass Laura und Uwe bei eventu-ellen Schwierigkeiten vertrauensvoll Hilfebeim Jugendamt suchen werden, darf manwohl ausschließen. Los werden sie die amt-lichen Aufpasser auf absehbare Zeit aberkaum. �

Psychiatrie & Gemeinde | Psychosoziale Umschau 032015 | 7

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Martina Hermann-Biert und Uwe Sandvosshaben langjährige Erfahrungen im Kinder-und Jugendschutz. Die Leiterin des Jugend-amtes in Dormagen und der Präventions-beauftragte der Stadt Dormagen, der auchzuständig für den kommunalen Kinder-schutz und die frühen Hilfen ist, haben das»Dormagener Modell« vom ersten Bausteinan mitentwickelt. Dieses Modell zur Präven-tion familiärer Gewalt und Kindesmiss-brauchs sieht vor, dass ein Kontakt zu denEltern in ruhigen Zeiten aufgebaut wird, so-dass im Falle von Bedenken bezüglich desKindeswohls frühzeitig Hilfen angebotenwerden können. Nach der Geburt eines Kindes werden alle Familien von einer So-zialarbeiterin besucht, die ein Babybegrü-ßungspaket übergibt und gleichzeitig einenEindruck von den Gegebenheiten der Fami-lie gewinnt.

Frau Hermann, Herr Sandvoss. Die Angst vordem Jugendamt als dem »Wegnehmamt« isteine Angst, die auch bei nicht behindertenMüttern und Vätern anzutreffen ist. Bei be-hinderten Eltern scheint sie aber besondersausgeprägt zu sein. Nicht ohne Grund: EinDrittel der jährlich rund sechstausend Sorge-

rechtsentzüge betreffen z. B. Eltern mit einerpsychiatrischen Diagnose. Sie in Dormagenhaben sich ganz bewusst entschieden, dassSie keine Eingriffsbehörde, sondern ein An-bieter von Hilfen sein wollen. Wie kam das?

Martina Hermann-Biert: Wir haben ir-gendwann festgestellt, dass wir ganz vieleHilfen vorhalten, aber dass die Leute tat-sächlich Angst vor uns haben. Das liegt oftdaran, dass das Jugendamt früher auchsanktioniert oder Kinder weggenommenhat und dass wir ‘ne schlechte Öffentlich-keitsarbeit bzw. Presse haben. Daraufhin ha-ben wir versucht, unsere Aufgaben nochmal durchzugehen und unsere Haltung zuverändern. Wir sagen: Wir müssen vertrau-enswürdig sein, damit sich Hilfe suchendeFamilien oder Frauen oder Männer über-haupt auf uns einlassen. Und wir versuchen,sehr wertschätzend zu sein.

Welche Rolle spielen denn in Ihrer GemeindeEltern mit psychiatrischem Hintergrund?

Martina Hermann-Biert: In einer kleinenKommune wie Dormagen mit rund 64.000Einwohnerinnen und Einwohnern sind El-tern mit psychiatrischem Hintergrund eineRandgruppe. Aber die Zahl derer, die solche

Probleme haben, steigt nach meiner Wahr-nehmung an.

Langsam und mit Geduld am Zugang arbeiten

Wie kommen Sie in Kontakt mit psychischerkrankten Eltern?

Martina Hermann-Biert: Das ist verschie-den, manche kommen auf uns zu, manch-mal kommt der Kontakt aber auch durchFremdmeldungen zustande, wenn andereLeute sich sorgen, dass die Freundin, derNachbar das nicht auf die Reihe kriegt.

Uwe Sandvoss: Bei Schwangeren oder El-tern von Neugeborenen haben wir vor allemzwei Zugangswege: einmal über Beratungs-stellen und zum anderen über den Babybe-suchsdienst, wo wir 99% der Eltern errei-chen. Wenn die Mitarbeitenden da von einerpsychischen Erkrankung erfahren und wis-sen, die Familie ist nicht versorgt, dann kön-nen wir der Angebote machen.

Und wenn sie nicht will?Uwe Sandvoss: Dann ist das erstmal ihr

gutes Recht, solange keine Kindeswohlge-fährdung vorliegt.

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Mit Wertschätzung das Vertrauen der Eltern gewinnenMartina Hermann-Biert und Uwe Sandvoss haben mit dem Dormagener Modell Maßstäbe für die Kontaktaufnahme mit psychisch erkrankten Eltern gesetzt

Viele Eltern mit psychischen Erkrankungen scheuen sich, Hilfe zu suchen.

Foto: Ernst Fesseler

Martina Hermann-Biert: Obwohl, wenndie Mutter nicht will, würden wir erstmalan den Zugängen arbeiten. Langsam undmit Geduld gucken, was für Unterstützungs-angebote sie denn annehmen könnte.

Uwe Sandvoss: Von einer Kindeswohlge-fährdung spricht man ja auch nicht so ohneWeiteres. Der Gesetzgeber sagt ja, es musseine gegenwärtig vorhandene Gefahr sein,eine Erheblichkeit der Schädigung vorliegenund man muss vorhersagen: Das ändert sichnicht. Da kann natürlich eine riesige Spann-breite entstehen. Da kann eine Mutter psy-chisch erkrankt sein, deren Verhalten demKind auch nicht guttut, ohne dass es jetztaber eine akute Gefahr darstellt. Vielleichtwürde sich das aber über einen langen Zeit-raum hin auf eine Schädigung zu bewegen.Dann würden wir sagen: Wir haben nochein bisschen Zeit, wir arbeiten weiter andem Zugang, dass wir die Frau überreden,doch noch Hilfe anzunehmen. Aber wenndie Gefahr der gegenwärtigen Schädigunggroß ist, dann würden wir vielleicht aucheingreifen müssen, wenn die Mutter sichnicht helfen lässt. Dazu wären wir auch ver-pflichtet. Wenn es zum Beispiel eine Muttermit einem schweren Münchhausensyn-drom ist, da müssen wir handeln, denn dakönnte das Kind morgen tot sein. Bei De-pressionen, je nachdem wie stark die sind,heißt das dagegen nicht unbedingt, dass dieEltern ihr Kind nicht versorgen. Vielleichtemotional nicht immer, aber wenn dasSchübe sind, heißt das ja nicht, dass das dau-erhaft ist, da könnten wir sagen, wir wartennoch.

Was können Sie denn etwa werdenden Elternan Unterstützung und Hilfe anbieten, wenndie auf Sie zukommen?

Martina Hermann-Biert: Alles. Also, daskommt ja immer auf den Bedarf an: Lebens-praktische Hilfen, Organisationstraining, Fa-milienhebammen können wir einsetzen, so-zialpädagogische Familienhilfe, auch aufsu-chende Familientherapie, wenn z. B. einPartnerschaftsproblem vorliegt.

Man muss den Deckel für den Topf suchen

Uwe Sandvoss: Mutter-Kind-Heim, woMutter und Kind zusammen untergebrachtwerden…

Man muss den Deckel für den Topf su-chen, manchmal muss man auch Hilfen neuerfinden. Wir haben z. B. eine minderbe-gabte Mutter, leicht depressiv, mit ihremKind, das unter einem halben Jahr alt war,in einer Kindertagesstätte untergebracht.

Die Mutter hat die Kita mit besucht, um vonden Erzieherinnen zu lernen, wie man miteinem Kleinkind umgeht.

Martina Hermann-Biert:Die Vorgeschich -te von diesem Fall war: Die Mutter ist nachDormagen gezogen, ihr hatte das Jugend-amt in einer anderen Stadt schon drei Kinder abgenommen. Und dann kam sieschwanger nach Dormagen, und wir habengesagt: Mensch, was machen wir denn? Dertrauen wir kaum zu, ein Kind großzuziehen.Und dann war hier ein Kollege so ideenreichund hat gesagt: Ich frag mal in einer Kitanach. Und dann hat sie dort wirklich gelernt,das Kind zu füttern, zu baden, zu wickeln.Und für die Mutter war noch was Zweitesganz wichtig. Die war im Leistungsbezug,also Hartz IV, und sie hat zum ersten Malim Leben das Gefühl, sie wird da gebraucht.Sie ist da Mitarbeiterin. Da ist sie in ihremSelbstbewusstsein total gewachsen. Unddieses Kind ist inzwischen sechs oder siebenJahre alt und lebt immer noch bei der Mut-ter und hat ein kleines Geschwisterchen.

Haben Sie denn das Kind von Anfang an beider Mutter gelassen?

Martina Hermann-Biert: Ja, haben wir ge-macht. Das war zwar ‘ne heiße Nummer,und wir haben gedacht: Hoffentlich gehtdas gut. Wir hatten aber mehrere an demProzess beteiligt. Zum Beispiel in der Kitahaben jeden Tag professionelle Erzieherin-nen die Mutter und das Kind miteinandergesehen. Und die hätten auch die Not-bremse gedrückt, wenn die gesehen hätten:Das geht gar nicht! Dadurch konnten wirdas verantworten.

Das ist für uns gut, dass wir hier in Dor-magen sehr vernetzt sind.

Uwe Sandvoss: Wir haben mit allen Fach-kräften hier Kinderschutzausbildung ge-macht, mit allen Schulen, mit allen Bera-tungsstellen, mit allen Ärzten, mit allen. Unddadurch kennen wir uns auch sehr gut undhaben in Dormagen einen Rückgang derSorgerechtsentzüge erreicht, weil wir recht-zeitig gucken, wie können wir diese Leutebefähigen oder: Wer kann was dazu beitra-gen, dass die in die Lage kommen, mit ihrenKindern zurechtzukommen?

Wie steht es mit den Inobhutnahmen kleinerund neugeborener Kinder?

Martina Hermann-Biert: Babys haben wirwirklich wenige, und wenn, machen wir daskurzfristig und gucken, dass man parallelmit den Eltern arbeitet, dass die wieder inder Lage sind, die Kinder zu versorgen. Dasist auch wichtig, dass man nicht den Zorn

der Eltern auf sich zieht und es denn dabeibelässt. Also, wenn wir z. B. in eine verwahr-loste Wohnung kommen, wo der Müll me-terhoch steht, und da ist ein Säugling, dannsagen wir den Eltern: Wir bringen ihr Kindin Sicherheit, bis Sie hier aufgeräumt haben.Das mag sein, dass die zwei, drei Tage totalzornig sind auf das Jugendamt, aber die ha-ben ja unser Wort: Sobald der Container denMüll weggebracht hat und das hygienischzumutbar ist, kriegen die das Kind zurück.Und dann kriegen die auch ‘ne Hilfe, damitdas nie wieder passiert.

Das mit dem Netzwerk klingt toll, aber wobleibt der Datenschutz der Eltern?

Uwe Sandvoss: In 99% aller Fälle, selbstin Kinderschutzfällen, erlauben es die Eltern,die Daten auszutauschen. Wenn wir einenKinderschutzfall haben und die Eltern er-lauben das nicht, dann dürfen wir ja die Daten austauschen. Haben wir aber nochkeinen Kinderschutzfall, dann geben wir dieauch nicht weiter. Und wenn uns z. B. eineBeratungsstelle konsultiert, weil sie sich Sor-gen macht, bleibt die Familie, um die es geht,erstmal anonym. �Das Gespräch führte Cornelia Schäfer.

Psychiatrie & Gemeinde | Psychosoziale Umschau 032015 | 9

FORTBILDUNG 2015SOZIALPSYCHIATRISCHE BASISQUALIFIKATION

Termine, Kurse und weitere Informationen:awo-augsburg.de/fort-und-weiterbildung

Für Arbeitende in außerklinischen sozial -psychiatrischen Einrichtungen und Diensten

sowie andere am Thema Interessierte

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Viele Menschen mit psychiatrischen Diag-nosen, aber auch viele psychiatrisch Tätigebedauern, dass die Behindertenrechtskon-vention der Vereinten Nationen (UN-BRK),die seit Frühjahr 2009 in Deutschland inKraft ist, bisher nicht zu längst fälligen Re-formen in der Psychiatrie geführt hat. Beider Staatenberichtsprüfung im Frühjahr2015 hat die Bundesrepublik bei Weitemnicht so gut abgeschnitten, wie es für einLand mit gut ausgebautem psychiatrischenHilfe- und Unterstützungssystem zu erwar-

ten gewesen wäre. Die Ratifizierung einerMenschenrechtskonvention verpflichtetden Staat zur Anpassung der nationalen Ge-setzgebung, aber auch der entsprechendenStrukturen.

Über die Umsetzung der UN-BRK wachtin Deutschland das Deutsche Institut fürMenschenrechte (DIMR) und in Genf derAusschuss für die Rechte von Menschen mitBehinderungen (CRPD). Die Überprüfung erfolgt in vier Stufen, die PSU hat über die-sen Prozess wiederholt berichtet. Bereits 2011musste die Bundesregierung einen Staaten-bericht vorlegen, die BRK-Allianz verfassteim nächsten Schritt einen kritischen Paral-lelbericht. Auf der Grundlage einer Fragen-liste (»List of Issues«) des CRPD vom April2014 musste die Bundesrepublik dann dieeingereichten Informationen ergänzen. In

dieser Liste wurden u. a. das deutsche Betreu -ungswesen, die psychiatrische Zwangsun-terbringung in Kliniken und Heimen unddie Zwangsmedikation hinterfragt. Jetzt imMärz 2015 erfolgte in Genf die Prüfung desUmsetzungsprozesses durch den Fachaus-schuss im Rahmen eines konstruktiven Dialogs mit dem Staat (»Constructive Dia-logue«), und die »Abschließenden Bemer-kungen« (»Concluding Observations«) wur-den vom CRPD veröffentlicht. Sie fassenFortschritte und Mängel bei der Umsetzung

dieses UN-Menschenrechtsvertrages inDeutschland zusammen. Alle Prüfungs-schritte wie auch ihre Ergebnisse sind aufder Webseite des DIMR (www.institut-fuer-menschenrechte.de) dokumentiert und kön-nen dort eingesehen werden.

Die Empfehlungen

Die Empfehlungen zielen durchgehend aufweniger Diskriminierung und das Recht aufeigene Entscheidung, auch und gerade fürMenschen, bei denen eine länger andau-ernde psychische Behinderung vorliegt. Diefreie, informierte Einwilligung in ein Be-handlungsangebot ist eine menschenrecht-liche Voraussetzung für psychiatrischesHandeln. All den akademisch-psychiatri-schen Versuchen, unter Bezug auf psychi-

atrische Diagnosen »Einwilligungsfähig-keit« zu unterstellen, wurde in diesem Pa-pier eine klare Absage erteilt. Hier möchtenwir insbesondere über die Empfehlungenzur Nutzerbeteiligung, zur assistierten Ent-scheidungsfindung und zum Schutz derFreiheitsrechte für Menschen mit psy-chischen Behinderungen berichten. Die Zif-fern in Klammern verweisen dabei jeweilsauf die Nummerierung im Originaltext der»Abschließenden Bemerkungen«.

Nutzerbeteiligung: Deutlich betont dieBRK-Kommission, dass die Organisationender von Behinderung betroffenen Men-schen mehr in den Umsetzungsprozess ein-bezogen werden sollen: Die »umfassendeund transparente Partizipation von Selbst-vertretungsorganisationen (...) bei der Ver-abschiedung von Rechtsvorschriften, Kon-zepten und Programmen zur Umsetzungund Überwachung des Übereinkommens«(10) ist entscheidend für die Weiterentwick-lung der Psychiatrielandschaft. Vierzig Jahrenach der Psychiatrie-Enquete zeigen vieleBerufs- und Fachverbände kaum Verände-rungsbereitschaft und die Kritikpunkte ver-schiedener Betroffenenorganisationen fin-den zu wenig politisches Gehör. Aktuellräumte ein Vertreter des Bundesjustizmi-nisteriums beim Symposium »Psychiatri-sche Maßregel und Gemeindepsychiatrie«am 27. Mai in Berlin ein, dass der Referen-tenentwurf zur Reform der psychiatrischenMaßregel unter Mitarbeit von fünf Fachpsy-chiatern (und ihren Interessenverbänden)erstellt wurde (mündliche Mitteilung). Maß-regelbetroffene psychisch behinderte Men-schen und ihre Angehörigen durften hinge-gen erst in Nachhinein und auf der Tagungnur wenige Minuten lang den Entwurf kom-mentieren. So wird der noch von der dama-ligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger im Sommer 2012 verspro-chene breite gesellschaftliche Diskurs zuden psychiatrischen Zwangsgesetzen nichtin Gang kommen können.

Zwar hat die Psychiatriereform die Grün-dung von Selbsthilfeverbänden der Psy-chose-Betroffenen und ihrer Angehörigenermöglicht, doch in den letzten zwei Jahr-zehnten kam es kaum zu einer politisch zielgerichteten Zusammenarbeit dieser Ver-bände mit den traditionsreicheren Selbst-hilfeverbänden des Suchtbereiches, und die

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BRK fordert nutzerorientierte VersorgungsstrukturenDie Staatenberichtsprüfung zeigt erhebliche Mängel bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Von Linda Mische und Margret Osterfeld

Staatenberichtprüfung im Plenarsaal des Palais Wilson

Foto: DIMR/P.Carega

alteingesessenen Berufsverbände der Psy-chiatrie nahmen die Kritik der diagnose -betroffenen Menschen kaum ernst.

Am Rande der letzten Jahrestagungen derAktion Psychisch Kranke gab es erstmals Gespräche der Selbsthilfeverbände aller psychiatrischen Diagnosegruppen, die dies-jährige Tagung wird die Selbsthilfe zumSchwerpunkt haben. Natürlich haben dieBetroffenenverbände durchaus unterschied-liche Positionen, z. B. zur Anwendung vonfreiheitseinschränkenden Maßnahmen.Dochwichtig ist, in einen gemeinsamen Dis-kussionsprozess einzutreten, um Wege ausder diskriminierenden, institutionszentrier-ten psychiatrischen Versorgung zu finden.

Unterstützte Entscheidungsfindung: DieBRK-Kommission betont erneut, dass »alleFormen der ersetzenden Entscheidungsfin-dung abzuschaffen sind und ein System derunterstützten Entscheidung« einzuführenist (26). Das deutsche System der rechtlichenBetreuung wird für unvereinbar mit der UN-BRK gehalten (25). Wir Autorinnen kri-tisieren, dass verantwortliche Regierungs-stellen kaum eine Vorstellung davon zu ha-ben scheinen, wie häufig Betreuer sich trotzanderslautender Gesetzesformulierung überden Willen des Betreuten hinwegsetzen. Obsogenannte »junge Wilde«, ob Menschen,die als dement diagnostiziert, ihrer geschlos-senen Unterbringung wird durch die gesetz-liche Betreuung ein legaler Anstrich verlie-hen, ohne dass man sich Gedanken über Al-ternativlösungen macht. Es gibt immer nochkaum Ansätze zur assistierten Entschei-dungsfindung, und in trauter Allianz vertei-digen Leistungsträger wie Leistungserbrin-ger das althergebrachte Versorgungssystem,das paternalistisch zum Wohle der Betreu-ten zu entscheiden erlaubt, ohne Wunschund Wille der Betroffenen hinreichend zuergründen. Einmal so aus der Gesellschaftexkludierte Menschen mit psychosozialenBehinderungen haben kaum eine Möglich-keit, ihre Grund- und Freiheitsrechte einzu-klagen (28) oder einen Weg zur »Re-Inklu-sion« zu finden. Ein System der unterstütz-ten Entscheidungsfindung wurde für alldiese Menschen mit psychischen Behinde-rungen bisher nicht etabliert.

Schutz der Freiheitsrechte: Eine Folge die-ses Mangels ist die hohe und weiterhinwachsende Zahl von psychiatrisch begrün-deten Zwangsunterbringungen nach Bun-des- und Landesrecht. Die BRK-Kommissionempfiehlt, Zwangsunterbringung zu ver -bieten (30) und fordert an dieser Stelle ausdrücklich »eine unabhängige Enquetedurchzuführen, gestützt auf eine menschen-

rechtsbasierte Überprüfung der psychiatri-schen Dienstleistungen für Menschen mitBehinderungen«. Sie zeigt sich tief besorgtüber »die Verwendung körperlicher undchemischer Freiheitseinschränkungen, ins-besondere bei Personen mit psychosozialenBehinderungen in Einrichtungen und älte-ren Menschen in Pflegeheimen« (33). »Che-mische Freiheitseinschränkung« meint diehäufige, hochdosierte und oft nicht leitlini-engerechte Verordnung von Psychophar-maka in Heimeinrichtungen mit dem Zieldie Bewohner »pflegeleichter« zu machen,um so Personal einzusparen. Ein Verbot kör-perlicher und chemischer Freiheitsein-schränkungen wird ebenso empfohlen, wieSchadensersatzleistungen für die Opfer die-ser Praktiken (34).

Zwar erklärte die Bundesregierung schon2011 im Staatenbericht: »Eine Einwilligungder verletzten Person in die Körperverlet-zung (§ 228 StGB) kann diese nur rechtferti-gen, wenn sie wirksam erteilt und frei von– etwa durch Täuschung, Irrtum oder Zwanghervorgerufenen – Willensmängeln ist. Beiärztlichen Eingriffen muss die Einwilligung,um wirksam zu sein, in Kenntnis von Grund,Art, Umfang sowie beabsichtigten und mög-lichen Folgen des konkreten Eingriffs erteiltwerden«. Das Patientenrechtegesetz ausdem Jahr 2013 betont im gleichen Sinne,dass die wohlinformierte Zustimmung derPatienten die Voraussetzung ärztlichen Han-delns ist. Fehlt sie, liegt der Straftatbestandder Körperverletzung vor. Trotz dieser recht-lichen Vorgaben ist mit der Behinderten-rechtskonvention die Aufklärungswilligkeitder Psychiater kaum gestiegen und wieder-holt erklären Berufsbetreuer, dass es un-möglich sei, mit den verordnenden Psychia-tern über die Medikation zu sprechen. Deut-licher kann ein System nicht machen, dasses Wunsch und Wille seiner »Kunden« nichternst zu nehmen bereit ist.

Anfang dieses Jahres hat das LandgerichtBerlin einem im Jahr 2009 von neurolepti-scher Zwangsmedikation betroffenen Bür-ger 5000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen(86 O 88/14). Während das psychiatrische Ver-sorgungssystem in den neun Jahren seit derRatifizierung der UN-BRK nicht zeigte, dasses von sich aus die notwendigen Praxisver-änderungen herbeiführen kann, um dieMenschenrechte ihrer Kunden und Klientenangemessen zu achten und zu schützen,scheinen sich in der Rechtsprechung verän-derte Sichtweisen abzuzeichnen. Deutschland hat nun bis zum Frühjahr 2019Zeit, um in weiteren Berichten die Umset-zung der UN-BRK zu belegen und überprüf-

bar zu machen. Über die Gewährleistungeines wirksamen Gewaltschutzes für Frau -en und Mädchen mit Behinderungen undüber die Sicherstellung einer wirksamenund unabhängigen Überwachung aller Ein-richtungen, die für Menschen mit Behinde-rungen bestimmt sind (Art 16.3 UN-BRK),ist allerdings schon nach einem Jahr zu be-richten.

Vor vierzig Jahren konnten die Ergebnisseder Enquete-Kommission eine durchausauch heute noch vorbildlich zu nennendePsychiatrie-Entwicklung in Gang setzen.Doch seit zwei Jahrzehnten hat neben an-deren Ursachen auch staatlich gewollterÖkonomisierungsdruck zu einer Erstarrungdes psychiatrischen Versorgungssystemsgeführt. Das System konnte sich nicht andie menschenrechtliche Entwicklung anpas-sen und bleibt dem paternalistischen Für-sorgeprinzip verhaftet. Es ist an der Zeit füreine neue Enquete. �

Linda Mische hat einen Bachelor of Science in Psycho-logie und beendet zurzeit ihren Master in Flüchtlings-hilfe an der University of Essex in Großbritannien. SeitAnfang dieses Jahres ist sie wissenschaftliche Mitar-beiterin der Aktion Psychisch Kranke e.V. im Projektzum Unterausschuss der Vereinten Nationen zur Prävention von Folter und anderer grausamer, un-menschlicher und erniedrigender Behandlung oderStrafe.Margret Osterfeld ist Fachärztin für Psychiatrie undPsychotherapeutin. Sie hat eigene Erfahrungen alsPsychiatriepatientin. Seit 2014 ist sie aktiv im Unter-ausschuss der Vereinten Nationen zur Prävention vonFolter und anderer grausamer, unmenschlicher odererniedrigender Behandlung oder Strafe (UN SPT) tätig.

Psychiatrie & Gemeinde | Psychosoziale Umschau 032015 | 11

Wegweiser zum Recht

Rolf MarschnerPsychisch kranke Menschenim RechtEin Ratgeber für Betroffene, Angehörige undMitarbeiter in psychiatrischen Einrichtungen

6. erweiterte und überarbeitete Auflage, 256 Seiten, 19,95 Euro (print)ISBN: 978-3-86739-150-415,99 Euro (ebook) ISBN ebook: 978-3-86739-860-2

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Psychische Erkrankungen und ihre Darstel-lung in den Medien – das Ob und vor allemdas Wie beschäftigt die in der PsychiatrieTätigen genauso wie die Selbsthilfe der psy-chisch erkrankten Menschen und ihrer Familien nicht nur jetzt wieder aus hoch-aktuellem Anlass. Das Aktionsbündnis See-lische Gesundheit hat, gefördert durch dasBundesministerium für Gesundheit, dazuin den letzten Jahren unterschiedliche Pro-jekte durchgeführt. Der Bundesverband derAngehörigen psychisch Kranker hat sich ineinem Teilprojekt, das Ende vergangenenJahres abgeschlossen wurde, aktiv beteiligt.Neben einer dreijährigen Seminarreihe fürSelbsthilfeaktivisten (siehe PSU 1/2015) zuThemen aus der Medien- und Öffentlich-keitsarbeit haben wir in der eigens dafürkonzipierten »Open Face«-Kampagne un-mittelbare Erfahrungen von Menschen, dievon einer psychischen Erkrankung betrof-fen sind, im Umgang mit der Öffentlichkeitgesammelt. Ziel war, durch individuelle Le-bensgeschichten mehr darüber zu erfahren,was für einen selbstbewussten und selbst-bestimmten Umgang mit den Medien undder Öffentlichkeit helfen könnte. Gleichzei-tig wollten wir mit der Kampagne Mut ma-chen, damit sich Betroffene mit dem Thema

auseinandersetzen und dann gut gerüstetund begleitet als Gesprächspartner für Me-dienkontakte zur Verfügung zu stehen.

Das Konzept sah vor, mit Interviews ge-nau diese individuellen, einzigartigen Erfah-rungen Betroffener zu sammeln und zu-sammentragen. Ziel der Kampagne ist, dieErfahrungen im Umgang mit Stigmatisie-rung durch das soziale Umfeld und die Öf-fentlichkeit zu erfragen und Potenziale undMöglichkeiten aufzutun, einen offensivenund selbstbewussten Umgang mit den ei-genen Erfahrungen in der Öffentlichkeit zubefördern.

Um dies gezielt zu erfragen, wurde ein Interviewleitfaden als »Gerüst« für die Ge-spräche entwickelt. Das Konzept ist ange-lehnt an Methoden der Betroffenenfor-schung. Die Interviews dienen dabei in ers-ter Linie praktischen Erfordernissen. Mit derBefragungsaktion sollte erreicht werden, dasThema in der Selbsthilfe über die Bundes-ebene hinaus weiter ins Gespräch zu brin-gen, einen regen Austausch zu ermöglichenund eine möglichst große Zahl von Selbst-hilfeaktivisten für eine selbstbestimmte, be-wusste und reflektierte Arbeit mit den Me-dien zu begeistern und im Nachgang dieVernetzung der Akteure zu befördern. Die

Interviews wurden von Betroffenen – Men-schen mit eigener psychischer Erkrankungbzw. Erfahrungen als Angehörige – durch-geführt. Die Interviewer wurden 2013 in ins-gesamt drei in Vor-Ort-Terminen für ihreAufgabe vorbereitet. Danach führten sie diehalb strukturierten Interviews dann in Eigenregie und akquirierten die Gesprächs-partner aus dem regionalen Umfeld (Selbst-hilfegruppe, -organisation, Freundes- undBekanntenkreis).

In den Gesprächen ging es um folgendeThemenfelder:� Lebens- und Krankheitsgeschichte,� Kontakt/Erfahrungen mit dem psychi-

atrischen Versorgungssystem,� Reaktionen der Öffentlichkeit,� Erfahrungen mit Medien- und Anti-

Stigma-Arbeit,� der Weg zum Akteur in der medialen

Auseinandersetzung,� Unterstützungsbedarf, um selbstbe-

wusst mit der eigenen Geschichte in derÖffentlichkeit agieren zu können,

� zentrale Botschaften für eine Anti-Stigma-Kampagne aus Sicht der Inter-viewten.

Im Rahmen des Projektes konnten 62 aus-führliche Interviews durchgeführt werden.

12 | Psychosoziale Umschau 032015 | Psychiatrie & Gemeinde

Open Face: Die Erfahrungen und Einstellungen der Betroffenenim Kontakt mit den Medien Von Beate Lisofsky

Fotos: Werner Krüper

In einer Vorabbefragung wurde die Einstel-lung der Teilnehmenden zur Mitwirkungan medialen Beiträgen erfragt. Dabei ergabsich, dass nicht wenige bereits eigene Er-fahrungen in diesem Feld gemacht haben.Ein Drittel äußerte vorweg sehr großes bzw.großes Interesse, dies einmal selbst zu ver-suchen.

Die »Experten in eigener Sache«, die sichauf das Experiment des Interviews einge-lassen haben, stellen einen durchaus reprä-sentativen Querschnitt der in der Selbsthilfeder Betroffenen und Angehörigen Aktivendar. 34, also etwas mehr als die Hälfte, warenFrauen. Die Altersspanne reichte von 12 bis84 Jahren; der Durchschnitt waren 50 Jahre.Die Mehrzahl der Befragten (40) war selbstpsychisch erkrankt; 14 waren sowohl selbsterkrankt als auch Angehörige; sechs Perso-nen bezeichneten sich als Angehörige. Hierwar das Familienverhältnis sehr unter-schiedlich; sowohl Eltern, Kinder, Geschwis-ter von psychisch Erkrankten waren vertre-ten.

Zwei Drittel der Befragten lebten allein,21 in einer Partnerschaft. In der Herkunfts-familie lebte derzeit nur einer der Teilneh-mer. Der Bildungsstand war überdurch-schnittlich hoch. Etwas mehr als die Hälfteverfügten über Abitur bzw. einen Hoch-schulabschluss. Umso bemerkenswerter ist,dass 46 Teilnehmer zurzeit keiner Berufstä-tigkeit nachgingen. Drei Viertel der Befrag-ten hatten schon einmal Kontakt zu einer

Selbsthilfegruppe. Aktuell besuchten 35 einederartige Gruppe.

Ganz überwiegend litten die Befragten(bzw. ihre Angehörigen) an schweren undlangjährigen Erkrankungen: Psychosen, De-pressionen, bipolare Störungen, starkeZwänge. Sie berichteten von Zweit- undDrittdiagnosen und vielen somatischen Er-krankungen und Behinderungen, z. B. Blind-heit.

»Krankheit bringt Stillstand in mein Leben«

Für alle hat die Erkrankung das Leben radi-kal verändert. Träume mussten aufgegebenwerden und Schulabbruch, Resignation,Leistungsminderung, Rückzug, Trennun-gen, Verlust des Arbeitsplatzes, Isolationund Einsamkeit waren Stichworte, von de-nen die Gesprächspartner in den Interviewsberichteten. Aber die Krankheits- und Ge-nesungsgeschichten erbrachten danebenauch positive Erfahrungen, wie z. B. »Ichhabe es geschafft, einen guten Freundes-kreis aufzubauen, kann einen Sinn in mei-ner Erkrankung sehen, inneres Wachstum«.Für viele Betroffene sind auch künstlerischewie literarische Aktivitäten sehr wichtig ge-worden und ihre Form, sich selbst besserkennenzulernen, mit der eigenen Erkran-kung umzugehen und auch Kontakte zu an-deren zu gestalten.

Auch Angehörige berichten von positivenAspekten, z. B. hilfreichen Kontakt zu ande-

Psychiatrie & Gemeinde | Psychosoziale Umschau 032015 | 13

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Andere Wege gehen.

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Der Erfahrungs-band »Die Hoffnungträgt« stellt Psychiatrie-Erfahreneästhetisch dar – undwirkt so Stigmatisie-rungen entgegen.

ren Familien. »Ich gehe offener mit psy-chisch Kranken um«, so ein Vater einer psychisch erkrankten Tochter.

Auffällig ist, dass sehr oft Pflegekräfte undSozialarbeiter als sehr unterstützend erlebtwerden.

