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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 296 | Biol. Unserer Zeit | 5/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DIE LABORSEITE Warum wird Zellkulturmedien Glutamin zugesetzt? Zellkulturmedien müssen so beschaffen sein, dass die Zellen optimal wachsen können. Hierzu gibt es verschiedene bewährte Medienkom- positionen, deren Inhaltsstoffe an bestimmte Zellen angepasst wur- den. Einer – wenn nicht sogar der wichtigste – dieser Zusätze ist das so genannte Glutamin. Glutamin ist eine polare, ungela- dene Aminosäure, die in vielen Proteinen enthalten ist. In Protei- nen kommt ausschließlich die L-Form des Glutamins vor, und nicht das spiegelbildgleiche D-Glu- tamin, man meint daher immer das L-Glutamin, wenn man allgemein von „Glutamin“ spricht. Zellen, die in Kultur wachsen, decken ihren Energiebedarf meist durch Kohlenhydrate wie Glucose und durch die Aminosäure Gluta- min. Für einige Zellen weiß man, dass sie Glutamin sogar als Haupt- energiequelle nutzen. Dies gilt z.B. für die immortalisierte Zellllinie des Zervixkarzinoms von Hen- rietta Lacks (HeLa-Zellen), für die Glutamin sogleich die wachstums- begrenzende Aminosäure ist. Glu- tamin muss also als Nahrungsbe- standteil in allen Zellkulturmedien enthalten sein und gilt zudem als Hauptstickstoffquelle in klassi- schen Zellkulturmedien, da sie die- jenige Aminosäure mit dem höchs- ten Anteil an Stickstoff ist. Üblicherweise wird Glutamin in Kulturmedien in weitaus höhe- rer Konzentration verwendet als alle anderen Aminosäuren. Dies liegt auch mitunter daran, dass zum Beispiel Tumorzellen bis zu vier Mal mehr Glutamin als ge- sunde/normale Zellen zum Wachs- tum benötigen. Wie viel Glutamin benötigt wird, hängt ganz von der verwendeten Zelllinie ab. Vor al- lem schnell teilende Zellen benöti- gen viel Glutamin. Dementspre- chend schwankt auch der Gehalt an Glutamin in Fertigmedien je nach Bedarf. Glutamin ist in flüssiger Form und bei 37° C recht empfindlich und zerfällt leicht. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, Gluta- min bei -20°C zu lagern. Medien sollten zunächst ohne Glutamin angesetzt werden, um bei Bedarf aus einer 200mM (= 1%iger) Stammlösung die entsprechende Menge an Glutamin zugeben zu können. Fertige glutaminhaltige Medien sind dann bei 4° C stabil und sollten innerhalb von 4 Wo- chen aufgebraucht werden. Bei der Kultivierung der Zellen wird üblicherweise vorgewärmtes Me- dium benutzt, um den frisch aus dem Brutschrank stammenden Zel- len keinen Kälteschock zu verpas- sen. Eine Aliquotierung des Medi- ums empfiehlt sich, um nicht die gesamte Menge des Mediums vor der Benutzung auf 37° C erwär- men zu müssen. Wie im angesetzten Kulturme- dium zerfällt Glutamin natürlich auch in der Zellkulturflasche wäh- rend der Inkubation im Brutschrank bei 37° C. Außerdem wird Gluta- min von den Zellen während des Wachstumsprozesses verbraucht und es entstehen Abbauprodukte, unter anderem Ammoniak. Proble- matisch ist, dass Ammoniak als Hemmstoff und als Zellgift wirkt und sich auch auf von den Zellen gebildete Produkte wie Proteine oder Antikörper auswirken kann. Durch regelmäßigen Medium- wechsel oder durch Verwendung von Perfusionskultursystemen wird sichergestellt, dass Glutamin immer in ausreichender Menge vorhanden ist, und die Abbaupro- dukte nur in minimaler Menge im Medium vorhanden bleiben. Einige Forscher greifen gerne auf das so genannte „stabile“ Glu- tamin zurück, welches in Lösung bei Erwärmung stabil bleibt und von vielen Firmen angeboten wird. Hier handelt es sich um ein Dipep- tid aus zwei Aminosäuren, zum Beispiel Alanin und Glutamin. Zel- len können durch Spaltung der Peptidbindung daraus Glutamin ge- winnen. Allerdings kann es sein, dass durch die Verwendung dieses Ersatzstoffes die Wachstumseigen- schaften der Zellen beeinflusst werden. © Lorelyn Medina – FOTOLIA ABB. L-Glutamin, D-Glutamin, Glutaminsäure und Glutamat im Vergleich. L-Glutamin D-Glutamin Glutaminsäure Glutamat H 3 N H C CH 2 CH 2 C O NH 2 COO + H 3 N H C CH 2 CH 2 C O O COO + NH 2 H C CH 2 CH 2 C O OH COO Na OOC H C CH 2 CH 2 C NH 2 O NH 3 + verhalten sich wie Bild und Spiegelbild saure Seitenkette Salz der Glutaminsäure, hier Mononatriumglutamat (E 621) GUT ZU WISSEN Glutamin ist zwar chemisch eng verwandt, aber trotzdem nicht zu verwechseln mit der Glutaminsäure oder mit dem Glutamat, der ionisierten Form der Glutaminsäure – ein Geschmacksverstärker, der als Auslöser des China- Restaurant-Syndroms in Verdacht geriet. [1] G. Gstrauntha- ler, T. Lindl, Zell- und Gewebekul- tur: Allgemeine Grundlagen und spezielle An- wendungen, Springer Spek- trum, Berlin Heidelberg, 2013. [2] S. Schmitz, Der Experimentator: Zellkultur, Spek- trum Akademi- scher Verlag, 2011. [3] H. J. Boxberger, Leitfaden für die Zell- und Gewe- bekultur: Einführung in Grundlagen und Techniken, Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Wein- heim, 2006. Viel Spaß beim Experimentie- ren wünscht Andrea Hauk, Heidelberg

