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AMBULANZFLUG REPORTAGE 6 · 2010 I 33. Jahrgang I Rettungsdienst I 586 I 70 I Im März 2010 erhält die Einsatzzentrale der MedCareProfessional GmbH den nicht alltäglichen Einsatzauftrag, einen schwedischen Soldaten von Kabul nach Stockholm zu evakuieren. „Nicht alltäg- lich“ ist nicht etwa das Krankheitsbild des Soldaten, ein Myokardinfarkt, sondern vielmehr der Einsatzort in einem Krisengebiet. Z ur Vorbereitung auf den anstehenden Transport erhält die Medical Crew, bestehend aus Notarzt und Rettungs- assistent, den detaillierten Arztbericht des ISAF-Truppen- Hospitals in Kabul (Abb. 2). Hieraus geht hervor, dass sich der 46-jährige Patienten tags zuvor mit Brustschmerzen in der Notaufnahme vorstellte, wo durch die Militärärzte ein Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (Non-STEMI) diagnostiziert wurde. Der Patient gibt laut Bericht an, seit drei Tagen unter zu- nehmenden Brustschmerzen zu leiden. Bei Aufnahme im Hospital liegen normale Vitalparameter (RR 120/70, HF 65, T 37 °C) ohne Anzeichen eines akuten Herzversagens vor. EKG im Sinusrhythmus mit milder Elevation der ST-Strecke in V1 und V2. Laborchemisch positiver Troponin-Test und CPK 224 UI (Norm.: < 165). In der Echokardiographie sei eine leichte Akinesie der medio-antero-septalen Wand bei erhaltener linksventrikulärer Auswurfrate (LVEF) zu erken- nen. Durch die späte Konsultation komme eine Throm- bolyse nicht mehr in Frage. Der Patient wird vor Ort mit Aspirin 250 mg, Clopidogrel 75 mg, Enoxaparin 100 mg (2 x tägl.), Atenolol 25 mg (2 x tägl.), Atorvastatin 80 mg sowie Perindopril 2,5 mg medikamentös behandelt. Der zuständige Truppenarzt empfiehlt in seinem Bericht eine schnelle Repatriierung des Patienten per Ambulanzflugzeug ins Heimatland zur dortigen Angiographie und intensiv- medizinischen Überwachung. Aufgrund der übermittelten Parameter sowie der geschilderten Situation gilt der Patient als transport- und flugfähig. Von Kabul nach Stockholm: Repatriierung eines schwedischen Soldaten via Ambulanzflug Autor: Philipp Schneider Rettungsassistent/ Chief Flight Paramedic, MedCareProfes- sional GmbH – Medical Flight Service, Kerkenbusch 15, 45529 Hattingen (Ruhr), ph.schneider@ medcareprofes- sional.com Abb. 1: Learjet 36a, Air Ambulance in Trabzon (Türkei) (Fotos: Ph. Schneider) Abb. 2: Medical Report des ISAF-Hospitals Als Ambulanzflugzeug kommt ein Bombardier Learjet 36a zum Einsatz (Abb. 1). Das Flugzeug verfügt über eine Reichweite von 5.000 km, fliegt 800 km/h schnell mit einer maximalen Reiseflughöhe von 12 km. Die Ausstattung des Ambulanzflugzeugs wird generell durch die DIN 13234 für Ambulanzflugzeuge vorgegeben. Die intensivmedizinische Ausrüstung des Flugzeugs wird durch die Ausstattungs- normen des European Aeromedical Instituts (EURAMI) geregelt (Abb. 3). Hierzu gehören neben einem vollstän- digen Monitoringsystem (NIBD, IBD, ZVD, Pulsoxymetrie, Kapnometrie, 12-Kanal-EKG, Temperaturmessung) auch ein Intensivrespirator, acht Perfusoren, ein transportables Blutgasanalysegerät, ein Intubationsbronchoskop mit Ab- saugmöglichkeit sowie eine vollständige ITW-Ausrüstung.