Mediendarstellungen und eigene Erfahrungen zum Umgang mit der Öffentlichkeit

Ganz überwiegend negativ erleben die Be-fragten die Darstellung psychisch erkankterMenschen in den Medien und es wird be-obachtet, dass die mediale Darstellung derRealität oft nicht gerecht wird. Die Aus -einandersetzung wird einerseits als zu abstrakt oder als skandalisierend bzw. ab-stoßend erlebt. »Man läuft Gefahr, zur Un-terhaltung zu werden«, bringt es eine Ge-sprächspartnerin auf den Punkt. »Journa-listische Artikel handeln entweder vonStars oder stellen die statistischen Entwick-lungen heraus: Zunahme der psychischenErkrankungen. Beides ist für mich uninte-ressant und für Betroffene nicht hilfreich«.So ein Zitat aus einem anderen Interview.Das beeinflusst ganz entscheidend auch dieBereitschaft, als Person für Medienkontaktezur Verfügung zu stehen. Das interessiertdoch keinen Menschen, so die Befürchtungvieler Betroffener. Und auch die Auswir-kungen auf das eigene Wohlergehen wer-den thematisiert: »Das zieht mich nur run-ter. Darüber möchte ich nicht sprechen. Dasmacht mich alles fertig, wenn ich an dieZeiten zurückdenke, wo es mir besser ging«.Befürchtete negative Auswirkungen eines»Outings« auf die berufliche Perspektive,Rücksicht auf die Familie, besonders Kinderspielen bei der Entscheidung über einen öf-fentlichen Auftritt, eine Mitwirkung beijournalistischen Beiträgen, ebenfalls einegroße Rolle.

Aber auch hier gibt es durchaus positiveErfahrungen. »Mit mehreren zusammenklappt es besser« – so oder ähnlich formu-lieren mehrere Teilnehmer ihre Erfahrun-gen. »Es geht um Antistigma-Arbeit. Ichstehe zu meiner Krise«. So selbstbewusst istdie Mehrheit der Befragten allerdings beiweitem nicht. Obwohl alle Interviewpartnerdie Notwendigkeit sehen, mehr und besserüber die Situation psychisch erkrankterMenschen und ihrer Familien zu berichten,lehnen die meisten das für sich selbst ab:»Ich würde bei einer solchen Kampagnenicht mitmachen. Das ist zu stressig. Dakommt alles wieder hoch«.

»Unter dem Vorzeichen ›psychische Er-

krankungen ins Bewusstsein rücken‹ kannich mir eine Öffentlichkeitsarbeit als sinn-voll vorstellen. Aber nicht für mich. Ich haltedas für aussichtslos!« Oft wird hier eine Auf-gabe für professionell Tätige gesehen: Ärzte,Seelsorgende usw. werden als mögliche An-sprechpartner genannt.

Besonders zögerlich sind dabei Angehö-rige: »Eine Medienkampagne von Angehö-rigen kann sehr wichtig sein, aber: Auch An-gehörige sind oft verstörte Menschen! Diekönnen sich mit der Öffentlichkeitsarbeiteinen Bärendienst erweisen, weil ›Norma-lität‹ nicht immer möglich ist«, »Vorhermuss ich die Kontrolle haben, was gesendetwird!«

»Nichts beschönigen und den Menschenernst nehmen«

Was müssten Journalisten wissen oder be-herzigen, wenn sie sich mit der Thematikauseinandersetzen? Bei dieser Frage erga-ben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte,die in der »FairMedia«-Kampagne des Ak-tionsbündnisses ihren Niederschlag gefun-den haben.

Hier lassen sich aus Betroffenensicht ins-besondere drei Bereiche finden, auf die Me-dienvertreter achten müssen:� Information, Fachwissen,� Wertschätzung und Respekt,� Diskretion, Datenschutz.Unvorbereitete und gestresste Journalistensind für keinen Interviewpartner eine reineFreude; wenn es um psychische Erkrankun-gen und die eigene Lebens- bzw. Familien-geschichte geht, sind die Erwartungen be-sonders hoch. »Zugewandte Journalisten«,die intensiv recherchieren und sich »vorhermit dem Thema auseinandersetzen«, daswünschen sich Betroffene, wenn sie sichJournalisten öffnen. In der Zusammenar-beit mit den Medien zählt für sie auch hiereine trialogische Herangehensweise, d.h.»Fachwissen, Fachleute und Betroffene mit-einzubeziehen«. »Journalisten haben einenerzieherischen und ethischen Auftrag, densie berücksichtigen sollten«, ist ein Befrag-ter überzeugt. Einig ist man sich, dass Sen-sationsjournalismus schadet. »Sie dürfeneine Geschichte keineswegs ›ausschlach-ten‹ und sie sollen mit den Menschen wert-schätzend umgehen, so dass sie sich auchöffnen«. Und: »Journalisten müssen aufpas-sen, allgemeine Vorurteile nicht zu bedie-nen «. Eine Befragte empfiehlt aufgrund ei-gener Erfahrungen, dass »Journalisten ambesten Betroffene oder Angehörige im ei-genen Umfeld kennen« sollten. Mehrere Be-

fragte glauben an die Macht des »positivenBeispiels« und thematisieren die Darstel-lung der schwierigen familiären Beziehun-gen.

Ganz besonders relevant für die Inter-viewten ist der Bereich Diskretion und Da-tenschutz. Hier gibt es auch negative eigeneErfahrungen oder solche werden aus demUmfeld berichtet. Besonders, wenn eine Per-son noch im Berufsleben steht, ist die Be-reitschaft, über sich im Zusammenhang miteiner psychischen Erkrankung zu berichten,sehr gering. Thematisiert in diesem Zusam-menhang wird auch der nötige Schutz dereigenen Familie, »besonders der Kinder«.

Zentrale Botschaften

Abschließend haben wir unsere Gesprächs-partner und -partnerinnen noch gefragt,was für sie die zentralen Botschaften einerMedienkampagne gegen die Stigmatisie-rung psychisch erkrankter Menschen undihrer Familien sein könnten. An erster Stellewurden hier solche Botschaften genanntdie sich unter dem emanzipatorischen Slo-gan der Behindertenbewegung »Nicht ohneuns über uns« subsumieren lassen. Wichtigist Individualität: »So vielfältig wie Men-schen sind, so vielfältig sind auch Kranken-und Genesungsgeschichten. Es gibt keinentypischen Depressiven oder Psychotiker«.Daneben gibt es für die Befragten durchausauch positive Seiten der Erkrankungen, diessie in der Öffentlichkeit wahrgenommensehen wollen: »Es ist eine Stärke, Schwächezu zeigen.« oder »Man kann viel aus seinerKrankheit lernen: Bewusstheit, Wachstum,Werkzeuge zum Umgang mit Psychose«.

»Auch psychisch Kranke können ein nor-males Leben führen« – auch diese Erkennt-nis möchten Betroffene selbstbewusst wei-tergeben.

Nicht als Vorzeigeobjekt – im positivenwie im negativen Sinne –, sondern als Indi-viduum mit einer interessanten Geschichteund Erfahrungen, die für andere wesentlichsein können, so wollen Betroffene wahrge-nommen und dargestellt werden. Dabei zuunterstützen, ist eine nachhaltige Aufgabeder Selbsthilfe im Rahmen der Öffentlich-keitsarbeit. �

Beate Lisofsky ist Journalistin. Sie war viele Jahre Pres-sesprecherin des Bundesverbandes der Angehörigenpsychisch Kranker und hat das Open-Face-Projekt indieser Funktion begleitet.

14 | Psychosoziale Umschau 032015 | Psychiatrie & Gemeinde

Zukunftsentwürfe im Netzwerk9.–10. September 2015Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Mittwoch, 9. September 201510:30 Uhr Tagungsbüro, Anmeldung12:00 Uhr Begrüßung und GrußworteModeration: Ralph Erdenberger, Journalist,Köln

Vorträge12:30 Uhr Die Zukunft der Gemeindepsy-chiatrie aus Sicht der engagierten BürgerGerd Schulze, Vorsitzender LV Bürgerhilfe in Bayern e.V., München13:00 Uhr Die Zukunft der psychiatrischenHilfen aus Sicht der Psychiatrie-ErfahrenenRuth Fricke, Vorstand BPE, Herford13:30 Uhr Die Zukunft der psychiatrischenHilfen aus Sicht der Angehörigen psychischKranker Christian Zechert, Vorstand BApK,Detmold14:00 Uhr Pause14:30 Uhr Forum 1Die Zukunft der (Gemeinde-)Psychiatrie –Konzepte und ForderungenDr. Gundolf Berg, Vorsitzender BKJPP, Mainz / Wolfgang Faulbaum-Decke, Vorsit-zender DV Gemeindepsychiatrie e.V., Köln /Nils Greve, Vorstand DV Gemeindepsychiatriee.V./BAG Integrierte Versorgung, Köln / Dr. Iris Hauth, Präsidentin DGPPN, Berlin / Dr. Dietrich Munz, Präsident BPtK, Berlin / Rainer Sobota, Vorstand BdB, Hamburg /Gerd Schulze, Vorsitzender LV Bürgerhilfe in Bayern e.V., München / Moderation: Ralph Erdenberger, Journalist, Köln16:30 Uhr Pause17:00 UhrWorkshopsWS 1 Die Zukunft psychotherapeutischerBehandlung im NetzwerkDr. Tina Wessels, BPtK, Berlin

WS 2 Zukunftsmodelle bei Arbeits-unfähigkeit Dr. Thomas Floeth, Geschäfts-führer NiG Pinel gGmbH, BerlinWS 3 Zukunftsmodelle der Sektorüber-greifenden BudgetierungErika Schulz, Mitglied Geschäftsleitung Brücke SH / Liane Junge, Verbundmanagerin Dithmarschen Brücke SH / Daniela Erdmann,Fachdienstleitung Eingliederungshilfe Dithmarschen / Dr. Thomas Birker, ChefarztPsychiatrie WKK Heide/DithmarschenModeration: Wolfgang Faulbaum-Decke, Geschäftsführer Brücke SH, KielWS 4 Zukunft der Finanzierung der Integrierten Versorgung Marius Greuel, Geschäftsführer NiG Pinel gGmbH, BerlinWS 5 Zukunftsmodelle der Resilienz-förderung und Prävention Birgit Fuchs, Einrichtungsleiterin Betreuen-Fördern-Wohnen, Pfalzklinikum, Klingenmünster / Dr. med. Sylvia Claus, Chefärztin Pfalz-klinikum für Psychiatrie und Neurologie, Klingenmünster19:30 Uhr Come Together

Donnerstag, 10. September 20158:00 Uhr Tagungsbüro, Anmeldung

Vorträge9:00 Uhr S3-Leitliniengerechte System -angebote im multiprofessionellen TeamProf. Dr. Steffi Riedel-Heller, ISAP, UniversitätLeipzig9:30 Uhr Zukunft der Gemeindepsychiatrieim Netzwerk: Ergebnisse aus der EvaluationIntegrierte Versorgung Prof. Dr. Anke Bramesfeld, AQUA-Institut GmbH, Göttingen10:00 Uhr Ergebnisse aus der EvaluationIntegrierte Versorgung Annabel Stierlin,wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Ulm10:30 Uhr Zukunft der Finanzierung: DieBedeutung des BundesteilhabegesetzesDr. Harry Fuchs, Rehabilitationswissenschaftler,Düsseldorf / Statements von Mitgliedern desThink Tanks des DV Gemeindepsychiatrie e.V.

11:30 Uhr Pause12:00 Uhr Forum und WorkshopsForum 2Die Zukunft der (Gemeinde-)Psychiatrie –Konzepte und Forderungen aus der WissenschaftProf. Anke Bramesfeld, AQUA-Institut GmbH,Göttingen / Dr. Thomas Floeth, NiG PinelgGmbH, Berlin / Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller,ISAP, Universität Leipzig / Annabel Stierlin,wissenschaftliche Mitarbeiterin der Univer-sität Ulm / Moderation: Ralph Erdenberger,Journalist, KölnWS 6 Die Bedeutung des Bundesteilhabe-gesetzes Dr. Harry Fuchs, Rehabilitations-wissenschaftler, DüsseldorfWS 7Modell Solingen: Alle Hilfen aus einerHand Nils Greve, Geschäftsführer Psycho-sozialer Trägerverein Solingen e.V.WS 8Modell EX-IN Bremen Jörg Utschakowski, Dipl.-Sozialarbeiter und -pädagoge, Psychiatriereferent des Landes BremenWS 9 Soziotherapie: Die neuen RichtlinienDr. Norbert Mönter, PIBB, Berlin / Helmut Thiede, GAPSY GmbH, Bremen13:30 Uhr SchlusswortWolfgang Faulbaum-Decke, Vorsitzender DV Gemeindepsychiatrie e.V., KölnImbiss14:00 Uhr Mitgliederversammlung desDachverbands Gemeindepsychiatrie e.V.

Anmeldung und InformationDachverband Gemeindepsychiatrie e.V.GeschäftsstelleRichartzstraße 1250667 KölnTelefon (0221) 277938-70Telefax: (0221) [email protected]/dachverband

Gemeindepsychiatrie gestaltet Zukunft!

in Kooperation mit:

Obgleich die meisten Menschen mit schwe-ren psychischen Erkrankungen heute ge-meindenah behandelt werden, wissen diewenigsten von den Erkenntnisfortschrittenim Bereich der psychosozialen Therapien.Die neue Leitlinie für Patienten und Ange-hörige will darüber informieren, welchepsychosozialen Behandlungsansätze wirk-sam und hilfreich sind und damit denTransfer evidenzbasierten Wissens an dieBetroffenen unterstützen.

Leitlinie für Betroffene einer schweren psychischen Erkrankung und ihre Angehörigen

Im letzten Jahr ist die Patientenleitlinie»Psychosoziale Therapien bei schweren psy-chischen Erkrankungen« erschienen. Sierichtet sich direkt an die Betroffenen undderen Angehörige und will damit ihr Wis-sen und ihre Entscheidungskompetenzenbei der Wahl der Behandlungsmöglichkei-ten stärken.

Von einer schweren psychischen Erkran-kung wird gesprochen, wenn diese bereitsüber längere Zeit, mindestens jedoch zweiJahre besteht und mit erheblichen Ein-schränkungen im Lebensalltag verbundenist. So zeigen langanhaltende und schwerepsychische Erkrankungen neben den psy-

chischen Beschwerden gravierende Auswir-kungen in den Bereichen Ausbildung undBeruf, Wohnen, Familie und Freizeit. Hiersetzen die sogenannten psychosozialen The-rapien an. Diese stellen neben den körperli-chen (z. B. Medikamente) und psychothera-peutischen (z. B. Verhaltenstherapie) Be-handlungsansätzen eine zentrale Säule inder Behandlung schwer psychisch erkrank-ter Menschen dar.

Psychosoziale Therapien zielen haupt-sächlich darauf ab, die individuellen Mög-lichkeiten der Teilhabe am gesellschaftli-chen Leben zu verbessern und Inklusion zuermöglichen. Dies wird entweder durch eineGestaltung der Umgebungsbedingungen er-reicht oder z. B. dadurch, dass soziale undkommunikative Kompetenzen, also Fertig-keiten im Umgang mit sich selbst und an-deren in den verschiedenen Lebensberei-chen erweitert werden. Psychosoziale The-rapien zielen nicht allein auf eine Symptom-verbesserung, sondern vielmehr darauf ab,die Betroffenen darin zu unterstützen und

zu stärken, sich in ihrem Leben und der Um-welt wieder eigenständiger, sicherer undzielgerichteter bewegen zu können und da-mit mehr Lebensqualität zu erlangen. Sowird z. B. mit Hilfe arbeitsrehabilitativerMaßnahmen versucht, die Beschäftigungs-situation der Betroffenen zu verbessern.

Trainingsansätze zur Verbesserung von so-zialen Fertigkeiten und Kompetenzen kön-nen zu einem sicheren Umgang mit ande-ren Menschen führen.

Entstehungsgeschichte und Spektrum der Leitlinie

Grundlage für diese Patienteninformationist die S3-Leitlinie »Psychosoziale Therapienbei schweren psychischen Erkrankungen«,die 2013 veröffentlicht wurde. Initiator undHerausgeber der Leitlinie ist die DeutscheGesellschaft für Psychiatrie, Psychothera-pie, Psychosomatik und Nervenheilkunde(DGPPN).

Zahlreiche Fachgesellschaften, Arbeitsge-meinschaften und Berufsverbände aus demgroßen Praxisfeld der Behandlung psychischerkrankter Menschen einschließlich Vertre-tern des Bundesverband der Psychiatrie-Er-fahrenen e.V. und des Bundesverband derAngehörigen psychisch Kranker e.V. habendie Entwicklung der Leitlinien unterstütztund Empfehlungen gemeinsam verabschie-det. Die Patientenleitlinie enthält eine Zu-sammenfassung der wichtigen Fachinfor-mationen in einer auch für Laien verständ-lichen Sprache.

Die Handlungsempfehlungen beruhenauf der Auswertung klinischer Studien unddamit auf dem derzeitig aktuellsten Standdes medizinischen Wissens. Für manche In-terventionen liegen viele aussagekräftigeStudien vor, für andere liegen Studien vor,die keine sehr zuverlässigen Ergebnisse lie-fern. Manchmal gibt es auch widersprüch-liche Angaben in unterschiedlichen Studien.Das spiegelt sich in den Empfehlungen derLeitlinie wieder. Daneben sind andere Fak-toren von Bedeutung, die die Stärke einerEmpfehlung beeinflussen, z. B. die Präferenzder Patienten für eine Behandlung, die sichbeispielsweise in der Behandlungszufrie-denheit wiederspiegelt. Man unterscheidetdemnach starke Empfehlungen für sehr gutabgesicherte Behandlungsmöglichkeitenvon schwachen Empfehlungen für Behand-lungsmöglichkeiten, für die keine hochwer-tigen Daten vorliegen.

Die Leitlinie gibt Empfehlungen zu mög-lichen psychosozialen Interventionen aufden verschiedensten Ebenen. Einige Inter-

16 | Psychosoziale Umschau 032015 | Psychiatrische Praxis & Soziale Arbeit

Familien mit schweren psychischen Erkrankungen besser über Behandlungsmöglichkeiten informierenVon Uta Gühne, Steffi G. Riedel-Heller und Thomas Becker

Karin
Bleistift
Kein Einzug

ventionen sind auf der Systemebene ange-siedelt, deren Umsetzung in der Regel durchein Helfersystem erfolgt. Ein Beispiel dafürsind multiprofessionelle gemeindepsychi-atrische Behandlungsverfahren, wie dieAkutbehandlung im häuslichen Umfeld, dieeine Alternative zur stationären Behandlungdarstellt. Zum anderen gibt es psychosozialeInterventionen, die stärker als Einzelinter-vention beurteilt werden können und diean verschiedenen Stellen im Versorgungs-system in Anspruch genommen werdenkönnen, z. B. Psychoedukation, Ergotherapie,Ansätze des sozialen Kompetenztrainingsund der Sport- und Bewegungstherapie.Diese können an verschiedenen Orten derBehandlung z. B. im ambulanten Bereich, inder Tagesklinik oder der stationären Be-handlung durchgeführt werden.

Das gesamte Spektrum der Leitlinie istbreit: Es reicht von den Grundlagen der the-rapeutischen Beziehung über Systeminter-ventionen bis zu Einzelmaßnahmen wiePsychoedukation und künstlerischen The-rapien und verweist gleichzeitig auf die Be-deutung von Peer-Ansätzen und Ansätzen

der Selbsthilfe und des Selbstmanagements.Damit fokussiert die Leitlinie nicht nur aufdiagnoseübergreifendes Denken und Han-deln, sondern bezieht sich im besten Sinneauf multiprofessionelles, teambasiertes Ar-beiten im psychiatrisch-psychotherapeuti-schen Kontext. Jenseits einer traditionellärztlich betonten Sichtweise werden alle inder Psychiatrie und Psychotherapie tätigenBerufsgruppen und darüber hinaus auchAngehörige bzw. Peers angesprochen undihre Rolle in der psychosozialen Versorgungadressiert. Indem verschiedene Akteure dessozialen Umfeldes einbezogen werden, sinddie Grenzen zwischen medizinischem Ver-sorgungssystem und gesellschaftlichemKontext fließend.

Starke Empfehlungen

Die Leitlinie empfiehlt für den ambulantenBereich gemeindepsychiatrische und mul-tiprofessionelle Behandlungsteams, dieeine gemeinsame Verantwortung für diegesundheitliche und psychosoziale Versor-gung der Betroffenen übernehmen und er-forderlichenfalls auch aufsuchend tätigwerden. Starke Empfehlungen sind auchmit Ansätzen der Psychoedukation und ei-nem Training sozialer Fertigkeiten verbun-den, die das Verständnis und den Umgangmit der Erkrankung und den damit verbun-denen Folgen verbessern und die den Be-troffenen in seinen sozialen Fertigkeitenund der Teilhabe am sozialen Leben stärkenkönnen. Ein Kapitel widmet sich den ver-schiedenen Ansätzen beruflicher Rehabili-tation. Hier zeigen internationale Studieneindeutig Vorteile für Programme auf, dieeine rasche Platzierung direkt auf dem ers-ten Arbeitsmarkt und ein unterstützendesTraining verfolgen. Schwächere Empfehlun-gen liegen zu weiteren psychosozialen Be-handlungsansätzen wie denen der Ergothe-rapie, den künstlerischen Therapien und In-terventionen von Sport und Bewegung vor.

Wegweiser- und Ermächtigungsfunktion

Die Patientenleitlinie enthält außerdemwichtige Hintergrundinformationen zupsychosozialen Behandlungsmöglichkeiten,zu deren Wirksamkeit und zeigt möglicheZugangswege auf. Darüber hinaus besitztdie Patientenleitlinie Wegweiserfunktion,indem sie unser psychiatrisches Behand-lungs- und Versorgungssystem skizziert.Fachbegriffe werden erläutert und Linksbzw. Adressen zu weiterführenden Hilfsan-geboten benannt. In zwei separaten Kapi-

teln werden Angehörige explizit angespro-chen, eines davon richtet sich an die Kinderpsychisch erkrankter Eltern.

Mit dieser Information wollen die Auto-rinnen und Autoren auch dazu ermuntern,sich aktiv an der Behandlung zu beteiligen,Entscheidungsprozesse im Behandlungsver-lauf aktiv mitzugestalten und erforderli-chenfalls nach möglichen regionalen The-rapieangeboten zu fragen.

Neben einer Lang- und Kurzversion exis-tiert eine Ultrakurzversion im Flyerformat,die als Wartezimmerinformation konzipiertwurde und die eine breite Bekanntmachungder Leitlinie unter Nutzern und Anwendernermöglicht. Daneben sind zahlreiche Publi-kationen und zusätzliches internetbasiertesLehrmaterial zu den einzelnen Interventio-nen entstanden. �

Die Patientenleitlinie ist im Buchhandel erhältlich.DGPPN (HG) 2014: Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. Patientenleit -linie für Betroffene und Angehörige. Springer-Verlag,ISBN 978-3-642-55267-0, 9,99 Euro.Alle Versionen der Leitlinie sind zudem barrierefrei im Internet zugänglich unter: www.dgppn.de/publikationen/leitlinien.html, dort den Punkt »Behandlungs-übergreifende Leitlinien« ansteuern.Dr. Uta Gühne ist Psychologin und arbeitet am Institutfür Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health(ISAP) der Universität Leipzig, das von Prof. Steffi Riedel-Heller geleitet wird. Prof. Thomas Becker istÄrztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psy-chotherapie II der Universität Ulm am Bezirkskranken-haus Günzburg. Alle drei waren an der Entwicklungder Leitlinien beteiligt.

Psychiatrische Praxis & Soziale Arbeit | Psychosoziale Umschau 032015 | 17

Behandlungsleitliniensind systematisch entwickelte Aussagen,die den gegenwärtigen Erkenntnisstandim jeweiligen Fachgebiet wiedergebenund den Behandelnden und ihren Patien-ten und Patientinnen die Entscheidungs-findung für eine angemessene Behand-lung erleichtern. Dennoch sind die Emp-fehlungen einer Leitlinie nicht zwingendverbindlich für die Behandelnden. Jeder Patient, jede Patientin bringt seinebzw. ihre eigene Krankengeschichte, eigene Voraussetzungen und Wünschemit, die bei der Wahl der Behandlungs-form(en) Berücksichtigung finden. In begründeten Fällen muss der Behan-delnde sogar von den Empfehlungen einer Leitlinie abweichen.

Eines der Dinge, die den kleinen Jungen imHeim für Körperbehinderte immer beson-ders stark spüren ließen, dass er weit wegvon zu Hause leben musste, war das ble-cherne Geschirr, das den Kindern zu denMahlzeiten vorgesetzt wurde. »Von einemBlechteller essen zu müssen, habe ich alskrassen Unterschied zu meinem Leben inmeiner Familie empfunden,« erinnert sichLothar Bücher an die Zeit des Heimwehs be-sonders zu Beginn der acht Jahre, die er alsSchulkind, statt zu Hause in Solingen, imHeim und der Heimschule in Volmarsteinverbrachte. Lothar Bücher, der 1944 mit einem offenen Rücken geboren wurde, wardank ärztlicher Kunst zwar in der Lage zustehen und mit Hilfsmitteln zu laufen, aberals Kind bedurfte er doch häufiger des Tros-tes. Auch weil sein Vater ihn aufgrund sei-ner Behinderung nicht so recht akzeptierenkonnte und seine Begabungen – zum Bei-spiel im Aufsatzschreiben – nicht wahr-nahm.

Das, was ihn in solcher seelischen Not ammeisten tröstete, ist in der Ausstellung»Trost 45« zu sehen, die Anfang Mai im Semnos-Zentrum der Zukunftswerkstatt»therapie kreativ« in Duisburg eröffnetwurde. Dort hängt Lothar Büchers mit Pas-tellkreide gezeichnetes Bild der Mutter, dieihren Sohn liebevoll im Arm hält, neben 29weiteren Exponaten von Menschen, die ih-ren Trosterfahrungen mit Objekten, Bildern,Zeichnungen und Texten Ausdruck verlie-

hen haben. Die Schau ist Teil des Projektes»Alter und Trauma«, mit dem das Institutfür soziale Innovationen in Duisburg, Wild-wasser Bielefeld und das Deutsche Institutfür Angewandte Pflegeforschung in KölnUnterstützungs- und Hilfsangebote für alteMenschen entwickeln, die an den Folgenvon Kriegstraumata bzw. sexualisierter Ge-walt leiden. Und so geht es auch bei »Trost45« in erster Linie um Nöte, die im Kontextder Weltkriege nach Tröstung verlangten.

Ein Gemälde zeigt einen jungen Mann,der liebevoll und traurig einen Totenschädelumfasst. Und eine alte Dame hat geschrie-ben: »Im Ersten Weltkrieg fand ich als klei-nes Mädchen an der Hand meines VatersTrost und Schutz, wenn ich mich fürchtete.Im Zweiten Weltkrieg war mein kleinerSohn mein größter Trost. (…) Mich tröstetauch, wenn mir jemand zuhört und ich michaussprechen kann.« Das Plakat, das sie ge-staltet hat, zeigt Fotos von dem Vater undeinander umfassenden Händen.

Flöte spielen im Schrank

»Trösten heißt nicht, das Leid wegzuma-chen. Trösten heißt, zu begleiten. Und dasist schon Trost, auch wenn ich nichts tunkann. (…) Wenn ich sage, es ist schlimm undda können wir nichts dran tun, dann ist dasder Trost, dass man damit nicht allein ist«,sagte Udo Baer in seinem Impulsvortragzum Thema »Krieg, Trost und Weiterleben«.

Der Leiter der Zukunftswerkstatt »therapiekreativ« bezeichnete Trost vor allem alszwischenmenschliches Tun und soziale Er-fahrung. Und die funktioniert in beide Rich-tungen. »Es gibt auch Menschen, die habengesagt: ›Trost? Den habe ich daraus geholt,dass ich eine Aufgabe hatte. Ich musstemich um meine Kinder kümmern. Ichmusste mich um meine kranke Schwesterkümmern. Ich musste mich um meinenMann kümmern, als der aus der Kriegsge-fangenschaft kam‹.«

Aufgehoben fühlen können Menschensich aber auch in ihrem Glauben. Petra Prell,kreative Leibtherapeutin, die einige alteMenschen zur Mitarbeit an der Trostaus-stellung animiert hat, erzählt von einemSchutzengel, den Bewohner eines Altenhei-mes zusammen gestaltet haben. Auf Zet-teln, die an ihm angebracht waren, standenneben »Trost« selbst weitere Schlüsselbe-griffe wie »Glaube«, »Liebe« und »Hoff-nung« oder »Vertrauen« und »Zuversicht«.»Was mich auch sehr berührt hat, war derText einer alten Dame, die sich daran erin-nert, dass sie, um sich selbst zu trösten inKriegszeiten, immer in einen Kleiderschrankverschwunden ist, den sie von innen ge-schlossen hat, um dort Flöte spielen zu kön-nen. Denn ihre Eltern haben sich von dem›Krach‹ gestört gefühlt, wenn sie das imFreien machte.«

Auch Lothar Bücher, der seit einigen Jah-ren die Paritätische Tagespflege in Solingen

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Die schützenden Arme der MutterWas Menschen im Krieg und in der Nachkriegszeit getröstet hat, zeigt eine Wanderausstellung im Rahmen des Projekts »Alter und Trauma« Von Cornelia Schäfer

Lothar Büchers Bild für die Ausstellung Trost 45

Lothar Bücher mit seiner Kunsttherapeutin

Fotos: Cornelia Schäfer

besucht, hat Petra Prell auf die Ausstellungzum Thema Trost aufmerksam gemacht –was unmittelbar einen Schaffensprozess inGang setzte. Die Zeichnung sei in kürzesterZeit entstanden, erzählt die Therapeutin, dieschon lange mit dem künstlerisch begabtenSolinger arbeitet, »und ich war erstaunt,dass er nach ganz langer Zeit eher abstrakterBilder mal wieder Menschen dargestellthat.« »Das war für mich das Nächstliegendezum Thema Trost. Ich habe durch meineMutter viel Trost erfahren«, begründet der

71-Jährige seine Inspiration. Die Besucherder Ausstellung zeigten sich von Lothar Büchers Mutter-Kind-Bild sehr angespro-chen. Was genau sie ihm auf der Eröffnungs-feier dazu sagten und was sie gefragt haben,weiß er nicht mehr, aber sein verschmitztesLächeln verrät seine Zufriedenheit mit denPublikumsreaktionen.

Wie hatte Udo Baer noch in seinem Vor-trag zur Vernissage gesagt? Auch für anderewichtig zu sein, könne Trost bieten. LotharBücher braucht heute allerdings nur noch

selten Trost. Im Laufe seines Lebens habe ergelernt, mit schwierigen Situationen umzu-gehen, sagt er. Außerdem hat er ja heuteauch wieder ein Zuhause, in dem er mit seiner Frau lebt – und, wie zu vermuten ist,von schönem Porzellan isst. �

Die Ausstellung »Trost 45« wird nach Duisburg in wei-teren Orten zu sehen sein und kann auch ausgeliehenwerden. Informationen unter: [email protected] oder: http://www.soziale-innovationen.de/projekte/alter-und-trauma-unerhoertem-raum-geben/ausstellung-trost-45/

Das Konterfei eines melancholischenClowns ziert das Emblem der Website »Psy-chiatrie-Filme«. »Der Kopf ist rund, damitdas Denken die Richtung ändern kann«,steht daneben. Treffender kann auf die Ar-beit der Filmemacherin Andrea Rothenburgnicht hingewiesen werden, denn die Regis-seurin und Produzentin will Menschendazu bewegen, Psychiatrie-Erfahrenen mitweniger Vorurteilen zu begegnen.

Wenn Andrea Rothenburg mit der Ka-mera Menschen begleitet, die seelische Krisen kennen, will sie im besten SinneAnti-Stigma-Arbeit leisten. Sie will nicht nurBerührungsängste nehmen, sie möchte dieMenschen darstellen, wie sie sind – mit allihren Verletzungen und all ihren Freuden,mit Melancholie und Humor.

Den Menschen hinter der Erkrankung darstellen

»DIADOK« nennt sie ihre eigene Produkti-onsfirma. »Alfred & Co. – Kunst, Psychiatrie,das Leben und der Tod« (siehe die Bespre-chung in diesem Heft), »Trink nich’, haltmich, lieb mich« und »Tiefdruckgebiete«heißen die Filme, mit denen sich Rothen-burg Menschen angenähert hat, die ein Le-ben als Außenseiter kennen. »DIADOK istaus den Wörtern ›Dialog‹ und ›Dokumen-tation‹ zusammengesetzt und bedeutet,dass ich über die Dokumentationen mit denProtagonisten, den Zuschauern und der Gesellschaft in den Dialog trete«, erklärtAndrea Rothenburg. Sie tritt auf gleicherAugenhöhe mit Menschen in Beziehung,deren Seelen von Leid gezeichnet sind.Wenn ein Mensch psychisch erkranke, seidie Krankheit mit seiner Lebensgeschichteverknüpft. Ihre Motivation, sich mit psy-

chiatrie-erfahrenen Menschen auf den Wegzu einem Film zu machen, fasst sie in einemSatz zusammen: »Diese Geschichten sindbesondere Geschichten, die gehört werdenwollen, und ich habe als Tochter eines Psy-chiaters schon in meiner Kindheit unter un-angemessenen Äußerungen von anderengegenüber psychisch erkrankten Menschengelitten. Oftmals stecken Unwissenheit undÄngste dahinter«.