Warum wird Zellkulturmedien Glutamin zugesetzt?

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296 | Biol. Unserer Zeit | 5/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

D I E L A B O R S E I T E

Warum wird Zellkulturmedien Glutaminzugesetzt?Zellkulturmedien müssen so beschaffen sein, dass die Zellen optimalwachsen können. Hierzu gibt es verschiedene bewährte Medienkom-positionen, deren Inhaltsstoffe an bestimmte Zellen angepasst wur-den. Einer – wenn nicht sogar der wichtigste – dieser Zusätze ist das sogenannte Glutamin.

Glutamin ist eine polare, ungela-dene Aminosäure, die in vielenProteinen enthalten ist. In Protei-nen kommt ausschließlich die L-Form des Glutamins vor, undnicht das spiegelbildgleiche D-Glu-tamin, man meint daher immer dasL-Glutamin, wenn man allgemeinvon „Glutamin“ spricht.

Zellen, die in Kultur wachsen,decken ihren Energiebedarf meistdurch Kohlenhydrate wie Glucoseund durch die Aminosäure Gluta-min. Für einige Zellen weiß man,dass sie Glutamin sogar als Haupt-energiequelle nutzen. Dies gilt z.B.für die immortalisierte Zelllliniedes Zervixkarzinoms von Hen-rietta Lacks (HeLa-Zellen), für dieGlutamin sogleich die wachstums-

begrenzende Aminosäure ist. Glu-tamin muss also als Nahrungsbe-standteil in allen Zellkulturmedienenthalten sein und gilt zudem alsHauptstickstoffquelle in klassi-schen Zellkulturmedien, da sie die-jenige Aminosäure mit dem höchs-ten Anteil an Stickstoff ist.

Üblicherweise wird Glutaminin Kulturmedien in weitaus höhe-rer Konzentration verwendet alsalle anderen Aminosäuren. Diesliegt auch mitunter daran, dasszum Beispiel Tumorzellen bis zuvier Mal mehr Glutamin als ge-sunde/normale Zellen zum Wachs-tum benötigen. Wie viel Glutaminbenötigt wird, hängt ganz von derverwendeten Zelllinie ab. Vor al-lem schnell teilende Zellen benöti-gen viel Glutamin. Dementspre-chend schwankt auch der Gehaltan Glutamin in Fertigmedien jenach Bedarf.

