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MEINUNG Ein Hafenarbeiter will im Bundestag politisch wirken Uwe Schmidt will im September als „Exot“ in den deutschen Bundestag einziehen. Der Hafen- arbeiter, der schon lange Be- triebsrats- und Gewerkschaftsar- beit leistet, will nun noch stärker politisch wirken. Mit der WATER- FRONT sprach er über seine Ziele und Erwartungen. Seite 2 AKTUELLES Ausgezeichnet: „Wir würden gern noch mehr ausbilden“ Regelmäßig zeichnet die Berufs bildungsstelle Seeschifffahrt (BBS) Reedereibetriebe für die Qualität ihrer Ausbildung aus. 2017 wür- digte sie dafür die Reederei Rörd Braren. Zum ersten Mal erhielt auch ein einzelner Ausbilder eine Anerkennung: Uwe Rottwinkel von der Reederei Rambow bekam eine Urkunde für sein soziales Engagement. Seite 3 BINNENSCHIFFFAHRT Neue Verordnung über die Arbeitszeit ist kritikwürdig Die EU-Richtlinie, die die Arbeits- zeitgestaltung in der europäi- schen Binnenschifffahrt regelt, ist im Januar in Kraft getreten. Sie gibt ausdrücklich nur Mindest- vorschriften vor, die Mitglieds- staaten können günstigere natio- nale Regelungen einführen oder beibehalten. Doch diese Chance wurde jetzt vertan, meint ver.di. Seite 6 SCHIFFFAHRT Seeleute besser abgesichert Seit Jahresbeginn 2017 sind See- leute rechtlich besser geschützt. Durch eine Änderung des See- arbeitsübereinkommens sind Ree- dereien verpflichtet, ihre Seeleute gegen das Risiko des Imstich- lassens sowie von Unfällen und Berufskrankheiten zu versichern. Seite 7/8 PANORAMA ITF-Inspektoren für Kreuzfahrtschiffe aktiv ver.di beteiligt sich mit Schwes- tergewerkschaften aus Norwegen und Italien aktiv an internationa- len Seminaren, die sich speziell an Seefahrer richten, die auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten. Sie werden in deren Heimatländern organisiert – auf den Philippinen, auf Saint Lucia, in Indien, Indone- sien und Panama. 2016 waren weltweit insgesamt 493 Kreuz- fahrtschiffe unterwegs. Mindes- tens 83 Prozent davon fahren mit ITF-Tarifverträgen. Seite 7/8 für die Arbeitnehmer. Immer größere Schiffe laufen die Häfen an, Digitalisierung und Automatisierung werden erhebliche Veränderungen der Arbeitswelt in den Häfen zur Folge haben. Die EU und wir als Gewerkschaften sind gefordert, diese Pro- zesse sozialverträglich zu gestalten. Die Seeschifffahrt ist gekennzeichnet von Ausflaggung und der Beschäftigung von Billigseeleuten. 500.000 Seeleute ar- beiten auf EU-Schiffen, nur sehr wenige davon sind EU-Bürger. Drittstaatenseeleute tragen nicht zum Erhalt des Know-hows in Europa bei. Die EU muss Regeln für den Seeverkehr festschreiben. Dazu gehört auch eine Kabotageregelung, die die Be- schäftigung von EU-Seeleuten zu europäi- schen Sozial- und Tarifstandards im euro- päischen Bereich vorschreibt. Am zweiten Kongresstag stand die Wahl des neuen Präsidenten für die Europäische Transportarbeiterförderation auf der Tages- ordnung. Der Belgier Frank Moreels wurde mit großer Mehrheit in dieses Amt gewählt (siehe Seite 4). Er tritt die Nachfolge von Lars Lindgren an, der zuvor zurückgetreten war. Ekatarina Yordanova aus Bulgarien und Jan Villadsen aus Dänemark hatten ihre Kandidaturen zurückgezogen. ETF- Präsident Frank Moreels sagte nach der Wahl: „Wir brauchen Stabilität und viele Mitglieder, die sich engagieren. Es gibt viel zu tun. Nur starke Gewerkschaften können die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den unlauteren Wettbewerb stoppen.“ Der Hauptantrag, der zugleich das ETF- Arbeitsprogramm für die nächste Wahlperi- ode ist und unter dem Motto „Gerechter Transport – Vision für den Verkehr der Zu- kunft“ steht, konzentriert sich auf folgende Themen: Verkehrspolitik und nachhaltiger Verkehr; Arbeits- und Gewerkschaftsrech- te; weltweit organisieren; grenzüberschrei- tende Vertretung und Koordination sowie Ausbildung und Beschäftigung steigern. Alexander Kirchner, Vizepräsident der ETF, sah vier wesentliche Trends, denen sich die ETF stellen muss: Der Globalisierung, die Niedriglohnbereiche und Deregulierung fördert; den technischen Wandel durch Digitalisierung und Automatisierung; den demografischen Wandel, der die Gesell- schaft verändert und sich auch auf den Verkehr auswirkt sowie den Klimawandel mit Auswirkungen auf die Umwelt und Anforderungen an den Verkehr. Weiter sagte er, die ETF sei die Stimme der Transportarbeiter in Europa, frei von Nationalismus und Neoliberalismus. Sie werde sicherstellen, dass ihre Positionen und Forderungen von der Europäischen Kommission gehört und verstanden wer- den. Der Kongress endete mit der klaren Botschaft: „ETF – Moving Europe Forward“. Die ETF bringt Europa voran! P.G. „Fairer Verkehr für Europa – soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Ein- heit“ – das war das Motto des 5. Ordentlichen Kongresses der Euro- päischen