Von Kabul Nach Stockholm Repatriierung Eines Schwedischen Soldaten Via Ambulanzflug

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AmbulAnzflugreportage

6 · 2010 I 33. Jahrgang I Rettungsdienst I 586I 70 I

Im März 2010 erhält die Einsatzzentrale der Med CareProfessional GmbH den nicht alltäglichen Einsatzauftrag, einen schwedischen Soldaten von Kabul nach Stockholm zu evakuieren. „Nicht alltäg-lich“ ist nicht etwa das Krankheitsbild des Soldaten, ein Myokardinfarkt, sondern vielmehr der Einsatzort in einem Krisengebiet.

Zur Vorbereitung auf den anstehenden Transport erhält die Medical Crew, bestehend aus Notarzt und Rettungs-

assistent, den detaillierten Arztbericht des ISAF-Truppen-Hospitals in Kabul (Abb. 2). Hieraus geht hervor, dass sich der 46-jährige Patienten tags zuvor mit Brustschmerzen in der Notaufnahme vorstellte, wo durch die Militärärzte ein Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (Non-STEMI) diagnostiziert wurde.

Der Patient gibt laut Bericht an, seit drei Tagen unter zu-nehmenden Brustschmerzen zu leiden. Bei Aufnahme im Hospital liegen normale Vitalparameter (RR 120/70, HF 65, T 37 °C) ohne Anzeichen eines akuten Herzversagens vor. EKG im Sinusrhythmus mit milder Elevation der ST-Strecke in V1 und V2. Laborchemisch positiver Troponin-Test und CPK 224 UI (Norm.: < 165). In der Echokardiographie sei eine leichte Akinesie der medio-antero-septalen Wand bei erhaltener linksventrikulärer Auswurfrate (LVEF) zu erken-nen. Durch die späte Konsultation komme eine Throm-bolyse nicht mehr in Frage. Der Patient wird vor Ort mit Aspirin 250 mg, Clopidogrel 75 mg, Enoxaparin 100 mg (2 x tägl.), Atenolol 25 mg (2 x tägl.), Atorvastatin 80 mg sowie Perindopril 2,5 mg medikamentös behandelt. Der zuständige Truppenarzt empfiehlt in seinem Bericht eine schnelle Repatriierung des Patienten per Ambulanzflugzeug ins Heimatland zur dortigen Angiographie und intensiv-medizinischen Überwachung. Aufgrund der übermittelten Parameter sowie der geschilderten Situation gilt der Patient als transport- und flugfähig.

Von Kabul nach Stockholm:Repatriierung eines schwedischen Soldaten via Ambulanzflug

Autor:

Philipp SchneiderRettungsassistent/ Chief Flight Paramedic, MedCareProfes-sional GmbH – Medical Flight Service, Kerkenbusch 15, 45529 Hattingen (Ruhr), [email protected]

Abb. 1: Learjet 36a, Air Ambulance in Trabzon (Türkei) (Fotos: Ph. Schneider)

Abb. 2: Medical Report des ISAF-Hospitals

Als Ambulanzflugzeug kommt ein Bombardier Learjet 36a zum Einsatz (Abb. 1). Das Flugzeug verfügt über eine Reichweite von 5.000 km, fliegt 800 km/h schnell mit einer maximalen Reiseflughöhe von 12 km. Die Ausstattung des Ambulanzflugzeugs wird generell durch die DIN 13234 für Ambulanzflugzeuge vorgegeben. Die intensivmedizinische Ausrüstung des Flugzeugs wird durch die Ausstattungs-normen des European Aeromedical Instituts (EURAMI) geregelt (Abb. 3). Hierzu gehören neben einem vollstän-digen Monitoringsystem (NIBD, IBD, ZVD, Pulsoxymetrie, Kapnometrie, 12-Kanal-EKG, Temperaturmessung) auch ein Intensivrespirator, acht Perfusoren, ein transportables Blutgasanalysegerät, ein Intubationsbronchoskop mit Ab-saugmöglichkeit sowie eine vollständige ITW-Ausrüstung.

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AmbulAnzflug reportage

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Im Hinblick auf die oft langen Transportstrecken wird eine größere Anzahl an Medikamenten und Verbrauchsmaterial vorgehalten. Weiterhin befinden sich alle lebenswichtigen Geräte (Respirator, Monitoringsystem etc.) an Bord.

