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Die Geschichte Russlands verschlüsselt im Gedicht Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht DIPLOMARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie (Mag. phil.) eingereicht bei Frau Univ.-Prof. Dr. Andrea Zink Institut für Slawistik Geisteswissenschaftliche Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck von Ines Oberleiter Innsbruck, 3. April 2017

Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

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Page 1: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

Die Geschichte Russlands

verschlüsselt im Gedicht

Vermittlung der russischen Revolution im

Sprachunterricht

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades einer

Magistra der Philosophie (Mag. phil.)

eingereicht bei Frau

Univ.-Prof. Dr. Andrea Zink

Institut für Slawistik

Geisteswissenschaftliche Fakultät

der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

von

Ines Oberleiter

Innsbruck, 3. April 2017

Page 2: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

I

Vorbemerkung und Danksagungen

Die Russische Revolution jährt sich im Jahr 2017 zum 100. Mal. Ihre Folgen haben

das gesamte 20. Jahrhundert inner- sowie außerhalb von Russland maßgeblich

beeinflusst. Dieses historische, weltumfassende Ereignis bildet die Grundlage meiner

Diplomarbeit. Es erscheint mir wichtig, die Russische Revolution aufgrund ihrer

Tragweite vor allem im russischen Fremdsprachenunterricht zu thematisieren.

Geschichtliche Themen sollten meiner Meinung nach einen fixen Bestandteil des

Sprachunterrichts bilden. Daher möchte ich mit der vorliegenden Arbeit einen

möglichen Ansatz zur Vermittlung von Geschichte im Fremdsprachenunterricht

aufzeigen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Univ.-Prof. Dr. Andrea Zink bedanken, die

meine Diplomarbeit betreut und begutachtet hat. Die Anregungen zum Thema dieser

wissenschaftlichen Arbeit entstanden in ihrer Übungsvorlesung zur avantgardistischen

Lyrik. Die interessante Gestaltung des Kurses weckte bei mir großes Interesse im

Bereich Lyrik und Geschichte und machte die Entstehung des Themas erst möglich.

Frau Zink hat keine Mühen gescheut hilfreiche Anregungen und konstruktive Kritik

einzubringen, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Ein großer Dank gilt in ganz besonderer Weise meinem Mann Josef, der stets ein

offenes Ohr für mich hatte, mir während der Anfertigung dieser Diplomarbeit mit

Ausdauer, Ruhe, Liebe und Geduld zur Seite stand und mich immer wieder

aufgemuntert und motiviert hat.

Meinen Freunden – Kathl, Kathi, Klara, Lisa, Steffi, Lucy und Antonio – danke ich für

den starken emotionalen Rückhalt über die Dauer meines gesamten Studiums und die

wertvolle Freundschaft, die uns verbindet.

Ein besonderer Dank gilt auch meinen Geschwistern Nicole, Johannes und Isabella

für ihre innige geschwisterliche Freundschaft.

Abschließend möchte ich mich bei meinen Eltern Anni und Stefan bedanken, die mir

mein Studium durch ihre Unterstützung ermöglicht haben, in allen Situationen hinter

mir standen und immer nur das Beste für meine Geschwister und mich tun.

Page 3: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

II

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung und Danksagungen .............................................................................. I

Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................ II

1. Einleitung ............................................................................................................. 1

2. Forschungsfrage und Literaturüberblick ............................................................... 3

3. Interpretationsvarianten der russischen Revolution ............................................. 7

3.1. Mystische Interpretation der Revolution ........................................................ 8

3.1.1. Blok zwischen proletarischer Revolution und christlicher Tradition.......... 8

3.1.2. Dvenadcatʼ – Ästhetik, Religion und Politik ............................................ 12

3.1.3. Nächtlicher Kreuzzug der „Zwölf“ gegen die alte Rus‘ ........................... 19

3.1.4. Mystischer Optimismus .......................................................................... 23

3.1.5. Dvenadcatʼ im Sprachunterricht ............................................................. 25

3.2. Feuer, Flamme und Euphorie ..................................................................... 27

3.2.1. Brjusov – Dichter der Revolution ........................................................... 28

3.2.2. K russkoj revoljucii – Eine Lobeshymne an die Revolution .................... 30

3.2.3. Die historischen Umstände des revolutionären „Ehernen Reiters“ ........ 33

3.2.4. Prorevolutionäre Überzeugungskraft ..................................................... 38

3.2.5. K russkoj revoljucii im Sprachunterricht ................................................. 39

3.3. Durst nach Freiheit und Bürgerrechten ....................................................... 42

3.3.1. Osip Mandel’štam und sein Traum von Demokratie .............................. 43

3.3.2. Dekabrist – zwischen Mythos, Vergangenheit und Gegenwart .............. 45

3.3.3. Geschichtsdurchdringende Revolution .................................................. 50

3.3.4. Freiheit und Bürgerrechte in der Flaschenpost ...................................... 52

3.3.5. Dekabrist im Sprachunterricht ............................................................... 54

3.4. Nostalgische Lyrik zu Zeiten der Revolution ............................................... 56

3.4.1. Anna Achmatova – Individualistische Poesie ........................................ 57

Page 4: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

III

3.4.2. Petrograd, 1919 - Erinnerungen ............................................................ 58

3.4.3. Denkmal der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ........................... 61

3.4.4. Altrussische Patriotin ............................................................................. 63

3.4.5. Petrograd, 1919 im Sprachunterricht ..................................................... 63

3.5. Masse, Marsch und Donnergebrüll ............................................................. 65

3.5.1. Majakovskij – Revolutionär in Politik, Literatur und Privatleben ............. 67

3.5.2. Levyj marš – Marsch, Meer, Welt .......................................................... 69

3.5.3. Vom „hinkenden“ Gaul bis zur Unendlichkeit des Ozeans ..................... 71

3.5.4. Direkter und unterschwelliger Appell ..................................................... 74

3.5.5. Levyj marš im Sprachunterricht ............................................................. 75

4. Von Achmatova bis Majakovskij – DichterInnen im Vergleich ............................ 77

4.1. Zeit: Vergangenheit vs. Zukunft .................................................................. 77

4.2. Räumliche Dimension ................................................................................. 79

4.3. Bilder, Metaphern und Mottos ..................................................................... 79

4.4. Individualismus vs. Kollektivismus .............................................................. 80

4.5. Skala „konservativ vs. progressiv“............................................................... 81

5. Fazit ................................................................................................................... 83

Anhang ...................................................................................................................... 87

A) Aleksandr Blok – Dvenadcatʼ .............................................................. 87

A-a) Metrisches Schema ....................................................................... 87

A-b) Deutsche Übersetzung: ............................................................... 115

B) Valerij Brjusov – K russkoj revoljucii ................................................. 125

B-a) Metrisches Schema ..................................................................... 125

B-b) Deutsche Übersetzung: ............................................................... 126

C) Osip Mandel’štam – Dekabrist .......................................................... 128

C-a) Metrisches Schema ..................................................................... 128

C-b) Deutsche Übersetzung ................................................................ 129

Page 5: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

IV

D) Anna Achmatova – Petrograd 1919 ................................................. 131

D-a) Metrisches Schema ..................................................................... 131

D-b) Deutsche Übersetzung ................................................................ 132

E) Vladimir Majakovskij – Levyj Marš .................................................... 133

E-a) Metrisches Schema ..................................................................... 133

E-b) Deutsche Übersetzung ................................................................ 135

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................... 138

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. 139

Bibliographie ............................................................................................................ 140

Page 6: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

1

1. Einleitung

Wenn man die Fülle und Komplexität der historischen Ereignisse zu Zeiten der

Revolution von 1917 in Russland betrachtet, scheint ihre Vermittlung, vor allem im

Fremdsprachenunterricht, der sich ja in erster Linie auf das Erlernen der russischen

Sprache selbst konzentrieren sollte, eine gewisse Herausforderung darzustellen. Den

Sprachlernenden die Historie eines Landes vorzuenthalten, wie es in der Realität leider

meistens der Fall ist, stellt keine besonders gute „Lösung“ dar. Schließlich zieht das

Ignorieren relevanter, historischer Fakten über das Land, dessen Sprache man gewillt

ist zu lernen, Unwissenheit nach sich und kann an dem Punkt zur Hürde werden, wenn

es darum geht das Land, seine Bewohner und Kultur zu verstehen.

Russische Lehrwerke, Stundentafeln, sowie die vom Ministerium vorgeschriebenen

Lehrpläne lassen erkennen, dass im Fremdsprachenunterricht vorzugsweise die

Sprache selbst und kulturelle Inhalte (Bräuche, Traditionen, Kulinarik) im Vordergrund

stehen. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass die sinnvolle Vermittlung von

Geschichtswissen im Fremdsprachenunterricht eine noch unzureichend erforschte

Thematik ist. Ein sehr interessanter Aspekt lässt sich in der inhaltlichen Entwicklung

von Lehrwerken über die letzten Jahrzehnte feststellen. So weisen ältere Lehrwerke,

die nicht auf dem GER (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen)

basieren, vergleichsweise viel Geschichtswissen auf. Ein konkretes Beispiel dafür

wäre neben vielen weiteren das Lehrbuch „Modernes Russisch – ОКНО 2“ aus dem

Jahr 1994, das u. a. ein Kapitel zum Thema „Meilensteine in der Geschichte

Russlands“ (Gerber/Groh 1994, 30) enthält. Historische Ereignisse wie die

Durchsetzung der Petrinischen Reformen (1698–1725), der Dekabristenaufstand

(1825), die Russische Revolution von 1917, der „Große Vaterländische Krieg“ (1941–

1945), der Beginn der Perestroika (1985) und das Ende der Sowjetunion (1991)

werden hier thematisiert. Außerdem deckt das Lehrwerk auch wichtige

literaturgeschichtliche Themen (ebd. 63–70) sowie technische Errungenschaften

beispielsweise in Bezug auf die Raumfahrt (ebd. 75–81) ab. Neuere Lehrbücher (z.B.

„Отлично!“ oder „Диалог“), welche sich auf den GER beziehen, weisen hingegen fast

keine oder gar keine geschichtlichen Inhalte mehr auf und fokussieren vor allem die

alltägliche Kommunikation und relevante kulturelle Aspekte. Das Verstehen einer

Kultur / einer Sprache / eines Landes setzt jedoch die Auseinandersetzung mit dessen

Page 7: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

2

Geschichte voraus. Im Fremdsprachenunterricht sollte man sich deshalb nicht auf

Sprache und Kultur beschränken, sondern in sinnvollem Maß auch historisches

Wissen einfließen lassen. Die Vorgaben des Lehrplans verleiten allzu oft dazu, dessen

Ziele so gut es geht abzustecken, sodass Geschichte nicht wirklich Platz findet. Die

Lehrpersonen sollten hingegen dazu angehalten werden über den „Tellerrand“

hinauszusehen, um auch historische Themen in den Sprachunterricht zu integrieren.

Man könnte nun damit argumentieren, dass bei jenen Klassen, die im Fach Russisch

maturieren sollen, ein besonderer Druck besteht, die Schülerinnen und Schüler in sehr

knapper Zeit sprachlich gesehen auf ein entsprechendes Niveau zu bringen, wodurch

das Miteinbeziehen von Geschichte in den Sprachunterricht beträchtlich erschwert

wird. Es gilt somit eine Lösung zu finden, die historische Aspekte sinnvoll in den

Sprachunterricht einbindet, ohne auf sprachlicher Ebene Verluste zu erleiden.

Klassischer Geschichtsunterricht auf Russisch würde ein sehr hohes Sprachniveau

erfordern, welches jedoch in den meisten Fällen im realen Schulunterricht nicht

gegeben ist. Die Möglichkeit, sich mit den historischen Fakten zur Russischen

Revolution auf Deutsch auseinanderzusetzen, lässt wiederum die Ausübung der

russischen Sprache zu kurz kommen. Außerdem verlangt die Vermittlung von

Geschichte im (Sprach-)Unterricht nach einer speziellen Methode, welche Historie

nicht mittels bloßer Faktenauflistung lehrt, denn dies könnte einerseits zu einem

„Overload“ an Informationen über historische Begebenheiten führen und Verwirrung

stiften, andererseits könnte eine gewisse monotone, listenartige Vermittlungsweise

Langeweile oder Desinteresse auf Seiten der Lernenden mit sich ziehen, wodurch im

Endeffekt weder das „Gelernte“ gefestigt, noch das Interesse der Schülerinnen und

Schüler an einer möglichen Vertiefung in das Thema bzw. an der Geschichte

Russlands geweckt wird.

Um Verwirrung, Desinteresse und Unwissenheit zu vermeiden und einem geringeren

Lernfortschritt in Lexik und Grammatik bei den Lernenden vorzubeugen, bedarf es

einer besonderen Herangehensweise zur Vermittlung von historischem Wissen im

Fach Russisch. In der vorliegenden Arbeit soll eine Möglichkeit der

Auseinandersetzung mit Geschichte – im Konkreten mit der Russischen Revolution

von 1917 – im Sprachunterricht gezeigt werden. Diese Arbeit könnte ein Anstoß für

weitere Forschungen zum Thema „Vermittlung von Geschichtswissen im

Fremdsprachenunterricht“ sein.

Page 8: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

3

2. Forschungsfrage und Literaturüberblick

Die Russische Revolution, ein Zeitereignis von weltgeschichtlichem Rang, bezieht sich

laut Hildermeier (2013) nicht nur auf die Zeit zwischen Februar- und Oktoberrevolution,

sondern meint darüber hinaus auch die anschließende sozialistische Revolution und

den Bürgerkrieg (1918–1921). Der Historiker listet die „Gründung der Union der

Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR)“ am 30. Dezember 1922 als letztes

relevantes Ereignis in der Chronik der Russischen Revolution auf (ebd. 122f). Die

chronologische Aufstellung der historischen Daten (insgesamt 44) der Jahre 1917 bis

1922 bietet einen guten Überblick über die Geschehnisse jener Zeit. Sie alleine geben

jedoch keinen Aufschluss über die sozialen oder politischen Umstände, welche die

Revolution begünstigten, oder über den damals vorherrschenden Zeitgeist, der am

authentischsten durch Zeitzeugen vermittelt werden kann. Darum stützt sich die

vorliegende Arbeit auf fünf konkrete lyrische Werke, die von verschiedenen AutorInnen

in den Jahren der Revolution geschrieben wurden. Das Buch Hildermeiers (2013) zur

Russischen Revolution dient lediglich der faktenorientierten Darstellung ihrer

historischen Inhalte.

Die zahlreichen Daten, aus denen sich das Gesamtgeschehen der Russischen

Revolution zusammensetzt, in den Schulunterricht einzubauen, wäre eine

Überforderung, die nicht im Sinne einer Vermittlung von Geschichte im

Sprachunterricht wäre. Es geht also nicht darum, alle historischen Begebenheiten im

Detail zu unterrichten. Vielmehr sollte versucht werden, die wichtigsten Tatsachen und

Ereignisse hervorzuheben, um ein Gesamtverständnis der Revolution anzustreben.

Das bedeutet im Wesentlichen die Beantwortung folgender Fragen: Wodurch wurde

die Revolution ausgelöst? Was geschah im Februar und Oktober 1917? In welcher

(politischen/sozialen) Situation befand sich Russland im Jahr 1917? Wer war(en) die

führende(n) Partei(en)? Welche Ziele wurden im Bürgerkrieg von wem angestrebt?

Wer kam wie an die Macht?

Im Zuge dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern eine Vermittlung der

Russischen Revolution auf Basis lyrischer Originaltexte im Sprachunterricht sinnvoll

erscheint und ob sich dadurch Antworten auf die oben gestellten Fragen finden lassen.

Durch die Interpretation und Ausarbeitung fünf konkreter lyrischer Werke sollen

verschiedene Zugänge zur Revolution – gemeint sind die subjektiven

Page 9: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

4

Wahrnehmungen der DichterInnen – sichtbar gemacht werden, um, zur Erfassung

dieses historischen Einschnittes, ein möglichst authentisches und vielseitiges Bild zu

erzeugen.

Außerdem soll aufgezeigt werden, welche Chancen und Herausforderungen eine

Arbeit mit Gedichten zur Vermittlung von Geschichte im Sprachunterricht bereithält

und welche Probleme dabei auftreten können. Darüber hinaus gilt es zu prüfen, ob die

jeweiligen Gedichte genügend historischen Input bieten, um überhaupt der

Bezeichnung „Schlüssel zur Darstellung der Geschichte“ gerecht zu werden.

Es geht in der Arbeit weder um die lückenlose Darstellung der

(politischen/historischen) Geschehnisse während der russischen Revolution. Ebenso

wenig wird auf die bloße Interpretation einzelner Gedichte, u. a. zur Erfassung des

literaturgeschichtlichen Kontextes, abgezielt. Vielmehr soll der Zusammenhang

zwischen Lyrik und historischen Tatsachen aufgezeigt und in den schulischen Kontext

gestellt werden. Auf didaktische Ausarbeitungen wird jedoch verzichtet.

Im Hauptteil (Kapitel 3) werden folgende Gedichte behandelt: Dvenadcatʼ (Aleksandr

Blok), K russkoj revoljucii (Valerij Brjusov), Dekabrist (Osip Mandel’štam), Petrograd,

1919 (Anna Achmatova), und Levyj marš (Vladimir Majakovskij).

Ausgehend von diesen fünf lyrischen Werken, die entweder dem Symbolismus,

Akmeismus, oder Futurismus – dies waren die wichtigsten literarischen Strömungen

der Avantgarde – zugeordnet werden können, sollen historische Ereignisse markiert

und die subjektive Bezugnahme des Dichters/der Dichterin, u. a. auch im Hinblick auf

die literarische Strömung, untersucht werden. Die hierfür verwendete Literatur

umfasst, neben einigen Autobiographien, vor allem Werke, welche sich auf die

biographische sowie literarische Persönlichkeit der einzelnen LyrikerInnen beziehen.

So setzte sich beispielsweise Dorothea Bergstraesser (1979) mit Bloks Dvenadcatʼ

eingehend auseinander. In ihrem Werk Alexander Block und “Die Zwölf” liefert sie in

erster Linie Materialien zum eschatologischen Aspekt in Bloks Dichtung.

Für das Kapitel über Brjusov wurde im zweiten Abschnitt des Hauptteils primär das

Werk „Brjusov und die Zeitgeschichte“ von Sabina Siwczyk-Lammers (2002) zu Rate

gezogen. Sie beschäftigte sich eindringlich mit dem Leben und literarischen Schaffen

Brjusovs. In dieser Monographie liegt der Fokus auf den lyrischen Werken des

Page 10: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

5

Dichters, die, unter Beachtung des historischen Kontextes, mit seinem Leben in

Verbindung gebracht werden.

Die wichtigste Literatur zum Thema „Osip Mandell’štam“ bilden nach wie vor die Werke

Ralph Dutlis (1995 / 2016), der sich Jahrzehnte lang mit dem Leben und Wirken

Mandel‘štams befasste.

Neben der umfassenden Autobiographie Anna Achmatovas wird im vierten Abschnitt

des Hauptteils vor allem auf die Monographie Agnieszka Świerszczs (2002) verwiesen,

die sich nicht nur mit der Biographie Achmatovas auseinandersetzte, sondern vor

allem auf die „literarische Persönlichkeit“ jener bedeutenden Dichterin eingeht.

Ähnlich wie Achmatova verfasste auch Vladimir Majakovskij eine relativ umfangreiche

Autobiographie, die jedoch als ziemlich einseitige Selbstdarstellung angesehen

werden kann. Deshalb untersuchte Stephanie Hajak (1989) diese sehr kritisch zu

betrachtende „futuristische“ Autobiographie. Das Ergebnis ihrer Arbeit liefert

interessante Informationen zum Leben und Charakter des Autors.

Insgesamt gliedert sich das dritte Kapitel dieser Arbeit in fünf Abschnitte, denen jeweils

eines der oben genannten lyrischen Werke zugrunde liegt. Jedes Gedicht stellt eine

Interpretationsweise (des Dichters/der Dichterin) der russischen Revolution dar. Die

einzelnen Kapitel werden thematisch wiederum in fünf weitere spezifische Bereiche

unterteilt, in denen folgende Fragen beantwortet werden sollen:

1. WER?

Das Hauptanliegen dieses Teilkapitels liegt in der Darstellung des Zusammenhangs

zwischen dem Gedicht und dem Leben des jeweiligen Autors/der jeweiligen Autorin.

Das Ziel ist hierbei jedoch nicht die Auflistung biographischer Daten, sondern die

Hervorhebung etwaiger prägender Ereignisse im Leben der DichterInnen, die

Auswirkungen auf ihr revolutionäres Verhalten und in weiterer Folge auf ihre lyrischen

Werke hatten.

2. WIE?

Diese Frage geht der Machart des Gedichtes nach. Im Zentrum stehen Form, Laut-

und Rheimschema, Onomatopoesie, lyrische Mittel, sowie die sprachliche

Komponente der einzelnen Werke. Es soll vor allem die formale Bedeutung der

jeweiligen Gedichte in Bezug auf den historischen Kontext herausgearbeitet werden.

Page 11: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

6

3. WAS?

Die konkret im Gedicht vorhandenen historischen Fakten zur Russischen Revolution

werden in einem separaten Unterkapitel hervorgehoben. Alle historischen Daten und

Begebenheiten, auf die die DichterInnen direkt oder indirekt Bezug nehmen, sind von

Belang.

4. WOZU?

Dieser Teil handelt von der Frage nach dem Zweck der einzelnen Gedichte: Wozu

wurde das Gedicht verfasst? Wie soll(te) das Gedicht auf seine Rezipienten wirken?

Welches Bild der Revolution wird durch die Art der Komposition erzeugt? Wie wird

dadurch der historische Kontext von Seiten der LeserInnen wahrgenommen? Nicht

zuletzt soll erörtert werden, ob sich der Autor/die Autorin durch die Art der Komposition

politisch positioniert.

5. WARUM?

Schließlich gilt es zu prüfen, inwiefern sich das Gedicht für den FSU zur Vermittlung

von Geschichte eignet und welche Herausforderungen es an die SchülerInnen und

Lehrpersonen stellt.

Zusammengefasst untersucht die vorliegende Arbeit zum einen die

Faktenorientiertheit der einzelnen Gedichte in Bezug auf die Russische Revolution und

in weiterer Folge deren Eignung im FSU. Zum anderen sollen aufgrund der subjektiven

lyrischen Zugänge möglichst unterschiedliche Aspekte der Russischen Revolution

aufgezeigt werden.

Page 12: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

7

3. Interpretationsvarianten der russischen Revolution

Die oben bereits erwähnten lyrischen Werke stammen aus der Feder fünf

verschiedener Dichter, die u. a. auf Basis ihrer Herkunft, Erziehung und (Aus-)Bildung

einen jeweils anderen Zugang zur Revolution hatten. Diesem unterschiedlichen

Zugang entspricht die Einteilung der Arbeit in thematisch unterschiedene Kapitel.

In den folgenden Kapiteln werden jene fünf Gedichte vor allem im Hinblick auf ihre

geschichtliche Aussagekraft analysiert. Die AutorInnen, die die Russische Revolution

von 1917 selbst miterlebt haben, bringen in ihren Werken nicht nur die Stimmung der

damaligen Zeit, sondern auch ihre persönlichen Eindrücke zum Ausdruck. Die

Gedichte sind in ihrer Gesamtheit zum einen ein Spiegel der damaligen Gesellschaft

und der politischen Umstände, andererseits werden in ihnen persönliche Eindrücke

und individuelle Positionen in Bezug auf die Revolution dargelegt. Es gilt jedoch zu

berücksichtigen, dass ein Kunstwerk nie die Realität kopiert, sondern eine eigene

ästhetische Realität herstellt, die keine außerliterarischen Fakten bestätigt. Aus

diesem Grund wird das in der Einleitung bereits erwähnte Werk des Historikers

Hildermeier (2013) über die Russische Revolution als Bezugspunkt zur Realität

herangezogen.

Da sich ein Gedicht mehr oder weniger gut zur Vermittlung von Geschichtswissen im

Sprachunterricht eignen kann und dies von Werk zu Werk unterschiedlich ist, macht

es Sinn, die Kapitel thematisch auf Basis der einzelnen Gedichte einzuteilen. Die

vollständigen Werke mit deutscher Übersetzung und Lautschemata sind im Anhang zu

finden. Die Gedichte werden chronologisch nach Entstehungsdatum in die Arbeit

eingeführt.

Page 13: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

8

3.1. Mystische Interpretation der Revolution

„...Так идут державным шагом —

Позади — голодный пёс.

Впереди — с кровавым флагом,

И за вьюгой неведим,

И от пули невредим,

Нежной поступью надвьюжной,

Снежной россыпью жемчужной,

В белом венчике из роз —

Впереди — Исус Христос.“

(Aleksandr Blok, Jänner 1918, «Dvenadcatʼ»,1 T 12, S 9)

3.1.1. Blok zwischen proletarischer Revolution und christlicher Tradition

Aleksandr Aleksandrovič Blok (*28.11.1880 in Sankt Petersburg, † 07.08.1921 in

Petrograd) war neben Andrej Belyj der bedeutendste Vertreter der jüngeren

Generation der russischen Symbolisten2, die vor allem von der von mystischen

Überhöhungen geprägten deutschen Romantik und der idealistischen Philosophie

beeinflusst waren (Holthusen 1957, 34f). Die Vertreter der zweiten, jüngeren

Generation fassten den Symbolismus nicht nur als „formalästhetische Schule“ auf,

sondern vor allem auch als eine Form der „Weltanschauung“. Diese konkrete

Verbindung von formalästhetischen und weltanschaulichen Aspekten lässt sich u. a.

im Symbol verwirklichen (Peters 1972, 13).

Die Auffassung des Symbols bei Blok ist ambivalent und entfernt sich an manchen

Stellen von der Bedeutung, welche die Symbolisten der zweiten Generation dem

1 Das vollständige Poem im Original inklusive metrischem Schema und deutscher Übersetzung von Alfred Edgar Thoss ist unter Anhang A zu finden. 2 In Russland lässt sich die Bewegung der Symbolisten mit großer Genauigkeit in zwei Gruppen, die sogenannten jüngeren und älteren Symbolisten teilen, die jedoch nicht nur zeitlich, sondern hauptsächlich inhaltlich differenziert werden müssen. Zu den älteren zählen u. a. Valerij Brjusov Konstantin Bal‘mont, Dmitrij Mereškovski, zu den jüngeren Andrej Belyj, Aleksandr Aleksandrovitč Blok, Fėdor Stepun. (https://de.wikipedia.org/wiki/Symbolismus_(Literatur)#Russischer_Symbolismus, abgerufen am 14.01.2017)

Page 14: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

9

Symbol zusprachen. Die unterschiedliche Auslegung des Symbols in Bloks Werken

lässt sich auf zwei Positionen in der Literaturtheorie zurückführen: Während für Ivanov

– er ist neben Bely einer der führenden Literaturtheoretiker des Symbolismus der

jüngeren Gruppierung – „alle Erscheinungen der Realität nur Zeichen für eine ‚höhere

Wirklichkeit‘, die hinter ihnen steht, [sind]“ (ebd. 14) – diese „höhere Wirklichkeit“, von

der hier gesprochen wird, ist meist als nicht genauer definierbare Transzendenz im

Religiösen verankert – geht Goethe von einem Symbol aus, das nicht nur Zeichen für

etwas Bestimmtes ist, sondern die direkte Verkörperung desselben, also „Hinweis und

dichterische Realität“ zugleich (ebd. 15). Wie in Kapitel 3.1.2. zu erkennen sein wird,

variiert das Symbolsystem Bloks innerhalb dieser beiden Interpretationspole, als

Zeichen für eine höhere Wirklichkeit einerseits und als Zeichen für dichterische Realität

andererseits. Diesbezüglich hatte die Lyrik Vladimir Solov’evs eine nachhaltige

Wirkung auf die Dichtung Bloks. Prägend war vor allem seine „dualistische

Gegenüberstellung und gleichzeitige Durchdringung zweier Welten – der realen und

der transzendenten – die für Bloks gesamtes Werk charakteristisch ist“ (ebd. 19).

Aleksandr Blok war aufgrund seiner Modernität und Kreativität, die er anhand von

neuen Bildern, die die überholte klassische und romantische Palette von Metaphern

und Symbolen modifiziert, sichtbar machte und in seinen besten Werken zu Tage

legte, bereits ein Wegbereiter des Futurismus, Expressionismus und Surrealismus

(ebd.).

In den Jahren zwischen 1898 und 1900 schrieb Aleksandr Blok 290 Gedichte, von

denen er 70 auswählte und im Gedichtband „Ante lucem“ zusammenfasste. An diesen

Werken, die meist klassische, in Jamben geschriebene Versmaße und regelmäßige

Strophen aufweisen, kann man noch, im Gegensatz zu seinen späteren Gedichten,

den deutlichen Einfluss verschiedenster Vorbilder (u.a. Puškin) erkennen (ebd. 18).

Regelmäßigkeit und Ordnung schienen sich in jenen Jahren auch in seinem Leben

abzuzeichnen. Im Jahre 1898 erneuerte Blok seine Freundschaft mit Ljubov‘

Dmitrievna Mendeleeva, seiner „großen Liebe“ und späteren Frau, der er, trotz

beträchtlicher zwischenzeitlicher Krisen, bis an sein Lebensende verbunden war (ebd.

17).

Was die Politik zu jener Zeit anging, beschäftigte sich Aleksandr Blok kaum mit den

revolutionären Ereignissen der Jahre 1904 und 1905 und doch faszinierte ihn schon

damals die Funktion der Masse. Bei einer Arbeiterdemonstration trug er sogar einmal

Page 15: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

10

eine rote Fahne (ebd., 22), was stark an das in seinem späteren Poem erzeugte Bild

der zur Revolution aufmarschierenden Zwölf erinnert. Blok selbst gibt jedoch in seinen

literarischen Werken zu erkennen, dass er die Revolution nicht als politisches Ereignis

wahrnimmt, sondern „als elementare Erhebung der Masse, gewissermaßen als eine

Naturkatastrophe, der er sich als Dichter gefühlsmäßig verbunden fühlt“ (ebd. 22).

Diese „elementare Erhebung“ drückt der Autor in Dvenadcatʼ beispielsweise in Form

des Windes oder des Schneesturms aus.

Aleksandr Bloks lyrische Bandbreite entwickelte sich innerhalb von wenigen Jahren

vom fein nuancierten Minnedienst seiner frühen Liebesgedichte zu „den grellen

Dissonanzen und harten Rhythmen der Großstadt“ (Städtke 2011, 256). Hierzu

kommt, dass die „hohe Frau“ seiner frühen Dichtung nach und nach durch Prostituierte

und Zigeunerinnen ausgetauscht wird. Auch in Dvenadcatʼ führt Blok mit Kat‘ka eine

Prostituierte ins revolutionäre Geschehen ein, die im sechsten Teil des Poems

ermordet wird. Dies hat, bezogen auf die russische Revolution, einen tieferen Sinn,

der in Kapitel 3.1.2. näher erläutert wird.

In den Jahren 1906 bis 1907 entstand einer von Bloks literarisch hochwertigsten

Gedichtzyklen Snežnaja maska, in dem das neue Thema der Stadt – die moderne

Großstadt Sankt Petersburg – dominiert (Peters1972, 24). Ab 1908 entfernte sich der

Dichter von der traditionellen Verstechnik und lässt immer mehr den freien russischen

Akzent einfließen. Unregelmäßiger Strophenbau und assonierende Reime häufen sich

(ebd. 24) und werden schließlich auch in Dvenadcatʼ meisterhaft verarbeitet.

In der Zeit von 1908 bis 1909 übte Blok publizistische Tätigkeiten aus und verfasste

u.a. einige Essays zu gesellschaftlichen Fragen. Der bekannteste davon trug den Titel

„Russland und die Intelligenz“, worin der Autor den später eingetretenen Sieg der

proletarischen Massen über die im Verhältnis geringe Anzahl der Intellektuellen bereits

eindeutig voraussah (ebd. 26).

Im Jahr 1909 unternahm der russische Schriftsteller eine Europareise. In Briefen an

seine Mutter drückte er die Enttäuschung über diese Reise aus. Obwohl er die

Vergangenheit der westeuropäischen Kultur bewunderte, sah Blok das damalige,

durch die moderne Zivilisation verdorbene Leben in Westeuropa als schrecklich und

durch keine Revolution umformbar an (ebd. 26), womit Russland in den Gedanken

Bloks, im Vergleich zu Europa, aufgewertet wurde. In den Jahren nach seiner Reise

Page 16: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

11

wurde die „Rus‘“, die russische Heimat, in seinen Werken vermehrt thematisiert bzw.

angesprochen und teilweise als weibliche Gestalt dargestellt (ebd. 35).

Im Gedichtzyklus „Strašnyj mir“ (1912) spielt neben der Natur und der Geschichte auch

die Zukunft Russlands als messianische Erneuerin der Welt eine Rolle (ebd. 35).

Aleksandr Blok verspürte offenbar die Sehnsucht nach Veränderung, nach etwas

Neuem. In seinem Privatleben gab es zudem Spannungen, so beispielsweise in

seinem Eheleben, oder zwischen seiner Mutter und Ljubov‘, die das enge Verhältnis

von Blok zu seiner Mutter nicht tolerierte, außerdem brachten ihn maßloses Trinken

und lockere Beziehungen zu anderen Frauen, was er selbst als Sünde ansah, in einen

geistigen Kampf mit sich selbst, gegen den er nicht ankam. Bloks zerrissenes,

angespanntes, ambivalentes Inneres und seine Sehnsucht nach einem Bruch mit der

Vergangenheit und nach positiver Erneuerung spiegelt sich in seinem späteren

lyrischen Werk in unregelmäßigen Strophen und Rhythmen und in Inhalten, die von

Gegensätzen dominiert sind, so auch in Dvenadcatʼ, wider.

