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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 152 | Biol. Unserer Zeit | 3/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Untersuchungen der Enkelgenera- tion deuten zwar auf eine Verer- bung des Acetophenon-Effekts hin, allerdings wurden wesentlich we- niger Tiere untersucht als in der Generation der direkten Nachkom- men. Es ist außerdem nicht klar, ob die Acetophenon-Empfindlich- keit an alle oder nur an einen Teil der Enkel weitergegeben wurde. Es wird daher sehr interessant sein, ob sich die beobachteten Ef- fekte in weiteren Untersuchungen bestätigen. [1] B. G. Dias, K. J. Ressler, Nat Neurosci. 2014, 17(1), 89–96. Martina Paulsen, Saarbrücken, [email protected] SOZIALVERHALTEN Walstrandungen: gemeinsam ins Verderben Neben Navigationsfehlern aufgrund von Umwelteinflüssen oder orga- nischen Beeinträchtigungen spielen bei Walstrandungen offenbar so- ziale Bindungen eine wichtige Rolle. Das gilt besonders für Pilotwale, die häufig von Massenstrandungen betroffen sind. Dank genetischer Analysen lassen sich heute Einzeltiere identifizieren und die verwandt- schaftlichen Beziehungen der gestrandeten Wale genauer erfassen. Diese Bilder kennt wohl jeder aus den Medien: Gestrandete Wale lie- gen wie aufgereiht im Sand und Tierschützer versuchen, sie wieder in das tiefere Wasser zurückzulei- ten. Oft landen die vermeintlich geretteten Tiere aber bereits kurz darauf wieder im Flachwasser bei ihren verendeten Artgenossen. Für dieses Verhalten werden soziale Bindungen, beispielsweise das Mutter-Kind-Verhältnis, verant- wortlich gemacht. Mitochondriale DNA (mtDNA) wird über die Eizelle vererbt, die Diversität ihrer Mikrosatelliten- Sequenzen gibt daher Aufschluss über maternale Linien in einer Population. Grundlage der mtDNA-Studie sind Hautstücke von 490 Kadavern des Pilot- oder Grindwales Globicephala melas (Abbildung) [1]. Sie stammen aus zwölf Massenstrandungen zwi- schen 1992 und 2006 in Neusee- land und Tasmanien. Für einige Strandungen wurden fast alle Indi- viduen erfasst, durchschnittlich etwa die Hälfte, darunter ge- schlechtsreife Weibchen (52,5 %), unreife Weibchen (12,5 %), ge- schlechtsreife Männchen (14,5 %) und unreife Männchen (20,5 %). Bei 9,8 % der untersuchten Wale handelte es sich um gesäugte, also vom Muttertier abhängige Walkäl- ber. Die relative Lage der einzel- nen Kadaver am Strand wurde bei zwei größeren Strandungen proto- kolliert. Das Ergebnis überrascht: Eine gestrandete Walschule setzt sich nicht aus einer einheitlichen müt- terlichen Linie, sondern aus meh- reren verschiedenen zusammen. Auch gesäugte Jungtiere waren räumlich von den Muttertieren ge- trennt und lagen nicht etwa, wie bisher oft vermutet, am Strand dicht bei ihr. Bisher galt gerade die gemeinsame Rettung benachbarter Kälber und Muttertiere als beson- ders aussichtsreich. Für einen gro- ßen Teil der Jungtiere konnte über- haupt kein Muttertier unter den gestrandeten toten Tieren gefun- den werden, es gibt also viele „vermisste Mütter“. Die Trennung der Jungtiere von ihren Müttern könnte der natürlichen Gruppen- dynamik entsprechen, also die nor- male Verteilung von verwandten Walen in einer Schule repräsentie- ren. Das ist aber eher unwahr- scheinlich angesichts der starken Abhängigkeit der Walkälber vom säugenden Muttertier. Wahrschein- licher ist es, dass die Mutter-Kind- Bindung schon vor dem Stranden gestört wurde. Während der Nah- rungs- und Partnersuche finden sich nicht verwandte Gruppen von Walen zusammen, das kann soziale Spannungen zur Folge haben. Be- obachtungen zeigen tatsächlich, dass ein Leitwal vor Strandungen oft von konkurrierenden Indivi- duen angegriffen und abgetrieben wird. Das verwirrt die gesamte Gruppe und trennt schließlich auch Muttertiere von ihren Kälbern. Eine genaue räumliche und genetische Kartierung der Indivi- duen bei Massenstrandungen kann besseren Aufschluss über soziale Bindungen geben und damit das Rettungs-Management für Wale künftig verbessern. [1] M.Oremus, R.Gales, H. Kettles, C.S.Baker, Journal of Heredity, March 13, 2013. doi:10.1093/jhered/est007. Inge Kronberg www.naturverstehen.de ABB. Pilotwale (Globicephala melas) sind häufig von Massenstrandungen betroffen. Durch Analyse ihrer ver- wandtschaftlichen Beziehungen soll die Rettung gestrandeter Tiere erfolgreicher werden. Bild: S. Mizroch, National Oceanic and Atmospheric Administration, USA.