Andrea Rothenburg ist bewusst, dass siemit ihrer Art zu arbeiten, als Regisseurinund Produzentin ein Alleinstellungsmerk-mal hat. Dies zeigt sich auch dadurch, dasssie mit ihren bewegenden Dokumentarfil-men meist in Programmkinos auftaucht.»Ich produziere keine Hollywoodstreifen fürdie breite Masse, in denen Klischees abge-arbeitet werden«, erzählt sie. Sie möchte dieMenschen hinter den seelischen Erkrankun-gen darstellen. »Jeder erkrankte Mensch hatauch gesunde Anteile. Das wird leider vielzu oft übersehen«, so Rothenburg.

Verrücktes als Alltägliches

Der Dialog findet nicht nur mit den betrof-fenen Menschen statt. Andrea RothenburgsFilme werden auch in Volkshochschulenund Bildungswerken, in Schulen und Mu-seen aufgeführt. Dort finden dann Podi-umsdiskussionen und viele persönliche Be-gegnungen statt. Rothenburg nimmt im-mer Protagonistinnen und Protagonistender Filme mit zu ihren Veranstaltungen.»Vielen Zuschauern hilft der ehrliche Ein-blick in die Gefühlswelt anderer. Es hilft ins-besondere Menschen mit eigener psy-chischer Erkrankung aus erster Hand zu hö-ren, welche Auswirkungen psychische Er-krankungen haben können und wie andere

damit leben und zum Teil sogar daranwachsen«, erklärt Andrea Rothenburg.

Sie versteht sich als Botschafterin für diePsychiatrie. Sie will das Verrückte als alltäg-

lich verstanden wissen: »Eine psychische Er-krankung kann jeden treffen. Das Eis, aufdem alle Menschen gehen, ist sehr dünn.Ein Schicksalsschlag zum Beispiel kann ei-nen Menschen schneller in die Psychiatriebringen, als sich viele vorstellen können«.

Die unaufdringliche, aber doch einfühl-same Art von Andrea Rothenburg lässt einemöglichst große Annäherung an das Sub-jekt zu. So sind die Protagonistinnen undProtagonisten der beeindruckenden Doku-mentarfilme ganz authentische Zeugen vonMenschen, die zu ihren verletzten Seelenstehen. �Christoph Müller arbeitet als Krankenpfleger auf einerforensischen Station in der LVR-Klinik Bonn.

Kunst & Kultur | Psychosoziale Umschau 032015 | 19

Mit der Filmkamera Anti-Stigma-Arbeit leistenDie Filmemacherin Andrea Rothenburg und ihre Produktionsfirma DIADOK Von Christoph Müller

Foto: DIADOK

Andrea Rothenburg

Im September 2015 wird die Psychiatrie-En-quete vierzig Jahre alt. Cornelia Schäfersprach mit Rainer Kukla, der ein enger Mit-arbeiter von Caspar Kulenkampff war, demVorsitzenden der Enquete-Kommission, undArnd Schwendy, der damals das Presseamtdes Landschaftsverbandes Rheinlandes(LVR) leitete, dem größten Träger für psy-chiatrische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, dem Land, das damals eine Vor-reiterrolle innehatte.

Es ist ja viel über die Psychiatrie mit ihrenmenschenunwürdigen Verhältnissen vor derPsychiatriereform gesprochen worden. Wannwar Ihre erste Berührung mit den Verwahr-anstalten, und was haben Sie da wahrgenom-men?

Arnd Schwendy: Ich war in den sechzigerJahren Journalist in Essen und hätte michdamals wohl nicht um die Psychiatrie ge-kümmert, wenn ich nicht familiär betroffengewesen wäre. Meine Mutter hatte, nach-dem ihr ein Hirntumor entfernt wordenwar, erst Sprachprobleme und dann auchzunehmend psychische Auffälligkeiten ent-wickelt. Sie war immer sehr wortgewandtund witzig gewesen und litt nun enorm da-runter, dass ihr die Worte nicht einfielen.Schließlich hat sie so eine Vorstellung ent-wickelt, alle Welt beobachte sie, ob sie noch

richtig sprechen könne. Sie fühlte sich rich-tig verfolgt, verhielt sich merkwürdig undaß dann auch nicht mehr, sodass man ir-gendwas unternehmen musste. Auf der Su-che nach einem Platz in einer Klinik fürmeine Mutter sind meine Schwester undich mit ihr damals durch die niedersächsi-sche Psychiatrielandschaft gefahren. Undda war wirklich eine Anstalt schlimmer alsdie andere. Und die Ärzte sagten immer: »Siekönnten Ihre Frau Mutter hier unmöglichlassen. In dieser Anstalt halten ja nicht malwir Mitarbeiter es aus.«

Wir haben schließlich einen Platz in derAdelsstiftung in Ilten für sie gefunden undmein ganzer Kampf war, dafür zu sorgen,dass sie nicht Elektroschocks bekommt, daswar so eine beliebte Methode in der Epoche.Sie ist da drei Monate geblieben und derWahn ist nicht zurückgegangen. Und dannhaben wir für sie nachher ein sehr hübscheskleines Privatheim gefundenen, wo sie al-lerdings mehr schlecht als recht gelebt hatund später auch gestorben ist.

Rainer Kukla: Ich habe die Psychiatrie auchschon vor der Psychiatrie-Enquete kennen-gelernt. 1964 habe ich mal drei, vier Wochenein Pflegepraktikum in der damaligen Lan-desheilanstalt Süchteln gemacht. Ich habein der Klinik gewohnt, zusammen mit ei-nem anderen Hilfspfleger, so hieß das ja,

und wir beide haben tagsüber das absoluteGrauen der damaligen Psychiatrie kennen-gelernt, sodass wir abends völlig fix und fer-tig ins Bett fielen. Das ist heute überhauptnicht mehr vorstellbar, wie die Verhältnissein der Psychiatrie damals waren: riesige Bet-tensäle, ein absolut entwürdigendes Verhal-ten zum Teil des Personals. Von Ärzten habeich, glaube ich, in den drei Wochen einmalkurz was gesehen. Ansonsten waren diePfleger da die Herren der Station, und dagab’s dann halt so ein Capo-Regiment zumTeil mit Patienten – das absolute Grauen.

Die Psychiatrie, ein verborgener Hinterhofdes Wirtschaftswunderlandes

Später habe ich dann Volkswirtschaft undSoziologie in Köln studiert, war auch Hilfs-kraft am Forschungsinstitut für Soziologieund habe dann bei einigen Forschungspro-jekten mitgearbeitet, die Caspar Kulen-kampff als Chefarzt des Düsseldorfer Lan-deskrankenhauses und Ordinarius initiierthatte. Als Kulenkampff dann zum Land-schaftsverband ging – er meinte, wenn mandie Psychiatrie verändern wolle, müsse man in die politische Schaltstelle gehen –hat er mich gefragt, ob ich mitgehen wollte:»Komm, wir machen einen Reformplan fürdas Rheinland.« Und da bin ich dann mit-gegangen, nachdem ich vorher noch schnellmein Examen gemacht hatte. Er wurdedann Landesrat in Köln, und einige Zeit spä-ter, am 1. Januar 1972, habe ich bei ihm an-gefangen. Zusammen mit einem Psychiater,

20 | Psychosoziale Umschau 032015 | Nachgefragt

Als die Psychiatrie laufen lernteGespräch mit Rainer Kukla und Arnd Schwendy über vierzig Jahre Psychiatrie-Enquete

Caspar Kulenkampff

Proteste in den 70-ern

LVR-Archiv, Nr. 330

Foto: Ludger Ströter, LVR

, LVR-Archiv

der ebenfalls aus Grafenberg mitgekom-men war, haben wir praktisch das Pla-nungsreferat gegründet und waren dieChefplaner für Kulenkampff.

1972 – da war der Auftrag zum Enquete-Be-richt ja schon erteilt, und Caspar Kulen-kampff leitete die Enquete-Kommission. Wiemuss man sich diese Zeit vorstellen? Das warja, was die Psychiatrie betraf, nicht die StundeNull. In anderen Ländern war die Reformschon seit Jahren im Gange. Und auch inDeutschland gab es bereits Reformimpulse,die dann endlich auf politischer Ebene auf-gegriffen wurden. Warum hat es in Deutsch-land überhaupt so lange gedauert?

Arnd Schwendy: Gut, es gab in den Sech-zigerjahren ja schon einige mutige Kliniken,u.a. auch wieder Kulenkampff in Frankfurt,der da an der Uniklinik mit Gerhard Boschzusammen die erste Tagesklinik in Deutsch-land gegründet hatte. Und es gab einige Anstalten, die von reformfreudigen Leutengeleitet wurden, die schon was taten, z. B.Walter Theodor Winkler in Gütersloh. Aberdie hatten wenig Rückhalt. Man konzen-trierte sich auf bauliche Verbesserungenoder den Bau von Aufnahmekliniken. Anden Grundfesten der Anstalten wagte ei-gentlich niemand zu rühren. Und dass dasso lange praktisch ein verborgener Hinter-hof dieses Wirtschaftswunderlandes war,ist einzig und allein darauf zurückzuführen,dass diese Anstalten ja praktisch ein Teil dernationalsozialistischen Vernichtungspolitikdes so genannten lebensunwerten Lebensgewesen waren und manche, die immernoch tätig und einflussreich waren, da auchdran beteiligt gewesen waren.

Rainer Kukla: Ich erinnere mich: Der di-rekte Vorgänger von Kulenkampff als Chefund Ordinarius in Düsseldorf war ja Fried-rich Albert Panse. Der lief da noch durchsGebäude als etwas jovialer älterer Patriarch,und ich muss sagen, wir wussten damalsauch noch nicht, dass der einer der wich-tigsten Kreuzchenmacher in dem ganzenEuthanasiegeschehen gewesen war, also einer derjenigen, die im Zuge der Tötungs-aktion T4 mit ihrem roten Kreuz darüberentschieden, ob jemand getötet wurde odernicht. Der war voll in Amt und Würden ge-wesen, bis Kulenkampff ihn abgelöst hat.Für eine Reform brauchte es offenkundigerstmal eine neue Generation von Psychia-tern. Allerdings gab es auch einige ältereÄrzte, so Landesmedizinaldirektoren, die dasmiterlebt hatten und in den Fünfzigerjahrenauch als Zeugen in entsprechenden Prozes-sen ausgesagt hatten. Die haben mir erzählt,

dass sie dann durchaus Repressalien ausge-setzt waren und dass auch in den Fünfzi-gerjahren noch viele Dokumente schlicht-weg vernichtet wurden aus der Zeit des Nationalsozialismus. All das dürfte mitver-antwortlich dafür gewesen sein, dass sichDeutschland erst mit so einem Timelag von10, 15 Jahren den Verhältnissen in seinenpsychiatrischen Anstalten gestellt hat.

Arnd Schwendy: Aus der englischen Sozi-alpsychiatrie weiß ich – Douglas Bennetthat uns das erzählt –, dass die schon im Luft-schutzbunker die entsprechenden Reform-

pläne geschmiedet haben. England war jalange Zeit praktisch das Referenzland fürunsere Reform. Später kam dann die etwasradikalere Reform der Italiener dazu, die hierauch für sehr viel Zündstoff gesorgt hat, aberEngland und die gemäßigte Form davon –die Niederlande – waren ganz wichtige Vor-bilder für uns, für die Reform.

Aber Reformimpulse kamen nicht nur ausder Psychiatrie selbst, sondern auch von au-ßen, hier in Köln z. B. von der SozialistischenSelbsthilfe.

Nachgefragt | Psychosoziale Umschau 032015 | 21

Rainer Kukla als junger Gesundheitsdezernent beim LVR Arnd Schwendys Passfoto aus der Personalakte des LVR

Arnd Schwendy, Jahrgang 1937, Journalist,1973-78 Leiter der Pressestelle des LVR, da-nach Referent der Stiftung Rehabilitation inHeidelberg und Geschäftsführer des Dach-verbandes Psychosozialer Hilfsvereinigun-gen. 1998 bis 2002 erst Psychiatriereferentund dann Sozialamtsleiter der Stadt Köln.Seit der Pensionierung engagiert er sich fürdie Bundesarbeitsgemeinschaft der Integra-tionsfirmen.

Rainer Kukla, Jahrgang 1944, Sozialwissen-schaftler, Berater der Enquete-Kommission,Referatsleiter im NRW-Gesundheitsministe-rium und 24 Jahre lang Gesundheitsdezer-nent beim Landschaftsverband Rheinland,LVR, dem größten Träger psychiatrischer Kliniken in der Bundes republik.

LVR-Archiv, Nr. 4

9129

Foto: Ludger Ströter, LVR

, LVR-Archiv

Arnd Schwendy: Erstmal gab es Ende derSechziger dieses tolle Buch von Frank Fischer: »Irrenhäuser klagen an«. Der KölnerStadtanzeiger hatte das Vorabdrucksrecht,und als das nach und nach da veröffentlichtwurde, hat das schon einen gewissen Auf-ruhr hervorgerufen. Das warwohl auch der Grund, warumdie SPD damals in der Land-schaftsversammlung dafürgesorgt hat, dass Caspar Ku-lenkampff geholt wurde, wo-durch das Rheinland in derFolge so ein bisschen Vorreiterder Reform wurde.

Rainer Kukla: NRW hatteschon im Vorfeld der Enquetebeschlossen, einen »Plan fürdie Versorgung psychischKranker und Schwach sin ni -ger« erarbeiten zu lassen, vor-bereitet übrigens auch durchKulenkampff, und der Planwurde im Januar ‘72 veröffent-licht. Damals stieß ich ja nachmeinem Examen zum LVR. Dahatte Kulenkampff kurz zuvorvon der Landschaftsversamm-lung den Auftrag bekommen,auch für den LVR einen Planfür eine ortsnahe psychiatri-sche Versorgung zu erarbei-ten. Vieles, was in diesen bei-den Plänen steht, Ideen undBegrifflichkeiten, floss späterin die Enquete ein.

Arnd Schwendy: Das warauch die Zeit, als ich zum LVRkam. Der Landschaftsverbandwar eigentlich ‘ne ziemlichhausbackene Behörde, aber indem Bereich Psychiatrie gingrichtig die Post ab. Das merkte man, das vi-brierte und das war spannend, und da binich dann eingestiegen mit Öffentlichkeits-arbeit und habe Pressekonferenzen gemachtund den Journalisten gesteckt, wo Skandalesind, denn die Skandalisierung war damalsein wesentliches Moment, um überhauptpolitisch öffentlich Stimmung zu machen.

Öffentlicher Druck auf die Politik

Dazu trug tatsächlich auch die Sozialisti-sche Selbsthilfe bei, die anfangs noch »Sozialpädagogische SondermaßnahmenKöln« hieß. Die hatten damals am Ring inKöln ein Hotel gekriegt für Jugendliche, dieaus den Erziehungsheimen ausgewichenwaren, und der SSK ist dann mit seiner Ar-

beit für entlaufene oder befreite Fürsorge-zöglinge eben auf die Tatsache gestoßen,dass die öfter auch in der rheinischen Psy-chiatrie waren. SSKler drangen dann auchin einige Anstalten ein, als Hilfspfleger oderals Zivis, und klauten sich da z. T. Kranken-

akten. Es hat mal im (Kölner) Gürzenich ei-nen Vorlesungsabend gegeben, da wurdeaus Krankengeschichten des Landeskran-kenhauses Düren vorgelesen. Mit wirklichunglaublichen Gutachten über junge Leute,die für schwachsinnig erklärt wurden, ob-wohl man sie heute wahrscheinlich als ver-haltensgestört oder was auch immer be-zeichnen würde, und die dann für ewig unddrei Tage in der Psychiatrie landeten. DieFürsorge war zwar damals auch geschlos-sen, schob aber schwierige Kinder und Ju-gendliche lieber in die Psychiatrie ab.

Rainer Kukla: Ich weiß gar nicht, wie oftdamals mein Büro besetzt worden ist. Dennobwohl wir ja selber die Verhältnisse ändernwollten, galt Kulenkampff als Gesundheits-dezernent natürlich als verantwortlich für

die Kliniken. Und er hatte auch große Pro-bleme bei dem Bemühen, die vorhandenenStrukturen aufzubrechen, weil jeder Reform-vorschlag ja gleichzeitig Kritik am Beste-henden war. Sodass man ständig Wider-stände erheblicher Art aus den Kliniken oder

von den alten Direktoren zu be-arbeiten hatte. Und währendwir versuchten, eine schritt-weise Reform zu realisieren, hatder SSK gesagt, mit Reformkommt ihr nicht weiter, da hilftnur Revolution, ihr müsst dasSystem zerschlagen. Der Chef-ideologe des SSK, Lothar Gothe,sagte dann wörtlich so etwa:»Ich werde Ihnen so lange be-weisen, dass die Verhältnisse inden Kliniken nicht zu humani-sieren sind, bis Sie aufgeben«.

Arnd Schwendy: PolitischerDruck entstand aber auchdurch die Hilfsvereine, die es imRheinland, aber auch in vielenanderen Bundesländern immerschon aus der Gründerzeit derAnstalten gab. Da hatten sichwohlmeinende Bürger zusam-mengetan, um Spendenvereinefür die armen Irrenhäuser zugründen. Und diese Vereine leb-ten fort und wurden jetzt wie-der belebt durch engagierteBürger, Krankenhausseelsorgerund Sozialarbeiter und auchAngehörige, die sich damals alsLaienhelfer bezeichneten, diemunter in der Öffentlichkeitauch kundtaten, wie schlechtes den Leuten in den Anstaltenging. Da ist eine enorme Ener-gie gewachsen. Diese Vereine

fingen an, Treffpunkte in den Gemeindenfür entlassene Patienten zu machen, Be-suchsdienste zu organisieren und praktischvon außen her eine Verbindung zu schaffenzu denen, die hinter den Anstaltsmauerndarbten. Das tollste Beispiel ist nach wie vorfür mich die von dem späteren Fernsehjour-nalisten Jürgen Thebrath mitinitiierte Be-wegung, die nachher Essener Kontakte hieß.Die Essener verschoben ihre Patienten ins120 km nördlich von Essen gelegene Landes-krankenhaus Bedburg-Hau, das mit überdreitausend Patienten wohl das größte inNordeuropa war. Das waren ein bis zweiStunden Fahrzeit, um dahin zu kommen.Dann haben die Essener Kontakte eben Bus-fahrten dahin organisiert und haben fürmehr Öffnung und für bessere interne

22 | Psychosoziale Umschau 032015 | Nachgefragt

Seite aus einem Erhebungsbogen der Sachverständigenkommission

LVR-Archiv, Nr. 30373

Strukturen gekämpft. Später haben sie inEssen nahezu ein komplettes Nachsorgesys-tem aufgebaut und sind heute ein hoch pro-fessioneller Verein.

Und das lief alles parallel zur Arbeit der En-quete-Kommission, die sich im August 1971unter dem Vorsitz von Kulenkampff konsti-tuierte?

Rainer Kukla: Ja. Während die Kommission– das waren ja 19 Leute aus dem ganzenSpektrum der Psychiatrie plus etliche Arbeitsgruppen und hinzugezogene Gut-achter – während die damit begannen, dieSituation in der Psychiatrie auszuleuchtenund zu dokumentieren, wurden von denverschiedensten Gremien und Gruppen be-reits Reformanstrengungen gemacht. Dervon uns erstellte und im August ‘72 veröf-fentlichte »Rahmenplan zur Versorgungpsychisch Kranker und geistig Behinderterim Rheinland« hatte zum Beispiel zur Folge,dass die damalige Landschaftsversammlungein Sofortprogramm beschloss, mit relativviel Geld. Und dann hat Kulenkampff etwasgemacht, was damals unausweichlich war,was ihm aber hinterher auch sehr viel Kritikeingebracht hat: Er hat einen Teil der Lang-zeitpatienten versucht, in einem Gewaltaktin Heime zu überführen, z. T. bis in denSchwarzwald. Das ist sicherlich nicht erfreu-lich gewesen, aber man kann es verstehenvor dem Hintergrund dieser wahnsinnigenEnge in den Krankenhäusern.

Ein Kamm, eine Zahnbürste für jeden Patienten

Also, eine Klinik wie Düsseldorf, die warmal für sechshundert Patienten gebautworden. Als wir da anfingen, hatten wiraber 1600 Menschen, die dort unter fürch-terlichen Bedingungen auf engstem Raumlebten. Sodass versucht werden musste,erstmal ganz basale Dinge sicherzustellen.Wie überhaupt mal ein Bett mit einemNachttisch oder einen eigenen Kamm füreinen Patienten. Sie können sich vorstellen,der Begriff des Stationskamms deutet aufwas hin, nämlich, dass es nicht der einzelnePatient war, dem der Kamm gehörte, son-dern da wurde die ganze Station mit ver-sorgt. Oder die Zahnbürsten! Ich werde nievergessen, wie in den ersten sozialpsychi-atrischen Fortbildungen die Dozentin Praxisbesuche in den Kliniken machte undeiner ihrer Schüler dann ganz stolz zeigte,dass auf der gerontopsychiatrischen Stationjetzt jede der alten Damen eine eigene

Zahnbürste hatte. Und das demonstrierteer, indem er sich vor dem Badezimmer auf-baute und die Damen dann alle an ihm vor-beigingen, wie ‘ne Prozession, alle die Zahn-bürste in Vorhalte, und dann wurde da mitder Tube so quack, quack, quack, Zahnpastadrauf gepackt. Da war dann der nächsteLernschritt nicht nur ‘ne eigene Zahnbürste,sondern auch ‘ne eigene Zahnpasta zu be-sitzen.

Arnd Schwendy: Dann war ja immer derTraum der Reformer, dass psychisch Krankedurch dasselbe Krankenhaustor gehen wiedie körperlich Kranken, und dass man ei-gentlich für jedes Krankenhaus der Grund-versorgung eine kleine Abteilung habenwollte, um auch diese ganze Stigmatisie-rung und Diskriminierung zu beseitigen.Und da ist Kulenkampff für meine Begriffemit der beste Schachzug geglückt, indem erauf einen Schlag fünf oder sechs katholischeKrankenhäuser gewonnen hat, die dannpsychiatrische Stationen etablierten.

Geburtsabteilungen werden psychiatrische Abteilungen

Wegen des Rückgangs der Geburten warenda ganze Geburtsabteilungen leer, es warenalso auch wirtschaftliche Aspekte, die dazuführten, dass die Leute für diese Kranken-hausabteilungen eine neue Nutzung such-ten, und das traf sich dann noch gut mit ihren sozialethischen Vorstellungen. Kulen-kampff hat dann, unterstützt vom Gesund-heitsministerium des Landes, mit denenVersorgungsverträge geschlossen und prak-tisch einen Teil des Versorgungsauftragesdes Landschaftsverbandes auf diese Häuserübertragen. Diese Abteilungen haben sichdann allen Unkenrufen zum Trotz sehr gutentwickelt, auch, weil sie sehr schnell hin-gingen und mit Caritas und Diakonie undDPWV und DRK, also den Wohlfahrtsver-bänden, Nachsorgeangebote machten. Siekonnten ja die Langzeitkranken nicht solange halten wie die Landeskrankenhäuser,also mussten sie Alternativen schaffen. Dasging in den siebziger Jahren los und ge-wann noch mehr Fahrt in den achtziger Jah-ren durch dieses große Modellprogrammdes Bundes, wo die Umsetzung der Enquetegefördert und evaluiert wurde.

Also hat die Veröffentlichung des Enquete-Berichts die Reform dann erweitert und be-schleunigt?

Arnd Schwendy:Das, was dem Bundestagübergeben wurde, sind zwei Drucksachen,

Nachgefragt | Psychosoziale Umschau 032015 | 23

10:42

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einmal dieser Kurzbericht, den ich im Zu-sammenwirken mit Kulenkampff erstellthabe, dann der lange Bericht und noch malein Anhang. Und das ist ja ein epochalesWerk, fantastisch! Ich kenne keinen Bereich

der Sozialreform oder der Gesundheitsre-form, der so gut unterlegt ist mit Studienund kompetenten Ausführungen zu denverschiedensten Bereichen.

Rainer Kukla: Aber nach dem Bericht kamdie Umsetzung nur sehr mühsam in Gang.Der Bund hat – auch ein Stück zu Recht –gesagt: Ich muss erst die Länder und die Ver-bände hören. Das hat dann zu einer elendlangen Prozedur geführt, bis die ihre Stel-lungnahmen abgegeben haben, sodass daeinige Jahre ins Land gingen. 1980 gab esendlich ein großes Modellprogramm, das in14 Modellregionen in der Bundesrepublikmit Bundesmitteln gemeindepsychiatrischeStrukturen aufgebaut und wissenschaftlichbegleitet hat. Sodass man auf deren Ergeb-nisse zurückgreifen konnte für den anschlie-ßenden politischen Prozess.

…in den die Länder dann eintraten, NRW vor-neweg?

Rainer Kukla: Ja, NRW war im Vergleichzu den anderen Flächenländern ganz vorne.Vor allem im Rheinland könnte man dabeiauf viele gemeindepsychiatrische Entwick-lungen zurückgreifen.

Arnd Schwendy: NRW war ganz vorne,aber auch Bremen und Berlin und Hamburghaben sich enorm bemüht. Es gab zu derZeit ein großes Beharrungsvermögen, esging ja z. T. auch um die Reputation oderden Einfluss derer, die in den Landesbehör-den für die Psychiatrie zuständig waren.Und diese Reiche wollte man bewahren. Es

gab aber auch einen Haufen wirklich res-pektabler Anstaltsleiter, die mit Hinweisenauf die Verelendung von psychisch Krankenauf der Straße nach dem Abbau von Stati-onsbetten in den USA mahnten: Was ma-

chen wir mit den chronisch Kranken? Dasist ja dann auch der Fokus gewesen bei derUmsetzung der Modellprogramme, Struk-turen zu schaffen, die auch langfristig psy-chisch Kranken eine Chance geben.

Ohne Enquete keine Gemeindepsychiatrie

Rückblickend, hat in jedem Bundesland eintief greifender Reformprozess stattgefun-den und man kann heute nicht sagen, dassBayern rückschrittlicher ist in der psychi-atrischen Versorgung als Nordrhein-West-falen oder so.

Lassen Sie uns noch einen Blick werfen aufdie Ergebnisse dieses ganzen Reformprozes-ses. Können Sie das benennen, was aus IhrerSicht das Wichtigste war, was geschafftwurde?

Rainer Kukla: Ich denke, es ist gelungen,dass man diese ursprünglich auf Großkran-kenhäusern basierende Struktur aufgebro-chen und in einer Pluralität der Trägerschaf-ten hochdifferenzierte Behandlungssettingsgeschaffen hat. Die Kliniken haben sich da-durch entlasten können, sie konnten sichqualitativ verändern, sie sind ergänzt wor-den durch psychiatrische Abteilungen anAllgemeinkrankenhäusern, durch ein hochdifferenziertes System der Gemeindepsy-chiatrie in der Fläche mit einer Fülle vonDiensten und Einrichtungen. Also, alles dasist in meinen Augen schon sehr erfolgreichgewesen.

Arnd Schwendy: Rückblickend ist es eineenorme Humanisierung der ganzen Veran-staltung namens Psychiatrie. Was ich wich-tig finde, ist, dass die Versorgung psychischKranker nicht mehr alleine oder vielleichtsogar, wenn’s die Langzeitkranken betrifft,nicht mehr primär die Angelegenheit desklassischen Psychiatriesystems ist, sonderndass das wirklich breite gesellschaftlicheGruppen tragen: die Wohlfahrtsverbände,Tausende von Vereinen, die in den Kommu-nen tätig sind, Angehörigengruppen undjetzt mit EX-IN ja auch die Betroffenen selbst.

Aber nach wie vor ein riesiger Mangel ist,dass es in kaum einer deutschen Regionrund um die Uhr zur Verfügung stehendeKriseninterventionsdienste gibt. So dass da,wo die Sicherungen dann durchbrennen,und das ist in der Regel im Familienkreisund in der Regel dann auch nachts oder amWochenende, man auf Feuerwehr und Poli-zei angewiesen ist und die Fachdienste sichda raushalten. Das sind immer noch trau-matische Erlebnisse, wenn jemand zwangs-weise mit der Polizei oder wem auch immernächtens in ein Fachkrankenhaus kommt.Und daran gilt es weiter zu arbeiten.

Rainer Kukla: Was auch (noch) nicht ge-lungen ist, ist eine den wirklichen Bedürf-nissen von psychisch Kranken angemesseneFinanzierung zu erreichen. Und ich würdemir wünschen, dass die Psychiatrie wiederetwas kritischer wird. Ich habe so das Ge-fühl, sie hat sich wieder sehr stark der bio-logischen Psychiatrie zugewandt. Es gibtkaum noch Lehrstühle für Sozialpsychiatriein Deutschland. Die Psychiatrie selber ver-sucht sehr stark die körperlichen oder diebiologischen Aspekte in den Griff zu kriegen.Ob das je gelingt, weiß keiner. Ich bin daeher skeptisch. Und was die Träger angeht,habe ich immer das Gefühl, da ist Reformeigentlich kein besonderes Thema, da wirdverwaltet, da wird irgendwelchen Qualitäts-managementzertifikaten hinterher gelau-fen, ohne da zu fragen, ob das wirklich Qua-lität bringt – und solche Dinge. Ich hab daeher den Eindruck: Das ist eine Phase, durchdie man durch muss, und irgendwann wirdeine jüngere Generation kommen und sa-gen: Halt mal, so kann das doch auf Dauernicht weitergehen.

Aber bei aller Kritik im Detail: Es sind mitder Psychiatriereform Strukturen geschaf-fen worden, in erster Linie in Form der Ge-meindepsychiatrie, die keinen Rollback zu-lassen. Außerdem kommt heute auch keinermehr an den Angehörigen vorbei oder anden Betroffenen, die einen ganz anderenStand haben als zu Beginn der Enquete. �

24 | Psychosoziale Umschau 032015 | Nachgefragt

Zelle in einer Klinik

Foto: Ludger Ströter, LVR

, LVR-Archiv

Selbsthilfe

� Der Beitrag der Zivilgesellschaft zurUmsetzung der Psychiatrie-Enquete

� Wie hat sich die Selbsthilfe nach derEnquete entwickelt?

� Psychiatrie-Enquete und Anti-Psychiatrie-Bewegung

� Koevolution von Enquete-Bewegungund Angehörigenbewegung

� Familienselbsthilfe� Bürgerhilfeprojekte in Gemeinde -psychiatrischen Verbünden

� Gründung und Leitung von Selbsthilfeorganisationen

� Trialogische Psychiatrie� Selbsthilfeprojekte zur Förderung seelischer Gesundheit

� Internationale Vernetzung � Die Zukunft der Selbsthilfe

Selbstbestimmung

� Selbstbestimmung und das Gebotder Hilfeleistung

� Unterbringung und Zwangs-behandlung

� Krisenbewältigung ohne Psychiatri-sierung

� Umsetzung der Betreuungsrechtsre-form

� Peer-Beratung in der Menschen-rechtsarbeit

� Selbsthilfegruppen stellen sich vor� Vulnerable Gruppen 1:Selbsthilfe für Migranten und Menschen mit Flüchtlingsstatus

� Vulnerable Gruppen 2:Selbsthilfe für ältere Menschen undfür Menschen mit Demenz

� Vulnerable Gruppen 3: Selbsthilfe für Kinder und Jugendliche

� Good practice: nationale und internationale EX-IN-Projekte

� Selbsthilfe und Öffentlichkeit – Zusammenarbeit mit den Medien

� Antistigmaprojekte

Partizipation� Selbstbestimmung und Partizipationals Menschenrechte

� Einbindung der Selbsthilfe bei derUmsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention

� Partizipation der Selbsthilfe an aktuellen Gesetzgebungsverfahren

� Nutzerorientierte Psychiatrieplanung� Einbindung in das Qualitäts-management von Einrichtungen und Diensten

� Mitwirkung in der Eingliederungs-hilfe

� Partizipative Beratungs- und Beschwerdestellen

� Partizipation in Forschung und Lehre

Angefragte Referenten und Referentinnen

Hermann Gröhe,BundesgesundheitsministerValentin Aichele, Deutsches Institut für MenschenrechteSigrid Arnade,Netzwerk Artikel 3 – Verein für Menschenrechte und GleichstellungBehinderter e. V.Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie undPsychotherapie der Charité, BerlinMargret Osterfeld, Mitglied im UN-Unterausschuss zurPrävention von Folter Matthias Rosemann, Geschäftsführer Träger e.V. Berlin, Vorsitzender der BAG GPV

Arnd Schwendy,vormals Psychiatriereferent, dann bis zuseiner Pensionierung Sozialamtsleiterder Stadt KölnThomas Bock, Leiter der Spezialambulanz für Psychosen und Bipolare Störungen sowie der Krisentagesklinik des Universitätsklinikums Hamburg-EppendorfRegina Schmidt-Zadel,Vorsitzende der AlzheimergesellschaftNRW, stellv. Vorsitzende APK Peter Lehmann, Verleger, Autor, Dipl.-Sozialpädagoge,bis 2010 langjähriges Vorstandsmit-glied des Europäischen Netzwerks vonPsychiatriebetroffenen, BerlinJürgen Gohde,Vorstandsvorsitzender, KuratoriumDeutsche Altershilfe, KölnTilman Steinert,Leiter der Abteilung Psychiatrische Versorgungsforschung in Ravens-burg/WeissenauReinhard Peukert, Professor emer. der Hochschule Rhein-Main, Wiesbaden, im Vorstandvon APK und BApK

Das ausführliche Tagungsprogramm finden Sie ab Mitte Juli auf www.apk-ev.de

Information und Anmeldung:Aktion Psychisch KrankeOppelner Straße 13053119 BonnTel.: 0228 – 676740E-Mail: [email protected]

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˘ Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) und des Mannheimer Kreises

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˘ Gründung der Aktion Psychisch Kranke (APK) von Bundestagsabgeordneten und Psychiatrie-Fachleuten

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˘ Fünfjähriges »Modell- programm Psychiatrie« startet

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˘ Gründung des Bundes- verbands der Psychiatrie- Erfahrenen (BPE)

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˘ Gründung des Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker (BApK)

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Vor allem der Hartnäckigkeit der »Patien-tenbank« im G-BA (Gemeinsamer Bundes-ausschuss) ist es zu verdanken, dass die So-ziotherapie in Deutschland jetzt vor ihremNeustart steht. Lang hat es gedauert, aberjetzt ist der Weg frei: Am 22.01.2015 fassteder G-BA den Novellierungsbeschluss.

