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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie 0. Aufbau und Zielperspektive der Vorlesung 0.1 Der Aufbau „Die Theologie im 20. Jahrhundert steht ganz im Zeichen einer Neu- besinnung auf die alles tragende und umgreifende Bedeutung der Christo- logie. Verantwortlich für diese christologische Wende ist die neu aufgebrochene Frage nach Grund und Mitte, nach Norm und Wesen des Christentums. Mindestens ebenso wichtig wie diese Vergewisserung christlicher Identität im Rückgriff auf Jesus Christus ist die Suche Folie 1

Vorlesung: - uni-wuerzburg.de€¦ · Web viewHans Urs von Balthasar, Pneuma und Institution (SkTh 4), Einsiedeln 1974, 14. Hier kann gerade die unendliche Offenheit des fragenden

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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie

0. Aufbau und Zielperspektive der Vorlesung

0.1 Der Aufbau

„Die Theologie im 20. Jahrhundert steht ganz im

Zeichen einer Neubesinnung auf die alles tragende

und umgreifende Bedeutung der Christologie.

Verantwortlich für diese christologische Wende ist

die neu aufgebrochene Frage nach Grund und

Mitte, nach Norm und Wesen des Christentums.

Mindestens ebenso wichtig wie diese

Vergewisserung christlicher Identität im Rückgriff

auf Jesus Christus ist die Suche nach neuer und

zeitgemäßer Bewahrheitung der Heilsbedeutung

des Christusereignisses, also der Aufweis seiner

ungebrochenen Relevanz.“

(Arno Schilson, Art. Christologie III. Christologie im 20. Jahrhundert, in:

LThK3 2, 1170.)

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Wie kann die Relevanz des Christusereignisses für Gott und

Mensch für die heutige Zeit aufgewiesen werden?

Ansatz beim Menschen ansetzen, weil Jesus Mensch war.

Aber in einem Spannungsfeld, das den Menschen

herausfordert, weil Jesus als Gottes Sohn geglaubt bzw.

verstanden wird.

Das bedeutet:

Unser Menschsein in der Geschichtlichkeit unserer Existenz

ist ein wesentlicher Horizontbereich der Christologie.

Die geschichtliche Grundsituation des Menschen entspricht

der Selbstoffenbarung Gottes in Christus mitten in der

Geschichte von Mensch und Welt.

Jesus als Christus führt aber zugleich die Krise alles

Menschlichen herauf.

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BALTHASAR spricht im Blick auf Jesus Christus von einer

„Tat Gottes auf den Menschen zu, Tat <Gottes>, die sich

selber vor dem Menschen und für ihn auslegt.“

Hans Urs von Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe (Christ heute, Fünfte Reihe, Bd 1), Einsiedeln 41975, 5.

D.h.:

1. Die Christologie bedarf als Glaubens-Horizont unbedingt

der Logik Gottes, die wir nur im Glauben entgegennehmen

können, da die Agape-Logik Gottes nicht weltlichen Maßen

und Vorstellungen entspricht. (Kreuz)

2. Da dieser Glaube seine eigene Geschichte hat, muss die

individuelle Perspektive in den Horizont der kirchlichen

Glaubenstradition gestellt werden.

3. Es ist deshalb der methodische Horizont der Christologie

mit den Spannungspolen: Bibel, Tradition, Vernunft und

Glaube klar abzustecken.

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Nach BALTHASAR „gibt <es> keine ‘Unterlegung’ eines

anderen Textes unter den Text Gottes, durch den er lesbar

und verständlich ... werden könnte“, vielmehr müssen wir im

Glauben in Gottes Selbstoffenbarung in Christus eintreten.

Hans Urs von Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe (Christ heute, Fünfte Reihe, Bd 1), Einsiedeln 41975, 32.

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0.2 Die Zielperspektiven

anthropologische Zielperspektive:

Christologie ist Anthropologie, oder sie ist gar nichts. Von der

Christologie her kann aufgezeigt werden, wie gelungenes

Menschsein aussieht.

christologische Zielperspektive :

Christologie ist doppelt geschichtlich: bezogen auf das

irdische Menschsein Jesu sowie auf die Entfaltung seines

Wirkens durch seinen Geist in der Glaubens-Geschichte der

Kirche. Eine solche geschichtliche Christologie ist nur trinita-

risch unter dem Stichwort „Relation in Liebe“ zu entfalten.

Die zu erarbeitende Christologie wird trinitarisch

grundgelegt, geschichtlich entfaltet und in ihrer

anthropologischen Relevanz dargelegt. Die Liebe erweist

sich dabei als verbindende Mitte Gottes und des

Menschen. Analogieloses Urbild ist hier Jesus Christus

selbst.

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I. Prolegomena

1. Der heutige Horizont einer modernen Christologie

1.1 Der Mensch als bleibende Frage

Die Identität unseres Personseins ergibt sich nicht allein aus

der Faktizität des vordergründig Gegebenen, sondern in

unserem Personsein sind wir Fragende über die Grenzen des

Faktischen hinaus.

Der Mensch fragt in einem freiheitlichen Kommunikations-

prozess:

Wer bin ich? Was macht mein Menschsein aus?

Warum bin gerade ich existent?

nach seiner Identität angesichts der Spannung von Leben und Tod.

Indem wir so über uns selbst, über unsere Möglichkeits-

bedingungen nachdenken (transzendentale Reflexion),

beziehen wir uns immer schon auf ein heiliges Geheimnis,

das wir im Glauben personal ansprechen und Gott nennen.

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Wer bin ich? Was macht mein Menschsein aus?

Problem des Leidens und zwar persönlich wie gesellschaftlich

„Der Mensch trägt sein Frage- und Ausrufezeichen, auf

Transparenten gemalt, streikend, im Protestzug durch die

Schöpfung.“

Hans Urs von Balthasar, Pneuma und Institution (SkTh 4), Einsiedeln 1974, 14.

Hier kann gerade die unendliche Offenheit des fragenden

Menschen in seiner Geistigkeit und Leiblichkeit auf ein

heiliges Geheimnis hin aufweisen, dass der Mensch nicht auf

Gene und biologisches Material zu reduzieren ist.

Innerhalb dieses Spannungsbogens ist es dem Menschen

möglich, sich in seiner Geistigkeit und Leibhaftigkeit in Raum

und Zeit und in einer komplexen kommunikativen

Bezogenheit auf Mitmensch, Welt und Gott in seinem

Personsein zu realisieren.

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Warum bin gerade ich existent?

In allen Anfragen, in allen Selbstüberstiegen auf andere

Menschen und andere Umweltsituationen hin, gibt es einen

Ruhepunkt in mir, der mir die Selbstgewissheit gibt: es ist gut,

dass es Dich gibt.

als transzendentales Argument formuliert:

Der Mensch greift aus auf das umfassende Geheimnis von

Welt und Mensch, ein Geheimnis, das ihn in seiner leib-

haftigen Geistigkeit denken und handeln lässt, somit auch den

Grund seiner Personalität ausmacht.

Dieser geheimnisvolle Grund lässt uns in unserer eigenen

Eigenständigkeit sein, aber ist in der freiheitlichen

Eigenständigkeit dennoch der letzte Grund unserer Würde.

Ausgespanntsein des Menschen zwischen Selbstbesitz und

Selbstüberstieg, Immanenz und Tranzendenz

als existenziell bedrängende Erfahrung

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So fragt der Mensch nach seiner Identität angesichts der

Spannung von Leben und Tod.

Auch die Philosophie vermag hier keinen letztgültigen Trost

zu spenden, da der Mensch mit all seinen Möglichkeiten am

Ende ist. Vielmehr bedarf es der freien Selbstmitteilung des

heiligen Geheimnisses, das wir Gott nennen.

Offenbarung als Medium der Begegnung von Gott und

Mensch

die in der Person Jesu Christi mitten in der Geschichte

realisiert ist

Von daher gilt: Der Mensch kommt zuhöchst zu sich selbst,

wenn Gott sich dem Menschen zutiefst mitteilt und der

Mensch diese Mitteilung offen entgegennimmt.

Nach RAHNER STh VI 548 ist die Menschwerdung Gottes

darum zugleich „der einmalig höchste Wesensvollzug des

Menschen überhaupt.“

Will der Mensch sich selbst finden, muss er auf Gottes

Handeln im Menschen Jesus schauen.

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1.2 Gottes zuvorkommende Liebesantwort an den Menschen

1.2.1 Die Notwendigkeit der Umkehr angesichts der Agape

Gottes

Sofern wir in Christus dem Geheimnis Gottes begegnen und

dieses Geheimnis Gottes in Christus die Tiefe unseres

Menschseins freilegt, muss unser Denken ganz und gar von

diesem Christusgeheimnis her bestimmt sein. Es ist eine

Umkehr, eine Metanoia, eine Krisis des menschlichen

Denkens und Handelns erforderlich.

Gott kann nur durch Gott selbst erkannt werden.

Eine Anthropologie gründet letztlich im vorgängigen Primat

der Selbstoffenbarung Gottes, die uns in der hypostatischen

Union in Christus im konkreten Leben dieses Jesus als des

Christus geschenkt ist.

Die Liebe ist das Vermittlungsprinzip zwischen Gott und

Mensch, die Liebe ist der Inhalt der Offenbarung, sie ist

aber auch die Erkenntnisform, auf die wir uns einzulassen

haben.

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1.2.2 Gottes Liebesdrama in der Geschichte

Streit zwischen MOLTMANN und RAHNER um die Relevanz der

gesellschaftlichen Bedingungen der Christuserkenntnis neben

der existentiellen Selbsterfahrung

Balthasar hat diese Spannung fruchtbar gemacht.

theologische Ästhetik als Schau der sich offenbarenden

Liebesherrlichkeit Gottes, die in Jesus Christus zu ihrem

Höhepunkt kommt.

Von dieser Liebesherrlichkeit muss sich der Betrachter

gläubig erfassen lassen.

Aber diese Schau ist nach Balthasar unmittelbar auch

Wahrnehmung eines dramatischen Ereignisses: Gott kämpft

in Christus aus seiner Liebe heraus um diese Welt und gegen

das Böse.

Der Mensch ist in seiner Freiheit herausgefordert, sich zu

entscheiden.

Übergang in einen geschichtlich-dramatischen Ansatz

Betonung von Liebe und Freiheit

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1.3 Gottes geschichtliche Selbstmitteilung in Jesus Christus

Unlösbare Relation zwischen dem konkreten Leben und

seinem letzten Urgrund in Gott, aber keine notwendige

Entsprechung!

Vgl. Abrahamserzählung: Gen 12ff

Gottes Offenbarung in der Geschichtszeit und die religiöse

Suche des Menschen laufen nicht in einer vorprogrammierten

Zielrichtung direkt aufeinander zu, sondern es gibt viele

Abwege und Brüche von Seiten des Menschen.

Kongruenz zwischen Gott und Mensch besteht nur,

1.) wo die Selbstmitteilung und Selbstoffenbarung

Gottes auf den gläubig offenen Menschen trifft

2.) wenn der Mensch seinen ganzen Geist und

seine ganze leibliche Lebensexistenz auf diesen Gott

hin ausrichtet, denn

3.) in einzigartiger Weise in Jesus Christus.

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Heilsbekenntnisse im AT:

- Gottes gute Schöpfung, gestört durch die Sünde des

Menschen (vgl. Gen 1-4),

- Gottes Proexistenz für sein Volk (vgl. Ex 3,14),

- Gottes geschichtliche Wirkmacht (vgl. Ex 15,1-19) und

sein Bundesangebot, verbunden mit einer

entsprechenden Lebensführung (vgl. Ex 19 u. 20).

Diese Linie im Alten Testament kommt in der Selbstmitteilung

Gottes in Jesus Christus zu seinem absoluten Höhepunkt:

- Selbstoffenbarung des trinitarischen Gottes

- in der Gottesoffenbarung und Menschenoffenbarung

in eins fallen

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Biblische Belege zum Verständnis der Person Jesu

Christi:

- Joh 3,16: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen

einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt,

nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“

- 1 Joh 4,8b-9: „... Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes

wurde unter uns dadurch offenbar, daß Gott seinen

einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch

ihn leben.“

- Gal 4,4-6: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott

seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz

unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz

stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr

aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in

unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater.“

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- Er ist die Fülle der Zeit (vgl. Mk 1,15).

- Im Leben und Schicksal dieses Jesus aus Nazaret wird

dem Menschen das Heil Gottes selbst geschenkt (vgl.

Röm 4,25; Phil 2,6-11; 1 Tim 2,5 u. ö.).

- Jesus ist das ewige Wort Gottes, in dem nach dem Jo-

hannesprolog sogar die Welt geschaffen wurde (Joh 1,3).

- Im Fleisch ist uns das Wort des Lebens geschenkt (Joh

1,4.14).

- 1 Tim 2,4-6: „... er [Gott] will, dass alle Menschen gerettet

werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

Denn: Einer ist Gott; Einer auch Mittler zwischen Gott

und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich

als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur

vorherbestimmten Zeit ...“.

- Kol 1,19f: „... Gott wollte in seiner ganzen Fülle in ihm

wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen, alles im

Himmel und auf Erden“.

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Systematische Konsequenz:

Die Heils-Bedeutsamkeit Jesu Christi für uns

Menschen (= Soteriologie) - gerade in einer

umfassenden und eschatologischen Dimension

- ist in der Lehre von Jesus als dem Christus,

dem Wort Gottes, dem von Gott Gesandten

und Erhöhten verankert. Umgekehrt gilt: Die

innere Fülle der Christologie als Lehre von

Jesus, dem Christus, äußert sich in der Lehre

vom Heil für die Menschen, also in der

Soteriologie.

Nur wenn Jesus der Christus ist, also seins-

mäßig in einer einzigartigen Beziehung zu

Gott selbst steht, kann er auch eine universale

Heilsbedeutung für uns Menschen haben.

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2. Was meint: „wissenschaftliche Christologie“?

2.1     Zwei unabdingbare Voraussetzungen wissenschaftlicher

Theologie

Wissenschaftliche Theologie erhebt den Anspruch,

vernunftgemäß den Glaubensakt und Glaubensinhalt zu

explizieren (vgl. 1 Kor 14,15 oder auch 1 Petr 3,15).

Eine wissenschaftliche Christologie verlangt:

- die der jeweiligen Zeit angemessene begriffliche Fassung

- den Dialog verschiedener Verstehens-Modelle (binnen- wie nicht-theologisch)

- den Erweis der Wahrheit Jesu Christi angesichts der weltlichen Pluralität

Daraus folgt:

1.   Voraussetzung: Wissenschaftliche Christologie kommt vom

Christusglauben her bzw. setzt eine persönliche

Gottesbegegnung voraus.

2.   Voraussetzung: Christologie bezieht sich auf die personale

Christus begegnung (= Glauben) im Zeugnis der

Jüngergemeinschaft (= Kirche).

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2.2 Definition und Inhalt einer wissenschaftlichen

Christologie

Wissenschaftliche Christologie ist

die methodisch reflektierte und systematisch

argumentierende Begründung,

innere Entfaltung und Vermittlung

des Christusereignisses als Einheitszentrum aller

Theologie,

insofern Jesus als der Christus Gottes in seiner Person, in

seiner Sendung und seinem irdischen Schicksal

die Menschen in ihrer Selbsttranszendenz und Freiheit auf

dramatisch- geschichtliche Weise in die Ver-Antwortung

ruft,

so dass die menschliche Person in der Entscheidung für die

in Christus und seinem Geist erschienene Liebe Gottes

in das trinitarische Leben Gottes eingeführt wird

und somit durch Christus die gnadenhafte Erfüllung ihrer

geschöpflichen Existenz (in Selbsttranszendenz und

Freiheit) geschenkt erhält.

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Konkrete Inhalte der Christologie sind:

- die Reich-Gottes-Proklamation Jesu

- die Relation Jesu zu seinem Vater (Gebet)

- die Salbung Jesu mit Heiligem Geist (Christus = der

Gesalbte, der Messias)

- seine Lehre, sein Handeln

- das Kreuz

- die Auferstehung, Erhöhung und die Geistsendung

- seine Präsenz in der Kirche

- seine Wiederkunft am Ende der Zeit

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Eine moderne Christologie muss

von anthropologischen Fragestellungen ausgehen.

biblisch ansetzen.

die christologischen Dogmen der Kirche kreativ rezipieren.

seinsgeschichtlich wie universalhistorisch aufweisen, daß das

dramatische Christusereignis eine kommunikative

Beziehungswirklichkeit darstellt, die Gottes innerste

trinitarische Wesenstiefe offenlegt, dem Menschen seine

wahre geschöpfliche Würde vorstellt und alle Geschichtszeit

an ihr Ziel bringt.

soteriologisch entfalten, inwiefern Jesus Christus das Heil

von Mensch und Welt ist.

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3. Die Grammatik der Christologie

3.1 Die christologische Ursynthese von Kreuz und Auferstehung

Ansatzpunkt einer wissenschaftlichen Christologie

Christologie muss beim Urkerygma der Auferweckungs-zeugen ansetzen, aber dann zweifach darüber hinaus gehen:

a) Gott selbst handelt am Gekreuzigten und initiiert das Osterereignis, die Osterbotschaft und den Osterglauben.

b) Christus, der Erhöhte, erweist sich als Sohn Gottes (vgl. Gal 1,16; Phil 2,6-11) bzw. als Offenbarer des Vaters (vgl. Röm 1,1-4) und trägt als solcher in seinem Geist den Glauben aller Christuszeugen.

Christologie muss auf den historischen Jesus rekurrieren, da der Auferweckte der Mann aus Nazaret war.

Christologie kann nur als „Beziehungsgrammatik“ formuliert werden, die Gott-Vater, sein Wirken mit und an Jesus im Geist und unser Betroffensein im Glauben umfasst.

Zur personalen Identität Jesu als Grund seines heils-geschichtlichen Wirkens gibt es nur einen dogmatischen, d. h. vom Glauben ausgehenden Zugang.

Ausgehend vom Auferweckungsereignis wird in der Per-spektive des Glaubens nach der personalen Identität Jesu als des erhöhten Christus gefragt.

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Ingolf Ulrich DALFERTH schreibt in „Der auferweckte

Gekreuzigte“, S. 31:

„Das eigentliche Thema der Christologie ist

gerade nicht ... der historisch faßbare Jesus

von Nazaret und seine modellhafte ethisch

religiöse Bedeutung für uns. Das eigentliche

Thema ist vielmehr der erste Auferweckte

Gottes, so daß gilt: Mit dem Bekenntnis zur

Auferweckung Jesu durch Gott steht und fällt

der christliche Glaube ...“.

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3.2 Statt Mythos: Verweis in die Geschichte

Mythos:

eine bildhafte, symbolische Rede, die die begriffliche

Vermittlung übersteigt und dem Menschen ein nicht

verfügbares Urwissen ermöglichen soll.

Funktionen: erklären, begründen und beglaubigen.

sowohl Interpretationsweise wie das Interpretat sind

mythisch

Mythologie:

nur die Interpretation des faktisch Gegebenen ist

mythisch

In den Grenzbereichen von Gott und Welt, Natur und

Kultur bauen Mythen mit Hilfe der Sprache ein

umfassendes Sinnsystem neuer, symbolischer Ordnung

auf.

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Aber:

Der Mensch in seiner Begrenztheit und geschichtlichen

Eingebundenheit vermag niemals den Gesamtsinn von

Welt, Leben und Geschichte zu überschauen oder gar

zu erfassen. Die Natur ist dem Menschen immer

vor-gegeben.

Ein umfassendes Weltverständnis wird nur möglich,

-wenn die Gesamtwirklichkeit als Sinnraum Gottes -und der Lebensraum des Menschen in seiner

Differenzierung von Natur und Kultur

aufgefasst wird.

