2
Verantwortungsbewusste Konfliktlösungen bei embryopathischem Befund. Herausgegeben von Eva Schumann. (Göttinger Schriften zum Medizinrecht, Bd. 4). Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2008, 137 S., kart., € 18,00 Die Stichworte „Früheuthanasie“ und „Spätabbruch“ bezeichnen ein Konfliktfeld zur rechtlichen wie medizinethischen Einstufung menschlichen Lebens vor der Geburt, welches weiterhin in hohem Maße umstritten ist wie sonst nur wenige Fragen im Bereich des Bio- rechts. Der aus einem Workshop in Göttingen entstandene Band will dazu beitragen, die von den Veranstaltern ausgemachten sprachlichen Verschleierungen bei diesem Thema zu überwinden und – worauf der Titel hinweist – verantwortungsbewusste Konfliktlösungsmög- lichkeiten aufzuzeigen. Schumann weist in ihrem einleitenden Beitrag zutreffend darauf hin, dass die Problematik mit den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik einhergeht, welche weniger eine Therapieentscheidung als vielmehr eine Grundlage für die Entscheidung für oder gegen den Abbruch ei- ner Schwangerschaft vorzubereiten hat. Sicher hat auch zur Unklar- heit beigetragen, dass dazu die Fallgruppe der medizinisch-sozialen Indikation des § 218 a Abs. 2 StGB bemüht wird, hinter der sich der Sache nach embryopathische Befunde verstecken. Auch die Recht- sprechung hat zur fragwürdigen Entwicklung beigetragen. Das zeigt sich etwa beim Fetozid, mit dem sich die medizinische Praxis behilft, um nicht bei einem „versehentlich“ überlebenden Kind mit Scha- densersatzforderungen konfrontiert zu werden. Schumann zeigt die Problemfelder vor der verfassungsrechtlichen, strafrechtlichen, zivil- rechtlichen und medizinethischen Folie auf. Sie mahnt insbesondere, eine Beratung zwingend auch für Schwangerschaftsabbrüche nach einem embryopathischen Befund vorzusehen (S. 11). Einen anderen Weg schlägt Gropp vor. Nach einem knappen histo- rischen Abriss über die Strafbestimmungen zum Schutz menschlichen Lebens, die seit dem preußischen Strafgesetzbuch des Jahres 1851 im Wesentlichen unverändert gelten, konstatiert er hinsichtlich des Foe- tus einen lediglich fragmentarischen Schutz durch das Strafrecht. Das gilt etwa in der Phase vor der Nidation, gilt aber auch bei fahrlässi- gen Schädigungen der Leibesfrucht, die zur Abtötung derselben oder zum Tod des später geborenen Kindes führen. Gropp sieht dies sehr kritisch; er müsste dann freilich auch die Strafbarkeit der „Pille da- nach“ sowie anderer nidationshemmender Mittel befürworten. Es werden dann die verschiedenen Schutzstufen der §§ 218 ff. StGB nachgezeichnet: Bis zur 12. Schwangerschaftswoche besteht die Mög- lichkeit des Abbruchs nach Beratung, bis zur 22. Schwangerschafts- woche ist ein Abbruch de facto im Ausland möglich, und schließlich kennt das Gesetz die unbefristete Möglichkeit des Schwangerschafts- abbruchs bei der seit 1995 im StGB aufgenommenen medizinisch- sozialen Indikation. Nach der Geburt ist der strafrechtliche Lebens- schutz dann lückenlos und nicht mehr abgestuft. Die Grenze zwischen beiden Schutzphasen, die traditionell mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen, also mit der Geburt, definiert wird, empfindet Gropp als unbefriedigend. Er möchte stattdessen diese Abgrenzung durch die Lebensfähigkeit des Ungeborenen er- setzen. Das ist nur mit dem Nachteil rechtlicher Unbestimmtheit zu erkaufen, weil die extrauterine Lebensfähigkeit im Einzelfall sehr unterschiedlich sein dürfte. Gropp will sich mit dem nicht ganz be- friedigenden in-dubio-pro-reo-Ausweg behelfen und schlägt alter- nativ eine absolute 20-Wochen-Frist (S. 39) vor, was schon deswegen problematisch ist, weil Riha in ihrem Beitrag eine 25-Wochen-Frist nennt (S. 49). Wer die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts akzep- tiert und damit mit dieser Ordnung zwangsläufig die Vorstellung des Fragmentarischen verbindet, wird die von Gropp zutreffend gesehene Lückenhaftigkeit des Lebensschutzes vor der Geburt nicht in Frage stellen müssen. Riha führt das ethische Dilemma dem Leser deutlich vor Augen, wenn sie fragt, warum die Abtreibung von 4.000 Foeten jährlich mit prädiktiven Gesundheitsdispositionen weniger unmoralisch sein soll als die Abtreibung von mehr als 100.000 „gesunden“ Foeten in- nerhalb der Zwölf-Wochen-Frist (S. 42). Sie hinterfragt die Körper- autonomie der Frau, die maßgeblich das heutige