Aufgrund der Flugdistanz von ca. 6.000 km zum Einsatzort muss ein Tankstopp sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückflug eingeplant werden. Da die Piloten eine maximale Dienstzeit von 13 Stunden nicht überschreiten dürfen, ist zudem für den Einsatz eine Übernachtung nötig. Wegen der prekären Sicherheitslage in Afghanistan wird die Ent-scheidung getroffen, nicht in Kabul, sondern beim nötigen Tankstopp in Trabzon (Türkei) zu übernachten, um am folgenden Tag den Patiententransport durchzuführen.

Im Landeanflug auf Kabul stellt sich bei allen Crew-Mitglie-dern ein mulmiges Gefühl ein (Abb. 4). Zwei Tage zuvor, so konnten wir den einschlägigen Newstickern entnehmen, wurde der Flughafen nachts mit Raketen beschossen, die jedoch keinen größeren Schaden anrichteten. Tagsüber sei das Risiko von Raketenbeschuss jedoch gering, wurde uns mitgeteilt, da hoch über der Stadt ein Zeppelin schwebt, der per Videoüberwachung die umliegenden Hügelketten beobachtet (Abb. 5). Kabul liegt in einem Talkessel, um-ringt von Hügeln, und man erahnt die Unübersichtlichkeit, mit der die Soldaten vor Ort zu kämpfen haben. Am Bo-den angekommen wird noch deutlicher, dass wir uns in einem Krisengebiet befinden. Ständig starten und landen Armeehubschrauber und die militärische Präsenz der be-waffneten Soldaten, der internationalen Schutztruppe ISAF in voller Kampfmontur mit Splitterschutzwesten und Helm, gibt uns nur ein bedingtes Gefühl der Sicherheit (Abb. 6). Es ist klar, dass wir uns an diesem Ort nicht länger als nö-tig aufhalten wollen. Das Flugzeug wird betankt. Auf dem Tanklaster klebt ein Aufkleber, auf dem zu lesen ist „We are doing difficult jobs in difficult areas“. Dies trifft nun wohl auch auf uns zu. Aus Sicherheitsgründen kann der Patient erst nach dem Tankvorgang in die Kabine gebracht wer-den. Der Rettungswagen des ISAF-Hospitals hält derweil einen größeren Sicherheitsabstand. Wir nutzen die Zeit für ein knappes Übergabegespräch mit der militärischen Rettungswagenbesatzung, die den Transport des Patienten zum Flughafen begleitet hat (Abb. 7).

Hubert Schmitz

Abb. 3: Equipment im Flugzeug

Erster Einsatztag

17.00 Uhr MEZ: Das Ambulanzflugzeug wird am Standort Flughafen Köln-Bonn mit dem medizinischen Equipment eingerüstet.

18.00 Uhr MEZ: Take Off in Köln-Bonn21.15 Uhr MEZ: Ankunft in Trabzon (Türkei), Auftan-

ken des Flugzeugs, Fahrt ins Hotel und Übernachtung

Zweiter Einsatztag

7.00 Uhr MEZ: Take Off in Trabzon10.20 Uhr MEZ: Landung in Kabul und Übernahme

des Patienten12.00 Uhr MEZ: Take Off in Kabul16.30 Uhr MEZ: Tankstopp in Astrakhan (Russland)17.30 Uhr MEZ: Take Off in Astrakhan21.45 Uhr MEZ: Landung in Stockholm (Schweden),

Begleitung des Patienten ins Universitätskrankenhaus Stockholm

23.00 Uhr MEZ: Ankunft einer frischen Pilotencrew per Linienflugzeug in Stockholm, die alte Besatzung darf wegen der maximalen Flugdienstzeit nicht selbst weiterfliegen.

00.00 Uhr MEZ: Take Off in Stockholm mit frischer Pilotencrew

2.00 Uhr MEZ: Ankunft in Köln-Bonn, Abrüsten des Ambulanzflugzeugs

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AmbulAnzflugreportage

erfolgt der Start. Allen, selbst dem Patienten, der seit fünf Jahren in Afghanistan stationiert war, ist eine deut-liche Erleichterung anzumerken, als die Reiseflughöhe auf 12 Kilometern erreicht ist.