Da Gott zur Gesamtwirklichkeit in Beziehung steht,

befindet er sich auch in einem Querverhältnis zu Kultur

und Natur, somit auch zum Mythos.

Die Brücke zwischen Schöpfer und Schöpfung ist allein

mit Jesus Christus gegeben. In ihm wird die Differenz

von Gott und Welt geschichtlich vermittelt.

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3.3 Die trinitarische Lesart

Ansatz bei Ostern als hermeneutischem Zirkel des Glaubens:

Jesus wird hier nicht nur als Sohn des Vaters offenbar, son-

dern in Kreuz und Auferstehung wird auch der Vater

eschatologisch bestimmt: in Differenz und in Einheit mit

dem Sohn, eben in Liebe.

Vom Leben Jesu her müssen wir Gott trinitarisch denken,

so dass umgekehrt das Leben Jesu als Leben des

fleischgewordenen Logos, also der zweiten Person in Gott,

verstanden werden muss.

Daraus folgt:

Der Gegenstand unserer christlichen Gotteserkenntnis ist

nicht Gott "an sich", sondern seine Selbstoffenbarung in der

Menschwerdung Jesu Christi.

Der Grund unserer Gotteserkenntnis ist Gott selbst.

Das Mittel unserer Gotteserkenntnis ist der Heilige Geist.

Der Vollzug unserer Erkenntnis ist der Glaube, verstanden

als Aneignung des in Jesus Christus und dem Geist

eröffneten Heilswillens des Vaters.

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4. Christologie im Spannungsfeld von Bibel, Geschichte und

Dogma

4.1 Ein christologischer Paradigmenwechsel in der Neuzeit

Christologie von oben (Deszendenz-Christologie)

Ansatz beim biblischen Kerygma

Christus wird vom Vater in die Welt gesandt, um sie nach

dem Sündenfall zu erlösen

Geheimnis der Gottmenschlichkeit Jesu Christi

Vermittlung durch die Kirche

Christologie von unten (Aszendenz-Christologie)

anthropologische Wende: Ansatz beim Menschen in seinem

vernunfthaften Selbstvollzug

Frage nach den Verständnisbedingungen von Offenbarung

Jesu Menschlichkeit als Verweis auf seine Göttlichkeit

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4.2 Der philosophische Hintergrund

Descartes:

Unterscheidung von res extensa und res cogitans

Methode des radikalen Zweifels zur Begründung der

Subjektivität

„Discours de la methode“ IV,1:

„Alsbald aber fiel mir auf, daß, während ich auf diese Weise

zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der

es dachte, etwas sei.. Und indem ich erkannte, daß diese

Wahrheit: ‘ich denke, also bin ich’, so fest und sicher ist, daß

die ausgefallensten Untersuchungen der Skeptiker sie nicht zu

erschüttern vermöchten, so entschied ich, daß ich sie ohne

Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich

suchte, ansetzen könne.“

Meditationes II,3:

„Er <Gott> täusche mich, soviel er kann, niemals jedoch wird

er es fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß

ich etwas sei“.

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Konsequenzen:

1. für die Natur des Ich: Ich = Bewusstsein und Denken

2. für die Existenz Gottes

Idee des Unendlichen als transzendentaler Grund des

Bewusstseins

als eingebborene Idee, die den Schluss auf die Existenz

Gottes erlaubt

Aber: Reduktion der Wirklichkeit auf den Geist

Religion als Vernunftreligion

Tilgung der anstößigen Historizität

Diastase zwischen Jesus der Geschichte und Christus des

Glaubens

Christusbekenntnis als subjektive Projektion

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4.3 Christologien in rationalistischem Kontext

Suche nach dem idealen Gehalt des Dogmas!

Johann Salomo Semler

Die an sich vernünftige und natürliche Religion liegt in einer Gestalt vor, die der begrenzten Auffassungsgabe der alten Völker angepasst war, weshalb einige Mythologeme (Inkarnation, Jungfrauengeburt, Wunder, Sühnetod, leibliche Auferweckung) rational kritisiert und ausgeschieden werden müssen.

Sozinianismus des 16. Jhs. (Fausto Sozini)

Der Glaube muss vor allem von den nicht vernunftgemäßen Trinitäts-, Zwei-Naturen- und Erbsünden-Lehren gereinigt werden. Jesus gibt als bloßer Mensch nur ein sittliches Vorbild, dem nachzueifern das Leben nach dem Tod verdient.

Gotthold Ephraim Lessing

betont den fehlenden Begründungs-Zusammenhang zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Dogmas: „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden.“

Immanuel Kant

deutet die Idee vom Sohn Gottes als die mit der Schöpfung intendierte Menschheit in ihrer Vernünftigkeit und moralischen Vollkommenheit, aus der die Glückseligkeit hervorgeht, so dass die Gottesbeziehung des Menschen einer strikten Moralisierung unterworfen wird.

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Friedrich Daniel Schleiermacher

sieht dagegen in Jesus nicht nur ein pädagogisches Vorbild,

sondern unseren Erlöser, dessen historische Personalität

durch eine besondere Gottesbeziehung ausgezeichnet

gewesen sein muss. Den ontologischen Status dieser

Beziehung klärt Schleiermacher jedoch nicht.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

deutet das geschichtliche Jesusereignis als ewige

Vernunftwahrheit, indem er die unendliche Dynamik des

Denkens (= Geist) im Dreischritt von These, Antithese und

Synthese mit dem Gedachten (= die historische

Wirklichkeit) in Übereinstimmung zu bringen versucht. So

wird die Religion zu einem Moment im Prozess des sich

weltgeschichtlich entfaltenden absoluten Geistes, der als

allumfassendes Versöhnungsgeschehen begriffen werden

muss. Zumindest die historische Einmaligkeit Jesu geht

jedoch hier verloren.

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4.4 Die Destruktion des Christusdogmas

David Hume

erklärt die Inhalte des Christusdogmas zum Produkt einer

noch nicht aufgeklärten Vernunft, die in unzulässiger Weise

über das allein in seiner bloßen Menschlichkeit wissbare

Leben Jesu spekuliere.

Hermann Samuel Reimarus

betrachtet wegen der vermeintlichen Widersprüchlichkeit

der Textzeugnisse die Evangelien als mutwillige

Fälschungen. Jesu sei als irdisch-politischer Messias

gescheitert; die Auferstehung sei Erfindung seiner Jünger.

David Friedrich Strauß

geht zwar von einem historischen Kern der Evangelien aus,

der aber durch einen rationalistisch zu tilgenden

Christusmythos überhöht wurde, so dass Jesus für ihn

letztlich nur als Vertreter einer Humanitätsreligion

erscheint.

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Walter KASPER schreibt in „Jesus, der Christus“ S. 32:

„Hinter der historischen Rückfrage nach Jesus

stand ... einerseits das Interesse des Glaubens und

der Erneuerung des Glaubens, andererseits aber

stand auch der Geist der Aufklärung Pate, als die

neue biblische Theologie und damit die Le-

ben-Jesu-Forschung aus der Taufe gehoben

wurde. Diese muss deshalb auch im größeren

Zusammenhang der neuzeitlichen Ideologiekritik

und der Emanzipation von vorgegebenen

Autoritäten und Traditionen gesehen werden.“

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4.5 Die Leben - Jesu - Forschung

Begriffsklärung

Historie (narratio rerum gestarum) meint das faktisch

Geschehene als Tatsachenwahrheit. Die Historie gibt einen

neutral objektiven Bericht über ein vergangenes Geschehen.

Geschichte ist im Sinne der Aufklärung geprägt

a) durch den Menschen als Subjekt der Erkenntnis, das

Geschichte mitbestimmt, aber auch von der Geschichte

bestimmt wird;

b) durch die Freiheitstaten des vernünftigen Menschen

innerhalb der historischen Gegebenheiten.

Geschichte steht im hermeneutischen Zirkel von

Vorverständnis und kreativer Neuinterpretation.

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Kierkegaard:

Unterscheidung zwischen „geschichtlich“ (existenzielle

Ebene) und „historisch“ (objektive Faktizität)

Unterscheidung zwischen historischem Jesus und

geschichtlichem Glauben an Christus

Albert Schweitzer:

erweist das Scheitern der sog. Leben-Jesu-Forschung

Jesusbilder als idealisierte Projektionen

moderne Formgeschichte:

Evangelien als Verkündigungszeugnis

Martin Kähler sagt deshalb:

„Der wirkliche Christus ist der gepredigte Christus“.1

1 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, hg. von E. Wolf, München 19694, 44; vgl. dazu W. Kasper, Jesus 36.

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4.6 Der Christus des Kerygmas

Martin Kähler

betont, daß das Glaubenszeugnis der frühen Kirche der

einzige Zugang zur historischen Gestalt Jesu sei. Im

urkirchlichen Kerygma aber werde Jesus selbst zugänglich.

Johannes Weiß

konzentriert sich auf Jesu Reich-Gottes-Botschaft als

Ankündigung eines von außen kommenden kosmischen

Dramas, dessen mythologische Ausdrucksform allein zu

kritisieren sei.

Rudolf Bultmann

liest die mythologische Sprache des NT aus dem Selbstver-

ständnis des modernen Menschen (= Entmythologisierung).

Im Christus-Wort ruft Gott den Menschen in die

Entscheidung des Glaubens und gibt ihm so ein neues

Existenzverständnis (= existentiale Interpretation). Hier

bleibt unklar, wie der Glaube über die Entscheidungs-

situation hinaus geschichtlich lebbar bleiben soll.

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4.7 Suche nach einem Neuansatz

Ernst Käsemann Die Evangelien sind am geschichtlichen Jesus interessiert. Basis ihrer Theologie ist die Einheit von geglaubtem Christus und irdischem Jesus. Formgeschichtlich sind viele authentische Jesusworte oder -taten nachweisbar.

1500-Jahr-Feier des Konzils von ChalkedonDie klassische Christologie von oben ist – bei voller Wahrung ihrer Substanz – in eine Christologie von unten zu transformieren. Dabei ist bei der anthropologischen Fragestellung des Menschen nach sich selbst anzusetzen.

Karl Rahner, Edward Schillebeeckx, Piet Schoonenberg, Walter Kasper

Ein solcher Ansatz überwindet die Diastase zwischena) der Gottessohnschaft Jesu und der Menschlichkeit des

Menschenb) dem irdischen Jesus und dem Christus des Glaubens

bzw. zwischen Geschichte und Dogmac) Erkenntnisform und objektivem Erkenntnisinhalt des

Glaubens

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5. Der anthropologisch - transzendentale wie geschichtliche Ansatz der Christologie

Der Glaubensakt muss als einheitlicher Akt zwei Momente

integrieren:

die Transzendentalität des Geistes auf Gott hin

die Geschichtlichkeit unseres leiblichen Lebens im

Miteinander mit anderen.

Der Glaubensakt entspricht auf diese Weise den erkenntnis-

theoretischen Zugangswegen zur Christologie.

Jesus ist in seinem konkreten Gehorsam dem Vater gegenüber

sowie in seiner konkret gelebten Gottes- und

Menschenbeziehung der Offenbarer.

doppelter Zugang zu dieser integrativen Einheit von

Geschichte und transzendentaler Anthropologie

1. Zugangsweg: der Mensch

2. Zugangsweg: verbum caro

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zum 1. Zugangsweg: der Mensch

Aufbau eines subjektiven Bewusstseins aus der

wechselseitigen Vermittlung von Wirklichkeit und Denken

Eingelassensein in die Geschichte als Miteinander der

Freiheitstaten der Menschen

Aufbau von personaler Identität als relationale Größe

Frage nach sich selbst und den transzendentalen

Bedingungen seines Denkens

Frage nach dem heiligen Geheimnis, also Gott

G. L. MÜLLER schreibt in seiner Christologie, S. 52:

„Geschichte ist die vom Personsein getragene Vermittlung in

die Unmittelbarkeit zu sich selbst, zur anderen Person und

zur Wirklichkeit überhaupt. Die personale Begegnung ist der

ursprüngliche Ort von Wirklichkeitserfahrung.“

Transzendenz Gottes trägt mitten in der Geschichte die

Personkonstitution

Selbsttranszendenz des Menschen als Medium der

Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus

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zum 2. Zugansweg: verbum caro

Als leibliches und geschichtlich situiertes Ereignis vermag

das Wort zutiefst geistige Gehalte der Wahrheit oder des

Lebens zum Ausdruck bringen.

Theologie der Selbstoffenbarung in Christus:

Das ganze Leben Jesu ebenso wie seine menschliche Rede als

Wort der Offenbarung Gottes

So erhält der Mensch auf allermenschlichste Weise Kunde

von Gott:

Ant-Wort auf seine Frage nach Gott

Ant-Wort auf die Fragen des Menschseins selbst.

Als christologische Grundaussage halten wir fest:

Jesus ist die geschichtliche Gegenwartsgestalt der

Selbstoffenbarung Gottes als ganzheitlich-leibliches

Offenbarungs- und Selbstmitteilungswort an den

Menschen.

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Voraussetzungen und Konsequenzen

1. Eine Voraussetzung negativer Art:

Die vollkommene Kongruenz von Jesu transzendentalem

Identitätsvollzug mit seiner geschichtlichen

Lebensgestaltung im Sinne seiner Sendung gründet nicht in

einer anthropologischen oder kosmologischen Not-

wendigkeit.

2. Offenbarungstheologische Voraussetzungen:

Wenn Gott als der Absolute sich dem Menschen als

geschöpfliche Person offenbart, dann kann dies nur ein

Geschehen aus freier Liebe sein.

Die Person Jesu ist dann ein Hinweis darauf, dass die

Personalität des Menschen in der dreipersonalen Einheit in

Gott gründet und wahre Liebe Personsein voraussetzt und

vollendet.

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3. Eine Voraussetzung christologischer Art:

Der personbildende Kern dieses Jesus ist seine

Liebes-Relation zum Vater, aus der heraus er der ewige

Logos, Selbst-Ausspruch des Vaters, also der Sohn ist.

Alle menschlichen Entscheidungen und alle zutiefst

menschlichen Akte sind also geprägt vom Logos in seiner

ewigen Liebes-Relation zum Vater (wahrer Gott und wahrer

Mensch).

Von daher bilden die geschichtliche Seite des Lebens Jesu

als Mensch und der transzendentale Vollzug der Person

Jesu in reiner vollkommener Bezogenheit zum Vater eine

nicht lösbare Einheit.

4. Eine Konsequenz glaubensmäßig - soteriologischer Art:

Im Glauben als Freundschaft mit Jesus Christus findet der

Mensch die Tiefe seiner eigenen Personalität und Freiheit in

der sich selbst übersteigenden Begegnung mit Gott sowie in

der Begegnung mit den Nächsten mitten in den Akten seines

alltäglichen Lebens.

Gemeinsames Medium dieser Begegnung ist die Liebe.

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6.     Erkenntnistheoretische Abschlussbemerkung und

Darstellung eines großen Streites

Balthasars Kritik an Rahner

1. Ist die übernatürliche Transzendenz schon Gnaden-

erfahrung? Und wenn ja, ist eine solche Erfahrung bereits

eine Begegnung mit dem personalen Gott und von daher

implizit spezifisch christlich-trinitarisch geprägt?

2. Theologie hat vom geschichtlichen Faktum des

Menschgewordenen auszugehen, das "jede transzendental-

theologische Relativierung des Ereignisses ... ver-

unmöglicht" und die Schöpfung je schon als theologisch

überformt qualifiziert. Gerade das Kreuz als Mitte christ-

lichen Glaubens ist transzendental nicht einholbar.

3. Die transzendentale Reflexion des kategorialen Erkennens

führt den Menschen nicht über sich hinaus, sondern führt

ihn zu sich selbst als Frage zurück. Es ist deshalb nicht

legitim, die christliche Wahrheit in ihrer unableitbaren

Einzigartigkeit transzendental als vom "anonymen Chri-

sten" immer schon gewusst, weil transzendental vorge-

zeichnet, vorwegzunehmen.

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II. Jesus der Christus im Licht des biblischen

Zeugnisses - eine systematische Rückfrage

1. Das Alte Testament

1.1 Das Alte Testament als

Verstehenshorizont der Person Jesu

Christi

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1.2. Heilserfahrungen im Alten Bund

1.2.1 Heil als gesegnetes, erfülltes LebenEin gelungenes Leben in Gesundheit mit Nachkommen sowie

in einem befriedeten Land in Recht und Freiheit samt einem

intakten Gotteslob galt als ein Leben in Fülle.

(1 Sam 17,26.36; Ps 42,3 , Ps 36,10, Dtn 30,19f; Ez 18,4-9)

1.2.2 Gottes erlösendes Handeln als geschichtlicheBefreiung

Das Heil wird verstanden als Befreiung aus leiblichen, sozialen, ökonomischen Zwängen.

Rückgriff auf Mittlergestalten wie Mose oder Debora (vgl. Ri 5,2-31; 3,9f; 4,3-10).

Die Herausführung aus Ägypten gilt als Befreiungstat schlechthin, die gegenwärtig gehalten wird

a) im erzählenden Bericht (vgl. Ex 3,7f; 13,17-14 u. ö.),b) in prophetischer Rede (vgl. Hos 11,1; 13,4 u. ö.), c) im Hymnus (vgl. Ps 68; 77f; 105; 107 u. ö.), d) im Kult (vgl. das sog. kleine geschichtliche Credo in

Dtn 26,5-10).

Die Grunderfahrung der Befreiung besitzt handlungs-orientierenden Charakter (vgl. Ex 20,2; Dtn 5,6f vgl. Lev 25,17.38-46).

Das Heil des einzelnen besteht in Errettung aus äußerer oder innerer Not (vgl. Ps 17; 18; 30 u. a.).

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1.2.3 Heil als Herrschaft Jahwes auf dem Zion, im Tempel und in der Davidsdynastie

Der Ort der heilschenkenden Gegenwart Jahwes ist der Tempel, der Zionsberg, ja die gesamte Stadt Jerusalem (vgl. 1 Kön 8,12f; Ps 9,12 und Jes 8,18); dies besingen die Zionslieder (Ps 46; 48; 76; 87).

Jes 7,9 und 28,16 schärfen den Glauben als notwendige Voraussetzung ein.

Die Heilszusage verwandelt sich in Unheilsankündigung (vgl. z. B. Jes 6,9-13; 3,8.16-24; 22,1-14), Schuldanklage und Gerichtsansage (vgl. Mi 1,5.9; 3,10; Zef 1,4.12f; Jer 7,11f; 15,5f; 26,6 u. ö.).

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1.2.4 Sünde, Sühne und gnadenhafte Erlösung

Zur Wiederherstellung der gestörten Ordnungs-verhältnisse gab es im Alten Bund Sühnerituale: Sündenbockritus (vgl. Lev 16,10.21f); Hingabe des Blutes im stellvertretenden Opfertier (vgl. Lev 17,11): Der Mensch erfährt Entsühnung und befindet sich in einer geläuterten Beziehung zu seinem Gott.

Ein vertieftes Sündenbewußtsein im Zusammenhang mit dem Babylonischen Exil führt dazu, daß fast der gesamte Kult als Sühne verstanden wird (vgl. Ez 43,7).

Die prophetische Kult-Kritik seit Hosea warnt davor, den sühnenden Kult als Alibi für fehlende Nächstenliebe zu verstehen (vgl. Hos 6,6; Am 5,21-25).