Transportarbeiterföderation (ETF), der vom 24. bis 26. Mai 2017 in Barcelona tagte. Etwa 500 Teil- nehmer aus 41 Ländern hatten die Aufgabe, die Arbeitsbedingungen und die sozialen Standards für ca. 3,5 Millionen europäische Arbeitneh- mer mitzugestalten und über deren Durchsetzung zu beraten. Außerdem wählte der Kongress, als das wichtigste Organ der ETF, den Präsidenten, den ETF-Generalsekretär, die Mitglieder des Exekutivausschusses, die ehrenamt- lichen Rechnungsprüfer und einen neuen Vorstand. Auf der Tagesordnung standen Rechenschaftslegung und Tätigkeitsberich- te über die vergangenen vier Jahre sowie die Beratung und Verabschiedung des Hauptantrages und des ETF-Arbeitspro- grammes für die nächste Legislaturperiode. Bereits vor der Kongresseröffnung fanden die Transportarbeiterkonferenzen der Ju- gend und der Frauen statt. Die derzeitige Situation im Verkehrs- sektor ist gekennzeichnet von schlechten Arbeitsbedingungen und oft auch unzu- reichenden Löhnen. Die Gewerkschaften müssen kämpfen und handeln, um das zu verändern. Dazu gab es klare Aussagen: Wir bauen ein Europa der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Gewerkschaften gestalten ein nachhaltiges und gerechtes Verkehrssystem, dass einhergehen muss mit der Verbesserung des Umweltschutzes, guten sozialen Arbeitsbedingungen sowie fairer Bezahlung für die Beschäftigten. Die Arbeitnehmer sind nicht Kostenfaktor, sondern Mehrwert. Investitionen sind der Schlüssel für bessere Infrastruktur und modernen, sozial gerechten Verkehr. Die geplanten Freihandelsabkommen TISA und CETA werden abgelehnt, sie führen nicht zu mehr Arbeitnehmer- und Gewerk- schaftsrechten. Violeta Bulc, die EU-Kommissarin für Verkehr und wichtigste Ansprechpartnerin der ETF, war bei dem Kongress anwesend. Die ETF-Forderung für eine klare Gesetz- gebung für den Verkehrsbereich wird von ihr unterstützt. Es gab dennoch Fragen und Kritik vonseiten der Kongressteilneh- mer, insbesondere die Aufforderung, dass die EU-Kommission mehr tun muss für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Plakate mit der Losung „End Social Dumping“ wurden hochgehalten. Für die Bereiche Häfen und Schifffahrt wurde die ETF-Forderung mit klaren Aus- sagen bekräftigt: Das Gesicht der Häfen ändert sich zu- nehmend, mit dramatischen Auswirkungen WATER FRONT Euer maritimes ver.di-Magazin 02 | 17 ETF-Kongress 2017 Fair Transport: Die Zeichen der Zeit erkennen und Europa voranbringen ver.di hat nachrechnen lassen. Und der DGB einen Appell gestartet: „Mit Deiner Stimme den Rentensinkflug stoppen“. Das Ziel ist klar: Es geht um einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Und zwar jetzt. Wenn das Rentenniveau bis 2030 ge- setzlich auf 43 Prozent sinkt, würde etwa die Hälfte der Bevölkerung keinen eigenen Rentenanspruch oberhalb der Grundsiche- rung mehr erzielen. Momentan erreichen 44 Prozent aller Beschäftigten ein Brutto- einkommen unter 2500 Euro. Der Osten Deutschlands und Frauen generell sind überproportional betroffen. Sie alle würden auch bei 45 Beitragsjahren mit ihrer Rente Kurswechsel in der Rentenpolitik nötig! nur auf oder nah am Niveau der Grundsi- cherung landen, das gegenwärtig im Schnitt etwas über 700 Euro liegt. Das betrifft erst recht die 5,14 Millionen Minijobber, die noch hinzukämen. „Diese Rentenerwartun- gen sind armutsgefährdend für weite Teile der Bevölkerung“, sagt der ver.di-Vorsitz- ende Frank Bsirske. Wer nur auf 40 oder gar 30 Beitragsjahre komme, rutsche „definitiv auf Hartz-IV-Niveau“. Dass bessere Renten möglich sind, zeige dagegen ein Blick über die Grenze nach Österreich. SPD, Grüne und Linke wollen die Ren- tenpolitik hierzulande ändern. Doch CDU und CSU verkünden ein „Weiter so!“ auch nach der Wahl. „Das ist verantwortungs- los“, sagt ver.di und fordert sofortiges Um- steuern, damit nicht immer mehr Men- schen von sozialem Abstieg oder gar Armut im Alter oder bei Erwerbsminderung be- droht sind. Private Vorsorge kann die Lücke nicht schließen. Wir brauchen wieder eine gesetzliche Rente, auf die man sich verlas- sen kann. Das Rentenniveau muss auf dem heutigen Stand von 48 Prozent stabilisiert und sogar angehoben werden. Der DGB hat eine Unterschriftenkampag- ne gestartet, um Druck zu machen: „In die- sem Jahr haben wir die Chance, bei der Rente viel zu bewegen. Dafür zählt jede Stimme“, heißt es im Aufruf. Denn die Bundestagswahl entscheidet mit über die Zukunft der Ren- te: „Wir fordern die im Bundestag ver- tretenen Parteien auf, die gesetzliche Rente in der kommenden Legislaturperiode wieder stark zu machen!“ Den Rentenappell mitzeichnen unter: rente-muss-reichen.de/meinestimme Auf der Petitionsplattform des DGB lassen sich auch Unterschriftenlisten herun- terladen: www.openpetition.de/petition/on- line/mit-deiner-stimme-den-renten- sinkflug-stoppen FOTO: REEDEREI RAMBOW FOTO: ITF