Abtreibungsrecht Prof. Dr. iur. Henning Rosenau, Institut für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht, Universität Augsburg, Deutschland bestimmt, und sieht die Abtreibungspraxis auch auf ethisch schwan- kendem Boden, weil diese letztlich auf dem erweiterten Autono- miebegriff fußend danach fragt, ob der Mutter die Fortsetzung der Schwangerschaft zumutbar ist oder nicht. Riha sieht darin eine be- denkliche Privatisierung der Moral (S. 47). Sie spricht weiter die Privilegierung des Embryos in vitro an, der umfassend strafrechtlich geschützt ist, und beleuchtet kritisch die übliche Argumentation von Kontinuität, Individualität und Poten- tialität, mit der viele den Status des Embryos vor der Nidation mit demjenigen des Menschen gleichstellen wollen. Zutreffend ist ihre Feststellung, es sei unklar, ob das Embryonenschutzgesetz die Prä- implantationsdiagnostik verbiete. Das LG Berlin hat jüngst eine von vielen behauptete Strafbarkeit im Ergebnis zutreffend verneint (Urt. v. 14. 5. 2009 – 06 KLS 26/08 –). Jede Schwangerenvorsorgeuntersuchung ist nach Hepp für die Mutter und das Kind eine pränataldiagnostische Maßnahme, die frühzeitig Risiken erkenne und Gefahren für Leben und Gesund- heit von Mutter und Kind abwenden soll (S. 63). Hepp schildert die einzelnen Stadien der heute denkbaren nichtinvasiven wie invasiven Methoden anschaulich. Wichtig ist ihm, dass die in der Geburtsme- dizin positiv besetzte Pränataldiagnostik neben denkbaren therapeu- tischen Zielrichtungen auch dazu dient, der schwangeren Frau die Sorgen und Ängste vor einem kranken oder fehlgebildeten Kind zu nehmen. Auch Hepp kritisiert die aufgrund der haftungsrechtlichen Judikatur drohende defensiv-medizinische Position der geburtshel- fenden Ärzte. Damit ist die „Kind als Schaden-Rechtsprechung“ des BGH an- gesprochen, der sich der Beitrag von Schmidt-Recla annimmt. Es geht dabei um die zivilrechtliche Haftung des Arztes für den Unterhalts- aufwand unerwünschter Kinder, die nach einem fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch oder fehlerhafter Pränataldiagnose zur Welt gekommen sind. Der BGH geht, um überhaupt zu einer Haftung zu kommen, davon aus, dass die pränatale Untersuchung auch den Zweck hat, die Geburt eines schwer vorgeschädigten Kindes zu vermeiden. Er stellt damit den Schwangerschaftsbetreuungsvertrag dem Schwan- gerschaftsabbruchvertrag gleich. Schmidt-Recla kritisiert diesen Ansatz und wirft dem BGH vor, nicht zwischen dem Abbruch als Gegenstand des Behandlungsvertrages einerseits und der Betreuung der Schwan- geren andererseits zu trennen. Das führt auch zu wenig konsistenten Judikaten, nach denen Schadensersatz etwa bei vertragswidriger Ge- burt behinderter, nicht aber bei der Geburt gesunder Kinder gewährt wird. Interessant ist der Befund, dass andere Obergerichte dem BGH insoweit die Gefolgschaft verweigert haben. Zusammenführend greift Duttge die in den Referaten herausgear- beiteten zahlreichen Aporien und Ungereimtheiten auf und beklagt die in diesem Regelkreis offenbar werdende Regelwidersprüchlich- keit, die rechtstheoretisch betrachtet die Gestaltungskraft des Rechts insgesamt in Frage stellt. Ob sich eine Widerspruchsfreiheit in die- sem auch emotional aufgeladenen und gesellschaftspolitisch umstrit- tenen Bereich überhaupt herstellen lassen wird, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden. Der Band hat aber einen ersten wichtigen Schritt getan, indem er die aufgezeigten Widersprüche transparent gemacht hat. Ein gestecktes Ziel hat er bereits erreicht: Die ange- mahnte Beratungspflicht mit einer dreitägigen Überlegungsfrist vor dem Schwangerschaftsabbruch hat der Bundestag am 13. 5. 2009 ge- setzlich verankert; sie ist am 1. 1. 2010 in Kraft getreten: § 2 a Abs. 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (BGBl. I 2009, S. 2990). DOI: 10.1007/s00350-010-2661-x Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht. Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der Versicherten. Von Helge Sodan. (Schriften zum Gesundheitsrecht, Bd. 17). Verlag Duncker u. Humblot, Berlin 2009, 124 S., kart., € 38,00. Im überregulierten, immerzu korrekturbedürftigen System der Ge- setzlichen Krankenversicherung „ist das Gesundheitsrecht in seinem Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Adolf Laufs, Heidelberg, Deutschland Buchbesprechungen 448 MedR (2010) 28: 448−449

Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht. Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht. Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der

Verantwortungsbewusste Konfliktlösungen bei embryopathischem Befund.

Herausgegeben von Eva Schumann. (Göttinger Schriften zum Medizinrecht, Bd. 4). Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2008, 137 S., kart., € 18,00

Die Stichworte „früheuthanasie“ und „Spätabbruch“ bezeichnen ein Konfliktfeld zur rechtlichen wie medizinethischen Einstufung menschlichen Lebens vor der Geburt, welches weiterhin in hohem Maße umstritten ist wie sonst nur wenige fragen im Bereich des Bio­rechts. Der aus einem Workshop in Göttingen entstandene Band will dazu beitragen, die von den Veranstaltern ausgemachten sprachlichen Verschleierungen bei diesem thema zu überwinden und – worauf der titel hinweist – verantwortungsbewusste Konfliktlösungsmög­lichkeiten aufzuzeigen.

Schumann weist in ihrem einleitenden Beitrag zutreffend darauf hin, dass die Problematik mit den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik einhergeht, welche weniger eine therapieentscheidung als vielmehr eine Grundlage für die Entscheidung für oder gegen den Abbruch ei­ner Schwangerschaft vorzubereiten hat. Sicher hat auch zur unklar­heit beigetragen, dass dazu die fallgruppe der medizinisch­sozialen indikation des § 218 a Abs. 2 StGB bemüht wird, hinter der sich der Sache nach embryopathische Befunde verstecken. Auch die Recht­sprechung hat zur fragwürdigen Entwicklung beigetragen. Das zeigt sich etwa beim fetozid, mit dem sich die medizinische Praxis behilft, um nicht bei einem „versehentlich“ überlebenden Kind mit Scha­densersatzforderungen konfrontiert zu werden. Schumann zeigt die Problemfelder vor der verfassungsrechtlichen, strafrechtlichen, zivil­rechtlichen und medizinethischen folie auf. Sie mahnt insbesondere, eine Beratung zwingend auch für Schwangerschaftsabbrüche nach einem embryopathischen Befund vorzusehen (S. 11).

Einen anderen Weg schlägt Gropp vor. nach einem knappen histo­rischen Abriss über die Strafbestimmungen zum Schutz menschlichen Lebens, die seit dem preußischen Strafgesetzbuch des Jahres 1851 im Wesentlichen unverändert gelten, konstatiert er hinsichtlich des foe­tus einen lediglich fragmentarischen Schutz durch das Strafrecht. Das gilt etwa in der Phase vor der nidation, gilt aber auch bei fahrlässi­gen Schädigungen der Leibesfrucht, die zur Abtötung derselben oder zum tod des später geborenen Kindes führen. Gropp sieht dies sehr kritisch; er müsste dann freilich auch die Strafbarkeit der „Pille da­nach“ sowie anderer nidationshemmender Mittel befürworten.