1.2.5 Das Gericht und neue eschatologische Heilshoffnungen

Die Zerstörung Jerusalems samt Tempel und Königtum (587/586) sowie die Deportation ins Exil waren die Katastrophe schlechthin. Alle Heilshoffnungen brachen zusammen (vgl. Ez 16; 20; 23):

Jes 55,6-7; Ez 33,10-20 sind Zeugnisse aufkeimender Heilshoffnung (vgl. Jes 43,18f): die Heimkehr des Volkes als neuer Exodus (vgl. Jes 43,16ff) und die nationale Wiederauferstehung (vgl. Esra 40-48).

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1.2.6 Hoffnung auf eine universale innere und äußere

Erlösung

Das errettende Heil bezieht sich auf ein zukünftig-

eschatologisches Geschehen, das die innersten

Schichten des Menschen erfasst

Zudem soll diese Erneuerung alle Völker, ja den

ganzen Kosmos betreffen.

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1.3 Mittlergestalten des göttlichen Heilshandelns

Lichtherrlichkeit: kabod; rabbinisch: schechinah

Name

Weisheit (Spr 8-9; Sir 24): chokmah; griechisch: sophia

Wort (dabar; LXX: logos)

Geist Gottes (ruah)

Diese Formen und Medien der Selbstoffenbarung Jahwes

vergegenwärtigen Gott unmittelbar und sind fast mit

ihm identisch.

Daneben gibt es noch

charismatische Heilsmittlerfunktionen (vgl. Ri 3,10; 6,33f; 1

Sam 11,6) in vorstaatlicher Zeit

ein königliches und priesterliches Mittleramt in staatlicher

Zeit

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1.3.1 Die vorexilische Königstheologie

König als Retter und als Mittler des Segens JHWHs

Prophetische Kritik am Königtum (vgl. Ri 9,8.15; 1Sam

8,6-20; Hos 8,4)

König als der „Gesalbte JHWHs“ (vgl. 1Sam 2,10.35)

Geistbezug

„Messias“ als Titel des Königs

Die Theologie des königlichen Amtes nach Ps 2,6-9:

1. Der König ist nicht naturhaft-physisch Gottes Sohn,

sondern er wird anlässlich der Inthronisation „heute“

von Jahwe als Sohn adoptiert; durch diesen Sohn kann

Jahwe sich als wirkmächtig erweisen. Mit Jahwe ist der

König Hirte (2 Sam 5,2) und Hüter seines Volkes, aber

auch Israels eigentlicher Priester (Ps 110,4).

2. Außer der Gottessohnschaft werden dem König

Weltherrschaft und Überlegenheit zugesagt.

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1.3.2 Die messianische Erwartung

- Hoffnung auf den Anbruch einer gerechten und

friedvollen, messianischen Zeit.

- Propheten verheißen zukünftige Herrschergestalt:

Natansankündigung (2 Sam 7,11b.16)

Immanuelorakel (Jes 7,6.13.14)

Jesaja sagt die Geburt eines dynastischen

Erben voraus als Unterpfand dafür, dass

Jahwe seinem Volk beistehen werde.

- Die ideale Königsgestalt (Jes 9,1-7):

Altorientalistisches Königsideal

Nähe des Königs zu Gott als Gottes Mittler in

der Welt

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1.3.3 Wechselnde Heilsmittlerhoffnungen in

nachexilischer Zeit

Nach der Zerstörung Jerusalems: Zentrale Rolle des Wortes und der Propheten, als Mittlergestalten.

Ezechiel: Wiederauferstehung des Volkes Ez 34,23f; 37,24f; 34,25-31; 2,1; 39,29.

Deuterojesaja : Gottesknechtslieder Jes 42,1-9; 49,1-9c; 50,4-9; 52,13-53,12.

Tritojesaja : Das erwartete Licht der Völker bleibt noch aus, aber der Prophet weiß sich messianisch beauftragt.

vgl. Jes 58,8; 61,1f.

Haggai/Sacharja : eschatologische Begeisterung Hag 2,23; Sach 3,8; 6,12; vgl. Hag 1,1.

Priesterschrift : Das Priesteramt ist jene Institution, die Israel vor Jahwe vertritt und Jahwes Heil in der Gegenwart vermittelt vgl. Lev 21,7f.10.12; Num 35,25.

Deuterosacharja : verheißt den erwarteten König der Zukunft Sach 9,9f.

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1.3.4 Die Hoffnung auf den „Messias“ bzw. den

Menschensohn

Die frühjüdische Apokalyptik forderte einen völlig

radikalen Neuansatz (vgl. Dan 2,34f.44f.; 3,33).

Dieser Menschensohn ist der kollektive oder

individuelle Repräsentant des siegreichen

Gottesreiches über alle weltlichen Imperien.

Er ist die Verbindung zwischen dem transzendenten

Gott und den konkreten geschichtlichen

Verhältnissen, die gerichtet werden.

Von daher steht der Menschensohn in einer gewissen

Nähe zur davidischen Königstheologie

So ist in äethHen 46,1-8; 48,6f aus dem Menschensohn

eine individuelle Gestalt von irdischer Herkunft

geworden (62,14).

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1.4 Die Offenheit des Alten Bundes

Hans Urs von Balthasar:

Drei Argumente, um die Offenheit des Alten Bundes neu

zu qualifizieren

1. Nachexilisch wird die Geschichtszeit des Bundes

als leere Zeit empfunden Es wird Hungersnöte

geben, weil das Volk keinen Hunger nach Gott

besitzt (vgl. Am 8,11-12); es gibt keine Propheten

mehr (1 Makk 4,46; 9,27).

2. In der ereignislosen Zeit nach dem Exil wurde

das Interesse u. a. auf das Wort gelenkt.

3. Zur Treue am Wort gesellte sich die sühnende

Darbringung des kultischen Opfers. Dazu floss

Blut vom Lebendigen. → Damit offenbart sich

nach Balthasar ein wesentliches Paradox des

Alten Bundes offenbart.

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„So ist der Alte Bund innerlich zu

einem zeitlichen Ende hin angelegt, das

allerdings nicht als Zeitlosigkeit, son-

dern nur als das Mysterium des

Ineinsfalls von echter Zeit und echter

Ewigkeit gedacht werden kann: Eintritt

echter Ewigkeit in die Zeit (Mensch-

werdung Gottes), Eintritt echter Zeit in

die Ewigkeit (Auferstehung Christi und

in ihm der Schöpfung).“

(H. U. von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik.

Bd. III,2,1, Einsiedeln 1967, 380.)

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2. Person und Geschichte Jesu Christi2.1 Der irdische Jesus

2.1.1 Biographische Daten

Datum Politische Herrscher Ereignisse

7-4 v. Chr. Herodes I (37-4 v. Chr.)

Augustus (27 v. Chr. - 14

n. Chr.)

Geburt in Bethle-

hem (Judäa)

27-28 n. Chr. Antipas, Tetrarch von

Galiläa und Peräa

(4 v. Chr. - 39 n. Chr.)

Tiberius (14-37)

Taufe im Jordan,

Beginn des

öffentlichen

Wirkens

07.04.30 (?)

um 33

33/35

Pontius Pilatus (26-36) Kreuzigung

Ostererfahrung der

Jünger

Tod des Stephanus

Bekehrung des

Paulus

(G. L. Müller, Christologie, in: W. Beinert, Glaubenszugänge Bd. 2, 86.)

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2.1.2 Johannes der Täufer und Gottes

Zorn

Gerichtsbotschaft des Johannes: Mt 3,7-10 parr

(vgl. Am 5,20; Joel 2,2; Zeph 1,15; Jes 13,3.9.13; Ez

7,3.8.19).

Johannes' Umkehrtaufe ist ein endzeitlicher

Akt, der in keiner heilsgeschichtlichen

Kontinuität mehr steht.

Wir können davon ausgehen, dass Johannes,

wenn er sich als „Vorläufer“ bezeichnet hat,

Bezug auf den Messias oder Menschensohn

genommen hat.

Menschensohn: äthHen 46,6; 49,2f; 52; 50,2;

51,2ff; 48,9; 51,1-5; vgl. Herodot 6,19.

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2.1.3 Die Botschaft Jesu

2.1.3.1     Die Gerichtsaussagen in der

Ver kündigung Jesu

Die Botschaft vom Gericht ist mit der

Verkündigung Jesu unlösbar verbunden:

vgl. Mt 8,11f; 18,23-34; Lk 10,23f par;

11,31f.

Ein doppelter Gerichtsausgang: Lk

17,20ff (= aus Q); Mk 9,43-48 par; vgl. Lk

12,8f.

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Grundsatzbestimmungen:

a) Indem der Mensch sein eigenes Gottesbild in

den Vordergrund stellt und mit Tora und Kult

von sich aus das Gottesverhältnis gestaltet, wird

er als Geschöpf nicht seiner tieferen

Bestimmung gerecht.

b) Diese grundsätzlich falsche Lebensaus-

richtung, die zu kurz greift, wird zudem Gott

selbst in seinem Gottsein nicht gerecht. Diesen

Gott bestimmt Jesus vielmehr als den

barmherzig liebenden Vater (vgl. Lk 15,11ff).

c) Gott ratifiziert nicht einfach in einem

angenommenen Letzten Gericht menschliche

Lebensentwürfe, sondern Jesus propagiert

einen Gott, der durch Jesu Tun seine Güte

aufleuchten lassen möchte, damit der Mensch

sich erneut an der Liebe Gottes ausrichtet.

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2.1.3.2 Die Botschaft von der Herrschaft

Gottes

a) Die Rede von der Herrschaft Gottes im

Frühjudentum

Königsvorstellung Gottes in der Zionstheologie: vgl. Jes 6,1ff;

Zionspsalmen 46; 48; 84; 87; Jahwe-König-Psalmen: 47; 93;

96-99; vgl. für die weitere Wirkungsgeschichte auch Tob 13; Sir

51,12; 2 Makk 1,24-29f.

Offizielle Tempeltheologie: vgl. Jes 6,1ff; vgl. Ps 47,9

Einige Aspekte:

a) Der königliche Gott Israels ist umgeben von einem großen

Hofstaat (vgl. Ps 103,19ff).

b) Als König ist Jahwe Herrscher über alle Völker und deren

Götter (vgl. Ps 2).

c) Er ist König der Erde (vgl. Ps 47,8).

d) Jerusalem als irdischer Regierungssitz symbolisierte

zugleich, daß die Zionstadt samt Tempel Thronsitz des Herrn

der Welt ist.

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b) Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft

ba) Zukunft, Gegenwart und Nähe der Gottes-herrschaft

1. Akzent: Die Zukünftigkeit der Gottesherrschaft

Ziel ist die vollendete Gottesherrschaft, aber ihre Dynamik

wirkt schon jetzt, in Jesu Tätigkeit.

2. Akzent: Die Gegenwart der Gottesherrschaft

Die Gegenwart ist Anfang der Heilszeit. Dabei hebt Jesus

aber zugleich die Jetztzeit von der Vergangenheit ab:

- Mt 13,16f = Lk 10,21f

- Mt 11,5f = Lk 7,22f

- Mt 11,11 = Lk 7,28

- Mt 8,21f = Lk 9,50f; Mk 2,21ff

3. Akzent: Die Person Jesu als „Ort“ der anbrechenden

Gottesherrschaft: Lk 10,18; 11,20 par.

Fazit: Jesus sieht die zukünftige Gottesherrschaft sich jetzt

durchsetzen. In seinem Wirken fallen Gegenwart und

Zukunft schon zusammen (vgl. Mk 2,18-22).

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bb) Die geschöpfliche Wirklichkeit als Horizont der

Gottesherrschaft

„Für Jesus gibt es ganz unabhängig von der

Heilsgeschichte eine fundamentalere und

umfassendere Erfahrungswelt, die angesichts der

Verlorenheit Israels, radikalisiert durch die

verbrauchte Heilsgeschichte, gleichwohl für die

dem Menschen als heilsam begegnende

Gottesherrschaft durchsichtig gemacht werden

kann, nämlich seine eigene Geschöpflichkeit und

die seiner Welt. Diese Gesamtwelt alltäglicher

Geschöpflichkeit und nicht die Heilsgeschichte ist

der Horizont, in dem die von Jesus verkündigte

Gottesherrschaft dem Menschen nahe ist und

erfahrbar wird.“2

J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin/New York 1996, 162.

2 Ebd. 162Folie 61

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bc) Gericht und Errettung

Die Gottesherrschaft ist ein Angebot purer

Liebe, auf die der Mensch keinerlei Anspruch

erheben darf. So unterliegt die Vollmacht,

Sünden zu vergeben, allein der hoheitlichen

Barmherzigkeit des Vaters (vgl. Mk 2,1-12; Lk

7,47; Joh 7,53-8,11 = sekundär).

Gericht: Entscheidung für oder gegen die von

Jesus angesagte Gottesherrschaft (Mt 7,24-27;

24,38-42).

Annahme oder Ablehnung dieser Botschaft

Entscheidung über Leben oder Ruin.

Jetzt ist eine qualifizierte Zeit gegeben, die die

Menschen verpflichtet (Mk 9,43.45.47).

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2.1.4 Vermittlungsweisen der Gottesherrschaft

2.1.4.1 Die Gleichnisreden

“Im Gleichnis spitzt sich die

Sprache so zu, daß das, wovon die

Rede ist, in der Sprache selber

konkret wird und eben dadurch

die Angesprochenen in ihrer

eigenen Existenz neu bestimmt...

Im Gleichnis ereignet sich etwas,

und zwar so, daß sich dann auch

durch das Gleichnis etwas

ereignet.“

(E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 51986, 400.)

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Allegorien leiten von einer Welt in die

andere über. Die initiale Erzählebene hat

dabei dienende Funktion, da das eigent-

liche Gewicht mit der unterlegten Welt

gegeben ist (vgl. Mt 22,1-14).

Gleichnisse greifen vertraute Szenen aus

dem Alltag auf. Dieses Vertrauen soll den

Hörer vertrauensvoll zur Nähe des Gottes-

reiches führen.

Parabeln interessieren sich für den

besonderen Einzelfall. Dabei erhält die

alltägliche Normalität unerwartete Risse,

so daß die Welt und das Weltverstehen in

eine Krise geraten. So wird Nähe zur un-

gewöhnlichen Botschaft Jesu erzeugt.

Beispiel: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32)

Gleichnis AllegorieFolie 64

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1. Es gibt nur ein tertium comparationis zwischen Bild- und Sachhälfte, die jeweils als ganze auf-einander zu beziehen sind (sog. "one-point-approach").

1. Es gibt viele Vergleichs-punkte zwischen Bild- und Sachhälfte (vgl. die Punkt-für-Punkt-Auslegung Mk 4,13-20; Mt 13,36-43).

2. Das Gleichnis ist aus dem Vergleich entstanden, bei dem Bild und Sache nebeneinander stehen und durch die Vergleichs-partikel "wie" verbunden werden.

2. Die Allegorie entsteht aus der Metapher, bei der das Bild die Sache ersetzt. Allegorien enthalten eine Metaphernkette, bei der jedes Glied für sich übersetzt wird.

3. Die verwendeten Bilder sind realistisch und entsprechen alltäglicher Erfahrung.

3. Die verwendeten Bilder sind künstlich und konstruiert. Sie widersprechen alltäg-licher Erfahrung (vgl. das Tier mit den sieben Hörnern aus Dan 7).

4. Die Sachaussage ist all-gemein verständlich, die bildliche Form dient der Anschaulichkeit. Gleich-nisse sind kommunikativ.

4. Der Inhalt ist nur Ein-geweihten verständlich, die über einen "Schlüssel" zum Verstehen verfügen (vgl. die Parabeltheorie Mk 4,10-12). Allegorien sind esoterisch und darum exklusiv.

5. Die Gleichnisse gehen auf den historischen Jesus zu-rück, der sich an alle Men-schen gewandt hat.

5. Die Urgemeinde (und die ganze spätere Kirche) deu-tete die Gleichnisse als Allegorien.

(Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen, 1996, 292f.)

Gleichnisse

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"Gleichnisse (i. e. S.) unterscheiden sich von Ver-gleichen und Bildworten durch die Ausführlichkeit der Bildgestaltung... Sie schildern ein wiederkehrendes, typisches Geschehen, das (meist) im Präsens dargestellt wird. In der Argumentation knüpfen sie oft an das Selbstverständliche an, das überall Konsens findet. Klassische Beispiele sind z. B. die Gleichnisse vom Senfkorn und Sauerteig (Mk 4,30-32)."

Parabeln

"Parabeln dagegen erzählen (im Aorist) einen ungewöhnlichen Einzelfall und argumentieren gegen den Konsens. Sie fordern zu einer Stellungnahme zu dem berichteten ungewöhnlichen Verhalten heraus und wollen dadurch auch auf der Sachebene eine Einstellungs- und Verhaltensänderung bewirken. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Formen sind fließend. So begegnet im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat ein typisches, wiederkehrendes Geschehen in der Form einer Erzählung - Jülicher rechnet die Perikope zu den Parabeln, Bultmann dagegen zu den Gleichnissen (i. e. S.)."(Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen, 1996, 295.)

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2.1.4.2     Mahlgemeinschaft als Aufnahme in die

Gottesherrschaft

Alttestamentlich: Jes 25,6; vgl. Ps 132,15; 146,7; 147.

Jesu Gastmähler sind Ereignisse der ankommenden

Gottesherrschaft selbst:

Mt 11,18f = Lk 7,33f.; Lk 10,7 = Mt 10,11; Lk 14,15-24 =

Mt 22,1-10

Mk 1,31; 2,15ff; 2,18ff; 3,20; 7,1ff; 14,3ff; Lk 8,1-3;

10,8.38ff; 13,26; 14,1ff; 15,1f.

Besondere Charakteristika:

1. Sie stehen im eschatologischen Horizont der

angebrochenen Gottesherrschaft.

2. Sie integrieren Ausgestoßene und Sünder (vgl.

Mt 5,3 par; 11,5 par; vgl. Lk 14,21 par; vgl. Mt

11,19 par).

3. Sie werden mehrfach gefeiert.

Kritik gesetzestreuer Juden: Mk 2,15-17 par; Mk 7,1-23 par;

Lk 15,1ff (vgl. Mt 11,19 par; Mt 22,9f par).

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2.1.4.3 Wunderheilungen

a) Zeichen des anbrechenden Gottesreiches mitten in der

Welt.

b) Zeichen für die Sendung und Vollmacht Jesu, der sich

in der Sendung des Vaters weiß.

c) Sie verweisen auf das ganzheitliche Heil, das dem

Menschen verheißen ist und das in Jesu

wundersamem, heilendem Tun bereits proleptisch

vorweg aufleuchtet.

Zwischen den Wunderberichten und deutenden

Logien ist zu unterscheiden.

Legendäre Wunderberichte wollen:

a) die Lehrvollmacht Jesu begründen (Mk

1,21-27)

b) urgemeindliche Lebensnormen fundieren (Mk

3,1-6 par)

c) oder sie dienen der Gemeindeparänese (Mk

8,22-26).

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Negativ scheiden folgende Wundertypen als

nicht jesuanisch aus:

- Selbsthilfewunder (vgl. Mt 4,5-7 par Mk

15,31f parr)

- Strafwunder (vgl. Lk 9,52-55; Apg 5,1-11)

- Christologische Epiphanien (Mk 1,9-13 parr,

6,45-52 parr; 9,2-10 parr)

- Wunder an der außermenschlichen

Schöpfung (Mk 6,32-44 parr; 8, 1-10 par; Joh

2,1-10)

- Totenerweckungen (Mk 5,21-43 parr; Lk 7,11-

17; Joh 11,1-44)

- Normative Einschübe in Wundergeschichten

sind zu isolieren und als Einschub

wahrzunehmen (vgl. Mk 2,1-12; 3,1-6).