Glutamin ist in flüssiger Formund bei 37° C recht empfindlichund zerfällt leicht. Aus diesemGrunde empfiehlt es sich, Gluta-min bei -20°C zu lagern. Medien

sollten zunächst ohne Glutaminangesetzt werden, um bei Bedarfaus einer 200mM (= 1%iger)Stammlösung die entsprechendeMenge an Glutamin zugeben zukönnen. Fertige glutaminhaltigeMedien sind dann bei 4° C stabilund sollten innerhalb von 4 Wo-chen aufgebraucht werden. Beider Kultivierung der Zellen wirdüblicherweise vorgewärmtes Me-dium benutzt, um den frisch ausdem Brutschrank stammenden Zel-len keinen Kälteschock zu verpas-sen. Eine Aliquotierung des Medi-ums empfiehlt sich, um nicht diegesamte Menge des Mediums vorder Benutzung auf 37° C erwär-men zu müssen.

Wie im angesetzten Kulturme-dium zerfällt Glutamin natürlichauch in der Zellkulturflasche wäh-rend der Inkubation im Brutschrankbei 37° C. Außerdem wird Gluta-min von den Zellen während desWachstumsprozesses verbrauchtund es entstehen Abbauprodukte,unter anderem Ammoniak. Proble-matisch ist, dass Ammoniak alsHemmstoff und als Zellgift wirktund sich auch auf von den Zellengebildete Produkte wie Proteineoder Antikörper auswirken kann.Durch regelmäßigen Medium-wechsel oder durch Verwendungvon Perfusionskultursystemenwird sichergestellt, dass Glutaminimmer in ausreichender Mengevorhanden ist, und die Abbaupro-dukte nur in minimaler Menge imMedium vorhanden bleiben.

Einige Forscher greifen gerneauf das so genannte „stabile“ Glu-tamin zurück, welches in Lösungbei Erwärmung stabil bleibt undvon vielen Firmen angeboten wird.Hier handelt es sich um ein Dipep-tid aus zwei Aminosäuren, zumBeispiel Alanin und Glutamin. Zel-len können durch Spaltung derPeptidbindung daraus Glutamin ge-winnen. Allerdings kann es sein,dass durch die Verwendung diesesErsatzstoffes die Wachstumseigen-schaften der Zellen beeinflusstwerden.

© Lorelyn Medina – FOTOLIA

A B B . L-Glutamin, D-Glutamin, Glutaminsäure und Glutamat im Vergleich.

L-Glutamin D-Glutamin Glutaminsäure Glutamat

H3N

H

C

CH2

CH2

CO NH2

COO+ –

H3N

H

C

CH2

CH2

CO O

COO+ –

NH2

H

C

CH2

CH2

CO OH

COO Na– ––

OOC

H

C

CH2

CH2

CNH2 O

NH3+

verhalten sich wie Bildund Spiegelbild

saure Seitenkette Salz der Glutaminsäure,hier

Mononatriumglutamat(E 621)

G U T Z U W I S S E N

Glutamin ist zwar chemisch eng verwandt, aber trotzdemnicht zu verwechseln mit der Glutaminsäure oder mitdem Glutamat, der ionisierten Form der Glutaminsäure –ein Geschmacksverstärker, der als Auslöser des China- Restaurant-Syndroms in Verdacht geriet.

[1] G. Gstrauntha-ler, T. Lindl, Zell-und Gewebekul-tur: AllgemeineGrundlagen undspezielle An-wendungen,Springer Spek-trum, BerlinHeidelberg,2013.

[2] S. Schmitz, DerExperimentator:Zellkultur, Spek-trum Akademi-scher Verlag,2011.

[3] H. J. Boxberger,Leitfaden für dieZell- und Gewe-bekultur: Einführung in Grundlagenund Techniken, Wiley-VCH Verlag GmbH &Co. KGaA, Wein-heim, 2006.

Viel Spaß beimExperimentie-

ren wünschtAndrea Hauk,

Heidelberg