Warum war eine Novellierung der Soziotherapie-Richtlinie erforderlich?

Vor 15 Jahren, am 01.01.2000, war der § 37aSGB V in Kraft getreten und die Soziothera-pie mit großen Erwartungen ans therapeu-tische Netz gegangen. Nach gutem Start u.a.in Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gingen aber schon nach we-nigen Halbjahren die Anwendungszahlenwieder zurück und bereits 2002 sah sich derBundestag veranlasst, die Aktion PsychischKranke (APK) mit der Evaluation der man-gelnden Implementierung der Soziothera-pie zu beauftragen. Der nach entsprechendbreiter und mehrschichtiger bundesweiterUmfrage 2008 fertiggestellte Evaluations-

bericht nannte als Gründe der mangelndenGesetzesumsetzung vor allem umsetzungs-behindernde Richtlinien des Bundesaus-schusses, eine restriktive Zulassungspraxisder Krankenkassen für Soziotherapeutenund ebenso restriktive Genehmigungspra-xis für beantragte Soziotherapiemaßnah-men wie auch die nicht kostendeckendeHonorierung der Leistung.

Der APK-Evaluationsbericht bildete dieGrundlage für den Antrag der Patientenver-treter und -vertreterinnen auf eine Neure-gelung der Soziotherapie-Richtlinien im Jahr2011. Dieser Antrag fand nach intensivemBeratungs- und Anhörungsprozess Anfangdes Jahres seinen Abschluss.

Im Beratungsprozess stellte sich die wis-senschaftliche Evaluation der Soziotherapieals schwierig dar, weil es international keindirekt mit der in Deutschland eingeführtenSoziotherapie vergleichbares Behandlungs-modul gibt, allenfalls verwandte Ansätzewie das Case Management, Assertive Com-munity Treatment-Teams oder die Sozial -arbeit. Des Weiteren konnten auch aus

Deutsch land keine wissenschaftlichen undnach Kriterien der evidenzbasierten Medi-zin ausgewiesenen Untersuchungsergeb-nisse für die Wirksamkeit der Soziotherapiebei ausgeweiteten Indikationsbereichen an-geführt werden; diese Frage hatte sich vo-rausgehend schon als nicht untersuchbargezeigt, eben weil eine Zulassung (und An-wendungsmöglichkeit) für ein erweitertesIndikationsspektrum in der Regelversor-gung nicht gegeben war. Unter anderemdiese Zwickmühle bedingte die Langwierig-keit des Beratungsverfahrens.

Ohne Zweifel bestand aber der gesetzlicheAuftrag der Selbstverwaltung im Gesund-heitswesen (und damit des G-BA) für die An-wendung und Sicherstellung per SGB V vor-gegebener Leistungen Sorge zu tragen undggf. Änderungen bei deren defizitärer Im-plementierung herbeizuführen. Bei fehlen-der wissenschaftlicher Evaluation hinsicht-lich der vielen Detailfragen kam so der fach-lichen Einschätzung von Experten und Ex-pertinnen besonderes Gewicht zu, vor allemden Erfahrungen, die mit der Anwendungvon Soziotherapie in Verträgen zur Integrier-ten Versorgung gewonnen werden konnten.Hier konnten dann die positiven Effekte u.a.hinsichtlich der Indikation ausgeweitetenSoziotherapieanwendung im Rahmen derIntegrierten Versorgung (IV) der PsychiatrieInitiative Berlin Brandenburg (PIBB) beein-drucken.

Zwar sind die Behandlungserfolge dieserIntegrierten Versorgung nicht allein der So-ziotherapie zuzuschreiben, aber Einzelfall-schilderungen nachhaltiger ambulanter Sta-bilisierung durch soziotherapeutische Be-handlungen auch depressiver und bipolarerPatienten und Patientinnen sowie eine Re-duzierung der Krankenhaustage von in dieIV eingeschriebenen Patienten bzw. Patien-tinnen gegenüber einer krankenkassenin-ternen Vergleichsgruppe konnten den Nut-zen der Soziotherapie deutlich machen. InBerlin kommen in der IV der PIBB ca. vierzigSoziotherapeuten und -therapeutinnen zumEinsatz.

Maßgeblich für die Entscheidung des G-BAwaren sicher auch die umfangreichen Stel-lungnahmen der hierzu berechtigten Ver-bände und Fachgesellschaften, die unisonofür eine Novellierung der Richtlinien undeine breitere wie erleichterte Anwendungder Soziotherapie plädierten.

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Soziotherapie kann nach Neufassung der Richtlinien endlich durchstarten Von Norbert Mönter

Soziotherapie hilft schwer psychisch erkrankten Menschen, den Weg zu sozialen und therapeutischen Angeboten zu finden.

Foto: Jean Jannon / pixelio.de

Was bringt die Novellierung?

Zwei Hintergrundaspekte der Neufassungsind herauszuheben: � die akzentuierte Orientierung der Indi-

kationsstellung an der Fähigkeitsstö-rung und individuellen Situation desPatienten, der Patientin, wodurch dieICD-Diagnose an Bedeutung verliert,

� die Stärkung der Zusammenarbeit zwi-schen verordnendem Psychiater bzw.der verordnenden Psychiaterin und demdurchführenden Soziotherapeuten, derdurchführenden Soziotherapeutin.

Konkret beschlossen wurden zahlreiche Än-derungen, die sich bereits in der Integrier-ten Versorgung der durch die PIBB prakti-zierten Regelungen bewährt haben, so vorallem die Anwendungsmöglichkeit der So-ziotherapie bereits vor einer stationären Be-handlung und die Indikationsausweitungauf alle psychiatrischen Diagnosen. Auchdie Anzahl der probatorischen Sitzungenist von drei auf fünf erhöht worden.

Erklärungsbedürftig ist die jetzt geltendeDichotomie der Indikationsdiagnosen: Sogelten die Diagnosen der alten Richtlinie(schizoforme und wahnhafte Störungen)weiterhin als bevorzugt, da bei Ihnen bereitsein GAF-Wert von jetzt fünfzig (oder niedri-ger) als Zusatzkriterium der Indikation aus-reicht, während bei allen anderen psychi-atrischen Diagnosen ein GAF-Wert von vierzig (oder niedriger) und zudem eine re-levante psychiatrische oder somatische Ko-morbidität oder eine weitere Einschränkungvorliegen muss. Dies klingt allerdings kom-

plizierter als es in der Praxis ist. Die Begrün-dung für Soziotherapie ist abseits der vor-bekannten Indikation aus der alten Richtli-nie nunmehr auch bei allen psychiatrischenDiagnosen gegeben wenn – so der Richtli-nientext – sich »nach fachärztlicher Ein-schätzung eine medizinische Erforderlich-keit insbesondere aus einem der nachfol-gend genannten Kriterien ergibt: – relevante Komorbiditäten (psychiatri-

sche, wie z.B. Persönlichkeitsstörungenoder Suchterkrankungen, oder somati-sche wie z.B. Mobilitätseinschränkungenoder chronische Schmerzerkrankungen),

– stark eingeschränkte Fähigkeit zur Pla-nung, Strukturierung und Umsetzung vonAlltagsaufgaben,

– eingeschränkte Fähigkeit zur selbständi-gen Inanspruchnahme ärztlicher undärztlich verordneter Leistungen sowie zurKoordination derselben, oder

– stark eingeschränkte Wegefähigkeit.« Eine wichtige Änderung besteht auch hin-sichtlich einer Ausweitung der verord-nungsberechtigten Ärzte. Soziotherapie ver-ordnen können zukünftig niedergelassenenFachärztinnen oder Fachärzte für� Neurologie,� Nervenheilkunde,� Psychosomatische Medizin und Psycho-

therapie,� Psychiatrie und Psychotherapie und� Kinder- und Jugendpsychiatrie und

-psychotherapie (in therapeutisch be-gründeten Fällen in der Übergangs-phase ab dem 18. Lebensjahr bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs).

Zudem dürfen Verordnungen jetzt auch ineiner Psychiatrischen Institutsambulanz(PIA) erfolgen.

Abschließend ist vor allem den Vertreternder Patienten und Patientinnen und Ange-hörigen im G-BA für ihre Entschlossenheitund Hartnäckigkeit im Beratungs- und Ent-scheidungsprozess zu danken. Erfreulich ist,dass seitens des Bundesministeriums fürGesundheit die abschließende Bestätigungdes G-BA-Beschlusses mit einer Evaluations-auflage verknüpft wurde: In drei Jahren solldie Implementierung der Richtlinien über-prüft werden.

Jetzt sollte die Novellierung der Soziothe-rapie-Richtlinie auf allen Ebenen die Am-peln auf Grün springen lassen: auf Seitender Krankenkassen in puncto einer ange-messenen Honorierung der Soziotherapieund im Hinblick auf eine breitere Zulassungvon Soziotherapeuten und -therapeutinnen,auf Seiten der verordnungsbefugten Ärzteund Ärztinnen hinsichtlich einer proaktivenEinbeziehung der Soziotherapie in die am-bulante Behandlung. Nicht zuletzt solltenalle verantwortlichen Verbände und Insti-tutionen, auch die Krankenversicherungen,offensiv und werbend auf diese so wichtigedifferenzialtherapeutische Möglichkeit fürpsychisch Kranke hinweisen. �

Dr. Norbert Mönter ist Facharzt für Neurologie undPsychiatrie, Psychotherapie und Ärztlicher Leiter desVersorgungsnetzes PIBB – Psychiatrie Initiative BerlinBrandenburg.

Auf Einladung von GesundheitsministerGröhe fand am 4. Mai 2015 im Bundesmi-nisterium für Gesundheit das erste Treffenim Rahmen des »Strukturierten Dialogs«zum neuen Entgeltsystem statt. Währendder Spitzenverband der Krankenkassen wei-terhin ein Preissystem für festgelegte unddokumentierte Leistungen einführen will,haben die versammelten Verbandsvertreterund Experten das dafür vorgesehene Ver-fahren (PEPP) erneut heftig kritisiert. Mi-nister Gröhe versicherte, dass die vorgetra-genen Kritiken eingehend geprüft würdenund kündigte weitere Treffen an.

Kurz vor dem Treffen legte die Aktion Psy-chisch Kranke (APK) ein »Positionspapierzur Entwicklung eines zukunftsfähigen,

qualitätssichernden Finanzierungssystemsin der Psychiatrie, in der Psychosomatik undin der Kinder- und Jugendpsychiatrie« vor,in dem der Zusammenhang von Qualitäts-anforderungen und Finanzierung unterstri-chen wird. Die APK fordert verbindliche Vor-gaben zur Personalausstattung der Kliniken.Diese sollen durch regionale und kontext-bezogene Budgets finanziert werden.

Auszug aus dem Positionspapier der APK

»Psychiatrische, psychosomatische und psy-chotherapeutische Behandlung von Kin-dern und Jugendlichen sowie Erwachsenenwird von Menschen genutzt, die aufgrundihrer Erkrankung ausgegrenzt und stigma-

tisiert werden können, in ihrer Entschei-dungsfähigkeit beeinträchtigt sein könnenund gegebenenfalls gegen ihren Willen ineine Institution eingewiesen werden.

Deshalb sind im Umgang mit dieser be-sonders verletzlichen Patientengruppe ethi-sche und damit normative Vorgaben gesetz-lich verankert, wie sie unter anderem in dervon der Bundesrepublik Deutschland rati-fizierten UN-Behindertenrechtskonventionfestgelegt sind. Gerade die Vorgaben desBundesverfassungsgerichtes aus der Grund-rechteperspektive zu den Extremsituationender Zwangsbehandlung gegen den aktuellgeäußerten Willen einer Person machendeutlich, dass Beziehungs- und Strukturqua-lität notwendige Voraussetzungen für eine

Sozial- & Gesundheitspolitik | Psychosoziale Umschau 032015 | 29

Erster »Strukturierter Dialog« zu PEPP von Ulrich Krüger

adäquate Behandlung sind. Denn nur in in-tensiver Kommunikation und im Rahmeneiner therapeutischen Beziehung sind ent-sprechende Versuche der Deeskalation er-folgreich möglich. Für den gesamten Bereichder Psychiatrie und Psychotherapie sowieKinder- und Jugendpsychiatrie und -psycho-therapie gilt heute die Unabdingbarkeit psy-chotherapeutischer und unterstützender

Gesprächsangebote und das Primat der Be-handlung im Lebensumfeld empirisch ge-sichert. Dazu werden vernetzte Therapiean-gebote und personelle Ressourcen für dieNetzwerkbildung benötigt. PsychiatrischeVersorgung ist nie und kann nie eine medi-kamentöse oder anderweitig rein techni-sche Intervention sein, die im Sinne der Res-sourcenoptimierung beliebig beschleunigtund rationiert werden kann. Insbesonderebei Kindern und Jugendlichen ist nach derUN-Kinderrechtskonvention ein geeignetestherapeutisches Milieu zu schaffen, welchesden Entwicklungsbedürfnissen angemessenist.

Mit der Psychiatrie-Personalverordnungwurde die wohnortnahe Versorgungspflichtakzeptiert und umgesetzt. Sie sichert denAnspruch der erkrankten Menschen einerRegion auf Krankenhausbehandlung statio-

när bis ambulant, jederzeit und ausreichend.Diese Strukturqualität gilt es zu erhalten,weiter zu entwickeln und durch innovativeFormen sektorenübergreifender Versorgungzu ergänzen.

Deshalb gelten die folgenden Eckpunkteeiner Fortentwicklung der Strukturqualitätund des Entgeltsystems: � Das Behandlungsziel ist die soziale Teil-

habe durch eine an den Interessen derbetroffenen Person, nicht an der reinenSymptomreduktion oder an den Ge-winninteressen der Institution orien-tierte Behandlung.

� Dazu sind normative Vorgaben bezüg-lich der Strukturqualität zur Einhaltungder in internationalen Konventionen(UN-Behindertenrechtskonvention undder UN-Kinderrechtskonvention) festge-legten Standards erforderlich, vor allemzur Schaffung eines therapeutischen(entwicklungsfördernden) Milieus, zurVermeidung von Zwangsmaßnahmen.

� Fortschritte im Bereich der Psycho-, aberauch der Sozio- und Ergotherapie erfor-dern eine Fortentwicklung der Psychia-trie-Personalverordnung gemäß demwissenschaftlichen Kenntnisstand undden tatsächlichen heutigen Bedingun-gen (zum Beispiel Zunahme von Teilzeit-kräften in den Heil- und Pflegeberufen,höherer Übergabeaufwand, höherer Do-kumentations- und IT-Aufwand, Kon-zentration und Verdichtung durch Liege-zeitverkürzung).

� Die Budgetfindung muss sich an einemBasiswert zur Vergütung der Struktur-qualität ausrichten, der durch einen fle-xiblen regionalen Bezug (Stadt-Staaten-vs. Flächenländer, städtische oder ländli-che Regionen, Besonderheiten der sozia-len Gliederung und Herausforderungendes Versorgungsraums etc.) ergänzt wird.

� Ein System der Beschreibung und Kate-gorisierung der Gesamtheit der erbrach-ten Leistungen ist nicht als Preissystemanzulegen, sondern sollte dafür genutztwerden, im Bereich der Abrechnung fürTransparenz zu sorgen und zu einer ra-tionalen Leistungserfassung beizutragen.

Entscheidend für die Sicherung einer ent-sprechend den menschenrechtlichen An-forderungen ausgerichteten Therapiege-staltung ist also die normative Vorgabe einerStrukturqualität, die die Würde der ggf. auchgegen ihren aktuellen Willen untergebrach-ten Patientinnen und Patienten wahrt. Hierist eine verbindliche und vergütungsrele-vante Vorgabe von Richtlinien im Sinne ei-ner zeitgemäß modernisierten Psychiatrie-

Personalverordnung unabdingbar. Wichtigist, dass im Bereich der Psychiatrie, Psycho-somatik und Kinder- und Jugendpsychiatriedie Fehler und Fehlanreize aus dem DRGSystem vermieden werden.

Vorschlag

Ein sich weiterentwickelndes, lernendesVergütungssystem kann zur Leistungsbe-schreibung und zur Abrechnung genutztwerden, wenn es kein Preisfindungssystemist. Dadurch kann der von wechselseitigemMisstrauen stimulierte Umfang und der es-kalierende Bürokratieaufwand durch unnö-tig detaillierte und statistisch nicht effektivtrennende OPS auf das praktikable Maß be-schränkt werden. Als wichtige Vorausset-zung für eine transparente Leistungsbe-schreibung wird damit die Abkehr vom Sys-tem der Festpreise für Einzelleistungen ge-fordert, da dies automatisch, wie im DRGSystem, mit Fehlanreizen verbunden ist. Ba-sierend auf normativ festgelegten Vorgabenzur Strukturqualität sollen stattdessen re-gionale oder kontextbezogene Budgets, mitErlösabrechnung als Abschläge auf das Bud-get, zum Einsatz kommen.

Die APK fordert eine grundlegende Kurs-korrektur bei der Entwicklung des Entgelt-systems. Dabei sind zu berücksichtigen dieregionale Pflichtversorgung und die dafürnotwendige Strukturqualität (Personal). DieAPK betont mit allem Nachdruck, dass dievordringliche politische Aufgabe in der Si-cherung der erforderlichen Strukturqualitätzur Wahrung der Menschenrechte psychischKranker besteht. Die Bemühungen des G-BAmüssen � sich an den normative Vorgaben bezüg-

lich der Strukturqualität orientieren,� verbindlichen Charakter bezüglich der

Vorgaben und der Finanzierung imSinne einer Richtlinie haben,

� sich an einer Fortentwicklung der Psych-PV ausrichten und

� trialogisch von Nutzern, Angehörigenund Professionellen konsentiert werden.

Bevor eine solche konsentierte, normativeVorgabe vorliegt, die die Menschenrechtepsychisch Kranker wahrt, ist der Prozess derEinführung eines Entgeltsystems, welchesvorrangig auf eine Preiskonvergenz aufniedrigem Niveau und damit auf eine Ab-senkung der Strukturqualität zielt, auszu-setzen. Jetzt muss – in Abkehr von den fehl-steuernden Anreizen über Festpreise – dieWeiterentwicklung der Strukturqualität imRahmen einer bedarfsbezogenen Budget-steuerung gesichert werden.« �

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Foto: Dietm

ar Schmidt

Wenn Menschen bei der Begehung einerStraftat aufgrund einer krankhaften seeli-schen Störung das Unrecht nicht einsehenoder sich nicht steuern können, bleiben sieschuldfrei und können nicht bestraft wer-den. Das klingt gut für psychisch erkrankteMenschen, die in einen solchen Zustand ge-raten sind. Allerdings enthält dasselbe Straf-gesetzbuch auch eine Bestimmung, die eineUnterbringung von schuldunfähigen Straf-tätern in einem psychiatrischem Kranken-haus ermöglicht, wenn von ihnen erhebli-che rechtswidrige Taten zu erwarten undsie deshalb für die Allgemeinheit gefährlichsind. Der vermeintliche Vorteil der Straffrei-heit ist also kombiniert mit dem Risiko, prä-ventiv geschlossen untergebracht zu wer-den, um weitere Straftaten zu verhindern.

Die Anzahl psychisch erkrankter Men-schen, die auf dieser Rechtsgrundlage imMaßregelvollzug geschlossen untergebrachtsind, steigt seit Jahren kontinuierlich an (vgl.Infografik in der PSU 3/2014). Dazu schreibtdas Justizministerium: »Dieser Anstieg istvor allem in den letzten Jahren verbundenmit einem deutlichen Anstieg der durch-

schnittlichen Unterbringungsdauern, ohnedass es konkrete Belege für einen parallelenAnstieg der Gefährlichkeit der Unterge-brachten gibt.« Um dieser Entwicklung ent-gegenzuwirken, wurde am 18.05.2015 ein Ge-setzentwurf zur Reform des Unterbrin-gungsrechts vorgelegt.

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf rea-giert das BMJV auf ein Bundesverfassungs-gerichtsurteil und die Empfehlungen einerBund-Länder-AG und eine entsprechendeAnkündigung im Koalitionsvertrag, die alledarauf dringen, die Verhältnismäßigkeit beider Unterbringung stärker zu berücksichti-gen. Es soll erschwert werden, dass geringeAnlasstaten zu Unterbringungen führen, diewesentlich länger sind, als es bei Schuldfä-higkeit und einer Bestrafung möglich ge-wesen wäre. Auch hinsichtlich der erwar-teten künftigen Rechtsverstöße, die mandurch die Unterbringung verhindern will,soll stärker abgewogen werden, ob dasSchutzbedürfnis der Gesellschaft den erheb-lichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechtedes psychisch erkrankten Menschen recht-fertigt. Kleine Risiken muss danach die Ge-sellschaft ertragen, auch ein hohes Risikoleichter Rechtsverstöße.

Gesetzentwurf des BMJV

Die Kernpunkte des Gesetzentwurfes sind:Fokussierung auf gravierende Fälle, einezeitliche Begrenzung der Unterbringung beiweniger schwerwiegenden Gefahren underhöhte Anforderungen an die Begutach-tung.

Bisher reicht auch eine geringfügigerechtswidrige Anlasstat als Grund für eineUnterbringung, wenn künftig aufgrund derpsychischen Erkrankung »erhebliche« Straf-taten zu erwarten sind. So können Bagatell-delikte langjährige Unterbringungen nachsich ziehen, wenn die Gutachter für die Zukunft Gefahren sehen. Das will der Ge-setzgeber dahingehend ändern, dass in derRegel nur »erhebliche« Straftaten gegen Per-sonen oder erheblicher wirtschaftlicherSchaden als Unterbringungsvoraussetzunggelten.

Die gleiche Anhebung der Schwelle ist fürdie Einschätzung des Gefahrenpotenzialsvorgesehen. Während bisher im §63 StGBals Voraussetzung für die Unterbringungnur festgelegt ist, dass »erhebliche rechts-widrige Taten zu erwarten sind«, sollenkünftig ausschließlich Taten, »durch welchedie Opfer seelisch oder körperlich erheblichgeschädigt oder erheblich gefährdet werdenoder schwerer wirtschaftlicher Schaden an-gerichtet wird« als Unterbringungsgrundausreichen. Damit sind zum Beispiel die Ge-fahr von Beleidigungen, Drohungen, leich-ten Körperverletzungen und geringen Sach-

beschädigungen (bis 5000 Euro) nicht mehrregelmäßig als Unterbringungsgrund an-zusehen.

Wegen dieser gesetzlichen Klarstellungenund Eingrenzungen soll es weniger Zugängein den Maßregelvollzug geben. Es bleibt ab-zuwarten, ob dieser Effekt eintritt, denn »Ge-walt- und Aggressionsdelikte« gehören lautGesetzesbegründung weiterhin zu erhebli-chen Straftaten, die es durch Unterbringungabzuwehren gilt. Es wird davon ausgegan-gen, dass Sexualdelikte zu einer erheblichenpsychischen Schädigung führen können,insbesondere bei Kindern. Sofern solcheStraftaten zu erwarten sind, ist eine Unter-bringung weiterhin verhältnismäßig. Dasgleiche gilt bei der Gefahr gemeingefährli-cher Delikte, insbesondere Brandstiftung.

Die Notwendigkeit der Unterbringungsoll häufiger überprüft werden. Die Fre-quenz für die Einbeziehung externer Gut-achter soll verkürzt werden. Statt bisher allefünf Jahre, soll laut Entwurf zu Beginn alledrei Jahre und nach sechsjähriger Unter-bringung alle zwei Jahre überprüft werden,ob die Unterbringungsvoraussetzungennoch gegeben sind. Nach sechs- und nachzehnjähriger Unterbringung sollen jeweilsverschärfte Anforderungen zur Prüfung derVerhältnismäßigkeit gelten. Das Prinzipheißt: Je länger die Unterbringung, destohöher die Anforderungen an die gutachter-liche Begründung der Fortsetzung. Die Gut-achter müssen wechseln, sie sollen über forensisch-psychiatrische Sachkunde verfü-gen. Die Anhörungsrechte von unterge-brachten Personen werden gestärkt.

Diese Maßnahmen sollen zu einer Ver-kürzung der Verweildauer führen. BisherigeErfahrungen haben gezeigt, dass häufigereBegutachtungen nicht zu schnelleren Ent-lassungen führen. Allerdings wird der Willedes Gesetzgebers deutlich, konsequenternach Möglichkeiten zu suchen, die Gesell-schaft vor Risiken zu schützen, ohne psy-chisch erkrankten Menschen die Freiheit zuentziehen.

Schließlich sieht der Entwurf auch dieMöglichkeit der Anrechnung von Zeiten derUnterbringung auf vorher verhängte Haft-strafen vor. Wenn psychisch erkrankte Men-schen nach erfolgreicher Therapie aus demMaßregelvollzug »entlassen« werden, umanschließend eine Haftstrafe anzutreten,wird dies manchen Therapieerfolg gefähr-den. Hier soll das Gericht individuelle Ent-scheidungsmöglichkeiten erhalten. �

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Mehr Verhältnismäßigkeit im Maßregelvollzug Von Ulrich Krüger

Die Anzahl der geschlossen untergebrachten psychisch erkrankten Täter im Maßregelvollzugsteigt kontinuierlich.

Foto: M

ichael Jung

Brechen im hessischen Maßregelvollzugneue Zeiten an? Wer das am 28. April imWiesbadener Landtag verabschiedete Ge-setz in die Hand nimmt, der wird nicht un-bedingt eine positive Antwort auf dieseFrage geben können. Die sehr unterschied-lichen Bewertungen der Fraktionen im hes-sischen Landtag zeigen, wie unterschiedlichdie Erwartungen an die gesetzliche Neure-gelung waren.

Die Hoffnungen der Betroffenen und derAngehörigen wurden an einem entschei-denden Punkt erfüllt. Die Tatsache, dass nun

Patientenfürsprecher, Forensikbeiräte undBesuchskommissionen institutionalisiertwerden, zeigt eine große Bereitschaft, denMaßregelvollzug mit den gesellschaftlichenAkteuren zu gestalten. Bezüglich der Patien-tenfürsprechenden und der Forensikbeirätebleibt das neue hessische Maßregelvollzugs-gesetz zwar wenig konkret, sehr gründlichhaben die Landespolitiker aber über die Be-setzung der Besuchskommissionen nachge-dacht. Mit Blick auf die Einbeziehung der imtherapeutischen Team handelnden Berufs-gruppen sollen den Besuchskommissionennun zwingend Psychiater und Psychiaterin-nen, Psychotherapeuten und Psychothera-peutinnen, Sozialarbeiter und Sozialarbei-terinnen sowie psychiatrisch Pflegende an-gehören.

Betroffene, Angehörige und psychiatrischPflegende gemeinsam

Den Präsidenten der Deutschen Fachgesell-schaft Psychiatrische Pflege (DFPP), Bruno

Hemkendreis, erfüllt diese gesetzliche Neu-regelung mit Zufriedenheit. Denn diejenigeBerufsgruppe, die nicht nur die größte imMaßregelvollzug ist, sondern auch siebenTage die Woche, 24 Stunden am Tag die be-troffenen Menschen begleitet, hat nun dieMöglichkeit, den pflegerischen Beitrag inder Begleitung psychisch erkrankter Straf-täter und -täterinnen zu unterstreichenoder aber auch die Finger in die Wunde zulegen, wo es nötig erscheint.

Mit der Realisierung der Forensikbeiräte,der Patientenfürsprecher und der Besuchs-

kommissionen ist vor allem der gemein-same politische Wille der Betroffenen, derAngehörigen und der Pflegenden umgesetztworden. Diese drei großen Gruppen hattenschon im Anhörungsverfahren deutlich ma-chen können, dass die Sicht auf die thera-peutischen und alltäglichen Möglichkeitender betroffenen Menschen mehr Beachtungerfahren sollte.

Im Anhörungsverfahren hat der Vorsit-zende des Landesverbands Hessen der An-gehörigen psychisch Kranker, ManfredDesch, gefordert, dass bei drohender Gewaltsowie bei der Fixierung »genauere Regelun-gen der Deeskalationsmaßnahmen« festge-legt werden sollten. Dies ist bei der Neuge-staltung des hessischen Maßregelvollzugs-gesetzes allerdings nur bedingt gelungen.

Es schreibt nun fest, dass im Rahmen vonDisziplinarmaßnahmen Fixierungen nur be-fristet angeordnet werden dürfen und zubegründen sind. Es fordert auch ein, dassdie »untergebrachte Person ständig und inunmittelbarem Sichtkontakt zu beobach-

ten« ist. Dieses Positivum wird durch dienun gesetzlich legitimierte Möglichkeit ge-trübt, untergebrachte Menschen auch durchtechnische Hilfsmittel beobachten zu kön-nen.

Unterschiedliche Haltungen

Während die Landtagsfraktionen der CDU,der FDP und von Bündnis 90/Die Grünendas Maßregelvollzugsgesetz mit einerMehrheit verabschiedet hatten, hatte dieFraktion »Die Linke« dagegen gestimmt. DieSozialdemokraten hatten sich der Stimmeenthalten. Dieses Abstimmungsverhaltenzeigt, dass es unterschiedliche Haltungenim Umgang mit psychisch erkrankten Men-schen und insbesondere psychisch erkrank-ten Straftätern und -täterinnen gibt.

Beachtung verdient unbedingt, was dieVereinten Nationen zu sagen haben. DerUN-Fachausschuss für die Rechte der Men-schen mit Behinderungen habe Deutsch-land im März mit ungewöhnlich scharfenWorten gerügt, so Marjana Schott von derLinken. Hier werde »den Eingriffsbefugnis-sen staatlicher und privater Akteure mehrRaum und Gewicht gegeben, als dem Aus-bau des individuellen Rechtsschutzes«, soder UN-Ausschuss. Ein Strukturwandel mitZiel einer Behandlung ohne Zwang müssenach Ansicht der UN in Gang gesetzt wer-den (vgl. auch Margret Osterfelds Beitrag indiesem Heft). Schott sieht die Einrichtungender forensischen Psychiatrie unbedingt imZugzwang.

Es gibt großen Druck auf die Länder, derbundesdeutschen Rechtsprechung zu ent-sprechen, wenn es um Fragen der Zwangs-behandlung geht. Die Frage, die sich mitdem Blick auf das hessische Maßregelvoll-zugsgesetz stellt, ist natürlich, wie die nunverabschiedeten Verbesserungen umgesetztwerden. Dabei sollte aufmerksam auf dieMenschen gehört werden, die als Betroffenein den Einrichtungen des Maßregelvollzugsleben oder dort an der Basis arbeiten. Es istzu hoffen, dass die Neufassung des hessi-schen Maßregelvollzugsgesetzes nur ein ers-ter Schritt zu weiteren Entwicklungen ist.Es ist auch zu hoffen, dass in anderen Bun-desländern die Gesetzgebung zeitgemäßerwird. �

Christoph Müller arbeitet als psychiatrisch Pflegenderauf einer forensischen Station in der LVR-Klinik Bonn.

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Hessen hat ein neues Maßregelvollzugsgesetz Von Christoph Müller

Nach Ansicht der UN ist ein Strukturwandel im deutschen Maßregelvollzug notwendig.

Foto: Ludger Ströter

Die unten stehenden Verbände haben in einem ausführlichen Papier zu ausgewähl-ten Themen der aktuellen ReformdebatteStellung bezogen, die nach ihrer Auffassungfür eine Verbesserung der Situation vonMenschen mit psychischer Erkrankung vonbesonderer Bedeutung sind. Das Dokumentist auf den Seiten der Verbände zu finden,z. B. unter http://www.dgsp-ev.de/stellungnahmen/kontaktgespraech-psychiatrie-zum-geplanten-bundesteilhabegesetz. html. DiePsychosoziale Umschau stellt die Positionenund Lösungsvorschläge in gekürzte Formvor.