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Page 1: WATER - ver.di+file++595f560c086c2602... · Die Zeichen der Zeit erkennen und Europa voranbringen ver.di hat nachrechnen lassen. Und der ... Das Ziel ist klar: Es geht um einen Kurswechsel

MEINUNGEin Hafenarbeiter will imBundestag politisch wirkenUwe Schmidt will im September als „Exot“ in den deutschen Bundestag einziehen. Der Hafen-arbeiter, der schon lange Be-triebsrats- und Gewerkschaftsar-beit leistet, will nun noch stärker politisch wirken. Mit der WATER-FRONT sprach er über seine Ziele und Erwartungen. Seite 2

AKTUELLESAusgezeichnet: „Wir würden gern noch mehr ausbilden“

Regelmäßig zeichnet die Berufs bildungsstelle Seeschifffahrt (BBS) Reedereibetriebe für die Qualität ihrer Ausbildung aus. 2017 wür-digte sie dafür die Reederei Rörd Braren. Zum ersten Mal erhielt auch ein einzelner Aus bilder eine Anerkennung: Uwe Rottwinkel von der Reederei Rambow bekam eine Urkunde für sein soziales Engagement. Seite 3

BINNENSCHIFFFAHRTNeue Verordnung über die Arbeitszeit ist kritikwürdig Die EU-Richtlinie, die die Arbeits-zeitgestaltung in der europäi-schen Binnenschifffahrt regelt, ist im Januar in Kraft getreten. Sie gibt ausdrücklich nur Mindest-vorschriften vor, die Mitglieds-staaten können günstigere natio-nale Regelungen einführen oder beibehalten. Doch diese Chance wurde jetzt vertan, meint ver.di. Seite 6