Vor allem die neu entflammte Hoffnung in seine Heimat trug dazu bei, dass in den

späteren Jahren seiner Dichtung das Thema „Russland“ überwog. Der erste Weltkrieg

ließ in Blok die reale Hoffnung auf das Entstehen von etwas Neuem aufkommen (ebd.

35). Deshalb befürwortete er zunächst auch die russische Revolution im Oktober 1917.

Diese Haltung ist in seinem Werk Dvenadcatʼ deutlich erkennbar. Der Versuch des

Dichters, die proletarische Revolution mit dem geistigen Ideal des Christentums in

Verbindung zu bringen, erzeugte in Blok jedoch ein inneres Missverhältnis (ebd. 38f).

L. Timofeev (1960, 125-127) sieht die Verbindung von christlichen Vorstellungen mit

dem „Geist eines kämpferischen Humanismus“ auch als Grundwiderspruch des

Poems Dvenadcatʼ an. Die in diesem Werk vorliegende dichterische Realität lässt in

politischer, ästhetischer und religiöser Hinsicht zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten

zu.

Die Bolschewiki sahen in dem Gedicht beispielsweise die Verherrlichung ihres

Regimes. Als sich später zeigte, wohin Bloks zwölf Apostel Russland in Wirklichkeit

führten, soll der Autor, der selbst kein Kommunist war, sein Werk bereut haben

(Eliasberg 1964, 177). Nicht zuletzt war er am Ende selbst ein Opfer des

kommunistischen Regimes, denn als er infolge von Unterernährung an Skorbut

erkrankte und aufgrund weiterer schwerer körperlicher Leiden an die Regierung ein

Ansuchen stellte, nach Finnland gehen zu dürfen, ließ man ihn nicht ausreisen (ebd.

Page 17: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

12

177). Im Poem Dvenadcatʼ, seinem vorletzten Werk ehe er starb, finden seine Ideen

über Russland ihren Höhepunkt und gleichzeitig ihr Ende (Peters 1972, 38).

3.1.2. Dvenadcatʼ – Ästhetik, Religion und Politik

Um nicht mit einer unüberschaubaren Fülle an Interpretationsvorschlägen, die das

Poem Dvenadcatʼ durchaus bieten würde, zu verwirren, wird in dieser Arbeit, nach

einem kurzen Überblick über den Inhalt des Werks, vor allem auf die in historischer

Hinsicht relevanten Auffälligkeiten eingegangen.

Der Marsch der zwölf Revolutionäre durch das nächtliche, schneeverwehte Sankt

Petersburg – die „Zwölf“ sind keine Helden, sondern Menschen der unteren

Volksschicht – bildet den Haupterzählstrang und, bildlich gesprochen, den „roten“

Faden, der sich durch das Poem zieht. Die Bewohner der Stadt – ein altes Mütterchen,

ein Bürger, ein Dichter, ein Priester, und eine Adelige – scheinen im Schneegestöber

herumzuirren, können sich kaum auf den Beinen halten und gleiten auf dem Glatteis

aus, während die „Zwölf“ mit festem Schritt ihren Weg gehen. Bald singen sie ein von

revolutionären Gedanken durchdrungenes Soldatenlied (Teil 3), bald beobachten sie

Kat’ka, eine Prostituierte, die sich mit Wan’ka vergnügt. Petrucha, einer der „Zwölf“,

begeht im sechsten Abschnitt des Poems, der aus dramaturgischer Sicht den

Höhepunkt des Werks bildet, aus Eifersucht Mord an Kat’ka und wird für kurze Zeit

von Gewissensbissen gequält, bis ihn die „Zwölf“ ermahnen und er zugunsten der

Kammeraden über seinen persönlichen Schatten springt. So schreiten sie in vereinter

Manier weiter. Am Schluss erscheint plötzlich Jesus Christus, um die zwölf

Revolutionäre anzuführen.

Das Poem Dvenadcatʼ ist in zwölf Abschnitte gegliedert, wobei der erste Teil mit 17

Strophen der längste ist, der dritte und der neunte Teil mit jeweils drei Strophen zu je

vier Versen die kürzesten und die rhythmisch gesehen regelmäßigsten sind. Im

Großen und Ganzen finden wir in Bloks Poem nur eine geringe Konsequenz in der

Strophen- bzw. Versgliederung und in der Metrik. Bergstraesser (1979, 112) meint,

dass in Dvenadcatʼ „nicht nur [...] die Strophenbildung dem Gesetz der inhaltlichen

Angemessenheit mehr [folgt] als dem künstlerisch-formaler Symmetrien; die kleineren

Einheiten, als da sind Metrum, Silbenzählung, Zäsuren, Reim und auch die größeren,

Sprechstil, Stimmungslage, Bildeinheiten, erscheinen dem flüchtig darüber

Page 18: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

13

hinweggleitenden Auge als ein wahlloses Erproben der verschiedensten Möglichkeiten

– Bruchstücke, Aneinanderreihung unendlicher Variationen.“ Das schematische

Gesamtbild wirkt in seiner Form also sehr unruhig und zerrissen und doch weisen

einzelne Teile eine innere formale Regelmäßigkeit auf. Des Weiteren ist zu

beobachten, dass das Poem mit jedem Teil im Rhythmus regelmäßiger wird.

Die wechselnden Rhythmen und die unterschiedlichen Sprachebenen, die von

volkstümlich bis lyrisch überhöht vom Dichter präzise eingesetzt werden und den

jeweiligen Inhalten ihre Melodie und Funktion geben, unterstreichen die politische

Fragmentierung und innere Zerrissenheit Russlands zu jener Zeit. Die formale Machart

des Poems Dvenadcatʼ steht also in engem Zusammenhang mit der inhaltlichen

Ebene, so ist Teil drei zum Beispiel ein Soldatenlied, was, um als solches identifiziert

werden zu können, einen regelmäßigen Rhythmus (hier: Trochäus) und eine eher

volkstümliche Sprache hat. Wie auch im neunten Teil wird hier durchgehend die

„častuški“ verwendet, es handelt sich um einen einfachen Vierzeiler, der in Russland

vor allem in der Sprache der unteren Volksschicht sehr verbreitet ist (Peters 1972, 38).

Die Konsequenz in diesen beiden Abschnitten und die liedhafte Rhythmik untermauern

den Inhalt. Auf diese Art und Weise kann bildlich und lautlich erfasst werden, wer oder

was hinter dem Lied bzw. dem Text steht. In diesem Fall scheint es der Marschgesang

der zwölf Revolutionäre zu sein, die als einzig wirkliche Konstante immer wieder im

Poem erscheinen, erstmalig zu Beginn des zweiten Teils, während der erste Teil das

Erscheinen der Zwölf lediglich vorbereitet und in gewisser Weise lautlich, inhaltlich und

strukturell die landschaftlichen und im übertragenen Sinne auch die politischen

Bedingungen der damaligen Zeit verdeutlicht.

Der erste Teil gliedert sich in siebzehn Strophen, deren Versanzahl zwischen eins und

vierzehn variiert. In diesem Abschnitt fallen die unterschiedlichen Versmaße und

metrischen Formen – jambische, trochäische, anapästische, sowie daktylische –

besonders auf, beispielsweise in der zweiten Strophe (T1/S2/V3-6):

Под снежком — ледок. ◡ ◡ – ◡ – a

Скользко, тяжко, – ◡ – ◡ t

Всякий ходок – ◡ ◡ – d

Скользит — ах, бедняжка! ◡ – ‖ – ◡ – ◡ j / t

Page 19: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

14

Onomatopoetisch gesehen ist festzustellen, dass in jeder Strophe des ersten Teils ein

Vokal oder eine Konsonanten-Vokal-Konstruktion besonders dominiert. In der ersten

Strophe wird mit der Kombination „ве“ (вечер, ветер, свете) das Geräusch des

stürmischen Windes auch lautmalerisch akzentuiert. Im Gegensatz dazu überwiegt in

der zweiten Strophe die Lautkonstruktion „жко/жка/жок“ (снежок, снежком, тяжко,

бедняжка), die das abgehackte Zischen des Windes in Kombination mit einem

Geräusch des Fallens auf das Eis auf lautlicher Ebene umschreibt. Es wirkt fast so,

als ob sich der säuselnde Wind über die Menschen, die auf dem Eis ausgleiten, lustig

machen würde. Diese Vorstellung wird auch inhaltlich vermittelt (T1/S2/V5-6): „Всякий

ходок cкользит — ах, бедняжка!“ Die Menschen, welche auf dem Glatteis wackelig

umhergehen oder gar ausrutschen sind ein altes Mütterchen (T1/S3), ein Bürger

(T1/S4), ein Dichter (T1/S5), ein „Pfaff“ (T1/S6), und eine Adelige (T1/S8). Sie

repräsentieren sozusagen die Gesellschaft des alten, monarchistischen Russlands.

Die auffällige Interpunktion in Dvenadcatʼ trägt, vor allem im ersten Teil, zu einer sehr

stark ausgeprägten Polyphonie bei. Inmitten von Wind und Schnee, die alles zu

beherrschen scheinen, erheben sich einzelne Stimmen, die, darum bemüht nicht

auszurutschen, ihren Unmut ausdrücken. Die Dominanz der stürmischen, kalten

Witterung, die Ohnmacht der Menschen ihr gegenüber, der schwarze Abend, der

schwarze Himmel – die Farbe schwarz steht für die Finsternis und ist damit Zeichen

für die Nacht, die Vernichtung, und den Tod zugleich – und der durch den weißen

Schnee erzeugte, harte Kontrast, und schließlich die Frage „Что впереди?“

(T1/S14/V2), welche auf eine vorhandene Ungewissheit was die Zukunft betrifft

hinweist, geben dem Poem eine apokalyptische Dimension, die für Bloks Auffassung

der Revolution von Bedeutung ist und weiter unten erneut aufgegriffen und besprochen

wird.

In der letzten Strophe des ersten Teils wird mit den dunklen Vokalen „o“ und „ë“ eine

düstere, unheimliche Stimmung, die auch dem Inhalt entspricht, produziert (T1/S15-

17) und so ein Kontrast zur ersten Strophe des zweiten Teils gebildet, in welcher die

„Zwölf“, durch die hellen Vokale „e“, „я“, und „а“ und den konstant und fest wirkenden,

jambischen Rhythmus ästhetisch hervorgehoben, zum ersten Mal ins Bild kommen

(T2/S1/V1-2):

Page 20: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

15

Чёрное, чёрное небо.

Злоба, грустная злоба

Кипит в груди...

Чёрная злоба, святая злоба...

Товарищ! Гляди

В оба!

_________________________________

Гуляет ветер, порхает снег.

Идут двенадцать человек.

Die durch Lautmalerei verdeutlichte Schwärze der Nacht und die formale Struktur, die

aufgrund der verschiedenen Zeileneinzüge unruhig wirkt, bereiten also den Auftritt der

„Zwölf“ vor, die mit sicherem Marschschritt in die „chaotische“ Atmosphäre eindringen.

Die Ungewissheit der einzelnen Personen im ersten Teil bildet einen Kontrast zur

Gruppe der „Zwölf“ und verdeutlicht deren starkes, einheitliches Auftreten. Der

unsichere Gang der Menschen auf dem Eis wird im ersten Abschnitt ebenso durch die

vorherrschenden weiblichen und teils auch reichen Kadenzen verstärkt, wohingegen

mit dem Erscheinen der „Zwölf“ (T2/S1) die männlichen Kadenzen in den Vordergrund

treten – in Teil sechs sind die Kadenzen beispielsweise nur männlichen gestaltet – um

die Zielstrebigkeit der Gruppe zu akzentuieren.

Die eindringliche künstlerische Darstellung des Raumes, die im ersten Teil des Poems

die Handlung zu dominieren scheint und in Ansehung der gesamten Lektüre eine feste

bildliche Verankerung im Gedächtnis des Lesers findet, verlangt nach einer näheren

Betrachtung, da dieser Raum im Endeffekt auch eine abstrakte, symbolische

Dimension besitzt, die im Hinblick auf den Geist der Revolution interessant ist. Bereits

in den ersten beiden Versen wird mit den Farben Weiß und Schwarz ein Kontrast

gebildet. Durch die Antithese „чëрный – белый“ lässt der Autor auf lexikaler Ebene

von Beginn an eine gewisse Spannung entstehen. Dem Kontrast, der aus den ersten

beiden Versen in Dvenadcatʼ entsteht, folgt der Ausruf: „Ветер, ветер!“ (S1/V3), wobei

Page 21: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

16

unklar bleibt, wer diese Worte äußert und warum. Man kann nur mutmaßen, ob hinter

der Aussage die Angst vor dem Sturm oder die Sehnsucht danach steht. „Ветер“

könnte man als Symbol für die Revolution auffassen, als das aufbrausende „Element“,

das verwüstet. Der antithetische Aspekt aus Vers 1-2 zieht sich durch das ganze Werk

und findet in der letzten Strophe des Poems (позади – впереди), gewissermaßen

seine Auflösung, da der allerletzte Vers das Drängen nach vorne mit der Wiederholung

von „впереди“ verstärkt und die Marschrichtung, die mit den Wetterverhältnissen nun

völlig in Einklang zu sein scheint, eindeutig festlegt. Dadurch kommt es zu einer

Abflachung der Spannung und einem stimmungsvollen, harmonischen, ja fast

pathetischen Ende.

Das Motiv des Winters, das sich in Form von Schnee, Eis, Wind und Kälte von Beginn

an durch den gesamten Text zieht, ermöglicht nicht nur eine zeitliche Einschränkung

der Handlung, wie in Kapitel 3.1.3. näher erörtert wird, sondern trägt zudem einen

symbolischen Wert. Der Winter, der durch Kälte, Schneewind und Eis gekennzeichnet

ist, lässt die Natur sterben, die nur durch ihren „Tod“ wieder zu neuem Leben (im

Frühling) erwachen kann. Dieses Bild repräsentiert die Einstellung Bloks gegenüber

dem damaligen Zeitgeschehen. Wie oben bereits erwähnt, sieht er die Revolution als

„elementare“ Kraft, die zerstört und gleichzeitig erneuert. Wie der Winter über die Natur

kommt, wie der Schnee alles bedeckt, was schmutzig ist, alles brachliegen lässt und

für den Frühling vorbereitet, so kommt laut der Auffassung des Autors auch die

Revolution über Russland, als erneuernde Kraft und als Chance, das Alte hinter sich

zu lassen und durch die Zerstörung etwas Neues zu schaffen. Die Symbole des

Winters in ihrer Gesamtheit durchdringen in Dvenadcatʼ zwei Welten: zum einen die

dichterische Realität, Bloks Idealvorstellung von der Revolution, und zum anderen eine

höhere Wirklichkeit, deren Eintritt apokalyptisch geschildert wird.

Hierbei ist es auch notwendig die letzte Strophe des Poems näher zu analysieren. Die

Apokalypse, also das katastrophale, von Plagen gekennzeichnete „Ende der

Geschichte“, das bereits im ersten Teil angedeutet wird, und die Wiederkunft des

Messias, finden in der letzten Strophe des Poems mit dem plötzlichen Erscheinen Jesu

Christi ihre Visualisierung. Das Bild des „Christus mit der blutigen Fahne“ erinnert an

den Auferstandenen, an das im Christentum sogenannte „Agnus dei“, das Osterlamm,

welches sich aufgeopfert hat, um durch seinen Tod die ganze Menschheit zu erlösen

und welches charakteristisch mit der Siegesfahne dargestellt wird. Der rote Farbton,

Page 22: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

17

der sich durch die blutige Fahne auf dem schwarz-weißen Hintergrund ergibt, könnte

auf der einen Seite ein Hinweis auf den Kommunismus sein – in T11/S3/V2 wird

übrigens zum einzigen Mal wörtlich von der „roten Flagge“ gesprochen (красный

флаг), ansonsten wird die Farbe durch Bilder wie zum Beispiel Feuer (T2/S2/V2)

erzeugt. Auf der anderen Seite steht die Farbe Rot in christlicher Hinsicht für Blut und

damit für Opfer und gleichzeitig für Leben. Dieses christlich-religiöse Bild des „Siegers

über den Tod“, das gleichzeitig Symbol einer höheren Wirklichkeit ist, wird in Bloks

Poem mit dem Zweck der Revolution verknüpft. Dolgopolov (1959, 179) spricht dies

deutlich an: „Der Weg Christi und die Wege der Revolution fallen zusammen. Christus

verschmilzt mit dem Volk, aber er löst sich nicht in ihm auf, sondern bleibt die

Verkörperung jenes hohen Niveaus der sittlichen Entwicklung, das die ihm folgenden

Apostel der Revolution erreichen sollen (und schließlich auch erreichen werden).“

Die Zahl Zwölf, woraus auch der Titel des vorliegenden Poems besteht, hat im Hinblick

auf ihre Symbolik einen tieferen Sinn. Sie steht in religiöser Hinsicht u. a. für die zwölf

Apostel, die Gesandten Jesu Christi, welcher im letzten Vers von Dvenadcatʼ

tatsächlich auftritt. Die zwölf Jünger werden ebenso mit den zwölf Stämmen Israels,

die zum erwählten Volk Gottes gehören, assoziiert. Diese mögliche

Bedeutungsweiterung würde nahelegen, dass sich die Vorzüge der voranschreitenden

Gruppe in Bloks Gedicht auch auf ihre Anhänger (jene, die der Revolution positiv

gegenüberstanden) niederschlägt. Im Christentum versinnbildlicht die Zwölf ebenso

die Begegnung Gottes mit der Welt, was Bloks Versuch einer Zusammenführung von

proletarischer Revolution und geistigem Ideal des Christentums widerspiegelt.

Neben dem bildlichen Bezug zum Auferstandenen lässt sich außerdem in der letzten

Strophe, konkret im letzten Vers des Poems, das unerwartete Auftreten von Jesus

Christus als seine Wiederkunft deuten, was uns erneut auf die apokalyptische

Dimension des Werks aufmerksam macht. Hierin spiegelt sich auch die dichterische

Realität des Autors und dessen Wunsch nach einer elementaren Revolution, die

zerstört und am Ende – in Harmonie mit dem christlichen Gedankengut – erneuert.

Die im Soldatenlied des dritten Teils hervorgehobene Bereitschaft, als Rotgardist für

die Revolution zu sterben, findet in der letzten Strophe im Kranz aus weißen Rosen (в

белом венчике из роз – T12/S9/V8), der im Christentum für die unerschütterliche

Treue über den Tod hinaus steht, ihren symbolischen Ausdruck. Es ergibt sich auch

Page 23: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

18

hier eine von vielen weiteren symbolischen Vernetzungen, die Blok, im Hinblick auf die

Revolution, zwischen kommunistischem Gedankengut und christlicher Lehre herstellt.

Der Kranz aus weißen Rosen weist, wie oben zu erkennen ist, in die Transzendenz.

Laut Peters (1972, 44) ist Transzendenz bei Blok fast immer dualistisch gespalten. Er

trennt zwischen „hoher“ und „niedriger“ Transzendenz, während die „hohe“ von

göttlichen und die „niedrige“ von dämonischen Zügen geprägt ist. Den Hund, der in

Dvenadcatʼ mehrere Male, so auch in der letzten Strophe, vorkommt, könnte man im

Vers „позади – голодный пëс“ (T12/S9/V2) als in die „niedrige“ Transzendenz

weisend deuten. So wie Satan weichen und „hinter Jesus treten musste“, muss auch

der Hund im Gegensatz zum voranschreitenden Jesus Christus zurückbleiben.

Natürlich könnte damit auch einfach die von Hungerleid geprägte Vergangenheit

Russlands gemeint sein, jedoch lassen die ironisierenden und abwertenden

Wendungen des Autors in seinen Werken, so auch in Dvenadcatʼ erkennen, dass er

sich scharf von dieser banalen, vergänglichen Welt absetzt, um mehr auf eine

transzendente, ewig-unendliche Wirklichkeit zu verweisen (Peters 45).

Ein weiteres interessantes Moment in Dvenadcatʼ bildet die tragische

Liebesgeschichte zwischen dem Soldaten Wan’ka und der Prostituierten Kat’ka, die

vom eifersüchtigen Petrucha ermordet wird. Noch im zweiten Teil wird folgender Aufruf

getätigt: „Пальнëм-ка пулей в Святую Русь“ (S11/V4), und tatsächlich wird in Teil

sechs geschossen – auf Kat’ka. Sie könnte hier allegorisch gesehen für den

moralischen Verfall und den Niedergang des monarchistischen Russlands stehen. Das

Ende der Existenz der alten „Rus‘“ wird durch die Revolution, die von den „Zwölf“

ausgeht, herbeigeführt. Petrucha, der zur Gruppe der „Zwölf“ gehört und mit dem Mord

in christlicher Hinsicht eine Sünde begeht (er hat nach seiner Tat auch

Gewissensbisse), erinnert, nicht nur dem Namen nach, an Petrus, dem Jünger und

ersten Bekenner, aber auch Verleugner Jesu Christi. Diese Assoziation findet auch in

T10/S3 ihre Gerechtfertigung: „Петька! Эй, не завирайся!“

In Anbetracht der vorhandenen Symbolik Bloks, die dem Werk Dvenadcatʼ einen stark

mystischen Charakter verleiht und immer wieder auf eine transzendente Wirklichkeit

oder dichterische Realität verweist, stellt sich die Frage, inwiefern das Werk den

zeitgeschichtlichen, politischen Aspekt integriert. Der Zweck des Gedichtes ist nicht,

die LeserInnen von einem Regime oder einer Ideologie zu überzeugen. Im

Vordergrund steht vielmehr die Hoffnung auf eine neue Welt, die durch die Revolution

Page 24: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

19

geschaffen werden sollte. Das Poem ist also nicht bewusst politisch motiviert. Mit

Gewissheit kann man jedoch sagen, dass die politischen Umstände der damaligen Zeit

den Dichter und sein Werk sehr wohl beeinflusst und somit Spuren im Poem

hinterlassen haben, die man durchaus erkennen kann, jedoch nicht überbewerten

sollte.

3.1.3. Nächtlicher Kreuzzug der „Zwölf“ gegen die alte Rus‘

Das Werk Dvenadcatʼ, datiert mit dem 29. Jänner 1918, nur wenige Monate nach der

Oktoberrevolution von 1917, bietet einige Hinweise auf konkrete historische Fakten

zur Russischen Revolution. Aus der russischen Geschichte wählt Blok in seinen

Werken interessanterweise immer Episoden aus, die für einen geistigen Umbruch und

Neuanfang oder aber auch für chaotisches Versagen charakteristisch sind (Peters 35).

Auch die in Dvenadcatʼ mehrfach vom Autor geschaffenen antithetischen Bilder, der

überwiegend unruhige Rhythmus, die gegensätzliche lautmalerische Gestaltung des

Werks, die durch eingestreute Dialoge erzeugte polyphone Komponente vor allem im

ersten Teil des Poems und nicht zuletzt die chaotische, zu Beginn scheinbar

unkontrollierbare Witterungslage, weisen auf Spannung und (politische) Unordnung

hin. Diese Spannung in der historischen Wirklichkeit zu suchen liegt auf Grund der

revolutionären geschichtlichen Rahmenbedingungen, die der Entstehung des Poems

zu Grunde liegen, nahe. Die entgegengesetzten Zielbestrebungen verschiedenster

politischer Bewegungen, divergenten Weltanschauungen und die damit

einhergehenden Konflikte zu jener Zeit in Russland lassen sich also bereits anhand

der formalen Gestaltung des Werks erkennen. Auf dem Fundament dieser formalen

Aspekte, welche die angespannte Stimmung der historischen Wirklichkeit

verdeutlichen, baut eine Handlung auf, die an manchen Stellen konkret auf gewisse

Umstände oder Vorgänge in der geschichtlichen Realität verweist.

Die den ersten Teil des Poems dominierenden Wetterverhältnisse akzentuieren

einerseits, wie schon erwähnt, eine unharmonische Grundstimmung, andererseits

begrenzen sie den Handlungszeitraum auf die Periode des Winters. Dies ist jedoch

nur ein indirekter zeitlicher Hinweis, der auf der einen Seite mit der Handlung in

Verbindung steht und auf der anderen Seite doch auch den Zustand der äußeren Welt,

die den Dichter zur Entstehungszeit des Poems umgeben hat, widerspiegelt. Eine

Page 25: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

20

zeitlich eindeutige Anspielung kann in der elften Strophe des ersten Teils festgestellt

werden:

...И у нас было собрание...

...Вот в этом здании...

...Обсудили —

Постановили:

На время — десять, на ночь — двадцать пять...

...И меньше ни с кого не брать...

...Пойдём спать...

Vers eins bis vier thematisieren das Treffen des Zentralkomitees der Bolschewiki am

10. Oktober 1917 im Hinterzimmer einer Petrograder Wohnung. Es wurde damals,

gemäß Lenins Forderung, von der Versammlung beschlossen, „die ‚kapitalistischen

Minister‘ des Februarregimes im Alleingang durch eine bewaffnete Erhebung zu

stürzen“ (Hildermeier 2013, 32). Dieser Beschluss wurde in der Nacht vom 24. auf den

25. Oktober 1917 umgesetzt (ebd. 34). Mit Vers 5 verweist Blok direkt auf dieses

Ereignis. Er bringt somit die konkrete historische Begebenheit der gewaltsamen

Übernahme der Bolschewiki durch den Sturm auf dem Winterpalais ins Bild. Man

könnte im übertragenen Sinn auch den nächtlichen Marsch der zwölf Revolutionäre in

Dvenadcatʼ, der sehr zielgerichtet wirkt, als Marsch in Richtung Winterpalais oder

zumindest einer kommenden Revolution entgegen interpretieren. Interessant ist dabei,

dass den „Zwölf“ durch das Karo-As auf dem Rücken jeweils der Status eines

Gefangenen zugeschrieben wird (T2/S3/V2): „На спину б надо бубновый туз!“3 Dies

verbildlicht die Unbeweglichkeit der unteren Volksschicht zu Zeiten der zaristischen

Herrschaft – Menschen, die sich nicht anpassten, wurden sogar eingesperrt – und das

Drängen in eine neue Freiheit, was in Dvenadcatʼ auch mit den von Sehnsucht erfüllten

Worten „Свобода, свобода“ (T2/S4/V1, T2/S9/V1) zum Ausdruck gebracht wird. Die

Darstellung der „Zwölf“ als Personen der untersten Volksschicht und die textuelle

3 „Бубновый туз“ = „Нашивка в виде красного или жёлтого ромба на спине халата арестанта“,

https://ru.wiktionary.org/wiki/бубновый_туз (abgerufen am 21.01.2017)

Page 26: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

21

Einarbeitung von Volksliedern weisen auf inhaltlicher und lautlich Ebene darauf hin,

dass die Revolution vom Volk ausging.

Die Periode der Übergangsregierung zwischen Februar- und Oktoberrevolution fließt

indirekt in die Beschreibung der Prostituierten Kat’ka ein: „У ей керенки есть в чулке!“

(T2/S6/V2) Mit „керенки“ ist zwar in erster Linie das Geld, das unter Aleksandr

Kerenskij im Umlauf war. Trotzdem könnte man an dieser Stelle auf die Zeit der

Doppelherrschaft des Februarregimes verweisen. Kerenskij, der bei der Bildung der

Provisorischen Regierung am 2. März 1917 als Justizminister hervorging, erntete

weder bei den linken noch bei den rechten Anhängern des Februarregimes

Anerkennung. Er war zwar ein guter Redner und konnte Menschen begeistern,

gleichzeitig besaß er jedoch kein strategisches oder administratives Talent, sodass

ihm die Fähigkeit, Russland in den schwierigen Zeiten der Revolution zu führen,

abgesprochen wurde (ebd. 110f). „Er spielte weder vor- noch nachher eine

nennenswerte Rolle. Sein Stern ging im März auf, als er Justizminister wurde, und

erlosch mit seiner Flucht in der Oktobernacht“ (ebd. 110). Hildermeier bezeichnet ihn

als ein „Produkt der Revolution“, in der er als Minister, teilweise sogar als

Ministerpräsident der Provisorischen Regierung agierte. Kerenskij repräsentiert

sozusagen die Zeit zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution. So, wie das

Leben Kat’kas in Dvenadcatʼ mit dem revolutionären nächtlichen Marsch der „Zwölf“

ein Ende nimmt, nimmt auch die zu jener Zeit bestehende Übergangsregierung durch

den nächtlichen Sturm der Bolschewiki auf den Winterpalast ein Ende, und Kerenskij

verschwindet von der Bildfläche.

Die Hauptaufgabe dieses mehrstufigen parlamentarischen Regimes der

Übergangsphase war es, die Wahlen für eine „Konstituierende Versammlung“ zu

organisieren, welche anschließend eine neue Verfassung ausarbeiten sollte. Die

Geschehnisse rund um diese Konstituante werden in Dvenadcatʼ mit folgendem Satz

ins Spiel gebracht: „Вся власть Учредительному Собранию!“ (T1/S3/V4, T1/S10/V7)

Es ist dies der Schriftzug eines Plakates im ersten Teil des Poems, welcher in Bloks

Werk sowohl rhythmisch als auch inhaltlich auffällt. Der Satz kommt in Abschnitt eins

zwei Mal vor, und zwar an Stellen, an denen der Vers im Gegensatz zu den anderen

metrisch auffällt und die Strophe unrund macht. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, stand

die oben erwähnte Aussage, ins Deutsche übersetzt „Alle Macht dem

Page 27: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

22

Verfassungsrat!“, tatsächlich auf den Plakaten der Demonstranten, die sich am

Morgen des 5. Jänner 1918 vor dem Taurischen Palais versammelten.

Grund für den Protestmarsch, zu dem weniger Teilnehmer kamen als von den

Organisatoren erhofft, war das Zusammentreten der russischen Konstituante, einer

nach dem Oktoberumsturz nach wie vor sehr populären, demokratisch von der

gesamten Bevölkerung gewählten Versammlung, die laut Hildermeier (2013, 47)

eindeutig die größte innere Herausforderung der Bolschewiki war. Bei der Wahl der

Konstituante am 12. November 1917 erlitten die Bolschewiki außerhalb Petrograds

und Moskaus eine deutliche Niederlage, während sie in den beiden Städten gegenüber

der Partei der sozialistischen Revolutionäre und der Kadetten eindeutig vorne lagen.

Sie hatten jedoch nicht die eindeutige Mehrheit. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte

sich bei der Regierungsbildung eine Mehrheit gefunden, um den Oktoberumsturz zu

annullieren (ebd. 49). Da Sowjetmacht und demokratisches Verfassungsparlament

einander ausschlossen, die Bolschewiki jedoch trotzdem das Zusammentreten der

Konstituante zulassen mussten, versuchten sie die Versammlung an ihren

Abbildung 1: Versammlung eines Demonstrationszuges zur Unterstützung der Konstituierenden Versammlung (Quelle: http://www.famhist.ru/famhist/all_st/000ceb68.htm, Zugegriffen am 21.01.2017)

Page 28: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

23

Entscheidungen zu hindern (ebd. 49). Weder das Durchhaltevermögen der im Inneren

des Taurischen Palais versammelten Personen noch das Engagement der

Demonstranten zugunsten einer Demokratie vor den Mauern des Palastes waren stark

genug, um die endgültige Machtübernahme der Bolschewiki zu stoppen. Die Debatten

dauerten bis in die frühen Morgenstunden des 6. Januar 1917 und wurden dann

vertagt, da die Soldaten müde waren. Am späten Nachmittag war eine erneute

Zusammenkunft angesetzt, doch die Roten Garden verriegelten die Tore. „Das erste

und einzige demokratisch gewählte Parlament, das in Russland vor 1993 je

zusammentrat, [wurde geschlossen]“ (ebd. 51). Die auf dem Plakat

niedergeschriebene Aussage „Вся власть Учредительному Собранию!“ (T1/S3/V4,

T1/S10/V7) ist also erneut ein Hinweis auf eine wichtige Komponente der historischen

Realität zu Zeiten der Revolution. Das Mütterchen versteht nicht, wofür das Plakat

steht. Sie ärgert sich vielmehr über die Stoffverschwendung: „На что такой плакат,

Такой огромный лоскут?“ (T1/S3/V7-8) In T1/S10 wird es schließlich vom Wind

zerknittert. Aufgrund der im Poem strukturell absichtlich auffälligen, man könnte fast

sagen pompösen Platzierung der Aussage, und der Tatsache, dass das Plakat auf

Unverständnis stößt und am Ende gar zerstört wird, erhält das historische Ereignis

selbst, also die Demonstration für eine demokratische Regierungsbildung, zugunsten

der Konstituante, einen sarkastischen Beigeschmack.

3.1.4. Mystischer Optimismus

Der mystische Beigeschmack und der Bezug zur Apokalypse in Aleksandr Bloks Werk

Dvenadcatʼ sind nicht zufällig. Vielmehr ist die Gestaltung des Poems durch den Autor

präzise gewählt. Bloks Wahrnehmung der Außenwelt, seine Meinung zur Revolution

und auch die Erwartungen, die er an sie stellte, spiegeln sich in Form, Inhalt und vor

allem in der Symbolik wider. Zum einen zeigen Wind und Schneesturm, das

Stimmengewirr, und die Gesamtform des Poems mit den vielen Zeileneinrückungen

und der oft von Vers zu Vers variierenden Silbenanzahl, dass der Autor die Revolution

als etwas Aufbrausendes, Chaotisches wahrgenommen hat, was nicht bedeutet, dass

er sie als negativ empfand.

Man sollte sich an diesem Punkt in Erinnerung rufen, was der Dichter unter dem Begriff

„Revolution“ verstand. Wie bereits in Kapitel 3.1.1. erwähnt wurde, sah Blok in der

Page 29: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

24

Revolution eine „elementare“ Katastrophe, „den Zusammenbruch einer sündhaften

Lebensordnung und die Verheißung neuer strahlender und heiliger Zeiten“ (Eliasberg

1964, 175). Dieser apokalyptische Grundgedanke, der sich durch das ganze Poem

zieht, lässt erkennen, dass Blok die Revolution durchaus als etwas Positives ansah

und dass er sich viel von ihr erwartete.

