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Vorwort: Eine Person, die dieses Buch liest, sollte für das bessere inhaltliche Verständnis wissen, dass ich seit dem 12. November 2010 in Haft bin. In der Anklageschrift werden mir mehrere schwere Verbrechen zur Last gelegt. Im Kanton Uri wurde ich deshalb mehrmals öffentlich als Staatsfeind Nummer eins bezeichnet, und vor Gericht äusserte sich der Staatsanwalt, ich hätte das Profil eines Höchstkriminellen. Dieses Buch handelt jedoch nicht direkt von meinem Fall. Vielleicht können meine Aufzeichnungen jedoch ein wenig aufzeigen, wie die Mechanismen in einem von Seilschaften geprägten Justizapparat funktionieren. So wie ich sind einige Personen im Gefängnis, weil es ihnen willentlich und systematisch verunmöglicht wird, zu ihrem Recht zu kommen. Das Schreiben im Gefängnis ist wahrscheinlich ein letzter Weg, eine gewisse Menschenwürde behalten zu können. Nach über einem Jahr Haft habe ich beschlossen, meinen inneren Schmerz zu überwinden und zu schreiben. In der Untersuchungshaft ist das eigentlich unmöglich, weil man normalerweise keinen Zugang zu einem Computer hat, geschweige denn irgendwelche Möglichkeiten, über ein Thema zu recherchieren. Nach langem Kampf durfte ich rund sechs Stunden pro Woche einen Computer in einem Aufenthaltsraum benutzen, selbstverständlich ohne Internetanschluss. In meiner Zelle habe ich dann jeden freien Papierfetzen beschrieben, um diese später in der knapp bemessenen Zeit mit dem Computer weiter zu bearbeiten. So eilte meine Zeit dahin, und mir war es nie langweilig; über diesen Zustand klagen sonst eigentlich alle Insassen. In diesem Roman beschreibe ich aus verschiedenen Perspektiven Zeitabschnitte von fiktiven Personen, die irgendwie miteinander verbunden sind. Natürlich habe ich in diese Fantasie auch persönliche Erfahrungen einfliessen lassen, die ich direkt, oder in der Form von Gleichnissen aufzeigen wollte. Ein Bezug auf noch lebende Personen wird jedoch keineswegs beabsichtigt. Die seltsam anmutende Darstellungsform, mit vielen Meinungsäusserungen und Basisüberlegungen, wurde von mir bewusst gewählt. Wer jedoch eine Abrechnung mit persönlichen Gegnern, Erlebnissen oder Institutionen erwartet, wird enttäuscht werden. Karl Jaspers hat bereits treffend aufgezeigt, wie auch ich denke: Wer noch nicht selbst durchleuchtend seine Schuld begriffen hat, der wird die Neigung haben, den Ankläger anzuklagen. Das Bedürfnis zum Zurückschlagen wäre folglich trotz der falschen Anschuldigung, mit der meine Haft begründet wird, ein fragwürdiges Zeichen, denn zumindest die Voraussetzung, aus dem der Tatvorwurf überhaupt entstehen konnte, wurde ohne Zweifel von mir geschaffen. Inhaltlich wird deshalb

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Page 1: Vorwort:  Web viewKarl Jaspers hat bereits treffend aufgezeigt, wie auch ich denke: Wer noch nicht selbst durchleuchtend seine Schuld begriffen hat,

Vorwort:

Eine Person, die dieses Buch liest, sollte für das bessere inhaltliche Verständnis wissen, dass ich seit dem 12. November 2010 in Haft bin. In der Anklageschrift werden mir mehrere schwere Verbrechen zur Last gelegt. Im Kanton Uri wurde ich deshalb mehrmals öffentlich als Staatsfeind Nummer eins bezeichnet, und vor Gericht äusserte sich der Staatsanwalt, ich hätte das Profil eines Höchstkriminellen. Dieses Buch handelt jedoch nicht direkt von meinem Fall. Vielleicht können meine Aufzeichnungen jedoch ein wenig aufzeigen, wie die Mechanismen in einem von Seilschaften geprägten Justizapparat funktionieren. So wie ich sind einige Personen im Gefängnis, weil es ihnen willentlich und systematisch verunmöglicht wird, zu ihrem Recht zu kommen.

Das Schreiben im Gefängnis ist wahrscheinlich ein letzter Weg, eine gewisse Menschenwürde behalten zu können. Nach über einem Jahr Haft habe ich beschlossen, meinen inneren Schmerz zu überwinden und zu schreiben. In der Untersuchungshaft ist das eigentlich unmöglich, weil man normalerweise keinen Zugang zu einem Computer hat, geschweige denn irgendwelche Möglichkeiten, über ein Thema zu recherchieren. Nach langem Kampf durfte ich rund sechs Stunden pro Woche einen Computer in einem Aufenthaltsraum benutzen, selbstverständlich ohne Internetanschluss. In meiner Zelle habe ich dann jeden freien Papierfetzen beschrieben, um diese später in der knapp bemessenen Zeit mit dem Computer weiter zu bearbeiten. So eilte meine Zeit dahin, und mir war es nie langweilig; über diesen Zustand klagen sonst eigentlich alle Insassen.In diesem Roman beschreibe ich aus verschiedenen Perspektiven Zeitabschnitte von fiktiven Personen, die irgendwie miteinander verbunden sind. Natürlich habe ich in diese Fantasie auch persönliche Erfahrungen einfliessen lassen, die ich direkt, oder in der Form von Gleichnissen aufzeigen wollte. Ein Bezug auf noch lebende Personen wird jedoch keineswegs beabsichtigt. Die seltsam anmutende Darstellungsform, mit vielen Meinungsäusserungen und Basisüberlegungen, wurde von mir bewusst gewählt. Wer jedoch eine Abrechnung mit persönlichen Gegnern, Erlebnissen oder Institutionen erwartet, wird enttäuscht werden. Karl Jaspers hat bereits treffend aufgezeigt, wie auch ich denke: Wer noch nicht selbst durchleuchtend seine Schuld begriffen hat, der wird die Neigung haben, den Ankläger anzuklagen. Das Bedürfnis zum Zurückschlagen wäre folglich trotz der falschen Anschuldigung, mit der meine Haft begründet wird, ein fragwürdiges Zeichen, denn zumindest die Voraussetzung, aus dem der Tatvorwurf überhaupt entstehen konnte, wurde ohne Zweifel von mir geschaffen. Inhaltlich wird deshalb schnell klar, dass durch die zeitweise langatmige Schreibweise eine Art persönliche Reflektion stattfand, in der die eigentliche Romanerzählung nur noch eine sekundäre Rolle spielt. Wenn man aus seiner Seele schreibt, hat man leider dabei vielfach zu viel Charaktertiefe. Wichtige Themen der Gesellschaft werden jedoch schonungslos angesprochen, und verschiedene Thesen regen sicher zum Nachdenken an.

Dieses Buch wird den aufmerksamen Leser fesseln und erheitern, weil es auf eine unkonventionelle Art unglaublich direkt wirkt und auch kein Tabu auslässt. Mit viel Sarkasmus und Witz kommen dabei Glaubensfragen genauso in den Fokus wie die detaillierte Milieutätigkeit oder die Arbeit von Behörden. Es ist kein Buch für schwache Nerven, denn die meisten Spiegel zeigen die schonungslose Wahrheit, unabhängig vom Standpunkt. Ein lesenswertes Buch ist meiner Ansicht nach erst ein Werk, welches den Blick subtil in eine Richtung lenkt, in die der grösste Teil der Gesellschaft freiwillig kaum hingeschaut hätte.