SCHIFFFAHRTSeeleute besser abgesichert Seit Jahresbeginn 2017 sind See-leute rechtlich besser geschützt. Durch eine Änderung des See-arbeitsübereinkommens sind Ree-dereien verpflichtet, ihre Seeleute gegen das Risiko des Imstich-lassens sowie von Unfällen und Berufskrankheiten zu versichern. Seite 7/8

PANORAMAITF-Inspektoren für Kreuzfahrtschiffe aktiv

ver.di beteiligt sich mit Schwes-tergewerkschaften aus Nor wegen und Italien aktiv an internationa-len Seminaren, die sich speziell an Seefahrer richten, die auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten. Sie werden in deren Heimatländern organisiert – auf den Philippinen, auf Saint Lucia, in Indien, Indone-sien und Panama. 2016 waren weltweit insgesamt 493 Kreuz-fahrtschiffe unterwegs. Min des-tens 83 Prozent davon fahren mit ITF-Tarifverträgen. Seite 7/8

für die Arbeitnehmer. Immer größere Schiffe laufen die Häfen an, Digitalisierung und Automatisierung werden erhebliche Veränderungen der Arbeitswelt in den Häfen zur Folge haben. Die EU und wir als Gewerkschaften sind gefordert, diese Pro-zesse sozialverträglich zu gestalten.

Die Seeschifffahrt ist gekennzeichnet von Ausflaggung und der Beschäftigung von Billigseeleuten. 500.000 Seeleute ar-beiten auf EU-Schiffen, nur sehr wenige davon sind EU-Bürger. Drittstaatenseeleute tragen nicht zum Erhalt des Know-hows in Europa bei. Die EU muss Regeln für den Seeverkehr festschreiben. Dazu gehört auch eine Kabotageregelung, die die Be-schäftigung von EU-Seeleuten zu europäi-schen Sozial- und Tarifstandards im euro-päischen Bereich vorschreibt.

Am zweiten Kongresstag stand die Wahl des neuen Präsidenten für die Europäische Transportarbeiterförderation auf der Tages-ordnung. Der Belgier Frank Moreels wurde mit großer Mehrheit in dieses Amt gewählt (siehe Seite 4). Er tritt die Nachfolge von Lars Lindgren an, der zuvor zurückgetreten war. Ekatarina Yordanova aus Bulgarien und Jan Villadsen aus Dänemark hatten ihre Kandidaturen zurückgezogen. ETF-Präsident Frank Moreels sagte nach der Wahl: „Wir brauchen Stabilität und viele Mitglieder, die sich engagieren. Es gibt viel zu tun. Nur starke Gewerkschaften können

die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den unlauteren Wettbewerb stoppen.“

Der Hauptantrag, der zugleich das ETF-Arbeitsprogramm für die nächste Wahlperi-ode ist und unter dem Motto „Gerechter Transport – Vision für den Verkehr der Zu-kunft“ steht, konzentriert sich auf folgende Themen: Verkehrspolitik und nachhaltiger Verkehr; Arbeits- und Gewerkschaftsrech-te; weltweit organisieren; grenzüberschrei-tende Vertretung und Koordination sowie Ausbildung und Beschäftigung steigern.

Alexander Kirchner, Vizepräsident der ETF, sah vier wesentliche Trends, denen sich die ETF stellen muss: Der Globalisierung, die Niedriglohnbereiche und Deregulierung fördert; den technischen Wandel durch Digitalisierung und Automatisierung; den demografischen Wandel, der die Gesell-schaft verändert und sich auch auf den Verkehr auswirkt sowie den Klimawandel mit Auswirkungen auf die Umwelt und Anforderungen an den Verkehr.

Weiter sagte er, die ETF sei die Stimme der Transportarbeiter in Europa, frei von Nationalismus und Neoliberalismus. Sie werde sicherstellen, dass ihre Positionen und Forderungen von der Europäischen Kommission gehört und verstanden wer-den. Der Kongress endete mit der klaren Botschaft: „ETF – Moving Europe Forward“. Die ETF bringt Europa voran! P.G.

„Fairer Verkehr für Europa – soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Ein­heit“ – das war das Motto des 5. Ordentlichen Kongresses der Euro­päischen Transportarbeiterföderation (ETF), der vom 24. bis 26. Mai 2017 in Barcelona tagte. Etwa 500 Teil­nehmer aus 41 Ländern hatten die Auf gabe, die Arbeitsbedingungen und die sozialen Standards für ca. 3,5 Millionen europäische Arbeitneh­mer mitzugestalten und über deren Durchsetzung zu beraten.