Es werden dann die verschiedenen Schutzstufen der §§ 218 ff. StGB nachgezeichnet: Bis zur 12. Schwangerschaftswoche besteht die Mög­lichkeit des Abbruchs nach Beratung, bis zur 22. Schwangerschafts­woche ist ein Abbruch de facto im Ausland möglich, und schließlich kennt das Gesetz die unbefristete Möglichkeit des Schwangerschafts­abbruchs bei der seit 1995 im StGB aufgenommenen medizinisch­sozialen indikation. nach der Geburt ist der strafrechtliche Lebens­schutz dann lückenlos und nicht mehr abgestuft.

Die Grenze zwischen beiden Schutzphasen, die traditionell mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen, also mit der Geburt, definiert wird, empfindet Gropp als unbefriedigend. Er möchte stattdessen diese Abgrenzung durch die Lebensfähigkeit des ungeborenen er­setzen. Das ist nur mit dem nachteil rechtlicher unbestimmtheit zu erkaufen, weil die extrauterine Lebensfähigkeit im Einzelfall sehr unterschiedlich sein dürfte. Gropp will sich mit dem nicht ganz be­friedigenden in­dubio­pro­reo­Ausweg behelfen und schlägt alter­nativ eine absolute 20­Wochen­frist (S. 39) vor, was schon deswegen problematisch ist, weil Riha in ihrem Beitrag eine 25­Wochen­frist nennt (S. 49). Wer die ultima­ratio­funktion des Strafrechts akzep­tiert und damit mit dieser Ordnung zwangsläufig die Vorstellung des fragmentarischen verbindet, wird die von Gropp zutreffend gesehene Lückenhaftigkeit des Lebensschutzes vor der Geburt nicht in frage stellen müssen.

Riha führt das ethische Dilemma dem Leser deutlich vor Augen, wenn sie fragt, warum die Abtreibung von 4.000 foeten jährlich mit prädiktiven Gesundheitsdispositionen weniger unmoralisch sein soll als die Abtreibung von mehr als 100.000 „gesunden“ foeten in­nerhalb der zwölf­Wochen­frist (S. 42). Sie hinterfragt die Körper­autonomie der frau, die maßgeblich das heutige Abtreibungsrecht

Prof. Dr. iur. Henning Rosenau, institut für Bio­, Gesundheits­ und Medizinrecht, universität Augsburg, Deutschland

bestimmt, und sieht die Abtreibungspraxis auch auf ethisch schwan­kendem Boden, weil diese letztlich auf dem erweiterten Autono­miebegriff fußend danach fragt, ob der Mutter die fortsetzung der Schwangerschaft zumutbar ist oder nicht. Riha sieht darin eine be­denkliche Privatisierung der Moral (S. 47).

Sie spricht weiter die Privilegierung des Embryos in vitro an, der umfassend strafrechtlich geschützt ist, und beleuchtet kritisch die übliche Argumentation von Kontinuität, individualität und Poten­tialität, mit der viele den Status des Embryos vor der nidation mit demjenigen des Menschen gleichstellen wollen. zutreffend ist ihre feststellung, es sei unklar, ob das Embryonenschutzgesetz die Prä­implantationsdiagnostik verbiete. Das LG Berlin hat jüngst eine von vielen behauptete Strafbarkeit im Ergebnis zutreffend verneint (urt. v. 14. 5. 2009 – 06 KLS 26/08 –).

Jede Schwangerenvorsorgeuntersuchung ist nach Hepp für die Mutter und das Kind eine pränataldiagnostische Maßnahme, die frühzeitig Risiken erkenne und Gefahren für Leben und Gesund­heit von Mutter und Kind abwenden soll (S. 63). Hepp schildert die einzelnen Stadien der heute denkbaren nichtinvasiven wie invasiven Methoden anschaulich. Wichtig ist ihm, dass die in der Geburtsme­dizin positiv besetzte Pränataldiagnostik neben denkbaren therapeu­tischen zielrichtungen auch dazu dient, der schwangeren frau die Sorgen und Ängste vor einem kranken oder fehlgebildeten Kind zu nehmen. Auch Hepp kritisiert die aufgrund der haftungsrechtlichen Judikatur drohende defensiv­medizinische Position der geburtshel­fenden Ärzte.