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Positiv liegt bei den Therapien (z. B. Mk 1,29-31

parr; 1,40-45 parr) und Exorzismen (vgl. Mk 1,21-

28 parr; 7,24-30 par) wohl ursprüngliche

Jesuswirklichkeit vor.

Wortüberlieferung (Logien) mit z. T. echtem

Jesusgut:

- aus der Logienquelle: Lk 7,22f par; 10,13-15 par;

10,23f u. ö.

- aus Markus: 3,4 parr; 3,21 parr; 3,23-27 parr u. ö.

- aus dem Lk-Sondergut: Lk 4,25-27; 10,18; 13,32.

Fazit: Die Wundertätigkeit Jesu hat für das

Wirken Jesu als konstitutiv zu gelten, und zwar

als Vermittlungsweise der Gottesherrschaft.

Diese Herrschaft will das Heil und die Befreiung

des ganzen Menschen. Dies realisiert Jesus durch

sein therapeutisches Tun in proleptischer Weise.

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Kann man in unserer heutigen

modernen, naturwissenschaftlichen

Welt die Rede vom Wunder noch

aufrechterhalten?

"Mit der Kontingenz des Geschehens ist ...

eine unmittelbare Beziehung jedes einzelnen

Ereignisses auf den göttlichen Ursprung aller

Dinge gegeben, unbeschadet aller Beteiligung

von geschöpflichen ‘Zweitursachen’ an dem,

was geschieht. Weil es nicht selbstverständlich

ist, dass überhaupt etwas geschieht, darum ist

nicht nur das Entstehen, sondern auch und

erst recht der Fortbestand der kreatürlichen

Gestalten und Zustände in jedem Augenblick

wunderbar.“

(W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2,

Göttingen 1991, 62f.)

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Philosophisch-theologische Ebene:

a) Zum Wunder gehört auf der phänomenalen Ebene

das Außerordentliche, das Staunen erregt. Dieses

Ereignis ist jedoch für sich vieldeutig. Eindeutigkeit

erhält es erst durch die Verkündigung, die im Glauben

anerkannt wird.

b) Zum Wunder auf der religiösen Ebene gehört, dass es

einer persönlichen Initiative jenes Gottes entspringt,

der uns Menschen personal ansprechen und in seine

Gemeinschaft führen will. Diese Anrede verleiblicht

sich auf vielerlei Weise.

c) Diese Verleiblichung geschieht durch geschöpfliche

Zweitursachen (z. B. Tun und Wort Jesu), wobei es zu

einer eigenartigen Steigerung von geschöpflicher

Realität und göttlichem Handeln kommt.

d) Aufgrund der geschöpflichen Vermittlung ist ein

Wunder in sich vieldeutig. Es ist somit zugleich

Entscheidungsraum des Glaubens.

(Vgl. W. Kasper, Jesus der Christus 111f.)

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2.1.5 Die Sendungsautorität Jesu

2.1.5.1 Der Anspruch Jesu und sein Wissen

Dass Jesus sich selbst einen hohen autoritativen Anspruch gegeben hat, können wir aus folgenden neutestamentlichen Fakten ersehen:

a) Er übt Tischgemeinschaft und realisiert so eine umfassende, befreiende Schöpfungsgemeinschaft mit allen Menschen. Er handelt an Gottes Stelle (als Finger Gottes).

b) Er verkündigt mit einer Autorität, die sich sogar über die Tora stellt. Diese Vollmacht gründet in ihm selbst (vgl. Mk 1,22.27).

c) Er ruft Jünger in seine Nachfolge; an ihm entscheidet sich die Stellungnahme des Menschen dem Reich Gottes gegenüber. Die Berufung (vgl. Mk 1,17) geschieht frei und souverän (vgl. Mk 3,13).

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2.1.5.2 Die Hoheitstitel

a) Jesus als Messias

Die Frage, ob Jesus selbst diesen Titel für sich verwandt hat, lässt sich an folgenden Stellen entscheiden:

Petrusbekenntnis in Mk 8,27-33 parr

Kunstprodukt des Markus

Streit um die Davidssohnfrage in Mk 12,35-37 parr

eindeutig nachösterlich

Bekenntnis Jesu vor dem Synedrium in Mk 14,60-64 parr

markinische Redaktion

Resümee:

Erst von der nachösterlichen Bekenntnisbildung her wird der Messiastitel auf Jesus übertragen. Die verschiedenen Konzepte, die dabei angewandt werden, verweisen darauf, dass Jesus selbst hier keine Vorgaben gemacht hat. Die ältesten Spuren solcher Bekenntnisbildung in Röm 10,9; 1 Thess 1,10 zeigen darüber hinaus, dass diese Traditionen die christologische Hoheit Jesu erst mit Ostern beginnen lassen.

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b) Jesus und der Menschensohn

Der Begriff Menschensohn begegnet exklusiv nur in Jesus-Logien. Keine andere Person spricht vom Menschensohn. Allerdings spricht Jesus vom Menschensohn nie in Ich-Form, sondern nur in Er-Form. Diese Distanzierung, wie sie z. B. in Lk 12,8 vorliegt, lässt den Eindruck entstehen, als handle es sich um zwei verschiedene Personen.

Nach den Synoptikern nimmt Jesus keine andere Bezeichnung für eine endzeitliche Hoffnungsgestalt in den Mund.

Die nachösterliche christologische Konzeption umschreibt Jesus sehr kräftig in der Funktion des Menschensohnes, der an Ostern erhöht wurde, aber bald wiederkommen wird, um Gericht zu halten. Dabei wird jedoch der Titel „Menschensohn“ nicht direkt auf Jesus übertragen (1 Kor 16,22; 1 Thess 1,9f; 4,13ff).

Fazit:

Einige Menschensohnworte werden wohl auf Jesus selbst zurückgehen. Aufgrund dieser Vorgabe hat sich dann nachösterlich zunächst die Christologie als Menschensohn-christologie entfaltet. Dennoch liegt es nahe, dass Jesus mit dem Menschensohn jemand anderes als sich selbst gemeint hat (vgl. Lk 12,8).

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Die Menschensohnchristologie der Synoptiker beschreibt

die Hoheit Jesu auf dreifache Weise:

1. Der Menschensohn muss leiden und auferweckt werden

(vgl. Mk 8,31 parr; 9,31 parr; 10,33f parr; Mk 9,9 = Mt

17,9; Mk 10,45 = Mt 20,28; Mk 14,21 parr; Mk 14,41 = Mt

26,45)

2. Darüber hinaus gibt es Aussagen vom gegenwärtig

wirkenden Menschensohn. Sie sind an der Vollmacht

Jesu als Menschensohn interessiert (vgl. z. B. Mk 2,10

parr; 2,28 parr; für die Logienquelle: Mt 8,20 = Lk 9,58; Mt

11,19 = Lk 7,34).

3. Schließlich gibt es Aussagen über den kommenden

Menschensohn, in denen die frühjüdischen Elemente am

deutlichsten spürbar sind. Jesu Autorenschaft ist hier

wahrscheinlich (vgl. Lk 17,26-30 = Mt 24,37-41).

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c) Jesus, der Sohn Gottes

Die sich ausfaltende Rede vom Gottessohn bot der

frühesten Christologie mehrere Möglichkeiten:

Das innerste Persongeheimnis, die Sendungs-

autorität Jesu konnte anschaulich zur Sprache

gebracht werden: Als menschgewordener

Gottessohn ist er das Bild des unsichtbaren Gottes

(vgl. Joh 1,14).

Den Titel konnte man im Rekurs auf das

Natansorakel in 2 Sam 7,12-14 bzw. Ps 2,7 mit den

Messiasaussagen sowohl auf den leidenden

Gerechten wie auch auf den erhöhten Messias

Jesus übertragen.

Schließlich konnte man vom Titel des

„Gottessohnes“ aus die Linien zur

Schöpfungsmittlerschaft und zur Präexistenz

ziehen.

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„Wie die Texte zeigen, ist ‘der Vater’ und ‘der

Sohn’ in der Regel nebeneinander angewandt

worden. Von dem Sohn wird dort gesprochen, wo

auch die Vaterschaft Gottes ausdrücklich genannt

ist. Es geht um das Aufeinanderbezogensein von

Vater und Sohn. ‘Der Sohn’ ist Jesus vom Vater

her, und ‘der Vater’ ist Gott wegen und durch den

Sohn. Man wird noch präzisieren können: die

Sohnschaft Jesu ist von der einzigartigen Stellung

und ihm verliehenen Vollmacht her zu verstehen.“

Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel, Göttingen 31966, 327.

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2.1.6 Der Tod Jesu

2.1.6.1 Der aufbrechende Konflikt: Umgang

mit der Tora

Autoritäten im Judentum: Tora und Kult

Jesu Verkündigung der basileia tou theou →

absoluter Neuanfang

Die Gottesherrschaft ist der Tora gegenüber

vorrangig

Die Sabbatkonflikte Jesu

Mk 3,6: „Da gingen die Pharisäer hinaus und

fassten zusammen mit den Anhängern des

Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.“

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2.1.6.2 Der Anfang vom Ende: der

Tempelprotest

J Gnilka und H. Merklein: Tempelprotest war

eine reale Tat Jesu.

Jesus greift nicht den Tempel als solchen an,

sondern er kritisiert die Art und Weise, wie

die Menschen mit der Gegenwart Gottes im

Tempel umgehen (kultische Vorgänge im

Judentum).

Jesu Tempelaktion = frontaler Angriff auf das

Judentum der damaligen Zeit.

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2.1.6.3 Das Letzte Abendmahl

Ritus Gebete1. Becher: Eingießen von Wein u.

WasserAuftragen der Vorspeise

2 Segensgebete (Hausvater od. vor-nehmster Gast)

2. Becher: Auftragen des Haupt-gerichtes(Passahlamm, ungesäuertes Brot,grüne Bitterkräuter)

Dankgebet (Hausvater), Hände-waschung Verkosten und Austeilen der Speisen

Frage eines Kindes (Gastes): "Warum ist diese Nacht verschieden von allen Nächten?"- Verlesung der Passah-Haggada (Auszug aus Ägypten) - Rezitation des großen Hallel I (Pss 113; 114,1-8)

Leerung des 2. Bechers Essen der Hauptmahlzeit

Händewaschung, Lobgebet

3. Becher: Mischung des Bechers, der nun herumgereicht wird

4. Becher: Mischen und Trinken

Dankgebet (daher: Kelch des Segens)

Rezitation des großen Hallel II (Pss 115-118

[G. Koch, Sakramentenlehre - Das Heil aus den Sakramenten, in: W. Beinert (Hrsg.), Glaubenszugänge. Bd. 3, 426f (Schaubild erstellt von W. Beinert).]

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Jesu Brot-Handlung

Jesu Wein-Handlung

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„Er hinterläßt seiner Jüngerschaft ein Mahl,

in dem die Menschen des kraft seines Todes

eröffneten Bundes mit Gott als Anwärter

des endgültigen Gottesreiches teilhaftig

werden und in dem er im Zeichen des Brotes

unter ihnen bleibt. Jesus hat somit seinem

Tod eine heilseffiziente Wirkung zu-

gesprochen, die aber in ihrer Ausrichtung

auf das Reich Gottes gesehen werden muß.“

J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (1-8,26) (EKK II/1),

288.

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Mk 14,22-24: 22Während des Mahls nahm er das Brot und sprach

den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es

ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib.23Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet,

reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle

daraus.24Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut

des Bundes, das für viele vergossen wird.

Mt 26,26-28:26Während des Mahls nahm Jesus das Brot und

sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot,

reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und eßt;

das ist mein Leib.27Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet

und reichte ihn den Jüngern mit den Worten:

Trinkt alle daraus;28das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele

vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

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Lk 22,19f:19Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das

Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist

mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu

meinem Gedächtnis!20Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte:

Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das

für euch vergossen wird.

1 Kor 11,23-25:23Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch

dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der

Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot,24sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das

ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem

Gedächtnis!25Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und

sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem

Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem

Gedächtnis!

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Für die innerste Personalität Jesu bedeutet dies ein

mehrfaches:

Im Angesicht des Todes und im Hinblick auf die eigene

absolute Hilflosigkeit und Ohnmacht bewährt sich

nochmals Jesu relationales Selbstverständnis zum Vater

hin.

Für die Soteriologie bedeutet dies: Der letzte Heils/sinn

dieses Sterbens liegt nicht in einem dar-zu-bringenden

Opfer, sondern es liegt in der Hingabe aus Liebe.

Der Vater lässt es zu, dass der menschgewordene Logos

durch seinen Tod nochmals die radikale Ablehnung der

Menschen von innen einholt. Jesus, der Mensch,

entsprechend geht seine letzten Schritte im Gehorsam

gegenüber der väterlichen Sendung.

Durch die Selbsthingabe des Menschen Jesus, auch in den

Heilswillen Gottes hinein, vollendet sich die totale Liebe

für die Verlorenen.

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2.1.6.4 Prozess und Hinrichtung

2.1.6.5 Ansätze zu einer Theologie des

Kreuzestodes

a) Grundsatzüberlegungen

b) Neutestamentliche Interpretationswege

Nach Röm 8,32 wie auch nach Joh 3,16; 10,17-18 erwirkt die „Dahingabe“ des „Sohnes Gottes“ „für uns alle“ die Versöhnung: Opferlamm (vgl. Joh 1,29; 1 Kor 5,7); der Opferpriester (vgl. Hebr 3,14ff und 9,14), Sühnende (vgl. Röm 3,25), Rechtfertigende (Röm 5,9), der den Neuen Bund Besiegelnde (Mt 26,28 parr und 1 Kor 11,25).

Jesu Hingabe für uns geht bis zu einem Platztausch. Der Preisgegebene wird „zur Sünde gemacht“ (2 Kor 5,21) und „zum Fluch“ (Gal 3,13), damit wir „Gottes Bundesgerech-tigkeit werden“ (vgl. 2 Kor 8,9; Joh 1,29; Röm 5,18; 6,3ff).

Die Frucht des Versöhnungsgeschehens kann als Befreiung des Menschen verstanden werden: aus der Sklaverei der Sünde (Röm 7; Joh 8,34), des Teufels (Joh 8,44), „des Gesetzes der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2) durch das „Lösegeld“ (Mk 10,45 par) des Blutes Christi (vgl. 1 Kor 6,20; 7,32; 1 Petr 1,18f).

Jesu Tod ist Befreiung zur Mit-Sohnschaft (vgl. Eph 1,5ff), indem wir „Glieder seines Leibes“ werden (1 Kor 12; Eph 4 u. ö.). Mit dem Geist Christi begnadet, dürfen wir Gott

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unseren Vater nennen (vgl. Gal 4,6f; Röm 8,10-17; Gal 5,13.18-25; Joh 8,31f).

Aufgrund der erbarmenden Liebe des Vaters (vgl. Röm 8,39) und Christi (ebd. 35) ist der Sohn vom Vater „für uns alle dahingegeben“ worden (ebd. 32). Die übergroße Liebe Gottes zur Welt hat ihn bewogen, seinen Sohn preiszugeben (vgl. Joh 3,16) und auf diese Weise die Welt mit sich zu versöhnen (2 Kor 5,19; Kol 1,20).

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c) Die Rede vom „stellvertretenden Sühneopfer“"Bei Paulus begegnet ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Versöhnungsvorstellung und dem Stellvertretungstod Jesu. Dieser Zusammenhang ist vorpaulinisch nicht nachzuweisen. Erst Paulus hat ihn hergestellt, indem er die profane katalassein-Vorstellung, die schon in der vorpaulinischen Tradition eine Rolle spielte (2 Kor 5,19a.b), mit der ebenfalls der vor-paulinischen Tradition entstammenden Vorstellung von Christi Tod 'für uns' verknüpfte (2 Kor 5,14.21; Röm 5,6-8). Mit den neutestamentlichen Texten wollen wir vom Tod Christi 'für uns' bzw. 'für unsere Sünden' als stellvertretendem Sühnetod reden. Wenn man hier nun den Begriff 'Sühne' einführt, bringt man die Sache allerdings auf einen Nenner, der in den paulinischen Texten selbst fehlt, da die Sühneterminologie an keiner Stelle mit Für-uns-Wendungen verbunden ist. Solange diese Tatsache beachtet wird und man sich darüber im klaren ist, dass die Vorstellung von Jesu Tod für uns traditionsgeschichtlich der deutero-jesajanischen 'Sühne'-Vorstellung, einer Sonderausprägung der alttestamentlichen Sühnevorstellung, entliehen ist, kann man vom stellvertretenden Sühnetod Christi als dem Ermöglichungsgrund der paulinischen Versöhnungsvorstellungen reden. Paulus interpretiert die Versöhnungsvorstellungen so, daß Versöhnung durch den stellvertretenden Sühnetod Christi ermöglicht wird ...".

(Cilliers Breytenbach, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie (WMANT 60), Neukirchen-Vluyn 1989, 221.)

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ca) Prinzip Stellvertretung

exklusive Stellvertretung

Eine Leistung wird vollkommen von einem Vertreter

abgegolten und braucht von dem Vertretenen nicht

mehr erbracht werden. Eine solche Vorstellung

entspricht jedoch nicht dem neutestamentlichen Befund.

inklusi ve Stellvertretung

Jesus wird verstanden als Repräsentant der Menschheit

insgesamt, so daß sich an ihm paradigmatisch vollzieht,

woran wir proleptisch, das heißt im Spannungsfeld von

Gegenwart und Eschaton, Anteil haben (vgl. Röm 6,5;

vgl. 2 Kor 5,14.17f; Röm 6,13f).

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cb) Sühne als theologische Kategorie

Gott als Subjekt des Sühnegeschehens

Trinitarischer Rahmen der Stellvertretung Jesu

Eröffnung neuer Gottesgemeinschaft für den Sünder

Dahlfert, Der Gekreuzigte Auferweckte, S. 271:„Von der Heilsbedeutung des Todes Jesu zu sprechen heißt, von diesem Tod so sprechen, daß das zur Sprache kommt, was das Neue Testament von ihm zu sagen sucht, wenn es ihn als Sühneopfer zur Sprache bringt.“

die kultkritische Pointe Nach Hartmut Gese ist Sühne die Inkorporation in die

Gemeinschaft mit Gott, also Wiederherstellung des Lebens-Kontaktes.

Als eschatologische Sühne Chisti ist das Handeln Gott universal entschränkt, d.h. ein für allemal geschehen (vgl. 1Joh 2,2).

Dahlfert spricht von einer Identitätsübertragung im Glauben, durch die der Tod Jesu für uns zum Heil wird, d.h. uns an der eschatologischen Nähe Gottes Anteil gibt.

Ihre Voraussetzung ist die Inkorporation Gottes in Jesus bis zu seinem Tod am Kreuz.

An die Stelle der das alttestamentliche Opfer strukturierenden Elemente von Konsekration und Inkorporation treten also Gottes Liebeshandeln und der Glaube.

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Die bleibende anthropologische Relevanz der Sühne

Menschen sind bereits vorbewusst aufgrund ihrer Leiblichkeit und im Blick auf das Geheimnis ihres Seins untereinander verbunden.

Die ontologische Verbundenheit lässt sich mit dem Göttlichen, das uns auf Gologotha offenbart wurde in Beziehung setzen.

Dann kann unsere Solidarität für andere als Sendung durch jenen verstanden werden, der, in Solidarität mit uns, sühnend für uns ans Kreuz gegangen ist - aus Liebe.

Fazit:

Der Begriff der Sühne ist von der Solidarität der Menschen untereinander sowie von der Proexistenz Christi her zu ver-stehen.

Dabei wird dem Menschen nicht seine Verantwortung abge-nommen; er bleibt unvertretbar.

Wohl aber wird dem Menschen dort beigestanden, wo er mit seinen eigenen Möglichkeiten am Ende ist, so dass er aufs neue seiner Verantwortung in Freiheit und Liebe gerecht werden kann.

