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14 Natürlich | 12-2003 S eit Stunden schon pflügt sich das Schiff durch die Wellen. Nichts als Wasser, soweit das Auge reicht. Vor über fünf Stunden hat die Fähre die Insel Faial verlassen. Bald müsste Flores am Horizont auftauchen, doch umgeben von der unermesslichen Weite des Meeres fällt einem die Vorstel- lung schwer, sich inmitten des azoreani- schen Archipels zu befinden. Tief unter dem Schiff türmt sich der atlantische Rücken auf: jenes gigantische Unter- wassergebirge, das sich von Norden nach Süden über die halbe Erdkugel erstreckt. Weil sich hier die amerikanische Konti- nentalplatte im Westen von der eura- sischen und der afrikanischen im Osten stetig entfernt, entstehen in der Erdkruste unter der Meeresoberfläche unablässig Verloren im endlosen Verloren im endlosen Mitten im Atlantik, 1500 Kilometer von Europa entfernt, liegen die Azoren. Rund um die Inseln tummeln sich Wale und Delfine, und auf dem Land findet man seltene Pflanzen und Vögel. Jahrhundertelange Rodungen haben jedoch die Lorbeerwälder und die Azorengimpel arg in Bedrängnis gebracht. Text: Andreas Stricker und Regula Bartholdi

Verloren im endlosen - natuerlich-online.ch · 2015. 9. 1. · Tel. 056 441 87 38, Fax 056 442 32 52, , [email protected] Grund- und Weiterbildungskurse - EMR Richtlinien CH-8820 Wädenswil

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  • 14 Natürlich | 12-2003

    Seit Stunden schon pflügt sich dasSchiff durch die Wellen. Nichts alsWasser, soweit das Auge reicht.Vor über fünf Stunden hat dieFähre die Insel Faial verlassen. Baldmüsste Flores am Horizont auftauchen,doch umgeben von der unermesslichenWeite des Meeres fällt einem die Vorstel-lung schwer, sich inmitten des azoreani-schen Archipels zu befinden. Tief unterdem Schiff türmt sich der atlantischeRücken auf: jenes gigantische Unter-wassergebirge, das sich von Norden nachSüden über die halbe Erdkugel erstreckt.Weil sich hier die amerikanische Konti-nentalplatte im Westen von der eura-sischen und der afrikanischen im Ostenstetig entfernt, entstehen in der Erdkrusteunter der Meeresoberfläche unablässig

    Verlorenim endlosen

    Verlorenim endlosen

    Mitten im Atlantik, 1500 Kilometer von Europa entfernt,

    liegen die Azoren. Rund um die Inseln tummeln sich

    Wale und Delfine, und auf dem Land findet man seltene

    Pflanzen und Vögel. Jahrhundertelange Rodungen haben

    jedoch die Lorbeerwälder und die Azorengimpel arg in

    Bedrängnis gebracht.

    Text: Andreas Stricker und Regula Bartholdi

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    Reportage NATUR

    Risse, aus denen Magma strömt, erkaltetund sich auftürmt. Genau unter denAzoren schieben sich ausserdem die afri-kanische und die europäische Platte über-einander. Dadurch gerät die Erdober-fläche in ständige Unruhe, es entstehentief im Wasser riesige Vulkangebilde, vondenen 9 ihre Spitzen über die Wasser-oberfläche strecken: die Azoren.

    Die Inseln mit dem mystisch klingen-den Namen sind dem Rest der Welt weit-gehend fremd geblieben. Schon 1867 be-merkte der amerikanische SchriftstellerMark Twain: «Ich glaube, die Azoren sind(…) sehr wenig bekannt. In unsererganzen Schiffsgesellschaft gab es nichteinen einzigen Menschen, der irgendetwas über sie gewusst hätte. Einige ausunserem Kreis, wohlbelesen über die

    meisten anderen Länder, besassen keineweiteren Kenntnisse über die Azoren, alsdass es sich um eine Inselgruppe vonneun oder zehn Inseln handele, weitdraussen im Atlantik, etwas weiter alshalbwegs zwischen New York und Gibral-tar. Das war alles.»