Damit ist die „Kind als Schaden­Rechtsprechung“ des BGH an­gesprochen, der sich der Beitrag von Schmidt-Recla annimmt. Es geht dabei um die zivilrechtliche Haftung des Arztes für den unterhalts­aufwand unerwünschter Kinder, die nach einem fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch oder fehlerhafter Pränataldiagnose zur Welt gekommen sind. Der BGH geht, um überhaupt zu einer Haftung zu kommen, davon aus, dass die pränatale untersuchung auch den zweck hat, die Geburt eines schwer vorgeschädigten Kindes zu vermeiden. Er stellt damit den Schwangerschaftsbetreuungsvertrag dem Schwan­gerschaftsabbruchvertrag gleich. Schmidt-Recla kritisiert diesen Ansatz und wirft dem BGH vor, nicht zwischen dem Abbruch als Gegenstand des Behandlungsvertrages einerseits und der Betreuung der Schwan­geren andererseits zu trennen. Das führt auch zu wenig konsistenten Judikaten, nach denen Schadensersatz etwa bei vertragswidriger Ge­burt behinderter, nicht aber bei der Geburt gesunder Kinder gewährt wird. interessant ist der Befund, dass andere Obergerichte dem BGH insoweit die Gefolgschaft verweigert haben.

zusammenführend greift Duttge die in den Referaten herausgear­beiteten zahlreichen Aporien und ungereimtheiten auf und beklagt die in diesem Regelkreis offenbar werdende Regelwidersprüchlich­keit, die rechtstheoretisch betrachtet die Gestaltungskraft des Rechts insgesamt in frage stellt. Ob sich eine Widerspruchsfreiheit in die­sem auch emotional aufgeladenen und gesellschaftspolitisch umstrit­tenen Bereich überhaupt herstellen lassen wird, kann mit fug und Recht bezweifelt werden. Der Band hat aber einen ersten wichtigen Schritt getan, indem er die aufgezeigten Widersprüche transparent gemacht hat. Ein gestecktes ziel hat er bereits erreicht: Die ange­mahnte Beratungspflicht mit einer dreitägigen Überlegungsfrist vor dem Schwangerschaftsabbruch hat der Bundestag am 13. 5. 2009 ge­setzlich verankert; sie ist am 1. 1. 2010 in Kraft getreten: § 2 a Abs. 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (BGBl. i 2009, S. 2990).

DOI: 10.1007/s00350-010-2661-x

Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungs feld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht. Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der Versicherten.

Von Helge Sodan. (Schriften zum Gesundheitsrecht, Bd. 17). Verlag Duncker u. Humblot, Berlin 2009, 124 S., kart., € 38,00.

im überregulierten, immerzu korrekturbedürftigen System der Ge­setzlichen Krankenversicherung „ist das Gesundheitsrecht in seinem

Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Adolf Laufs, Heidelberg, Deutschland

Buchbesprechungen448 MedR (2010) 28: 448−449

Page 2: Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht. Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der

Kern ein um sich selbst kreisendes Sonderrecht“. Es scheint an der zeit, „das Gesundheitswesen über punktuelle und kurzfristige Re­meduren hinaus grundlegend neu auszurichten und dabei indivi­dualität und Eigenverantwortung stärker zur Geltung zu bringen“ (Schmidt-Aßmann, nJW 2004, 1690). in diesem Sinne unternimmt der Autor eine verfassungsrechtliche fundamentalkritik, die sowohl aus der Perspektive der Ärzte wie aus der Sicht der sozialversicherten Patienten argumentiert.