Auch wenn sich Aleksandr Blok in Dvenadcatʼ als Befürworter EINER Revolution zu

erkennen gibt, wird im Poem aus postumer Sichtweise bald klar, dass seine

Vorstellungen mit der damaligen Realität und den Absichten der Bolschewiki nicht in

Einklang stehen. Dies ist u.a. auch daran zu erkennen, dass der Autor eine divergente

Auffassung gewisser kommunistischer Prinzipien hatte: Petrucha ist in Dvenadcatʼ

beispielsweise als „Persönlichkeit“ gestaltet, die sich mit ihren Gefühlen und ihrem

Handeln von der „Masse“ bzw. vom Kollektiv der „Zwölf“ zwischenzeitlich abhebt, um

später wieder in ihm zu verschwinden.

Dvenadcatʼ wurde Ende Jänner des Jahres 1918 geschrieben, noch bevor man die

fatalen Folgen des Kommunistischen Regimes einzuschätzen vermochte. Das Werk

zeigt, dass eine Sehnsucht nach Veränderung – welcher Art auch immer – im Volk und

auch bei Blok vorhanden war. Überdies sind die dem Gedicht zu Grunde liegende

subjektive Sichtweise und die persönliche Einschätzung des Autors in Bezug auf die

Revolution nicht außer Acht zu lassen. Was sich der Autor damals konkret erhoffte,

wird durch die in die Transzendenz weisenden, christlichen Symbole angedeutet und

mit dem letzten Vers des Poems, indem Jesus Christus als Anführer der zwölf

Revolutionäre auftritt, bestätigt.

Aleksandr Blok erachtete die Revolution als Möglichkeit einer politischen und

religiösen Erneuerung Russlands mit dem Ziel der Versöhnung zwischen

proletarischer Revolution und humanistisch-christlicher Tradition (Peters 1972, 39).

Diese optimistischen Vorstellungen des Autors stehen in Dvenadcatʼ im Vordergrund.

Ihm schien es in erster Linie nicht darum zu gehen, jemanden von etwas zu

überzeugen. Anstatt dessen präsentiert er dem Leser mithilfe von mystischen Bildern

seine Vision für Russland.

Page 30: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

25

3.1.5. Dvenadcatʼ im Sprachunterricht

Das Poem Dvenadcatʼ eignet sich vor allem aufgrund der konkreten historischen

Hinweise, wie die oben bereits erwähnten Stellen „на ночь — двадцать пять“, „У ей

керенки есть в чулке!“, „Вся власть Учредительному Собранию!“, und nicht zuletzt

wegen der Datierung des Werks selbst, zur Vermittlung von Geschichtswissen im

Sprachunterricht. Man könnte die eben angeführten Passagen in einer speziell für den

Unterricht vorbereiteten Version des Poems farblich oder fett gedruckt hervorheben

und die Lernenden in Eigenarbeit – Internetrecherche könnte in diesem Fall hilfreich

sein – selbstständig erforschen lassen, auf welchen konkreten historischen Zeitraum

sich das Gedicht bezieht. Das Ergebnis, das von Seiten der SchülerInnen erwartet

wird, ist u.a. eine logische und stichfeste Argumentation im Hinblick auf ihr Ergebnis.

Es würde also nicht genügen, lediglich auf die Revolution zu verweisen. Die Lernenden

werden somit aufgefordert, sich wirklich mit den einzelnen Textpassagen zu

beschäftigen und die geschichtlichen Hintergründe festzustellen. Anschließend könnte

im Unterricht auf Russisch über die vielleicht variierenden Ergebnisse diskutiert

werden, wobei in diesem Fall ein höheres Sprachniveau Voraussetzung ist. Laut GER4

kann jemand auf B1-Nivau bereits „eine Argumentation gut genug ausführen, um die

meiste Zeit ohne Schwierigkeiten verstanden zu werden“ (Kapitel 4.4.1.1.), des

Weiteren ist es ihm/ihr möglich „in einer Diskussion über Themen von Interesse

persönliche Standpunkte und Meinungen [zu] äußern und [zu] erfragen“ (Kapitel

4.4.3.1.). Dies erfordert eine gute selbstständige Vorbereitung der/des Lernenden und

könnte in der Praxis in Form einer Hausübung erarbeitet werden. Auf B2-Niveau

gemäß GER kann der/die Lernende „seine/ihre Argumentation logisch aufbauen und

verbinden“ (Kapitel 4.4.1.1.) und außerdem „in Diskussionen die eigenen Ansichten

durch relevante Erklärungen, Argumente und Kommentare begründen und

verteidigen“ (Kapitel 4.4.3.1.). Ein sprachliches Niveau von B2 wäre für eine

Diskussion über die geschichtlichen Hinweise in Bloks Werk Dvenadcatʼ ideal, denn

dadurch würde ein nachhaltiger Lernprozess möglich sein, ohne dass übermäßig viel

Zeit dafür beansprucht werden müsste.

Lexikalisch gesehen ist Dvenadcatʼ größtenteils nicht sehr schwer zu verstehen, was

vielleicht aufgrund der hohen Dichte an volkssprachlichen Ausdrücken bzw.

4 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (http://www.goethe.de/z/50/commeuro/i4.htm, zugegriffen am 29.01.2017)

Page 31: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

26

Ausdrucksweisen zu erklären ist. Natürlich wird an manchen Stellen, je nach

Sprachniveau der Lernenden, ein Wörterbuch oder die direkte Übersetzung nötig sein.

Die größere Herausforderung des Poems ist jedoch seine komplexe Symbolhaftigkeit.

Daher ist es von Vorteil, wenn die SchülerInnen bereits Erfahrungen im Interpretieren

von Gedichten (zum Beispiel im Deutschunterricht) gesammelt haben.

Das Gedicht könnte im Unterricht aufgrund seiner Länge ein Zeitproblem darstellen.

Als Unterrichtende/r sollte man sich gut überlegen, ob man das Werk etappenweise

einführt oder im Ganzen. Bei SchülerInnen mit einem bereits höheren Sprachniveau

ist es allenfalls sinnvoll, Dvenadcatʼ von Anfang an in seiner vollständigen Form zu

bearbeiten, da das Werk binnen kurzer Zeit gelesen und lexikalisch schnell verstanden

werden kann und somit die Möglichkeit besteht, sich bereits vor einer näheren

Betrachtung des Inhalts, der die historischen Gegebenheiten zu Zeiten der Revolution

konkretisiert, einen groben Überblick über den Text zu verschaffen und die formalen

und rhythmischen Unterschiede zwischen den Strophen zu erkennen und zu deuten.

Man könnte an diesem Punkt die SchülerInnen dazu herausfordern, einen Bogen vom

Autor zu seiner ihn umgebenden Realität zu spannen.

Egal, ob man das Werk den Lernenden nach und nach oder auf einmal in vollständiger

Version vorlegt – zur Einführung und Bearbeitung des Poems bedarf es eines

didaktisch ausgeklügelten Plans, der den Sinn der Behandlung des Werkes – das heißt

die Vermittlung der Geschichte Russlands – nicht verfehlt.

Bezogen auf den schulischen Kontext kann man abschließend sagen, dass die

Bearbeitung von Dvenadcatʼ im Sinne der Vermittlung von historischem Wissen vor

allem in höheren Klassen (beispielsweise einer Maturaklasse) sinnvoll wäre, da in

dieser Schulstufe das benötigte Sprachniveau meist vorhanden ist und die

SchülerInnen bestenfalls bereits Erfahrungen im Interpretieren von Gedichten

vorweisen können.

Page 32: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

27

3.2. Feuer, Flamme und Euphorie

К русской революции

Ломая кольцо блокады,

Бросая обломки ввысь,

Все вперёд, за грань, за преграды

Алым всадником - мчись!

Сквозь жалобы, вопли и ропот

Трубным призывом встаёт

Твой торжествующий топот,

Над простёртым миром полёт.

Ты дробишь тяжёлым копытом

Обветшалые стены веков,

И жуток по треснувшим плитам

Стук беспощадных подков.

Отважный! Яростно прянув,

Ты взвил потревоженный прах.

Оседает гряда туманов,

Кругозор в заревых янтарях.

И все, и пророк и незоркий,

Глаза обратив на восток,-

В Берлине, в Париже, в Нью-Йорке,-

Видят твой огненный скок.

Там взыграв, там кляня свой жребий,

Встречает в смятеньи земля

На рассветном пылающем небе

Красный призрак Кремля.

(Valerij Brjusov, 1920)

Page 33: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

28

3.2.1. Brjusov – Dichter der Revolution

Der russische Schriftsteller und Dichter Valerij Jakovlevič Brjusov (*13.12.1873 in

Moskau, † 9.10.1924 in Moskau) gilt als Mitbegründer des Symbolismus und schrieb

in seiner Schaffenszeit nicht nur Gedichte, sondern auch wissenschaftliche Arbeiten

zur russischen Lyrik, Erzählungen und historische Romane. Während er von 1904 bis

1908 mit seiner Dichtkunst im Zentrum der russischen Literatur stand und – im

Gegensatz zu Aleksandr Blok – als Vertreter der „älteren“ Generation5 der Symbolisten

dem Prinzip des l’art pour l’art und der damit zusammenhängenden Distanzierung von

jeglichen aktuellen Tagesgeschehnissen in der Kunst folgte, stand er Jahre später dem

Regime der Bolschewiki in seinem Leben und auch in seiner Kunst offen gegenüber

und wurde zum Dichter der Revolution stilisiert (Siwczyk-Lammers 2002, 1-3). Trotz

der bereits erwähnten Affinität zur im Symbolismus verankerten Ästhetik interessierte

sich Brjusov für die gesellschaftspolitische Wirklichkeit, für politische Ereignisse im In-

und Ausland, sowie für die Entwicklungen in Russland und in Europa (ebd. 41) und

brachte dies in seinen Gedichten auch immer wieder zum Ausdruck. Wenn man nun

die ästhetische Konzeption des Symbolismus und die dichterische Praxis Brjusovs

betrachtet, lässt sich eine gewisse Ambivalenz feststellen. Siwczyk-Lammers (2002,

1-3) bestätigt jedoch, dass „man allein auf Grund der Zugehörigkeit eines Dichters zu

einer der beiden Richtungen innerhalb dieser literarischen Stilformation [des

Symbolismus] keine Schlüsse bezüglich der Themenwahl, der Form oder politischen

Position in seiner zeitgeschichtlichen Lyrik ziehen kann.“

Des Weiteren war Brjusov auch als Übersetzer fremdsprachiger Lyrik tätig und

verfolgte aufmerksam die aktuelle europäische Literaturentwicklung. In seinen selbst

verfassten Werken findet man immer wieder Hinweise auf den Westen. Im Gedicht K

russkoj revoljucii stellt er beispielsweise den Westen, vertreten durch die Hauptstädte

Berlin, Paris und New York, als Bewunderer des Ostens dar (s. S 5/V 3-4), was seinem

früheren dichterischen Handeln – Brjusov schätzte vor allem die moderne

französische, belgische, deutsche und englische Lyrik und griff immer wieder auf die

antike klassische Dichtung zurück (ebd. 1) – eher widerspricht. Als der Dichter im Jahr

1920 K russkoj revoljucii schrieb, befand sich Russland jedoch bereits mitten im

5 Im Gegensatz zu den „jüngeren“ Symbolisten, die ihren Schwerpunkt auf das Sendungsbewusstsein des Künstlers legten, konzentrierten sich die „Älteren“ auf die Gestaltung der künstlerischen Mittel und Verfahren (Siwczyk-Lammers 2002, 1).

Page 34: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

29

Bürgerkrieg und Brjusov aufseiten der Bolschewiki, was seine Darstellung des Ostens

als Ideal für den Westen rechtfertigt. Dies zeigt wiederum, dass Brjusov an die Macht

des kommunistischen Regimes und an die Revolution selbst glaubte und davon

überzeugt war, dass durch die Revolution eine bessere, lebenswertere Zukunft

möglich sei, in einem Land, das zum Vorbild für andere – westliche – Länder werden

würde. Auf Basis dieser Motivation stellte Brjusov in seinen späteren lyrischen Werken

die Revolution auf verschiedene Art und Weise dar. Im Gedichtzyklus Iz prežde v teper‘

(1920 – 1921) setzt er beispielsweise den Akzent auf den Zusammenhang von

politischer Realität mit individuellem menschlichen Schicksal, während Gedichte wie V

takie dni (1920) oder Na vysjach (1920) von seiner persönlichen Situation in der neuen

sowjetischen Wirklichkeit handeln (ebd. 230). Das Werk K russkoj revoljucii, welches

von ihm im Jahre 1920, noch vor den oben genannten Gedichten, geschrieben wurde,

besitzt den Charakter einer Lobeshymne auf die Revolution. Im Mai 1920, ungefähr in

dem Zeitraum, als der Dichter das vorliegende Werk verfasste, trat er, im Gegensatz

zu den anderen Lyrikern des Symbolismus, der Kommunistischen Partei bei (Rakov

1981, 9), wodurch sich die im Inhalt des Werks erkennbare Begeisterung für die

Revolution erklären lässt.

Trotz der Tatsache, dass Brjusovs dichterische Kraft zu jener Zeit bereits nachließ,

fanden seine Werke – wohl eher auf Grund ihrer „ideologischen Bedingtheit“, wie

Siwczyk-Lammers (2002, 2) betont – vor allem bei den Machthabern des

revolutionären Regimes großes Interesse. Dem Prinzip der Ästhetik blieb Brjusov

dennoch treu. Tagesaktuelle Vorkommnisse wurden von ihm zwar thematisiert, waren

jedoch an die damaligen persönlichen Erfahrungen, Gedanken und Empfindungen des

Dichters gebunden, welche eindeutig im Zentrum stehen und das Zeitgeschehen nur

hintergründig wirken lassen (ebd. 229). Auch im Gedicht K russkoj revoljucii kann man

bereits bei erstmaliger Lektüre einen Eindruck davon gewinnen, wie Brjusov in den

Zeiten des Umbruches empfunden hat, wenn auch der genaue Inhalt aufgrund

zahlreicher Bilder und Metaphern vorerst noch etwas unklar bleibt. Darüber hinaus

lässt sich, auch ohne die Biographie des Verfassers zu kennen, feststellen, dass er

der Revolution wohlwollend gegenüberstand. Wenn auch der sachlich gehaltene Titel

„K russkoj revoljucii“, den man mit „An die russische Revolution“ sinngemäß

übersetzen kann, aus einer verständlichen, klaren Anreihung logisch

zusammenhängender Wörter besteht und den Zweck des Gedichtes erahnen lässt,

Page 35: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

30

evoziert der Text Euphorie und Motivation, die man allein aufgrund des Titels in diesem

Maße nicht vermutet. Die Eindrücke des Dichters stehen im Vordergrund und sind

wichtiger als das Thema selbst. Das Wie und die Frage nach dem Was bedingen sich

gegenseitig, wobei jedoch in K russkoj revoljucii die Art und Weise der Vermittlung als

wesentlich relevanter erachtet werden kann. Durch den mit vielen Metaphern und

starken Bildern geschmückten Inhalt, den schwungvollen Rhythmus, aber auch

aufgrund von Metrik und Onomatopoesie, wird ein bestimmter Zweck erfüllt, auf den

in Kapitel 3.2.4. näher eingegangen wird.

Brjusov beschäftigte sich Zeit seines Lebens intensiv mit den Werken Puškins, auf die

er in seinen eigenen Werken immer wieder hinweist. In K russkoj revoljucii spielt er in

S1/V4 eindeutig auf Puškins Mednyj Vsadnik an:

Алым всадником - мчись!

Dieser Beobachtung wird in Kapitel 3.2.3. ausführlicher nachgegangen.

3.2.2. K russkoj revoljucii – Eine Lobeshymne an die Revolution

Das vorliegende Gedicht besteht aus sechs Strophen zu je vier Versen im

Kreuzreimschema (abab, cdcd, ...) mit Kadenzwechsel.6 Die jeweils ersten und dritten

Verse haben eine weibliche, unbetonte Endung, die zweiten und vierten Verse, und

somit auch der abschließende Vers dieses lyrischen Werks, haben eine betonte,

männliche Endung, die fest und bestimmt wirkt. «К русской революции» ist

durchgehend in einem dreihebigen Dol’nik geschrieben, wobei vorwiegend das

Versmaß des Amphibrachys dominiert. Dadurch wird dem Gedicht ein rollender,

dynamisch nach vorne dringender Rhythmus gegeben. Das Sprechtempo wird immer

wieder durch einen Amphibrachys beschleunigt und durch einen Anapäst gebremst.

Beispielsweise kommt es in der vierten Strophe im ersten und zweiten Vers zu einem

rhythmischen und auch inhaltlichen Höhepunkt. Das Bild des springenden Reiters, der

die Asche hochwirbelt, passt zum energischen Rhythmus dieser Passage, bevor sich

in den darauffolgenden Versen drei und vier ein Nebelschleier legt und der Horizont in

bernsteinfarbenem Morgenrot erscheint. Hier drosselt der Anapäst das Tempo und

unterstreicht die idyllische, fast festliche Stimmung. Dieser Schnitt inmitten der vierten

6 Das metrische Schema ist im Anhang B zu finden.

Page 36: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

31

Strophe wird durch den Punkt am Ende des zweiten Verses verstärkt und akzentuiert

das Wesen einer Revolution, die immer „eine Wende im Sinne der Verbindung von

Kontinuität und Bruch [markiert]“ (Hildermeier, 2013, 3). Somit bildet die vierte Strophe,

was die Interpunktion betrifft, eine Ausnahme. In allen anderen Strophen wird die

Satzeinheit erst am Ende des vierten Verses durch einen Punkt abgeschlossen. Durch

den Marsch-ähnlichen Rhythmus wirkt das Gedicht im Gesamten bereits bei

erstmaliger Lektüre sehr bestimmt und zielbewusst.

Die vorhandene Syntax und der wechselnde Rhythmus in der vierten Strophe vom

zweiten auf den dritten Vers unterstützen die inhaltliche Teilung des Gedichtes in zwei

Abschnitte. Im ersten Teil (S1/V1 bis S4/V2) werden überwiegend folgende

Themenfelder dargestellt:

Verfall: обломки (S1/V2), Ты дробишь (S3/V1), Обветшалые стены

веков (S3/V2), по треснувшим плитам (S3/V3), прах (S4/V2);

Militär / Armee: блокады (S1, V1), всадником (S1/V4), вперёд, за грань, за

преграды (S1/V3), Трубным призывом (S2/V2), Стук [...]

подков (S3/V4);

Die Bilder, die in diesem Teil des Gedichtes beim Leser hervorgerufen werden, führen

von einer gegebenen Begrenztheit in die Freiheit. Eine Blockade beispielsweise ist

militärisch gesehen die Unterbindung der Versorgung des Gegners. Diese zu

durchbrechen bedeutet gleichzeitig die materielle Begrenztheit, in der man sich auf

Grund des Gegners befindet, aufzuheben. Der scharlachrote Reiter steht unter

anderem für die Freiheit. Er wird sinngemäß dazu aufgefordert, über seine eigenen

Grenzen hinauszuwachsen. In Anbetracht der Intertextualität, die man am Ende der

ersten Strophe vorfindet – der scharlachrote Reiter ist, wie bereits erwähnt, eine

eindeutige Anspielung auf Puškins Mednyj Vsadnik – kann man auch die „körperliche

Gefangenheit“ der bronzenen Statue, die nicht nur von Puškin, sondern ebenso von

Brjusov zum Leben erweckt wird, als Weg von einer vielleicht politischen oder

wirtschaftlichen Gefangenschaft in die Freiheit deuten. In Andrej Belyjs Roman

Peterburg (geschrieben in den Jahren 1911 bis 1913) – die Handlung des Werks steht

im Zusammenhang mit revolutionären Bewegungen und insbesondere der Revolution

von 1905 – wird der Eherne Reiter ebenfalls lebendig (s.h. Kapitel 3.2.3.).

Page 37: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

32

Auch in der zweiten Strophe wird die durch Klagen und Jammern hervorgerufene

Begrenztheit des Menschen aufgelöst, sobald man sich mit dem Aufruf der Trompeten

erhebt, sich ermutigt und nach vorne geht. Diese Handlung wird die ganze Welt sehen.

Die Welt ist ein weiteres Symbol für Freiheit oder Unbegrenztheit. In dieser Strophe

kann man bereits eine interessante Geräuschkulisse (Trompeten, Stampfen,

Marschgeräusch) vernehmen, die sich in der dritten Strophe fortsetzt (zertrümmern,

zerspringen, Schläge von Hufeisen), während im zweien Teil des Gedichtes vor allem

visuell geprägte Bildkompositionen vorzufinden sind.

Im zweiten Teil (S4/V3 – S6/V4) dominieren folgende Themenfelder:

Neuanfang / Beginn: Кругозор в заревых янтарях (S4/V4), На

рассветном [...] небе (S6/V3)

Osten-Westen / Abgrenzung: Кругозор (S4/V4), на восток (S5/V2), В Берлине,

в Париже, в Нью-Йорке (S5/V3), земля (S6/V2),

призрак Кремля (S6/V4)

Dieser Abschnitt beginnt mit einer idyllischen Kulisse aus Nebel und

bernsteinfarbenem Morgenrot am Horizont. „Кругозор“ symbolisiert Ordnung und

Geradlinigkeit und bildet einen Gegensatz zu dem chaotischen Bild von

zersprungenen Platten und Trümmern, das im ersten Teil entworfen wird. Dieser

Kontrast veranschaulicht die Tatsache, dass erst nach den Wirren und Unruhen der

Revolution wieder ein räumlicher Überblick und ein Weitblick in die Zukunft entstehen.

Der Morgen (s. auch S6/V3), der Tagesbeginn, steht für einen Neuanfang, für eine

neue Welt, genauso wie der Bernstein als erster Edelstein der Menschheitsgeschichte

für etwas Neues steht. Diese neue Welt ist im Osten zu finden, auf den der ganze

Westen, vertreten durch Berlin, Paris und New-York, sein Auge richtet. Das im ersten

Teil noch von den Trümmern des Jahrhunderts gezeichnete Russland verwandelt sich

im zweiten Abschnitt zu einem neuen, von der Welt bewunderten Russland mit dem

Kreml als Zentrum des Ostens.

Im Übergang vom ersten zum zweiten Teil, in der gesamten vierten Strophe, kann man

inhaltlich sehr viele Gegensätze erkennen: Tod (Asche) – Leben (Bernstein), Unruhe

(Wut, Hochwirbeln der Asche) – Ruhe (sich senkender Nebel), Ende (Asche)-Anfang

(Morgenrot), Verwirrung (Asche, die hochgewirbelt wird) – Ordnung (Horizont, der

Page 38: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

33

geradlinig ist); Während das Ende des ersten Teils (S4/V1+2) im Tempus der

Vergangenheit gehalten wird (взвил), steht der Beginn des zweiten Teils (S4/V3+4) im

Präsens (оседает). Diese Tatsache schließt darauf, dass das Alte, Unruhige, Tote,

Verwirrende bereits überwunden ist und man einem bereits existenten Morgen, voll

Ruhe und Ordnung, entgegenstrebt. Die im Gedicht dargestellten Welten sind zum

einen real und wahrnehmbar (eine vom Krieg zerstörte Welt war damals Realität) und

zum anderen vom Künstler nach seinem Ideal entworfen (der Osten, der vom Westen

bewundert wird), was unter anderem ein Kennzeichen symbolistischer Dichtung ist.

Auffallend sind die im Gedicht dominierenden roten Farbtöne (алый, огненный,

заревый, красный, пылающий) und mit roter Farbe durchfluteten Bilder, die vor dem

Auge des Lesers erzeugt werden. Als Farbe der Kommunistischen Partei könnte sie

von Brjusov absichtlich dahingehend eingesetzt worden sein, um den Rezipienten

unterbewusst zu beeinflussen. Rot steht jedoch gleichzeitig für Brand und Zerstörung,

was demnach auch die Grundstimmung des Gedichtes verstärkt.

Aufzählungen wie «Все вперёд, за грань, за преграды» oder «В Берлине, в Париже,

в Нью-Йорке», verstärken den Sachverhalt und fordern noch intensiver dazu auf, über

die eigenen Grenzen hinauszuwachsen. Auch die häufig eingesetzten Bilder der

Bewegung – мчись! (S1/V4), встаёт (S2/V2), полёт (S2/V4), скок (S5/V4) – deuten

auf rasches Voranschreiten, auf Revolution hin.

3.2.3. Die historischen Umstände des revolutionären „Ehernen Reiters“

Brjusovs K russkoj revoljucii umfängt inhaltlich die geschichtliche Periode der

Übergangszeit vom Zarentum zur Herrschaft der Bolschewiki. Die unruhige Asche

(потревоженный прах, S4/V2) ist eine durchaus treffende Beschreibung der

historischen Gegebenheiten, welche zu einer Revolution drängten. Sie entspricht dem

Bild des scharlachroten Reiters, der mit seinem Pferd die Asche hochgewirbelt hat

(взвил, S4/V2). Eine über die Jahrzehnte wachsende Unzufriedenheit und die damit

einhergehende Ruhelosigkeit zeichnen sich nicht nur in der jüngst entstandenen

Arbeiterklasse ab, sondern auch bei den Bauern, den Bürgern und dem Adel.

Hildermeier (2013, 3-11) gibt einen guten Überblick über diese Situation: Die

wirtschaftliche und soziale Erneuerung aufgrund des verlorenen Krimkrieges (1854-

56) brachte den Aufbau einer eigenen Schwerindustrie mit sich, die eine blitzartige

Page 39: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

34

Urbanisierung auslöste und zur Entstehung von Arbeitervororten und Massenelend

führte. Die neu entstandene Arbeiterschaft fand in der alteingesessenen,

agrargesellschaftlichen Ordnung vorerst keinen Platz. So wurden beispielsweise eine

Kranken- und Unfallversicherung erst im Jahre 1912 angelegt. Politische Rechte

wurden nur zeitweise, zum Beispiel am Gipfel der Revolution von 1905, eingeräumt

und kurze Zeit später wieder abgeschafft, was wiederum zu zahlreichen Streiks und

Demonstrationen führte.

Zu weitaus brutaleren Mitteln griffen rebellische Bauern, deren aus Not oder

enttäuschter Erwartungen resultierendes Handeln oft brennende Gutshöfe,

geplünderte Vorratsspeicher oder eigenmächtige Inbesitznahme von Land nach sich

zog. Dieses regelmäßige Aufbegehren der Bauern erreichte bereits zu Beginn des 20.

Jahrhunderts eine neue Dimension, da viele Bauern aufgrund der Wanderarbeit und

den daraus entstehenden Kontakten zu Vertretern der oppositionellen Intelligenz

einerseits, und wegen der Politisierung bäuerlicher Soldaten durch den verpflichtenden

Dienst in der Armee andererseits, einen zuvor kaum dagewesenen Weitblick gewinnen

konnten.

Die Unzufriedenheit war auch auf Seiten der Intelligenz, mit denen Hildermeier (2013,

8) die Hochschulabsolventen meint, zu erkennen. Akademiker, die meist im Dienst der

zemstva7 waren und sich für eine kulturelle Modernisierung einsetzten, standen

jeglichen Reformen aufgeschlossen gegenüber und waren immer weniger gewillt, sich

von einem autokratischen Staat einengen zu lassen. Der ebenso in den zemstva

engagierte Adel forderte politisches Mitspracherecht, das ihm nach dem Generalstreik

in St. Petersburg zwar in Form einer Duma8 zugesprochen wurde, jedoch nur mit

einem minimalen Recht, so dass das Parlament im Prinzip trotzdem machtlos blieb.

Hildermeier (2013, 4) betont, dass diese oben genannten langfristigen Entwicklungen

nicht deterministisch zu verstehen sind und keine Garantie für eine soziale Revolution,

wie sie in Russland Realität geworden ist, geben, denn auch die Möglichkeit einer

liberal-konstitutionalistischen und marktwirtschaftlich-westlichen Umformung des

Zarenreiches war theoretisch gesehen vorhanden. Jedoch verstärkte die „unruhige

7 Zemstvo bezeichnet lokale Selbstverwaltungseinheiten auf Kreis- und Gouvernementsebene, die 1864 im Zuge liberaler Reformen im damaligen Kaiserreich Russland eingeführt wurden. (https://de.wikipedia.org/wiki/Semstwo, abgerufen am 16.12.2016) 8 Bezeichnung für eine beratende Versammlung oder Körperschaft (https://de.wikipedia.org/wiki/Duma, zugegriffen am 16.12.2016)

Page 40: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

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Asche“ des ersten Weltkrieges die Wirkungskraft dieser Entwicklungen und gebar

einen regelrechten Wirbelsturm, der Mitsprache und Machtteilhabe sowie Brot und

Sicherung von Lebensbedürfnissen forderte.

Wenn wir nun auf K russkoj revoljucii zurückkommen, gilt es zu beachten, dass die

Darstellungen des Dichters einen Hang zur Subjektivität aufweisen. Brjusov

bezeichnet die monarchische Vergangenheit Russlands nicht nur als bloßes

historisches Faktum, sondern bringt sie in Verbindung mit ihren Folgen und

Auswirkungen auf die Bewohner Russlands und ihre Wohnstätten. Das im Gedicht

vorhandene Indefinitpronomen все (S1/V3, S5/V1) und vor allem die Aussage in S5/V1

(И все, и пророк и незоркий) unterstreichen, dass alle Schichten von der damaligen

Unzufriedenheit betroffen waren. Brjusov schreibt in S2/V1 über das Murren, das

Jammern und Klagen der Menschen auf der einen Seite und von Trümmern und

zersprungenen Platten auf der anderen Seite. Er geht sogar noch weiter, indem er eine

wertende Haltung einnimmt. Wenn er in S3/V2 von den verfallenen Wänden des

Jahrhunderts spricht („Обветшалые стены веков“), gibt er mit dem Adjektiv

oбветшалые bereits zu erkennen, welche Einstellung er in Bezug auf das letzte

Jahrhundert hat. Die Wände, welche die Gesamtheit dessen, was zur Zeit der

Zarenherrschaft im positiven sowie im negativen Sinn geschehen ist, repräsentieren,

sind baufällig, das heißt sie sind erneuerungsbedürftig oder müssen, etwa durch eine

Revolution, abgerissen werden. Das ist der direkte Ausdruck einer klaren Meinung im

Hinblick auf die Monarchie und eine Äußerung zugunsten der Revolution. Auf die durch

die Februarrevolution herbeigeführte Situation Russlands nach dem Ende des

Zarentums nimmt Brjusov im ersten Teil des Gedichtes vor allem in der gesamten

dritten und der ersten Hälfte der vierten Strophe Bezug. Die in diesem Abschnitt

verwendeten Adjektive sind durchwegs negativ konnotiert: тяжёлый, обветшалый,

треснувший, беспощадный, яростный, потревоженный; Damit rückt er die Zeit

der Zarenherrschaft auch indirekt in ein schlechtes Licht. Er stellt die monarchistische

Vergangenheit als etwas Zerbrochenes dar, etwas, wovon man sich distanzieren

sollte. Brjusov ermutigt im Gedicht dazu, sich trotz des Klagens und Murrens zu

erheben (S2/V1-2). Mit den Worten „Ты взвил потревоженный прах.“ (S4/V2)

platziert Brjusov genau am Ende des ersten Teils, unmittelbar bevor dem Gedicht eine

positive Grundstimmung beigemessen wird, ein mythisches Bild, welches eine

Assoziation mit dem Phönix zulässt, der aus der Asche steigt, als Zeichen für etwas,

Page 41: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

36

das bereits verloren geglaubt war und in neuem Glanz wiedererscheint. Die Asche und

die Trümmer der Monarchie werden hier sozusagen zu den Grundpfeilern der

Revolution und des kommunistischen Systems aufgewertet.

Ein weiterer Aspekt in K russkoj revoljucii ist die Beziehung zwischen dem Osten und

dem Westen. Hildermeier (2013, 120) schreibt, dass der „Aufbau des Sozialismus“ die

Funktion hatte, die Rückständigkeit schnellstmöglich abzubauen. Innerhalb von 10

Jahren sollte in Russland das geleistet werden, wofür Westeuropa ein halbes

Jahrhundert gebraucht hatte. Brjusov stellt den Osten in seinem Werk bereits als so

fortschrittlich dar, dass der Westen nichts anderes tun könne, als den Osten zu

bewundern.

Der erste Vers der sechsten Strophe konkretisiert die im zweiten Vers (S6/V2)

erwähnte Verwirrung, womit nicht nur die vor der Februarrevolution vorherrschende

„doppelte Polarisierung“9 gemeint sein könnte, sondern auch die bis zur

Oktoberrevolution existierende provisorische Regierung, die Doppelherrschaft des

Februarregimes:

Там взыграв, там кляня свой жребий

Встречает в смятеньи земля

(S6/V1-2)

Die aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich russischer Kriegsziele

entstandenen Konflikte und Komplikationen führten zu einer Regierungskrise im

Sommer 1917, die bis zum 26. Oktober desselben Jahres andauerte. An jenem Tag

wurde die Doppelherrschaft durch die Machtübernahme der Bolschewiki aufgelöst

(Hildermeier 2013, 36). In K russkoj revoljucii wird diese Machtübernahme in S6/V3-4,

am Ende des Gedichtes, angedeutet.

На рассветном пылающем небе

Красный призрак Кремля.

(S6/V3-4)

9 Unter dem Begriff „doppelte Polarisierung“ wurde die Konstellation zweier Herausforderer verstanden, die verschiedene Ziele – politische oder soziale – im Hinblick auf die Revolution verfolgten. Professoren, Fabrikanten und Adelige forderten einen Regimewechsel, die hungernden städtischen Unterschichten jedoch eine soziale Revolution. (Hildermeier 2013, 11)

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37

Die „rote Gestalt des Kremls“ in der sechsten Strophe, die auf das Land (земля),

welches sich in einer politischen Verwirrung befindet, trifft, steht für die Stadt Moskau,

die am 12. März 1918 zur Hauptstadt des Landes erklärt wurde. Sie wird als rettender

Repräsentant des Ostens dargestellt, der das Land aus der Verwirrung in ein neues

Morgen führt.