    Das AzorenhochTwains Feststellungen lassen sich ohneWeiteres auf die Europäer übertragen.Den meisten sind die Inseln höchstensaus den Wetterprognosen bekannt. Azo-ren, das klingt irgendwie nach schönemWetter: Das Azorenhoch, Teil des sub-tropischen Hochdruckgürtels, wächst imSommerhalbjahr an, drängt das Islandtiefzurück und sorgt dann vor allem in West-europa für sonnige und warme Tage.Doch auf den Azoren selbst ist das Klimaeher feucht: Auch im Sommer mussjederzeit mit Niederschlägen gerechnetwerden. Grund ist die feuchte Atlantik-luft, die über den Inseln ansteigt, oftkondensiert und dann für Bewölkungoder Regen sorgt. Trotz des klingendenNamens sind die Azoren also keine Desti-nation für Badetouristen, zumal auchSandstrände weitgehend fehlen. Wenn-gleich sich auf São Miguel, Santa Mariaund Terceira ein gewisser Tourismusetabliert hat, liegt der Rest des Archipelstouristisch grösstenteils brach.

    Ist man mit motorisierten Verkehrs-mitteln unterwegs, ist es empfehlenswert,

    sich die Geduld und das Improvisations-vermögen der Inselbewohner anzueig-nen: Stets muss damit gerechnet werden,dass ein Schiff oder ein Flugzeug mitgrosser Verspätung oder überhaupt nichtverkehrt, was oft, aber durchaus nichtimmer, auf das unberechenbare Wetterzurückzuführen ist. Strassen oder Wan-derwege können sich als unpassierbarerweisen, etwa weil sie vor Jahren durchein Unwetter zerstört wurden, oder garweil sie, obwohl auf der Landkarte ver-zeichnet, noch nicht gebaut wurden.

    Warten muss der Verkehr auch, wennan einem der zahlreichen Feiertageirgendwo eine Prozession stattfindet. Daskann Anlass sein, die einzige Durch-gangsstrasse auf der Inselhälfte für Stun-den zu sperren. Die Hauptstrassen wer-den ebenso aufwändig wie liebevoll mitfarbigen Mustern aus Blütenblättern ver-ziert, Fahnen werden gehisst und Gar-dinen und Teppiche über die Fenster-brüstung gehängt, um die Heiligen zuehren, die als Holzfiguren durch dieStrassen getragen werden.

    Bettler und BauernDie Azoren gehören zu den ärmsten Re-gionen Westeuropas, dennoch geht es denAzoreanern heute materiell so gut wie niezuvor. Vor rund 130 Jahren bot sich MarkTwain noch ein anderes Bild. Seinen Emp-fang auf Faial schildert er so: «Die Mengeauf dem Pier war schäbig – Männer und

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    Azoreanisches Wetterphänomen: Die feuchte Atlantikluft steigt an der Insel auf,kondensiert und bildet Wolken, während der Himmel über dem Meer strahlend blau ist.

    Blick von Flores auf die Insel Corvo

  • ReportageNATUR

    Frauen, Jungen und Mädchen, zerlumptund barfuss, und aus Instinkt, nach Erzie-hung und von Beruf alle Bettler». Doch erbemerkte auch: «Wenn jemals irgendwodie Chausseen und die Strassen und dieAussenfronten der Häuser vollkommenfrei waren von jedem Anzeichen und jederAndeutung von Schmutz oder Staub oderSchlamm oder Unsauberkeit irgendwel-cher Art, so in Horta, so auf Faial. DieStadt und die Insel sind wahre Wunder anSauberkeit.»

    Das ist bis heute so geblieben und giltfür alle Inseln: Nirgends säumen Abfälledie Strassenränder, und wenn an einemder strahlend weiss gestrichenen Häusernein gräulicher Fleck zum Vorscheinkommt, wird dieser sogleich mit einerdicken Farbschicht übermalt. Einzig diezahllosen Häuserruinen, wie es sie inpraktisch allen Orten gibt, bilden einenmarkanten Kontrast und zeugen vonden Auswanderungswellen vor noch garnicht so langer Zeit.