Bedarfsermittlung und -feststellung sowie Teilhabeplanung

Ausgangssituation und Bewertung: Men-schen mit seelischer Behinderung, die einenAnspruch auf Unterstützung im Rahmender Eingliederungshilfe haben, befindensich in der Regel in sehr komplexen Lebens-situationen. Sowohl aus Krankheitsgründenals auch aus Gründen, die in der Lebenssi-tuation zu finden sind, ist ihr Bedarf oftebenso diskontinuierlich wie die eigeneWahrnehmung ihres Bedarfs. Einigen Men-schen fällt es zudem schwer, ihre Wünscheund Bedarfe zu formulieren oder sie sindgegenüber Hilfeangeboten ambivalent. Be-darfsermittlung und Teilhabeplanung be-nötigen daher einen niedrigschwelligen,unterstützenden Zugang. Dieser Zugang be-nötigt Zeit und Ruhe, um persönliches Ver-trauen im Kontakt aufbauen zu können.Notwendige Hilfen für Menschen mit see-lischer Behinderung bewegen sich fast im-mer im Kontext eines Netzwerks von Hil-fen. Daher werden für die Teilhabeplanungunterschiedliche Erfahrungshintergründe,Berufsausbildungen und Sichtweisen be-nötigt. Teilhabeplanung für psychisch er-krankte Menschen bedarf eines multipro-fessionellen, angebotsübergreifenden undsozialraumorientierten Blickes. (….)

Im Kontext der Eingliederungshilfe er-folgt auf der Grundlage eines vorliegendenBedarfs (Bedarfsfeststellungsverfahren) dieTeilhabeplanung. Jede Teilhabeplanung sollunter aktiver Einbeziehung des Menschenmit Behinderung durchgeführt werden. Essollten keine Gespräche ohne Beteiligungdes Menschen mit Behinderung erfolgen –es sei denn, dies ist dessen ausdrücklicher

Wunsch. Die Bedarfsermittlung sollte zu-dem möglichst immer im Lebensumfeld derbetreffenden Person stattfinden. In der bis-herigen Praxis entscheiden häufig Exper-tengremien in Abwesenheit des Leistungs-berechtigten über mögliche Hilfen. DieseVerfahren sprechen gegen die Stärkung derSelbstbestimmung der Menschen mit Be-hinderung. Zudem gelingt eine leistungs-trägerübergreifende Bedarfsermittlung und-feststellung sehr selten.

Lösung: Die künftigen bundeseinheitli-chen Verfahrensregeln und zu verwenden-den Instrumente sollten mindestens fol-gende Aspekte berücksichtigen:� Personenzentrierung und Unabhängig-

keit von Leistungs- und Vergütungsfor-men,

� Mitwirkung des Menschen mit Behinde-rung,

� Peer-Beratung, bei Notwendigkeit auchschon vor dem Bedarfsfeststellungsver-fahren,

� Berücksichtigung von Selbsthilfe undSozialraum,

� Lebensweltorientierung,� Transparenz,� Evaluation und Qualitätssicherung,� Interdisziplinarität und Multiprofessio-

nalität,� fachliche Fundierung.Die Sicherstellung der Rechte der Menschenmit Behinderung bei der Bedarfsermittlung,Bedarfsfeststellung und Teilhabeplanungist durch eine qualifizierte, unabhängigeBeratung zu gewährleisten, die den Interes-sen der Menschen mit Behinderung ver-pflichtet ist.

Des Weiteren sollten die jetzigen beste-henden rechtlichen Grundlagen auf ihreUmsetzung hin überprüft werden, um dieDurchsetzung der Ansprüche der Menschenmit Behinderung in der Praxis zu verbessernund die Selbstbestimmung und Teilhabe aufden verschiedenen Ebenen zu stärken. Umden Teilhabegedanken und die Selbstbe-stimmung als Ziel und Leitmotiv aller Leis-tungen für Menschen mit Behinderung zusichern, müssen die beteiligten Rehabilita-tionsträger miteinander und in Abstim-mung mit den Leistungsberechtigten dienach dem individuellen Bedarf voraussicht-lich erforderlichen Leistungen feststellen.

In der Psychiatrie gehören Bedarfsermitt-lung und Teilhabeplanung stets zusammen.

Grundsätze zur Bedarfsermittlung und Teil-habeplanung sind bundesgesetzlich so zuregeln, dass sie auf Landesebene und kom-munaler Ebene auch tatsächlich eingehaltenwerden müssen. (…)

Teilhabe am Arbeitsleben

Ausgangssituation und Bewertung: Bei derDiskussion um einen inklusiven Arbeits-markt und entsprechenden, politischen For-derungen ist der Tatsache Rechnung zu tra-gen, dass gerade Menschen mit psy-chischen Beeinträchtigungen in unserer Ge-sellschaft ein hohes Risiko tragen, vorzeitigaus dem Erwerbsleben ausgeschlossen zuwerden. So ist seit einigen Jahren die Ent-wicklung zu beobachten, dass psychischeGefährdungen am Arbeitsplatz an Bedeu-tung gewinnen, Krankheitstage aufgrundpsychischer Störungen zunehmen und ins-besondere Frühberentungen aufgrund ei-ner psychiatrischen Diagnose steigen. Invielen Fällen geschieht dies, ohne dass eineausreichende medizinische und beruflicheRehabilitation stattgefunden hätte. Dieexistierenden Regelungen zum Arbeits-und Gesundheitsschutz berücksichtigennicht ausreichend psychische Erkrankun-gen und Belastungen und neue Verordnun-gen sind nicht in Sicht. Angesichts der ho-hen Raten an psychischen Erkrankungenunter langzeitarbeitslosen Menschen sindauch die Instrumente des SGB II stärker inden Blick zu nehmen und personenzentriertauszurichten.

Lösung:Die Ermöglichung eines selbstbe-stimmten Lebens von Menschen mit seeli-scher Beeinträchtigung durch Teilhabe amArbeitsleben erfordert in höherem Maße alsbisher eine Flexibilisierung der Leistungen,um wirklich passgenaue und personenzen-trierte Unterstützungsangebote machen zukönnen. Dies hängt u.a. auch mit den Be-sonderheiten psychischer Erkrankungen zu-sammen. Diese zeichnen sich zum Teil durchstark ausgeprägte Leistungsschwankungenaus, in denen sich Phasen mit einem erhöh-ten Unterstützungsbedarf mit Phasen ab-wechseln können, in denen wenig oderkeine Hilfestellung erforderlich ist. DieseSchwankungen wiederum können über dasgesamte (Erwerbs-)Leben andauern, so dassdie Leistungen – bei entsprechendem Bedarf– unbefristet erbracht werden müssen. Fle-

Sozial- & Gesundheitspolitik | Psychosoziale Umschau 032015 | 33

Positionen der Verbände des Kontaktgesprächs Psychiatrie zum geplanten Bundesteilhabegesetz

xibilität bedeutet auch, berufliche Teilhabe-leistungen bei Bedarf als Teilzeitangebotezu konzipieren und umzusetzen.

Eine größere Vielfalt der Leistungen zurberuflichen Teilhabe ist darüber hinaus er-forderlich, da Menschen mit seelischer Be-hinderung in unterschiedlichen Lebenspha-

sen erkranken. Viele haben bereits eine ab-geschlossene Berufsausbildung bzw. ein Stu-dium absolviert. Gleichzeitig finden sichunter den Anspruchsberechtigten aber auchMenschen ohne Schul- oder Berufsabschlussbzw. mit niedriger Qualifikation oder Men-schen, deren Leistungsvermögen infolge ih-rer Erkrankung dauerhaft beeinträchtigt ist.Hier sind Angebote zur Bildung, Ausbildung,Umschulung und Weiterbildung mit quali-fizierten Abschlüssen entsprechend indivi-duell und personenzentriert zu organisie-ren.

Passgenaue und personenzentrierte Hil-fen bedeuten, dass auch dauerhaft und be-fristet voll und teilweise erwerbsgeminderteMenschen Leistungen zur Teilhabe am Ar-beitsleben an jedem Ort erhalten müssen.Als individueller Rechtsanspruch sind dieseLeistungen unabhängig vom Einrichtungs-typ Werkstatt für Menschen mit Behinde-rung (WfbM) gesetzlich zu normieren.

Erst wenn diese Bedingung erfüllt ist, kön-nen Menschen mit psychischer Erkrankungbzw.seelischer Behinderung entscheiden, obsie die Unterstützung bei Arbeit oder Be-schäftigung in einer spezialisierten Einrich-tung, in einer virtuellen Werkstatt oder mit

bzw. in anderen Unterstützungsarrange-ments auf dem allgemeinen Arbeitsmarktwahrnehmen möchten. (…)

Zuverdienstmöglichkeiten, deren wich-tigste Zielgruppe Menschen mit psychischerBeeinträchtigung sind, sollten als Regelleis-tung der Teilhabehilfen ausdrücklich gesetz-

lich verankert werden. Darüber hinaus sindIntegrationsfachdienste und -unternehmenzu stärken und die »Unterstützte Beschäfti-gung« nach §38a SGB IX bei Bedarf unbe-fristet zu erbringen.

Die personenzentrierte Unterstützungund Förderung zur Teilhabe am Arbeitsle-ben von Menschen mit seelischer Beein-trächtigung muss u. a. ein genaues Assess-ment mit Orientierung, Abklärung und Belastungserprobung, berufliches Training,Berufsfindung, ggf. Umschulung, Unterstüt-zung bei der Stellensuche, Vermittlung inArbeit sowie (bei Bedarf unbefristete) Be-gleitung in die Arbeit und Sicherung des Ar-beitsplatzes (vgl. das »Kölner Instrumenta-rium«) umfassen.

Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen

Ausgangssituation und Bewertung:Die Tren-nung der Leistungen zur Existenzsicherungvon der eigentlichen Fachleistung der Ein-gliederungshilfe ist ein wesentliches Kern-stück der beabsichtigten Reform. Sie unterder Leitidee der Personenzentrierung zurealisieren, ist eine wichtige Aufgabe, in der

viele Chancen zur Verwirklichung desRechts auf ein selbstbestimmtes Leben vonMenschen mit Behinderung liegen. Dabeisind einige Aufgaben zu lösen: In den bis-herigen stationären Einrichtungen sind inder Regel Leistungen enthalten, die nichtauf eine bestimmte Person zielen und dieallen zur Verfügung stehen. Dies sind ins-besondere Präsenzzeiten von Mitarbeiten-den, die während des Tages und währendder Nacht, meist an sieben Tagen in der Wo-che durchgängig zur Verfügung stehen.Diese Personalausstattung wird in den zurMaßnahmepauschale und zum Teil Grund-pauschalen gehörenden Betreuungsfach-leistungen berechnet.

Die Personalausstattung in stationärenEinrichtungen ermöglicht vielfältige Funk-tionen (…). Allerdings werden sie ambulantoft nicht finanziert. Diese Unterscheidungträgt viel dazu bei, dass sogenannte schwerbeeinträchtigte Personen in Einrichtungenleben müssen, während eher weniger be-einträchtigte Personen ambulant betreutwerden können. Gerade bei Menschen mitseelischer Behinderung ist diese Unterschei-dung selten zutreffend und häufig Schwan-kungen im Verlauf unterworfen.

Lösung: Das neue Bundesteilhabegesetzmuss vorsehen, dass ungeplante und unvor-hersehbare Inanspruchnahmen der profes-sionellen Unterstützung des Personals durchdie Nutzerinnen und Nutzer auch bei derAufhebung des Einrichtungsbegriffs mög-lich sind. Ohne sie würde das Risiko entste-hen, dass Menschen mit einem solchen Be-darf nach ungeplanten, spontanen Kontakt-möglichkeiten ohne weite Wege nicht hin-reichend versorgt werden können. (…)

Im neuen Bundesteilhabegesetz sind zurLösung dieses Problems Vorkehrungen zutreffen, dass in den Rahmenvereinbarungenauf Landesebene Regelungen zu fallunspe-zifischen Vorhalteleistungen in ausreichen-dem Umfang vorgesehen werden und inden Verträgen mit den Leistungserbringennach § 75 SGB XII bzw. der dann zukünftiggeltenden Rechtsgrundlage ausdrücklichvorgesehen werden.

Einkommens- und vermögensunabhängigeTeilhabeleistungen

Ausgangssituation und Bewertung: (…) FürMenschen mit seelischer Behinderung istdie bedürftigkeitsunabhängige Leistungs-erbringung in mehrfacher Hinsicht von be-sonderer Bedeutung. Die Einordnung derTeilhabeleistungen im System der Sozial-hilfe führt dazu, dass zunächst die persön-

34 | Psychosoziale Umschau 032015 | Sozial- & Gesundheitspolitik

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Forderung der Verbände: Teilhabeplanung immer in Anwesenheit der Betroffenen

lichen Mittel eingesetzt werden müssen,bevor der Sozialhilfeträger die Kosten über-nimmt. Ein Teil der Menschen mit seeli-scher Behinderung hat aufgrund eigenerErwerbstätigkeit Einkommen und Vermö-gen erwirtschaften können und wird nachder Erkrankung – möglicherweise lebens-lang – in die Armut abgedrängt.

Diese Benachteiligung wird noch dadurchverschärft, dass Teilhabeleistungen nebender Behandlung den wesentlichsten Teil derHilfen für psychisch erkrankte Menschendarstellen und Menschen mit psychischerErkrankung damit mehr als Menschen mitsomatischen Erkrankungen auf diese Leis-tungen zurückgreifen müssen.

Ein weiteres Problem besteht in der He-ranziehung von Einkommen und Vermögen

von Familienangehörigen und eingetrage-nen Lebenspartnern. In vielen Fällen bestehtaus unterschiedlichsten Gründen gar keinpersönlicher Kontakt mehr zur Familie bzw.sind die Familienbeziehungen auch auf-grund der psychischen Erkrankung bereitsbelastet, angespannt oder zerrüttet. Diemögliche Überforderung von Familien miteinem psychisch erkrankten Familienmit-glied wird durch weitergehende finanzielleAnsprüche und Abhängigkeiten dramatischverstärkt.

Lösung:Die gleichberechtigte gesellschaft -liche Teilhabe von Menschen mit seelischerBehinderung erfordert Leistungen zum Aus-gleich behinderungsbedingter Nachteile.Das heißt Teilhabeleistungen sind in Zu-kunft im Sinne eines Nachteilsausgleichs

unabhängig von Einkommen und Vermö-gen zu gewähren. Dies gilt sowohl für denMenschen mit Behinderung als auch fürEhe- und Lebenspartner/innen und andereAngehörige. �

APK e.V., AWO Bundesverband e.V., BAG Ge-meindepsychiatrischer Verbünde e.V., BApK, BPE, Bundesverband evangelische Be-hindertenhilfe e.V., Caritas Behindertenhilfeund Psychiatrie e.V., Dachverband Gemein-depsychiatrie e.V., Diakonie Deutschland,Deutsches Rotes Kreuz e.V., DGSP e.V., DerDeutsche Paritätische Wohlfahrtsverband –Gesamtverband e.V., Referat Gemeindepsy-chiatrie der DGPPN

Die Koalitionsspitzen haben sich darauf ge-einigt, dass die Entlastung der Kommunennicht mehr im Zusammenhang mit der Teil-habereform verfolgt werden soll. DieseNachricht führte zu einiger Aufregung.Schnell war von einem Scheitern der Teil-habereform bzw. von einer 5-Milliarden-Euro-Kürzung bei der Behindertenhilfe dieRede.

Seit ca. zehn Jahren wird an einer Reformder Eingliederungshilfe gearbeitet. Wesent-licher Motor waren die Arbeits- und Sozial-minister der Länder. Sie haben unter starkerBeteiligung von Verbänden und Menschenmit Behinderung ein Konzept erarbeitet undden Bund zur gesetzlichen Umsetzung auf-gefordert. Eigentlich war die Reform schonzum Ende der vorletzten Legislaturperiodeweitgehend beschlussreif, doch im Zusam-menhang mit der deutschen Zustimmungzum Europäischen Fiskalpakt (2012), der dieStaatsverschuldung begrenzt, hat die Bun-desregierung zugesagt, die Kommunen fi-nanziell zu entlasten. Entsprechend heißtes im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSUund SPD für die laufende Legislaturperiode:»Wir werden ein Bundesleistungsgesetz fürMenschen mit Behinderung (Bundesteilha-begesetz) erarbeiten. Mit Inkrafttreten die-ses Gesetzes wird der Bund zu einer Entlas-tung der Kommunen bei der Eingliede-rungshilfe beitragen. Dabei werden wir dieNeuorganisation der Ausgestaltung der Teil-habe zugunsten der Menschen mit Behin-

derung so regeln, dass keine neue Ausga-bendynamik entsteht«.

»Keine neue Ausgabendynamik« heißtauf Deutsch: kein zusätzliches Geld für dieMenschen mit Behinderung. ZusätzlicheBundesmittel sollten nur der Entschuldungder Kommunen dienen. Im Zusammenhangmit dem Bundesteilhabegesetz »sollen dieKommunen im Umfang von fünf Milliardenjährlich von der Eingliederungshilfe entlas-tet werden«.

Die Länder und Kommunen setzten sichin diesem Zusammenhang vor allem für einBundes-finanziertes Teilhabegeld ein, dassals Pauschale an Menschen mit Eingliede-rungshilfebedarf ausbezahlt und in gleicherHöhe bei den Leistungen der kommunalenSozialverwaltungen gekürzt werden sollte(siehe die Position der Verbände in diesemHeft).

Für die Menschen mit Behinderung, dieEingliederungshilfe beziehen, hätte ein sol-ches Teilhabegeld finanziell keine Vorteilegebracht. Für sie hätte sich der Aufwand er-höht, da sie nun mit zwei Leistungsträgernüber das gleiche Geld zu streiten hätten. Al-lerdings hätten sie die Möglichkeiten, überdas erhaltene Geld freier zu verfügen, eineverlockende Perspektive, da das persönlicheBudget nur sehr schleppend eingeführtwird. Dies könnte auch für Menschen mitschweren Behinderungen attraktiv sein, diekeine Leistungen der Eingliederungshilfebeziehen.

Was bedeutet nun der oben erwähnte Ko-alitionsbeschluss? Die Kommunen erhaltendie zugesagten fünf Milliarden auf anderemWege. Das ist schon Bestandteil der Haus-haltsplanung. Den Menschen mit Teilhabe-bedarf waren keine zusätzlichen Leistungenin Aussicht gestellt worden. Es werden auchkeine gekürzt.

Vielleicht wird eher der Blick für den in-haltlichen Reformbedarf frei. Dazu heißt esim Koalitionsvertrag: »Wir wollen die Men-schen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglich-keiten der Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft haben, aus dem bisherigen ›Fürsor-gesystem‹ herausführen und die Eingliede-rungshilfe zu einem modernen Teilhaberechtweiterentwickeln. Die Leistungen sollen sicham persönlichen Bedarf orientieren undentsprechend eines bundeseinheitlichenVerfahrens personenbezogen ermittelt wer-den. Leistungen sollen nicht länger institu-tionenzentriert, sondern personenzentriertbereitgestellt werden. Wir werden dasWunsch- und Wahlrecht von Menschen mitBehinderungen im Sinne der UN-Behinder-tenrechtskonvention berücksichtigen.«

Der Zeitplan für diese Reform bleibt un-verändert: Gesetzentwurf des BMAS in die-sem Jahr nach der Sommerpause, Regie-rungsentwurf im Dezember und Anfangnächsten Jahres Entscheidung im Parlamentüber eine hoffentlich gelungene Teilhabe-reform. � (uk)

Sozial- & Gesundheitspolitik | Psychosoziale Umschau 032015 | 35

Kürzung bei der Hilfe zur Teilhabe?

Wie wir arbeiten, entscheidet über unserenPlatz in der Gesellschaft: Arbeit gibt unsIdentität und Selbstbewusstsein, sie bietetdie Teilhabe an Feierabend, Wochenendeund Urlaub, Arbeit schafft Zugehörigkeit zueinem Berufsfeld und einem Unternehmen,entwickelt unsere Fähigkeiten und stärktunser Leistungsvermögen. Wenn wir je-manden neu kennenlernen, gehört dieFrage nach dem Beruf zu den ersten The-men. Sie bleibt zeitlebens zentral für die Artunserer gesellschaftlichen Teilhabe.

Viele seelisch kranke Menschen erlebenes als stigmatisierend, in einer »Sonderein-richtung« für behinderte Menschen zur Ar-beit zu gehen. Deshalb soll im Folgendenvon der inklusiven Weiterentwicklung einerWerkstatt für seelisch behinderte Menschenberichtet werden.

Werkstattmitarbeiterinnen und -mitar-beiter sollen auf Wunsch auch in einem Be-trieb des allgemeinen Arbeitsmarktes arbei-ten können. Dieses Ziel verfolgen wir ge-meinsam mit fünf anderen Werkstätten ausDuisburg und den Kreisen Wesel und Kleve,mit denen wir uns in einem Netzwerk »Be-rufliche Inklusion Niederrhein« (BIN) zu-sammengeschlossen haben (www.berufliche-inklusion-niederrhein.de). Drei Vorge-hensweisen haben sich dabei als erfolgreicherwiesen:

Qualifizierung:Die Werkstätten in Deutsch -land haben in den vielen Jahren ihres Be-stehens ein hohes Niveau an beruflicher Diagnostik und regelmäßig aktualisiertenBildungsplänen entwickelt, passend zum in-dividuellen Lerntempo und zu den persön-lichen Zielen. Zusammen mit unseren Werk-stattpartnern von BIN haben wir darüberhinaus Bildungspläne für die verschiedenenBerufsbereiche entwickelt und an unter-schiedliche Schweregrade einer Behinde-rung angepasst. Sie orientieren sich an denAusbildungsrahmenplänen für Vollausbil-dungen, nach denen bei allen Industrie- undHandelskammern geprüft wird. Dadurchsind unsere Qualifikationsnachweise ver-gleichbar und für Arbeitgeber und -gebe-rinnen verständlich.

Arbeitsmarktnahe Betriebe: In vielen Be-reichen unserer Werkstatt sind unsere Ge-werke inzwischen so organisiert wie Be-triebe des allgemeinen Arbeitsmarktes. Dasgilt besonders für unsere Außenstellen Fahr-radstation, Brötchentheke, Friedhofsgärtne-

rei und Grünflächenpflege. Kundenkontakteund Kundenorientierung, wechselnde Ein-satzorte, manchmal auch wechselnde Ar-beitszeiten oder Überstunden, Qualitätskon-trollen und das Einhalten von Liefertermi-nen gehören dazu.

Betriebsintegrierte, ausgelagerte Arbeits-plätze: 15% unserer rund 170 Werkstattar-beitsplätze befinden sich in Betrieben desallgemeinen Arbeitsmarktes. Für eine Werk-statt der Regionalversorgung ist das ein ho-her Anteil, den wir in den letzten sechs Jah-ren systematisch ausbauen konnten. Dortsind nicht nur »Leistungsstarke« beschäf-tigt, sondern auch Mitarbeitende mit erheb-licher Leistungsminderung. Etwa 50% davonsind Gruppenarbeitsplätze, bei den anderensind einzelne Werkstattmitarbeitende in ei-nem Fremdunternehmen tätig: Sie behaltendie Sicherheit und Rückkehrmöglichkeit desWerkstattvertrages, gehen aber in einemnormalen Betrieb der Region zur Arbeit.

Probleme und Entwicklungsschritte

In den ersten Jahren haben wir vor allemPraktikumsplätze in regionalen Betriebenakquiriert und in einem zweiten Schrittdazu passende Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter in unserer Werkstatt gesucht. Wirhaben die Stellen durch Aushänge bekanntgemacht, die uns geeignet erscheinendenMitarbeitenden gezielt angesprochen, bei

Bedarf entsprechend dem Anforderungs-profil der Stelle innerhalb der Werkstatt vor-trainiert, dazu auch eine Ergotherapeutineingestellt. Nachdem wir immer öfter dieErfahrung gemacht hatten, dass wir für dieausgeschriebenen Praktikumsstellen keineInteressenten finden konnten, gehen wirnun vermehrt den umgekehrten Weg: Wirermitteln zuerst die Fähigkeiten und Wün-sche interessierter Mitarbeiterinnen undMitarbeiter und suchen dann einen dazupassenden Praktikumsplatz, oft zunächstinnerhalb der Werkstatt, später in einemFremdunternehmen.

Während der Praktikumsphase zahlt dasUnternehmen nichts, manchmal viele Mo-nate lang. Das liegt am unterschiedlich lan-gen Prozess der Anpassung an die neuenberuflichen Anforderungen. Erst wenn einverlässlicher, wirtschaftlich messbarerMehrwert für die Firma erreicht ist, handelnwir mit dem Unternehmen eine Vergütungentsprechend der Leistung aus, die unserMitarbeiter, unsere Mitarbeiterin, für dieFirma erbringt. Davon erhält er oder sie 80%(180–640 Euro) – ein neuer betriebsinte-grierter Arbeitsplatz ist entstanden. Zu die-sem Zeitpunkt sind unsere Mitarbeitendenbereits in das Fremdunternehmen »hinein-gewachsen«, sie haben neue Beziehungenam Arbeitsplatz und z.B. in der Kantine ent-wickelt, wodurch sie ein fester Teil der Be-legschaft geworden sind. Im weiteren Ver-

36 | Psychosoziale Umschau 032015 | Arbeit & Rehabilitation

Inklusive Weiterentwicklung einer Werkstatt für seelisch behinderte Menschen Von Jo Becker

Fotos: Jürgen Bosmann, Wesel

Die Brötchentheke bietet Cafébetrieb und Lieferservice für frische Brötchen.

takte und ein höheres Arbeitsentgelt führenin der Regel zu einer hohen Arbeitsplatzzu-friedenheit und Identifikation mit demneuen Unternehmen. Manche Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen sind sogar so stolz aufihre neue Arbeit, dass sie am liebsten keinenUrlaub mehr nehmen würden! Das Unter-nehmen gewinnt durch die Entlastung desStammpersonals weniger Ausgleichsabga-ben, einen Imagegewinn und vor allem einverbessertes Betriebsklima.

In einer an Kosten und Leistung orientier-ten Arbeitswelt findet der soziale Faktorwieder mehr Raum. Betriebsintegrierte Ar-beitsplätze tragen zur Rekultivierung der Arbeitswelt bei. Sie verschaffen Menschenmit einem Handicap einen individuell an-gepassten Arbeitsplatz, der ihren Fähigkei-ten und Wünschen entspricht. Die nichtbe-hinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnenerleben, dass in diesem Unternehmen auchKollegen willkommen sind, die nicht 100%der Durchschnittsleistung erreichen, etwasdas jedem anderen im Betrieb auch passie-ren kann. Das entlastet und macht den Be-trieb menschlicher. Zunächst profitieren dieKollegen mit einer Leistungseinschränkung,langfristig profitiert die gesamte Unterneh-menskultur.

Ausblick

Nur 0,1 bis 0,2% aller Mitarbeitenden einerWerkstatt für behinderte Menschen schaf-fen es pro Jahr im bundesweiten Durch-schnitt, aus der Werkstatt in den allgemei-nen Arbeitsmarkt zu wechseln, sei es in einsozialversicherungspflichtiges Arbeitsver-hältnis oder eine Ausbildung. Um diese er-

nüchternd niedrigen Übergangserfolge zusteigern, haben sich besondere Anstrengun-gen bei einer frühzeitigen Qualifizierungund Vermittlung bewährt – also währendder Zeit im Berufsbildungsbereich. EineWeiterentwicklung des Werkstattmilieus inRichtung allgemeine Arbeitswelt wurdedurch dezentrale, kleine Einheiten und Ar-beitsabläufe wie in regulären Betrieben er-reicht. Der Königsweg in den ersten Arbeits-markt ist jedoch nach unseren Erfahrungender betriebsintegrierte Arbeitsplatz. Er kannsich im besten Fall zu einem sozialversiche-rungspflichtigen Arbeitsverhältnis mit nor-maler tariflicher Entlohnung weiterentwi-ckeln.

Deutschland verfügt über ein flächende-ckendes Netz an Werkstätten für behinderteMenschen, das seit Jahrzehnten auf die be-rufliche Förderung von Menschen mit Be-hinderungen spezialisiert und sachlich wiepersonell auf hohem Niveau tätig ist. Mitgeeigneten Formen des Übergangsmanage-ments kann die Brücke von den Werkstättenin den ersten Arbeitsmarkt tragfähiger underfolgreicher als bisher werden. Die Reformder Eingliederungshilfe zu einem Bundes-teilhabegesetz wird die Chancen dazu erhö-hen, nämlich durch den geplanten dauer-haften Rechtsanspruch von Menschen mitHandicap auf einen Minderleistungsaus-gleich im Beruf. Menschen mit einem Han-dicap sollen in normalen Betrieben arbeitenkönnen, wenn sie das wollen. Die Werkstät-ten für behinderte Menschen stehen dafürin der Verantwortung. �

Dr. Jo Becker ist Geschäftsführer des gemeinnützigenUnternehmens Spix e.V.(www.spix-ev.de).

Arbeit & Rehabilitation | Psychosoziale Umschau 032015 | 37

lauf achten wir darauf, dass ihr Lohn mitzunehmendem Leistungsvermögen auchsteigt.

Vor zwei Jahren haben wir in der Werk-statt ein Jobcoaching-Team gegründet, indem eine Mitarbeiterin des Sozialdienstesund ein Gruppenleiter zusammenarbeiten.Aufgabe des Teams ist es, Praktikumsplätzein Firmen zu akquirieren, motivierte Werk-stattmitarbeitende auf passende Plätze zuvermitteln und dort weiter zu begleiten. DasKonzept hat sich bewährt, weil die beidenfür ihre »ambulante«, aufsuchende Arbeitfreigestellt sind: die Akquise von Arbeits-plätzen, oft durch kreative Zusammenfas-sung von Zuarbeiten zur Entlastung desStammpersonals (Jobcarving), die Qualifi-zierung der Mitarbeiter und Mitarbeiterin-nen unter Realbedingungen (training on thejob), Kontakt zu den Vorgesetzten im Be-trieb, »Krisenintervention« bei Bedarf. DieBegrenzung liegt in der Zahl von Mitarbei-tenden, die ein Praktikum wollen. Anfang2012 hatten wir eine Quote von 13% ausge-lagerter, betriebsintegrierter Arbeitsplätze(BiAp) erreicht, seit zwei Jahren stagniertsie bei 15-16%. Wir haben daher unser Job-coaching-Team verdoppelt, aus einem Tan-dem wurden zwei. Sie sind nun auch für dieVermittlung und Begleitung von werkstatt-internen Praktika zuständig. Dadurch wol-len wir die Hürde weiter senken, sich aufein Praktikum einzulassen.

Motivation für die berufliche Weiterentwicklung wecken

Seelische Krankheiten wirken sich auf dieberuflichen Fähigkeiten anders aus als geis-tige Behinderungen, weil sie nicht gleich-bleibend sind, sondern dynamisch verlau-fen. In vielen Fällen tritt erst nach Jahrendes Krankheitsverlaufs eine Stabilisierungein. In dieser Phase haben sich viele Werk-stattmitarbeitende darauf eingestellt, in ei-ner Werkstatt zur Arbeit zu gehen, habendort ihren festen Platz gefunden und steheneinem Wechsel zurückhaltend gegenüber.Die größte Herausforderung ist daher, auchlangjährig Beschäftigte dafür zu gewinnen,sich von Zeit zu Zeit in einem anderen Be-rufsumfeld zu erproben. Auf ihre Motiva-tion kommt es an; ein passender Platz fin-det sich bei fachgerechter Suche.

Der externe Praktikumsplatz ist deshalbein wichtiger Schritt der beruflichen Reha-bilitation. Der nächste ist die Umwandlungin einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz.Die gemeinsame Arbeit von Menschen mitund ohne Behinderung, neue soziale Kon-

Die Fahrradstation bedient Privatkunden und Großaufträge der Deutschen Post.

Wer eine Behinderung hat, dauerhaft er-werbsunfähig ist und beispielsweise imHaushalt der Eltern oder in einer Wohnge-meinschaft lebt, erhält seit 2011 nur die Re-gelbedarfsstufe 3 (313 Euro) des auf 80% re-duzierten Regelsatzes der Stufe 1 (391 Euro)der Grundsicherung.

Hiervon sollen nach Schätzungen der Le-benshilfe dreißig- bis vierzigtausend Men-schen in Deutschland betroffen sein. Die So-zialbehörden und das Bundesministeriumfür Arbeit und Soziales (BMAS) argumen-tierten, ähnlich wie bei Partnerschaften, er-gebe sich auch bei Menschen mit Behinde-rungen eine Ersparnis in der Haushaltsfüh-rung, wenn diese z. B. gemeinsam mit denEltern erfolgt.

Für die hiervon betroffenen Menschenmit Behinderung waren dies knapp 80 Euroweniger im Monat als in der Regelbedarfs-stufe 1. Keine geringe Summe, wenn einemohnehin nur etwa 400 Euro monatlich zurallgemeinen Lebensführung zur Verfügungstehen.