Durch das historische Gewebe dieses Werks (postmonarchistische Situation,

Doppelherrschaft, Umbenennung der Hauptstadt) zieht sich ein roter Faden, der vor

allem literaturgeschichtlich gesehen nicht unbedeutend ist. Der schon mehrmals

erwähnte Eherne Reiter Puškins, das bronzene Reiterstandbild Peters des Großen,

welches sich auf dem Senatsplatz in St. Petersburg befindet und in Puškins Werk

lebendig wird und einen Beamten bis zum Wahnsinn verfolgt, wird von Brjusov bereits

mit der Aufforderung „Алым всадником - мчись!“ (S1/V4) in der ersten Strophe als

scharlachroter Reiter aufgegriffen und fast ein Jahrhundert nach Mednyj vsadnik

wieder lebendig gemacht. Die Handlung der beiden Reiter ist jedoch völlig konträr.

Man könnte fast sagen, dass sich der Spieß nach einem Jahrhundert umgedreht hat.

Während nämlich Puškins Mednyj vsadnik einen Mann verfolgt, bekommt Brjusovs

Reiter den Auftrag, loszueilen bis hinter die Barrikaden und Schranken, von der

Gefangenschaft in die Freiheit, weg von der alten Welt in eine neue, und letztlich auch

weg von seiner eigenen Vergangenheit in eine bessere Zukunft. Er wird sinngemäß

dazu aufgefordert, über seine eigenen Grenzen hinauszuwachsen. Auch Russland

wächst zu jener Zeit über seine eigenen Grenzen hinaus, lässt die alte

monarchistische Welt und die Hauptstadt St. Petersburg zurück und drängt in eine

neue Zukunft mit Moskau respektive dem Kreml als Zentrum. Wie bereits in Kapitel

3.2.2. angeführt, lässt auch Belyj in seinem Werk Peterburg die Reiterstatue Peters

des Großen lebendig werden. In Form von flüssigem, glühenden Metall inkorporiert sie

sich sozusagen in einer Figur. Die farbliche Beschreibung des Ehernen Reiters

(scharlachrot) in K russkoj revoljucii erinnert an das glühende Metall aus Belyjs Text,

den Brjusov ohne Zweifel kannte. Beide Dichter gehörten schließlich auch der Gruppe

der Symbolisten an, wenn auch unterschiedlichen Generationen.

Nicht zuletzt spiegelt sich das Pferd des scharlachroten Reiters auch im Rhythmus des

Gedichtes wider. In galoppierendem Tempo spannt es, scheinbar räumlich und zeitlich

Page 43: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

38

vorwärtsdrängend, einen inhaltlichen Bogen vom Beginn der Revolution bis zur

Vollendung derselben unter dem bewundernden Auge des Westens.

3.2.4. Prorevolutionäre Überzeugungskraft

Der Autor positioniert sich im Gedicht, wie bereits festgestellt, eindeutig als

prorevolutionär. Dass er mit K russkoj revoljucii auch versucht, andere von seiner

Einstellung zu überzeugen, wird an einigen Punkten konkret sichtbar.

Bereits in der Wortfolge „K russkoj revoljucii“ kommt beispielsweise das Stilmittel der

Alliteration zur Verwendung, was dem Titel einen einprägsamen Charakter verleiht.

Alliterationen werden heute oft in Werbesprüchen verwendet, deren Funktion es ist zu

überzeugen. Dass auch Brjusov mit diesem Gedicht den Leser von etwas Bestimmtem

überzeugen will, kann man bereits auf Grund der Überschrift vermuten. Des Weiteren

ist festzustellen, dass der Titel den Charakter einer klassischen Widmung hat.

Während jedoch Gedichte, besonders in der Romantik, einer konkreten Person, z. B.

einer Frau, gewidmet waren, richtet Brjusov sein Werk an ein Abstraktum. Der Begriff

der Revolution wird somit in diesem Fall durch Brjusovs Beibehaltung der Form einer

klassischen persönlichen Widmung aufgewertet.

Der Text und die Bilder sollen ebenso beeinflussen und von revolutionären Gedanken

überzeugen. Brjusov selbst deutet an, dass harmonische Bildkompositionen eine

hypnotische Wirkung haben können (Sywczyk-Lammers 2002, 19). Zusätzlich

verwendet er folgende Strategie: Er fordert zuerst die in Kapitel 3.2.2. bereits erwähnte

Masse (Все вперёд, за грань, за преграды) auf, etwas zu tun und bezieht sich nach

und nach immer mehr auf ein persönliches „Du“. Vorerst wird ein Gegenüber – der

scharlachrote Reiter – angesprochen, wobei die Möglichkeit besteht, dass der Leser

bereits beginnt, sich mit dem Reiter zu identifizieren. Von der zweiten Strophe an wird

mit dem Leser direkt kommuniziert: Твой торжествующий топот (S2/V3), Ты

дробишь тяжёлым копытом (S3/V1), Ты взвил потревоженный прах (S4/V2),

Видят твой огненный скок (S5/V4); Dadurch könnte sich der Leser angesprochen

fühlen und sich als Protagonist des Werkes sehen. Die Hauptfigur ist ein Held, der

scheinbar etwas mit dem Kommunismus (vermittelt durch die Farbe Rot) zu tun hat

(scharlachroter Reiter), der dazu aufgefordert wird, viel für seine Heimat zu leisten,

danach zu streben, über die Grenze hinweg etwas zu verändern, und der aufgrund

Page 44: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

39

dessen vom Westen gesehen und bewundert wird. Es könnte dazu kommen, dass sich

der Leser, bevor das Gedicht in der sechsten Strophe zu einer dritten Person

zurückkehrt, mit einem prorevolutionären Reiter der kommunistischen Armee

gleichsetzt, der bewundert wird.

Der ganze Text ist zu verstehen als ein Appell an den Leser der damaligen Zeit. Dieser

sollte mutig sein und trotz der Trümmer, die die Vergangenheit mit sich gebracht hat,

aufstehen und zur Revolution und zur Neugestaltung des Ostens, um den

bewundernden Blick des Westens auf sich zu ziehen, beitragen.

Die in Kapitel 3.2.2. beschriebenen Bilder des Weges von einer gegebenen

Begrenztheit in die Freiheit können beim Leser eine Motivation auslösen, die Barrieren

der Begrenztheit zu durchbrechen. Im Gedicht wird die Masse (все S1/V3) geradezu

dazu aufgefordert sich über die Grenzen hinweg nach vorne zu bewegen.

Nicht nur im Inhalt, sondern auch an der Machart des Gedichtes lässt sich eine

gewisse Überzeugungskraft feststellen. In der Metrik lassen die fest und bestimmt

wirkenden männlichen Endungen, besonders am Ende einer jeden Strophe, wie auch

am Ende des Gedichtes, den Leser eine gewisse Sicherheit und Zielstrebigkeit spüren.

Die vielen verschiedenen, in schöne Metaphern verpackten Rottöne suggerieren die

kommunistische Farbe.

3.2.5. K russkoj revoljucii im Sprachunterricht

Obwohl das Gedicht aus der Feder eines Befürworters der Russischen Revolution,

welche aus „nicht nur [...] postsowjetischer Sicht in die Katastrophe führte“ (Hildermeier

2013, 3), stammt, kann es trotzdem sehr sinnvoll sein, das Gedicht, vor allem im

Hinblick auf das Geschichtsbewusstsein der SchülerInnen, in den Sprachunterricht

einzubringen. Das Werk K russkoj revoljucii bietet sich besonders gut als Einstieg in

das Thema der Russischen Revolution an, weil es die Eckpfeiler dieses historischen

Phänomens – die Missstände zur Zeit des Zarentums, den Niedergang der Monarchie,

die Machtübernahme der Kommunistischen Partei – markiert und einen groben

Überblick über die komplexe Thematik der Revolution verschafft. Selbstverständlich

ist eine sinnvolle Bearbeitung des Gedichtes im Unterricht nur durch eine didaktisch

wirkungsvolle Einführung möglich. Das bloße Vorlegen des Textes würde die

SchülerInnen wahrscheinlich im ersten Augenblick überfordern, während ein

Page 45: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

40

zusätzliches Vorlesen durch die Lehrperson zumindest die prorevolutionäre Haltung

des Dichters, die sich auch im Rhythmus widerspiegelt, erahnen lässt. Um die

geschichtlichen Inhalte herauszustreichen, bedarf es zusätzlich einer oder mehrerer

geeigneter methodischer Mittel10, die die Lernenden dabei unterstützen sollen,

gewisse Textausschnitte mit historischen Fakten in Verbindung zu bringen.

Je nach Sprachniveau der Lernenden könnte das Vokabular in K russkoj revoljucii eine

gewisse Barriere darstellen, weshalb man sich als Unterrichtender die Frage stellen

sollte, ob man entweder das Wörterbuch oder die deutsche Übersetzung als

Hilfestellung bieten möchte, wobei zu betonen ist, dass es methodisch gesehen

unzählig viele Möglichkeiten gibt auch sinnvoll mit Übersetzungen zu arbeiten, sodass

die SchülerInnen auch hierbei einen Lerneffekt haben. Der Text eignet sich vor allem

wegen seiner Kürze zum Auswendiglernen. Grammatikalische Strukturen, einzelne

Phrasen oder festgelegte Redewendungen können so eingeprägt und gefestigt

werden. Der relativ regelmäßige Rhythmus unterstützt das korrekte Erlernen der

Intonation. Die Farbe Rot spielt eine prominente Rolle und kommt in verschiedenen

Tönen zur Geltung. Man könnte diese Gegebenheit sprachlich gesehen dazu nutzen,

den Grundwortschatz zum Thema Farben zu erweitern und in Kombination mit

Bildbeschreibungen zu üben.

Abgesehen von den sprachlichen und historischen Aspekten, die K russkoj revoljucii

bietet, können SchülerInnen auch im Hinblick auf ihre Kritikfähigkeit von dem Text

profitieren. Auch ohne über historische Vorkenntnisse in Bezug auf die Revolution zu

verfügen, gibt das Gedicht zumindest Aufschluss über die Einstellung des Dichters zur

damaligen politischen Situation. Es wird eindeutig, dass in seinen Augen die

zaristische Vergangenheit als negativ angesehen wird und die Zukunft nur Positives

bringen kann. Brjusov setzt seine Hoffnung auf das Kommunistische Regime, welches

seiner festen Überzeugung nach im Stande ist, ein neues Morgen, eine neue Ära, ein

neues Land, das vom Westen bewundert wird, zu schaffen. Über diese Position könnte

man in der Schule diskutieren und aus postrevolutionärer Sicht reflektieren, und

10 Geeignete Methoden lassen sich in fast allen didaktischen Werken zum Thema Sprachunterricht finden. Eine Fülle an Techniken und Methoden schlägt der sehr gut ausgearbeitete Methodenpool der Universität Köln vor: http://methodenpool.uni-koeln.de/uebersicht.html; Um historische Fakten mit lyrischen Inhalten in Verbindung zu bringen, eignen sich am besten die „handlungsorientierten Methoden“, im Endeffekt ist jedoch zusätzlich immer die Kreativität der Lehrperson gefordert.

Page 46: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

41

schlussendlich auch einen Vergleich zu den gegenwärtigen historischen

Gegebenheiten ziehen.

Page 47: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

42

3.3. Durst nach Freiheit und Bürgerrechten

Декабрист

Тому свидетельство языческий сенат –

Сии дела не умирают.

Он раскурил чубук и запахнул халат,

А рядом в шахматы играют.

Честолюбивый сон он променял на сруб

В глухом урочище Сибири,

И вычурный чубук у ядовитых губ,

Сказавших правду в скорбном мире.

Шумели в первый раз германские дубы,

Европа плакала в тенëтах,

Квадриги чëрные вставали на дыбы

На триумфальных поворотах.

Бывало, голубой в стаканах пунш горит,

С широким шумом самовара,

Подруга рейнская тихонько говорит,

Вольнолюбивая гитара.

Ещë волнуются живые голоса

О сладкой вольности гражданства,

Но жертвы не хотят слепые небеса,

Вернее труд и постоянство.

Всë перепуталось, и некому сказать,

Что, постепенно холодея,

Всë перепуталось, и сладко повторять:

Россия, Лета, Лорелея.

(Osip Mandel’štam, Juni 1917)

Page 48: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

43

3.3.1. Osip Mandel’štam und sein Traum von Demokratie

Die Existenz Osip Mandel’štams wird von Ralph Dutli (1995, 118) mit einer geistigen

Landkarte verglichen, die sich räumlich von Westen nach Osten über Russland

erstreckt. Mandel‘štam wurde am 15. Jänner 1891 in Warschau, dem westlichsten

Ende des zaristischen Russland, geboren und starb 1938 in einem Transitlager für

Zwangsarbeiter bei Wladiwostok, „im tiefsten Osten von Stalins eisigem Gulag-

Dschungel“ (ebd. 118). Man könnte dieses geographische Bild mit einer „geistigen

Zeitleiste“ ergänzen, die den Weg Russlands von der Autokratie des Russischen

Zarenreichs unter Alexander III, welcher von 1881 bis 1894 – also zur Zeit der Geburt

Mandel’štams – regierte, bis hin zur autokratischen Herrschaft der Kommunistischen

Partei, unter deren Regime der Dichter sein Leben lassen musste, widerspiegelt.

Inmitten dieser örtlichen und zeitlichen Spanne, zwischen den Pfeilern der

monarchistischen und kommunistischen Autokratie, steht Osip Mandel’štam mit

seinem Wunsch nach Demokratie und Freiheit, und mit Gedichten, die über die

örtlichen und zeitlichen Grenzen hinaus Länder überschreiten und deren Historie

durchdringen.

Bis zur Oktoberrevolution – d.h. auch zu der Zeit, als das diesem Kapitel zu Grunde

liegende Gedicht Dekabrist entstand – lebte der Dichter die meiste Zeit in Sankt

Petersburg (Neiler 1991, 1), mit Ausnahme zweier Aufhalte in Europa: Von November

1907 bis Mai 1908 wurde der 16-jährige Mandel‘štam von seinen Eltern nach Paris

geschickt, um dort zu studieren. Grund dafür war der über einen Schulfreund in Sankt

Petersburg entstandene Kontakt des jungen Osip zu prominenten

Sozialrevolutionären mit teilweise terroristischem Hintergrund, die das Interesse des

Jugendlichen auf sich zogen (Dutli 2016, 6). Die Welthauptstadt Paris ließ die

revolutionäre Gesinnung des jungen Poeten dahinschwinden. Er beschäftigte sich dort

vorwiegend mit Musik und Poesie (Dutli 2016, 1).

Im Oktober 1909 ging Mandel‘štam nach Heidelberg, um ein Wintersemester (bis März

1910) an der dortigen Universität zu studieren. Dies hatte er maßgeblich seinen

jüdischen Wurzeln zu „verdanken“, die ihn aufgrund des vom Zaren am 16. September

1908 festgelegten Beschlusses der Diskriminierung von jüdischen Studienanwärtern

von einem Studium an der Universität St. Petersburg fernhielten (Dutli 2016, 7). In

Heidelberg kam er der europäischen Kultur und vor allem der deutschen Geschichte

näher. Die dadurch entstandene innere Verbundenheit zu Deutschland, die auch im

Page 49: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

44

Werk Dekabrist deutlich erkennbar ist, würde ihn Zeit seines Lebens nicht mehr

loslassen. Er beschäftigte sich dort u.a. mit altfranzösischen Heldenepen, zeigte

jedoch auch Interesse für zeitgenössische deutsche Lyriker (Dutli 2016, 10f).

In seiner Jugendzeit schrieb Madel’štam bereits einige Gedichte, die von Brillanz und

Wortgewandtheit durchdrungen waren. Er nahm jedoch nur wenige dieser

Jugendwerke in seine insgesamt sechs Gedichtbände (Kamen‘ 1913, 1916, 1923;

Tristia 1922; Vtoraja kniga 1923; Stichotvorenija 1928) auf, was darauf hindeutet, dass

er ein scharfer Kritiker seines eigenen Schaffens war (Dutli 2016, 14f).

Nach dem Wintersemester in Heidelberg setzte er sein Studium an der Petersburger

Universität fort. Damals wurde er ebenso zum Mitbegründer des akmeistischen

Dichterkreises (Nerler 1991, 1). Mandel’štam war neben Anna Achmatova und Nikolaj

Gumilev einer der wichtigsten Vertreter des Akmeismus.

Sein erster Gedichtband Kamen‘ („kamen‘“ heißt übersetzt „Stein“ und bildet ein

Anagramm zum griechischen „akme“ [Reife, Spitze], das den Wortstamm der

literarischen Strömung des Akmeismus bildet) verdeutlicht nicht nur sein Verständnis

von Dichtung, sondern auch jenes der Akmeisten, die im Gegensatz zu den

Symbolisten keine ewigen, zeitlosen und transzendenten Räume mehr suchen,

sondern die Historie selbst zu einem wesentlichen Anspruch ihrer Lyrik machen

(Werberger 2005, 121). Der Stein spielt in dieser Hinsicht eine besondere Rolle. Er

steht nicht für Abgeschlossenheit oder Unveränderlichkeit, sondern verbirgt vielmehr

eine Geschichte, die es zu enthüllen gilt. Mandel’štam assoziiert die Beschaffenheit

des Steins mit dem Wesen der Sprache. „Wie der Mineraloge im Stein das Klima und

die Katastrophe früherer Zeiten wiederfindet, sucht der Dichter in der Sprache die

Ereignisse der Vergangenheit“ (Werberger 2005, 121). Dabei wird vor allem der

geschichtliche Horizont der Sprache u.a. als Träger von Kultur betont (ebd. 122). Das

Wort selbst steht im Zentrum und bildet die Grundlage des akmeistischen Gedichts.

Die semantisch-inhaltliche, formale, lautliche und/oder historische Seite des Wortes

sollte beachtet werden – dies wird in allen drei Manifesten zum Akmeismus

(Mandel’štam, Gorodeckij, Gumilev) eingefordert (ebd. 114). Das Misstrauen

gegenüber Formexperimenten, die entschiedene Ablehnung der planmäßigen

Unverständlichkeit, und die gewollte Harmonie in der Form eines lyrischen Werks,

lassen im Akmeismus eine Bezugnahme zur Antike und Tradition erkennen (ebd. 73).

Page 50: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

45

Osip Mandel’štam verkörpert mit seiner Dichtung den Akmeismus in seiner

ausgefeiltesten Form. Dies ist auch im vorliegenden Werk Dekabrist klar zu erkennen

und wird in Kapitel 3.3.2. ausführlich besprochen.

Seit Mitte der 20er Jahre bekam Mandel’štam zunehmend Schwierigkeiten seine

Gedichte zu veröffentlichen. Er arbeitete als Übersetzer und Kinderbuchautor und

schrieb vorwiegend Prosa-Texte. Im Jahr 1933 verfasste er sein verhängnisvolles

Epigramm gegen Stalin, welches seinen Mut und seine Zivilcourage zu Tage brachte.

Daraufhin wurde er 1934 verhaftet und bis 1937 verbannt (Nerler 1991, 1).

1938 erfolgte eine erneute Verhaftung und Verurteilung durch ein Sondergericht,

welches ihn nach Sibirien verbannte, wo er schließlich auch starb. Die Tatsache, dass

Osip Mandel’štam aufgrund seines Beharrens auf Freiheit und Menschenrechte letzten

Endes nach Sibirien ausgewiesen wurde, wo er mit seinem Leben dafür bezahlen

musste, stellt einen besonderen Bezug zu seinem Werk Dekabrist her, in welchem der

Autor die sibirische Verbannung jener Dekabristen, die sich für Freiheit und gegen die

Leibeigenschaft und Zäsur des autokratischen Zarenregimes aussprachen,

thematisierte.

3.3.2. Dekabrist – zwischen Mythos, Vergangenheit und Gegenwart

Das von Mandel’štam im Juni 1917 geschriebene Gedicht Dekabrist ist in 6 Strophen

zu je 4 Versen11 unterteilt und weist ein Kreuzreimschema mit abwechselnd

männlicher und weiblicher Kadenz auf. Der durchgehend jambische Rhythmus – 6-

füßige und 4-füßige Jamben wechseln sich ab – die konsequente Struktur des

Gedichtes, die reinen Endreime und die regelmäßige metrische Gestaltung des

Versschlusses lassen einen Hang zur klassizistischen Harmonie erkennen. Dutli

(1995, 33) schreibt, dass sich die Akmeisten, so auch Mandel’štam, ganz bewusst „auf

Vorläufer und Verbündete in der literarischen Tradition [beriefen], [...] sie keineswegs

[verwarfen], sondern [...] als ihr Fundament, auf dem das Neue entstehen kann,

[betrachteten]“. Auf Basis dieses traditionellen Grundstocks baut der Dichter nun sein

Werk auf. Mandel’štam achtet vor allem auf eine dichte Verknüpfung der einzelnen

Wortteile im Rhythmus. Durch die Anhäufung von Pyrrhichien, die das Tempo in einer

11 Das metrische Schema sowie die deutsche Übersetzung von Ralph Dutli (2004, 37) sind in Anhang C zu finden.

Page 51: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

46

Leichtigkeit und Klanghaftigkeit vorantreiben, wird in der sechsten Strophe eine

Maximalgeschwindigkeit erreicht, die im allerletzten Vers (S6/V4) mittels Interpunktion

eingebremst wird: „Россия, Лета, Лорелея.“ Diese letzte Zeile, die rhythmisch sowie

inhaltlich überrascht, macht eine gewisse „Ruhe nach dem Sturm“ spürbar. Auf den

weitgreifenden Inhalt dieser drei vom Dichter absichtlich gewählten und an letzter

Stelle positionierten Wörter wird weiter unten näher eingegangen.

Das Gedicht Dekabrist beginnt mit einer Charakterisierung der bereits im Titel

benannten Figur. Diese Deskription ist im Hinblick auf die literarische Strömung des

Akmeismus ein „Akt der Wirklichkeitsversicherung und keine Explikation oder Deutung

von Realität“ (Werberger 2005, 70). Es werden Utensilien wie „чубук“ oder „халат“

sowie die Handlung des Schachspielens („в шахматы играют“) ins Bild gebracht, was

die beschriebene Person einer gehobenen Gesellschaftsschicht zuordnet. Materielle

Gegenstände wie die bereits erwähnte Pfeife oder der Morgenrock, aber auch das

Glas („стакан“ – S4/V1), der Samowar („самовар“ – S4/V2), und die Gitarre („гитара“

– S4/V4), betonen das Alltägliche und das Konkrete, was in programmatischer Hinsicht

typisch für den Akmeismus ist, dessen „Dinglichkeit“ einen Gegenpol zur

„Entdinglichung“ und Vergeistigung der Welt im Symbolismus bildet (Werberger 2005,

67).

Neben der Beschreibung des Dekabristen auf Basis verschiedener Utensilien und

Gepflogenheiten wird auch die Historie der Figur angeschnitten, wenn es heißt:

„Честолюбивый сон он променял на сруб в глухом урочище Сибири“ (S2/V1-2).

Die Komponente des Tempus spielt hier eine wichtige Rolle. Das finite Verb

„променял“, welches die Zeitform der Vergangenheit innehält, weist auf eine

abgeschlossene Handlung hin, wohingegen die ersten beiden Verse, die der

Beschreibung des Dekabristen vorausgehen, von Vergangenheit und Präsens

zugleich durchdrungen sind: Die Aussage „Тому свидетельство языческий сенат –

Сии дела не умирают“ (S1/V1-2), die als direkte Rede interpretiert werden kann, ist

zwar klar einer Person der Vergangenheit (Dekabrist) zuzuordnen, wird jedoch durch

die direkte Rede und die Verwendung des Präsens („умирают“) vergegenwärtigt. Erst

bei S1/V3 tauch der Leser/die Leserin direkt in die Vergangenheit ein, wobei der

Dichter in S1/V4 durch die Formulierung „А рядом в шахматы играют“ mittels Präsens

und der deiktischen Lokalpräposition „рядом“ erneut die Unmittelbarkeit der Situation

steigert und das Geschehen für die Gegenwart zugänglich macht.

Page 52: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

47

Durch eine starke Rückbindung an das Vergangene, wie sie auch in Dekabrist der Fall

ist, wird die Erinnerungskraft von Dichtung pointiert. Es wird ein Bezug zur Gegenwart

hergestellt, da diese immer der Ausgangspunkt, beispielsweise für eine Rückblende,

ist (Werberger 2005, 73). Einem vergangenen Bild muss nicht unbedingt das Tempus

der Vergangenheit zugrunde liegen. Auch im vorliegenden Werk werden diverse

Anspielungen auf historische Ereignisse im Präsens realisiert und somit

vergegenwärtigt. In der vierten Strophe (V3-4) macht der Dichter zum Beispiel eine

Andeutung auf die napoleonischen Kriege: „Подруга рейнская тихонько говорит,

Вольнолюбивая гитара.“ Er greift dabei noch weiter in die Historie zurück und stellt

durch das verwendete Tempus der Gegenwart einen Bezug zum Hier und Jetzt dar.

Dies ist vor allem im Hinblick auf die historische Interpretation des Werks zu beachten

und wird in Kapitel 3.3.3. erneut aufgegriffen.

Obwohl Mandel’štams Dekabrist eine eher unauffällige Onomatopoesie vorweist,

beeindruckt die Vielschichtigkeit und inhaltliche Aussagekraft der einzelnen Wörter –

die Lippen (S2/V3) als Ort, an dem der Laut und somit auch das Wort entsteht,

verdeutlichen die Wichtigkeit des Wortes – und Wortverbindungen. Akmeistisches

Schreiben war im Allgemeinen von historischer und alltagssprachlicher Wortsemantik

geprägt, die durch einen ungewöhnlichen Kontext neu konnotiert wurde (Werberger

2005, 69). Das Wort steht – in Mandel’štams Werk Dekabrist v.a. mit seiner inhaltlichen

Beschaffenheit – im Zentrum, jedoch ist es nur in Verknüpfung mit anderen Worten,

sozusagen im Geflecht der Sprache, dazu im Stande seine „Dynamik“ zu entfalten

(Werberger 2005, 69). An dieser Stelle soll mit S3/V3-4 ein konkretes Beispiel gegeben

werden:

„Квадриги чëрные вставали на дыбы

На триумфальных поворотах.“

Das Bild, welches vor dem Auge der LeserInnen entsteht, lässt sich mit der Quadriga

auf dem Gebäude des Generalstabs am Palastplatz in Sankt Petersburg assoziieren.

Die beiden Verse, obwohl im Tempus der Vergangenheit verfasst, weisen einen Bezug

zur Gegenwart des Dichters auf. Im Kunstwerk der Quadriga ist zum einen die

unmittelbare Realität – die Existenz der konkreten bildhauerischen Arbeit Carlo Rossis

– vermerkt, zum anderen trägt es durch seine Beschaffenheit und Örtlichkeit Historie

in sich. Die lokale Position der Quadriga, welche sich auf dem bogenförmigen

Page 53: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

48

Gebäude des Generalstabs über dem Palastplatz in Sankt Petersburg erhebt, spielt

auf das geschichtliche Ereignis des Petersburger Blutsonntags an, welcher Teil der

Revolution von 1905 war. Neben den Dimensionen der Gegenwart und der

historischen Vergangenheit, findet auch das Mythische im metaphorischen

Wortgeflecht rund um die Quadriga ihre Bedeutung. Der Begriff wurde nämlich bereits

im babylonischen Schöpfungsmythos als Kriegswagen des Gottes Marduk verwendet.

Abgesehen von diesem Beispiel kann man auch an anderen Stellen des Gedichtes (z.

B. „Лорелея“ (S6/V4)) erkennen, dass Mandel’štam, wie auch die Akmeisten im

Allgemeinen, keinesfalls versuchte Mythologisches auszuklammern, sofern es im

Erfahrungsbereich des Menschen liegt. Eine dualistische Sicht auf die Welt, wie sie

die jüngeren russischen Symbolisten hatten, unterstützen die Akmeisten nicht

(Werberger 2005, 69). Trotz der mythologischen Komponente bleibt Mandel’štam im

Dialog mit der Realität. Deswegen finden sich bei ihm auch, wie bereits weiter oben

veranschaulicht, eine Vielzahl von Alltagsgegenständen, aber auch Ortsangaben, die

die mythologischen Anspielungen nicht stören, sondern vorbereiten. In S4/V3-4 wird

der durch Deutschland fließende Strom Rhein in Verbindung mit einer Frau und dem

Klang einer „freiheitsliebenden“ Gitarre angesprochen:

„Подруга рейнская тихонько говорит,

Вольнолюбивая гитара.“

Der geographische Aspekt (S4/V3) und die musikalische Komponente (S4/V4)

evozieren die mythische Gestalt der Loreley im Schlussvers des Gedichtes. Sie ist

wiederum ein Verweis auf die deutsche Literaturgeschichte, zumal sie bereits in den

Werken von Brentano und Heine vorkommt. Gleichzeitig spannt Mandel’štam in

diesem Abschnitt des Werks – er setzt „Вольнолюбивая“ und „Подруга рейнская“

miteinander in Beziehung – einen geschichtlichen Bogen zu den Napoleonischen

Kriegen, im Zuge derer viele russische Offiziere nach Westeuropa gekommen waren

und das Gedankengut des revolutionären Frankreichs erkannten. Die Unzufriedenheit

über ihre eigene Heimat wuchs. Dies war wiederum einer der ausschlaggebenden

Gründe für den Dekabristenaufstand im Jahr 1825.

Page 54: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

49

Die Bedeutungspluralität in Dekabrist sowie in anderen akmeistischen Werken ist im

Gegensatz zur symbolistischen Transzendenz stark verknüpft mit dem Vergangenen.

Laut Dutli (2016, 1) sah Osip Mandel’štam sein Werk prinzipiell als Dialog mit

Vorläufern und Gleichgesinnten. Zur Dialogisierung und Referenzsteigerung des

Gedichts tragen, neben dem Adressaten, vor allem die Nennung von „Namen, Texten,

Orten oder Ereignissen“ bei (Werberger 2005, 72), welche auch im vorliegenden Werk

auffallen: „сенат“, „В глухом урочище Сибири“, „германские дубы“, „Европа“,

„Подруга рейнская“, „Россия“, „Лета“, „Лорелея“; Durch die Anreicherung des

Gedichts mit Bezeichnungen dieser Art geschieht eine Koppelung zwischen lyrischem

Werk und Weltkultur (Werberger 2005, 72). Auf diese Tatsache wird in Kapitel 3.3.3.

noch näher eingegangen.

Eine weitere wichtige Komponente in Mandel’štams Werk Dekabrist ist die auffällige

Einbindung der Sinne. Sie sind Mandel’štam zufolge äußerst wichtig und finden

deshalb vielfach Eingang in seine Gedichte (Werberger 2005, 57). Der Geruch des

Pfeifenrauchs (S1/V3, S2/V3), die Lippen (S2/V3) – ein sehr feinfühliges Organ,

welches hier jedoch auch als Ort der Lautentstehung und des Sprechens zum

Ausgangspunkt der Poesie selbst wird – das Rauschen der Eichen (S3/V1), das

Weinen Europas (S3/V2), der auf den Geschmackssinn anspielende Punsch (S4/V1),

der Klang der Samoware (S4/V2) sowie der Gitarre (S4/V4), oder die lebendigen

Stimmen (S5/V1) – all diese sinndurchfluteten Bilder sind für den Leser erfassbar. Der

Innen- und Außenbereich des Menschen bzw. jene Dimension, welche mit den Sinnen

nachvollziehbar ist, ersetzt die Fixierung auf das Jenseits. Das Übersinnliche verliert

an Aufmerksamkeit (Werberger 2005, 69).

Im letzten Vers des vorliegenden Werks, der aufgrund seiner interessanten

Positionierung und Aussagekraft hier bereits einige Male angesprochen wurde –

„Россия, Лета, Лорелея“ – fließen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und

Mythos, Ort und Zeit zusammen: „Россия“, als Ausdruck der dichterischen Gegenwart,

„Лета“, der Fluss des Vergessens aus der griechischen Mythologie, und schließlich

„Лорелея“, die am Rhein singende Jungfrau, die als Hinweis auf die deutsche Literatur

im Endeffekt für Deutschland selbst steht. Die Lethe bildet durch ihre Beschaffenheit

– ein Fluss ist die Trennlinie zweier Ufer und in manchen Fällen sogar Staatsgrenze –

und ihre mythologische Bedeutung als Fluss des Vergessens – das Vergessene trennt

Gegenwart und Vergangenheit im Gegensatz zur Erinnerung, die sie verbindet – in

Page 55: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

50

geographischer und zeitlicher Hinsicht einen Einschnitt. Sie grenzt Russland von

Deutschland und die Gegenwart des Dichters von seiner Vergangenheit ab.

Der Dichter bringt aufgrund der mythologischen Bedeutung der Lethe als Fluss des

Vergessens seine Hoffnung zum Ausdruck, die entstandene Barriere zwischen

Deutschland und Russland abzubauen (zu vergessen), um wieder vereint auf einer

Seite stehen zu können, wie damals während der Napoleonischen Kriege in

Mitteleuropa und, wenn man will, im Sinne einer neuen „Heiligen Allianz“12.

Eine weitere interessante Tatsache ist, dass in Dantes Divina commedia –

Mandel’štam studierte dieses Meisterwerk der europäischen Literaturgeschichte sehr

eindringlich und verfasste seinen wichtigsten Essay zum Thema „Dante“ (Dutli 1995,

174) – der Lethe-Fluss ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt. Der Held muss sich,

bevor er ins Paradies eintreten darf, in der Lethe waschen. So müssten sich auch

Deutschland und Russland im Strom des Vergessens „waschen“, um zur

„paradiesischen Wiedervereinigung“ zu gelangen.