    Wichtigster Erwerbszweig auf denInseln ist die Landwirtschaft, wobei heuteFleisch- und Milchwirtschaft dominie-ren. Auch die Fischerei ist von Bedeu-tung; führt man sich allerdings die geo-graphische Lage der Inseln vor Augen,nimmt sie einen erstaunlich geringenStellenwert ein, was an der weitgehendveralteten Flotte der azoreanischen Fi-scher liegt. Jahrhunderte lange Traditionhatte auf den Azoren bis vor wenigenJahrzehnten der Walfang. Doch in denAchtzigerjahren wurde er auf den Azorenendgültig eingestellt. Dies geschah weni-ger auf Druck von Tierschutzorganisatio-nen als aus wirtschaftlichen Gründen:das Jagen von Walen rentierte mit denüberholten azoreanischen Walfangbootennicht mehr.

    Rund 20 Wal- und DelfinartenDennoch wird den Walen auch heutenoch nachgestellt – mit Whale-Watch-ing-Booten. Denn in den Gewässern umdie Azoren tummeln sich rund 20 ver-

    Die Azoren: KurzportraitDie Azoren sind ein Archipel von 9 Inselnim Atlantik, rund 1500 Kilometer von Europaund 3500 von Nordamerika entfernt. Siegehören als weitgehend autonome Regionzu Portugal.

    Die Azoren teilen sich in 3 Gruppen auf: DieInseln Santa Maria und São Miguel bilden dieOstgruppe; Terceira, Graciosa, São Jorge, Picound Faial zählen zur Zentralgruppe; die West-gruppe besteht aus Flores und Corvo.

    Die Distanz von der westlichsten zur östlich-sten Insel beträgt 600 Kilometer, wobei dieGesamtoberfläche aller Inseln lediglich2335 km2 beträgt, auf denen knapp 250000Menschen leben. Die grösste Insel, SãoMiguel, ist rund 60 Kilometer lang und beher-bergt die grösste Stadt, Ponta Delgada, mitimmerhin 40 000 Einwohnern. Mit seinen2351 Metern ist der direkt aus dem Meer her-aussteigende Pico der höchste Berg Portu-gals. Ihren Namen haben die Azoren übrigensvon einem Vogel entliehen: Açores, portugie-sisch für «Habichte», glaubten die Entdeckereinst über den Inseln zu erkennen. Vermutlichwaren es eher Bussarde, denn Habichte gibtes auf den Azoren keine. Doch der Name istgeblieben.

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    Die Strassen werden für den Umzug mit Blüten-blättern verziert: Prozession auf São Miguel

    Ein häufiges Mitglied der ursprünglich starkverbreiteten Lorbeer-Wachholder-Wälder: das endemische Blattreiche Johanniskraut

    Die ursprüngliche Vegetation musste vielerorts der Landwirtschaft weichen: die Vulkaninsel Terceira, unten Weideland und in der Höhe Lorbeerwald

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    schiedene Wal- und Delfinarten; diewichtigsten sind Pottwal, Pilotwal, Finn-wal, Orca und der Grosse Tümmler. DieGründe rund um den Archipel seienfür diese wie eine «Oase mitten in derWüste», erklärt Rui Prieto, Spezialistfür Meeressäuger an der Universitätder Azoren in Horta. Auf ihrer langenWanderung vom Nordpol zu den Ge-wässern vor Nordafrika durchstreifendie Tiere die nahrungsarme Tiefsee desAtlantiks. Bei den Azoren jedoch sorgenverschiedene Meeresströmungen sowiedas nahe Land mit seinen Untiefen füreinen Reichtum an Nahrung für dieWale. Mit Whale Watching sollen ver-mehrt Besucher auf die Insel gelocktwerden - doch mit welchen Folgen fürdie Tiere? Rui Prieto gibt zu bedenken,dass jede Annäherung die Tiere stört.Doch gleichzeitig spricht er den azore-anischen Walbeobachtungsunterneh-men ein Lob aus: Die allermeisten haltensich an die nötigen Regeln, etwa was dasAnnähern an die Tiere betrifft. Auchhält sich laut Rui Prieto die Zahl derBesucher in Grenzen. Im Gegensatzetwa zu den Kanarischen Inseln, wojährlich rund eine Million Touristenauf Walbeobachtungstour fahren wür-den, seien es auf den Azoren lediglich15 000.