So ist der Mensch in der stellvertretenden Sühne eines anderen getragen und umgriffen vom Mit-Sein des anderen.

An der Stelle unseres Versagens befreit uns Christus.

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d) Trinitarische Ausfaltung (Hans Urs von Balthasar)

Wie kommen im Fokus des Kreuzes Liebe und Sünde überein?

1. These:

In Christus als Bruder der Menschen ist der Mensch ernstgenommen. Gerade in seiner sündhaften Situation ist die Befreiung von ihm selbst her nicht mehr möglich, weshalb Jesus stellvertretend für uns diese Befreiung in Liebe bewirkt.

2. These:

Der eigentlich Handelnde im Kreuzesdrama ist und bleibt Gott, der damit seinem innersten Wesen entspricht und so auch seiner fehlgegangenen Schöpfung treu bleibt, um sie zu ihrer eigentlich vor-bestimmten Vollendung zu führen.

3. These:

Die absolute Liebe Gottes in Jesus läßt sich so sehr auf das Ränkespiel sündhafter Weltstrukturen ein, daß die Sünde von innen heraus aufgesprengt werden kann, wovon allerdings erst der Sieg der Auferstehung Zeugnis ablegt.

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2.2. Der auferweckte und erhöhte Christus

2.2.1 Der neutestamentliche Befund

2.2.1.1 Alte Bekenntnisformeln

a) Eingliedrige Auferweckungsformeln

„Gott, der Jesus aus (von) den Toten auferweckt hat“ oder „Gott hat Jesus aus (den) Toten auferweckt“: 1 Thess 1,10; Gal 1,1; 1 Kor 6,14; Röm 4,24; 8,11; Apg 2,24.32 u. ö.;

passivisch: Röm 6,4.9; 7,4; 1 Kor 15,12.20; Mk 16,6 par  u. ö.;

als Auferstehungsformel: 1 Thess 4,14; Mk 8,31 par; 9,9f. 31 par; 10,34 u. ö.

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b) Ausgestaltete Auferweckungsformeln

Die Auferstehungsformeln wurden erweitert

1. auf die alles auslösenden Erscheinungen hin: 1 Kor 14,4f; Lk 24,34; Apg 10,39 u. ö.

2. im Hinblick auf die gegenwärtige Heilsmittlerstellung des erhöhten Herrn: Röm 1,3f; 10,9; 8,34 u. ö.

3. im Hinblick auf sein Sterben: 1 Thess 4,14; Röm 8,34; Mk 8,31 u. ö. und dessen soteriologische Bedeutung: 1 Kor 15,3-5; Röm 4,25 u. ö.

4. im Blick auf Taufe und Bekehrung: Röm 6,3f; Kol 2,12f; Eph 2,5f; 5,14 sowie auf die eigene Auferstehung der Christuszugehörigen: 1 Thess 4,13ff; 1 Kor 15,12ff u. ö.

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2.2.1.2 Späte Ostererzählungen

a) Die Erzählungen vom leeren Grab

Ob das Grab nun leer war oder nicht, ist historisch umstritten:

1. Da Frauen, die das Grab entdeckten, nach jüdischem Recht nicht zeugnisfähig waren, ist der Bericht keine Legende. Aber: Nach V. 8 besteht die Aufgabe der Frauen nicht im Zeugnisgeben; überdies könnte diese Erzählung im hellenistischen Milieu entstanden sein, wo Frauen durchaus Zeugnisrecht hatten.

2. Die Zeitangabe am dritten Tag bzw. nach drei Tagen (vgl. Mk 14,58) stimmt überein mit der Aussage „am ersten Tag der Woche“ (z. B. Mk 16,1), also der Gemeindezusammenkunft, die nicht mehr am Sabbat, sondern am Sonntag stattfand. Aber: Die Zeitangabe „am dritten Tage“ z. B. in 1 Kor 15,4 ist eine theologische Aussage, wonach Gott seinen Getreuen nicht länger als drei Tage allein lässt (Hos 6,2).

3. Die jüdische Polemik hat das leere Grab nicht bestritten, sondern nur anders gedeutet (vgl. Mt 28,15; Joh 15,20). Aber: Diese Texte gehören einer späteren Reflexionsstufe an.

4. Die Auferstehungsbotschaft hätte sich nicht in Jerusalem halten können, hätte es den Leichnam im Grab gegeben. Aber: Ein solches Zeigen des Leichnams war nicht möglich, nicht einmal für den Fall, dass das Grab leer war. Denn das Öffnen des Grabes war weder den Freunden noch den Gegnern Jesu zuzutrauen.

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b) Die Erscheinungserzählungen

Sichtet man die Erscheinungserzählungen, so sind vier Motive zu eruieren:

1. Bestätigung der Auferstehung durch die persönliche Erscheinung des Herrn.

2. Beauftragung und Sendung (vgl. Mt 28,16-20; Lk 24,36-49; Joh 20,19-23). Aus der personalen Begegnung (Mt 28,18; Lk 24,36b.45f; Joh 20,19.21) erfolgt die Sendung (vgl. Mt 28,19f; Lk 24,47f; Joh 20,21b), verbunden mit der Verheißung einer bleibenden Gegenwart des Erhöhten (vgl. Mt 28,20; Lk 24,49; Joh 20,22).

3. Wiedererkennung: Lk 24,13-31; Joh 21,4b.9.12f; Joh 20,24-29; Lk 24,33-35; Joh 20,24; Lk 24,31; Joh 20,17a.29; Lk 24,15f; Joh 20,14ff; Lk 24-30-32; Joh 21,12f; Mt 18,20.

4. Identitätsbeweis aufgrund vorangegangenen Zweifels, insbesondere bei Lk und Joh (Lk 24,36-43; Joh 20,19f.24-29), bei dem die Pole Unberührbarkeit und Berührbarkeit einen dialektischen Zusammenhang bilden (vgl. Lk 24,39; Joh 20,20.27).

Fazit:

Älter als alle Ostererzählungen, ob Grabes- oder Erscheinungserzählungen, ist die Überzeugung, daß der Gekreuzigte lebt und den Jüngern begegnet ist.

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Auferstehung und Erscheinungen Jesu: Historisch konstatierbare Sachverhalte

öffentliches Wirken Jesu Tod Jesu am Kreuz (vgl. Dtn 21,23) ca. 30 nC

Flucht/Heimkehr nach Galiläa

Wende im Jüngerverhalten auslösendes X ?

Rückkehr nach Jerus./Urgemeinde/? Behauptung der Auferweckung Jesu:

eingliedrige Auferweckungsformel (z. B. Röm 4,24; 10,9; Apg 2,32; Mk 9,9f; Mt 28,7) mehrgliedrige Auferweckungsformeln (z. B. Röm 4,25; 6,3f; 8,34; 1 Kor 15,3-5; Lk 24,34) Behauptung von

Erscheinungenca. 35/37: Paulus sieht Petrus + Jakobus in Jerusalem

(15 Tage)

ca. 50/51: Paulus gibt den Kor die erhaltene Tradition weiter: 1 Kor 15,3-5: Christus gestorben (Aor.) für unsre Sünden ndS begraben (Aor.)

auferweckt (dur. Perf.) am 3. Tag ndS erschienen (Aor.)

dem Kephas, dann den Zwölfen; 15,6-7 500, Jakobus, allen Aposteln; (15,8f fügt Paulus an: zuletzt auch mir) Gal 1,12.15f;

1 Kor 9,1; Phil 3,8-12

Grabfindungserzählungen (Jerusalem) Mk 16,1-8 (ca. 70) Mk 16,7

Erscheinungserzählungen (Galiläa)(Beauftragung oder Rekognition)

Lk 24,1-11 Mt 28,1-15 Mt 28,16-20 Lk 24,13-53Joh 20,1-18 (12) Joh 20,19-29

21,1-23 Mk 16,9-16(Hans Kessler, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi in bi-blischer, fundamentaltheologischer und systematischer Sicht, Würzburg 1995, 158.)

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2.2.2     Hermeneutische Voraussetzungen zur Entstehung des Auf erstehungsglaubens

Niemand ist unmittelbarer Zeuge des Auferstehungs-ereignisses gewesen.

Wenn das NT hier dennoch Brücken schlägt, so mit Hilfe der Kategorie der Begegnung.

Auslösender Faktor sind (nach dem vorpaulinischen Traditionsstück in 1 Kor 15,3-7) die Erscheinungen.

Handelndes Subjekt ist in dem ganzen Geschehen Gott bzw. Jesus, und von diesem Initialereignis her wird der Auferstehungsglaube in den Jüngern grundgelegt.

Paulus qualifiziert den Inhalt dieses Widerfahrnisses in Gal 1,15f als Offenbarung Jesu als Sohn Gottes.

Diese Beschreibungen im NT verbieten es, den Osterglauben von psychologisch bedingten, subjektiven Visionen der Jünger herzuleiten.

Von dieser Erfahrung her kann man dann rückwirkend sagen, dass die Auferstehung ein historisches Ereignis ist, also ein Ereignis, bei dem der tote Jesus als Mensch dieser Welt in das Leben Gottes übergegangen ist.

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2.2.3     Inhalte des Auferweckungsglaubens in

systematischer Perspektive

2.2.3.1 Zum Zeugnis berufen

2.2.3.2     Sprachmodelle für die Auferweckung Jesu

a) Sprachmodell: Auferstehung bezeichnet ursprünglich den Akt des Aufrichtens oder

Aufstehens vom Schlaf oder von einer Krankheit. Es ereignet sich eine vollkommen neue Tat in die

herkömmliche Welt hinein, die eine Störung der bisherigen Zusammenhänge bedeutet.

b) Sprachmodell: Erhöhung Phil 2,8f, Apg 2,32f, 1 Tim 3,16, Röm 10,9 u. ö. Aufnahme in Gottes Leben und seine Macht. Der Gekreuzigte ist durch Auferweckung und Erhöhung zur

Rechten Gottes zum Messias (vgl. Apg 2,36), zum Sohn Gottes (vgl. Röm 1,4) bzw. zum Kyrios (vgl. Apg 2,36; Phil 2,11) eingesetzt:

1. Aspekt: Die Macht und Herrschaft des erhöhten Gekreuzigten2. Aspekt: Der erhöhte Herr besitzt eine universale

Heilsmittlerschaft3. Aspekt: Erhöhung als Himmelfahrt

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c) Sprachmodell: Leben

Mit dem Begriff Leben wird die Auferstehungsthematik in hellenistisches Denken übersetzt.

Der Gekreuzigte ist „am Leben“ (Röm 6,10; 2 Kor 4,10f; 13,4; Apg 25,19; Lk 24,23); er ist „lebendig“ (Lk 24,5; Apg 1,3); „er stirbt nicht mehr“ (Röm 6,9; Apg 13,34).

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2.2.3.3 Die Leiblichkeit der Auferweckung

1 Kor 15,3-5; 15,20-23.45-49.

In allen angegebenen Stellen vermeidet Paulus vorwitzige Spekulationen über konkrete Vorstellungen hinsichtlich der Auferstehungsgestalt.

Paulus hält stets am Begriff soma fest, um auf diese Weise die Identität des gestorbenen mit dem auferweckten Menschen sicherzustellen.

Identität und Kontinuität der Person gründen nicht in einer eigenmächtigen Potenz der Person, da Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht erben können (V. 50). Umgekehrt gilt: Nur der Glaube an das Handeln jenes Gottes, der den Gekreuzigten auferweckt hat und sich so als Vater Jesu Christi erwiesen hat, gibt uns die Hoffnung, daß dieser Gott uns am Leben erhalten wird.

Paulus verwendet verschiedene Bilder, die sich gegenseitig erläutern:

V. 44a: auferweckt wird ein pneumatischer Leib.

V. 49b: „Wir werden nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden“.

V. 53-54a: „Dieses Vergängliche muß sich mit Unvergänglichkeit bekleiden“.

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2.2.3.3. Die Leiblichkeit der Auferstehung

1. Aspekt: Paulus hält stets am Begriff soma fest,

um auf diese Weise die Identität des gestorbenen

mit dem auferweckten Menschen sicherzustellen.

2. Aspekt: Die Identität und Kontinuität der Person

gründen nicht in einer eigenmächtigen Potenz

der Person: Fleisch und Blut können das Reich

Gottes nicht erben (V. 50). Umgekehrt gilt: Nur

der Glaube an den auferweckten Jesus gibt uns

die Hoffnung, dass dieser Gott auch uns am

Leben erhalten wird.

3. Aspekt: Um dennoch eine gewisse gläubige

Ahnung vom Auferstehungsleib zu geben,

verwendet Paulus verschiedene Bilder, die sich

gegenseitig erläutern.

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2.2.3.4 Die Auferweckung als trinitarisches

Handeln

a) Das Handeln des Vaters

Durch das Handeln des Vaters am Sohn werden verschiedene theologische Ebenen neu bestimmt:

1. Die christologische Ebene:

2. Die offenbarungstheologische Ebene:

3. Die schöpfungstheologische Ebene:

Gott „ist über dem Spiel, weil nicht in dasselbe verstrickt, aber in ihm, weil er sich darin voll engagiert“

(Hans Urs von Balthasar, TD II,2 471).

b) Das Liebeswerk ChristiFolie 103

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Während das Kreuz die äußerste Entfernung zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck bringt, schlägt diese vollkommene Distanz im Auferstehungsereignis in innigste Gemeinschaft um. Auf diese Weise wird die gottentfremdete Welt in die Gottesgemeinschaft zurückgeholt (vgl. Joh 17,19ff).

Für den Menschen bedeutet dies:

Die Todeslinie ist durchbrochen, da Jesus den Tod durchleidet und in seiner Auferweckung mitverklärt.

Schmerz und Leid der gesamten Schöpfung sind einerseits im Schrei des Gekreuzigten zusammengefaßt, aber zugleich mit in das Leben des Vaters hineingenommen.

Der Gekreuzigte und Erhöhte ruft uns in die Glaubensnachfolge.

Der Christ ist mit dem Kreuz Christi dieser Welt verhaftet, aber als mit Christus Auferweckter lebt der Gläubige bereits im neuen Äon.

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c) Die Gabe des Hl. Geistes

ca) Allgemeine Vorbemerkungen

cb) Jesus und der Geist

cc) Die genuine Wirksamkeit des Geistes

Wirksamkeit des Geistes in Bezogenheit und Unterschiedenheit zu Jesus Christus:

Bedeutsamkeit des Geistwirkens für den Menschen:

1. Der Geist führt zum Bekenntnis zu Christus als dem Gekreuzigten und Auferweckten und damit zur Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes (vgl. 1 Kor 12,3; 2,9f; 1 Joh 4,1-6; Joh 14,26; 15,26; 16,7-15).2. Das Pneuma ist der „Geist der Kindschaft“ und öffnet uns für die Gemeinschaft mit dem Vater Jesu Christi (vgl. Röm 8,14ff; 1 Joh 4,18), der auch unser Vater ist. Konkret äußert sich diese Gemeinschaft im kommunikativen Akt des Gebetes (vgl. Röm 8,15.26f; Gal 4,6).3. Dieser Geist ermöglicht eine gegenseitige Solidarität (vgl. Gal 5,13-6,2; Kol 1,8) in Liebe (vgl. Röm 5,5) und Freiheit (vgl. 2 Kor 3,17). Auf diese Weise legt er das Fundament für den Gemeindeaufbau (vgl. 1 Kor 12,7; 14,12).

Obgleich der Hl. Geist das gesamte irdische Leben Jesu wie eine innere Klammer umfasst, ist die eigentlich christliche Erfahrung des Pneuma erst mit Ostern möglich.

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2.3 Einzelthemen der Christologie

2.3.1 Präexistenz

2.3.1.1 Der Präexistenzgedanke als Streitpunkt heutiger Theologie

Präexistenz ist Rückprojektion der Auferstehung

Präexistenztheologie nach Karl-Josef Kuschel

reines Jesusbild ohne trinitarische Verzerrungen

Präexistenztheologie als Bekenntnis eines johanneischen Randchristentums

Betonung der Aussagen zur Präexistenz: Kol 1,15-17 und Hebr 1,2

Relativierung der Aussagen zur Präexistenz: 1 Kor 10,4 und 1 Kor 8,6

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Zwei kritische Rückfragen an K.-J. Kuschel:

1. Kuschel verweist immer wieder darauf, dass die Präexistenzaussagen soteriologisch bedingt seien und kein Eigengewicht beanspruchen dürfen. Aber gerade die Heils- und Erlösungsfunktion Jesu bedarf der ontologischen Verwurzelung dieses Menschen nicht nur im Menschsein, sondern auch im Gottsein. Von der Soteriologie her mündet die Christologie somit im Leben der göttlichen Gemeinschaft; sie hat dort ihre ontologische Voraussetzung.

2. Wenn es aber von der Soteriologie her geradezu notwendig ist, auch ontologische und metaphysische Aussagen zu machen, um die geschichtsmächtige Heilswirksamkeit Jesu zu garantieren, dann muss es entgegen Kuschel möglich sein, die biblisch nur implizit soteriologisch gegebenen Aussagen in späterer systematischer Reflexion zu tätigen - in Bezug zum biblischen Kontext.

Verweis auf die trinitätstheologische Position von W. Pannenberg.

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2.3.1.2 Biblische Aussagen

a) Präexistenz nach Johannes

Prolog des Johannesevangeliums

Die ontologischen Aussagen in 1,1.14 und 18 sind der Grund dafür, dass uns im Glauben ein reales Heil geschenkt wird, das extra nos begründet ist.

Menschensohnworte (Joh 1,51; 3,13-21; 5,27; 6,27.62; 8,12-29; 9,35; 12,20-36)

Sie beschreiben weisheitlich das Kommen und Gehen eines himmlischen Heilsbringers. Dabei wird der Prä- und Postexistenz umklammernde Menschensohntitel fest an den irdischen Jesus geheftet.

Hinweise auf die Sendung des Sohnes (vgl. z. B. 3,16f als Übernahme einer vorgegebene Formel)

Sie zielen auf das Heil der Welt als Gabe des ewigen Lebens.

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Jürgen Habermann: Die „Präexistenz [ist] der unbestreitbare Hintergrund der christologischen Aussagen des Evangeliums“

Aufgaben:

1. das extra nos des Heils zu unterstreichen;

2. die Exklusivität Jesu hervorzuheben, da er es ist, der

3. die Gaben des ewigen Lebens und die Einsicht in die Einheit der Liebe schenkt.

b) Präexistenz im Kolosserbrief

Christushymnus des Kolosserbriefes (1,15-20)

Soteriologische Aussagen:

1) Wenn Christus als Erstgeborener von den Toten erweckt worden ist und von daher

2) alle Menschen Hoffnung hegen dürfen, dann

3) muß seine Befreiungstat von kosmischer Bedeutung sein.

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c) Auswertung

Ansatzpunkt ist der Glaube, dass Gott den

Gekreuzigten auferweckt hat.

Der Gekreuzigte wird als Sohn des Vaters offenbar,

von Ewigkeit her.

Gottes Einzigkeit als Schöpfer und Erlöser wird

sichergestellt.

Präexistenzaussagen sind Glaubensaussagen, die

sich aufgrund der Auferstehungsbotschaft aus der

Einsicht in die Gottessohnschaft Jesu ergeben.

a) Der Präexistente partizipiert vollkommen

am Gottsein Gottes.

b) Der Sohn ist in dieser Einheit mit Gott

dennoch der andere

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2.3.2 Die Entstehung Jesu in seiner Menschheit durch Gottes Kraft und Geist

Erkenntnisgrund für Jesu Menschwerdung und Eintritt in die Geschichte Erhöhung und die pneumatische Gegenwart Jesu ChristiRealgrund für seine Erhöhung und bleibende Gegenwart Inkarnation und seine Geschichte

2.3.2.1 Zum biblischen Zeugnis

2.3.2.2 Die christologische Aussage

Während Inkarnation voraussetzungslos ist, setzt die sog.