Die stark hervortretende Polysemie, die sich nicht nur in S6/V4, sondern im gesamten

Gedicht wiederfinden lässt, zeigt, dass Bedeutungspluralität bei den Akmeisten immer

auf einer Abweichung von etwas – einer Identität – beruht: „Die innere Heterogenität

der Wörter heben die Identität derselben nie völlig auf“ (Werberger 2005, 111). Dies

ist im Hinblick auf die Fülle an historischen Fakten in Dekabrist und deren Verbindung

mit der dichterischen Gegenwart, der Revolution von 1917, zu beachten.

3.3.3. Geschichtsdurchdringende Revolution

„Поэзия – плуг, взрывающий время так, что глубинные слои времени, его

чернозем, оказываются сверху.“13 Diese Ansicht Mandel’štams lässt sich auch im

vorliegenden Gedicht Dekabrist erkennen. Der Autor umfasst in diesem Werk einen

beträchtlichen Zeitraum, angefangen von den Napoleonischen Kriegen (1792–1815)

in S4/V3-4, über den Aufstand der Dekabristen (1925) in S1/1-2 sowie S2/V1-2 und

12 Die „Heilige Allianz“ (russ.: Священный союз) bezeichnet das Bündnis der drei Monarchen von Russland, Österreich und Preußen nach dem endgültigen Sieg über Napoléon Bonaparte, das am 26. September 1815 abgeschlossen wurde. (https://de.wikipedia.org/wiki/Heilige_Allianz, zugegriffen am 04.02.2017) 13 Deutsche Übersetzung: „Dichtung ist ein Pflug, der die Zeit so aufreißt, dass die Tiefenschichten der Zeit, ihre Schwarzerde zutage tritt“ (Werberger 2005, 120).

Page 56: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

51

der Revolution von 1905 (S3/3-4) bis hin zur Gegenwart des Autors (ab Strophe 5),

der Russischen Revolution von 1917.

Die Strophen 1 bis 4 können als historische Analepsen interpretiert werden, die jedoch

bereits auf die Gegenwart hinweisen. Darin besteht auch die bei erstmaliger Lektüre

vielleicht nicht oder nur kaum erkennbare Bedeutung des Gedichts für die Russische

Revolution von 1917. Im Hinblick auf die historische Einordnung von Dekabrist ist

hierbei die Datierung des Werks mit Juni 1917 zu berücksichtigen. Bei alleiniger

Betrachtung des Titels und der Datierung kann man bereits einen interessanten

inhaltlichen Konnex hinsichtlich geschichtlicher Begebenheiten vermuten, ohne den

Text selbst zu kennen.

Es ist die fünfte Strophe, in der der Dichter die Ereignisse der Vergangenheit auf einen

Punkt in der Gegenwart bezieht. Bereits in Vers 1 bis 2 – „Ещë волнуются живые

голоса o сладкой вольности гражданства“ – spiegeln sich die revolutionären

Prinzipien vergangener Zeiten und werden durch das Wort „Ещë“ und dem Tempus

des Präsens vergegenwärtigt. Inhaltlich geht es auf der einen Seite um Freiheit und

Bürgerrechte, auf der anderen Seite um Arbeit und Stetigkeit. Strophe fünf

repräsentiert sehr gut die Situation zu Zeiten der Übergangsregierung zwischen

Februar- und Oktoberrevolution. Damals wurde von den Liberalen versucht, die

Grundsätze der Demokratie auch in der Provinz zu verankern. Sie scheiterten jedoch

an der Realität, die aus Hunger und Lebensmittelknappheit als Folgen des ersten

Weltkrieges bestand. Es gelang ihnen weder die materiellen Lebensbedingungen der

Menschen zu verbessern, noch Frieden zu schaffen. Die Freiheit blieb somit eine

Abstraktheit, die von den meisten ohne Brot und ohne Frieden nicht geschätzt wurde

(Hildermeier 2013, 16f). „Tруд и постоянство“ (S4/V4) wurden deshalb der süßen

„вольность гражданства“ (S5/V2) vorgezogen. In dieser Phase der

„Entscheidungsfindung“, schrieb Mandel’štam das Gedicht Dekabrist.

Es ist nun anzumerken, dass die Akmeisten mittels konkreter Zeit-und Ortsangaben in

ihren Texten eine gesteigerte zeitlich-räumliche Situierung hervorrufen. (Werberger

2005, 73). Die einzige konkrete Zeitangabe, die sich in Dekabrist finden lässt, ist

lediglich die Datierung am Ende des Werks. Man könnte durchaus die Figur des

Dekabristen hinsichtlich ihrer historischen Bedeutung als einen indirekten Hinweis auf

eine bestimmte Zeit und einen konkreten Ort sehen: das Jahr 1825, der Monat

Dezember, die Stadt Sankt Petersburg; Eine direkte Angabe von Zeit und Ort lässt

Page 57: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

52

Mandel’štam jedoch in diesem Fall außen vor. Er betont somit die Relevanz seiner

eigenen Gegenwart und stellt die inhaltliche Aussage (Kampf für Freiheit und

Bürgerrechte) der revolutionären Vorgänge vergangener Ereignisse vor ihre zeitlich-

räumliche Komponente. Die Entfernung zischen Vergangenem und Gegenwärtigem

wird somit enorm reduziert.

Anhand der bisherigen Analyse von Dekabrist kann man deutlich erkennen, dass die

Zeit einen wichtigen Aspekt in Mandel’štams Werk darstellt. Sie durchdringt sozusagen

die einzelnen historischen Geschehnisse und fügt sie zu einem Ganzen zusammen.

Dies ist vergleichbar mit Henri Bergsons Modell des Kegels: An der Kegelspitze

befindet sich der gegenwärtige Augenblick (S5-6 in Dekabrist), der Körper des Kegels

birgt die Vergangenheit (S1-4), und zwar auf verschiedenen Ebenen. Der

gegenwärtige Augenblick bildet die am höchsten angespannte Ebene der

Vergangenheit (Deleuze 1991, 132f). Dieser Aspekt soll als Anreiz für eine

ausführlichere Untersuchung von Mandel’štams Werk im Hinblick auf das Zeit-

Verständnis des französischen Philosophen Bergson dienen, würde jedoch den

Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Mandel’štam zieht in Dekabrist nicht nur die zeitlichen Fäden der Vergangenheit auf

einen Punkt in der Gegenwart zusammen, er stellt zudem örtliche Vernetzungen her.

Die namentliche Erwähnung von Sibirien, Deutschland, Europa und Russland könnte

auf den Wunsch einer europäisierenden Revolution hindeuten. Außerdem erklärt die

positive Haltung des Dichters gegenüber Europa – „uraltes, weit in die Antike

reichendes kulturelles Gedächtnis und paradoxale jugendliche Frische prägen (sein)

[...] Europa-Bild“ (Dutli 1995, 124) – die starke Einbindung desselben (v.a.

Deutschlands) im Gedicht. Er scheint Deutschland in literaturwissenschaftlicher und

politischer Hinsicht als Vorbild zu sehen und hofft aufgrund des in Russland

entstandenen „Wirrwarrs“, den er in S6/V1 mit den Worten „Всë перепуталось“ zum

Ausdruck bringt und in S6/V3 durch das Wiederholen der Phrase unterstreicht, auf

eine Revolution im Sinne der Wiedervereinigung Russlands mit Deutschland.

3.3.4. Freiheit und Bürgerrechte in der Flaschenpost

Mandel’štam thematisiert in seinem Gedicht Dekabrist verschiedene revolutionäre

Situationen aus der Vergangenheit, um die RezipientInnen auf das „aktuelle“

Page 58: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

53

Geschehen seiner dichterischen Gegenwart aufmerksam zu machen, vielleicht mit der

Absicht den LeserInnen die Ideen der französischen Revolution in Erinnerung zu rufen.

Er stellt die Geschehnisse rund um die Revolution von 1917 nicht gerade in ein gutes

Licht, spricht von Blindheit und Wirrwarr und plädiert gleichzeitig für Freiheit und

Bürgerrechte. Als der Dichter Im Juni 1917 sein Werk Dekabrist verfasste, war der

politische Weg Russlands noch nicht endgültig entschieden. Mandel’štam könnte also

gehofft haben, die Menschen mit seinem Gedicht und den darin enthaltenen Gedanken

im Hinblick auf eine demokratische Erneuerung zur Besinnung zu bringen oder zu

überzeugen.

Obwohl Mandel’štam das Werk bereits im Juni des Revolutionsjahres 1917

fertigstellte, wurde es erst am 24. Dezember 1917, nach dem Oktoberputsch, in der

Petrograder Zeitung „Novaja Žizn‘“ veröffentlicht (Dutli 2016, 148). Diese Tatsache

beruht nicht auf einem Zufall, sie ist vielmehr eine bewusste Anknüpfung an Puškins

Werk Вольность, im Deutschen bekannt als Ode an die Freiheit, das genau hundert

Jahre zuvor, im Dezember 1817, als Protest gegen die Krone und mit der Forderung

von Freiheit erschien. Die bereits in Kapitel 3.3.2. thematisierte historische

Dialoghaftigkeit des Gedichtes ist an dieser Stelle aufzugreifen. Mandel’štam

verbündet sich nämlich in Dekabrist nicht nur mit den europäisch-aufklärerisch

gesinnten Dekabristen oder den französischen Revolutionären und deren Prinzipien,

er tritt ebenso in eine Art indirekten Dialog mit Puškin. „Wann immer sich Mandelstam

in seinen Gedichten [...] mit Freiheit, Revolution und Gesetz auseinandersetzt, sucht

er das Gespräch mit Puschkin [...] (und) mit dessen Freiheitsode [...]“, so Dutli (1995,

42).

Mandel’štam verglich seine Texte immer wieder mit einer an einen Unbekannten

adressierten Flaschenpost. In seinem Essay О собеседнике (1913) schrieb er wie

folgt:

„Итак, если отдельные стихотворения (в форме посланий или

посвящений) и могут обращаться к конкретным лицам, поэзия,

как целое, всегда направляется к более или менее далекому,

неизвестному адресату, в существовании которого поэт не

Page 59: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

54

может сомневаться, не усумнившись в себе. Только

реальность может вызвать к жизни другую реальность.“14

Dies bedeutet, dass der Autor ebenso ungewiss ist wie der Leser. Unbezweifelbar ist

allein der Text, der sich sowohl auf den Autor als auch auf den Leser identitätsstiftend

auswirkt (Schmid 2003, 169).

So wie der Inhalt der 100 Jahre alten „Flaschenpost“ Puškins (Вольность) eine

gewisse Wirkung auf die Identität Mandel’štams hat – er ist sozusagen ein konkreter,

Puškin jedoch unbekannter „Finder“ der „Flaschenpost“ – ist auch das Werk Dekabrist

als Inhalt einer „Flaschenpost“ zu betrachten, die ohne bestimmten Adressaten

aufgegeben wird und für den Autor und den Leser identitätsstiftend sein kann.

Unterstützt wird dieses Ziel durch die Ausgrenzung des „lyrischen Ichs“ sowie der

Anrede „Du“. Dadurch wird die Aussage des Textes noch mehr in den Vordergrund

gestellt, die Geschichtsträchtigkeit des Werks wird intensiviert und die Subjektivität

verringert. Laut Mandel’štam (1913) verliert der Vers durch die Hinwendung an einen

konkreten Gesprächspartner seine Fittiche, er wird der Luft, des Fluges beraubt:

„Воздух стиха есть неожиданное.“15

Mandel’štam beabsichtigte mit seinem Werk Dekabrist in gewisser Weise sicherlich

die Beeinflussung des Lesers/der Leserin im Sinne einer demokratischen Revolution

– der Dichter positioniert sich in diesem Werk eindeutig als Verfechter von Freiheit und

Bürgerrechten – er war jedoch gleichzeitig davon überzeugt, dass dies nur auf Basis

einer Korrespondenz zwischen Autor und Leser möglich sein würde.

3.3.5. Dekabrist im Sprachunterricht

Das vorliegende Gedicht stellt im Unterricht bei fortgeschrittenem Sprachniveau kaum

eine sprachliche Barriere dar und wäre auch auf einem niederen Niveau bearbeitbar.

Man müsste an manchen Stellen mit einem Wörterbuch arbeiten, was aufgrund der

14 Vgl. Nerler (1991, 28f): „Wenn sich einzelne Gedichte (in der Art von Sendschreiben oder Widmungen) auch an konkrete Personen wenden können, ist die Poesie als Ganzes doch stets an einen mehr oder weniger fernen, unbekannten Empfänger gerichtet, dessen Bestehen der Dichter nicht anzweifeln kann, ohne an sich selbst zu zweifeln. Nur eine Wirklichkeit kann eine andere Wirklichkeit zum Leben erwecken.“ 15 Vgl. Nerler (1991, 25): „Die Luft des Verses ist das Unerwartete.“

Page 60: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

55

Kürze des Werks jedoch kein zeitliches Hindernis ist. Die Nennung konkreter

Alltagsgegenstände begünstigt die Anwendung des Vokabulars im Alltag.

Was die Verwendung des Werks zur Vermittlung von Geschichtswissen betrifft, ist

Dekabrist vor allem dann sinnvoll, wenn die SchülerInnen bereits ein Grundwissen

über die Revolution von 1917 erworben haben. Anstatt konkreter Hinweise auf die

Russische Revolution, präsentiert das Gedicht vielmehr die Vorstellungen

Mandel’štams darüber, in welche Richtung die Revolution Russland politisch gesehen

führen sollte. Der Autor arbeitet mit revolutionären Ereignissen aus der Vergangenheit.

Dekabrist würde sich deshalb im Unterricht gut zur Erarbeitung des Themas

„Revolution“ im Allgemeinen eignen. Inhaltlicher Ansatzpunkt – im Hinblick auf das

Jahr 1917 – ist eine demokratische Position inmitten der autokratischen Prinzipien des

vor der Revolution herrschenden Zarentums und des am Ende siegenden

Kommunistischen Regimes. Die Herausforderung für die Lehrperson besteht

wiederum in der klugen didaktischen Aufbereitung des Werks.

Damit sich das Gedicht für SchülerInnen geschichtlich besser einordnen lässt, könnte

man direkt mit einer Aufgabe der semantischen Zuordnung beginnen, indem man die

Schlagwörter „Dekabristenaufstand 1825“, „Revolution 1905“, „Napoleonische Kriege“,

„Russische Revolution 1917“ inklusive Kurzbeschreibung der jeweiligen Begriffe

taktisch in den Raum stellt – ein „Stationenbetrieb“ zum übergeordneten Thema

„Revolution“ würde sich dafür sehr gut eignen – und die Lernenden dazu auffordert,

die einzelnen Themenbereiche dem Gedicht Dekabrist inhaltlich sinnvoll zuzuordnen.

Die Lernenden sind hierbei aufgefordert zu interpretieren und argumentieren.

Es besteht zusätzlich die Möglichkeit gewisse Stellen im Gedicht visuell

hervorzuheben, um auf eine vorhandene historische Relevanz hinsichtlich Revolution

hinzuweisen und außerdem (in Verbindung mit einem Stationenbetrieb) die

Begriffszuordnung zu erleichtern.

Die Stärke des Werks liegt vor allem in der Vernetzung von Revolutionsgeschichte mit

„Freiheit und Bürgerrechten“. Man könnte schließlich die von Mandel’štam verschickte

„Flaschenpost“ im Hier und Jetzt (im Unterricht) ankommen lassen und im Lichte der

gegenwärtigen Weltpolitik betrachten. Dies könnte ein interessanter

Diskussionsansatz sein.

Page 61: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

56

3.4. Nostalgische Lyrik zu Zeiten der Revolution

Петроград, 1919

И мы забыли навсегда,

Заключены в столице дикой,

Озëра, степи, города

И зори родины великой.

В кругу кровавом день и ночь

Долит жестокая истома...

Никто нам не хотел помочь

За то, что мы остались дома,

За то, что, город свой любя,

А не крылатую свободу,

Мы сохранили для себя

Его дворцы, огонь и воду.

Иная близится пора,

Уж ветер смерти сердце студит,

Но нам священный град Петра

Невольным памятником будет.

Page 62: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

57

3.4.1. Anna Achmatova – Individualistische Poesie

Das bewegende Leben der Anna Achmatova16 (*23.06.1889 in Odessa/heutige

Ukraine, † 5.03.1966 in Moskau) schlägt sich auch in ihrer Lyrik nieder. Als eine der

bedeutendsten Dichterinnen der russischen Literaturgeschichte und Vertreterin der

literarischen Strömung des Akmeismus schrieb sie unzählige Gedichte, das erste

bereits mit 11 Jahren (Polivanov 1994, 11). Ihre Jugend verbrachte sie großteils in

Zarskoe Selo (heutige Stadt „Puschkin“) bis sich ihre Eltern im Jahre 1905 scheiden

ließen und sie mit der Mutter für ein Jahr nach Evpatorija zog. Sie vermisste die Idylle

und Landschaft von Zarskoe Selo und schrieb einige negativ gestimmte Gedichte. Ihr

Gymnasialabschluss folgte 1907 in Kiew, danach begann sie dort Jura zu studieren,

wobei sie sich vor allem für Rechtsgeschichte und Latein interessierte (ebd. 3).

Nach ihrer Heirat mit dem akmeistischen Dichter Nikolaj Gumilev im Jahr 1910 –

Achmatova war insgesamt drei Mal verheiratet (kurze, unglückliche Ehe mit Vladimir

Šilejko, 1925 bis 1938 mit dem Historiker Nikolaj Punin) – hielt sie sich in Begleitung

ihres Ehemannes für einen Monat in Paris auf. Danach wohnten sie in St. Petersburg,

wobei Achmatova immer wieder nach Europa (Frankreich, Norditalien) reiste. Man

kann sagen, dass sie eine westliche, europäische Dichterin war. Der Gedichtband, in

dem auch das vorliegende Werk veröffentlicht wurde, trägt den Titel „Anno Domini

MCMXXI“ (1922). Damit bringt sie auch ihre Nähe zur europäischen Kultur und der

lateinischen Sprache zum Ausdruck. Neben Latein beherrschte sie einige andere

Sprachen. Sie übersetzte beispielsweise Texte aus dem Chinesischen, Koreanischen,

Serbischen, Französischen, Italienischen, Rumänischen, Bengalesischen und

Hebräischen in die russische Sprache. Diese Begabung rettete sie in schwierigen

Zeiten vor dem Hungertod (Maurina 1968, 138).

Im Jahre 1917, als Achmatova zwischen Heimat und Freiheit wählen musste,

entschied sie sich für die Heimat und verurteilte jene, die Russland aus Angst verließen

(Maurina 1968, 135). Diese Haltung lässt sich in vielen ihrer Gedichte, so auch in

Petrograd, 1919 erkennen und wird in Kapitel 3.4.3. näher betrachtet.

Die Stadt St. Petersburg, die sie auch in Petrograd, 1919 als ihre Heimat und geliebte

Stadt bezeichnet, ist Thema in vielen ihrer Werke, ob als St. Petersburg (Стихи о

16 Zur Darstellung der für diese Arbeit wichtigen Details aus dem Leben der Anna Achmatova wurde zumeist die von Patricia Berionzkina ins englische übertragene Autobiographie aus dem Sammelwerk „Anna Akhmatova and her Circle“, herausgegeben von Konstantin Polivanov (1994, S. 2–50), herangezogen.

Page 63: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

58

Петербурге), Petrograd (vorliegendes Gedicht), Leningrad (Птицы смерти в зените

стоят...) oder anonyme Erscheinung (Тот город, мной любимый с детства…). Die

Hingezogenheit und Liebe zu ihrer Wahlheimatstadt und die Enttäuschung darüber,

was nach der Revolution aus ihr geworden war, ist oft Inhalt ihrer späteren Werke. Der

Schmerz über das Schicksal St. Petersburgs lässt sich jedoch bereits in Petrograd,

1919 erkennen.

Nach der Veröffentlichung des Sammelbandes „Anno Domini MCMXXI“ (1922) wurden

ihre Gedichte bis 1940 nicht mehr gedruckt. Erst dann erschien Iz šesti knig, eine

Sammlung ihrer lyrischen Werke zwischen 1922 und 1940. Ihre Gedichte wurden

fortan wieder veröffentlicht. Die Versnovelle Poėma bez geroja (1963) gilt als ihr

Meisterwerk, welches wiederum in Relation zu Leningrad und zu den Verstorbenen

der Stadt steht. Es wurde erst postum (1974), acht Jahre nach Achmatovas Tod,

vollständig in Russland veröffentlicht.

Als eine der HauptvertreterInnen des Akmeismus ist auch ihre Dichtung konkret,

dinghaft und auf das Diesseits bezogen, ähnlich wie bei Mandel‘štam. Bereits im Titel

des vorliegenden Werks kann man dies gut erkennen, denn Achmatova gibt gleich zu

Beginn einen bestimmten Ort (Petrograd) und einen bestimmten Zeitraum (das Jahr

1919) an. Was die Autorin jedoch von den anderen Akmeisten klar unterscheidet ist

die Hervorhebung des lyrischen Ichs (Świerszcz 2002, 251), welches auch in

Petrograd, 1919 deutlich sichtbar wird: „мы“ (S1/V1, V8, V11), „нам“ (S1/V7, S2/V3);

Laut Ėjchenbaum (1923) wollte sich Anna Achmatova mit diesem von ihr verwendeten

stilistischen Verfahren von der erstarrten Abstraktheit des Symbolismus distanzieren.

Świerszcz (251f) definiert es sogar als „Kernmotiv ihrer Poesie [...], um die sich alle

anderen künstlerischen Verfahren sammeln.“

Im folgenden Kapitel sollen nun die Elemente der Dichtung Achmatovas in Petrograd,

1919 aufgezeigt werden.

3.4.2. Petrograd, 1919 - Erinnerungen

Achmatovas Gedicht Petrograd, 1919 ist in zwei Strophen unterteilt. Die erste Strophe

(12 Verse) ist im Gegensatz zur zweiten (4 Verse) auffällig lange und wird vom Tempus

der Vergangenheit dominiert, während die letzten vier Zeilen des Gedichtes im

Präsens bzw. Futur stehen. Bereits an dieser Tatsache kann man Achmatovas Hang

Page 64: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

59

zum Vergangenen (im Sinne der Geschichte, das heißt in Bezug auf die zaristische

Vergangenheit Russlands bzw. in diesem Fall Petrograds) bemerken.

Das Kreuzreimschema mit ausschließlich reinen Reimen sowie der konsequent

gehaltene 4-hebige Jambus17 mit abwechselnd männlichen und weiblichen Kadenzen

geben dem Werk eine klare Regelmäßigkeit. Die immer wieder auftretenden

Pyrrhichien, die sich in S1/V7-11 auffällig häufen, machen Tempo und bringen

Dynamik ins Gedicht. Sie unterstreichen den emotionalen Inhalt dieser Zeilen, der

durch die Anapher in V8 und V9 („За то, что“) verstärkt wird. Petrograd, 1919 ist also

sehr geradlinig und einfach geschrieben und entspricht den Prinzipien der

akmeistischen Lyrik, die auf „klassische Klarheit und kristallinisch geschliffene Verse“

baut (Maurina 1968, 130).

Trotz der bodenständigen formalen Organisation des Werks, wird von der Dichterin

auf semantischer Ebene eine intensive Intimität erzeugt. Dem Inhalt wird auf der einen

Seite, gerade durch konkrete Begriffe wie „oзëра“, „степи“, „города“, „дворцы“, oder

„воду“, ein pittoreskes Moment zugespielt, wobei diese Bilder klar der Erinnerung („Мы

сохранили для себя“) oder sogar der „scheinbaren“ Vergessenheit (И мы забыли

навсегда) – wären die Bilder wirklich „vergessen“, würden sie im Text nicht erwähnt

werden – zugeordnet werden. Auf der anderen Seite nennt Achmatova die dunklen

Seiten ihrer Gegenwart beim Namen, wenn sie beispielsweise von „жестокая истома“

oder „ветер смерти“ spricht. Diese konkreten Bilder veranschaulichen die Intensität

des Gefühlslebens der Autorin.

In der ersten Strophe wird ein Bild des Sankt Petersburg der Vergangenheit erzeugt.

In den Augen der Autorin ist die Idylle der Stadt, wie sie zur Zarenzeit war, aufgrund

gegenwärtiger im Gedicht jedoch nicht explizit erwähnter Umstände verloren

gegangen. In den Erinnerungen einer bestimmten Gruppe – die Dichterin hält das

Werk in der Wir-Form – bleibt diese idyllische Stadt jedoch auch für die Zukunft

bestehen. Dies wird in der zweiten Strophe deutlich, wenn Petrograd als ungewolltes

Denkmal bezeichnet wird:

„Но нам священный град Петра

Невольным памятником будет.“

17 Das metrische Schema sowie die deutsche Übersetzung von Erich Ahrndt sind in Anhang D zu finden.

Page 65: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

60

Mit diesen beiden Versen, die eine im Futur stehende Satzeinheit beinhalten, wird die

„heilige Stadt Peters“ als Vermächtnis in die Zukunft getragen. Ein Vermächtnis oder

ein Denkmal ist wiederum mit der Erinnerung an eine Person oder eine Situation

verbunden, kann jedoch darüber hinaus existieren und stellt dadurch eine Verbindung

zwischen Zukunft und Vergangenheit her. Diese enge Beziehung bringt Achmatova

übrigens auch in einem ihrer bekanntesten Verse aus Poėma bez geroja zum

Ausdruck: „Как в прошедшем будущее зреет, так в грядущем прошлое тлеет."18

Das Sich-Erinnern ist im Generellen eine typische lyrische Situation in Achmatovas

Gedichten. Der Prozess der Erinnerung prägt die zeitlichen Verhältnisse und

beeinflusst ebenso die Darstellungsweise der Umwelt (Świerszcz 2002, 259f). Das

Element der Landschaft, welches der äußeren Wirklichkeit angehört, erscheint in

Petrograd, 1919 beispielsweise als ein der Vergangenheit entnommenes Moment, das

die gegenwärtige emotionelle Verfassung des lyrischen Ichs widerspiegelt. Die in der

Erinnerung des lyrischen Subjektes vorhandenen Erlebnisse beeinflussen sozusagen

das Bild der Realität.

Trotz der eindeutigen Einteilung des Inhaltes in Vergangenheit, Gegenwart und

Zukunft, bringt das hervorgehobene lyrische Subjekt die drei Zeitebenen miteinander

in Beziehung. Obwohl sich durch die Übergänge vom jeweiligen Augenblick in die

Vergangenheit oder die Zukunft der Eindruck einer Kontinuität breitmacht, ist die Zeit

in Achmatovas Gedichten laut Świerszcz (2002, 258) psychologisch. Sie entspringt

sozusagen dem Bewusstseinsvorgang des Subjektes, welches in Petrograd, 1919 in

der Wir-Form dargestellt ist. Im Gegensatz zur Liebeslyrik Anna Achmatovas, in der

„мы“ „я и ты“, also „ich und du“, meint (ebd. 258), ist die Bedeutung von „мы“ im

vorliegenden Gedicht erweitert zu betrachten, nämlich als die Gesamtheit der

Personen, die dem Sprecher durch ihr tragisches Schicksal gleichgesinnt sind. Durch

die Verwendung von „мы“ entsteht in Petrograd, 1919 nicht nur Intimität. Dieser

Ausdruck vermittelt auch ein Gemeinschaftsgefühl. Das Gedicht wirkt in seiner

Gesamtheit fast heroisch und versprüht eine tiefe Sehnsucht nach dem Vergangenen.

18 Deutsche Übersetzung des Zitates: „So wie im Vergangenen die Zukunft reift, so glimmt in der Zukunft das Vergangene nach.“

Page 66: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

61

Es könnte fast der Eindruck entstehen, als ob ein Chor gemeinsam die guten alten

Zeiten besingen würde.

An der oben hervorgehobenen Stelle – und dies gilt für die gesamte zweite Strophe –

lässt sich außerdem durch die Kombination von „град Петра“ und „памятник“ eine

intertextuelle Verbindung zu Puškins Mednyj Vsadnik – in diesem Werk geht es um

das in der vorliegenden Arbeit bereits mehrfach erwähnte Reiterstandbild Peters des

Großen in St. Petersburg – feststellen. Das berühmte Poem ist ebenso in durchgängig

4-füßigem Jambus geschrieben. Das nostalgische Moment in Bezug auf Puškin wird

in Petrograd, 1919 also auf semantischer sowie rhythmischer Ebene umgesetzt.

Der weiter oben erwähnten Verinnerlichung (Psychologisierung) in Achmatovas

Dichtung unterliegen nicht nur etwaige Erlebnisse der persönlichen Biographie des

lyrischen Subjektes, sondern auch objektive (historische) Ereignisse, auf die im

Folgekapitel eingegangen wird.

3.4.3. Denkmal der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Bereits der Titel des Werks Petrograd, 1919, der an eine Orts- und Zeitangabe

(typisches Kennzeichen eines akmeistischen Textes) in einem historischen

Dokumentarfilm erinnert und sich als sachlich und konkret erweist, grenzt den

geschichtlichen Zeitraum ein. Fakt ist, dass im Jahr 1919 in ganz Russland Bürgerkrieg

herrschte. Die Zeit zwischen November 1917 und Frühjahr 1921 „galt in der

sowjetischen Selbstmythisierung als ‚heroische Periode‘ der Revolution“ (Hildermeier

2013, 58). Laut Hildermeier könnte man den Bürgerkrieg als nachgeholten

Revolutionskrieg bezeichnen, da man einerseits um Demokratie kämpfte, andererseits

strebten einige Generäle nach wie vor eine nichtparlamentarische Monarchie an (ebd.

58f). Sankt Petersburg bzw. Petrograd, wie die Stadt seit 1914 genannt wurde, war

Schauplatz und Ausgangspunkt der Februar- und Oktoberrevolution. Danach sank die

Anzahl der Bewohner innerhalb weniger Jahre erheblich. Grund dafür war zum einen

die durch den Bürgerkrieg herbeigeführte Hungersnot, zum anderen der Verlust des

Hauptstadtstatus im März 1918, als Moskau zum Zentrum Russlands wurde. Ein

interessanter Aspekt in Achmatovas Gedicht Petrograd, 1919 ist, dass die Autorin ihre

Herzensstadt in S1/V2 nach wie vor als Hauptstadt anerkannte („в столице дикой“).

Sie zeigt sich somit bereits an dieser Stelle als Vertreterin der alten Zeit und

Page 67: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

62

Befürworterin des Zarismus. Mit dem Attribut „дикий“ deutet sie auf die chaotische

Situation in Petrograd während des Bürgerkrieges hin. Auch der blutige Kampf um das

tägliche Überleben („В кругу кровавом день и ночь долит жестокая истома...“

(S1/V5-6)) wird im Gedicht thematisiert. Die einzige Komponente, die in der negativ

dargestellten Gegenwart noch heilig zu sein scheint ist die Stadt Peters („священный

град Петра“), für die es sich lohnt seine eigene Freiheit aufzuopfern (s.h. S1/V10).

In S1/V8-12 wird außerdem die Flucht der Intelligencija vor dem kommunistischen

Regime angesprochen. Für eine Gruppe von Personen, der auch Achmatova

angehörte, war die Liebe zu Petrograd größer als die Sehnsucht nach Freiheit, was

sie dazu bewegte die Stadt nicht zu verlassen. In diesen Zeilen des Gedichtes klingt

ein unterschwelliger Vorwurf an jene Dichter, die emigriert waren, mit. Es wirkt fast so,

als ob ihnen vorgeworfen werden würde, die Stadt Petrograd, ihre Schätze („Его

дворцы, огонь и воду“) und die, die zurückgeblieben waren, um der Freiheit Willen

verraten zu haben. Mit der Anapher „За то, что“ wird der emotionale Gehalt der Verse

verstärkt. Obwohl Achmatova in aller Öffentlichkeit deutlich gemacht hatte, dass sie

das Verlassen des Landes als etwas Schändliches ansah, fühlten sich die emigrierten

Dichter mit ihr verbunden und bezeichneten sie als „eine der ihren“ (Haight 1994, 93).

Die letzte Strophe des Gedichtes verweist, wie schon weiter oben erwähnt, auf Puškin

und sein Werk Mednyj vsadnik. Als eines der bedeutendsten Werke der russischen

Literaturgeschichte war das Poem bereits damals ein geistiges Denkmal. Tatsächlich

ist der Text bis heute eine Pflichtlektüre an russischen Schulen. Achmatovas Achtung

gegenüber Puškin könnte ein Grund für die intertextuelle Einbindung von Mednyj

Vsadnik in Petrograd, 1919 sein: „Als Meister der kristallinischen Einfachheit war

Puškin der immer wieder gepriesene Wegweiser, ihn hat sie (Achmatova) in Gedichten

besungen und ihm literaturwissenschaftliche Aufsätze gewidmet, die von tiefen

Kenntnissen zeugen.“ (Maurina 1968, 147)

Das vorliegende Werk wurde im Jahr 1921 geschrieben. In diesem Jahr (am

18.03.1921) wurde der Bürgerkrieg beendet. Das Herannahen einer anderen nach wie

vor „kalten“ Zeit, wie es in Petrograd, 1919 formuliert wird, deutet auf das Kriegsende

und den Beginn der Kommunistischen Herrschaft hin.