    Schreiende CagarrosSorgen machen sich azoreanische Natur-schützer jedoch um eine ganz anderesTier: In der Fussgängerzone von Velasstehen junge Frauen an einem Stand.«Protege os cagarros» steht auf ihrenPlakaten: «Rettet die Cagarros». Gelb-schnabel-Sturmtaucher heissen die alba-trosähnlichen Vögel auf deutsch. Einstbevölkerten sie weite Teile der Atlan-tikküsten, vom Golf von Mexiko biszum Mittelmeer und den Ostküsten Afri-kas. An den meisten ursprünglichenOrten sind die Cagarros heute nur nochspärlich, wenn überhaupt noch vorhan-den; auf den Azoren hingegen sind sieäusserst zahlreich: Auf 50 000 bis 100 000schätzt BirdLife International die Zahl derPaare, die jährlich auf den Azoren brüten;

    dies bei einer mutmasslichen Weltpopu-lation von 140 000 bis 210 000. Die Sorgeder örtlichen Ornithologen um denCagarro gründet unter anderem aufillegalen Abschüssen und häufigen Zu-sammenstössen mit Autos. Doch ange-sichts der immer noch sehr zahlreichenCagarros haben es die Vogelschützernicht leicht, die einheimische Bevölke-rung von der Gefährdung dieser Vögelzu überzeugen.

    In den felsigen Küstenstreifen derAzoren ist der bizarre Ruf unzähligerCagarros – manche Azoreaner sagen, erähnle dem Schrei eines Babys – im Som-mer nächtelang zu hören, und wer dasseltsame kwääk-aua-aua-aua-kwääk je ge-hört hat, dem wird es noch lange inErinnerung bleiben. Ein Azorensommerohne den Cagarro, das wäre unvorstellbar.

    Zerstörung der LorbeerwälderBei ihrer Entdeckung im 15. Jahrhundertwaren die Azoren fast ganz mit Wäldernbedeckt. Heute, nach Jahrhundertenlangen intensiven und unkontrolliertenRodens durch die Landwirtschaft, findetman die einstige Vegetation lediglichnoch an wenigen unzugänglichen Ortenin Kratern, auf Klippen oder an Berg-hängen. Ernsthaft bedroht sind die ur-sprünglichen Lorbeer- und Wachholder-wälder. Sie wurden zur Schaffung vonWeideland kahl geschlagen und sindnur noch an wenigen geschützten Orten,zum Beispiel auf der Insel Faial, erhaltengeblieben.

    An den vulkanischen Kliffen undBasaltfelsen der Küste wachsen vor allemGräser, überwiegend die Festuca petraea,ein Süssgras. Häufig sind die Küstenbewaldet, in der Vergangenheit von derWachsmyrte (Myrica faya) und der azo-reansichen Picconie (Picconia azorica)

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    Früher im ganzen Atlantikraumweit verbreitet, auf den Azorennoch immer häufig: der Gelbschnabelsturmtaucher

    Verträgt kaum Beweidung: Die endemische Azoren-Heidelbeere muss vielerorts der Landwirtschaft weichen.

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    ReportageNATUR

    dominiert. Das natürliche Weideland imInselinnern zeichnet sich durch einengrossen Pflanzenreichtum aus. Es ist ge-prägt von Honiggras (Holcus rigidus),Schwingel (Festuca jubata) und Schmiele(Deschampsia foliosa). Durch die zuneh-mende Viehwirtschaft bedroht, findetsich natürliches Weideland jedoch nurnoch an einigen der höchsten Stellen aufden Inseln über 700 Meter über Meer undin Vulkankratern.

    Das blattreiche JohanniskrautAuf den Azoren gibt es rund 60 endemi-sche Pflanzen (das heisst nur auf den Azo-ren wachsend). Sie finden sich auf Meeres-höhe bis zur Spitze des Pico (2351 m),dem höchsten Berg der Inseln. Die meistendieser Arten sind selten und oft auf klein-ste und unwirtliche Gebiete beschränkt.Der azoreanische Kleefarn (Marsilea azo-rica) beispielsweise wächst nur an einereinzigen Stelle auf Terceira, azoreanischerAugentrost (Euphrasia azorica) und Horn-kraut (Ceratium azorica) beschränkensich auf die Westgruppe. Auf allen Inseln