Der weitere Lufttransport, mit einem Tankstopp in Astrak-han (Russland), verläuft ohne Zwischenfälle. Zusätzlich zum permanenten Monitoring schreiben wir auf beiden Flugstrecken ein 12-Kanal-EKG (Brustwandableitung), um es mit dem letzten EKG-Ausdruck des Hospitals, das kurz vor der Entlassung des Patienten geschrieben wurde, zu vergleichen. Es treten keine weiteren erkenn-baren Veränderungen im EKG auf. In Stockholm gelandet wartet auch schon ein Ambulanzfahrzeug auf uns. Um Informationsverlusten vorzubeugen und zur Sicherheit des Patienten wird der weitere Bodentransport durch uns und mit unserem Equipment begleitet. In der Stock-holmer Universitätsklinik wird der Patient schon auf der Intensivstation erwartet und es erfolgt ein ausführliches Übergabegespräch anhand der uns vorliegenden Daten und Aufzeichnungen. Der Patient ist glücklich, im Hei-

Abb. 5: Im Landeanflug auf Kabul

Abb. 6: Militärhelikopter am Flughafen Kabul

Der Zustand des Patienten ist, wie im Arztbrief beschrie-ben, unter Fortführung der medikamentösen Therapie stabil. Er ist wach und kooperativ, schmerzfrei, ohne pek-tangiöse Beschwerden seit Therapiebeginn (Abb. 8). Uns werden die medizinischen Unterlagen sowie Medikamente für die nächsten 24 Stunden übergeben (Medikation s.o.). Der Tankvorgang ist beendet und wir können nun mit dem Ambulanzfahrzeug zum Flugzeug fahren. Der Patient wird vor dem Flugzeug umgelagert und das Monitoring (EKG, NIBD, SaO2) wird übernommen (Abb. 9).

Der Patient hat zwei periphervenöse Zugänge am rechten und linken Unterarm. Ein Zugang ist per Mandrin gesi-chert, der andere mit einer Ringerinfusion offen gehalten. Nach Übernahme in die Flugzeugkabine ist der Patient weiterhin stabil (RR 120/60, HF 68, EKG Sinusrhythmus, SaO2 93%). Für den Flug werden dem Patienten wegen der veränderten Atmosphäre auf Reiseflughöhe und dem damit verbundenen Abfall von Luftdruck und Sauerstoff-partialdruck drei Liter Sauerstoff über eine Nasensonde verabreicht. Unter permanentem Blick auf den Monitor

Abb. 4: Airport Kabul (Afghanistan)

Abb. 7: Militärisches Ambulanzfahrzeug

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AmbulAnzflug reportage

matland angekommen zu sein und dankt uns herzlich. Zurück am Flughafen Stockholm erwartet uns schon eine frische Pilotencrew, da die Einsatzpiloten am zeitlichen Limit ihres Tagespensums angekommen sind, um zurück nach Köln-Bonn zu fliegen.

FazitRückblickend war dieser Einsatz medizinisch sicherlich keine Herausforderung, jedoch sind alle Beteiligten um ei-ne Erfahrung reicher. Ein Gefühl für diesen Einsatz bleibt und keiner möchte so schnell zurück. Doch wahrscheinlich werden Einsätze dieser Art keine Einzelfälle bleiben. Das Militär verfügt nur über eine begrenzte Anzahl an luftge-

Abb. 8: Patient im Ambulanz-flugzeug

Abb. 9: Übernahme des Patienten

bundenen Transportmöglichkeiten und diese sind meist in Form von großen Militärmaschinen wie der Transall oder dem MedEvac-Airbus der Bundeswehr präsent. Diese Maschinen sind für eine große Anzahl an Passagieren ausgelegt und deren Einsatz dementsprechend für einen einzelnen Patienten sehr teuer. Meist werden verwundete Soldaten in Krisengebieten gesammelt transportiert. Eine entsprechende Wartezeit auf den Abtransport ist damit gerechtfertigt, dass eine adäquate chirurgische und inten-sivmedizinische Behandlung in den Militärhospitälern und Feldlazaretten vorgehalten wird. In speziellen Fällen jedoch wird eine schnellere Evakuierung eines Patienten nötig. Etwa dann, wenn vor Ort bei einem Myokardinfarkt kein Herzkatheterlabor vorhanden ist. ��

Wir sind drin