Page 68: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

63

3.4.4. Altrussische Patriotin

In Petrograd, 1919 lässt sich Achmatovas kritische Haltung gegenüber der Revolution

zwar erkennen, das Hauptaugenmerk lieg jedoch vielmehr auf den Erinnerungen an

die Vergangenheit. Der Text hat ein sehr starkes nostalgisches Moment. Wie bereits

weiter oben erwähnt, geht die Autorin sogar so weit, Sankt Petersburg bzw. Petrograd

nach wie vor als Hauptstadt Russlands anzuerkennen, obwohl Moskau bereits zum

Zentrum des Landes geworden war. Schon in den Anfangsversen des Gedichtes ist

ein Hauch an Patriotismus zu vernehmen, der sich im Laufe des Textes intensiviert

und in einem leidenschaftlichen „Gelöbnis“ an die „heilige Stadt Peters“ in den letzten

beiden Versen gipfelt. Weder in Petrograd, 1919, noch in irgendeinem anderen Werk

Achmatovas ist eine Annäherung an das neue politisch-ideologische

Gesellschaftskonzept der bolschewistischen Führungspartei zu spüren (Hässner

1998, 55)

Die positiven Erinnerungen an frühere Zeiten werden von der gegenwärtigen

Verwüstung überschattet. Dadurch rückt die Revolution in ein negatives Licht. Die

herannahende Zukunft scheint keine besseren Bedingungen bereitzuhalten. Das

Verweilen in der Stadt Peters wird als nahezu heroische Tat charakterisiert.

Das lyrische Ich verstärkt die jeweiligen Aussagen und trägt zu einer höheren

Glaubwürdigkeit und Authentizität des Gesagten bei. Außerdem lässt diese im

Vordergrund stehende stilistische Komponente eine Identifikation des Rezipienten mit

dem Inhalt zu. Durch den nostalgischen und emotionalen Beigeschmack des

Gedichtes kann beim Leser Mitleid erzeugt werden. Maurina (1968, 153)

charakterisiert Achmatovas Gesamtwerk auf Basis des lyrischen Ichs wie folgt: „Im

zaristischen Russland war sie die Geliebte des Lebens und fasste die Liebe aller

tragisch Liebenden in ihre Lyrik. In Sowjetrussland wird sie die Geliebte des Todes,

die Liedersängerin wird zur Stimme des geplagten Volkes.“ Diese Stimme ist in

Petrograd, 1919 deutlich wahrnehmbar. Sie drückt vor allem Verbundenheit zu all

jenen „PatriotInnen“ aus, die Russland aus Liebe zur Heimat nicht verließen.

3.4.5. Petrograd, 1919 im Sprachunterricht

Aufgrund der einfachen Lexik und des simplen Sprachstils eignet sich das Gedicht

Petrograd, 1919 sehr gut für den Russischunterricht. Bereits auf einem niedrigen

Page 69: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

64

Sprachniveau kann man das Werk (evtl. mithilfe eines Wörterbuchs an einigen

wenigen Stellen) inhaltlich gut verstehen. Das Vokabular besteht großteils aus

Begriffen, die in der Alltagssprache häufig verwendet werden und trägt dadurch zu

einer hohen Praktikabilität bei.

Aufgrund der Regelmäßigkeit in Rhythmus und Betonung fällt es leicht, den Text

lautlich korrekt zu lesen. Das Gedicht ist deshalb auch gut einprägsam und bietet sich

zum Auswendiglernen an, wodurch sich in weiterer Folge grammatische und

syntaktische Strukturen der russischen Sprache im Gedächtnis der Lernenden

verankern können.

Abgesehen von den sprachlichen Vorzügen hält Petrograd, 1919 einige historische

und kulturwissenschaftliche Aspekte bereit, von denen man im Unterricht profitieren

kann. Bereits der Titel des Gedichtes (Orts-/Zeitangabe) gibt dazu Anstoß sich zu

fragen, welche historischen Umstände im Jahr 1919 in Petrograd oder Russland

vorherrschten. Im Unterricht könnte man beispielsweise einen „forschenden“ Einstieg

gestalten, indem man lediglich die Überschrift des Gedichtes in den Raum stellt und

die Schüler eigenständig recherchieren lässt. Als Hilfestellung gäbe es die Möglichkeit

ausgewählte Geschichtsbücher oder historische Artikel über Russland zur Verfügung

zu stellen, um die Nachforschungen zu lenken. Historische Fakten wie der Bürgerkrieg,

die Umbenennung der Stadt Sankt Petersburg in Petrograd, oder die Flucht der

Intelligencija sollten u. a. das Ergebnis der Recherche darstellen. Somit wird eine

geschichtliche Grundlage geschaffen, um den Text besser einordnen und

interpretieren zu können.

Eine Idee, vor allem für SchülerInnen auf A2-Niveau, wäre die Kombination des

Gedichtes Petrograd, 1919 mit einem Teil des verpflichtenden Lehrstoffes. Die

Beschreibung der Stadt Petrograd in Achmatovas Werk (Schlösser, Wasser, Hinweis

auf das Reiterstandbild Peters des Großen) könnte als Überleitung zum Thema „Sankt

Petersburg“ herausgegriffen und mit einer anschließenden Übung zur

Wegbeschreibung verbunden werden. Laut GER können Lernende auf A2-Niveau

„nach dem Weg fragen und den Weg erklären und dabei auf eine Karte oder einen

Plan Bezug nehmen“ (Kapitel 4.4.3.1.). Diese Kompetenz könnte in Verbindung mit

dem vorliegenden Gedicht erlernt, wiederholt oder gefestigt werden. Im Zuge dieser

Wegbeschreibungen können bereits erarbeitete historische Fakten immer wieder

aufgegriffen werden.

Page 70: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

65

3.5. Masse, Marsch und Donnergebrüll

Разворачивайтесь в марше!

Словесной не место кляузе.

Тише, ораторы!

Ваше

слово,

товарищ маузер.

Довольно жить законом,

данным Адамом и Евой.

Клячу истории загоним.

Левой!

Левой!

Левой!

Эй, синеблузые!

Рейте!

За океаны!

Или

у броненосцев на рейде

ступлены острые кили?!

Пусть,

оскалясь короной,

вздымает британский лев вой.

Коммуне не быть покоренной.

Левой!

Левой!

Левой!

Page 71: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

66

Там

за горами горя

солнечный край непочатый.

За голод

за мора море

шаг миллионный печатай!

Пусть бандой окружат нанятой,

стальной изливаются леевой,-

России не быть под Антантой.

Левой!

Левой!

Левой!

Глаз ли померкнет орлий?

В старое станем ли пялиться?

Крепи

у мира на горле

пролетариата пальцы!

Грудью вперед бравой!

Флагами небо оклеивай!

Кто там шагает правой?

Левой!

Левой!

Левой!

Page 72: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

67

3.5.1. Majakovskij – Revolutionär in Politik, Literatur und Privatleben

„Poesie der Revolution und Revolution der Poesie“ lautete der Leitgedanke Vladimir

Vladimirovič Majakovskijs (*19.07.1893 im Kaukasusdorf Bagdadi, † 14.04.1930 in

Moskau) und der ihm Gleichgesinnten innerhalb der literarischen Strömung des

Futurismus (Mirowa-Florin o.J., 18). Als einer der Hauptvertreter der Futuristen

äußerte sich Majakovskij klar zu deren Prinzipien und Anforderungen an die Literatur.

Lange bevor er jedoch daran dachte die Literatur zu reformieren, geriet Majakovskij

unter den Einfluss von revolutionärem Gedankengut.

Obwohl der Autor seine ersten Kindheitsjahre mit den Eltern und den beiden älteren

Schwestern in Bagdadi/Georgien verbrachte, war seine Familie russischer

Abstammung. So wuchs der junge Vladimir umgeben von zwei Sprachen und Kulturen

auf – dem Russischen und Grusinischen. Im Jahre 1901 zog die Mutter mit den zwei

jüngeren Kindern in die von Unruhen geplagte Stadt Kutaissi, wo Majakovskij das

Gymnasium besuchte. Die angespannten Verhältnisse fanden auch in den Schulen ihr

Echo und so kam Vladimir Vladimirovič schon in jungen Jahren mit revolutionären

Ideen in Berührung. Diese Entwicklung wurde von der ältesten Schwester Ljudmila

unterstützt (Hajak 1989, 7).

Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1906 zog die Familie nach Moskau, wo sie unter

ärmlichsten Bedingungen lebte. Dort nahm Majakovskijs politisches Interesse, vor

allem durch Kontakte zu revolutionären Studentenkreisen, wo man ihn ungeachtet

seines Alters – er war zu der Zeit erst 13 oder 14 Jahre alt – akzeptierte, kontinuierlich

zu. Neben der Teilnahme an theoretisch arbeitenden Zirkeln, hegte er Kontakte zu

aktiven Untergrundgruppen und trat schließlich 1907 oder 1908 der bolschewistischen

Fraktion der sozialdemokratischen Partei bei. In den Jahren 1908 bis 1910 wurde er

aufgrund politischer Aktivitäten dreimal verhaftet (ebd. 7).

Die aufgrund verschiedenster Lebensumstände entstandene revolutionäre Haltung

Majakovskijs ist auch im Inhalt des vorliegenden Gedichtes Levyj marš deutlich

erkennbar. Nähere Ausführungen dazu sind in Kapitel 3.5.2. zu finden.

In der Zeit von 1908 bis 1910 wuchs auch Majakovskijs Interesse an der Kunst. Er

wurde im August 1911 in die „Učilišče živopisi vajanija i zodčestva“ aufgenommen, wo

er mit avantgardistischen Kunstkreisen in Kontakt trat. Nach der Teilnahme an

verschiedenen Ausstellungen mit Bild- und Diskussionsbeiträgen, näherte sich sein

Page 73: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

68

Interesse immer mehr der Literatur. In den Jahren 1913 und 1914 trat er bereits in

Moskau, Petersburg und anderen Städten auf, um die neue, futuristische Kunst und

Literatur zu proklamieren und zu verbreiten (ebd. 8).

Die Gruppe der Futuristen setzte ihren Neubeginn an einem Nullpunkt an und „fegte

erst einmal die gesamte Tradition von Bord des Schiffes der Gegenwart (Dutli 1995,

33). Aspekte der literarischen Zielsetzungen des Futurismus waren beispielsweise

Wortneuschöpfungen und klangliche Instrumentierungen. Außerdem sollte die

konventionelle Metrik (Jamben und Trochäen) durch die Polyrhythmie der Sprache

substituiert werden (Majakovskij 1973, 126f). Diese futuristischen Ziele sowie

Majakovskijs Anspruch auf Aufhebung der Gattungsgrenzen (Propaganda, Lyrik,

Theater) werden auch im Gedicht Levyj marš realisiert.

Majakovskijs revolutionärer Charakter schlug sich auch in seinem Privatleben nieder.

So lebte er seit September 1915, ohne es vor der Öffentlichkeit zu verbergen, in einer

für die damalige Zeit höchst ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung mit seiner Geliebten

Lilija Brik und deren Mann Osip (Hajak 1989, 8).

Majakovskij war ein begeisterter Befürworter und Unterstützer der Revolution von 1917

(ebd. 8), trotzdem stieß er bei der Verbreitung seiner Werke vor allem zwischen 1918

und 1919 immer wieder auf Schwierigkeiten. Sein Drang nach Selbstbestätigung ließ

ihn auch um Lenins Anerkennung werben. Er wollte nicht nur von der Partei, sondern

auch von Lenin persönlich akzeptiert werden. Dieses Bedürfnis konnte, wenn es nicht

erfüllt wurde, zu Verzweiflung, Einsamkeit, sogar Selbstmordplänen führen (Menzel

1992, 14).

Vladimir Majakovskij propagierte seine Literatur im Zuge einiger Reisen (Berlin, Paris,

Mexiko, USA, Warschau, Prag) auch im Ausland. Er schrieb in dieser Zeit politische

Lyrik zu aktuellen Tagesthemen, Kinderlyrik, Essays, und Filmdrehbücher (Hajak

1989, 9). Sein Bestreben, im Zentrum des literarischen Geschehens zu bleiben,

führten 1929 zur Gründung einer weiteren Künstlervereinigung, nach deren Scheitern

er der „Rossijskaja associacija proletarskich pisatelej“ (RAPP) beitrat. Im April 1930

beging Majakovskij schließlich Selbstmord.

Der Autor hatte zu Lebzeiten ein großes Interesse daran, den eigenen Nachruhm

mitzugestalten, um dem Mythos der Unsterblichkeit zu entsprechen. So schrieb er

beispielsweise zwischen 1922 und 1928 eine von apodiktischen Werturteilen

Page 74: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

69

angereicherte Autobiographie, in der er sich zu einem geradlinig entwickelten,

selbstbewussten Menschen stilisiert (Menzel 1992, 29f). Seine Selbstinszenierung als

„Gigant von überdimensionalem Ausmaß“ (Menzel 1992, 31) klingt auch im

vorliegenden Gedicht, vor allem auf rhetorischer Ebene, durch. Dieser Aspekt wird in

Kapitel 3.5.4. konkretisiert.

3.5.2. Levyj marš – Marsch, Meer, Welt

Levyj marš besteht aus vier Strophen, deren Versanzahl zwischen 11 und 13 variiert.

Enjambements und Ein-Wort-Verse lassen das Gedicht „zerhackt“ wirken. Das von

unreinen Reimen dominierte freie Reimschema und der tonisch organisierte Vers (in

dem die Versfüße Jambus, Trochäus, Anapäst, Daktylus sowie Pyrrhichius keine

ausschlaggebende Rolle mehr spielen) bringen einen unerwarteten Schwung ins

Gedicht und setzen sich einem monotonen Klang entgegen. Majakovskij bringt die

verschiedenen Metren auf harmonische Art und Weise miteinander in Verbindung,

sodass ein marschartiger Rhythmus entsteht.

Obwohl sich das Werk aufgrund der unterschiedlich langen Strophen, der Assonanzen

in den Reimen und der variierenden Versmaße von der „schönen, klassischen“

Dichtung klar abgrenzt, finden wir eine starke musikalische, harmonische Einheit auf

rhythmischer Ebene vor. Die letzten drei Verse einer jeden Strophe bilden einen

Refrain („Левой! Левой! Левой!“), der wiederum auf die musikalische Komponente

des Gedichtes hinweist und den Grundrhythmus vorgibt. Nicht zuletzt nimmt bereits

der Titel die klangliche Intention eines Marsches vorweg. Außerdem tragen die fast

durchgehend klingenden, weiblichen Kadenzen zur melodischen Gestaltung des

Gedichtes bei.

Majakovskijs Levyj marš ist onomatopoetisch gesehen ein sehr interessantes Werk.

Der offene Vokal „a“, der im Zuge der Artikulierung auf geringsten Widerstand (durch

Zunge oder Lippen) stößt und den schnellsten Weg vom Sprecher zum Hörer

zurücklegt, überwiegt in betonter Stellung (34x) eindeutig. Im Refrain liegt der Ton auf

dem „e“. Dieser Selbstlaut hat eine relativ hohe Frequenz und kann dadurch beim

Hörer zu erhöhter Aufmerksamkeit führen.

Der Marsch wird nicht nur rhythmisch, sondern auch klanglich durch Vokal-

Konsonantenkombinationen wie „ра/ро, да, та/то“ umgesetzt:

Page 75: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

70

ораторы, данным Адамом, Там за горами горя, под Антантой, пролетариата;

Die ellipsenförmigen sprachlichen Konstruktionen, die durch Interpunktion

hervorgehobenen Imperativsätze und die strengen, starren Aussagen markieren eine

Art Kommandosprache und verleihen dem Text einen militärischen Charakter. Die

Kombination von Sprache und Rhythmus führt – besonders im Refrain des Gedichtes

– das Bild einer im Gleichschritt marschierenden Armee vor Augen.

Levyj marš besteht aus einer Vielzahl an Befehlen (Разворачивайтесь в марше!,

Тише, ораторы!, Рейте!, Левой!, ...), die durch Ausrufezeichen und/oder die

Imperativform des Verbs gekennzeichnet sind. Die Befehlsform wird in der 2. Person,

Plural angegeben und richtet sich somit an keine Einzelperson, sondern an eine

Gruppe von mindestens zwei oder mehreren Personen. Einzelne Passagen des

Gedichtes, wie beispielsweise „шаг миллионный печатай“, deuten darauf hin, dass

der Text an eine größere Menschenmenge adressiert ist. Majakovskij trug dieses

Gedicht im Dezember 1918 auf der Bühne eines Leningrader Matrosentheaters vor.

Der Zweck des Werks war eine Rede an die Roten Matrosen als direkter Appell zur

Rettung der Revolution (Thun 2000, 146). Somit realisierte der Autor mit diesem

Gedicht das futuristische Prinzip der Überschreitung von traditionellen

Gattungsgrenzen.

Auf inhaltlicher Ebene werden in jeder Strophe konkrete Punkte thematisiert. So fordert

der Autor beispielsweise in der ersten Strophe dazu auf die alten Zeiten, Gesetze und

Methoden „Geschichte“ sein zu lassen und im Sinne der Revolution zu handeln, zu

kämpfen („Ваше слово, товарищ маузер“), anstatt Reden zu schwingen („Тише,

ораторы!“). Mit klaren Bildern drückt Majakovskij in den jeweiligen Strophen seine

Meinung zum gegenwärtigen historischen Geschehen aus. Er beginnt in der ersten

Strophe mit dem „Gaul Geschichte“, den er als hinkend bezeichnet. Damit wird das

Vergangene in ein negatives Licht gerückt. Der Verzicht auf die Tempusform des

Präteritums im gesamten Gedicht unterstreicht diese Haltung. Die Verse 7 und 8 (S1)

– „Довольно жить законом, данным Адамом и Евой.“ spiegeln die atheistischen

Tendenzen des Kommunismus wider. In der zweiten Strophe werden die Matrosen

direkt angesprochen („Эй, синеблузые!“) und dazu motiviert auch die Welt jenseits

der Ozeane („За океаны!“) zu revolutionieren, egal wie sehr sich monarchistische

Länder – als konkretes Beispiel wird Großbritannien anhand seiner Flagge genannt

(„британский лев вой“) – dagegen wehren. Die dritte Strophe forciert die weltweite

Page 76: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

71

Ausbreitung der Revolution, ausgehend von einer „stählernen“ Masse, die der Entente

trotzt und die Welt im Gleichschritt überrollt. Mit dem achten Vers in Strophe vier macht

der Autor schließlich darauf aufmerksam, dass sich auch innerhalb der eigenen Reihen

Feinde befinden könnten: „Кто там шагает правой?“

Im Refrain wird vor den Augen der LeserInnen das Bild einer marschierenden

Menschenmasse (Matrosen, Armee, Revolutionäre) erzeugt, die geschlossen in eine

Richtung drängen. Das Gedicht ist von Bewegung durchtränkt und lässt keinen

Stillstand zu. Es sprüht inhaltlich und rhythmisch gesehen von Energie und zeigt von

Beginn an eine besondere Dynamik.

Majakovskij verwendet im Text nicht nur Alliterationen („горами горя“, „мора море“),

die leicht ins Ohr gehen, sondern auch Neologismen („стальной леевой“, „взгляд

орлий“), welche auf die Modernität seiner Texte hinweisen, vor allem aber

Aufmerksamkeit erregen sollen. Man könnte die Wortschöpfungen in den lyrischen

Werken des Autors auch als progressive Komponente ansehen, die einer

Revolutionierung bzw. „Neuschöpfung“ der Welt vorausgeht. Des Weiteren kommen

in Levyj marš Vulgarismen („пялиться“, „клячу“) vor.

Der gesamte Inhalt des Gedichtes wird auf lautmalerischer Ebene unterschwellig

manifestiert. Worte wie марш, маузер, за мора море, вздымает, у мира enthalten

die Stämme мир, мар, oder мор, welche in weiterer Folge zu den Worten мир, марш,

und море führen. Diese drei Ausdrücke fassen sozusagen das inhaltliche Ziel des

Gedichtes zusammen, nämlich die Welt über die Meere hinweg im Marschschritt zu

erobern, um einer Weltrevolution entgegen zu streben.

3.5.3. Vom „hinkenden“ Gaul bis zur Unendlichkeit des Ozeans

Das Gedicht Levyj marš beinhaltet einige historisch relevante Fakten zur Revolution

von 1917. Außerdem spiegelt sich der Geist des Kommunismus in der gesamten Rede

Majakovskijs wider.

Mit der von ihm in der ersten Strophe geforderten Beendigung des bis dato geltenden

Gesetzes (nach Adam und Eva) und dem direkten Bezug zur Geschichte, die er als

hinkenden Gaul bezeichnet, deutet der Autor den revolutionären Einschnitt in die

Historie Russlands – das Ende des Zarentums und der Beginn einer neuen politischen

Ära – im Jahr 1917 an. Neben diesem Hinweis auf das Revolutionsjahr 1917,

Page 77: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

72

thematisiert Majakovskij bereits eine konkret anzustrebende Vision einer

weltumfassenden Revolution (s. h. S2/V3 sowie S3/V1-6). Der im wörtlichen Sinne

richtungsweisende Refrain (Левой! Левой! Левой!) gibt klar und deutlich den neuen

politischen Kurs an. So wie das von den Bolschewiki angestrebte Einparteiensystem

(Hildermeier 2013, 67) keinen Platz für eine zweite Partei ließ, wird auch in

Majakovskijs Gedicht jener, der „rechts“ ausschreitet, nicht geduldet (s. h. S4/V8).

Im zweiten Teil des Gedichtes lassen sich weitere historische Indizien finden. Zum

einen werden in V1 die Petrograder Roten Matrosen angesprochen. Auch im

Originaltitel des vorliegenden Gedichtes – Levyj marš (Matrosam) – wird die

Komponente der Wirklichkeit herausgestrichen, nämlich das im Matrosentheater in

Petrograd anwesende Zielpublikum Majakovskijs, als er den Text im Dezember 1918

vortrug (Uhlig 1962, 54). Zum anderen wird in S2/V5 eine Anspielung auf den

Panzerkreuzer „Aurora“ gemacht, der den Signalschuss für den Sturm auf den

Winterpalais gab und die Oktoberrevolution auslöste: „у броненосцев на рейде“;

Außerdem enthält dieser Teil des Werks zwei konkrete politische Ausdrücke:

„Коммуна“ (S2/V10) und „британский лев“ (S2/V9); Wie bereits in Kapitel 3.5.2.

erwähnt ist hier das Wappen des Vereinigten Königreiches gemeint. Dieser Begriff

evoziert bereits das historische Thema der „Антанта“ in S3/V9 hin. Die Triple Entente

war ein militärisches Bündnis zwischen Frankreich, Großbritannien und Russland, das

im Jahre 1907 im Vertrag von Sankt Petersburg gegründet wurde. Nach dem

Oktoberumsturz wurde Russland ausgeschlossen. Majakovskij stellt dies in Levyj marš

so dar, als ob Russland die Entente nicht nötig hätte: „России не быть под Антантой“

(S3/V9). Die Auseinandersetzung zwischen Russland und seinen ehemaligen

Alliierten war einer von drei aufeinandertreffenden Kämpfen im Bürgerkrieg. Hinzu kam

der innere Konflikt um die bolschewistische Räteherrschaft, der von den größeren

Minderheiten wiederum genutzt wurde, um eine Sezession voranzutreiben, welche

sich im Unabhängigkeitskampf äußerte (Hildermeier 2013, 59).

Der innere Kampf wird von Majakovskij vor allem im achten Vers der letzten Strophe

angesprochen: „Кто там шагает правой?“ Diese Frage enthält das Wort „правой“,

welches klein geschrieben und mit einem Fragezeichen am Ende einen Gegensatz

zum im gesamten Gedicht überbetonten „Левой!“ (Großschreibung und

Ausrufezeichen am Ende) bildet. Die Unterscheidung zwischen „rechts?“ und „Links!“

– die Meinung des Autors wird durch die auffällige Interpunktion unterstützt – kann

Page 78: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

73

einerseits, wie bereits oben erwähnt, politisch betrachtet werden. Andererseits bietet

sich auch die Möglichkeit einer Differenzierung auf kultureller Ebene. Der

konservativen, traditionellen, „rechten“ Kunst steht die schöpferische, radikale, „linke“

Kunst gegenüber. In der damaligen Zeit wurden einige neue Formen in Kunst und

Kultur geschaffen (Hildermeier 2013, 88) Experimentell-avantgardistischen

Strömungen, wie zum Beispiel dem Futurismus, fiel die größte Bedeutung zu. Obwohl

sie keine Produkte der Russischen Revolution waren, sondern eigentlich aus der

westeuropäischen Geistes- und Sozialgeschichte (wie auch der Marxismus)

hervorgingen, verbündeten sie sich mit dem Kommunistischen Regime gegen die alte

Gesellschaft und deren ästhetisch-moralische Normen (ebd. 80). So erreichte die

„Proletarische Kulturbewegung“ (Proletkul’t) inmitten des Bürgerkriegs ihren

Höhepunkt. Der Proletkul’t suchte die Masse. Die Künste gingen auf die Straße. Das

Leben wurde theatralisiert (ebd. 88). Genau das tat auch Majakovskij in der

Umsetzung seines Gedichtes Levyj marš, indem er den ernst gemeinten Appell an die

Matrosen vortrug.

Egal ob der Rechts-Links-Gegensatz als politisch oder kulturell betrachtet wird – die

Quintessenz der beiden Antonyme in Levyj marš liegt darin, dass es in den eigenen

Reihen (der Bolschewiki oder Futuristen) auch Feinde geben kann, die nicht mit der

Masse Schritt halten, sondern sich ihr entgegensetzen.

Die historischen Fakten des Werks Levyj marš lassen sich in drei geographisch-

politische Dimensionen einteilen: Russland (national), Europa (kontinental), Welt

(international); Das anvisierte Einparteiensystem und die Existenz der Petrograder

Matrosen sind Teil der nationalen Ebene. Das Thema der Entente steht in Verbindung

mit zwei Ländern (England und Frankreich), die sich auf europäischem Boden

befinden. Schließlich hat das Gedicht einen starken internationalen Charakter, wenn

es darum geht, die gesamte Welt zu revolutionieren und den Händen des Proletariats

zu überlassen: „у мира на горле пролетариата пальцы!“ (S4/V4-5). Mit dem dritten

Vers in Strophe zwei – „За океаны!“ – wird eine revolutionäre Überwindung von Raum

und Zeit durch die Matrosen angedeutet. Das Wort „Ozean“ ist in diesem Fall mit drei

Bedeutungen konnotiert: als Meer und Arbeitsplatz der Seefahrer; als Fläche, die die

gesamte Welt verbindet; als scheinbar unendliches Moment, welches nicht nur die

örtliche, sondern auch die zeitliche Begrenztheit auflöst.

Page 79: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

74

3.5.4. Direkter und unterschwelliger Appell

Rückblickend auf seine zwanzigjährige Arbeit nannte Majakovskij im Jahr 1930 das

Gedicht Levyj marš seinen „Erstling aus der Revolutionszeit“. Er bezeichnete das Werk

als Wegweiser, betonte jedoch, dass es noch nicht der Weg selbst war (Thun 2000,

146).

Vorweg ist zu unterstreichen, dass sich der Autor in Levyj marš direkt zur „Geschichte“,

das heißt zur Vergangenheit von seinem damaligen Standpunkt aus äußert. Wenn er

sie mit dem abfälligen Begriff „Gaul“ bezeichnet und außerdem als hinkend darstellt,

positioniert er sich an dieser Stelle automatisch als Gegner des vor der

Februarrevolution existierenden zaristischen Herrschaftssystems. Als Feind der

Monarchie – egal ob konstitutionell oder autokratisch – outet sich Majakovskij auch in

der zweiten Strophe mit der negativen Darstellung der Krone Großbritanniens.

Die Tatsache, dass Majakovskij das Werk im Matrosentheater in Petrograd im

Dezember 1918 vorgetragen hat, weist darauf hin, dass das Gedicht an ein

bestimmtes Publikum gerichtet war, eben an die Roten Matrosen. Ohne über diese

Hintergründe Bescheid zu wissen, kann man dennoch erkennen, dass das Gedicht in

Form einer Rede (an mehrere Personen) geschrieben ist. Der militärische Befehlston

lässt darauf schließen, dass der Redner an sein Gegenüber appelliert. Dieses an die

Petrograder Roten Matrosen gerichtete Gedicht sollte als direkter Appell zur

revolutionären Tat wirken. Das vorliegende Werk kann man aus diesem Grund

eindeutig einer agitatorischen Poesie zuordnen, die den offensichtlichen Zweck hatte,

die RezipientInnen, im damals konkreten Fall die Matrosen, zu beeinflussen.

Majakovskij selbst stellt sich mittels appellativer Rhetorik als selbstbewusster

Befehlshaber dar.

Das Zielpublikum kann auch in der Begriffsauswahl Majakovskijs – er verwendet viele

Begriffe, die in Bezug zu den Matrosen und ihrer Arbeit stehen, wie beispielsweise

„океан“, „рейд“, oder „кили“ – erahnt werden. Der direkte Appell an die Matrosen wird

jedoch auch unterschwellig vermittelt, und zwar in der speziell gestalteten Lautmalerei,

die bereits in Kapitel 3.5.2. ausgeführt wurde. Auch die Buchstabenkombination „т-р-

о“ des Wortes „матрос“ steckt in einigen Termini des Gedichtes, wie etwa in

„ораторы“ „товарищ“, „историю“, „острый“, „старое“, „пролетариата“; So besteht

Page 80: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

75

die Möglichkeit, dass sich die Matrosen auch auf lautlicher Ebene unterschwellig

angesprochen fühlen.

3.5.5. Levyj marš im Sprachunterricht

Das Gedicht Levyj marš eignet sich im Sprachunterricht vor allem zur Verdeutlichung

des progressiven Aspektes der Revolution. Majakovskij greift einige historische Fakten

(s.h. Kapitel 3.5.3.) auf, die in Verbindung mit der Russischen Revolution stehen, der

Akzent liegt jedoch vor allem auf dem „Rhythmus und Ton“ der damaligen Zeit (die

unter Donnergebrüll im Gleichschritt marschierende Masse) und dem von Lenin

angestrebten eigentlichen Ziel einer Weltrevolution (Hildermeier 2013, 34).

Wenn man bedenkt, dass eine gute deutsche Übersetzung und eine Vielfalt an Audio-

und Videomaterealien (youtube) zum vorliegenden Gedicht vorhanden sind, kann das

Werk auf verschiedenste Art und Weise im Unterricht behandelt werden. Das

Sprachniveau ist allerdings aufgrund verwendeter Neologismen und fachspezifischer

Termini (Matrosenjargon) an gewissen Stellen relativ schwierig. Man sollte deshalb in

jedem Fall zusätzlich mit einer Übersetzung arbeiten, wobei jene von Hugo Huppert,

welche auch für diese Arbeit herangezogen wurde, die bekannteste und inhaltlich

sowie rhythmisch treffendste ist.

Wie bereits oben erwähnt, ist der Rhythmus, aber auch die optische Form (Länge der

einzelnen Verse, auffällige Interpunktion) ein wichtiger Bestandteil zur Interpretation

dieses Gedichtes. So kann man beispielsweise mittels einer reinen äußeren

Begutachtung des Textes oder einer lediglich auf auditiver Ebene rezipierten Version

des Gedichtes (Lied oder Vortrag) auf eine mögliche Funktion (Appell, Überzeugung)

oder den außersprachlichen Kontext (Armee, Rede vor Publikum) schließen, ohne das

Vokabular oder den Inhalt verstehen zu müssen. Dies ist vor allem im Sprachunterricht

ein großer Vorteil, weil das Gedicht im Anschluss bei genauerer Betrachtung besser

eingeordnet und schneller verstanden werden kann.

So besteht konkret im Unterricht die Möglichkeit, entweder mit einem Video, in dem

Levyj marš vorgetragen wird, einzusteigen, oder lediglich den Titel des Werks

anzugeben, um die Schülerinnen und Schüler raten zu lassen, worum es im Gedicht

gehen könnte. Daraufhin wird nach und nach der Inhalt und schließlich der

geschichtliche Kontext des Werks erarbeitet.

Page 81: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

76

Des Weiteren ergibt sich die Gelegenheit, die Klasse für die Analyse des Textes in

acht Gruppen einzuteilen. Jeweils zwei Gruppen erarbeiten eigenständig – es können

Wörterbücher, Geschichtsbücher oder das Internet als Hilfe herangezogen werden –

die Struktur, den Rhythmus, den Inhalt und die (historische) Bedeutung einer Strophe

und vergleichen ihre Ergebnisse, welche anschließend im Plenum präsentiert werden.

Eine zusätzliche Aufgabe könnte darin bestehen, die jeweilige Strophe auswendig zu

lernen und im Zuge der Präsentation vorzutragen. Dies kann auf kreative Art und

Weise, zum Beispiel visuell (selbst erstellte Bilder/Symbole, passende Gegenstände)

oder musikalisch, unterstützt werden.

Es gibt also viele Möglichkeiten zur geschichtsorientierten Erarbeitung und Vermittlung

von Levyj marš. Das Kernmotiv einer angestrebten Weltrevolution und die historischen

Umstände, in dem das Gedicht geschrieben wurde, sollen das Ergebnis der

Untersuchung bilden.

Page 82: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

77

4. Von Achmatova bis Majakovskij – DichterInnen im Vergleich

Die in Kapitel 3 analysierten Werke sind keine historisch fundierten Schriften und

deshalb aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive kritisch zu betrachten. Die

Verfasser der fünf Gedichte waren eben keine Historiker, sondern im geschichtlichen

Kontext der Revolution lebende Lyriker, deren subjektive Erfahrungen und Meinungen

die Grundhaltung der Werke bilden. Ein historisch fundierter Text, wie zum Beispiel

das für diese Arbeit zu Rate gezogene Werk Hildermeiers (2013), nennt die Fakten

der Russischen Revolution aus postumer Sichtweise und schafft somit einen

sachlichen und möglichst objektiven Bezug zur historischen „Wahrheit“ einer

konkreten Periode in der Vergangenheit. Die fünf behandelten Gedichte sind hingegen

als subjektive, kunstvolle Zeugnisse der damaligen Zeit zu betrachten. Alle Texte – die

der fünf DichterInnen sowie jener des Historikers – beziehen sich jedoch auf dieselbe

Realität, und zwar auf die Russische Revolution.