    häufig ist das blattreiche Johanniskraut(Hypericum Foliosum Aiton), ein niedri-ger Strauch mit eiförmig-lanzettlichenBlättern, ziemlich grossen, gelben Blüten.Er wächst vorwiegend oberhalb 400 Me-tern über Meer und ist ein häufiges Mit-glied des Lorbeer-Wacholder-Waldes,findet aber auch geeignete Bedingungenin dichten Pitosporum-Beständen. Dasblattreiche Johanniskraut ist eine derwenigen endemischen Pflanzen der Azo-ren, die nicht durch die weitreichendeNutzung der natürlichen Vegetation oder

    durch die Konkurrenz einwandernderPflanzen bedroht ist.

    Die Azoren Heidelbeere (VacciniumCylindraceum) ist ein belaubter Strauchvon bis zu 3,5 Metern Höhe, der aufallen Azoreninseln mit Ausnahme vonGraciosa vorkommt. Sie wächst in derRegel oberhalb von 300 Metern überMeer, auf Pico bis 1800 Meter und isthäufiger Bestandteil des Lorbeer-Wach-olderwaldes. Sie kommt auch verstreutin offenen Rasenflächen und auf sandigenAblagerungen vor. Die Azoren Heidel-

    Ruhe und Hektik: Velas und AngraAngra do Heroísmo auf Terceira ist aus histori-scher Sicht die interessanteste Stadt derInseln. Für kurze Zeit galt sie sogar einmal alsHauptstadt Portugals: Nachdem Portugal 1580von Spanien vorübergehend annektiert wor-den war, flohen die Königstreuen auf die Azo-ren und erhielten mit Sitz in Angra die staatli-chen Überreste ihres Landes aufrecht. Heutezeugt vor allem die Architektur von der beweg-ten Vergangenheit Angras: Renaissancebau-ten aus dem 17. Jahrhundert säumen die Stras-sen im Zentrum, spanischen Baustils ist diemächtige Kathedrale. Doch für Ruhesuchendezeigt sich manch anderer Ort auf den Inselnattraktiver als das enge und lärmige Angra.So zum Beispiel Velas, der ruhige Hauptortder wenig beachteten Insel São Jorge. Im Lava-becken baden die Einheimischen in Sichtweitedes Pico. Ein kleiner Park ziert, wie in so man-chem Azorenstädtchen, das Zentrum.

    Baden in heisser Quelle: FurnasDass der Vulkanismus auf den meisten Inselnnoch allgegenwärtig ist, wird einem vor allem inFurnas vor Augen geführt. Heisse Quellen, diean verschiedenen Stellen aus dem Boden

    treten, verbreiten ihren schwefligen Geruch imganzen Talkessel. Der Parque Terra Nostraam Rand des Ortes ist nicht nur wegen seinerexotischen Parkbäume einen Besuch wert,sondern auch wegen seinem Natur-Schwimm-bad: Das Wasser aus dem vulkanisch erwärm-ten Erdinnern ist gelblich und 38 Grad heiss.

    Der äusserste Westen: Flores Wer das beschauliche Leben auf den Azoreneine Weile genossen hat und dann nach Floresreist, muss hier nochmals einen Gang zurück-schalten. Die kleine Insel markiert nicht nur denäussersten Westen der Azoren, sondern vonganz Europa. Für seine 4000 Einwohner bedeu-tet dies ein Leben in tiefer Abgeschiedenheit.Einsamer ist es nur noch auf der NachbarinselCorvo, die lediglich ein einziger gewaltigerVulkankrater ist, an dessen Fuss ein Ort mit460 Einwohnern liegt.

    Ganz oben: PicoMit seinen 2351 Metern ist der Pico Portugalshöchster Berg. Einmal oben, bietet sich beischönem Wetter ein einzigartiger Überblick auf sämtliche Inseln der Zentralgruppe.

    Junges Land: CapelinhoEine der spannendsten Gegenden der Azorenliegt am anderen Ende Faials: die mystischeLandschaft um den jungen Vulkan Capelinho,der erst 1957 entstanden ist. Weite Teile desnahen Dorfes Capelos inklusive des Leucht-turmes wurden damals von Vulkanascheüberschüttet. Die recht hohen und ziemlichsteilen neuen Berge sind praktisch vollstän-dig begehbar. Sie sind bis heute noch weit-gehend unbewachsen.