Inhabitation die menschliche Existenz voraus.

1.: Von Gott her gesehen -- entsteht das Menschsein Jesu

durch einen schöpferischen Akt, Jesus als Mittler des Heils

existieren zu lassen.

2.: Diesem Willen Gottes entspricht kategorial auf der

geschöpflichen Seite die freie Annahme durch die Frau

Maria. Diese Mitwirkung Marias ist Zeichen des göttlichen

Ereignisses.

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2.3.3 Die Bedeutung einer Pneuma-

Christologie

1. Am Anfang steht die Erfahrung der Geistesgegenwart des Auferweckten in den Gemeinden.

2. Die Gegenwart des Geistes wird hinsichtlich der irdischen Person Jesu theologisch rückdatiert „seit“ der Taufe im Jordan (Mk 1,10). Nach Lk 2,40 war Jesus auch schon von Geburt an mit dem Geist erfüllt.

3. Die vorpaulinische Zwei-Stufen-Messianologie (vgl. Röm 1,3; 9,3) spricht von der Vollendung des Messias in der Auferweckung kraft des Hl. Geistes. Gilt dies für das Ende, dann kann auch die Entstehung des Messias theologisch nur kraft dieses Geistes gedacht werden.

4. Nach Lk 1,35 ist er bereits vom Hl. Geist empfangen.

5. Jesus Christus war nach Joh 1,1 in Ewigkeit in Gemeinschaft mit Vater und Geist.

6. Die Geschichte des Seins Jesu Christi setzt theologisch-philosophisch schon immer die Beziehung dieses Seins zum Geist und zum Vater voraus. Oder anders gesagt: Der Menschenbruder Jesus ist zugleich der Sohn Gottes.

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Konstitution "Cum quorumdam homi num"

Papst Pauls IV.

Danach verlässt derjenige den kath. Glauben,

der behauptet,

„daß unser Herr nicht als wahrer Gott in allem

derselben Substanz sei mit dem Vater und dem

Heiligen Geist; oder daß derselbe dem Fleische

nach im Schoß der seligsten und

immerwährenden Jungfrau Maria nicht vom

Heiligen Geist, sondern wie die übrigen

Menschen aus dem Samen Josefs empfangen

worden sei“ (DH 1880).

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2.4     Die johanneische Christologie

Ausgangspunkt der Lebensgeschichte Jesu ist die

Vater-Sohn-Relation sowie die Offenbarung des

Agape-Geistes von Vater und Sohn.

Jesus selbst ist der Weg zum Vater, er ist die Wahrheit

und das Leben (vgl. Joh 14,5).

Der Vater ist der Offenbarer der Herrlichkeit des Sohnes,

der Sohn offenbart die Herrlichkeit des Vaters - und

zwar im Geist der Wahrheit und Liebe (Joh 15,26; 16,13;

20,22; 1 Joh 3,23f; 4,7-18).

Nach Joh 3,16 hat „Gott ... die Welt so sehr geliebt, daß

er seinen einzigen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn

glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben

hat“.

Indem dieses ewige Wort Fleisch wird und unter uns

wohnt (vgl. Joh 1,14), bringt er uns das Leben in Fülle als

Gemeinschaft mit dem Vater und dem Geist (vgl. Joh

14,16; 17,20-26; 1 Joh 1,1-3; 3,24).

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→ Diese Christus-Bezogenheit ermächtigt den Menschen zu

einer unbekannten Fruchtbarkeit - jenseits der weltlichen

Gesetzmäßigkeiten von Leistung, Konkurrenz, Schönheit

und Zinswerten.

→ Auf diese Weise wird der Mensch in eine

Gottesgemeinschaft der Liebe aufgenommen, die ein

Mit-Sein in der Herrlichkeit bedeutet (vgl. Joh 17,20ff).

→ In diesem Überstieg findet der Mensch seine wahre

Eigentlichkeit. Dabei wird keine geschöpfliche Realität

zerstört, wohl aber so geprägt, dass sie ihrer geschöpflichen

Ursprünglichkeit entspricht.

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III.     Die christologischen Aussagen der frühen

Konzilien

1. Zwei hinführende Vorbemerkungen

1.1 Erste Vorbemerkung: das Problem der

„Tradition“

„Unter Tradition versteht man das Subjekt,

den Vorgang und den Inhalt der

Glaubensvermittlung, durch welche die

Identität, die Kontinuität und die fruchtbare

Entfaltung der Offenbarungsbotschaft in der

Glaubensgemeinschaft ermöglicht wird.“

(W. Beinert, Art. Tradition, in: LKDog 513.)

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1.2 Zweite Vorbemerkung: das Problem der

Hellenisierung

Die frühchristliche Theologie bediente sich hellenistischer Denkkategorien, um drei große christologische Frage-komplexe zu bearbeiten:

1. Christologischer Komplex: Die Festlegung und Wahrung der Gottheit Christi (insbesondere gegenüber dem Arianismus).

2. Christologischer Komplex: Wahrung der vollen und integren mensch lichen Natur Jesu Christi samt Leib und einer mit freiem Willen versehenen Seele (gegenüber dem Doketismus, Apollinarismus, Monophysitismus und Monotheletismus)

3. Christologischer Komplex: Die Einheit der beiden Naturen in der einen Person oder Hypostase des Logos als des ewigen Sohnes des Vaters.

So stand man vor folgenden Aufgaben:

1. Man musste vom trinitarischen Gott reden, ohne damit den Monotheismus aufzugeben.

2. Man musste Gründe für die Sinnhaftigkeit der Menschwerdung und sogar für die Kreuzigung des Gottessohnes beibringen.

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2. Die Ausbildung des christologischen

Dogmas bis zum 3. Konzil von

Konstantinopel

2.1 Erste christologische Reflexionen

Im 2. Jahrhundert finden sich im 1. Klemensbrief, in den

Ignatius-Briefen oder im Hirten des Hermas erste

christologische Begründungszusammenhänge. Dabei wird

die Person Jesu strikt theozentrisch verstanden. Danach ist

Jesus:

- der Name Christi bzw. Gottes (er steht somit in bes.

Würde an Gottes Stelle), der Engel Gottes (bes. im Hirten

des Hermas und im 2. Henochbuch), das fleischgewordene

Pneuma (Betonung der Selbstmitteilung Gottes), der

Hohepriester.

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2.2 Häretische Gefährdungen des

Christusgeheimnisses

„So möge auch der, welcher Christum mit seinem Geiste

nicht sieht, ihn wenigstens aus den Werken des Leibes

erkennen und prüfen, ob es Menschen- oder

Gotteswerke sind. Sind es Menschenwerke, dann mag er

spotten; sind es aber nicht Menschen- sondern

Gotteswerke, dann soll er zur Einsicht kommen und

nicht spotten über das, was keinen Spott verdient. Nein,

er soll sich vielmehr wundern, daß uns das Göttliche

durch eine so geringfügige Sache offenbar geworden ist,

durch den Tod allen die Unsterblichkeit zuteil wurde

und in der Menschwerdung des Logos die allwaltende

Vorsehung und ihr Urheber und Schöpfer, der Logos

Gottes, erkennbar wurde. Denn er wurde Mensch, damit

wir vergöttlicht würden."

(Athanasius, De incarn. 54 - zit. nach G. L. Müller,

Christologie, in: W. Beinert, Glaubenszugänge 2, 166.)

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2.2.1  Die Leugnung der Gottheit Christi

(Adoptianismus; dynamischer

Monarchianismus)

Die Leugnung der Gottheit Christi Adoptianismus; dynamischer Monarchianismus

Ebionitismus: Jesus als großer Prophet bzw. Erwählter

Gnosis: Entgegensetzung von historischem Jesus und übergeschichtlichem Christus Theodot der Gerber, Paul von Samosata

2.2.2 Die Leugnung des Menschseins Christi

(Doketismus; Gnosis)

Die Leugnung des Menschseins Christi Doketismus: Scheinleib Jesu

johanneisches Schrifttum; Ignatius von Antiochienbetonen die Wirklichkeit der Inkarnation, des Leidens Gottes in der Menschheit Jesu und die Wirklichkeit der Auferweckung aus den Toten

Valentinos/Basilides: Als Erlöser ist Jesus die zeitliche Verkörperung einer allgemeinen Wahrheit und einer überzeitlichen Erlöserfigur.

Markion /Kelsos Irenäus von Lyon („Adversus haereses“)

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2.2.3 Die Leugnung des Ursprungs der

Inkarnation im trinitarischen Wesen Gottes

(Modalismus)

Die Leugnung des Ursprungs der Inkarnation im trinitarischen Wesen Gottes

Modalismus Praxeas, Noet von Smyrna, Sabellius

Tertullian („Adversus Praxean“)

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Wenn Tertullian den Terminus „persona“ aufgreift in der Formel una substantia - tres personae, um den Eigenstand von Vater, Sohn und Geist zu bezeichnen, so hatte diese Begriffswahl verschiedene Hintergründe:

1. Auf diese Weise konnte Tertullian den Modalismus und Monarchianismus bekämpfen, indem nunmehr der eigentümliche Realitätsgehalt der drei Namen aufgewiesen werden konnte, auf die die Taufe erfolgte. So besagt "persona" individuelle Eigenständigkeit in der Ausformung einer göttlichen Substanz.

2. Er übersetzt das biblisch gebrauchte "Antlitz, Angesicht" mit "persona" und gibt ihm die Bedeutung von "Individuum".

3. Er nutzt die prosopologische Exegese und sieht biblisch verschiedene Dialogrollen verwirklicht. So kann er die Selbstoffenbarung des einen Gottes auf dramatische Weise in den verschiedenen Personen darstellen.

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2.3 Die vornizänische Logos - Christologie und ihre Mängel

exemplarisch: Origenes (um 185 - ca. 254)

1. Origenes war als Platoniker der Überzeugung, daß die Seele präexistent sei, demnach auch die Seele, die der Logos annimmt. Dann aber ist eine echte Menschwerdung gefährdet, da nur noch ein Men-schenleib einem präexistenten Seele-Logos hinzugefügt wird.

2. Als Neuplatoniker blieb Origenes immer einer Abwertung des Materiellen verhaftet, weshalb das Eigentliche des Menschen seine Seele ist, die darum bemüht sein muß, ihre leibliche Einbindung abzu-streifen. Eine Vergeistigungs- und Aufstiegs-tendenz ist hier unverkennbar und bedeutet eine gewisse Relativierung der Menschwerdung.

3. Die gesamte Theologie des Origenes trug einen stark kosmischen Akzent, der auch in Joh 1,1ff, Kol 1,3ff oder Hebr 1,1-3 zu beobachten ist.

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2.4 Nizäa - Anfang einer neuen Theologie

2.4.1 Der Konflikt: Arius und seine Lehre

Zwei Kernbereiche der arianischen Lehre:

1. Obwohl Arius dem Logos den Sohnestitel beläßt, gehört der Logos zum Bereich der Geschöpfe.

2. Arius leugnet eine menschliche Seele Christi, da der Logos nur das Fleisch angenommen habe.

Diese Lehre des Arius hatte mehrere Konsequenzen:

a) Die heilsgeschichtliche Unterordnung des Sohnes unter den Vater, wie sie bei vielen frühen Christologien noch feststellbar ist, wird bei Arius in einen ontologischen Subordinatianismus verwandelt, womit jede Trinitätslehre ans Ende kommt.

b) Da uns in Jesus Christus nicht wirklich Gott begegnet, sind Selbstoffenbarung Gottes, aber auch Erlösung und Gemeinschaft mit Gott unmöglich.

c) Das Band zwischen der Heilsökonomie und dem inneren Wesen Gottes ist zerschnitten.

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2.4.2 Das Konzil von Nizäa (325)

Christologische Spitzenaussagen der Väter:

1. Christus ist kein Geschöpf, sondern der

präexistente Sohn gehört ganz und ungeteilt zum

ewigen Wesen Gottes.

2. Der ewige Sohn geht aus dem Vater durch

Zeugung hervor. Der Terminus„Zeugung“ ist

analog gemeint und soll sich deutlich absetzen vom

Geschaffensein alles Geschöpflichen. Damit wird

ein Hervorgang in Gottes Wesen zum Ausdruck

gebracht. Insofern ist auch der Vater in einer

Relation zum Sohn, so dass bereits hier darauf

verwiesen wird: Die Personen in ihren Relationen

realisieren das eine Wesen Gottes.

3. Personale Differenz und Einheit im Wesen.

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2.4.3 Die nachfolgenden theologischen

Auseinandersetzungen

335 Wiederanerkennung der

Rechtgläubigkeit des Arius

Theologischer Streit um den Begriff

„homoousios“

Lösung der Problematik:

Die drei Kappadozier: Gregor von

Nyssa, Gregor von Nazianz und Basilius

von Caesarea (Jung-Nizäner)

Begriffliche Unterscheidung in „ousia“

und „hypostasis“

Synode von Alexandrien (362):

„Wesenseinheit in drei Hypostasen“

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2.5 Die Frage nach der Subjekteinheit

in Jesus Christus

Wie ist die Einheit von Gott und Mensch in

Jesus Christus zu denken???

2.5.1 Das unzureichende

Logos - Sarx - Modell des Apollinaris

Der Logos hat sich nicht mit einem Menschen

aus Leib und Seele vereint, sondern er hat sich

mit dem menschlichen Fleisch zu einer

einzigen Natur vereint.

Die Kräfte des Logos wirken anstelle der

menschlichen Seele in der menschlichen

Fleischgestalt. Substanzeinheit

Soteriologische Kritik des Gregor von Nazianz.

Zurückweisung in Alexandrien (362) und

Konstantinopel (381).

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2.5.2 Das Logos - Anthropos - Modell in

zwei Versionen

2.5.2.1 Die antiochenische Schule und

ihre Unterscheidungschristologie

Ziel: die wahre Gottheit Christi gegen die

Arianer und die volle Menschheit gegen

Apollinaris zu wahren gemäß der Schrift.

Zwei-Naturen-Lehre (Dyophysitismus)

Theodor von Mopsuestia (+ 428).

Indem Theodor göttliche und menschliche

Natur deutlich trennt, bereitet er den Weg

zum Konzil von Chalkedon wesentlich vor.

Allerdings erarbeitet er noch keinen klaren

Personbegriff und vermischt noch die Be-

griffe: prosopon und physis, ousia und

hypostasis.

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2.5.2.2     Die alexandrinische Schule und

ihre logosdominante

Einheitschristologie

Ziel: Betonung der Gottheit Christi.

Ausgangspunkt: die einzige Hypostase des

Logos, der ganz und gar Mensch wird.

Neuplatonische Denkart durch Klemens von

Alexandrien und Origenes.

Der bedeutendste Vertreter:

Athanasius.

Bei Athanasius ist Christus der

Gott-Logos im Fleische.

Bei den Antiochenern hingegen erscheint

Jesus als ein Mensch, der aufgrund des

Heilswillens Gottes und der freien

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menschlichen Hingabe in einer wesenhaften

Relation zu Gott steht.

2.5.2.3 Der Konflikt: Nestorius und Cyrill von Alexandrien

Nestorius bekämpfte all jene, die Jesus das volle Menschsein mit

Leib und Seele ab- und allein dem Logos als Subjekt alle menschlichen Erfahrungen zusprechen.

Christus sei seiner Gottheit nach leidensunfähig, seiner leiblichen Natur nach jedoch leidensfähig.

Weil Nestorius die Geburt aus Maria und die Leiden nur der Menschheit zuschreiben möchte, will er Maria nicht Gottesgebärerin, sondern Christusgebärerin nennen.

„Christus ist unteilbar in dem Christussein, aber doppelt in dem Gott- und Menschsein“, die beiden Naturen sind in „nicht getrennter Einheit“ bzw. „unvermischter Verbindung“

Cyrill von Alexandrien geht von der einzigen Person des Wortes aus, das in

Ewigkeit wesenseins mit dem Vater existiert und dann Fleisch wird (vgl. Joh 1,14).

Einheitschristologie im Logos-Anthropos-Schema.

der präexistente und der inkarnierte Logos sind vollends identisch, und dieser Logos ist das Subjekt der

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Personeinheit des Gottmenschen Jesus Christus: Jesus Christus wird erst vom Logos personalisiert.

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2.5.3 Das Konzil von Ephesus (431)

In der Auseinandersetzung zwischen Cyrill

und Nestorius wurde Papst Cölestin I. um

eine Entscheidung gebeten.

Nestorius wurde vom Papst zum Widerruf

aufgefordert. Dieser aber widersetzte sich,

wandte sich an Kaiser Theodosius II., der

ein Konzil nach Ephesus einberief.

Das Konzil von Ephesus hat den zweiten

Brief des Cyrill an Nestorius als Ausdruck

katholischen Glaubens anerkannt

Betonung der Subjekteinheit

Schisma zwischen Alexandrien und Rom,

wird erst durch die Unionsformel 433

überwunden.

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2.5.4     Die Entstehung des Monophysitismus und die Reaktion Leos des Großen

„Dieses Bekenntnis zur persönlichen Einheit,

die durch die Vereinigung der beiden Naturen

aufgrund der Initiative des Sohnes Gottes

zustande gekommen ist..., hat für Leo eine

eminent soteriologische Bedeutung. Überall

setzt er voraus, daß selbst die Erlösungstat in

ihrer menschlichen Dimension als Leiden, als

Sühnetod und als Opfer dem Sohne Gottes zu-

geschrieben wird... Vor allem aber betrachtet

Leo der Große die persönliche Einigung als

Grundlage der Mittlerschaft Christi...“

(B. Studer, Gott und unsere Erlösung im Glauben der Alten

Kirche, Düsseldorf 1985, 250.)

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Es war dem Konzil von Chalkedon vorbehalten, die

drei großen Linien der Christologie miteinander zu

verbinden:

a) die alexandrinische Theologie mit ihrer Betonung

der Subjekteinheit des ganzen Daseins Christi;

b) die antiochenische Theologie mit Betonung der

Vollständigkeit der menschlichen Natur Jesu

(homo assumptus);

c) die lateinische Christologie mit ihrer Betonung der

doppelten Solidarität: Solidarität mit Gott und den

Menschen.

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2.6 Der Glaube von Chalkedon

2.6.1 Formale wie inhaltliche Analyse des

Konzilstextes

Die entscheidende Formel lautet: Christus in zwei

Naturen, nicht aus zwei Naturen.

Was ist Christus?

Er ist wahrer Gott und wahrer Mensch, unvermischt

und ungetrennt, geeint in der Person des Logos.

Die Naturen sind das Prinzip der Unterschiedenheit

in Christus.

Wer ist Christus?

Er ist die zweite Hypostase der Trinität, die Person

des Logos, die menschliche Natur angenommen hat.

So erweist sich der Logos als Subjekt der gesamten

Heilsökonomie.

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2.6.2 Chalkedon - Ende oder Anfang?

1. Chalkedon übernimmt die Ergebnisse der Konzilien von Nizäa und Ephesus ebenso, wie es die Einseitigkeiten der antiochenischen oder alexandrinischen Schule vermeidet und jeweils nur die positiven Gehalte integriert.

2. Das Konzil will das Geheimnis der personalen Einheit von Gott und Mensch in Christus nicht rationalistisch auflösen, sondern die Wirklichkeit Jesu Christi als mysterium fidei bewahren.