Das Gegenargument der Verbände undklagenden Parteien war, dass es sich beidem Einsparungsargument ausschließlichum eine Vermutung der Sozialbehördenhandele. Eine wirklich ausreichende Sach-feststellungen sei im Jahr 2011 nicht vorge-nommen worden. Es bedurfte dreier Grund-satzurteile des Bundessozialgerichtes, zu-letzt vom Juli 2014, sowie wiederholter Pro-teste der Behindertenverbände wie derLebenshilfe und des Sozialverbandes VdKDeutschland e.V., die das Bundesministe-rium für Arbeit und Soziales zum Handelnzwangen.

Im März 2015 hat das Ministerium derAuffassung des Bundessozialgerichtes noch-mals widersprochen, die alte Regelung be-stätigt, diese jedoch per Anweisung gleich-zeitig außer Kraft gesetzt.

So erließ die Bundesarbeitsministerin An-drea Nahles mit Schreiben vom 31. März 2015eine »Bundesaufsichtliche Weisung«, wiesie nach Artikel 85 Absatz 3 Grundgesetzmöglich ist. Die Weisung beinhaltet, dasserwachsene Leistungsberechtigte nach Ka-pitel IV SGB XII, die weder einen Ein-Perso-nen-Haushalt (alleinstehende Person) nocheinen Alleinerziehendenhaushalt (eine er-wachsene Person und mindestens eine min-derjährige Person) noch einen Paarhaushalt

führen, weiterhin der Regelbedarfsstufe 3zugeordnet werden.

Wenn diese Personen jedoch außerhalbeiner stationären Einrichtung leben, dannsoll davon abweichend eine Regelsatzfest-setzung vorgenommen werden, bei der andie Stelle des sich nach der Regelbedarfs-stufe 3 ergebenden Betrages der sich nachRegelbedarfsstufe 1 ergebende Betrag tritt.

Auf Deutsch: Das BMAS verzichtet in die-sen Fällen auf die Vermutung, dass in einemHaushalt lebende Verwandte sich entspre-chend ihrer wirtschaftlichen Leistungs -fähigkeit gegenseitig Unterhalt gewähren(§ 39 SGBXII).

In der Tat handelt es sich nur um eineÜbergangsregelung, die bis zur Neufassungder Regelsätze 2016 gilt. Erfreulich für dieca. dreißig- bis vierzigtausend Menschenmit Behinderung in Deutschland, die dieLeistungsvoraussetzungen erfüllen, ist, dassrückwirkend zum 1. Januar 2013 die unbe-rechtigt einbehaltene Differenz von 78 Euroausgezahlt werdensoll. Der SozialverbandVdK fordert allerdings, die Rückzahlungenab 2011 zu leisten. Denn ähnlich wie im Ren-tenrecht seien längere Nachzahlungsfristenmöglich. Außerdem sei auch eine Verzin-sung notwendig.

Die Bundesvorsitzende der LebenshilfeUlla Schmidt äußerte sich dazu so: »Für dieZukunft erwarten wir, dass mit Inkrafttreteneiner gesetzlichen Neuermittlung der Re-gelbedarfe eine dauerhaft diskriminie-rungsfreie Regelung zugunsten von Men-schen mit Behinderung getroffen werdenwird, ohne dass es erneut langwieriger ge-richtlicher Verfahren bedarf.« �

38 | Psychosoziale Umschau 032015 | Recht konkret

Volle Grundsicherung für Menschen mit Behinderung Von Christian Zechert

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Foto: Laurence Ch

aperon Photographie

Ulla Schmidt

Im August 2012 hielt die Polizei im Land-kreis Kaiserslautern einen offenbar ziellosumherfahrenden Wagen an, in dem eineFrau (49) mit ihren beiden Kindern (27 und22) ihren toten Ehemann transportierte, derin der Nacht zuvor verstorben war. Der seit2007 an einer paranoiden Schizophrenie er-krankte Mann hatte in den vorausgegangenMonaten aus Angst vor Vergiftung immerwieder die Nahrungsaufnahme abgelehntund wog bei seinem Tod noch 40 kg bei 1,78 m Körpergröße. Die Einnahme von Me-dikamenten verweigerte er seit 2011. DerFamilie drohte er mit körperlicher Gewalt,sollte er erneut in die psychiatrische Klinikeingewiesen werden. Aus Angst, Schamund Hilflosigkeit fügte sich die Familie.

Wegen Körperverletzung mit Todesfolgein einem minder schweren Fall in Tateinheitmit Aussetzung mit Todesfolge in einemminder schweren Fall wurden die Ehefrauund beide Kinder im Oktober 2013 verurteilt:Die Ehefrau zu drei Jahren und neun Mona-ten ohne Bewährung, der Sohn zu einemJahr und zehn Monaten mit Bewährung unddie Tochter zu einem Jahr und sechs Mona-ten mit Bewährung (AZ: 6035 Js 15046/12.1KLs vom 2.10.2013).

Das Vortatgeschehen

Vorausgegangen waren 2007 bis 2010 vierKlinikaufenthalte sowie eine mehrmona-tige Behandlung durch die Institutsambu-lanz bis Ende 2010, 2009 die Einsetzung ei-nes Rechtsanwalts als gesetzlicher Betreuermit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge,Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestim-mung und bis Anfang 2010 die Versorgungmit Medikamenten durch eine Sozialsta-tion. Zusätzlich waren mit dem Kranken einHausarzt und ein Betreuungsrichter befasst.Ab Ende 2010 gab es keinen persönlichenKontakt des Erkrankten mit dem Hilfesys-tem mehr, da er jegliche Hilfe verweigerte.Der letzte persönliche Kontakt mit dem Be-treuer fand bereits Ende 2009 statt, danachgab es lediglich einige wenige Telefonatemit der Ehefrau. Die in häuslicher Gemein-schaft lebende Familie war in der Folge sichselbst überlassen. Sie versorgte den Ehe-mann und Vater regelmäßig mit Nahrung,die dieser aber häufig nicht annahm, ver-suchte zuletzt erfolglos ein Minimum an

Körperpflege zu gewährleisten und säu-berte die von ihm verunreinigte Wohnung.Nach mehreren Übergriffen schliefen Ehe-frau und Kinder in verschlossenen Räumen.Scham, Angst und Uninformiertheit überdie Erkrankung führten zur völligen Isola-tion und Überforderung der Familie undverhinderten, dass die Angehörigen Hand-lungsoptionen erkennen bzw. umsetzenkonnten.

Ein Hilferuf hätte genügt!

Auf der Anklagebank saßen nach dem Toddes Ehemanns und Vaters die Angehörigen,wohingegen alle in den Fall involvierten Be-teiligten des Hilfesystems als Zeugen ge-hört und im Urteil explizit von jeglicherMitverantwortung freigesprochen wurden.Die Verurteilung erfolgte vor allem, weil dasGericht der Auffassung war, die Angeklag-ten hätten erkennen müssen, dass sich dieSituation für den Erkrankten lebensbedroh-lich verschlechterte und die »rechtlich ge-botene Handlung, lediglich einen Hilferufzu tätigen (…) mit sehr geringem Aufwandverbunden gewesen wäre«.

Die Diskussion mit dem Hilfesystem

Zu der vom Landesverband der Angehöri-gen psychisch Kranker (LV ApK) in Rhein-land-Pfalz veranstalteten Podiumsdiskus-sion zu diesem Fall kamen ca. zweihundertTeilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter

viele Mitarbeitende des Hilfesystems. DerDiskussion stellten sich unter der fachkun-diger Moderation von Dr. Daniela Engelhart(SWR): Dr. Gudrun Auert, Pfalzklinikum Kai-serslautern; Ursula Breuer, Betreuungsbe-hörde Mainz; Dr. Theo Falk, Richter a.D.Landau; Esther Herrmann, Angehörige; Dr.Dietmar Hoffmann, SozialpsychiatrischerDienst Mainz, und Dr. Ulrich Kettler, Psy-chiatriekoordinator Neuwied. Das Ministe-rium konnte wegen anderer Verpflichtun-gen keine Vertretung entsenden.

Spürbar war bei allen Diskutanten die Be-troffenheit, dass das Hilfesystem nicht ge-griffen hat. Gleichzeitig aber wurden die ausder Sicht der beteiligten Institutionen maß-geblichen Begründungen aufgeführt, wa-rum »man« nicht anders handeln konnteund auch in anderen Fällen nicht handelnkann.

Es sind die allen betroffenen Angehörigenwohlbekannten Gründe: � das Recht auf Selbstbestimmung, das

auch das Recht auf »Verrücktsein« ein-schließt, solange noch ein Rest desfreien Willens des Betroffenen ausge-macht wird, unabhängig von den Kon-sequenzen für das Recht auf Selbstbe-stimmung von Angehörigen, Nachbarnund anderen betroffenen Personen,

� die Datenschutzgesetze, die die Kommu-nikation zwischen z. B. Klinikärzten undnachsorgenden Einrichtungen ohne Einwilligung des Betroffenen be- oderverhindern,

Angehörigenbewegung | Psychosoziale Umschau 032015 | 39

Ein Hilferuf hätte genügt? Podiumsdiskussion des LV ApK in Rheinland-Pfalz zu dem Vorwurf der Vernachlässigung und der Erwartung von Verantwortungsübernahme durch Angehörige Von Leonore Julius

Unterstützung für Angehörige psychisch erkrankter Familienmitglieder – nur einen Anruf entfernt?

Foto: Lupo / p

ixelio.de

� fehlende finanzielle und personelle Ressourcen für eine Begleitung eines erkrankten Menschen, die darauf ausge-richtet ist, eine Vertrauensbasis zuschaffen und so Therapieoptionen zu eröffnen, und natürlich

� fehlende Zuständigkeiten und Möglich-keiten zur Unterstützung der Angehöri-gen, auch wenn diese – wie im diskutier-ten Fall – kaum über eigene Ressourcenverfügen.

Sowohl bei einigen Podiumsmitgliedern alsauch bei Einlassungen aus dem Plenumwurde deutlich, dass die Begrenzungen desHandlungsspielraums nicht nur bei Ange-hörigen, sondern auch bei manchem enga-gierten Profi zu frustrierender Hilflosigkeitführen.

Bemerkenswert war, dass die Rolle des u.a.für die Gesundheitsfürsorge eingesetztenBetreuers nur von einem Diskussionsteil-nehmer mit der Frage thematisiert wurde,ob dieser tatsächlich alle ihm zur Verfügungstehenden Möglichkeiten ausgeschöpfthatte. Während das Gericht in Kaiserslau-tern dies bejaht hatte, kam ein Braunschwei-ger Gericht in einem ähnlich gelagerten Fallzu einer anderen Einschätzung und verur-teilte den Betreuer. Der Betreuer war in die-sem Fall der Bruder des Opfers. Das Gerichtbefand: Wäre er nur Bruder gewesen, hätteihn vermutlich keine Schuld getroffen. AlsBetreuer aber hätte er mehr tun müssen.

Ein extremer Ausnahmefall?

Dass die Diskussion sich keineswegs um ei-nen extremen Ausnahmefall drehte, son-dern viele Angehörigengruppen ähnlicheErfahrungen gemacht haben, zeigt ein Fall,der fast zeitgleich seinen vorläufig drama-tischen Höhepunkt fand. Ein Elternpaar miteinem ebenfalls chronisch an einer para-noiden Schizophrenie erkrankten und zeit-weise aggressiven Sohn hatte bereits vorgeraumer Zeit Rat und Unterstützung in einer Angehörigengruppe in Rheinland-Pfalz gesucht. Sie fühlten sich der Situationnicht länger gewachsen und befürchtetenweitere Eskalationen. In einem Jahre wäh-renden Prozess wandten sie sich mehrfachan eine Klinik, den SozialpsychiatrischenDienst, das Gericht (zwei Betreuungsversu-che waren bereits gescheitert), sogar mitmehreren Anzeigen an die Polizei. Auch imPsychiatriebeirat wurde der Fall behandelt.Eine eigene Wohnung musste der Sohn auf-geben, nachdem er diese sowie Hausein-richtungen demoliert und Nachbarn massivbedroht hatte. Nach einem erneuten Klinik-aufenthalt nahmen die Eltern ihn wiederauf, um ihm die Obdachlosigkeit zu erspa-ren.

Nur wenige Wochen nach der Podiums-diskussion verletzte der Sohn beide Elternmit einem Messer schwer. Und nun, nach-dem »Blut geflossen« war, explodierten die

Aktivitäten »des Systems«. Der Sohn wurdein einer forensischen Klinik untergebrachtund wird voraussichtlich Jahre dort verblei-ben; die Eltern wurden medizinisch versorgtund ihnen wurde eine Traumatherapie na-hegelegt; Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichtund Sachverständige wurden bemüht.

Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass imSpannungsfeld zwischen Selbst- und Fremd-bestimmung, in der Grauzone zwischen denFreiheitsrechten des Einzelnen und der Ver-pflichtung des sozialen Umfelds und desHilfesystems zum Handeln die Verantwor-tung für die »richtigen« Entscheidungenzum »richtigen« Zeitpunkt in beiden Fällenallein den völlig überforderten Angehörigenüberlassen bzw. übertragen wurde. Unddiese haben auch allein die Folgen zu tragen.Neben den jahrelangen Belastungen undBeeinträchtigungen der eigenen Lebensfüh-rung zahlten die einen mit der Verletzungihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit,während bei den anderen die aus Hilflosig-keit und Scham resultierenden Unterlassun-gen letztlich zum Tod des Ehemanns undVaters und zur Kriminalisierung der bis da-hin unbescholtenen Familie führte. �

Leonore Julius ist Mitglied des Landesverbandes derAngehörigen psychisch Kranker in Rheinland-Pfalz.Das Protokoll der Podiumsdiskussion finden Sie alsDownload auf der Website des Verbandes unterwww.lapk-rlp.de.

Ein Szenario, welches vielen Angehörigengut bekannt ist: Ein psychisch schwer er-krankter Mensch, dem krankheitsbedingtdie Einsicht in seine Hilfsbedürftigkeit fehltoder der krankheitsbedingt nicht in derLage ist, sich um Hilfe zu bemühen, ziehtsich in seine Wohnung zurück, öffnet keinePost, ernährt sich nicht mehr richtig, ver-müllt und verwahrlost, bricht sämtliche sozialen Kontakte ab, bezahlt keine Mietemehr, läuft Gefahr, in die Obdachlosigkeitzu geraten. Wenn Angehörige oder Freundeund Nachbarn versuchen, Hilfe für ihn zuerhalten, bekommen sie zu hören, es seiauch die Autonomie eines psychisch erkrankten Menschen zu respektieren, so-lange er nicht sich oder andere gefährde.Auch, wenn er zu einer freien Willensbil-

dung nicht in der Lage ist. Von Juristen undJuristinnen wird gern damit argumentiert,dass dann der natürliche Wille des bzw. derKranken, also seine aktuell geäußertenWünsche zu respektieren seien. Man beruftsich dabei sogar auf die UN-Behinderten-rechtskonvention.

Die Folge ist dann: Es geschieht ganz langegar nichts und irgendwann ist die »ersteHilfe«, die dem erkrankten Mensch zu Teilwird, der Polizeieinsatz und die nachfolgendeZwangseinweisung. Glaubt jemand ernst-haft, dies entspräche noch immer dem na-türlichen Willen des erkrankten Menschen?

Wann schlägt der Respekt vor der Auto-nomie eines kranken Menschen in unter-lassene Hilfeleistung um? Woher wird vonFachleuten aller Art das Recht genommen,

einen erkrankten Menschen sich selbst zuüberlassen, wenn er nicht freiwillig undfreudig die Angebote unseres Versorgungs-systems annimmt? Was ist Autonomie: einLeben in menschlicher Würde oder in krank-heitsbedingter Verelendung?

Man fragt sich, gibt es hier eine unheil-volle Allianz zwischen abstrakten juristi-schen Betrachtungen über Autonomie undWillensbildung einerseits und institutions-zentriertem Denken andererseits?

Die Rechtsprechung fordert, die Autono-mie eines psychisch erkrankten Menschenmüsse respektiert werden und es müsse dieVerhältnismäßigkeit gewahrt sein. In Wiki-pedia liest man: Das Verhältnismäßigkeits-prinzip ist gewahrt, wenn eine Handlunggegen den natürlichen Willen des Betreuten

40 | Psychosoziale Umschau 032015 | Angehörigenbewegung

Wann schlägt der Respekt vor der Autonomie eines psychisch erkrankten Menschen in unterlassene Hilfeleistung um?Von Hans Joachim Meyer

notwendig ist, um eine erhebliche Gefahrabzuwenden, und die Handlung das mil-deste der möglichen Mittel darstellt und derHandlung nicht der mutmaßliche Wille desBetreuten entgegensteht.

Als juristischer Laie wäre es vermessen,wenn ich eine Diskussion über die verschie-denen Arten von Willen anfangen würde.Jedoch verstehe ich den Text so, dass die An-wendung eines milden Mittels entgegendem natürlichen Willen eines kranken Men-schen auch rechtlich gesehen in Ordnungsein kann.

Niemand wird wohl behaupten, dass derWille eines kranken Menschen, sei es derfreie, natürliche oder mutmaßliche, dahingeht, zwangsweise mit Polizei, Blaulicht undHandschellen in eine psychiatrische Klinikgebracht zu werden. Niemand wird behaup-ten, auf diese Weise würden Autonomie undmenschliche Würde angemessen respektiert.

Warum ist das psychiatrische Versor-gungssystem nicht in der Lage, schwer er-krankten Menschen, die ihre Hilfsbedürftig-keit nicht erkennen, zu helfen? Die Antwortliegt auf der Hand: Wir haben in Deutsch-land ein differenziertes Angebot für leichtoder mittelschwer erkrankte Menschen, diein der Lage sind, die bestehenden Hilfsan-gebote anzunehmen, die z. T. sogar in derLage sein müssen, Verträge abzuschließen.

Wo bleiben die, die sich nicht selbst umHilfe kümmern können?

Wer so krank ist, dass er dies nicht kann,bekommt eben keine Hilfe und kann sehen,wo er bleibt. Wo bleibt der personenzen-trierte Ansatz, wo bleibt die Überlegung,welche Hilfen unterhalb von Zwangsmaß-nahmen man anbieten könnte, wie man ei-nen Zugang zum psychisch erkranktenMenschen erlangen könnte?

Die gern zitierte UN-Behindertenrechts-konvention fordert nicht nur das Recht aufSelbstbestimmung eines behinderten Men-schen, auch eines psychisch behinderten,sondern fordert auch Maßnahmen zu sei-nem Schutz einschließlich aufsuchender ge-meindenaher Dienste.

Es kann doch nicht sein, dass nur die Al-ternative gesehen wird: Entweder nimmtder psychisch erkrankte Mensch die vorhan-denen Angebote an oder man wartet solange ab, bis Zwangsmaßnahmen zum Ein-satz kommen. Zwangsmaßnahmen sind dasGegenteil von Respekt vor Autonomie.

Zwischen diesen beiden Polen klafft in un-serem Versorgungssystem eine gewaltige Lü-cke. Über die Gründe lässt sich letztlich nur

spekulieren, die Tatsache ist nicht zu leugnen,auch wenn das gern versucht wird. Gern wirdder Hinweis auf die Integrierte Versorgunggegeben. Die Integrierte Versorgung in ihrer

jetzigen Form löst die Probleme keineswegs,sie richtet sich ja gerade an Menschen, diedurch ihre Unterschrift bestätigen, dass sieein Versorgungsangebot wünschen.

Wenn ein psychisch erkrankter MenschHilfsangebote zunächst nicht annehmenkann, so ist dies doch kein Grund, nichts zutun. Es ist vielmehr ein Grund, sich um einVertrauensverhältnis zu dem erkranktenMenschen zu bemühen und diese Angebotegeduldig zu wiederholen. Es ist ein Grundzu prüfen, welche milden Mittel auch ohneausdrückliche Zustimmung des erkranktenMenschen eingesetzt werden könnten.

Solche milden Mittel zur Unterstützungpsychisch erkrankter Menschen und zur Ver-meidung von Zwangsmaßnahmen sind z. B.aufsuchende Hilfsangebote in der eigenenWohnung mit dem Ziel, das Vertrauen despsychisch erkrankten Menschen zu gewin-nen und ihm die erforderlichen Hilfen zuverschaffen. Dies auch, wenn der psychischerkrankte Mensch dies Angebot nicht selbstanfordert oder zunächst sogar ablehnt! Zieldieser Hilfsangebote soll letztlich gerade dieVermeidung von Zwang, die Wiederherstel-lung eines eigenbestimmten Lebens inWürde sein.

Noch einmal: Die Forderung ist nicht dieAnwendung von Zwang, sondern ganz imGegenteil die Forderung nach frühzeitigerUnterstützung psychisch schwer erkrankterMenschen, auch wenn sie diese Unterstüt-zung nicht selbst einfordern.

Es bedarf einer grundsätzlichen Diskus-sion wichtiger Fragen: Es ist eine Neube-stimmung der derzeit herrschenden Ansich-ten über die Autonomie und Selbstbestim-

mung psychisch erkrankter Menschen nö-tig, es ist auch dem Gesichtspunkt desSchutzes eines psychisch erkrankten Men-schen der gebührende Stellenwert einzu-räumen.

Es ist zu klären: Wann schlägt der Respektvor der Autonomie eines psychisch erkrank-ten Menschen in unterlassene Hilfeleistungum?

Es bedarf auch einer Diskussion darüber,warum in Deutschland diese Versorgungs-lücke gerade für schwer erkrankte Men-schen besteht, warum sich niemand dafürzu interessieren scheint. Sind es finanzielleGründe? Ist es für die ambulante Psychiatriebequemer, sich mit leichteren Fällen zu be-fassen? Sind es die Erfahrungen der NS-Zeit,die Ermordung unzähliger erkrankter oderbehinderter Menschen, die Handlungen ge-gen den ausdrücklichen Willen des erkrank-ten Menschen zu verbieten scheinen?

Noch steckt die Umsetzung der UN-BRKin den Kinderschuhen. Wird sie in der Zu-kunft zu einer Verbesserung der Situationund Prophylaxe von Zwang in der Psychia-trie führen?

In unserem Diskussionsforum www.forum-der-psychiatrie.de stellen wir auchdiese Fragen zur Diskussion. Wir wünschenuns einen regen Austausch. �

Dr. Hans Joachim Meyer ist Vorsitzender des Landes-verbandes der Angehörigen psychisch Kranker Ham-burg.

Angehörigenbewegung | Psychosoziale Umschau 032015 | 41

Durch aufsuchende Hilfsangebote lässt sich ein Vertrauensverhältnis zum Betroffenen aufbauen, um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.

Foto: Ernst Fesseler

»Die Angehörigengruppe« – das ist ein Buchaus dem Jahr 1984, herausgegeben von As-mus Finzen und Matthias C. Angermeyerund zurückzuführen auf einen Kongress derFamilien psychisch Erkrankter. Die Heraus-geber hatten sich damals vorgenommen,in einem Sammelband den Stand derSelbsthilfeinitiativen sowie die Gruppenar-beit mit Angehörigen im deutschsprachi-gen und internationalen Raum darzustel-len. Ein Teil der dort erschienen Abhand-lungen sind die auf dem Kongress vorge-tragenen Tagungsbeiträge. Der Titel wurdenun verdienstvollerweise von ReinhardPeukert gescannt und ist, ebenso wie Pro-fessor Peukerts Einschätzung des Textes, imArchiv des BApK abrufbar. Der Landesver-band der Angehörigen Hamburg hat dasBuch sowie Peukerts Kommentar in der Ru-brik »Presseinfos« verlinkt.

Seit seinem Erscheinen vor 31 Jahren hatder Sammelband nichts von seiner Aktua-lität eingebüßt – im Gegenteil. Die bren-nenden Themen der ehemaligen »Störfak-toren« und »Krankheitsmitverursacher«sind heute wie damals vielfach dieselben –etwa das Ringen um tieferes Verständnisbei den professionell Tätigen, die Abnei-gung gegenüber gewissen Theorien undIdeologien oder auch die enormen Belas-tungen, denen die Familien ausgesetzt sind,sowie ihre Bemühungen, sich Entlastung

zu verschaffen. Immer noch haben Ange-hörige nicht den Eindruck, in die Behand-lung miteinbezogen zu werden, obwohldies bereits 1982 als Anspruch formuliertwurde. Auch die Herausgebenden wiesendringend darauf hin, dass mit einer schnel-len Entlassung aus der Psychiatrie alleinund ohne flankierende Maßnahmen nichtserreicht sei. Und auch schon damals littenAngehörige unter einer gewissen Janusköp-figkeit des Hilfesystems: Einerseits wurdensie gern als kostenlose »Profis« und lebens-lange Stützpfeiler des erkrankten Familien-mitgliedes in Anspruch genommen – ge-rade im Hinblick auf die Öffnung der Psy-chiatrie nach draußen – andererseits sig-nalisierte man ihnen, sich am besten ausallem rauszuhalten. Gerade letzteres warnicht sehr einfach, wenn der erkrankteMensch spontan und unangekündigt ausder Psychiatrie entlassen wurde, was auchheutzutage noch vorzukommen scheint.

Doch es gab auch etliche Helfer und Hel-ferinnen, die sich über die schwierige Rolleder Familienmitglieder im Klaren warenund die Angehörigen bei dem Versuch un-terstützen, sich in Selbsthilfegruppen ge-genseitig Mut zu machen. Dabei blickte mansehr wohl über Landesgrenzen – der Anstoßzum eigenen Blick auf die Angehörigen kamvor allem aus dem Ausland, dies zeigen dieBeiträge aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Österreich und den USA.

Die Psychiatrie konnte durch die Anre-gungen der Angehörigen sicherlich ihrenBlick weiten und nahm nun auch die Inter-aktionen in den Familien ins Visier. Damalsreichten die therapeutischen Interventionensehr weit, doch inzwischen befremdet es dieAngehörigen eher, wenn Profis ihnen ge-genüber eine therapeutische Haltung ver-treten.

Schon damals diskutierte man, wie offenman in den Selbsthilfegruppen der Ange-hörigen sein könne, durchaus sprach manüber eigene familiäre Prozesse, jedoch striktunter Zurückweisung bestimmter therapeu-tischer Schulen, die in der FamiliendynamikBetroffener die Ursachen der Krankheit sa-hen. Das Gespenst der Schuld ging in denFamilien und Gruppen um – unter demDruck eines schlechten Gewissens neigtenAngehörige dazu, sich nunmehr für die Be-troffenen aufzuopfern; ein Verhalten, dasnie gänzlich verschwunden zu sein scheint.

Die Auseinandersetzung von Profis und An-gehörigen führte aber auch dazu , dass mannicht mehr versuchte, Letztere zu verändern,sondern zunehmend mit ihnen gemeinsamherauszufinden versuchte, warum sie be-stimmte Dinge stören und wie sich im Zu-sammenhang damit verhalten.

In diesem Zusammenhang sind die Er-gebnisse der Low-Expressed- und High-Expressed-Emotionsforschung wichtig. DerZusammenhang von High-Expressed-Emo-tions (überemotional engagierte oder über-kritische Angehörige) und vermehrtemRückfall wurde damals gesehen, doch dieRichtung des Zusammenhangs wird heuteanders interpretiert: Es seien nun vornehm-lich die besonders belasteten und belasten-den Patienten und Patientinnen, die im so-zialen Umfeld High-Expressed-Emotions mitder dann erhöhten Rückfallrate auslösen.

Interessant sind im Sammelband auch dieunterschiedlichen Krankheitskonzepte derFamilien, mit dem je unterschiedlichen Hos-pitalisierungsrisiko: Glaubte man den Ärz-ten bzw. Ärztinnen besonders rigide, wardie erneute Aufnahme wahrscheinlich, imGegensatz zu Familien, die die psychi-atrisch/medizinische Sicht eher nicht über-nahmen oder die in der Erkrankung einerein körperliche Funktionsstörung sahen.

Durchaus selbstkritisch gingen die Helferund Helferinnen in den Kongressbeiträgenmit sich ins Gericht. Die unbarmherzige Tä-tertheorie der ersten Stunde habe zu einerEinteilung in Verursacher und Opfer ge-führt, mit der beide Seiten nur sehr schwerleben könnten und die außerordentlich kon-traproduktiv sei.

Die zentrale Forderung der Angehörigen(und auch der Betroffenen) ist seit 1984 diegleiche geblieben, nämlich der Ausbau am-bulanter Dienste zur Hilfe in Krisenzeiten.Weiter wünschen sich Angehörige ernst ge-nommen zu werden, eine aktive Unterstüt-zung beim Erreichen ihrer Ziele, auch beisolchen, mit denen Helfer oder Helferinnennicht unbedingt übereinstimmen; sie wün-schen sich zudem einen Vertrauensvor-schuss und wollen nicht bedrängt, sondernüberzeugt werden. �

Buch und Kommentare sind hier zu finden:http://www.psychiatrie.de/bapk/historie/ undhttp://www.lapk-hamburg.de/index. php/presseinfo/wer-wir-sind/226-zur-geschichte-der-angehoerigenbewegung

42 | Psychosoziale Umschau 032015 | Angehörigenbewegung

Die Anfänge der AngehörigenbewegungHistorisches Buch im Archiv des BApK abrufbar Von Margit Weichold

Nadine Bull, Christine Poppe (Hg.):Zuhören, informieren,einbeziehenLeitfaden für die Arbeitmit Angehörigen in derPsychiatrie216 Seiten, 29,95 Euro (print) ISBN: 978-3-88414-594-423,99 ¤ (ebook)ISBN ebook: 978-3-88414-862-4

Angehörige psychisch erkrankter Menschen bietenden Betroffenen Rückhalt, wirken stabili sierendund präventiv. Dieser Leitfaden hilft professionellTätigen, Angehörige als Partner im Genesungs -prozess zu betrachten und einzubeziehen.

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In Baden-Württemberg gibt es seit Januar2015 ein Psychisch Kranken Hilfe Gesetz(PsychKHG). Nach vielen Jahren hatte sichdas Land entschlossen, Unterbringungenund Hilfen einheitlich zu regeln. Das H, dasin den älteren Gesetzen anderer Bundes-länder fehlt, spielt demnach eine bedeu-tende Rolle. Und damit auch die Frage derVernetzung und der Partizipation der Psy-chiatrie-Erfahrenen und der Angehörigen.Sowohl der Gemeindepsychiatrische Ver-bund als auch die Interessensvertretung derBetroffenen wurden im PsychKHG veran-kert. Letztere vor allem durch die verbindli-che Beteiligung an sogenannten Informa-tions-, Beratungs- und Beschwerdestellen(IBB). So erfreulich diese Entwicklung ist, sowichtig ist nun die Gewinnung von Psy-chiatrie-Erfahrenen und Angehörigen fürdiese Stelle sowie die Gremien im Gemein-depsychiatrischen Verbund (GPV).

Die nachfolgenden Überlegungen zur För-derung von Partizipation und Interessen-vertretung der Selbsthilfe in Baden-Würt-temberg sind aus einem Gesprächsprozessentstanden, den Rainer Höflacher am Randeder Tagung zur Vorstellung des neuen Psy-chisch-Kranken-Hilfegesetzes für Baden-Württemberg am 29. Januar 2015 in Stutt-gart initiiert hat. Daran waren beteiligt Rainer Höflacher, Michael Konrad, BarbaraMechelke-Bordanowicz und Georg Schulte-Kemna.

Anlass

Es gibt einen zunehmenden und nichtselbstverständlich abzudeckenden Bedarfan Beteiligung und Vertretung der Betrof-fenenperspektive (Psychiatrie-Erfahreneund Angehörige) im Kontext der Sozialpsy-chiatrie. Dafür gibt es insbesondere zweiaktuelle äußere Anlässe:� Der Umsetzungsprozess zur UN-BRK

führt auf den verschiedenen Ebenen(kommunal, Land, Bund sowie inner-halb von Trägerorganisationen und Verbänden) vielfältig zur Entwicklungvon Aktionsplänen, die in partizipativenArbeitsformen erarbeitet werden.

� Das neue PsychKHG in Baden-Württem-berg installiert ein partizipatives Bera-tungs- und Beschwerdewesen (Informa-tions-, Beratungs- und Beschwerdestel-len, IBB). In diesem Zusammenhang

werden in allen Kreisen Interessenver-treter gesucht.

Für die Sozialpsychiatrie verschärft sich da-mit ein Problem, das auch bisher schon imRahmen der örtlichen GPV-Strukturen vie-lerorts sichtbar wurde: Es gibt nicht so vielePsychiatrie-Erfahrene und Angehörige, diezur Wahrnehmung solcher Rollen der Inte-ressenvertretung sowohl bereit als auch inder Lage sind. So ist festzustellen, dass esnicht in allen Kreisen überhaupt organi-sierte Psychiatrie-Erfahrene und organi-sierte Angehörige gibt. Ferner gibt es dieErfahrung, dass manche Gruppen nicht sta-bil sind oder keine Resonanz mehr finden.Die eigentlich wünschenswerte Mitwir-kung auch in Arbeitsgruppen u. ä. im Ge-meindepsychiatrischen Verbund (GPV) per-sonell sicherzustellen, ist vielen Selbsthil-fegruppen von Angehörigen wie von Psy-chiatrie-Erfahrenen kaum möglich.