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    Wurde 1957 von Vulkanasche verschüttet: das Dorf Capelos

  • Reportage NATUR

    beere erträgt kaum Beweidung. Ihre rosa-farbenen bis fast weissen Blüten sind inTrauben von 10 bis 20 Stück angeordnet.In Blüte ist die Azoren Heidelbeere sehrattraktiv.

    Ein ernst zu nehmendes Problem aufden Azoren ist die Invasion durch fremde,invasive Pflanzen, die die einheimischenArten völlig verdrängen können. Geradein jüngster Zeit hat ihre Zahl zugenom-men. Die auffälligste invasive Pflanze aufden Azoren ist die Hortensie (Hydrangeamacrophylla). Da sie das Logo der Touris-musbüros ziert, wird die ursprünglichaus Japan stammende Hortensie vonUnkundigen oft als typisch azoreanischePflanze angesehen. Auch sehr verbreitetist der ebenfalls aus Asien stammendeWilde Ingwer (Hedychium gardnera-num). Der schnelle Profit förderte inder Holzwirtschaft schnell wachsendeBäume, etwa Eukalyptus (Eucalyptusglobulus), Götterbaum (Ailanthus altis-sima) und Kiefer (Pinus pinaster).

    Noch 120 Azorengimpel-PaareUnter der Zerstörung der ursprünglichenLorbeerwälder hat auch die einheimischeVogelwelt zu leiden, allen voran derAzorengimpel (Pyrrhula murina), eineendemische Unterart des eurasischenGimpels (Pyrrhula pyrrhula). Mit ande-ren Singvögeln zum landwirtschaftlichen

    Schädling erklärt, begann Mitte des vor-letzten Jahrhunderts eine regelrechteAusrottungskampagne, wie der ZoologeMarkus Kappeler 1990 in einer Abhand-lung über den Azorengimpel schrieb. Dieletzte Zählung im Jahre 1999 ergab 120Azorengimpel-Paare.

    Wichtige Nahrungsquellen findetder Azorengimpel in den immergrünenLorbeerwäldern, einer Pflanzengesellschaftmit üppiger Moos-, Kraut- und Strauch-schicht. Feldbeobachtungen haben erge-ben, dass der Azorengimpel zwar eingewisses alternatives Nahrungsangebot an-nimmt, jedoch nie die Früchte der Kraus-blättrigen Klebsame (Pitosporum undula-tum), welche neben dem Ingwer zu denärgsten Bedrängern des Lorbeerwaldesgehört. Eine für ihn wichtige, einstsehr verbreitete endemische Pflanze ist derKirschlorbeerbaum (prunus lusitanica ssp.azorica). Gerade noch 7 dieser Bäume gibtes im 4 Quadratkilometer grossen Natur-reservat von Pico da Vara im Osten derInsel São Miguel, erklärt Maria JoãoPereira, Doktorin an der Universität derAzoren in Ponta Delgada. Sie ist mit ihrenMitarbeitern an einem Projekt zur Rettungdes Azorengimpels beteiligt. Ziel desvon der EU finanziell unterstützten Pro-jektes ist, die Fläche des noch bestehendenLorbeerwaldes auszudehnen und die Popu-lation des Azorengimpels bis in 7 Jahrenauf 150 bis 200 Paare zu erhöhen. ■

    Quellen:– Bussmann, Michael: «Azoren Reisehandbuch»,

    Michael Müller Verlag, 2002– Osang, Rolf: «Azoren», DuMont Reisetaschen-

    buch, 2001– Schäfer, Hanno: «Flora of the Azores – A Field

    Guide», Verlag Margraf– Homepage des Autors:

    www.stricker.net/andreas/bilder/azoren

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    Ernsthaft bedroht sind die ursprünglichen Lorbeer- und Wacholderwälder: hier der GewellteLorbeer (Klebsame), eine endemische Art

    Ragt direkt aus dem Meer herausund ist mit seinen 2351 Metern der höchste Berg von ganz Portugal: der Pico

    Wie aus dem Bilderbuch: die Lagoa das Furnas auf São Miguel