3. Durch die hypostatische Union ist eine neue Relation zwischen Gott und Mensch Ereignis geworden. Es handelt sich um eine neue freie Liebesinitiative Gottes als Selbstzusage an alle Personen, die ihre konkrete Existenz durch die menschliche Natur verwirklichen möchten.

4. Die theologische Gegebenheit der hypostatischen Union kann man sprachlich in verschiedene Regeln der sog.

Idiomenkommunikation fassen.

Idiomenkommunikation

Grundregel

Abstrakte Eigentümlichkeiten der beiden Naturen können nicht untereinander ausgetauscht werden, sondern beziehen sich auf den Logos.

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Einzelregeln

a) Konkrete göttliche und menschliche Attribute sind austauschbar.

b) Abstracta sind nicht austauschbar.

c) Es ist falsch, der Person Jesu ein Attribut abzusprechen, das ihr kraft einer der beiden Natur zukommt.

d) Es ist falsch zu sagen, die hypostatische Union in der Inkarnation sei durch die Subjekthaftigkeit der Menschheit Jesu zustande gekommen.

e) Bei Ableitungen und Zusammensetzungen der Wörter „Gott“ und „Mensch“ hat Vorsicht zu walten.

f) Redeweisen der Häretiker sind zu vermeiden, selbst wenn sie in einem anderen Zusammenhang einen rechtgläubigen Sinn haben können.

5. Die Formel von Chalkedon bietet die Möglichkeit, bei aller Wahrung der freien Transzendenz Gottes die Inkarnation so radikal zu denken, dass alle Gegebenheiten der Welt, auch in ihrer sündhaften Perversion, vom inkarnierten Logos eingeholt und befreit werden können. So wird der Mensch nicht von sich, sondern zu sich selbst in seiner eigenen Tiefe und Gottesrelation befreit.

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2.6.3 Schematischer Rückblick über die gesamte

Entwicklung

1. Zwei-Stufen- oder Aszendenz-Christologie. Ihre einfachste

Form war wohl ein judenchristliches Messiasbekenntnis.

2. Präzisierung durch das unpaulinische Gegensatzpaar kata

sakra - kata pneuma präzisiert als irdische und himmlische

Existenzweise.

3. In der paulinischen Fassung (= Röm 1,3f) wird jedweder

Adoptianismus ausgeschlossen.

4. Als Pneuma-Sarx-Formel hat Röm 1,3f eine große

Wirkungsgeschichte, z. B. bei Ignatius von Antiochien.

5./ 6. Auslegung der Aussagen von Chalkedon.

7. Formalisierung einer relational-trinitarische Deutung des

christologischen Geheimnisses im Rahmen eines

geschichtlichen Lebensprozesses.

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2.7 Der Neuchalkedonismus und das 2. Konzil

von Konstantinopel (553)

Severus von Antiochien (+518)

Christologie von oben mit Dominanz des göttlichen

Prinzips. Vom menschlichen Willen ist nicht die Rede,

sondern Christi Entscheidung für das Gute fällt

zusammen mit der Einigung. Der sündlose Logos ist

eins mit der Geistseele.

Leontius von Jerusalem (um 540)

Abgrenzung von monophysitischer Natursynthese ab

und betont statt dessen die Einigung der Hypostase

nach bzw. in der Hypostase.

Der Mensch Jesus ist nicht ohne Hypostase

(anhypostatisch), aber auch nicht mit eigener, vom

Logos getrennter Hypostase (idiohypostatisch),

sondern von Anfang an enhypostatisch →

Enhypostasie.

Dieser Neuchalkedonismus kam auf dem 2. Konzil

von Konstantinopel (553) zum Sieg.

Folie 139

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2.8 Der Monotheletenstreit und das 3. Konzil

von Konstantinopel (680/681) als Abschluss

der christologischen Dogmenbildung

Monenergismus (= Ein-Wirken-Lehre)

Monotheletismus (= Ein-Willen-Lehre

Die menschliche Natur Jesu wird samt seinem mensch-

lichen Willen ganz und gar vom göttlichen Logos

dominiert.

Gegner: Maximus Confessor (580-662)

Die Hypostase des Logos subsistiert somit in der Natur des

Menschen samt seiner Freiheit.

Verurteilung des Monotheletismus auf der Lateransynode von

649 (vgl. DH 500-522).

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3.     Kommentierende Abschlussbemerkung:

Statt philosophischer Spekulation - Aufweis

kommunikativ - befreiender Gemeinschaft

Die frühchristlichen Konzilien und die

Theologie im Umfeld dieser Konzilien hatten

zum Ziel, Gottes kommunikative Liebe

sicherzustellen, da diese in Christus erschienene

kommunikative Liebe die gott-menschliche

Gemeinschaft wieder-herstellen kann.

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IV. Christologische Entwürfe im Mittelalter

1. Vorbemerkung

Elemente der metaphysischen Ordo-Theologie:

1. Mit dem Christusmysterium ist eine Mitte gegeben, von

der her Gott selbst in seinem dreifaltigen Wesen, sein

Heilshandeln, aber auch der Mensch in seiner

Daseinsverfassung als Sünder und Befreiter erfasst

werden.

2. Von Christus her werden Gott, Mensch und Welt

vermittelt.

3. Theologie versteht sich als Wissenschaft vom Glauben,

der die Einsicht sucht. Dazu bedient man sich der

Philosophie, deren Vermittlungsprinzip der Gedanke

der Teilhabe (participatio) ist.

4. Darüber hinaus wird ein Christus-Ordo als umfassendes

Ordnungssystem entfaltet, das die Freiheit ebenso

umfasst wie die öffentlichen Ordnungsstrukturen in der

Welt.

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2. Anselm von Canterbury

Zwei Möglichkeiten scheiden nach Anselm aus:

1. Wenn Gott nur durch seine Barmherzigkeit die

gestörte Ordnung wiederherstellte, dann würde er

einerseits die Gerechtigkeit (ordo iustitiae) verletzen;

andererseits würde Gott über die Sünde als Akt

menschlicher Freiheit hinwegsehen, und die Ehre

Gottes käme nicht als inneres Moment des

Freiheitsaktes zur Anerkennung.

2. Würde Gott einen neuen Menschen als Befreier

schaffen, würden die anderen Menschen sich diesem

neuen Menschen notwendigerweise anvertrauen, und

die Relation zwischen der Ehre Gottes und der

Freiheit des Menschen wäre über diesen neuen

Menschen vermittelt.

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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie

Daraus folgt:

a) aus der Perspektive der Ehre Gottes: Die

Genugtuung (satisfactio), die Gott gezollt

werden muss, muss göttlich und menschlich

sein, wobei darüber hinaus in dieser

Genugtuung Gottes Gerechtigkeit mit seiner

Barmherzigkeit eine Einheit bilden muss.

b) aus der Perspektive des Menschen: Vom

Menschen her muss die freiwillige

Anerkennung Gottes mit einfließen. Der

Mensch selbst muss in Freiheit seine Freiheit

mit Gottes Hilfe rekonstituieren. Zudem

muss anerkannt werden, dass dies

stellvertretend für alle Sünder geschehen

kann.

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3. Thomas von Aquin

3.1 Einordnung der Christologie in die

Gesamttheologie

Das Verhältnis von Gott und Mensch:

1. Die Faktizität des Seienden in der Welt wird als Teilhabe

am göttlichen, subsistierenden Sein bestimmt; es ist also

eine ontologische Mitteilung, eine ontologische

Kommunikation.

2. Die grundsätzliche Zuwendung Gottes zur Welt, also seine

Gnade, ist Bedingungsgrund dafür, dass der Mensch mit

Gott in Beziehung, in Kommunikation treten kann.

3. Der faktische Heilsweg in Christus ermöglicht trotz der

Sünde des Menschen eine neue Gemeinschaft zwischen

Schöpfer und Geschöpf - aufgrund der Liebe und Freiheit

Gottes.

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3.2.1 Jesus Christus: Der Weg zu Gott (zum Heil)

Thomas verändert die westliche Soteriologie in

zwei Punkten:

1. Er trennt erstmals den Traktat über die

Personkonstitution Jesu Christi, also die Christologie im

engeren Sinne (S. th. III qq.1-29), vom Erlösungswerk

Christi, der Soteriologie (S. th. III qq.31-59).

2. Thomas schreibt dem gesamten Leben Jesu eine

erlösende Funktion zu, da durch das Menschsein Jesu

unsere gesamte Existenz vom Geheimnis des

Gottessohnes betroffen sei. Hier macht sich die Je-

sus-Frömmigkeit des 12. Jh. bemerkbar (Franziskus,

Bernhard von Clairvaux), und zugleich wird der enge

christologische Rahmen von Inkarnation und Kreuz

aufgesprengt und geweitet.

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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie

Thomas vertritt hinsichtlich der Personmitte Jesu die

sogenannte „Subsistenztheorie“.

Er setzt sich damit ab

gegen die Auffassung von der „absoluten Inkarnation“

des Duns Scotus, nach der Gottes Sohn auch ohne die

Sünde der Menschen Mensch geworden wäre.

gegen „Homo-Assumptus-Theorie“ ab, die behauptet,

dass durch die Inkarnation ein bestimmter Mensch aus

Seele und Fleisch konstituiert worden ist

Gegenüber der letzten Position sagt die Subsistenztheorie:

Christus war vor der Inkarnation nur eine Person in Gott.

Aufgrund der Inkarnation ist zu einer Person geworden, die

aus Gottheit und Menschheit besteht. Der göttliche Logos ist

also wirklich in einer Person Mensch geworden.

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3.2.2 Jesus Christus: das selbsttätige Werkzeug Gottes

Die besondere Bedeutung des Todes Jesu:

a) Entgegen Anselm hätte Gott den Menschen ohne Genugtuung aus reiner Barmherzigkeit erlösen können.3

b) Aufgrund der personalen Liebe zu Gott übernimmt Jesus die Genugtuung.

c) Thomas verbindet die Idee der Genugtuung mit der der personalen Liebe: Die Liebe Christi als Erfüllung des göttlichen Gesetzes ist auch in Christi Leiden das Bedeutsame, das die Heilswirkung hervorruft. So ereignet sich Genugtuung für die Sünde und Befreiung aus der Strafverfallenheit.4

d) Mit diesem Satisfaktionsgedanken verbindet Thomas dann altkirchliche Vorstellungsmodelle vom Opfer sowie vom Loskauf oder Lösepreis.5

3 Vgl. S. th. III q.46 a.2 ad 3.4 Vgl. H. Kessler, Christologie 364.5 Vgl. S. th. III q.48 a.2-4.

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„Überblickt man die Gesamtkonzeption des Thomas, so

ergibt sich ein imponierendes christologisches Gesamt-

konzept. Die göttliche Heilsökonomie kulminiert in

Jesus Christus, seiner Menschwerdung, seiner Passion,

seinem Wirken als erhöhter Herr. Der unendlich gütige

Gott, der sich selbst verschenkende Mitteilung ist, ist

Grund und Ziel der Schöpfung. Im Hervorgang der

göttlichen Personen liegt zugleich der anfänglichste

Urgrund der Schöpfung, denn im Sohn ist die Welt

grundgelegt, wie im Geist ihr Ziel, die Einbindung in die

göttliche Mitteilung, fundiert ist. Der Grundlegung der

Schöpfung im Wort und im Geist entspricht die

geschichtlich konkrete Freiheitsentfaltung.

Die Heilsvermittlung für den sündhaften Menschen ge-

schieht in einer Folge von sakramentalen Ordnungen...“

(P. Hünermann, Jesus Christus - Gottes Wort in der Zeit. Eine systematische Christologie, Münster 1994, 213.)

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4. Die Leistungen der hochmittelalterlichen

Christologie

1. Die Christologie wird in die Geschichte des

Menschen eingebunden

2. Die Freiheit nimmt einen hohen Stellenwert ein.

Erläuterung:

Zwischen Anselm und Thomas findet ein Wechsel

in der Ordnung, welche das Christusereignis

verständlich machen soll, statt:

Anselm: Rechtsordnung

Thomas: Freiheitsordnung, d.h.: Innerhalb

seiner christlichen Freiheit hat sich der

Mensch rational und in Freiheit für oder gegen

Christus zu entscheiden.

Folie 150

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Peter Hünermann schreibt:

„So ist in der Christologie als dem

beschließenden Teil der ‘Summa theologiae’

ein höchst differenzierter, weiträumiger ordo

ordinum libertatis grundgelegt und in seiner

geschichtlichen Sinnhaftigkeit gewährleistet.

Es ist ein umfassendes Gefüge von

Freiheitsordnungen ...“.

P. Hünermann, Jesus Christus 216. Zum Gesamten vgl.

ebd. 214-216.

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5. Der Übergang: Martin Luther

Antimetaphysische Wende:

Heidelberger Disputationsthesen Nr. 19-21

„19. Jener ist es nicht wert, Theologe zu heißen,

der das Unsichtbare Gottes durch die

Erkenntnis dessen, was geschaffen ist, erblickt;

20. sondern, wer das Sichtbare und Äußere

Gottes durch die Leiden und das Kreuz erblickt

hat, erkennt.

21. Der Theologe der Herrlichkeit nennt das

Böse gut und das Gute böse, der Theologe des

Kreuzes sagt, wie die Sache sich verhält.“(WA 1,354,17-22; vgl. P. Hünermann, Jesus Christus - Gottes Wort in der Zeit. Eine systematische Christologie, Münster 1994, 224f.)

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Theologie Crucis als Erkenntnisprinzip der Theologie:

nicht auf dem Weg vernünftiger Spekulation

sondern nur auf dem Weg der Kreuzesnachfolge

wird Gott erkannt.

Strukturwandel:

Nach Luther steht der Glaube in radikalem

Widerspruch zum vernunfthaft-sündhaften Zugang

zur Wirklichkeit.

Gott kann nur sub contrario alles Welthaften

erkannt werden.

Der Mensch erhält sein freiheitliches Selbstsein

radikal vom rechtfertigenden Glauben her, in der

Übergabe an Christus.

Substanz ist nicht länger als In-sich-Stehendes bzw.

Wesen des Subjekts verstanden, sondern als jene

Realität, durch die und worin der Mensch den Sinn

seines Lebens oder den Boden seiner Existenz hat.

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Hünermann, Jesus Christus, Münster 1994, 227:

„Diese Substanzen aber [Anm./Prof. Meuffels:

gemeint sind: Essen, Reichtum, Ehre, Lust] hat

Christus durch seine Nicht-Substanz alle zerstört:

daß die Gläubigen nicht in ihnen [in jenen

Substanzen; d. Vf.] subsistieren, noch ihr

Vertrauen darein setzen, sondern ohne Substanz

seien und den Glauben an deren Stelle hätten, der

da eine andere Substanz ist, nämlich die Substanz

Gottes. So hat nämlich der Tod Christi das Leben

der Ehre, der Reichtümer zerstört, auf dass sie

nicht in diesen Dingen leben noch subsistieren.“17

17Psalmus 68 (69) (WA 3,440,35-39): "Has autem sub-stantias Christus per suam non substantiam omnes destruxit: ut fideles in illis non subsistant nec confid-ant; sed sint sine substantia, habeant autem fidem pro eis, que est substantia alia scilicet substantia dei. Sicut Mors Christi destruxit vitam glorie, divitiarum, ut in ea non vivant neque subsistant."

(P.)

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D.h.:

Weil Christus das Menschsein in seiner Sündhaftigkeit und

Todesverfallenheit auf sich genommen hat, aber sein Gottsein

stärker ist, kann er den Menschen im Glauben erretten.

Denn der österlich geprägte Glaube (sola fide) ist erforderlich,

da dieses Geschehen nicht vernunftgemäß erhellt werden

kann.

Luther denkt den Menschen also gegensätzlich, als

naturhaften Sünder und als im Glauben gerechtfertigen:

„simul iustus et peccator!“

Wunderbarer Tausch am Kreuz Jesu Christi

die doppelte Gerechtigkeit aufgrund

o des Platztausches, den Christus vollzieht

o des dieser Gnade entsprechenden gesetzmäßigen

Lebens

D.h.

Der Mensch hat seine Rechtfertigung immer wieder neu zu

praktizieren, aber diese Praktik darf nicht in

Werkgerechtigkeit umschlagen.

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Problematische Sachverhalte des lutherischen An satzes

1. Luther weigert sich, die Tat der Erlösung auch

seinshaft zu denken, weil dies zu sehr in die

Philosophie und vom Glauben weg führen würde.

Damit aber ergibt sich die Frage, ob der Mensch als

Sünder und Gerechtfertigter wirklich noch als einer

gedacht werden kann. Dadurch wird die Einheit der

Gnade auseinander gerissen.

Vgl: Christologie von der Zwei-Naturen-Lehre

Christi zu sagen, die nicht mehr ontologisch ausgelegt

wird.

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Problematische Sachverhalte des lutherischen An satzes

2. Es fehlt bei Luthers Idee von der Substitution

(Stellvertretung) die Vermittlung zwischen der Gnadentat

Christi und uns Menschen.

Grund: fehlende klare Unterscheidung zwischen Person

und Substanz, d.h.:

christologisch : Überwindung der sündigen

Menschennatur in der Person Jesu Christi

anthropologisch : der gerechtfertigte Mensch wird eine

Person mit Jesus, so dass ihm die siegreiche göttliche

Eigenschaft zuteil wird, was aber eine Unterscheidung

nötig macht zwischen

dem Selbst- und Personssein des Menschen

einerseits

und bestimmter Was-Gehalte des Wesens, die das

Personsein annehmen kann ohne Identifikation

mit dem göttlichen Wesen als solchem

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Konsequenzen:

Dann wäre in der Christologie das ewige Wort

etwas Eigenes gegenüber dem Vater und dennoch

gleichen göttlichen Wesens

Dann wäre auch der Mensch als Person im

Bestimmtsein durch Christus bzw. im Überstieg

auf die göttliche Tat Jesu Christi ebenso

bestimmt wie auch selbst bestimmend.

Umgekehrt würde die Person Jesu Christi in ih-

rer göttlichen Natur den Menschen erlösen

(Perichorese), ohne daß hier eine Kluft in der

Christusperson selbst oder eine Kluft zwischen

dem naturhaften und dem erlösten Menschen

aufträte.

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Problematische Sachverhalte des lutherischen An satzes

3. Aufgrund der vorangegangenen Problemkreise ergibt sich,

dass der Mensch zwar wesentlich von Gott her bestimmt

ist, aber aufgrund der bleibenden Sündhaftigkeit und der

fehlenden Vermittlung wird Gott nur in der Distanz

affirmiert.

Gott hätte in Christus dann auch nicht sich selbst, sondern

nur etwas von sich selbst offenbart.

=> Auseinanderklaffen von immanenter und ökonomischer

Trinität!

4. Freiheit wird zwar ganz und gar von Gott her verstanden,

d.h.: Menschliche Freiheit findet in ihrem Bestimmtsein

durch Gott und durch Gottes Gerechtigkeit ihre eigentliche

Tiefe.

Es fehlt aber der Aspekt, dass vollendete Freiheit sich

ihrem letzten Grund verdankt und somit diesem Grund

Dank zollt.

Ein Selbstsein des Menschen, in dem er in keiner Weise in

sich selber, sondern nur in Gott gründet, thematisiert Luter

nicht.

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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie

Fazit:

Mit Martin Luther stehen wir am Übergang zur Neuzeit, in

der gerade die Freiheitsproblematik ein entscheidendes

Thema des aufgeklärten Menschen ist.

Bei Luther findet aber noch keine innere Vermittlung von

Christi befreiendem Tun und der Freiheit des Menschen

statt.

Daraus folgt die Aufgabe, das befreiende Tun Christi und die

menschliche Freiheit unter zwei Denkvoraussetzungen

zusammenzubringen:

a) Das Handeln Christi muss in seiner Eigenart gewahrt

bleiben und darf nicht anthropologisch eingeebnet werden.