Das schafft Anlass, darüber nachzuden-ken, wie diese Situation verbessert werdenkann. Das wiederum erfordert auch ein Be-denken, was Partizipation und Interessen-vertretung bedeuten. Das Hauptanliegendieses Papiers ist es, herauszuarbeiten, wieProfessionelle als Personen und als Institu-tionsvertreter partizipationsförderlich wir-ken können und es ist auch als Appell ge-meint, in diesem Sinne tätig zu werden undsich dafür in die Pflicht nehmen zu lassen.Interessenlagen, Blickwinkel und Betroffen-heiten von Psychiatrie-Erfahrenen, Angehö-rigen und Professionellen sind zunächst ein-mal unterschiedlich; notwendig ist daherein kontinuierlicher Austausch und Ab-gleich, um selbsthilfefreundliche und par-tizipationsfördernde Bedingungen zu schaf-fen.

Partizipation als Errungenschaft und Herausforderung

Partizipation ist immer – und gerade auchin der Psychiatrie – eine erkämpfte Errun-genschaft. Die Wahrnehmung von Partizi-pation, das Auftreten als Interessenvertre-tung ist Ausdruck von Selbstbewusstseinund Zugehörigkeit. Gelebte Partizipationführt zu neuen Erfahrungen, zu einer Hori-zonterweiterung, zu Wissenszuwachs, zuneuen Gestaltungsmöglichkeiten. Sie bringtgesellschaftliche Anerkennung und persön-liche Erfahrungen von Sinn mit sich.

Gleichwohl funktioniert sie nicht selbst-verständlich und voraussetzungslos. Zur In-teressenvertretung motivierte Personen las-sen sich nicht durch bloße Appelle oder Auf-rufe finden. Die Übernahme von Aufgabender Interessenvertretung setzt Einbindungin Gruppenzusammenhänge voraus, in de-nen Betroffenheiten zunächst geschütztausgesprochen, Interessenlagen reflektiertund Prioritäten gebildet werden können, be-vor sie öffentlich artikuliert werden. Das giltgenerell für alle Bürgerinnen und Bürger,die sich beispielsweise auf der kommunalenEbene an Planungsprozessen oder derglei-chen beteiligen oder sich gegen staatlichesHandeln wehren wollen. Für Psychiatrie Er-fahrene oder Angehörige von Menschen miteiner psychischen Erkrankung ist diese Ein-bindung noch wichtiger, denn die offenbarwerdende Berührung mit der Psychiatriekann auch heute noch stigmatisierende Ef-fekte haben – das diesbezügliche Outing,das mit der Wahrnehmung von Partizipati-ons- und Interessenvertretungsaufgabenverbunden ist, ist daher eine eigene Hürde,die reflektiert und bewältigt werden will.

Im sozialpsychiatrischen Kontext könnenMotivation und Kompetenz zur Interessen-vertretung sowie die notwendige Einbin-dung und Unterstützung insbesondere in� Selbsthilfegruppen der Psychiatrie -

erfahrenen bzw. der Angehörigen, inPsychose-Seminaren oder auch in ange-leiteten Gesprächsgruppen aus der Verarbeitung der eigenen Erfahrungenheraus und/oder in

� informellen Gruppen oder förmlichenpartizipativen Gremien in Einrichtun-gen bzw. Versorgungsnetzen (Heimbei-rat, Werkstattrat usw.)

entstehen und gefördert werden. Die Teil-nahme an einer Selbsthilfegruppe oder aneinem Psychose-Seminar beinhaltet abernicht automatisch Bereitschaft und Kom-petenz zur Interessenvertretung: Motiv fürdie Teilnahme ist zunächst die Bewältigungder je eigenen Lebenssituation. Von hier ausist es ein nächster großer Schritt, zu einerPerspektive der Interessenvertretung zukommen, denn das bedeutet die Einord-nung der je eigenen Betroffenheit in einengrößeren Zusammenhang, das bedeutet diePrüfung der Verallgemeinerbarkeit von be-stimmten Erfahrungen, das bedeutet dasAufnehmen auch von Aspekten, die nicht

44 | Psychosoziale Umschau 032015 | Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener

Partizipationsförderung und Interessenvertretung in der Sozialpsychiatrie sichern AG Partizipation

unbedingt der ganz persönlichen, eigenenBetroffenheit entsprechen, was als Relati-vierung der eigenen Erfahrungshinter-gründe empfunden werden kann.

Unterstützungsmaßnahmen für eine partizipative Kultur in der Region

Selbsthilfe und Interessenvertretung sindwesensgemäß Akte der Selbstermächti-gung – dies kann durch Professionelle nichtersetzt oder inszeniert werden. Partizipa-tion ist auch für Professionelle und für diesozialpsychiatrischen Einrichtungen undDienste eine Herausforderung, denn es liegtin der Natur von Selbstermächtigung, dassdaraus entstehende Positionierungen nichtohne weiteres mit den Positionen der Pro-fessionellen und der Interessenlage von In-stitutionen verträglich sind. Gleichwohldürfte es in der sozialpsychiatrischen Fach-szene im Bewusstsein dieser Ambivalenzeinen breiten Konsens geben, dass die Aus-gestaltung und Weiterentwicklung des re-gionalen Hilfesystems in partizipativerForm notwendig ist. Für die Gemeindepsy-chiatrischen Verbünde gilt das noch nichtmit ähnlicher Allgemeinheit; es gibt Kreise,in deren Verbundstrukturen die Beteiligungvon Betroffenenvertretungen bisher nichtselbstverständlich ist.

Die Frage stellt sich daher, was die Pro-fessionellen, Einrichtungen und Diensteund letztlich auch GemeindepsychiatrischeVerbünde tun können und sollten, um einereflexive und partizipative Kultur vor Ort zuetablieren. Das bezieht sich nicht nur aufHaltung, sondern bedeutet auch ganz kon-krete Aktivitäten. Dafür gibt es eine Reihevon Ansatzpunkten (die natürlich nicht al-ternativ, sondern sich wechselseitig ergän-zend zu verstehen sind).

Partizipative Kultur der individuellen Hil-feplanung und Unterstützung: Die Ausge-staltung der Verfahren zur Abstimmung derindividuellen Unterstützung prägt grundle-gend die Kultur der Einrichtungen undDienste und des regionalen Hilfesystems.Dazu ist in den letzten zwanzig Jahren unterdem Schlagwort »Personenzentrierung« vielProgrammatik entwickelt und in vielen Re-gionen auch eine Menge umgesetzt worden,darauf kann hier nur verwiesen werden.

Hilfeplanungsbesprechungen unter Ein-beziehung von Angehörigen und anderenwichtigen Bezugspersonen (»Helferkonfe-renz«), regionale Hilfeplankonferenzen, einzwischen dem klinischen und außerklini-schen Bereich abgestimmtes Übergangsma-nagement – das sind Komponenten einer

sozialpsychiatrischen Kooperationskultur,die zur Selbstvertretung ermutigen und he-rausfordern.

Praktische Förderung von Selbsthilfe: Esbraucht dauerhaft und verlässlich Orte undGelegenheiten, wo in geschützten Gruppen-situationen das Sprechen über und der Aus-tausch von Erfahrungen mit Erkrankungs-und Gesundungsprozessen möglich ist undangeregt wird: wo das Artikulieren der ei-genen Erfahrungen ermuntert und das Hö-ren auf die (womöglich ganz anderen) Er-fahrungen anderer eingeübt wird. Vielerortssind das trialogisch organisierte Psychose-Seminare – aber das Einüben und Kultivie-ren des Teilens von Erfahrungen und desZuhörens ist nicht an eine bestimmte Formgebunden – beispielsweise kann es auch einWeg sein, einen Gesprächskreis speziell fürAngehörige oder speziell für die Psychiatrie-Erfahrenen als (zunächst) professionell ge-leitete Gruppe aufzubauen. Daraus kannsich dann eine Selbsthilfegruppe entwickeln– muss aber nicht. Es braucht oft mindestensin der Startphase einzelne Personen, die alsKatalysatoren fungieren und den geschütz-ten Raum sicherstellen. Solange es keine sta-bilen Formen organisierter Selbsthilfe gibt,in denen dies in Eigenregie sichergestelltwird, liegt hier eine unverzichtbare Aufgabeder Professionellen.

Praktizierte Partizipation bei der Alltags-gestaltung in Einrichtungen und Diensten:Es ist wichtig, dass in den Einrichtungen

und Diensten jeweils partizipative Arbeits-formen entwickelt werden, indem die Klien-tinnen und Klienten systematisch in die All-tags- und Programmgestaltung einbezogenwerden: Gruppengespräche in der Wohn-gruppe, Programmgestaltung in der Tages-stätte usw. Es ist wichtig, dass Gremien wieHeimbeirat, Werkstattrat usw. auch tatsäch-lich eingerichtet und im Alltag ernst genom-men werden und dass darüber Erfahrungenmit »Interessenvertretung im Nahbereich«gesammelt werden können.

Begleitende Unterstützung für Interessen-vertretungen: Personen, die in regionalenGremien InteressenvertretungsaufgabenPartizipationsförderung und Interessenver-tretung in der Sozialpsychiatrie wahrneh-men, benötigen Unterstützung: Sie habenoft zusätzlichen Informationsbedarf (dieProfessionellen, die Vertreter von Trägernund Verwaltung haben immer einen Infor-mationsvorsprung), sie haben Austausch-bedarf und benötigen u. U. auch Begleitungzur Wahrnehmung der Rolle.

Benennung eines »Hüters des Partizipati-onsgedankens«: Es gehört zur Verantwor-tung des Gemeindepsychiatrischen Verbun-des, zu den vorstehenden Aspekten träger-übergreifend Absprachen herbeizuführen.Im Umsetzungsprozess zum PsychKHG wirdes u. a. auch überall notwendig sein, die Rolleder örtlichen Informations-, Beratungs- undBeschwerdestellen zu konkretisieren undauszugestalten. Es ist dringend wünschens-

Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener | Psychosoziale Umschau 032015 | 45

In Selbsthilfegruppen erfahren psychisch erkrankte Menschen gegenseitige Unterstützung.

Foto: Theo Gerhards, LVR

wert, dass es in der Region eine Stelle gibt,die sich ausdrücklich als Hüter des Partizi-pationsgedankens versteht, die in dieserRolle auch anerkannt wird und die die nöti-gen Klärungen anstößt; es wäre sehr nahe-liegend, dass diese Aufgabe von der für dieörtliche Psychiatriekoordination bzw. Sozi-alplanung zuständigen Person wahrgenom-men wird, solange dazu keine andere Rege-lung getroffen ist.

Klärung der Finanzierung von Interessen-vertretung: Die Wahrnehmung von Partizi-pations- und Interessenvertretungsaufga-ben erfordert Aufwand, verursacht Kosten.Gerade für Psychiatrie-Erfahrene, von denenviele mehr oder weniger auf Grundsiche-rungsniveau leben, aber auch für Angehö-rige mit niedrigem Einkommen gibt es hiereinen deutlichen Klärungsbedarf: Es brauchteine Verständigung auf tragfähige Regelun-gen zu Aufwandsentschädigungen und Honorierungen für die unterschiedlichenAufgaben und es muss außerdem über For-men der Unterstützung der Selbsthilfeorga-nisationen (z.B. durch Fördermitgliedschaf-ten) nachgedacht werden.

Übergreifende Unterstützungsmaßnahmen

Die Unterstützung in der Region mussdurch Formen der Begleitung und Qualifi-zierung ergänzt werden, die überregionalorganisiert werden können und die im Zu-sammenwirken zwischen den Verbändender Psychiatrie-Erfahrenen und der Ange-hörigen und den einschlägigen Fachverbän-den abgestimmt werden sollten. Dabeikann auf vielfältig vorliegende Erfahrungenaufgebaut werden.� Die EX-IN-Qualifizierung ist sicher eine

hervorragende Form der Qualifizierungdurch Peers und eine gute Zurüstungauch für die Rollenfindung im Bereichder Interessenvertretung.

� Der Landesverband Gemeindepsychia-trie hat schon vor Jahren einen Seminar-typ »Brücken bauen lernen – ehrenamt-lich Handeln für psychisch kranke Men-schen – Fortbildung, Selbstreflexion, Erfahrungsaustausch« entwickelt, dersich unmittelbar auf die Situation vonBürgerhelfern bezieht, der aber auch Anregungen für die hier zu klärendenFragen geben kann.

� Der Landesverband Psychiatrie-Erfahre-ner und der Landesverband Gemeinde-psychiatrie veranstalten schon seit vie-len Jahren jährlich eine gemeinsame Tagung zu Psychiatriethemen (»Regio-Tagung«). Auch die Angehörigenbewe-

gung hat eigene Erfahrungen mit unter-stützenden Seminarformen.

� In den letzten Jahren ist es zunehmendselbstverständlich geworden, dass Ta-gungen der psychiatrischen Fachver-bände und der Akademien auch für An-gehörige und Psychiatrie-Erfahrene of-fen sind, teilweise auch mit ihnen ge-meinsam vorbereitet werden.

� In Anbetracht der teilweise durchauskomplexen Themen, die im Zuge der Erstellung von kommunalen Teilhabe-plänen zu bearbeiten sind und die zu-mal in Anbetracht der bevorstehendenEingliederungshilfereform auf Jahre hinzu bearbeiten sein werden, ist zu prüfen,ob bzw. welche speziellen Veranstal-tungs- und Seminarangebote zu aktuel-len sozialpolitischen und sozialrechtli-chen Themen zu entwickeln sind.

Ein deutliches Unterstützungssignal auf Landesebene

Wünschenswert erscheint ein deutlichesSignal von der Landesebene her in die Re-gionen, dass in der Unterstützung vonSelbsthilfe und Interessenvertretung einezentrale Aufgabe der Professionellen undder jeweiligen regionalen Kooperations-strukturen liegt. Die Aktualität und Not-wendigkeit in Zusammenhang mit demUmsetzungsprozess des neuen PsychKHGliegt unmittelbar auf der Hand.

Vorgeschlagen wird zu diesem Zweck eineTagung, die sich mit dem Thema »Förderungvon Selbsthilfe und Interessenvertretung alsAufgabe in der Sozialpsychiatrie« beschäf-tigt. Als Veranstalter einer solchen Tagung(als Tagesveranstaltung in Stuttgart) würdesich eine Kooperation von der AG Verbund-entwicklung, dem Landesverband der Psy-chiatrie-Erfahrenen und dem Landesver-band der Angehörigen anbieten. Diese Ta-gung soll die verschiedenen Aspekte vonSelbsthilfeförderung und Interessenvertre-tung behandeln, zum Erfahrungsaustauscheinladen und Umsetzungsanregungen ge-ben. Dabei soll der explizite Psychiatriebe-zug durchgängig erhalten bleiben; eine Ver-anstaltung zu Selbsthilfe im Allgemeinenist nicht beabsichtigt. Die Tagung wird unterorganisatorischen Gesichtspunkten vermut-lich nicht vor dem 4. Quartal 2015 stattfin-den können, sie sollte spätestens im 1. Quar-tal 2016 stattfinden.

Ein Ergebnis einer solchen Veranstaltungkönnte eine Handreichung zur Förderungvon Selbsthilfe und Interessenvertretung imRahmen von Gemeindepsychiatrischen Ver-

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bünden sein. Das würde Raum zur Entwick-lung einer gemeinsamen Sprache und zurErörterung inhaltlich noch klärungsbedürf-tiger Themen (wozu beispielsweise die Fra-gen der Finanzierung gehören) bieten, eineauf diesem Wege zustande gekommene Ar-beitshilfe hätte den Vorteil, nicht einfachvon oben/außen auf die Regionen nieder-zugehen, sondern in einem gemeinsamenDiskussionsprozess entstanden zu sein.

Die AG Verbundentwicklung ist eine of-fene AG, in der Vertreter von Kreisen mitentwickelten GPV-Strukturen seit dem Im-plementationsprojekt zum personenzen-trierten Ansatz zusammenarbeiten, undzwar jeweils unter Einbeziehung sowohl derkommunalen wie der Trägerseite sowie un-ter Einbeziehung auch einer Vertretungs-person der Liga der Freien Wohlfahrtspflege.

In der Auswertung einer solchen Veran-staltung wird dann auch zu klären sein, obes eine dauerhafte Arbeitsgruppe zumThema Selbsthilfe und Interessenvertretungbraucht, die Austausch und Impulse orga-nisiert.Das Thema »Partizipation in der Sozialpsy-chiatrie« ist umfassend und komplex. Dervorstehende Text befasst sich mit einem

Ausschnitt davon. Es geht hier speziell umdie Partizipation der von Psychiatrie direktBetroffenen an den sie betreffenden Ent-scheidungsprozessen. Das bezieht sich aufdie Beteiligung sowohl an den Entschei-dungsprozessen zur individuellen Hilfe alsauch an den Entscheidungsprozessen zurWeiterentwicklung des Hilfesystems. DirektBetroffene – das sind die (potenziellen) Pa-tienten bzw. Klienten und ihre Angehöri-gen. Es geht darum, aus dieser Perspektivespezifische Erwartungen an die Professio-nellen zu formulieren, genauer gesagt Er-wartungen an die Professionellen als Han-delnde im Einzelfall wie auch als Vertreterihrer Institutionen sowie Erwartungen andie Gemeindepsychiatrischen Verbünde.

Und die Bürgerhilfe?

Für die Entwicklung einer sozialen Psychia-trie waren, sind und bleiben Formen zivil-gesellschaftlicher Anteilnahme und zivil-gesellschaftlichen Engagements von großerBedeutung: als Unterstützung und als Ge-genüber der Reformbewegungen »von in-nen heraus«. Dazu gehören die Selbsthilfe-bewegungen von Psychiatrie-Erfahrenen

und Angehörigen, dazu gehört die organi-sierte sozialpsychiatrische Bürgerhilfe undauch das Engagement beispielsweise vonKirchengemeinden, Vereinen, Stiftungenusw. Auch Bürgerhilfegruppen berichtenüber Nachwuchsschwierigkeiten und man-che klagen auch darüber, dass sie in Berei-chen, in denen ihr Engagement genutztwird, dennoch nicht oder nicht ausreichendin Diskussions- und Entscheidungsprozesseeinbezogen werden. In den fachlichen De-batten der Sozialpsychiatrie spielt gegen-wärtig die Sozialraumorientierung einegroße Rolle, im politischen Raum geht esüberall um die Konkretisierung der globa-len Inklusionsprogrammatik (im Sinne derUN-Behindertenrechtskonvention) zu Akti-onsplänen auf kommunaler, auf Landes-,auf Trägerebene. Gerade in diesem aktuel-len Zusammenhang sind die unterschied-lichen Formen von Bürgerhilfe in der Sozi-alpsychiatrie, die Werbung zum Mitmachenin Projekten der Bürgerhilfe und die Ein-bindung von Bürgerhilfeprojekten in GPV-Strukturen eigenständige und gewichtigeThemen, die auch eine eigenständige Be-handlung erfordern und verdienen. �

Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener | Psychosoziale Umschau 032015 | 47

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An die Geburt ihrer Tochter Maja erinnertsich Verena Ahlers (Name geändert) mitGrausen. Es gab zahlreiche Komplikationenund wenig Beistand. Als ihr Wunschkindnach vielen Stunden endlich auf der Weltwar, flossen die Tränen. Das ist nur die Er-schöpfung nach der anstrengenden Geburt,dachte die junge Mutter. »Ich hab auf Glücks -gefühle gewartet, aber da kam nichts.«Stattdessen musste sie immer weiter wei-nen, die Erschöpfung ließ nicht nach, undschließlich quälten die Münchnerin auchnoch so starke Beklemmun-gen, dass sie glaubte, einenHerzinfarkt zu erleiden.

Keine 24 Stunden, nachdemsie aus der Wöchnerinnensta-tion entlassen worden war,stand Verena Ahlers – beglei-tet von ihrem besorgten Mann– wieder in der Klinik. Dochdort versicherte man ihr, esfehle ihr nichts außer einembisschen Eisen.

»Wochenlang habe ich un-ter meiner gedrückten Stim-mung, unter Panikschüben,ständiger Unruhe undZwangsgedanken bis hin zuSuizidideen gelitten, und niemand hat ge-merkt, dass ich eine Wochenbettdepressionhatte«, denkt die 37-Jährige an die schlimmeZeit vor fünf Jahren zurück. »Als ich dannträumte, ich würde meinem Kind ein Kissenaufs Gesicht drücken, schlug ich selberAlarm. Eine Kinderkrankenschwester, derich alles erzählte, organisierte einen Platzauf einer Mutter-Kind-Station in der Psy-chiatrie.« Dreieinhalb Wochen war sie da-mals in der Klinik, die Ärzte gaben ihr Medikamente gegen die Angst und die De-pressionen, und schließlich konnte sie lang-sam das empfinden, was sie in der Zeit nachder Geburt so schmerzlich vermisst hatte:Freude über ihr Kind.

»Damit konnte ich aber noch keinenSchlussstrich unter diese furchtbare Zeit zie-hen. Ich hatte einiges zu verarbeiten. Undgleichzeitig mochte ich mit kaum jeman-dem darüber sprechen.« Zum Glück hatteVerenas Mann da schon Kontakt zu einerSelbsthilfegruppe von »Schatten und Licht«aufgenommen. »Da bin ich dann hin undes hat mir ungeheuer gut getan, über mein

Erleben sprechen zu können«, erzählt Ve-rena Ahlers. »Alle Frauen da haben genauverstanden, wovon ich spreche, und das warso tröstlich zu wissen: Ich bin nicht die Ein-zige.«

Aufklärung, die Menschen retten kann

Tatsächlich leiden in Deutschland jedes Jahrrund 100.000 Frauen unter psychischenStörungen rund um die Geburt. 10–20% al-ler Mütter sind von einem Stimmungstief

betroffen, das länger dauert und tiefer istals der häufig auftretende Babyblues. Einebis drei Frauen von tausend entwickeln so-gar eine Psychose. Eigentlich sind diese pe-ripartalen Störungen gut behandelbar. Aberdass Mütter nach der Geburt in einen dunk-len Abgrund stürzen können, ist immernoch ein Tabu. Mit der Folge, dass ihr Leidoft gar nicht oder erst spät erkannt wird,dass Erkrankungen unnötig schwer verlau-fen, Betroffene falsch behandelt werden,Mutter-Kind-Bindungen leiden und man-che Mütter sogar derart verzweifeln, dasssie sich und ihr Kind umbringen.

Dies zu ändern hat sich »Schatten undLicht« zum Ziel gesetzt. Die 1996 von betrof-fenen Frauen gegründete Selbsthilfeorgani-sation möchte das Tabu um die traurigenMütter aufbrechen und Rat und Hilfe fürBetroffene leicht zugänglich machen.

»Wir bieten Aufklärung, bundesweit Kon-takte zu Betroffenen, Selbsthilfegruppen,Ärzten und anderen Fachleuten, telefoni-sche Beratung und vieles mehr«, erklärt An-drea Heider-Rieth, die eine der beiden

48 | Psychosoziale Umschau 032015 | Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener

Sprechen über ein TabuIn den Selbsthilfegruppen des Vereins »Schatten und Licht« finden Mütter mit Wochenbettdepressionen Verständnis und Trost Von Cornelia Schäfer

Münchner Selbsthilfegruppen leitet. Dasses in den Gruppen von »Schatten und Licht«feste – wenngleich ehrenamtliche – Leite-rinnen gibt, hat damit zu tun, dass die Mit-glieder dort stark fluktuieren. Viele schaffenes wegen ihrer kleinen Kinder nur spora-disch zu kommen, andere bleiben weg, so-bald es ihnen besser geht.

Die Leiterinnen sichern also die Kontinui-tät, aber ihre Erfahrung ist auch gefragt,wenn frisch Betroffene mit starken Gefüh-len in die Gruppe kommen, wenn viele Trä-

nen fließen und auch bei an-deren Teilnehmerinnen ver-gangener Schmerz wiederwach wird. »Wir können na-türlich keine Therapie erset-zen«, sagt Andrea Heider-Rieth. »Aber wir geben denFrauen Raum und fangen siein ihrem Kummer auf.«Schwer zu bewältigen sei vorallem die Erkenntnis, dem ei-genen Kind etwas schuldiggeblieben zu sein und auchselbst etwas Unwiederbring-liches versäumt zu haben.

Aber in der Selbsthilfe-gruppe werden nicht nur Ge-

fühle aufgearbeitet. Oft geht es auch umden Austausch von Informationen: Wo gibtes eine Ärztin, die sich mit der Wochenbett-depression auskennt? Wer weiß Rat im Um-gang mit einem Schreikind? Und wie kannman sich im Falle einer erneuten Schwan-gerschaft so auf die Geburt vorbereiten, dasseine anschließende psychische Krise un-wahrscheinlicher wird? »Auch wenn bei ei-ner Krise im Umfeld der Geburt meistensviele verschiedene Ursachen zusammenkommen, gilt eine ungestörte, selbst be-stimmte Geburt als ein wichtiger Schutz-faktor«, weiß Heider-Rieth.

Verena Ahlers – die der Gruppe übrigenstreu geblieben ist – hat die Geburt ihreszweiten Kindes dann auch sorgsam vorbe-reitet. »Ich habe mir eine Geburtsbegleiteringenommen und mein Mann ist nach derGeburt drei Monate zu Hause geblieben.Dieses Mal ist alles gut verlaufen«, freut siesich. »Und ich habe gemerkt: Mutterglücks-gefühle gibt’s ja doch!« �Mehr Informationen unter www.schatten-und-licht.de

über Meinungsführenden und Meinungs-wächtern und Meinungswächterinnen ge-prägt. Das hat ihm nicht nur Freunde, son-dern auch einige Gegner beschert. Darunterhat er gelitten, ohne jedoch seine Überzeu-gungen zu ändern oder zu leugnen.So hat er in seiner unnachahmlichen Weiseauch unbequeme Wahrheiten präsentiert:freundlich und zugewandt im Ton, aberunbeugsam in der Sache. Klaus Laupichlerhat seinen sehr unterschiedlichen Ge-sprächspartnern und Gesprächspartnerin-nen gegenüber eine Sprache gefunden, diesie dazu »verführte«, ihm vorurteilsfrei zuzuhören. Die »Methode Laupichler« be-ruhte darauf, nicht abstrakt zu argumen-tieren, sondern mit biografischen Schilde-rungen seinem Gegenüber komplexe Sach-verhalte zu verdeutlichen und es dazu zubringen, darin eine zutiefst menschlicheHaltung zu erkennen. So hat er vielen Men -schen Sichtweisen nahe gebracht, die ih-nen ohne eine Begegnung mit ihm fremdgeblieben wären. Dies war der Motor, der ihn immer wiedervon seinem Wohnort Herbrechtingen auf-brechen ließ, um für eine von Beziehungs-bereitschaft geprägte Psychiatrie zu werbenund zu kämpfen – trotz der von Jahr zu Jahrzunehmenden körperlichen Beschwerden,die für ihn jede Reise zu einer Strapazewerden ließen.Für all dies sind wir ihm dankbar! Wir haben einen liebenswerten Menschen, einen auf seine Art unnachahmlichenLehrmeister verloren.Viele seiner professionellen Begleiter undKooperationspartner bei Tagungen undWeiterbildungen, aus denen im Laufe derZeit Freunde wurden, erinnern sich an Pas-

sagen und komplette Erzählungen aus seinem wechselvollen Leben, mit denen erseine Meinungen und Positionen zu be-gründen pflegte. Wir haben beschlossen:Klaus hat zwar seine letzte Reise ohne unsbegonnen, aber sein Verstummen müssenund wollen wir nicht hinnehmen. Wirwerden seine erinnerten Erzählungen nie-derschreiben und der Nachwelt erhalten.Wir danken dem Menschenfreund KlausLaupichler für seine Standfestigkeit undLernbereitschaft und für seinen Kampf füreine menschenwürdige und ehrliche Aus-einandersetzung im psychiatrischen Dis-kurs. �Reinhard Peukert, Wiesbaden

Weitere Erinnerungen an Klaus Laupichler unter:www.LVPEBW.deKlaus Laupichler und Reinhard Peukert haben vieleWeiterbildungen und einige Vorträge gemeinsam gehalten; Klaus Laupichler wurde im Laufe der Zeit einFreund der ganzen Familie Peukert.

Kampagne »Kein Raum für Missbrauch«

Mehr Schutz für Kinder und Jugendlichevor sexueller Gewalt und mehr Sensibilitätfür das Thema: Dafür setzt sich die seit2013 laufende Kampagne »Kein Raum fürMissbrauch«, initiiert durch den Unabhän-gigen Beauftragten für Fragen des sexuel-len Kindesmissbrauchs, Johannes-WilhelmRörig, ein. Die drei wesentlichen Ziele derKampagne sind die flächendeckende Ein-führung und Weiterentwicklung vonSchutzkonzepten, eine stärkere Sensibili-sierung der Gesellschaft für die Gefahrendes sexuellen Kindesmissbrauchs und eineerleichterte Kommunikation über dasThema. Um dies zu realisieren, werden so-wohl Eltern als auch Fachkräfte ermutigt,Schutzkonzepte in Kindergärten, Tages-stätten und Schulen einzufordern. Dabeisoll es jedoch nicht darum gehen, General-verdächtigungen gegen Einrichtungenoder ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter auszusprechen. Vielmehr sollen mitdurchdachten Strukturen Qualitätsstan-dards gesetzt werden, um die Handlungs-spielräume von Tätern und Täterinnendeutlich einzuschränken. Zur Unterstüt-zung bietet die Homepage der KampagneInformationsblätter mit wichtigen Faktenzu sexuellem Missbrauch und Antwortenauf zentrale Fragen, wie »Was kann ichtun, wenn ich Missbrauch vermute?«, »Wiekann ich mit Kindern über das Thema

Kurz & knapp | Psychosoziale Umschau 032015 | 49

Klaus Laupichler, 06.02.1954 –16.04.2015

Kurz & knapp

Nachruf für Klaus Laupichler

Klaus Laupichler verstarb am 16.04.2015während einer Tagung in Erkner bei Berlinim Alter von 61 Jahren. Er war nicht nurVorsitzender des Landesverbandes der Psy-chiatrie-Erfahrenen in Baden-Württem-berg, Mitglied im erweiterten Vorstand derDeutschen Gesellschaft für Soziale Psy-chiatrie (DGSP), Mitglied im Gemeindepsy-chiatrischen Verbund des Landkreis Heiden -heim und Peer-to-Peer Berater am KlinikumHeidenheim – er war eine bedeutendeStimme im psychiatrischen Diskurs derBundesrepublik. 1965 erlebte Klaus Laupichler erstmals dienicht reformierte deutsche Nachkriegspsy-chiatrie, später absolvierte er zunächsteine kaufmännische Ausbildung undmachte dann das Abitur auf dem zweitenBildungsweg mit dem Ziel, Pfarrer zu wer-den. Er studierte Theologie und wechselteins Studium der Pädagogik. Psychische Er-krankung und Alkoholabhängigkeit war-fen ihn aus der Bahn. Er durchwanderteHöhen und Tiefen bis zur Obdach- undMittellosigkeit. Seine langjährigen Erfah-rungen in einem Wohnheim ließen ihn zueinem viel gefragten Experten für das Be-treute Wohnen werden. Sein Naturell, seine Erfahrungen und dieBegegnung mit Menschen, die er als be-deutsam für seine Entwicklung bezeichnete,machten ihn zu einem wichtigen »Lehr-modell« für die deutsche Psychiatrie: Werihn sah und ihn hörte, den verändertediese Begegnung.In Vorträgen und vielen Weiterbildungenhat er für einen humanen, fachlich geerde-ten und von wechselseitiger Akzeptanz getragenen Umgang in der Psychiatrie ge-worben und gestritten – dabei hat er sichnie der wohlfeilen Illusion hingegeben,eine Psychiatrie könne jemals ausschließ-lich von Selbstbestimmung und Freiheitgeprägt sein; dem stand für ihn die Tatsa-che der Krankheit entgegen. Mit Vehemenz stellte er sich dem Diskursmit anderen Psychiatrie-Erfahrenen, mitderen Angehörigen sowie mit professio-nellen Helfern und Helferinnen. Seine Bei-träge waren oft von Widerstandsfähigkeit(z. B. in der Zwangsdebatte) und Lernfähig-keit (z. B. in der Wohnheimdebatte) gegen-

Foto: Günther Berger, K

linikum

Heidenheim

sprechen?« oder »Wie sollte ein Schutzkon-zept gegen Missbrauch aussehen?«. Damitjede und jeder sich für die Kampagne en-gagieren und für den Schutz Heranwach-sender aussprechen kann, bietet der On-lineshop der Website kostenfrei Flyer undPlakate zur Prävention sexueller Gewaltan. �Lina Kamwar, Köln

Möchten auch Sie sich engagieren? Mehr Informatio-nen für Eltern, Fachpersonen und Interessierte bietetdie Homepage www.kein-raum-fuer-missbrauch.de

»Lern von mir«: Ein Trainingsprogramm fürdie Pflege demenzerkrankter Menschen

Gerade für Menschen mit Demenz ist einKrankenhausaufenthalt eine beunruhi-gende und verwirrende Situation. Die Be-troffenen verlieren in der ungewohntenUmgebung oft die Orientierung und habenAngst, sind kognitiv eingeschränkt, könnensich nicht eindeutig mitteilen oder zeigenschwierige Verhaltensweisen. Mitarbei-tende in Krankenhäusern sind im Umgangmit demenzkranken Menschen häufigüberfordert. Die Fachhochschule der Dia-konie (FHdD) in Bielefeld reagiert daraufjetzt mit einem speziellen Programm, das

unkomplizierte und umsetzbare Vorschlä gefür die Pflege von Menschen mit Demenzbietet. »Das Trainingsprogramm ›Lern vonmir‹ soll Mitarbeitern in Akutkrankenhäu-sern helfen zu verstehen, was eine Demenzbedeutet. Und es soll die Unterstützung derBetroffenen erleichtern und verbessern«,erklärt Prof. Dr. Michael Löhr, LehrstuhlPsychiatrische Pflege. Unter seiner Leitungübersetzte ein Team der FachhochschuleBielefeld das Programm von John Keady,Professor für Gerontopsychiatrische Pflegean der Universität von Manchester, für dendeutschsprachigen Raum. Gefördert undunterstützt wurde dieses Projekt von demLWL Klinikum Gütersloh, der Robert-Bosch-Stiftung und der Klinik für Psychiatrie undPsychotherapie am Evangelischen Kranken -haus Bielefeld. In England bereits erfolg-reich eingesetzt, besteht das Programmaus sechs Trainingsmodulen, in denenMenschen mit Demenz als Experten in eigener Sache eine zentrale Rolle spielen.Sie berichten teilweise in Videos über ihreErkrankung und ihre Erfahrungen in Kran-kenhäusern. Der Bedarf für die Trainings-materialien ist erheblich: In Deutschlandleben zurzeit mehr als 1,4 Millionen De-menzkranke und Schätzungen gehen da-von aus, dass circa 25 Prozent der Kranken-hauspatienten an Demenz erkrankt sind.Das Programm wurde bereits für Kranken-häuser in ganz Deutschland angefragt. �Lina Kamwar, Köln

Das Trainingsprogramm kann jetzt kostenlos im Internet unter www.lernvonmir.fh-diakonie.de heruntergeladen werden.