Walstrandungen: gemeinsam ins Verderben

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152 | Biol. Unserer Zeit | 3/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Untersuchungen der Enkelgenera-tion deuten zwar auf eine Verer-bung des Acetophenon-Effekts hin,allerdings wurden wesentlich we-niger Tiere untersucht als in derGeneration der direkten Nachkom-men. Es ist außerdem nicht klar,

ob die Acetophenon-Empfindlich-keit an alle oder nur an einen Teilder Enkel weitergegeben wurde.Es wird daher sehr interessantsein, ob sich die beobachteten Ef-fekte in weiteren Untersuchungenbestätigen.

[1] B. G. Dias, K. J. Ressler, Nat Neurosci.2014, 17(1), 89–96.

Martina Paulsen, Saarbrücken,[email protected]

S O Z I A LV E R H A LT E N

Walstrandungen: gemeinsam ins VerderbenNeben Navigationsfehlern aufgrund von Umwelteinflüssen oder orga-nischen Beeinträchtigungen spielen bei Walstrandungen offenbar so-ziale Bindungen eine wichtige Rolle. Das gilt besonders für Pilotwale,die häufig von Massenstrandungen betroffen sind. Dank genetischerAnalysen lassen sich heute Einzeltiere identifizieren und die verwandt-schaftlichen Beziehungen der gestrandeten Wale genauer erfassen.

Diese Bilder kennt wohl jeder ausden Medien: Gestrandete Wale lie-gen wie aufgereiht im Sand undTierschützer versuchen, sie wiederin das tiefere Wasser zurückzulei-ten. Oft landen die vermeintlichgeretteten Tiere aber bereits kurzdarauf wieder im Flachwasser beiihren verendeten Artgenossen. Fürdieses Verhalten werden sozialeBindungen, beispielsweise dasMutter-Kind-Verhältnis, verant-wortlich gemacht.

Mitochondriale DNA (mtDNA)wird über die Eizelle vererbt, dieDiversität ihrer Mikrosatelliten- Sequenzen gibt daher Aufschlussüber maternale Linien in einer Population. Grundlage der mtDNA-Studie sind Hautstückevon 490 Kadavern des Pilot- oderGrindwales Globicephala melas(Abbildung) [1]. Sie stammen auszwölf Massenstrandungen zwi-schen 1992 und 2006 in Neusee-land und Tasmanien. Für einigeStrandungen wurden fast alle Indi-viduen erfasst, durchschnittlichetwa die Hälfte, darunter ge-schlechtsreife Weibchen (52,5 %),unreife Weibchen (12,5 %), ge-schlechtsreife Männchen (14,5 %)und unreife Männchen (20,5 %).

Bei 9,8 % der untersuchten Walehandelte es sich um gesäugte, alsovom Muttertier abhängige Walkäl-ber. Die relative Lage der einzel-nen Kadaver am Strand wurde beizwei größeren Strandungen proto-kolliert.

Das Ergebnis überrascht: Einegestrandete Walschule setzt sichnicht aus einer einheitlichen müt-terlichen Linie, sondern aus meh-reren verschiedenen zusammen.Auch gesäugte Jungtiere warenräumlich von den Muttertieren ge-trennt und lagen nicht etwa, wiebisher oft vermutet, am Strand

dicht bei ihr. Bisher galt gerade diegemeinsame Rettung benachbarterKälber und Muttertiere als beson-ders aussichtsreich. Für einen gro-ßen Teil der Jungtiere konnte über-haupt kein Muttertier unter dengestrandeten toten Tieren gefun-den werden, es gibt also viele „vermisste Mütter“. Die Trennungder Jungtiere von ihren Mütternkönnte der natürlichen Gruppen-dynamik entsprechen, also die nor-male Verteilung von verwandtenWalen in einer Schule repräsentie-ren. Das ist aber eher unwahr-scheinlich angesichts der starkenAbhängigkeit der Walkälber vomsäugenden Muttertier. Wahrschein-licher ist es, dass die Mutter-Kind-Bindung schon vor dem Strandengestört wurde. Während der Nah-rungs- und Partnersuche findensich nicht verwandte Gruppen vonWalen zusammen, das kann sozialeSpannungen zur Folge haben. Be-obachtungen zeigen tatsächlich,dass ein Leitwal vor Strandungenoft von konkurrierenden Indivi-duen angegriffen und abgetriebenwird. Das verwirrt die gesamteGruppe und trennt schließlichauch Muttertiere von ihren Kälbern.

Eine genaue räumliche und genetische Kartierung der Indivi-duen bei Massenstrandungen kannbesseren Aufschluss über sozialeBindungen geben und damit dasRettungs-Management für Walekünftig verbessern.

[1] M.Oremus, R.Gales, H. Kettles, C.S.Baker,Journal of Heredity, March 13, 2013.doi:10.1093/jhered/est007.

Inge Kronberg www.naturverstehen.de

A B B . Pilotwale (Globicephala melas)sind häufig von Massenstrandungenbetroffen. Durch Analyse ihrer ver-wandtschaftlichen Beziehungen soll die Rettung gestrandeter Tiereerfolgreicher werden. Bild: S. Mizroch,National Oceanic and Atmospheric Administration, USA.