Das erfordert eine trinitarische Rückbindung seiner Person

in die Sendung vom Vater her.

b) Wir haben die Tiefe menschlich-personalen Daseins in

seinem Selbstsein und seiner Freiheit so darzulegen, daß in

der Christus- bzw. Gottesbeziehung der Mensch mitten in

der Geschichte zu sich selbst befreit wird.

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V. Eine Christologie im Horizont heutigen Welt-

und Selbstverständnisses

1. Verdichtung der Christologie zur Soteriologie2. Biblische Konkretisierung 2.1 Jesu Proexistenz Jesus verweist nicht nur auf das Heil, sondern realisiert die

Hinordnung des Menschen auf das Heil, so dass er selbst das Heil für uns ist (vgl. Apg 4,12).

Diese Realisierung von Heil und Glück umfasst verschiedene Ebenen:

a) die Aufbauprinzipien des Menschen: Geist, Selbstbestimmung in Freiheit, Leiblichkeit;

b) die personale Mitwelt;c) die natürliche Mitwelt.

Zwischen Heilsträger (Jesus), Heilsinhalt (Gottes Basileia) und Heilsvermittlung (der Geist Jesu Christi) besteht keinerlei Differenz.

Wie Jesus uns das befreiende Heil erwirbt, verdeutlichen die hyper-Formeln:

- Mk 10,45 (vgl. auch Gal 1,4; 1 Tim 2,6): „Loskauf“.- Kol 2,14: Aufhebung des Schuldbriefes.- Joh 17,9ff.20ff: Sterben für andere.- Apg 3,15/Hebr 2,10-16: Anführer zu Leben und

Rettung.- 2 Kor 5,18-20, Röm 5,1-10, Röm 11,15: Versöhnung- Röm 3,25f: Sühne.

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Röm 3,25f:25 o]n proe,qeto o` qeo.j i`lasth,rion dia. Îth/jÐ pi,stewj evn tw/| auvtou/ ai[mati eivj e;ndeixin th/j dikaiosu,nhj auvtou/ dia. th.n pa,resin tw/n progegono,twn a`-marthma,twn 26 evn th/| avnoch/| tou/ qeou/( pro.j th.n e;ndeixin th/j dikaiosu,nhj auvtou/ evn tw/| nu/n kairw/|( eivj to. ei=nai auvto.n di,kaion kai. dikaiou/nta to.n evk pi,stewj VIhsou/Å

Übersetzung durch Ulrich Wilckens: „25welchen Gott eingesetzt hat als Sühneort - durch Glauben - in seinem Blut, zum Erweis seiner Gerechtig-keit um der Vergebung der zuvor geschehenen Sünden willen 26durch die Geduld Gottes - zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der Jetzt-Zeit, so dass er gerecht ist und gerecht macht den aufgrund von Glauben an Jesus (Gerechten)“ (Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer (Röm 1-5) (EKK VI/1), Zürich u. a. 21987, 183).

Einheitsübersetzung: „25Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen

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wurden; 26er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt.“

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„In verschiedenen, meist vom AT inspirierten Bildworten

wird der stellvertretende Sühnetod Jesu verdeutlicht:“

Loskauf aus der Knechtschaft der Sünde Röm 5,9; 1 Kor 6,20; Eph 1,7;

Rechtfertigung bzw. Reinigung und Kol 1,15; Hebr 9,14; 13,11f;

Erlösung durch Christi Blut 1 Petr 1,19; 1 Joh 1,17; Offb 5,9.

Lebenshingabe als Lösegeld für viele Mk 10,45; Gal 1,4; 1 Tim 2,6

vgl. das Lied vom stellvertre-

tenden Leiden des Gottes-

knechtes Jes 53

Selbsthingabe als Sühneopfer Röm 3,25; Gal 2,20

Sühne für unsere Sünden Röm 3,25-30; 8,3; Gal 1,4;

1 Petr 3,18; 1 Joh 2,2; 4,10;

Hebr 2,17; 1 Tim 2,6

(G. L. Müller, Christologie: Beinert, Glaubenszugänge II, 245.)

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„Die zentrale Tat Christi und ihr Ergebnis erscheinen im NT unter verschiedenen theologischen Begriffen und Kategorien:“

Rechtfertigung des Sünders durch Röm 3,28; 5,9; 8,30; 1 Kor 6,11;Gnade im Glauben Gal 2,16; Tit 3,7

Sündenvergebung (zahlreiche Stellen)

Versöhnung Röm 5,11; 11,15; 2 Kor 5,18f;Eph2,16;Kol 1,20f; Hebr 2,17; 1 Joh 2,2; 4,10;

Befreiung und Rettung Röm 5,9; 6,18; Apg 2,21; Kol 1,13;Tit 3,5; 4,10;

Heiligung Röm 6,22; 1 Thess 4,3.7; Joh 17,17;1 Kor 6,11; Hebr 2,11; 10,10; 13,12

Erlösung Lk 1,68; 2,38; 4,19; 21,28; Röm 3,24;1 Kor 1,30; Eph 1,7; Kol 1,14; Hebr 9,15

Neuer Bund oder Ewiger Bund, dessen Lk 22,20; 1 Kor 11,25; Hebr 8,6; 9,15;Hoherpriester und Mittler Christus ist 12,24; Mk 14,24; Mt 26,28

Gemeinschaft und Frieden mit Gott 1 Kor 1,9; 2 Kor 13,13; Röm 5,1;und den Menschen 14,17; Eph 1,3.20; 2,14; Joh 1,3; 16,33;

Apg 10,36

Anteil an Gottes Leben und Natur Röm 8,29; Eph 1,17f; 2 Petr 1,4;

Wiedergeburt zum neuen Leben Joh 3,5; Tit 3,5; 2 Kor 5,17; Gal 6,15;Neuschöpfung Eph 4,24.

(G. L. Müller, Christologie, in: Beinert, Glaubenszugänge II, 246.)

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2.2 Das befreiende Heil als Weggemeinschaft

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3. Christus - das Heil des Menschen

3.1 Die Freiheit des Menschen

3.1.1  Erlösung und Freiheit - eine problematische

Verhältnisbestimmung

Die Lebensaufgabe des Menschen besteht darin, sich die Vollgestalt seines Lebens als Liebesgemeinschaft mit Gott und mit den anderen in seiner konkreten Geschichte zu erringen.

Neutestamentlich begründet die Proexistenz Christi bis hin zum sühnenden Kreuzestod die Befreiung des Menschen zu seiner geschichtlichen Freiheit.

Unter dem modernen Autonomie-Ideal der Aufklärung versucht der Mensch jedoch, sich von aller Fremd-bestimmtheit zu lösen, um in der Freiheit der vollkommen sich selbst Bestimmende zu sein: “Der theoretischen Isolierung des autonomen Subjekts entspricht der praktische Wille, seine Bedürfnisse aus sich selbst zu bestimmen.” 6

Diese totale, absolute Selbstbestimmung enthält jedoch eine wesentliche Aporie:

6 Vgl. Thomas Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie München 21988, 143.

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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie

a) Menschliche Freiheit kann in ihrer unendlichen

Freiheitsdynamik nie mit der Begrenztheit der eigenen

Existenz übereingebracht werden, bzw. ich kann in der

Begrenztheit dieser Welt und meines Lebens nie ein

Objekt finden, das meine absolute Freiheit

vollkommen befriedigt. Dieser Aspekt gehört zum

Wesen unserer Freiheit.

b) Dieses Über-sich-hinaus der Freiheit auf absolute

Freiheit hin zielt zwar auf ein Außerhalb meiner

eigenen Freiheit, aber dieses Außerhalb stimuliert

meine Freiheit innerlich, so daß sich hier eine Kluft

auftut. Dieser Aspekt kann sehr verhängnisvoll sein,

weil menschliche Freiheit stets der Gefahr der

Überforderung unterliegt.

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"Sie sieht zu, wie es mehr wird,/ verschwenderisch mehr,

einfach alles, wir auch;/ wie es wächst, über den Kopf,

die Arbeit auch; wie der Mehrwert

mehr wird, der Hunger auch;

sieht einfach zu, mit ihrem Gesicht,

das nichts sieht; nichtssagend,

kein Sterbenswort; /denkt sich ihr Teil;

Hoffnung, denkt sie,/ unendlich viel Hoffnung,

nur nicht für euch;/ ihr, die nicht auf uns hört,

gehört alles; und sie erscheint nicht;

ausdruckslos; sie ist gekommen;

ist immer schon da; vor uns/ denkt sie; bleibt;

ohne die Hand auszustrecken

nach dem oder jenem;

fällt ihr, was zunächst unmerklich,

dann schnell, rasend schnell fällt, zu;

sie allein bleibt, ruhig;

die Furie des Verschwindens."

H. M. Enzensberger, Die Furie

Gedichte 1950-1985 (st 1360), Frankfurt a. M. 1986, 145.

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3.1.2 Eine transzendentalphilosophische Analyse

des Freiheitsaktes und die theologische Frucht

H. Krings: Freiheit. Ein Versuch, Gott zu denken

1. Freiheit aktiviert sich als Öffnung des Willens auf das

Wollen, womit erst die Grundbedingung gegeben ist,

wählen zu können. Dieser "primäre Entschluss des

Willens zur eigenen Materialität" (ohne empirisches

Objekt) ist für H. Krings Charakteristikum der tran-

szendentalen Freiheit, die in ihrem transzendentalen

Entschluss aller empirischen Bestimmung vorange-

stellt ist.

2. Der adäquate Inhalt transzendentaler Freiheit ist die

Freiheit anderer. "Nur im Ent-schluss zu anderer

Freiheit setzt sich Freiheit selbst ihrer vollen Form

nach.” Selbstbestimmung ist deshalb "der Begriff der

transzendentalen Affirmation anderer Freiheit".Ders., System und Freiheit. Gesammelte Aufsätze (Praktische Philosophie 12), Freiburg/München 1980, 171-176.

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3. Die Freiheit anderer kann aber für die tran-

szendentale Freiheit kein erfüllender Gehalt sein,

da der andere samt seiner Freiheit endlich, der

transzendentale Akt des Sich-Öffnens der

Freiheit aber grenzenlos ist. "Transzendentale

Freiheit realisiert sich darum in der Bejahung

anderer Freiheit und im Vorgriff auf unbedingte

Freiheit."

Theologisch bietet sich hier die Möglichkeit,

Gott im Sinne einer absoluten Freiheit als

Grund unserer menschlichen Freiheit zu

denken, so dass er Freiheit allererst

ermöglicht und keineswegs einschränkt.

Gerade in der Relation von Mensch und

Gott zeigt sich also die Möglichkeit des

Eigenstandes des Geschöpfes - als theonom

begründete menschliche Autonomie.

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Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie

3.1.3 Die Möglichkeiten der Freiheit

Menschliche Freiheit ist angesiedelt im Spannungsgefüge

zwischen autonomem Selbstvollzug und Verankertsein in einer

absoluten Freiheit, also in Gott selbst.

In diesem Spann-Rahmen steht der Mensch somit in der

Entscheidung,

- sich entweder von der absoluten Freiheit Gottes her zu

verstehen, also eine theonom begründete Autonomie zu

vollziehen,

- oder aber sich auf die eigene Egozentrik und ein weltliches

Wahlobjekt zu beziehen - als letztem Ziel des

Freiheitsvollzuges.

Obwohl Gott alle Freiheitsakte transzendental trägt, auch die

fehlgeleiteten, so entscheidet sich der Mensch in seinem

konkreten Tun für endliche Objekte als letztem Freiheitsziel

und setzt diese absolut.

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3.2 Die Freiheit in Gott

In Gott gibt es so etwas wie eine unendliche Freiheit, da die verschiedenen Personen in Gott gerade in ihrer Unterschiedenheit und Opposition unendliche Frei-heitsräume zueinander eröffnen. Diese Freiheitsräume ermöglichen das jeweilige Anderssein von Vater, Sohn und Hl. Geist.

Die Erschaffung einer nochmals anderen Freiheit, nämlich die der Geschöpfe, ist von daher als Akt der Liebe zu denken.

Im Christusereignis wird der Mensch nicht nur von der Sünde als fehlgegangener Freiheit befreit, sondern zugleich zur Gnade der Gottescommunio befreit. Diese Gottesgemeinschaft durch Christus im Hl. Geist hat dann zur Konsequenz, daß

a) der Mensch seine endliche Freiheit in ihrem Ver-danktsein in Gott anerkennt und

b) dass er diese transzendentale Anbindung kon-kret-kategorial so realisiert, dass er seine Frei-heitsakte als geschichtliche Handlungen an der Person Jesu und seinem Programm der Liebe vollzieht.

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3.3 Die Freiheit Jesu Christi

Wenn wir auf die Person Jesu schauen, so zeigt sich bei ihm ein zweifaches:

In Freiheit wendet er sich seinen oftmals verkümmerten Mitmenschen zu, realisiert diesen freiheitlichen Einsatz als Mensch jedoch aus seiner sohnlichen Vaterbeziehung;

Gott sagt „Ja“ zu Jesus, wofür die Auferweckung Zeugnis ablegt, so dass Jesu Freiheitsentscheidung zur Liebe als Offenbarung der Freiheit Gottes als reine Liebe verstanden werden muss.

Beziehen wir diesen christologischen Sachverhalt vom Menschsein Jesu her auf den Menschen, so müssen wir sagen:

1. Gott sagt in der Anerkenntnis Jesu „Ja“ zur Freiheit des Menschen insgesamt.

2. Diese Freiheit des Menschen ist in Jesus aber in die Wahrheit der Liebe eingebettet, die Jesus aus seiner Vaterbeziehung heraus lebt.

3. Indem Jesus dies bis zum Tod lebt und gerade im Tod zu einem neuen Leben berufen wird, wird der menschlichen Freiheit in Jesus Christus ihre absolute Bestimmung eröffnet und ermöglicht: es ist dies die Liebe.

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3.3.1 Freiheit und Gehorsam

Im Neuen Testament wird Jesus mehrfach von seinem Gehorsam dem Vater gegenüber verstanden; vgl.: Hebr 10,5-10 oder Joh 6,38 sowie Joh 4,37.

Zu Joh 4,37 schreibt Rudolf Schnackenburg:"Das Entscheidende seiner Erlösungstat besteht in der Willenshingabe, im Gehorsam gegen Gott, der sein ganzes Leben erfüllt und in der Opferung seines Leibes gipfelt. ... Jesus lebt ganz aus der inneren Verbunden-heit mit dem Vater, empfängt von diesem den Auftrag zum Handeln und beugt sich ihm gehorsam. ... Seine Verbundenheit mit dem Vater erscheint ... als Willenseinheit und Wirkgemeinschaft, obwohl die tieferen Gründe zu ahnen sind. All sein Wirken erwächst aus der Liebe und gehorsamen Unterordnung unter den Vater, die aber seine Wesenseinheit mit ihm nicht ausschließt, sondern gerade voraussetzt."7

Die letzten Verstehensbedingungen für Jesu heils-ökonomische Freiheitsentscheidung zum Gehorsam dem Vater gegenüber sind demnach im innertrinitarischen Leben zu finden.

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Hier ist die ewige Liebes-Hingabe des Sohnes der Wurzelgrund aller Freiheit des Logos, und von daher kann seine Freiheit sich nur im Gehorsam der Liebe gegenüber äußern (vgl. Joh 5,26 in Korrespondenz zu 5,19f).

So ist Jesu Offenheit für den väterlichen Willen zugleich die Bereitschaft, den trinitarischen Ratschluß zur Überwindung der Sünde konkret-geschichtlich bis zum Kreuz in der Schöpfung zu realisieren. In diesem vollkommenen Gehorsam der Liebe Gott und den Menschen gegenüber ist Jesus dann die Klammer zwischen dem Versöhnungswillen Gottes einerseits und dem schuldbeladenen Menschen andererseits.

Darin wird nochmals deutlich, dass der heils-ökonomische Gehorsam mit der Konsequenz der Befreiung des Sünders in der ewigen Liebe in Gott begründet ist - also trinitätsimmanent.

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3.3.2 Freiheit zur Sendung

"Die Rolle <Anm: Jesu> ist eine zwei-einige: Als der

Rollenträger Gottes ist Jesus Christus dessen gültige

Auslegung und Vergegenwärtigung in der Welt, und

zwar ... Vergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, der

nur durch diese Versichtbarung in der menschlichen

Geschichte Christi zugänglich werden kann. Auf der

anderen Seite ist die von Jesus Christus gespielte Rolle

das Prinzip der Rollenverteilung für alle übrigen Spieler

... Christi Sendung ... ist in ihrer Urbildlichkeit - als

identisch mit der spielenden Person - der Ort, von dem

aus den menschlichen Geistsubjekten personalisierende

Rollen oder Sendungen (als Charismen) übergeben wer-

den."

(H. U. v. Balthasar, TD II/2, 237)

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Bis hierher

3.3.3.2 Die Möglichkeit einer neuerlichen Pervertierung und die Befreiung im Glauben

Kierkegaard schreibt in seiner Schrift „Krankheit zum Tode“:

„Kein Mensch vermag aus eigenem Vermögen und von sich selber her auszusagen, was Sünde ist, eben deshalb, weil er in der Sünde ist ...“

und weiter:

„Daher hebt das Christentum auch ... damit <an>, daß eine Offenbarung von Gott her dazu gehöre“.* Daß aber „die Sünde gegen Gott geschieht, potenziert sie unendlich“, weil dem Selbst eben dadurch, „daß es das Selbst Gott gegenüber ist“ eine „neue Qualität“ zuteil wird**. Von daher formuliert Kierkegaard folgende Definition: „Sünde ist, nachdem man durch eine Offenbarung von Gott her darüber aufgeklärt worden, was Sünde ist, vor Gott verzweifelt nicht man selbst sein wollen oder verzweifelt man selbst sein wollen.“**** S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode. Der Hohepriester - der

Zöllner - die Sünderin (GTBS 620), Gütersloh 1982, 94.** Ebd. 94.

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***Ebd. 96.

4. Fundamentale Aspekte des christlichen Heils

4.1 Anthropologische Perspektiven

Der Mensch will Integrität.

Der Mensch sucht Ursprünglichkeit.

Der Mensch lebt auf eine Verwandlung hin.

Der Mensch sehnt sich nach der Gunst der

Transzendenz.

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4.3 Gesellschaftliche Konsequenz

Alle Zitate aus: H. Schmidt, Auf der Suche nach

einer öffentlichen Moral. Deutschland vor dem

neuen Jahrhundert, Stuttgart 1998.

„Vor allem fehlt es an einer am Gemeinwohl

orientierten Moral. Mit Recht hat Roman Herzog

von einem ‘gefährlichen Verlust an Gemeinsinn’

gesprochen. Mir scheint das wachsende

moralische Defizit als die bedrohlichste

Gefährdung Deutschlands.“ (33)

„An die Stelle des Glaubens an Prinzipien ist der Kult

des Erfolgs getreten. Die Gesellschaft hat ihren Anker

verloren ... Es kann aber nicht richtig sein, das

Überleben der Stärksten zu einem Leitprinzip einer

zivilisierten Gesellschaft zu erheben.“ (106)

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„Die Kirchen müssen Gegengewichte setzen

gegen die Tendenz zum moralischen Verfall

unserer Gesellschaft. ‘Eine entfesselte

Freiheit führt zu Brutalität und Kriminalität.

Jede Gesellschaft braucht Bindungen. Ohne

Regeln, ohne Tradition, ohne Konsens über

Verhaltensnormen kann kein Gemeinwesen

bestehen’, so mit Recht Marion Gräfin

Dönhoff.“ (75)

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