Den Ausgangspunkt bietet das gesellschaftsgeschichtlich überleb­te Sachleistungsprinzip, an dem das Leistungserbringungsrecht sich ausrichtet. Es verkürze den durch Art. 12 Abs. 1 GG dem Arzt einge­räumten freiheitsraum zum einen durch das zulassungserfordernis, eine Art zweiter Approbation, zum anderen durch Behandlungs­ und therapievorgaben. Die „faktisch zwingende Eingliederung“ des Arz­tes in das System sei weder verhältnismäßig noch erforderlich, wie der Vergleich mit dem Kostenerstattungsprinzip der privaten Kran­kenversicherung zeige. Der vom BVerfG „als Rechtsgut von Verfas­sungsrang überhöhte Grundsatz der Stabilität der GKV“ bilde hier keine verfassungsimmanente Grundrechtsschranke. Die zwangsmit­gliedschaft in Kassenärztlichen Vereinigungen wahre den Verhält­nismäßigkeitsgrundsatz nicht (Art. 2 Abs. 1 GG). Die zwangskor­porationen seien nicht erforderlich und weder der Effektivität noch der funktionsfähigkeit dienlich. Überdies verstießen „zahlreiche sozialrechtliche Einflußnahmen auf das Arzt­ bzw. zahnarztrecht“ gegen das legislative Kompetenzgefüge des GG. Ausführliche verfas­sungs­ und europarechtliche Bedenken gegen die inzwischen wieder aufgehobenen Höchstaltersgrenzen schließen sich an.

im Blick auf die sozialrechtliche Stellung der Versicherten er­hebt der Autor wiederum verfassungsrechtliche Bedenken. nach dem Prinzip der sozialstaatlichen Subsidiarität sei eine den weitaus größten teil der Bevölkerung umfassende Pflichtmitgliedschaft in der GKV nicht verfassungskonform. Die sozialrechtliche Gestalt der Arztwahlfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) stelle einen Eingriff dar, ebenso der prinzipielle Ausschluß der Kostenerstattungsmöglichkeiten bei der Wahl von Ärzten, die bei einem kollektiven Verlassen des Sys­tems aus der vertragsärztlichen Versorgung ausschieden. zweifelhaft sei die Verhältnismäßigkeit der normativ bindenden Wirkung der Erklärung über die Wahl der Kostenerstattung für ein Jahr.

Der Verfasser begründet die hier nur angedeuteten Einwände in nachvollziehbaren Gedankengängen. Das System der GKV erscheint jedenfalls in wesentlichen zügen verfassungsrechtlich fragwürdig. Diese Bedenklichkeit mag die rechtspolitische Bereitschaft zu einer umfassenden Reform bestärken. Das finanzierungsproblem bleibt aber außer Betracht, leider.

Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts. Verfassungs- und europarechtliche Grenzen sozialrechtlicher Regelungen des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts anhand ausgewählter Beispiele.

Von Marc Schüffner und Laura Schnall. (Schriften zum Ge-sundheitsrecht, Bd. 18). Verlag Duncker u. Humblot, Berlin 2009, 94 S., kart., € 52,00

Eine übermäßige Vergrößerung bei erhöhter Beanspruchung: so läßt sich das ärztliche Sozialrecht durchaus auf den Begriff bringen. um die gebotenen Grenzen geht es in dem schmalen Buch auf dem Kurs, den der Herausgeber Helge Sodan, Direktor des Deutschen instituts für Gesundheitsrecht und selbst Autor auf diesem felde, vorgibt. Der Verfasser und die Verfasserin fahren ihrerseits schweres verfassungsrechtliches Geschütz auf, um wesentliche Elemente des Vertragsarztrechts zu fall zu bringen. Die detaillierten Vorschriften des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes zur Berufsausübung über­schritten, so meinen sie, die durch die klassische Sozialversicherung geprägte gesetzgeberische zuständigkeit nach Art. 74 nr. 12, nr. 19, nr. 19a GG. Die von § 84 Abs. 7a SGB V vorgesehene Wirtschaft­lichkeitsprüfung mit der nicht widerspruchsfreien „Bonus­Malus­Regel“ verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip sowie gegen Grund­rechte von Ärzten und Patienten. Verfassungswidrig wegen ihrer

Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Adolf Laufs, Heidelberg, Deutschland

unverhältnismäßigkeit seien auch die gesetzlichen Sanktionen bei einem kollektiven Verzicht von Vertragsärzten auf ihre zulassung nach § 72 a Abs. 1 SGB V. Schwerwiegende verfassungsrechtliche und systematische Probleme sehen der Autor und die Autorin im Sicher­stellungsauftrag, den § 75 Abs. 3a SGB V für im Basistarif versicherte Personen statuiert. Schließlich erscheinen auch Höchstaltersgrenzen für vertragsärztliche tätigkeiten grundrechtlich und außerdem eu­roparechtlich fragwürdig.