Wie in den vorhergehenden Kapiteln erörtert, werden die in den einzelnen Gedichten

vorhandenen geschichtliche Fakten entweder direkt, beispielsweise in Form eines

Datums, oder aber indirekt, durch Bilder, beigefügte Attribute, einen aussagekräftigen

Rhythmus, eine spezielle Interpunktion oder eine auffällige Onomatopoesie, welche

dem Inhalt eine Färbung geben und die Haltung des Verfassers/der Verfasserin

gegenüber dem revolutionären Geschehen manifestieren, ausgedrückt. Im Folgenden

sollen die wichtigsten Eigenschaften und Aussagen der einzelnen Gedichte im Hinblick

auf die Russische Revolution aufgezeigt und verglichen werden.

4.1. Zeit: Vergangenheit vs. Zukunft

Anna Achmatova bezieht sich in ihrem Gedicht, wie der Titel bereits vorwegnimmt, auf

das Jahr 1919. Sie blickt in Petrograd, 1919 auf einen bestimmten Zeitraum der

Revolution zurück und schreibt ihre Erinnerungen an diese Epoche nieder. Sie

verwendet hauptsächlich das Tempus der Vergangenheit, wobei in den letzten vier

Versen das Vergangene über die Gegenwart mit in die Zukunft genommen wird. Das

Alte wird also nicht zerstört, so wie es bei Blok, Brjusov und Majakovskij der Fall ist,

ebenso wenig entsteht etwas Neues. Das Alte (in diesem Fall die „heilige Stadt

Page 83: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

78

Peters“) soll sozusagen als Denkmal bestehen bleiben in einer unsicheren, von

„Todeswinden“ umwehten Zukunft.

Mandel’štam greift inhaltlich noch weiter in die Vergangenheit zurück als Achmatova,

er will das Alte jedoch nicht als Denkmal in die Zukunft tragen. Er versucht lediglich an

gewisse historische Ereignisse (Dekabristenaufstand, Napoleonische Kriege,

Revolution des Jahres 1905) zu erinnern, um aufzuzeigen, dass der Kampf um Freiheit

und Bürgerrechte nach wie vor eine reale, in der Gegenwart existierende Erscheinung

ist. Während Achmatova die Vergangenheit als abgeschlossenen Zeitraum (s. h.

Präteritum) beurteilt und die Tatsache, dass die ihrer Ansicht nach positiven Aspekte

der Vergangenheit nur mehr in der Erinnerung weiterleben, zu akzeptieren scheint,

sieht Mandel’štam in der Vergangenheit eine Chance für die Gegenwart bzw. für die

Zukunft und eine potenzielle Möglichkeit etwas zu verändern. Er stellt also eine

Verbindung zwischen Vergangenheit und konkreter Gegenwart her. Zur Darstellung

vergangener Situationen verwendet er daher immer wieder die Tempusform des

Präsens.

Im Gegensatz dazu, sieht Blok in der Revolution etwas Zukünftiges, Mystisches, von

einer anderen Welt Durchdrungenes mit dem fragwürdigen Ziel einer Synthese der

proletarischen Revolution mit dem geistigen Ideal des Christentums. Während sich

Blok also auf eine abstrakte Zukunft bezieht, knüpft Mandel’štam an eine konkrete

Vergangenheit an, mithilfe derer eine demokratische Lösung in der Gegenwart erreicht

werden sollte.

Majakovskij und Brjusov vermeiden in ihren Werken nicht nur das Präteritum, sie

wenden sich auch inhaltlich gegen die Vergangenheit (s.h. Majakovskij: Levyj marš,

S1/V7-9; Brjusov: K russkoj revoljucii, S1/V3 sowie S3/V1-2). Der Fokus liegt also

einerseits auf der Gegenwart – mit zahlreichen Verben im Präsens und im Imperativ

(v.a. bei Majakovskij) sowie durch die Tatsache, dass Majakovskij sein Gedicht vor

realem Publikum vorführte, wird das Hier und Jetzt untermauert –, andererseits spürt

man in beiden Gedichten das Drängen des Textes in die Zukunft.

Page 84: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

79

4.2. Räumliche Dimension

Achmatovas Erinnerungen an das Jahr 1919 beschränken sich auf die Stadt

Petrograd. Die Dichterin macht sich weniger Gedanken darüber, wohin die Revolution

Russland führen würde, vielmehr reflektiert sie die vergangenen Ereignisse in ihrer

Wahlheimatstadt. Mandel’štam konzentriert sich in seinem Werk auf einen etwas

großflächigeren Raum. Er hofft zwar einerseits auf eine demokratische Lösung

innerhalb Russlands, andererseits weist er an einigen Stellen auf seine Vision einer

großräumigen Verbindung zwischen Russland und Europa, vor allem Deutschland,

hin.

Die räumliche Dimension in Aleksandr Bloks Dvenadcatʼ ist nicht durch konkrete

geographische (Staats-)Grenzen bestimmt. Anhand von Symbolen durchdringt der

Autor gleichzeitig zwei Welten – die reale und die transzendente. Seine Gedanken zur

Revolution beschränken sich im Konkreten zwar auch auf Russland, sein räumlicher

Ausdehnungsgrad reicht jedoch in eine abstrakte Welt. Das plötzliche Erscheinen Jesu

Christi im letzten Vers des Gedichtes könnte man als Verschmelzung zweier

„Räumlichkeiten“ sehen.

Auch in den Gedichten von Brjusov und Majakovskij lassen sich revolutionäre Visionen

in Bezug auf das Räumliche finden, jedoch weniger im Sinne eines Bündnisses,

sondern eher gemäß einer flächenmäßigen Ausbreitung der Revolution selbst.

Während Majakovskij von einer Weltrevolution ausgeht, forciert Brjusov die

Etablierung Russlands gegenüber dem Westen und bleibt somit auf europäischer

Ebene.

4.3. Bilder, Metaphern und Mottos

Die fünf AutorInnen umschreiben in ihren Werken den Begriff der Revolution auf sehr

unterschiedliche Art und Weise. Achmatova findet sich beispielsweise in einer Zeit

wieder, in der „eiskalte Todeswinde wehen“. Hierbei ist zu beachten, dass die Autorin

Petrograd, 1919 im Jahr 1921, zu einem Zeitpunkt als der Bürgerkrieg bereits seine

tragischen Spuren hinterlassen hatte, schrieb.

Page 85: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

80

Mandel’štam erlebt die Russische Revolution als großen „Wirrwarr“, was wiederum auf

den durch eine fragile Demokratie gezeichneten Entstehungszeitraum von Dekabrist

hinweist. Obwohl beide Vertreter des Akmeismus (Achmatova sowie Mandel’štam)

ihrer außerlyrischen Realität kritisch gegenüberstanden, war Mandel’štam dem

revolutionären Geschehen mehr zugetan als Achmatova, da in ihm nach wie vor die

Hoffnung auf eine Wende in Richtung Freiheit und Bürgerrechte bestand. In seiner

politischen Gesinnung war er deshalb Blok ähnlicher. Dieser beurteilt die revolutionäre

Situation in seinem Werk Dvenadcatʼ recht positiv. Blok geht zwar von einer

revolutionären, zerstörerischen Kraft aus, die jedoch gleichzeitig erneuernd wirkt und

dazu im Stande ist etwas Besseres entstehen zu lassen.

In Brjusovs Lobeshymne zeichnet sich ein Bild des Triumphes über die „verfallenen

Wände des Jahrhunderts“ ab. Die Russische Revolution wird bereits im Titel durch die

Form einer klassischen Widmung personifiziert und aufgewertet. Sie wird als ein

Ereignis dargestellt, das das bewundernde Auge des Westens auf sich ziehen soll.

Brjusovs Optimismus und Euphorie sind in K russkoj revoljucii deutlich zu vernehmen.

Majakovskijs Motto hinsichtlich der Umstände jener Jahre ist „Waffen statt Gerede“.

Sein Bild der Revolution formiert sich aus einer im Marschrhythmus voranschreitenden

Masse, die sich in einheitlichem Schritt auf die ganze Welt ausbreitet.

4.4. Individualismus vs. Kollektivismus

Im Gegensatz zur antiindividualistischen Kulturpoesie Mandel’štams, spielt das

Individuum in den Werken Anna Achmatovas, so auch in Petrograd, 1919, eine

prominente Rolle. Das Pronomen „мы“ beschränkt sich zwar auf eine Gruppe von

mehreren Personen, die der Autorin gleichgesinnt ist, gerade deshalb spiegelt sich

jedoch auch die persönliche Gefühlslage der Dichterin im Inhalt des Werks wider, was

bei Mandel’štam absolut nicht der Fall ist.

Blok lässt in Dvenadcat’ viele Stimmen verschiedenster Individuen sprechen, die nach

einander auf dem Eis ausrutschen. Nur die in der Gruppe marschierenden Zwölf bilden

eine Konstante. Die einzige Chance nicht auf den harten, eisigen Boden zu fallen liegt

darin, sich der Gruppe anzuschließen und ihre (revolutionären) Bedürfnisse über die

eigenen zu stellen, was einer kollektivistisch geprägten Gesellschaft entspricht.

Page 86: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

81

Auch in den Werken Brjusovs und Majakovskijs hat die Gruppe Priorität. Obwohl

Brjusov mit dem scharlachroten Reiter einen Helden konzipiert, fordert er alle („все“)

dazu auf, an der Revolution teilzuhaben. Am deutlichsten wird das kollektivistische

Moment in Majakovskijs Levyj marš, denn rechts auszuschreiten ist verpönt. Zudem

sollen sich alle im Gleichschritt in eine Richtung bewegen, um gemeinsam die Welt zu

erstürmen. Es handelt sich hier nicht, wie bei Brjusov, um einen Text, dessen Ziel es

ist Menschen zu begeistern und von der Revolution zu überzeugen. Levyj marš besteht

aus militärischen Befehlen und betont vielmehr die Aufforderung zum Kampf. Anstatt

der Redner sollen die Waffen sprechen und die Welt in kommunistischer Manier rot

färben.

4.5. Skala „konservativ vs. progressiv“

Auf einer bipolaren Skala, die sich zwischen den Gegensätzen „konservativ“ und

„progressiv“ formiert, kann eine klare Positionierung der einzelnen AutorInnen auf

Basis der in den Kapiteln 4.1. bis 4.4. getätigten Vergleiche festgelegt werden:

konservativ progressiv

Würde man die beiden Pole mit „zaristisch“ und „kommunistisch“ ersetzen, könnte man

dieselbe Reihenfolge beibehalten. Die im mittleren Bereich liegenden Autoren

(Mandel’štam und Blok) bilden, im Gegensatz zu den autokratischen Polen,

demokratische Varianten.

Egal ob man eine Strecke zwischen Vergangenheit und Zukunft, Petrograd und der

ganzen Welt, Zarentum und kommunistischem Regime, Individualismus und

Kollektivismus oder eben konservativ und progressiv zieht – die Reihenfolge der

AutorInnen würde sich nicht drastisch verändern: Achmatova – Mandel’štam – Blok –

Brjusov – Majakovskij; Blok bildet die Mitte. Diese These stützt auch die Tatsache,

dass Aleksandr Blok ein unbeschriebenes Blatt war. Selbst von den Akmeisten wurde

Majakovskij Brjusov Blok Mandel‘štam Achmatova

Page 87: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

82

er nicht klar kritisiert. Die meisten Dichter und Schriftsteller seiner Zeit hatten vor ihm

größten Respekt. Mit Bloks Tod endete auch die Debatte zwischen Akmeimus und

Symbolismus. Danach wurde in der Sowjetunion immer mehr die Spaltung zwischen

der „Achmatova-Gruppe“ und der „Majakovskij-Gruppe“ sichtbar (Haight 1994, 93).

Tatsächlich befinden sich die Repräsentanten dieser beiden Gruppen auch an den

Außenpolen der oben abgebildeten Skala. In ihren Werken lässt sich (im Rahmen der

Gedichtauswahl der vorliegenden Arbeit) der drastischste Gegensatz in Bezug auf

Inhalt, Form und politische Gesinnung feststellen.

Die Oktoberrevolution spaltete die Literaten in zwei Lager: Die meisten

aristokratischen Dichter lehnten den bolschewistischen Umsturz scharf ab, einige

davon – Achmatova war nicht unter ihnen – gingen ins französische Exil. Es gab aber

auch Autoren, die sich sofort auf die Seite der neuen Machthaber schlugen. In dieser

Hinsicht besonders engagiert waren Brjusov und Majakovskij. Sie waren davon

überzeugt, dass das marxistische Gesellschaftsexperiment die von den Modernisten

gewollte Verflechtung von Kunst und Leben im Werk realisieren könne (Schmid 2003,

102). Während Brjusovs Formulierungen im Hinblick auf die kommunistische Partei

oder andere politische Organisationsformen in K russkoj revoljucii jedoch eher

zurückhaltend sind, spricht Majakovskij, auch in Levyj marš, Themen wie Politik und

Kommunismus direkt an. Neben Begriffen wie „коммуна“, „Антанта“ oder

„пролетариат“ thematisiert er auch die Idee einer Weltrevolution, die seiner Meinung

nach ausschließlich im Kampf erfolgen kann. Brjusovs Gedicht ist beseelt von der

Euphorie des Autors für die Revolution, während die Haltung Majakovskijs in Levyj

marš als fanatisch gedeutet werden kann.

Page 88: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

83

5. Fazit

Die Ergebnisse der Gedichtanalysen zeigen, dass sich die einzelnen Werke

geschichtlich gesehen nicht nur auf konkrete Fakten der Russischen Revolution

beschränken, vielmehr geht ihre historische Aussagekraft über punktuelle

Begebenheiten hinaus. Die Tatsache, dass die Texte von unmittelbaren ZeitzeugInnen

verfasst worden sind, steigert die Glaubwürdigkeit und Authentizität des Inhaltes.

Selbst wenn die fünf analysierten Gedichte Werke der Kunst sind, beziehen sich ihre

VerfasserInnen in irgendeiner Form auf die Außenwelt. Dies ermöglicht die

Berücksichtigung individueller Standpunkte in Bezug auf die Revolution und unterstützt

im Endeffekt die Vergegenwärtigung der Denk- und Fühlweise jener Jahre.

Deshalb kann man sagen, dass die fünf analysierten Gedichte in zweierlei Hinsicht ein

Schlüssel zur Russischen Revolution von 1917 sind: Zum einen enthalten sie relevante

historische Fakten, zum anderen vermitteln sie in ihrer Gesamtheit, aufgrund der

unterschiedlichen Einstellungen der AutorInnen, den zu jener Zeit vorherrschenden

Zeitgeist. In Bezug auf den Sprachunterricht stellt diese Tatsache einen klaren Vorteil

dar, wenn es darum geht, eine möglichst hohe historische Authentizität zu erreichen.

Ein weiterer Anspruch, den der GER nicht nur an den Fremdsprachenunterricht,

sondern auch an das Verfahren des Testens und Bewertens stellt, ist die Arbeit mit

Originaltexten. Die vorliegende Arbeit könnte in weiterer Folge zur Behandlung von

lyrischen Texten im Sprachunterricht motivieren und somit der Forderung nach

authentischem Sprachmaterial im FSU nachkommen.

In der folgenden Grafik wird auf Basis der in dieser Arbeit behandelten lyrischen Werke

zusammenfassend dargestellt, wie sich die einzelnen AutorInnen zur Russischen

Revolution äußern bzw. wie sie ihr gegenüberstanden (Attitüde) und welche historisch

relevanten Bereiche jener Jahre (Voraussetzungen, die eine Revolution favorisierten,

Februarrevolution, provisorische Regierung, Oktoberumsturz, Sozialistische

Revolution, Bürgerkrieg) anhand der vorliegenden Gedichte inhaltlich abgedeckt

werden (die Darstellung beinhaltet ebenso konkrete Verweise zu den einzelnen

Texten):

Page 89: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

84

Werk Dvenadcatʼ K russkoj

revoljucii Dekabrist

Petrograd,

1919 Levyj marš

Datierung 29.01.1918 1920 Jun 1917 1921 Dez 1918

AutorIn Blok Brjusov Mandel’štam Achmatova Majakovskij

Attitüde mystisch euphorisch diplomatisch nostalgisch fanatisch

Historische Fakten

Voraussetzungen ☒ ☒ ☐ ☐ ☐

bis Februar 1917

T2/S3/V2

T2/S4/V1

T2/S9/V1

S4/V2

Februarrevolution ☒ ☒ ☐ ☐ ☒

23.02.1917 T2/S6/V2 S3/V1-S4/V2 S1/V7-8

Provisorische

Regierung

☒ ☒ ☒ ☐ ☐

Feb – Okt 1917 T1/S11/

V1-4

S6/1-2 S5/V1-4

Oktoberumsturz ☒ ☒ ☒ ☐ ☒

25.10.1917 T1/S4/V5 S6/V3-4 S5/V4

S6/V2

S2/V5

Sozialistische

Revolution

☒ ☐ ☐ ☒ ☒

Okt 1918 – Mrz 1919

T1/S3/V4

T1/S10/

V5-7

S1/V7-8 S4/V8

Bürgerkrieg ☐ ☐ ☐ ☒ ☒

Mrz 1918 – Mrz 1921 S1/V5-6

S2/V2

S1/V2-6

Abbildung 2: Übersicht zur historischen Aussagekraft der Werke von Blok, Brjusov, Mandel’štam, Achmatova und Majakovskij; Quelle: Von der Verfasserin erstellt; T = Teil, S = Strophe, V = Vers

Page 90: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

85

Anhand der Darstellungen lässt sich erkennen, dass die fünf lyrischen Werke in ihrer

Gesamtheit die wichtigsten Vorkommnisse der Russischen Revolution beinhalten und

die in der Einleitung gestellten Fragen (Wodurch wurde die Revolution ausgelöst? Was

geschah im Februar und Oktober 1917? In welcher (politischen/sozialen) Situation

befand sich Russland im Jahr 1917? Wer war(en) die führende(n) Partei(en)? Welche

Ziele wurden im Bürgerkrieg von wem angestrebt? Wer kam wie an die Macht?)

beantworten.

Ob ein Werk unabhängig von den anderen zur Vermittlung der wichtigsten Fakten im

Sprachunterricht ausreichen würde ist fraglich. Im Sinne eines umfassenden

Verständnisses (nicht nur in Bezug auf Fakten, sondern auch auf den Zeitgeist) der

Russischen Revolution von Seiten der SchülerInnen wäre die Behandlung aller

Gedichte im Rahmen des Unterrichts zu empfehlen. Dies ist bei einem

fortgeschrittenen Sprachniveau eine durchaus realisierbare Möglichkeit, wenn man die

einzelnen Gedichte zur Bearbeitung und Analyse auf mehrere Gruppen aufteilt – Bloks

Dvenadcat’ müsste in sich gesplittet werden. Auf niedrigem Sprachniveau könnte

diese umfassende Form der Vermittlung eine Überforderung darstellen. Hierbei wäre

es von Vorteil, ein oder maximal zwei Werke zu verwenden, um dieses bedeutende

geschichtliche Thema zu erarbeiten. Der Begriff „erarbeiten“ ist in diesem

Zusammenhang ein Schlüsselwort, weil es nicht reicht ein Gedicht lediglich zu

analysieren und zu interpretieren, um von seinen geschichtlichen Inhalten zu

profitieren. Sich historisches Wissen mittels Lyrik anzueignen erfordert eine möglichst

selbstständige, im Unterricht von den Lehrpersonen klug gelenkte, Erarbeitung des

Wissens. Im Hauptteil ist gezeigt worden, dass die analysierten Werke einen

derartigen Ansatz ermöglichen.

Wenn man den Zeitgeist der Revolution hervorheben möchte, könnte man

beispielsweise die Gedichte von Achmatova und Majakovskij in den Unterricht

einbinden, da sie, bezogen auf ihre Attitüde, die extremsten Gegensätze bilden und

von der Länge her im Normalbereich liegen. Strebt man eine Vollständigkeit in Bezug

auf historische Fakten an, gibt es mehrere Varianten: Blok/Achmatova,

Blok/Majakovskij, Brjusov/Achmatova, Brjusov/Majakovskij (s.h. Abbildung 2); An

dieser Stelle fällt auf, dass die geschichtlichen Daten in Mandel’štams Werk für eine

faktische Vermittlung der revolutionären Geschehnisse unzureichend erscheinen. Sein

Gedicht eignet sich möglicherweise besser zur Vermittlung des Begriffes der

Page 91: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

86

Revolution im Allgemeinen, da in Dekabrist neben dem Jahr 1917 auch der

Dekabristenaufstand, die Napoleonischen Kriege, sowie die Revolution von 1905

thematisiert werden.

Abschließend ist festzuhalten, dass die persönlichen Eindrücke der DichterInnen einen

Spiegel der Stimmung zu jener Zeit in Russland darstellen. Die divergenten Haltungen

in Bezug auf die Revolution treten auf Basis der analysierten Werke deutlich zu Tage

und führen zu einem authentischen Bild hinsichtlich des Zeitgeistes während der

Russischen Revolution. Bezogen auf den Fremdsprachenunterricht erlauben die fünf

vorliegenden lyrischen Werke deshalb nicht nur das Unterrichten historischer Fakten,

sondern begünstigen auch die Vermittlung des revolutionären Zeitgeistes. Aus diesem

Grund können die analysierten Gedichte mit den geeigneten didaktischen Mitteln

durchaus ein „Schlüssel zur Russischen Revolution“ im Sprachunterricht sein.

Page 92: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

87

Anhang

A) Aleksandr Blok – Dvenadcatʼ

A-a) Metrisches Schema

T / S Schema Reim

Чёрный вечер.

Белый снег.

Ветер, ветер!

На ногах не стоит человек.

Ветер, ветер —

На всём божьем свете!

1/1

- u - u

a

b

a

b

a

c

- u -

- u - u

u u - u u - u u -

- u - u

u - - u - u

Завивает ветер

Белый снежок.

Под снежком — ледок.

Скользко, тяжко,

1/2

u u - u - u d

e

e

f

- u u -

u u - u -

- u - u

Page 93: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

88

Всякий ходок

Скользит — ах, бедняжка!

- u u - e

e u - - u - u

От здания к зданию

Протянут канат.

На канате — плакат:

«Вся власть Учредительному Собранию!»

Старушка убивается — плачет,

Никак не поймёт, что значит,

На что такой плакат,

Такой огромный лоскут?

Сколько бы вышло портянок для ребят,

А всякий — раздeт, разут...

Старушка, как курица,

Кой-как перемотнулась через сугроб.

— Ох, Матушка-Заступница!

1/3

u - u - u g

h

h

g

i

i

h

j

h

j

k

l

k

u - u u -

u u - u u -

u - u u - u u u u - u

u - u u u - u u - u

u - u u - u - u

u - u - u -

u - u - u u -

- u u - u u - u u u -

u - u u - u -

u - u u - u u

u - u u u - u u u u -

u - u u u - u u

Page 94: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

89

— Ох, большевики загонят в гроб! u u u u - u - u u - l

Ветер хлёсткий!

Не отстаёт и мороз!

И буржуй на перекрёстке

В воротник упрятал нос.

1/4

- u - u m

n

m

n

u u u - u u -

u u - u u u - u

u u u - u - u -

А это кто?— Длинные волосы

И говорит в полголоса:

— Предатели!

— Погибла Россия!

Должно быть, писатель —

Вития...

1/5

u - u - - u u - u u o

p

o

q

r

q

u u u - u - u u

u - u u

u - u u - u

u - u u - u

u - u

А вон и долгополый —

Стороночкой и за сугроб... 1/6

u - u u u - u s

t u - u u u u u -

Page 95: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

90

Что нынче не весёлый,

Товарищ поп?

u - u u u - u s

t u - u -

Помнишь, как бывало

Брюхом шёл вперёд,

И крестом сияло

Брюхо на народ?

1/7

- u - u - u u

v

u

v

- u - u -

u u - u - u

- u u u -

Вон барыня в каракуле

К другой подвернулась:

— Уж мы плакали, плакали...

Поскользнулась

И — бац — растянулась!

1/8

u - u u u - u u w

x

y

x

x

u - u u - u

u u - u u - u u

u u - u

u - u u - u

Ай, ай!

Тяни, подымай! 1/9

u - z

z u - u u -

Page 96: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

91

Ветер весёлый.

И зол и рад.

Крутит подолы,

Прохожих косит.

Рвëт, мнëт и носит

Большой плакат:

«Вся власть Учредительному Собранию!»

И слова доносит:

1/10

- u u - u a‘

b‘

a‘

c‘

c‘

b‘

d‘

c‘

u - u -

- u u - u

u - u - u

- u u - u

u - u -

u - u u - u u u u - u

u u - u - u

...И у нас было собрание...

...Вот в этом здании...

...Обсудили —

Постановили:

На время — десять, на ночь — двадцать пять...

...И меньше ни с кого не брать...

1/11

u u - u u u - u d‘

d‘

e‘

e‘

f‘

f‘

- u u - u

u u - u

u u u - u

u - u - u - u u u -

u - u u u - u -

Page 97: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

92

...Пойдём спать... u - - f‘

Поздний вечер.

Пустеет улица.

Один бродяга

Сутулится,

Да свищет ветер...

1/12

- u - u g‘

h‘

i‘

h‘

g‘

u - u - u u

u - u - u

u - u u

u - u - u

Эй, бедняга!

Подходи —

Поцелуемся...

1/13

- u - u j‘

k‘

l‘

u u -

u u - u u

Хлеба!

Что впереди?

Проходи!

1/14

- u m‘

n‘

n‘

u u u -

u u -

Page 98: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

93

Чёрное, чёрное небо. 1/15 - u u - u u - u o‘

Злоба, грустная злоба

Кипит в груди...

Чёрная злоба, святая злоба...

1/16

- u - u u - u p‘

q‘

p‘

u - u -

- u u - u u - u - u

Товарищ! Гляди

В оба! 1/17

u - u u - r‘

s‘ - u

Гуляет ветер, порхает снег.

Идут двенадцать человек. 2/1

u - u - u u - u - a

a u - u - u u u -

Винтовок чёрные ремни,

Кругом — огни, огни, огни... 2/2

u - u - u u u - b

b u - u - u - u -

В зубах — цигарка, примят картуз, 2/3 u - u - u u - u - c

Page 99: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

94

На спину б надо бубновый туз! u - u - u u - u - c

Свобода, свобода,

Эх, эх, без креста!

Тра-та-та!

2/4

u - u u - u d

e

e

u - u u -

u u -

Холодно, товарищ, холодно! 2/5 - u u u - u - u u f

– А Ванька с Катькой – в кабаке...

– У ей керенки есть в чулке! 2/6

u - u - u u u - g

g u - u - u u u -

– Ванюшка сам теперь богат...

– Был Ванька наш, а стал солдат! 2/7

u - u - u - u - h

h u - u - u - u -

– Ну, Ванька, сукин сын, буржуй, 2/8 u - u - u - u - i

Page 100: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

95

Мою, попробуй, поцелуй! u - u - u u u - i

Свобода, свобода,

Эх, эх, без креста!

Катька с Ванькой занята —

Чем, чем занята?..

Тра-та-та!

2/9

u - u u - u j

k

k

k

k

u - u u -

- u - u u u -

u - u u -

u u -

Кругом — огни, огни, огни...

Оплечь — ружейные ремни... 2/10

u - u - u - u - l

l u - u - u u u -

Революционный держите шаг!

Неугомонный не дремлет враг!

Товарищ, винтовку держи, не трусь!

Пальнём-ка пулей в Святую Русь —

2/11

u u u - u u - u - a

a

b

b

u u u - u u - u -

u - u u - u u - u -

u - u - u u - u -

Page 101: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

96

В кондовую,

В избяную,

В толстозадую!

Эх, эх, без креста!

2/12

u u - u m

m

m

n

u u - u

u u - u u

u - u u -

Как пошли наши ребята

В красной гвардии служить —

В красной гвардии служить —

Буйну голову сложить!

3/1

- u - - u u - u a

b

b

b

- u - u u u -

- u - u u u -

- u u u - u -

Эх ты, горе-горькое,

Сладкое житьё!

Рваное пальтишко,

Австрийское ружьё!

3/2

- u - u - u u c

d

e

d

- u u u -

- u u u - u

u - u u u -

Page 102: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

97

Мы на горе всем буржуям

Мировой пожар раздуем,

Мировой пожар в крови —

Господи благослови!

3/3

- u - u - u - u f

f

g

g

u u - u - u - u

u u - u - u -

- u u u u u -

Снег крутит, лихач кричит,

Ванька с Катькою летит —

Елекстрический фонарик

На оглобельках...

Ах, ах, пади!

4/1

- u - u - u - a

a

b

c

d

- u - u u u -

u u - u u u - u

u u - u u

- - u -

Он в шинелишке солдатской

С физиономией дурацкой

Крутит, крутит чёрнй ус,

Да покручивает,

4/2

u u - u u u - u e

e

f

g

u u u - u u u - u

- u - u - u -

u u - u u u

Page 103: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

98

Да пошучивает... u u - u u u g

Вот так Ванька — он плечист!

Вот так Ванька — он речист!

Катьку-дуру обнимает,

Заговаривает...

4/3

- u - u u u - h

h

i

i

- u - u u u -

- u - u u u - u

u u - u u u

Запрокинулась лицом,

Зубки блещут жемчугом...

Ах ты, Катя, моя Катя,

Толстоморденькая...

4/4

u u - u u u - j

j

k

l

- u - u u u -

- u - u u u - u

u u - u u u

У тебя на шее, Катя,

Шрам не зажил от ножа.

У тебя под грудью, Катя,

Та царапина свежа!

5/1

u u - u - u - u a

b

a

b

- u - u u u -

u u - u - u - u

- u - u u u -

Page 104: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

99

Эх, эх, попляши!

Больно ножки хороши! 5/2

u - u u - c

c - u - u u u -

В кружевном белье ходила –

Походи-ка, походи!

С офицерами блудила –

Поблуди-ка, поблуди!

5/3

u u - u - u - u d

e

d

e

u u - u u u -

u u - u u u - u

u u - u u u -

Эх, эх, поблуди!

Сердце ёкнуло в груди! 5/4

u - u u - f

f - u - u u u -

Помнишь, Катя, офицера –

Не ушëл он от ножа...

Аль не вспомнила, холера?

Али память не свежа?

5/5

- u - u u u - u g

h

g

h

u u - u u u -

- u - u u u - u

- u - u u u -

Page 105: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

100

Эх, эх, освежи,

Спать с собою положи! 5/6

u - u u - i

i - u - u u u -

Гетры серые носила,

Шоколад Миньон жрала,

С юнкерьём гулять ходила –

С солдатьëм теперь пошла?

5/7

- u - u u u - u j

k

j

k

u u - u - u -

u u - u - u - u

u u - u - u -

Эх, эх, согреши!

Будет легче для души! 5/8

u - u u - l

l - u - u u u -

...Опять навстречу несётся вскач,

Летит, вопит, орёт лихач... 6/1

u - u - u u - u - a

a u - u - u - u -

Стой, стой! Андрюха, помогай! 6/2 - - u - u u u - b

Page 106: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

101

Петруха, сзаду забегай!.. u - u - u u u - b

Трах-тарарах-тах-тах-тах-тах!

Вскрутился к небу снежный прах!.. 6/3

- u u - u - u - c

c u - u - u - u -

Лихач — и с Ванькой — наутёк...

Ещё разок! Взводи курок!.. 6/4

u - u - u u u - d

d u - u - u - u -

Трах-тарарах! Ты будешь знать,

. . . . . . . . . . . . . . .

Как с девочкой чужой гулять!...

6/5

- u u - u - u - e

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...PAUSE...

u - u u u - u -

Утёк, подлец! Ужо, постой,

Расправлюсь завтра я с тобой! 6/6

u - u - u - u - f

f u - u - u u u -

А Катька где?— Мертва, мертва! 6/7 u - u - u - u - g

Page 107: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

102

Простреленная голова! u - u u u u u - g

Что, Катька, рада?— Ни гу-гу...

Лежи ты, падаль, на снегу! 6/8

u - u - u u u - h

h u - u - u u u -

Революционный держите шаг!

Неугомонный не дремлет враг! 6/9

u u u - u u - u - i

i u u u - u u - u -

И опять идут двенадцать,

За плечами — ружьеца.

Лишь у бедного убийцы

Не видать совсем лица...

7/1

u u - u - u - u a

b

c

b

u u - u u u -

- u - u u u - u

u u - u - u -

Всё быстрее и быстрее

Уторапливает шаг.

Замотал платок на шее —

7/2

- u - u u u - u d

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u - u u u -

u u - u - u - u

Page 108: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

103

Не оправится никак... u u - u u u - e

— Что, товарищ, ты не весел?

— Что, дружок, оторопел?

— Что, Петруха, нос повесил,

Или Катьку пожалел?

7/3

u u - u u u - u f

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f

g

u u - u u u -

u u - u - u - u

u u - u u u -

— Ох, товарищи, родные,

Эту девку я любил...

Ночки чёрные, хмельные

С этой девкой проводил...

7/4

- u - u u u - u h

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h

i

u u - u u u -

- u - u u u - u

u u - u u u -

— Из-за удали бедовой

В огневых её очах,

Из-за родинки пунцовой

Возле правого плеча,

7/5

u u - u u u - u j

k

j

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- u u u - u -

u u - u u u - u

u u - u u u -

Page 109: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

104

Загубил я, бестолковый,

Загубил я сгоряча... ах!

u u - u u u u - u j

l/k u u - u u u u - -

— Ишь, стервец, завел шарманку,

Что ты, Петька, баба, что ль?

— Верно душу наизнанку

Вздумал вывернуть? Изволь!

— Поддержи свою осанку!

— Над собой держи контроль!

7/6

- u - u - u - u m

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m

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u u - u u u -

u u - u - u - u

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— Не такое нынче время,

Что бы нянчиться с тобой!

Потяжеле будет бремя

Нам, товарищ дорогой!

7/7

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u u - u u u -

u u - u u u - u

- u - u u u -

И Петруха замедляет 7/8 u u - u u u - u q

Page 110: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

105

Торопливые шаги... u u - u u u - r

Он головку вскидавает,

Он опять повеселел... 7/9

u u - u u u - u s

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Эх, эх!