30 Jahre Rat und Tat e.V.

Der Kölner Verein Rat und Tat e.V. feierteauf der diesjährigen Mitgliederversamm-lung am 13. April sein dreißigjähriges Jubi-läum. Seit 1985 stellen die ehrenamtlich arbeitenden Angehörigen der Hilfsge-meinschaft sicher, dass es in Köln auch fürdie Angehörigen von Menschen mit einerpsychischen Erkrankung Beratungs- undAussprachemöglichkeiten gibt. Denn vieleAngehörige sind zuerst auf der Suche nachHilfe für ihr psychisch erkranktes Familien -mitglied. Erst später erkennen sie, dass sieselbst Hilfe brauchen und Kraft schöpfenmüssen, um weitermachen zu können. In persönlichen Beratungsgesprächen undden lokalen Gesprächskreisen erfahren dieHilfesuchenden erst einmal Verständnis,Mitgefühl und ein offenes Ohr. Sie merken»Ich bin nicht allein« und werden darin

gestärkt, endlich auch mal an sich denkenzu dürfen. »Zum ersten Mal konnte ich sagen, wie schlecht es mir ging, wie wenigHilfe ich gefunden hatte, wie schuldig undüberfordert ich mich fühle und wie wenigPerspektiven ich sehe.« So oder ähnlich äußern sich viele Angehörige, wenn siedas Angebot des Austauschs in Anspruchnehmen. Rat und Tat bietet in Köln achtGesprächskreise an – die Teilnahme istkostenfrei und eine Anmeldung nicht er-forderlich. Seit kurzem gibt es außerdemeinen Gesprächskreis für erwachsene Kin-der und Geschwister von psychisch er-krankten Menschen, moderiert von einemTherapeuten. Zusätzlich gibt es das Bera-tungstelefon (0221 - 7390734) für persön -liche oder telefonische Fragen.Damit sich die Mitarbeiter von Rat und Tate.V. weiterhin so engagiert für die Belangeder Angehörigen einsetzen können undder Verein in der Zukunft weitere Jubiläenfeiern kann, braucht er jede Unterstützung.Spenden sind erwünscht! Weitere Infor-mationen finden Sie auf www.rat-und-tat-koeln.de. �Lina Kamwar, Köln

Erstes Frankl Museum in Wien eröffnet

Am 26. März hätte Viktor E. Frankl seinen110. Geburtstag gefeiert. Anlässlich diesesDatums wurde in Wien das weltweit ersteMuseum über den Begründer der Logothe-rapie eröffnet. In der Mariannengasse 1wohnte der jüdische Neurologe, Psychiaterund Begründer der »Dritten Wiener Schuleder Psychotherapie« bis zu seinem Tod1997. Jetzt können hier Besucherinnen undBesucher durch haptische und visuelle Auf -gaben die Vorgehensweise der Logothera-pie und Existenzanalyse spielerisch erler-nen. Herzstücke des neuen Museums sindzehn Erlebniskästen. Am Eröffnungstagbot das Viktor Frankl Zentrum Wien außer -dem Führungen zur ehemaligen WienerPoliklinik an, die sich in unmittelbarer Nähedes Museums befindet. 25 Jahre war Franklin der Klinik Leiter der Neurologischen Ab-teilung. Dort begegnete er auch zum erstenMal seiner späteren Frau und wissenschaft -lichen Weggefährtin Dr. h.c. Eleonore Frankl.Ein besonderer Tipp für Besuchergruppenist die Museumsführung »SINN(er)leben«,die durch logpädagogisch geschultes Per-sonal begleitet wird. Mehr zum Frankl Museum auf www.franklzentrum.org �Lina Kamwar, Köln

50 | Psychosoziale Umschau 032015 | Kurz & knapp

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Die Psychiatrie kommt nicht besonders gutweg. Die Vorbehalte sind konkret: Schuld-zuweisungen an Angehörige scheinen im-mer noch nicht ausgestorben zu sein. Auf-klärung über die Krankheit der Betroffe-nen wird Angehörigen nach wie vor nurwiderwillig erteilt – auch nicht, wenn dieAngehörigen die Kranken nach der Klinik-entlassung betreuen und damit große Ver-antwortung übernehmen. Partnerschaft -liche Behandlung und Begegnung auf Augenhöhe sind nach wie vor anschei-nend die Ausnahme. Die Kritik an der Psy-chiatrie ist fast immer konkret und seltenübertrieben. Psychiatrieprofis sollten siezur Kenntnis nehmen, also das Buch lesen.Kann man nach dreißig Jahren Angehöri-gen-Selbsthilfe-Bewegung, nach vierzigJahren Psychiatriereform anderes erwar-ten? Man sollte können.Die Beiträge sind keineswegs monoton,schon gar nicht monotone Klagen. Alle be-richten von ihren individuellen Schicksalenund davon, wie sie sie bewältigt haben –viele erstaunlich gut, andere nur mühsam.Erwähnt sei, dass zwei der Autorinnen eigene Blogs zu Schizophrenie und Ange-hörigenarbeit betreiben, dass eine, JanineBerg-Peer, zwei Bücher zum Thema ge-schrieben hat, die bei Fischer undKösel er-schienen sind. Erwähnt seien die beidenBeiträge von Ärzten und Ärztinnen, derenErfahrungen sich trotz ihres Wissensvor-sprungs kaum von denen anderer Angehö-riger unterscheiden. Erwähnt sei schließ-lich der Beitrag des Vorsitzenden des Ham-burger Landesverbandes der Angehörigen,Hans Joachim Meyer, selbst Arzt, der er-klärt, »Warum wir uns in der Selbsthilfeengagieren« – ich möchte hinzufügen »sollen«. Sein Statement: »Nur wer sich zuWort meldet, wird wahrgenommen« istmöglicherweise die wichtigste Botschaftdes Buches. Sie ist zugleich ein Memento:Eine weitere positive Entwicklung der psy-chiatrischen Behandlung und Versorgungist ohne die Mitwirkung der unmittelbarunter mittelbar Betroffenen, also der Psy-chiatrie-Erfahrenen und ihrer Angehöri-gen, undenkbar. �Asmus Finzen, Berlin

Empfehlungen für mehr Sachlichkeit in den Medien

Das Aktionsbündnis für Seelische Gesund-heit hat eine Hilfestellung für Journalistenund Redaktionen herausgebracht, die überMenschen mit psychischen Erkrankungenberichten. Zwar seien skandalisierende Titelstorys heute die Ausnahme, heißt esim Vorwort des 17-seitigen Leitfadens, aberes werde immer noch überwiegend nega-tiv berichtet. Im Fokus stünden allzu oftVerknüpfungen von psychischer Krankheitund Gewalt sowie Gerichtsverfahren undabweichendes Verhalten.Die Empfehlungen, Resultat eines intensi-ven Austauschs zwischen Experten derPsychiatrie und Gesundheitsförderung, Be-troffenen und Angehörigen von psychischkranken Menschen, sollen Journalistinnenund Journalisten in die Lage versetzen,sachlich und sensibel zu berichten und dadurch zum Abbau von Stigmatisierungund Diskriminierung beizutragen.Im Mittelpunkt des Leitfadens, der auchüber psychische Erkrankungen informiertund Anlaufstellen für Betroffene sowieAnsprechpartner für Journalisten nennt,stehen Empfehlungen für einen angemes-senen Umgang mit dem Thema und be-troffenen Menschen. Geraten wird etwa zu einer umfassenden Recherche, die dieSichtweisen von Betroffenen, Angehörigenund professionellen Experten gleicherma-ßen einbezieht. Menschen mit einer psy-chischen Erkrankung sollten nicht auf ihreDiagnose reduziert werden. Und bei Be-richten über Straftaten sollten sich dieJournalisten nicht vorschnell mit der Er-klärung zufriedengeben, der Täter sei psy-chisch krank gewesen, sondern auch an-

Bücher & Medien | Psychosoziale Umschau 032015 | 51

Bücher & Medien

Familienschicksal Schizophrenie

Fritz Bremer, Hartwig Hansen (Hg.)Angehörige sind Erfahrene Ein Ermutigungsbuch Neumünster: Paranus Verlag 2015ISBN Print 978-3-940636-32-4182 Seiten, 19,95 Euro

Fritz Bremer und Hartwig Hansen, als Pro-fis und Verleger selbst »psychiatrieerfah-ren«, haben jetzt ein Buch vorgelegt, dasaufmerken lässt. Sie haben 16 Angehörigevon psychisch Erkrankten angeregt, sich zu Wort zu melden und über ihre Erfah-rungen mit ihren erkrankten Familienmit-gliedern, mit sich selbst und der Psychiatriezu berichten. Sie haben die Beiträge sorg-fältig editiert. Sie haben das Buch mit einernachdenklichen Einführung – in der sieauch über dessen Entstehungsgeschichteberichten – und einem klugen zusammen-fassenden Schlusskapitel versehen. Wasihre Autorinnen und Autoren repräsentie-ren, ist durchweg gut lesbar – und vor allemlesenswert. Es sind keine Selbsterfahrungs -berichte im klassischen Sinne. Es sind Be-richte darüber, wie die Familien versuchthaben, die Familienkatastrophe Schizo-phrenie zu bewältigen, welche Tiefen und– seltener – Höhen sie dabei durchlebt ha-ben und welche Hilfen sie dabei erfahrenhaben, die eher von anderen Angehörigenkamen, als von Profis.

dere mögliche Hintergründe anbieten.Wichtig war den Autorinnen und Autorenauch, dass psychische Erkrankungen inden Medien nicht dramatisiert und auchnicht als auswegloses Schicksal dargestelltwerden. Es gebe für die Betroffenen sehrwohl Hoffnung auf Heilung und Linde-rung sowie auf ein aktives Leben trotz Erkrankung.Auch auf die Bildsprache geht die Broschüreein. Fenstergitter und kahle Flure sugge-rierten schwere Straftaten, heißt es da,Zwangsjacken würden nicht mehr einge-setzt, und wer Menschen mit psychischenErkrankungen nur im Krankenhaus zeige,ignoriere die Tatsache, dass ein Großteilder Behandlung mittlerweile ambulantstattfinde.Wie man respektvoll mit Interviewpart-nern umgeht, die als Betroffene oder An-gehörige über die Erkrankung und ihrenUmgang damit Auskunft geben, schließtden Empfehlungsteil ab. Journalisten wirdgeraten, genügend Zeit für das schwierigeThema einzuplanen und ihren Interview -partnern Gelegenheit zu geben, sich inhalt -lich vorzubereiten. Statt sich bei den Schil-derungen »seinen Teil« zu denken, solleman nicht zögern nachzufragen. Und vorder Veröffentlichung sollten die BefragtenGelegenheit erhalten, Zitate oder gegebe-nenfalls das ganze Interview zu autorisie-ren. �Cornelia Schäfer, Köln

Den Leitfaden »Berichterstattung über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Eine Hilfestellung fürJournalistinnen und Journalisten sowie Redakteurin-nen und Redakteure« findet man im Internet zum He-runterladen auf der Seite http://fairmedia.seelische gesundheit.net/leitfaden/downloads

Spannender Beitrag zu EX-IN Kulturlandschaften

Bettina JahnkeEX-IN Kulturlandschaften, Zwölf Gesprächezur Frage: Wie gelingt Inklusion?Paranus Verlag, Neumünster 2014ISBN 978-3940636-31-7200 Seiten, 19,95 Euro

Mit sehr viel Sachverstand und Geschickunterhält sich Bettina Jahnke, selbst EX-INlerin und EX-IN-Trainerin, in zwölfGesprächen mit Arbeitgebern in verschie-denen Bundesländern Deutschlands über

Bedeutung und Sinn der 2008 in Deutsch-land entstandenen EX-IN-Bewegung undihrer Vertreter. EX-IN bezeichnet die ein-jährige Ausbildung zum Genesungsbeglei-ter, dem sogenannten EX-INler. WurdenPsychiatrie-Erfahrene meist nicht für so-ziale Berufe zugelassen, können EX-Inlerjetzt gleichwertige Partner in Kliniken undpsychiatrischen Einrichtungen auf demersten Arbeitsplatz werden und sind soBrücke zwischen Professionellen und psy-chisch erkrankten Menschen. EX-INlersind Recovery-Experten ihrer eigenen Ge-schichte und wollen psychisch erkranktenMenschen bei ihrer Salutogenese zu mehrEmpowerment verhelfen. Sie sind Hoff-nungsträger und leben vor, dass nach einerKrise ein sinnstiftendes Leben möglich ist,dass Betroffene nicht in Resignation undMutlosigkeit verharren müssen. Denn »jeder hat das Potenzial zur Genesung, solautet der erste EX-IN Grundsatz«, erklärtBettina Jahnke. Manche der Interviewpart-ner sind sogar selbst EX-IN Trainer, habenaber auch in Unternehmen leitende Stel-lungen inne.In den Interviews wird deutlich, dass dieBezahlung ganz unterschiedlich und oft sogering ist, dass die Genesungsbegleiter allein nicht davon leben können, was nichtnur die Autorin, sondern auch einige ihrerGesprächspartner als Mangel empfinden.Darum fordert auch die Psychologin Gyön-gyvér Sielaff, Ansprechpartnerin für dasEX-IN-Projekt am UniversitätsklinikumHamburg Eppendorf: »Ein eigenes Berufs-bild muss in Zukunft unbedingt her!« Thomas Bock, Professor am Universitätskli-nikum Eppendorf in Hamburg erklärt, dassdie Begleitforschung positive Resultate derbeschäftigten EX-INler eruiert habe. Sowürden sie psychisch erkrankte Menschen

in Krisenzeiten auffangen und einen Bei-trag leisten, um Krankenhaustage zu redu-zieren. Die interviewten Arbeitgeber sindsich auch darin einig, dass Genesungsbe-gleiter, wenn sie zu der Einrichtung, in dersie arbeiten stimmig passen und ihr Erfah-rungswissen wertgeschätzt wird, sie eineBereicherung für alle Beteiligten sind. Angelika Lacroix, Pflegedienstleiterin inBremerhaven Reinkenheide berichtet, dassEX-INlerinnen auf einer Station ein eige-nes Berichtswesen entwickelt hätten, dasihr so gut gefallen habe, dass sie es zumVorbild für die pflegerische Dokumenta-tion nehme.Die Stimmen, die in den Gesprächen mitden Arbeitgebern lautwerden, sind durch-weg positiv. Kritisch, aber nicht ablehnendäußern sich Sibylle Prins und auch PeterLehmann, beide Betroffene, bekannte Buch -autoren und in der Selbsthilfe aktiv.Die EX-INler haben bereits dort, wo sie er-folgreich arbeiten, die innere Einstellunggegenüber psychisch erkrankte Menschenin positiver Weise, hin zu einer menschli-cheren Haltung, verändert. Da erfolgreicheEX-INLer für alle Beteiligten ein Gewinnsind, kann sich ein neues fruchtbares ge-sellschaftliches Klima der Hoffnung, eineveränderte Kultur, herauskristallisieren.Durch die Veröffentlichung ihres Buchesunterstützt die Autorin glaubhaft die posi-tiven Ideen von EX-IN und sorgt so für eineweitere Verbreitung in der Bevölkerung.Bettina Jahnke ist ein spannendes informa -tives Buch gelungen, das sicher auch fürmehr Verständnis und Solidarität für psy-chisch erkrankte Menschen sorgt und ihreInklusion in die Gesellschaft erleichtert. �Beatrix Brunelle, Freiburg

Kunst als Heimat

Andrea RothenburgAlfred & Co. – Kunst, Psychiatrie, das Leben und der TodDVD, 115 Min, DIADOK 2012, Der Film istüber www.psychiatrie-filme.de zum Preisvon 29,90 Euro inkl. Porto erhältlich.

Viele psychiatrisch Tätige haben den Be-griff der Ressourcenförderung in ihrem Vokabular. Im Kunstatelier des Psychiatri-schen Zentrums im schleswig-holsteini-schen Rickling wird damit ernst gemacht.Die Filmemacherin Andrea Rothenburghat mit der Filmkamera mehr als einen

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Karin
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Blick auf diesen kreativen Ort werfen kön-nen. Ihr ist mit dem Film »Alfred & Co.«ein beeindruckender Film gelungen, derAußenseiterkunst in den Mittelpunktrückt, z. B. die Fotos von Sandra Reimers.»In der Psychose fotografiere ich anders alsim Normalzustand«, sagt die psychose-er-fahrene junge Frau. Sie spricht von einemÜberraschungseffekt, mit dem sie nach derPsychose auf Fotografien schaut. Wasmacht denn den Überraschungseffekt aus?Spontan wird keine Antwort gegeben. Der Film lässt es offen und bietet er denZuschauenden die Möglichkeit, selbst Fan-tasien zu entwickeln, wo denn die Unter-schiede sein könnten. Als Filmemacherin lässt Andrea Rothen-burg die Bilder sprechen. Sie stellt die Pro-tagonistinnen und Protagonisten des Films»Alfred & Co.« immer in direktem Zusam-menhang mit den eigenen Werken dar. Die Protagonistinnen und Protagonistenhocken vor den eigenen Werken oder in-mitten der eigenen Bilder. Auf den Zu-schauer macht dies den Eindruck, dass dieSubjektivität des künstlerischen Schaffensunterstrichen werden soll.Die psychiatrie-erfahrenen Künstlerinnenund Künstler sind nicht auf eine Stilrich-tung im Kunstatelier des PsychiatrischenZentrums in Rickling festgelegt. Der einemalt sehr gegenständliche Bilder, ein an-derer macht bildhauerische Arbeit. Wennder leitende Chefarzt des PsychiatrischenZentrums Rickling, Hans-Joachim Schwarz,von einer zunehmenden seelischen Obdach -losigkeit des zeitgenössischen Menschenspricht, wird deutlich, dass in Rickling ver-sucht wird, mit dem Kunstatelier eine Hei-mat zu bieten.

Andrea Rothenburg ist es auf eine wunder -bare und liebenswürdige Weise gelungen,dieses Zuhause von psychiatrie-erfahre-nen Menschen vorzustellen. Mit der künst-lerischen Arbeit bekommen Menschen in ihrem Leben einen Sinn. »Ich brauchekeinen Alkohol mehr. Ich brauche etwas anderes«, heißt es mehrfach in dem fastzweistündigen Film. Vielleicht kann »Alfred & Co.« eine Ermutigung für andereEinrichtungen sein, psychiatrie-erfahre-nen Menschen einen Ort der Entfaltung zu geben. �Christoph Müller, Bonn

15 Jahre BlitzLicht

15 Jahre jung ist das »BlitzLicht« nun, dieNümbrechter Zeitschrift von und für psy-chiatrieerfahrene Menschen. Doch wäh-rend der gewöhnliche Teenie in diesem Alter meistens noch in den Seilen hängt,hat sich das gleichaltrige Magazin bereitszu einem sehr erwachsenen Blatt gemau-sert: Aus bescheidenen Anfängen – gestar-tet mit acht Seiten und einer Auflage vonachtzig Stück – umfasst die Zeitung heutefünfzig Seiten und wird mit sechshundertAusgaben überall im Kreisgebiet gelesen.Das ist ein schöner Erfolg, den die jährlicherscheinende Klientenzeitung vor allemihren sowohl berührenden wie aktuellenThemen verdankt: »Liebe.Sex.Einsamkeit«etwa titelte die Zeitschrift im Jahr 2003,Behinderung und Alltag stand 2013 aufSeite Eins. Auch die neueste Ausgabe (Jahr-gang 14 Winter 2014/2015) widmet sich ei-

ner wichtigen Frage, nämlich wie mannervenschonend mit Stress und Streit um-geht.Hilfestellungen und Tipps im Umgang mitder Erkrankung, politische Fragen, Berichteaus dem Wohnheim – all das wird bespro-chen und spiegelt so die Lebenswirklich-keit psychisch erkrankter Menschen wie-der. Das ist längst nicht nur für diesen Per-sonenkreis interessant, sondern auch fürdiejenigen, die sich mit der Psychiatrie ausBetroffenensicht auseinandersetzen wol-len oder sich einfach für die Thematik in-teressieren. Gut geschrieben, persönlichund liebenswert sind die Artikel; auch dasLayout entspricht dem professionellen An-spruch. Teilnahme und eigene Beiträge derLeserinnen und Leser sind ausdrücklich er-wünscht – allerdings auch die Teilnahmean Vergnügungen wie Autorenessen, Le-serreisen, Film- und Partyabende oder derJubiläumsfeier zum fünfzehnten Geburts-tag.Träger des Projekts ist die OberbergischeGesellschaft zur Hilfe für psychisch Behin-derte (OGB), die Zeitschrift finanziert sichzudem über Werbung. Gegründet wurdesie auf Wunsch von Michael Güdelhöfer,einem Klienten der Oberbergischen Gesell-schaft, und dessen Mitarbeiter MichaelHoffmann, der auch für die Textarbeit zu-ständig ist. Güdelhofer war bislang derverantwortliche Chefredakteur und wirdnun in dieser Funktion von Bernd Göpelabgelöst. »Wie gefällt Ihnen unsere Zeitung?«, frag-ten die BlitzLicht-Autoren in der letztenAusgabe ihre Interviewpartnerin MartinaHoffmann-Badache, Staatssekretärin imMinisterium für Gesundheit. Die Antwortder Politikerin: »Eine tolle Zeitung, mit vielBegeisterung und Leidenschaft gemacht!«�

Margit Weichold, Köln

Wer sich das BlitzLicht im Internet anschauen möchte,geht zur Seite der Oberbergischen Gesellschaft:http://www.ogb-gummersbach.de

Bücher & Medien | Psychosoziale Umschau 032015 | 53

54 | Psychosoziale Umschau 032015 | Termine

Termine

� Verrücktes Gesundheitswesen: Was macht mich gesund? Was macht mich krank?27. Juni in Stuttgartwww.landespsychiatrietag.de

� Vermeidung der Freiheitsentziehungdurch MedikamenteFachtag Werdenfelser Weg 17. Juli 2015 in Münchenwww.werdenfelser-weg-original.de/fortbildungen/fachtag-muenchen

� Weg mit PeppDemo am 31.07.2015, 15 Uhr, vor dem BMG, Friedrichstraße 108, Berlin

� Inklusion – Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben!?20. Fachtagung des LPE Rheinland-Pfalz e.V.in Kooperation mit der Rheinhessen-Fachklinik Alzey in Bad Kreuznach3. September www.lvpe-rlp.de

� Zukunftsentwürfe im Netzwerk9.–10. September in Bremenwww.psychiatrie.de/dachverband

� Lebenszeiten und Migration9. DTPPP-Kongress 10. bis 12. September in Münsterlingen, Schweizwww.dtppp.de

� Bipolar im Wandel der Zeit15. DGBS-Jahrestagung17. bis 19. September in Essenwww.dgbs.de

� »Ich bin der Chef!?«Psychiatrie-Erfahrene als Experten der eigenen ErkrankungAachener Sozialpsychiatrische Fortbildungstagung23. Septemberwww.aachener-laienhelfer-initiative.de

� Sprachen – eine Herausforderung für die psychiatrische Pflege12. Dreiländerkongress Pflege in der Psychiatrie24. – 25. September in Wienwww.pflege-in-der-psychiatrie.eu

� Simply Emotional – Simply SystemicWie Gefühle Systeme bewegen15. Jahrestagung der DGSF 24. und 26. September in Magdeburg www.dgsf-tagung-2015.de

� Papier ist geduldig – Gesetz und WirklichkeitBPE-Jahrestagung10. und 11. Oktober in Kasselwww. bpe-online.de

� Die Stimmen und ichDer Maastrichter Ansatz zum konstruktiven Umgang mit Stimmenhörenbei Kindern und Jugendlichen16. und 17. Oktober in Hannoverwww. efc-institut.de

� Selbsthilfe – Selbstbestimmung – PartizipationAPK-Jahrestagung3. und 4. November in Berlinwww.psychiatrie.de/apk

Mehr Termine und Fortbildungsangebote unter: www.psychiatrie.de/termine/

Im pres sum

TitelbildFoto: Ernst FesselerHe raus ge ber Aktion Psychisch Kranke, Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. undBundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V.Re dak ti onKarin Koch (kk), Köln (v.i.S.d.P); Michael Konrad (MK), Ravensburg; Ulrich Krüger (uk), Bonn; Christian Zechert (cz), DetmoldStändige Mitarbeit: Manfred Becker, Cornelia Schäfer, ChristophMüller, Lina Kamwar, Margit Weichold. Bei trä ge der Gast au to ren sind kei ne Mei nungs äu ße rung der Re dak ti on.Re dak ti ons an schrift Psy cho so zia le Um schau Ursulaplatz 1 50668 Köln Tel. (0221) 16 79 89-14 E-Mail: um schau@psy chi at rie.de

Ma nu skript ein sen dun genDie Redaktion freut sich über Manuskripteund Informationen, Hinweise für Autorinnenund Autoren unter http://www.psychiatrie-verlag.de/zeitschriften/psychosoziale-umschau.html.Re dak ti ons schluss der nächs ten Aus ga be ist der 15.08.2015.Ver lag & Ver triebPsy chi at rie Ver lag GmbH, Ursulaplatz 1, 50668 Köln, Tel. (0221) 16 79 89-16, Fax -20, E-Mail: hoff@psy chi at rie.de.An zei gen ver wal tung im Ver lag durch Lina Kamwar, E-Mail: kamwar@psy chi at rie-verlag.deAn zei gen schluss der nächs ten Aus ga be ist der 01.09.2015.Be zugs be din dun genPrint-Abonnement: Ein Print-Abo kostet jährlich für Privatkunden 33,00 Euro und für Institutionen 49,00 Euro; im Inlandeinschl. Porto, im Ausland zzgl. 15,00 Euro Versandkostenpauschale.Sozialhilfe-Empfänger und Studenten zahlenbei Vorlage einer entsprechenden Bescheini-gung 23,00 Euro.Das Abonnement gilt jeweils für ein Jahr. Es verlängert sich automatisch, wenn es nichtbis zum 30.9. des laufenden Jahres schriftlichgekündigt wird. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen.Einzelheftpreis: 14,90 EuroOnline-Abonnement: Ein Online-Abo kostetjährlich für Privatkunden 28,00 Euro. DiePreise für Institutionen und soziale Dienstehängen von der Größe der Einrichtung ab. Ausführliche Preisinformationen unterwww.verlag.psychiatrie.de/zeitschriften.Lay out Hans Schlim bach AGD, GartowDruck Ost frie si sche Beschäftigungs- undWohnstätten GmbH, Em den

ISSN 0930-4177Post ver triebs kenn zahl 7044

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Außen zart. Innen starkWas Kinderseelen gut tut.Mappe mit neun Arbeitsblättern für Unterricht und pädagogische Arbeit (8–11 Jahre)6610, Schutzgebühr 7 Euro

Der beste Vater der WeltBilderbuchbroschüre über Psychosen für Kinder zwischen 5 und 8 Jahren 6516, Schutzgebühr 2 Euro

Das Seelenentdeckeralbum Materialie über Seele, Krankheit und Gesundheit für Kinder zwischen 6 und 9 Jahren6514, Schutzgebühr 2 Euro

Mamas Monster Bilderbuch über Depressionen für Kinder zwischen 5 und 7 Jahren6512, Schutzgebühr 4 Euro

Wahlverwandtschaft Görres/PirsigEngagiert in PatenprojektenPraxis Gemeindepsychiatrie, Band 36510, Schutzgebühr 5 Euro

Wenn deine Mutter oder deinVater in psychiatrische Behand-lung muss ... mit wem kannst Du dann eigentlich reden?Information für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren, inkl. 2 Begleitblätter für Eltern und Betreuerinnen6501, Schutzgebühr 2 Euro

Wenn deine Mutter oder dein Vater psychische Probleme hat ... Informationen für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren6502, Schutzgebühr 2 Euro

Wenn eine Mutter oder ein Va-ter psychische Probleme hat ... Wie geht es dann den Kindern? Information für betroffene Eltern6503, Schutzgebühr 2 Euro

Kleine Held(inn)en in Not Görres/PirsigTagungsreader Praxis Gemeindepsychiatrie, Band 46511, Schutzgebühr 5 Euro

Broschüren und Bücher

MedienGemeinsam Bügerschaftliches Engagement, durch, mit und für psychisch erkrankte junge Menschen6621, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

Es ist normal, verschieden zu sein! – Bock u.a. Verständnis und Behandlung von Psychosen, 6506, Schutzgebühr 1 Euro

Seelische Krise – Was tun?Informationsblatt zu Hilfen in Krisen,6620, 3 Euro Versandkostenpauschale(1 Satz = 10 Stück)*

RecoveryBroschüre richtet sich an psychisch erkrankte und interessierte Menschen6262, 3 Euro Versandkostenpauschale (1 Satz = 10 Stück)* PatientenrechteTherapie und Selbstverantwortung in psychischen Krisen – welche rechte habe ich als Patient, 6623, 5 Euro Versandkostenpauschale (1 Satz = 10 Stück)*

Wenn die Seele überläuftJunge Menschen in psychischen Krisen, Hörbuch und Unterrichtsmaterialien zu Angst, Essstörungen und Suizid6508, Schutzgebühr 5 Euro

Information Dachverband Gemeindepsychiatrie: Gemeindepsychiatrie stärken – enga-giert, innovativ, quadrologisch, vernetztkostenfrei

Fragen Sie nicht nur den Arzt oder ApothekerWas leistet die Krankenversicherung bei psychischen Störungen6520, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

DVDs und CDs

Faltblätter und Factsheets

Die Bettelkönigin Ein Hörbuch zu psychischen Erkrankungen. Ein Hörspiel für Kinder von 8 bis 11 Jahren 6630, Schutzgebühr 5 Euro

Hilfen für Familien mit KindernHilfen der Krankenversicherungen für Familien, in denen ein Elternteil psychisch krank ist6521, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

Factsheet 1 – Soziotherapie6522, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

Factsheet 2 – Ergotherapie6523, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

Factsheet 3 – Integrierte Versorgung6524, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

Factsheet 4 – Ambulante Pfl ege6525, 1 Euro (1 Satz = 10 Stück)

Positionspapier zur Integrierten Versorgung6640, 1 Euro (1 Satz = 5 Stück)

Hiermit bestelle ich die oben markierten Titel. Zusammen mit der Lieferung erhalte ich eine Rechnung (Rechnungsgesamtbetrag zuzüglich Versandkostenpauschale), die ich fristgerecht ausgleichen werde.Bestellschein bitte per Fax an: (02 21) 78 87 43 10

Der Broschürenversand wird freundlicherweise von unserem Mitglied BTZ Köln übernommen. Wir bedanken uns für die Unterstützung:

BTZ Berufl iche Bildung Köln GmbH – Jobprofi lOskar-Jäger-Straße 175 | 50825 Köln | Telefon (02 21) 78 87 43-0 | Fax: (02 21) 78 87 43 10 | [email protected]

MedienMedien* Staffelpreis möglich

Einzelpreis 9,90 Euro | 30. Jahrgang | 032015

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aktuelles aus psychiatrie und gemeinde

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Der Hürdenlauf eines psychiatrie-erfahrenen Elternpaares

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