Das Sozialrecht hat seine ursprüngliche Gestalt mit begrenzter funktion mehr und mehr verändert und sich zu einem umfassenden Steuerungsinstrument der Gesundheitsdienste entwickelt: zu einem bundesgesetzlichen Kollektivsystem mit Rationalisierungs­ und Kostendruck, das – zudem immerfort nachbesserungsbedürftig und kaum mehr überschaubar – die ärztliche Berufsfreiheit und indivi­duelle interessen der Patienten in Bedrängnisse bringt und das Lan­desrecht verkürzt. Das Buch hat das Verdienst, diesen grundlegend zu überdenkenden zustand eindrucksvoll vor Augen zu führen, auch wenn die eine oder andere verfassungsrechtliche Deduktion dem kri­tischen Leser zu wenig feingesponnen sein mag.

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin.

Herausgegeben von Fred Salomon. Medizinisch Wissenschaft-liche Verlagsgesellschaft, Berlin 2009, 305 S., kart., € 44,95

Dem Vorurteil, dass Medizinethik oft durch mangelnden Praxisbe­zug sehr theorielastig sei, tritt der vorliegende Band resolut entgegen. Der gewählte titel „Praxisbuch“ hält, was er verspricht; auf rund 300 Seiten wird das medizinethische fundament in die klinische Praxis eingebracht. Die lebhafte grafische Aufbereitung empfiehlt eine qua­si handbuchartige Benutzung.

Der vorgestellte Sammelband enthält 24 Beiträge von rund 30 Au­toren unterschiedlicher fachrichtungen und Disziplinen. Vertreten sind neben Experten aus Ethik, Medizin und Pflegewissenschaf­ten auch Juristen, Psychologen und Philosophen; dementsprechend erfreulich perspektiven­ und facettenreich ist die Bearbeitung der Bereiche um die angewandte Ethik in der intensivmedizin. Die Kernbereiche, die in der modernen intensivmedizin zu ethischen Handlungskonflikten führen, werden eingängig vorgestellt, und aus der themenwahl ist bereits der vom Herausgeber intendierte Praxis­bezug ersichtlich. Die Auseinandersetzung der Autoren mit ethischen fragestellungen wirkt besonders authentisch durch die in vielen Bei­trägen enthaltenen fallbeispiele, die auch Leser ohne Praxisbezug zu einer reflexiven Haltung geradezu einladen. Wegen der Beitragsfülle muss die inhaltliche Vorstellung verständlicherweise selektiv ausfal­len und sich auf einige besonders markante Kapitel beschränken.

Einen gelungenen Einstieg in die ethische Dimension medizi­nischen Handelns bietet das erste Kapitel von Maio; hier werden Grundsätze der Medizinethik auf anschauliche Weise erläutert. Der klar strukturierte Überblick und die eingebauten falldarstellungen führen auch Leser ohne Vorkenntnisse aktueller medizinethischer Debatten in die interessierenden fragestellungen ein.

Eine umfassende Übersicht wesentlicher Aspekte der rechtlichen Dimension ärztlicher Entscheidungsfindung am Lebensende liefert der Beitrag von Verrel. zu Recht wird insbesondere auf die termino­logisch unbefriedigende fallgruppenbildung um die Begriffe aktive/passive und indirekte/direkte Sterbehilfe hingewiesen; die daraus resultierenden Missverständnisse sowie deren Konsequenzen für die medizinische Praxis werden juristisch und ethisch detailliert heraus­gearbeitet. Angelehnt an die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung wird eine sinnvolle Alternative zu den aktuell verwendeten mehrdeutigen und interpretationsoffenen Begrifflichkeiten demonstriert. Der Hinweis auf die diesbezüglichen Empfehlungen, die der Stellungnahme des nationalen Ethikrates von 2006 zu entnehmen sind, wäre zusätzlich dienlich gewesen.

Sold und Schmidt fokussieren auf den Bereich therapiebegren­zung und ­abbruch. Das Kapitel beleuchtet die hauptsächlichen Konfliktsituationen, die sich aus Sicht der klinisch tätigen in der

Dr. med. Dorothee Dörr, M. A., fachärztin für Anästhesie, Wiss. Mitarb. am institut für Geschichte und Ethik der Medizin, forschungsstelle Ethik, uniklinik Köln, Deutschland

Buchbesprechungen MedR (2010) 28: 449−450 449