Позабавиться не грех! 7/10

u - u

u u u - u u u -

Запирайте етажи,

Нынче будут грабежи! 7/11

u u - u u u - v

v - u - u u u -

Отмыкайте погреба —

Гуляет нынче голытьба! 7/12

u u - u u u - w

w u - u - u u u -

Ох ты горе-горькое!

Скука скучная, 8/1

- u - u - u u a

b - u - u u

Page 111: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

106

Смертная! - u u b

Ужь я времячко

Проведу, проведу... 8/2

- u - u u c

d u u - u u -

Ужь я темячко

Почешу, почешу... 8/3

u u - u u e

f u u - u u -

Ужь я семячки

Полущу, полущу... 8/4

u u - u u g

h u u - u u -

Ужь я ножичком

Полосну, полосну!.. 8/5

u u - u u i

j u u - u u -

Ты лети, буржуй, воронышком!

Выпью кровушку 8/6

u u - u - u - u u k

l - u - u u

Page 112: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

107

За зазнобушку,

Чернобровушку...

u u - u u l

l u u - u u

Упокой, господи, душу рабы твоея...

Скучно! 8/7

u u - - u u - u u - u u - m

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Не слышно шуму городского,

Над невской башней тишина,

И больше нет городового —

Гуляй, ребята, без вина!

9/1

u - u - u u u - u a

b

a

b

u - u - u u u -

u - u - u u u - u

u - u - u u u -

Стоит буржуй на перекрёстке

И в воротник упрятал нос.

А рядом жмётся шерстью жёсткой

Поджавший хвост паршивый пёс.

9/2

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d

c

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u - u - u - u - u

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Page 113: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

108

Стоит буржуй, как пёс голодный,

Стоит безмолвный, как вопрос.

И старый мир, как пёс безродный,

Стоит за ним, поджавши хвост.

9/3

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u - u - u - u - u

u - u - u - u -

Разыгралась чтой-то вьюга,

Ой, вьюга, ой, вьюга!

Не видать совсем друг друга

За четыре за шага!

10/1

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b

a

b

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u u - u - u - u

u u - u u u -

Снег воронкой завился,

Снег столбушкой поднялся... 10/2

- u - u u u - c

c - u - u u u -

— Ох, пурга какая, спасе!

— Петька! Эй, не завирайся!

От чего тебя упас

10/3

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Page 114: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

109

Золотой иконостас?

Бессознательный ты, право,

Рассуди, подумай здраво —

Али руки не в крови

Из-за Катькиной любви?

— Шаг держи революционный!

Близок враг неугомонный!

u u - u u u - f

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g

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u u - u u u - u

u u - u - u - u

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u u - u u u -

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Вперёд, вперёд, вперёд,

Рабочий народ! 10/4

u - u - u - j

j u - u u -

...И идут без имени святого

Все двенадцать — вдаль.

Ко всему готовы,

Ничего не жаль...

11/1

u u - u - u u u - u a

b

a

b

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u u - u - u

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Page 115: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

110

Их винтовочки стальные

На незримого врага...

В переулочки глухие,

Где одна пылит пурга...

Да в сугробы пуховые —

Не утянешь сапога...

11/2

- u - u u u - u c

d

c

d

c

d

u u - u u u -

u u - u u u - u

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u u - u u u - u

u u - u u u -

В очи бьётся

Красный флаг. 11/3

- u - u e

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Раздаётся

Мерный шаг. 11/4

u u - u g

h - u -

Вот — проснётся

Лютый враг... 11/5

- u - u i

j - u -

Page 116: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

111

И вьюга пылит им в очи

Дни и ночи

Напролёт! ...

11/6

u - u u - u - u k

k

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Вперёд, вперёд,

Рабочий народ! 11/7

u - u - m

m u - u u -

...Вдаль идут державным шагом...

— Кто ещё там? Выходи!

Это — ветер с красным флагом

Разыгрался впереди...

12/1

- u - u - u - u a

b

a

b

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- u - u - u - u

u u - u u u -

Впереди — сугроб холодный.

— Кто в сугробе — выходи!

Только нищий пёс голодный

Ковыляет позади...

12/2

u u - u - u - u c

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c

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Page 117: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

112

— Отвяжись ты, шелудивый,

Я штыком пощекочу!

Старый мир, как пёс паршивый,

Провались — поколочу!

12/3

u u - u u u - u e

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u u - u u u -

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...Скалит зубы — волк голодный —

Хвост поджал — не отстаёт —

Пёс холодный — пёс безродный...

— Эй, откликнись, кто идёт?

12/4

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— Кто там машет красным флагом?

— Приглядись-ка, эка тьма!

— Кто там ходит беглым шагом,

Хоронясь за все дома?

12/5

- u - u - u - u i

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i

j

u u - u - u -

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Page 118: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

113

— Всё равно, тебя добуду,

Лучше сдайся мне живьём!

— Эй, товарищ, будет худо,

Выходи, стрелять начнём!

12/6

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k

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- u - u - u - u

u u - u - u -

Трах-тах-тах!— И только эхо

Откликается в домах...

Только вьюга долгим смехом

аливается в снегах...

12/7

- u - u - u - u m

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m

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u u - u u u -

- u - u - u - u

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Трах-тах-тах!

Трах-тах-тах! 12/8

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...Так идут державным шагом —

Позади — голодный пёс.

Впереди — с кровавым флагом,

12/9

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u u - u - u - u

Page 119: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

114

rosa => weibliche Kadenz

blau => männliche Kadenz

grün => reiche Kadenz

Bemerkung - REIM: Jene Stellen, an denen sich der Reim über die Strophe hinwegsetzt und einen großen Zusammenhang bildet,

wurden farblich markiert.

И за вьюгой неведим,

И от пули невредим,

Нежной поступью надвьюжной,

Снежной россыпью жемчужной,

В белом венчике из роз —

Впереди — Исус Христос.

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Page 120: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

115

A-b) Deutsche Übersetzung:

1 Schwarzer Abend. Weißer Schnee. Wind! Wind! Seht doch, wie er Menschen fällt! Wind, Wind Überall auf Gottes Welt. Wirbelwehn Weißen Schnees. Glatteis unterm Weiß. Erbarmen! – Alle, die da gehn, Gleiten aus, die Armen. Zwischen zwei Häusern ein Draht, An dem Draht ein Plakat: Alle Macht dem Verfassungsrat! Das Mütterchen kann und kann nicht begreifen, Warum so viel Stoff, Solch ein mächtiger Streifen Über der Straße hängt. Sie schüttelt den Kopf und denkt: «Viele Fußlappen wärens für unsere Kleinen, Die vor Kälte weinen...» Wie ein Huhn trippelt sie Den Schneedamm hinab. «Muttergottes, diese Bolschewiki Bringen uns noch ins Grab!» Der Wind peitscht den Frost Vor sich hin. Der Bürger dort drüben versteckt erbost In dem Kragen Nase und Kinn. Und wer ist denn der da? Mähneschüttelnd steht er Und murmelt: «Verräter, Ihr habt Rußland zugrunde gerichtet ...» Sicher einer, der Reden schwingt – oder dichtet. Und jener in der Kutte, Um Schneewehn schleichend, schlaff – Wie ist dir heut zumute,

Page 121: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

116

Genosse Pfaff? Sag, denkst du noch daran, Wie fett du warst? Und auch Ans Kreuz, das jedermann Sah schmücken deinen Bauch? Und die da, karakulkraus, Sagt zu der da leis: «Damals weinte das ganze Haus!» Und – bauz! – Fällt aufs Eis. Ach, och, Helft ihr doch! Wie lustig, wie dreist Ist der Wind, Der an Röcken reißt Und Passanten mäht Und das Riesenplakat Alle Macht dem Verfassungsrat! Bald knittert, bald bläht Und ins Ohr Redefetzen weht: «Auch bei uns gabs genau So `nen Rat, dort im Bau: Erst Diskussion, Dann Resolution – Die Nacht fünfundzwanzig, die Stunde zehn. Wie wärs nun mit Schlafengehn?» Spät ist die Stunde, Die Straße leer. Ein Vagabund Schleicht krumm umher. Der pfeifende Wind geht rund. Komm doch ran, Armer Hund, Küssen wir uns zum Gruß ... Hast du Brot? Ahnst du, was kommt? Geh weiter, schon gut. Himmel, schwarz wie Ruß. In der Brust aber loht Eine traurige Wut, Eine schwarze, heilige Wut. Genosse,

Page 122: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

117

Sei auf der Hut! 2 Es kreist der Wind, Schneeflocken tanzen. Zwölf, die marschieren im Gemäuer. Gewehre, schwarze Riemen, Ranzen. Und ringsum Feuer, Feuer, Feuer. Aus dem Munde qualmt es, zerknittert die Mützen. Ein Karo-As auf den Rücken den Schützen! Freiheit, Freiheit. Ach, ach, sieh da: Ohne Kreuz! Tra-ta-ta, tra-ta-ta. Hundekalt, Genossen ... «Katjka, mit der Wanjka in der Kneipe sumpft, Hat Kerenski-Scheine sich eingestrumpft!» «Und Wanjka, der selbst nun viel Rubel hat, War mal unsereiner und ist jetzt Soldat!» «Los, Wanjka, Bürger, reicher Hund, Küß mal die Meine auf den Mund!» Katjka macht dem Wanjka Spaß, Wanjka nimmt an Katjka Maß, Haben nun Viel zu tun – Aber was? ... Freiheit, Freiheit. Ach, ach, sieh da: Ohne Kreuz – tra-ta-ta, tra-a-a. Ringsum Feuer, Feuer, Feuer. Riemen, Ranzen, Stadtgemäuer ... Revolutionäre, marschiert vereint! Es schläft nicht der rastlose Feind! Faß das Gewehr, sei kein Hasenfuß! Genosse, schieß auf die heilige Rusj, Auf die reckengleiche,

Page 123: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

118

Auf die hüttenreiche, Auf die kugelhintrige! Ach, ach, ohne Kreuz! 3 Unsre Jungen traten In die Rote Garde ein, Wolln als Rotgardisten ihren Tollen Kopf verlieren. Ach, du Not, wie lebt man jetzt? Alles geht verquer. Mantel überall zerfetzt. Österreichisches Gewehr. Den Burshius zum Unglück wollen Einen Weltbrand wir entrollen, Einen Brand im blutigen Meer – Gib uns deinen Segen, Herr! 4 Schnee und Schnee. Es schreit der Kutscher Katjka schmecken Wanjkas Knutscher. Ein elektrisches Laternchen An der Schlittendeichsel dran – Ach, ach, sieh mal an! Wanjka, im Soldatendreß, Lächelt dämlich, zwirbelt keß Seinen schwarzen Schnurrbart, Dreht am Schnurrbart ohne Ruh Und reißt Witze immerzu. Seht den Wanjka, den Athleten! Hört den Wanjka zärtlich flöten! Der umhalst die Närrin Katjka, Der ist ihr der Richtige. Katjka kippt zurück, wird heiß, Zähne blitzen perlenweiß. Ach, du Katjka, meine Katjka, Meine rundgesichtige ...

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5 Hast an deinem Halse, Katjka, Eine Spur vom Messerstich. Unter deinen Brüsten Katjka, Brennt ein frischer roter Strich. Ach, ach, tanze, lach! Beine hast du – eine Pracht! Trugst mal teure Spitzenwäsche, Wie `ne Dame von Geburt, Hast am liebsten mit den feschen Offizieren rumgehurt. Ach, ach, laß nicht nach! (Herz, nicht rasen – immer sacht!) Denkst du, Katjka, noch an jenen Offizier, den man erstach? Schon vergessen, du Hyäne? Bist wohl von Gedächtnis schwach? Ach, ach, mach es wach! Bleib bei mir von acht bis acht! Liefst in grauen Wollgamaschen, Fraßest Mignon-Schokolade – Junker hatten offne Taschen. Und nun schläfst du mit Soldaten? Ach, ach, sündge, mach Keine Sorgen uns heut nacht! 6 Und wieder rast der Schlitten wild Den Zwölf entgegen. Der Kutscher brüllt. Halt, halt, Andrjucha! Hilf, spring ran! Petrucha, halt sie hinten an! Trach-tararach-tach-tach-tach-tach! Der Schnee stiebt auf zum Himmelsdach. Fort ist der Schlitten mit dem Mann. Nur einen Schuß noch! Spann den Hahn!

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Der Kerl soll wissen, wie es ist, Wenn man ein fremdes Mädchen küßt. Weg ist der Schuft. Na warte, Mann, Dann kommst du eben morgen ran. Wo steckt die Katjka? Tot! Ein Mord! Der Schuß hat ihr den Kopf durchbohrt. Du sagst nichts, Katjka? Machts dir Spaß? Ist gut, bleib liegen, faules Aas. Revolutionäre, marschiert vereint! Es schläft nicht der rastlose Feind. 7 Zwölf Gardisten schreiten weiter Mit geschultertem Gewehr. Das Gesicht des armen Mörders Bleich und blaß, die Augen leer. Petjkas Schritt wird immer schneller, Petjka denkt an Katjka stur, Zieht in einer Tour am Halstuch, Zieht am Tuch in einer Tour. «Was ist los, Petrucha? Bist doch Sonst kein Kind der Traurigkeit? Halt die Nase hoch, Petrucha, Oder tut dir Katjka leid?» «Hab mich Katjka glatt verschrieben, War noch nie so liebeskrank. Kurzweil haben wir getrieben Schwarze, trunkne Nächte lang. Feuerblick – zum Kopfverdrehen, Ein verwegnes Augenpaar, Eine Schulter, wo ein rundes Rotes Mal zu sehen war! Darum bracht ich Tunichtgut Katjka um in blinder Wut.» «Schluß mit deinem Leierkasten, Faselst wie ein Weib drauflos. Mußt du schon dein Herz entlasten, Tus, doch merk dir eines bloß: Sei mal stolz, red keinen Schund,

Page 126: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

121

kontrolliere deinen Mund! Uns mit dir herumzuplagen, Fehlt uns heute Lust und Zeit, Haben Schwereres zu tragen. Hörst du? Weißt du nun Bescheid?» Ruhiger, mit hellrem Blick Stampft Petrucha durch die Nacht ... Plötzlich kratzt er sein Genick, Wirft den Kopf zurück und lacht. Ach, ach, Ist es Sünde, wenn ich lach? Schließt die Fenster, sperrt die Türen, Heut wird überall geklaut! Hütet eure Keller, schaut: Heute geht die Not spazieren. 8 Ach du böses Pech, Ach du tödliche Langeweile! Doch ich wird mir die Zeit Schon vertreiben, vertreiben, Aus den Augen die Schläfrigkeit Reiben, reiben, Sonnenblumensamen Knacken, knacken, Mit dem Messer Hacken, hacken. Schwirr, Burshui, wie ein Sperling fort, Sonst begeh ich einen Mord Für die Dunkelbrauige, Für die Funkeläugige ... Herr, gib ewige Ruhe der Seel deiner Magd ... Wie langweilig! 9 Kein Straßenlärm ist mehr zu hören, Am Newski-Turm kehrt Ruhe ein. Kein Schutzmann wird euch Jungens stören,

Page 127: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

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Geht aus, doch ohne Schnaps und Wein. Ein Bürger. Tief im Kragen stecken Das Kinn, die Nase und der Mund. Und dort ein Hund. Das Fell voll Zecken. Ein herrenloser Hungerhund. So steht der Bürger, hundemüde, Stumm wie die Frage, die er stellt. Mit schlaffem Schwanz, ein räudiger Rüde, Steht hinter ihm die alte Welt. 10 Winde gehen, Winde wehen, Schneesturm fegt – o weh! Auf vier Schritt kein Mensch zu sehen. Nichts als Schnee. Trichtersteiles Schneegewimmel, Säulen steigen auf zum Himmel. «Gott der Herr, ist das ein Wetter! Petjka, lüg doch nicht so wild, Sag, wieso ist es dein Retter, Gottes goldnes Bild? Dir geht ab der Klassengeist, Weil du immer noch nicht weißt: Wegen Katjkas Liebesglut Klebt an deinen Händen Blut. Marschier mit uns im Gleichschritt, Freund! Nah ist dein rastloser Feind!» Vorwärts, vorwärts! Angetreten, Ihr Proleten! 11 Kein Name ist ihnen heilig. Sie sind zu allem bereit. Zwölf Männer marschieren eilig. Die Zwölf ohne Mitleid und Leid. Ihre zwölf Gewehre zielen Auf den unsichtbaren Feind. Seht, wie sie nach Gassen schielen, Wo das Schneegestöber greint,

Page 128: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

123

Wo die weichen Schneewehn blinken, Wo die Stiefel tief versinken. Der Blick entfacht Die rote Fahne, Der Marschschritt kracht Auf ihren Bahnen. Der Feind erwacht In bösem Ahnen. Und des Schneesturms Flockenjagd Stäubt ins Auge Tag und Nacht Vorwärts, vorwärts! Angetreten, Ihr Proleten! 12 Und sie schreiten schwer, gemessen. «Wer ist dort? Halt! Komm heraus!» Nur der Wind, der wie besessen Ihre rote Fahne zaust. Vorn: nur eisigkalte Wehen. «Wer da hockt, laß sich mal sehen!» Bettelhund, vor Hunger schwach, Trottet hintennach. «Scher dich fort, du Hunderäude, Weg vom Bajonett, es sticht!» «Alte Welt, Hund ohne Freude, Ab mit dir, ich spaße nicht!» Hungerwolf fletscht seine Zähne, Kneift den Schwanz ein, geht nicht fort. Ein Verlorner, Halberfrorner. «He, gib Antwort! Wer ist dort?» «He, wer winkt uns da mit roter Fahne?» Nacht: ein dunkler Fleck. «Melde dich, bist du kein Toter! Feigling, raus aus dem Versteck!» «Los, ergib dich schon, du Luder! Tus lebendig, rat ich dir!» «Willst du weiterleben, Bruder, Komm heraus – sonst schießen wir!»

Page 129: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

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Trach-tach-tach! Der Schüsse Krachen, Das in Gassen widerhallt, Und des Schneesturms langes Lachen, Donnerrollend, eisigkalt. Trach-tach-tach! Trach-tach-tach Und sie schreiten majestätisch. Hinten: Hund und Hungerleid; Aber vorn: mit blutiger Fahne, Unter Wind- und Schneegeleit Gegen Blick und Blei gefeit, Eisperlschimmer, Flockenglosen Um den Kranz aus weißen Rosen Und voll Sanftheit jeder Schritt, Schreitet Jesus Christus mit. Januar 1918

Deutsche Übersetzung nach ALFRED EDGAR THOSS (Mierau o.J., 235 – 246)

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B) Valerij Brjusov – K russkoj revoljucii

B-a) Metrisches Schema

К русской революции Str Schema Heb.

Ломая кольцо блокады,

Бросая обломки ввысь,

Все вперёд, за грань, за преграды

Алым всадником - мчись!

1

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u - u u - u u - 3

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- u - u u - 3

Сквозь жалобы, вопли и ропот

Трубным призывом встаёт

Твой торжествующий топот,

Над простёртым миром полёт.

2

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- u u - u u - 3

- u u - u u - u 3

u u - u - u u - 3

Ты дробишь тяжёлым копытом

Обветшалые стены веков,

И жуток по треснувшим плитам

Стук беспощадных подков.

3

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u u - u u - u u - 3

u - u u - u u - u 3

- u u - u u - 3

Отважный! Яростно прянув,

Ты взвил потревоженный прах.

Оседает гряда туманов,

Кругозор в заревых янтарях.

4

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u - u u - u u - 3

u u - u u - u - u 3

u u - u u - u u - 3

Page 131: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

126

grün => Amphibrachys

orange => Anapäst

violett => Daktylus

rosa => weibliche Kadenz

blau => männliche Kadenz

B-b) Deutsche Übersetzung:

An die Russische Revolution

Den Blockaden Ring brechend

Die Trümmer in die Höhe werfend,

Alle nach vorne, hinter die Grenze, hinter die Schranken

Scharlachroter Reiter – Eile los!

И все, и пророк и незоркий,

Глаза обратив на восток,-

В Берлине, в Париже, в Нью-Йорке,-

Видят твой огненный скок.

5

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u - u u - u u - 3

u - u u - u u - u 3

- u u - u u - 3

Там взыграв, там кляня свой жребий,

Встречает в смятеньи земля

На рассветном пылающем небе

Красный призрак Кремля.

6

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u - u u - u u - 3

u u - u u - u u - u 3

- u - u u - 3

Page 132: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

127

Trotz der Klagen, des Jammerns, des Murrens

Erhebe dich mit dem Aufruf der Trompeten

Durch dein triumphierendes Getrappel

Wirst du deine Seele im Flug der Welt zeigen.

Du zertrümmerst mit einem schweren Trog

Die verfallenen Wände des Jahrhunderts,

Und über den zersprungenen Platten

Die beängstigenden Schläge der gnadenlosen Hufeisen

Mutig! Wütend gesprungen,

Hast du die unruhige Asche hochgewirbelt.

Es legt sich ein Zug aus Nebel,

Der Horizont in bernsteinfarbenem Morgenrot.

Und alle, Propheten und Nichtsnutze,

Die Augen aufmerksam auf den Osten gerichtet,

In Berlin, in Paris, in New-York,

Sieht man deinen entflammten Sprung.

Da seine Stärke zeigend, dort sein Schicksal herausfordernd,

Trifft das Land in seiner Verwirrung

Im frühmorgendlich brennenden Himmel

Auf die rote Gestalt des Kremls.

Page 133: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

128

C) Osip Mandel’štam – Dekabrist

C-a) Metrisches Schema

Декабрист Str Schema Heb

Тому свидетельство языческий сенат –

Сии дела не умирают.

Он раскурил чубук и запахнул халат,

А рядом в шахматы играют.

1

u – u – u u u – u u u – 4

u – u – u u u – u 3

u u u – u – u u u – u – 4

u – u – u u u – u 3

Честолюбивый сон он променял на сруб

В глухом урочище Сибири,

И вычурный чубук у ядовитых губ,

Сказавших правду в скорбном мире.

2

u u u – u – u u u – u – 4

u – u – u u u – u 3

u – u u u – u u u – u – 4

u – u – u – u – u 4

Шумели в первый раз германские дубы,

Европа плакала в тенëтах,

Квадриги чëрные вставали на дыбы

На триумфальных поворотах.

3

u – u – u – u – u u u – 5

u – u – u u u – u 3

u – u – u u u – u u u – 4

u u u – u u u – u 2

Бывало, голубой в стаканах пунш горит,

С широким шумом самовара,

Подруга рейнская тихонько говорит,

Вольнолюбивая гитара.

4

u – u u u – u – u – u – 4

u – u – u u u – u 3

u – u – u u u – u u u – 3

u u u – u u u – u 2

Page 134: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

129

rosa => weibliche Kadenz

türkis => männliche Kadenz

u / – => Pyrrhichius (macht Tempo, liest sich schnell, klingt leicht)

orange => konsequent unbetonte Silben, die den jambischen Rhythmus

unterstreichen: 4–füßiger wechselt mit 6–füßigem JAMBUS

C-b) Deutsche Übersetzung

Dekabrist

– Er soll hier Zeuge sein, der heidnische Senat

Daß solche Dinge niemals sterben! –

Die Pfeife raucht er an, im Hausrock akkurat

Spielen sie Schach, sie tun es gerne.

Den ehrgeizigen Traum tauschte er um

Für jenen Holzbau in Sibirien,

Ещë волнуются живые голоса

О сладкой вольности гражданства,

Но жертвы не хотят слепые небеса,

Вернее труд и постоянство.

5

u – u – u u u – u u u – 4

u – u – u u u – u 3

u – u u u – u – u u u – 4

u – u – u u u – u 3

Всë перепуталось, и некому сказать,

Что, постепенно холодея,

Всë перепуталось, и сладко повторять:

Россия, Лета, Лорелея.

6

u u u – u u u – u u u – 3

u u u – u u u – u 2

u u u – u u u – u u u – 3

u – u – u u u – u 3

Page 135: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

130

Die Schnörkelpfeife raucht im scharfen Mund

Der Wahrheit – in der Welt der Irren.

Die deutschen Eichen rauschten wie zum ersten Mal,

Europa weinte tief im Eisen,

Schwarze Quadrigen bäumten sich real

Zu dem Triumph, auf Toren gleißend.

In Gläsern brannte oft der blaue Punsch,

Zum breiten Klang der Samoware

Spricht leis am Rhein die Freundin ihren Wunsch

Die freiheitsliebende Gitarre.

Lebendige Stimmen gibt es, noch erregt

Von süßer Freiheit, Bürgerrechten!

Die Himmel blind, sie wollen keinen Opferweg:

Arbeit und Stetigkeit sind besser.

Der große Wirrwarr kam, und wem es klagen

Die Kälte wächst, gefroren sei

Der Wirrwarr jetzt, und schön, es herzusagen:

Rußland, Lethe, Lorelei.

Juni 1917

Deutsche Übersetzung nach RALPH DUTLI (2004, 37)

Page 136: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

131

D) Anna Achmatova – Petrograd 1919

D-a) Metrisches Schema

rosa => weibliche Kadenz

türkis => männliche Kadenz

u / – => Pyrrhichius (macht Tempo, liest sich schnell, klingt leicht)

orange => konsequente Betonung der 2., 4., 6., und/oder 8. Silbe, die den 4–

füßigen jambischen Rhythmus unterstreichen;

Петроград, 1919 Str Schema Reim

И мы забыли навсегда,

Заключены в столице дикой,

Озëра, степи, города

И зори родины великой.

В кругу кровавом день и ночь

Долит жестокая истома...

Никто нам не хотел помочь

За то, что мы остались дома,

За то, что, город свой любя,

А не крылатую свободу,

Мы сохранили для себя

Его дворцы, огонь и воду.

1

u – u – u u u – a

u – u u u – u – u b

u – u – u u u – a

u – u – u u u – u b

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u u u – u u u – e

u – u – u – u – u f

Иная близится пора,

Уж ветер смерти сердце студит,

Но нам священный град Петра

Невольным памятником будет.

2

u – u – u u u – g

u – u – u – u – u h

u – u – u – u – g

u – u – u u u – u h

Page 137: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

132

D-b) Deutsche Übersetzung

Petrograd, 1919

Als hätten wir sie nie gesehn,

In der verlaßnen Hauptstadt darbend,

Die Städte rings, die Steppe, Seen

Und ihrer Abendsonne Farben.

Im blut’gen Kreis drückt Tag und Nacht

Uns grausam Hunger und Ermattung...

Und keiner war, der Hilfe bracht‘,

Weil wir sie nicht verlassen hatten,

Weil wir sie liebten doch, die Stadt,

Mehr als die Freiheit dieser Erde,

Und uns bewahrten, was sie hat:

Paläste, Wasser, Brücken, Herde.

Heraus zieht eine andre Zeit,

Eiskalte Todeswinde wehen,

Doch Peters Stadt wird uns dereinst

Als ungewolltes Denkmal stehen.

Deutsche Übersetzung nach ERICH AHRNDT

Page 138: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

133

E) Vladimir Majakovskij – Levyj Marš

E-a) Metrisches Schema

Левый марш Str Schema Reim

Разворачивайтесь в марше!

Словесной не место кляузе.

Тише, ораторы!

Ваше

слово,

товарищ маузер.

Довольно жить законом,

данным Адамом и Евой.

Клячу истории загоним.

Левой!

Левой!

Левой!

1

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– u f

– u f

Эй, синеблузые!

Рейте!

За океаны!

Или

у броненосцев на рейде

ступлены острые кили?!

Пусть,

2

– u u – u u a

– u b

u u u – u c

– u d

u u u – u u – u b

– u u – u u – u d

– e

Page 139: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

134

оскалясь короной,

вздымает британский лев вой.

Коммуне не быть покорëнной.

Левой!

Левой!

Левой!

u – u u – u f

u – u u – u – u g

u – u u – u u – u f

– u g

– u g

– u g

Там

за горами горя

солнечный край непочатый.

За голод

за мора море

шаг миллионный печатай!

Пусть бандой окружат нанятой,

стальной изливаются леевой,-

России не быть под Антантой.

Левой!

Левой!

Левой!

3

– a

u u – u – u b

– u u – u u – u c

u – u d

u – u – u b

– u u – u u – u c

u – u u – u – u u e

u – u u – u u – u u e

u – u u – u u – u e

– u f

– u f

– u f

Глаз ли померкнет орлий?

В старое станем ли пялиться?

Крепи

у мира на горле

пролетариата пальцы!

4

– u u – u – u a

– u u – u u – u u b

u – c

u – u u – u a

u u u u – u – u d

Page 140: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

135

rosa => weibliche Kadenz (Meist weibliche Kadenzen!!!)

türkis => männliche Kadenz

E-b) Deutsche Übersetzung

Entrollt euren Marsch, Burschen von Bord!

Schluß mit dem Zank und Gezauder.

Still da, ihr Redner!

Du

hast das Wort,

rede, Genosse Mauser!

Brecht das Gesetz aus Adams Zeiten.

Gaul Geschichte, du hinkst ...

Woll'n den Schinder zu Schanden reiten.

Links!

Links!

Links!

Грудью вперëд бравой!

Флагами небо оклеивай!

Кто там шагает правой?

Левой!

Левой!

Левой!

– u u – – u e

– u u – u u – u e

– u u – u – u e

– u e

– u e

– u e

Page 141: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

136

Blaujacken, he!

Wann greift ihr an?

Fürchtet ihr Ozeanstürme?!

Wurden im Hafen euch eurem Kahn

rostig die Panzertürme?

Laßt

den britischen Löwen brüllen –

zahnlosfletschende Sphinx.

Keiner zwingt die Kommune zu Willen.

Links!

Links!

Links!

Dort

hinter finsterschwerem Gebirg

liegt das Land der Sonne brach.

Quer durch die Not

und Elendsbezirk

stampft euren Schritt millionenfach!

Droht die gemietete Bande

Mit stählerner Brandung rings, -

Russland trotzt der Entente

Links!

Links!

Links!

Page 142: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

137

Seeadleraug' sollte verfehlen?!

Altes sollte uns blenden?

Kräftig

der Welt ran an die Kehle,

mit proletarischen Händen.

Wie ihr kühn ins Gefecht saust!

Himmel, sei flaggenbeschwingt!

He, wer schreitet dort rechts raus?

Links!

Links!

Links!

Deutsche Übersetzung nach HUGO HUPPERT; Quelle:

http://www.erinnerungsort.de/linker-marsch-_120.html, zugegriffen am 01.03.2017

Page 143: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

138

Abkürzungsverzeichnis

a anapästisch

bzw. beziehungsweise

d daktylisch

evtl. eventuell

FSU Fremdsprachenunterricht

GER Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen

j jambisch

S Strophe

s. siehe

T Teil

t trochäisch

u. a. unter anderem

V Vers

v. a. vor allem

Page 144: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

139

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Versammlung eines Demonstrationszuges zur Unterstützung der

Konstituierenden Versammlung (Quelle: famhist.ru, Zugegriffen am 21.01.2017) .... 22

Abbildung 2: Übersicht zur historischen Aussagekraft der Werke von Blok, Brjusov,

Mandel’štam, Achmatova und Majakovskij; Quelle: Von der Verfasserin erstellt ...... 84

Page 145: Vermittlung der russischen Revolution im Sprachunterricht

140

Bibliographie

Monographien

Achmatova, Anna: Unsrer Nichtbegegnung denkend. Gedichte aus den Jahren 1911

bis 1964. Ausgewählt und aus dem Russischen übertragen von Erich Ahrndt.

Leibzig: Leipziger Literaturvertrag.

Bergstraesser, Dorothea (1979): Alexander Block und “Die Zwölf”. Materialien zum

eschatologischen Aspekt seiner Dichtung. Heidelberg: Winter.

Deleuze, Gilles (1991): Kino 2.2. Das Zeit-Bild. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Dutli, Ralph (1995): Europas zarte Hände. Essays über Ossip Mandelstam. Zürich:

Ammann Verlag & Co.

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Göttingen: Wallstein.

Ėjchenbaum, B. (1923): Anna Achmatova. Opyt analiza. Leningrad.

Eliasberg, Alexander (1964): Russische Literaturgeschichte in Einzelportraits. Berlin:

Greifenverlag.

Gromov, P. (1966): A. Blok, ego predšestvenniki i sovremenniki. Moskva – Leningrad.

Haight, Amanda (1994): Anna Achmatowa. Eine Biographie. Übers. v. Margitt Lehbert.

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Hildermeier, Manfred (2004): Russische Revolution. Frankfurt am Main: Fischer.

Holthusen, Johannes (1957): Studien zur Ästhetik und Poetik des russischen

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Krieger, Verena (2006): Kunst als Neuschöpfung der Wirklichkeit. Die Anti-Ästhetik der

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Gellhardt, Hans (2013): Erinnerungen an Achmatova – Pasternak – Zwetajewa.

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Knigge, Armin (1980): „Ein Tropfen Politik”: Zur Rezeption des Poems „Die Zwölf” von

Aleksandr Blok. In: Zeitschrift für slawische Philologie. Vol. 41, No. 2, S 306-

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Lehmann, Jürgen: “Sprache – durch Katastrophen angereichert”. Paul Celans

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Christine (Hrsg.): Stationen. Kontinuität und Entwicklung in Paul Celans

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http://www.goethe.de/z/50/commeuro/ (zuletzt abgerufen am 29.01.2017)

Huppert, Hugo: Linker Marsch (deutsche Übersetzung des Originals: Majakovskij, V.

(1918): Levyj marš). unter: http://www.erinnerungsort.de/linker-marsch-

_120.html (zuletzt abgerufen am 01.03.2017)

Mandel’štam, Osip (1913): О СОБЕСЕДНИКЕ. unter:

http://rvb.ru/mandelstam/01text/vol_1/03prose/1_253.htm (zuletzt abgerufen

am 05.02.2017)