Außerdem wählte der Kongress, als das wichtigste Organ der ETF, den Präsidenten, den ETF-Generalsekretär, die Mitglieder des Exekutivausschusses, die ehrenamt-lichen Rechnungsprüfer und einen neuen Vorstand. Auf der Tagesordnung standen Rechenschaftslegung und Tätigkeitsberich-te über die vergangenen vier Jahre sowie die Beratung und Verabschiedung des Hauptantrages und des ETF-Arbeitspro-grammes für die nächste Legislaturperiode. Bereits vor der Kongresseröffnung fanden die Transportarbeiterkonferenzen der Ju-gend und der Frauen statt.

Die derzeitige Situation im Verkehrs-sektor ist gekennzeichnet von schlechten Arbeitsbedingungen und oft auch unzu-reichenden Löhnen. Die Gewerkschaften müssen kämpfen und handeln, um das zu

verändern. Dazu gab es klare Aussagen: Wir bauen ein Europa der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Gewerkschaften gestalten ein nachhaltiges und gerechtes Verkehrssystem, dass einhergehen muss mit der Verbesserung des Umweltschutzes, guten sozialen Arbeitsbedingungen sowie fairer Bezahlung für die Beschäftigten. Die Arbeitnehmer sind nicht Kostenfaktor, sondern Mehrwert. Investi tionen sind der Schlüssel für bessere Infrastruktur und modernen, sozial gerechten Verkehr. Die geplanten Freihandelsabkommen TISA und CETA werden abgelehnt, sie führen nicht zu mehr Arbeitnehmer- und Gewerk-schaftsrechten.

Violeta Bulc, die EU-Kommissarin für Verkehr und wichtigste Ansprechpartnerin der ETF, war bei dem Kongress anwesend. Die ETF-Forderung für eine klare Gesetz-gebung für den Verkehrsbereich wird von ihr unterstützt. Es gab dennoch Fragen und Kritik vonseiten der Kongressteilneh-mer, insbesondere die Aufforderung, dass die EU-Kommission mehr tun muss für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Plakate mit der Losung „End Social Dumping“ wurden hochgehalten.

Für die Bereiche Häfen und Schifffahrt wurde die ETF-Forderung mit klaren Aus-sagen bekräftigt:

Das Gesicht der Häfen ändert sich zu-nehmend, mit dramatischen Auswirkungen

WATERFRONTEuer maritimes ver.di-Magazin

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ETF-Kongress 2017 Fair Transport:

Die Zeichen der Zeit erkennen und Europa voranbringen

ver.di hat nachrechnen lassen. Und der DGB einen Appell gestartet: „Mit Deiner Stimme den Rentensinkflug stoppen“. Das Ziel ist klar: Es geht um einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Und zwar jetzt.

Wenn das Rentenniveau bis 2030 ge-setzlich auf 43 Prozent sinkt, würde etwa die Hälfte der Bevölkerung keinen eigenen Rentenanspruch oberhalb der Grundsiche-rung mehr erzielen. Momentan erreichen 44 Prozent aller Beschäftigten ein Brutto-einkommen unter 2500 Euro. Der Osten Deutschlands und Frauen generell sind überproportional betroffen. Sie alle würden auch bei 45 Beitragsjahren mit ihrer Rente

Kurswechsel in der Rentenpolitik nötig!nur auf oder nah am Niveau der Grundsi-cherung landen, das gegenwärtig im Schnitt etwas über 700 Euro liegt. Das betrifft erst recht die 5,14 Millionen Minijobber, die noch hinzukämen. „Diese Rentenerwartun-gen sind armutsgefährdend für weite Teile der Bevölkerung“, sagt der ver.di-Vorsitz-ende Frank Bsirske. Wer nur auf 40 oder gar 30 Beitragsjahre komme, rutsche „definitiv auf Hartz-IV-Niveau“. Dass bessere Renten möglich sind, zeige dagegen ein Blick über die Grenze nach Österreich.

SPD, Grüne und Linke wollen die Ren-tenpolitik hierzulande ändern. Doch CDU und CSU verkünden ein „Weiter so!“ auch

nach der Wahl. „Das ist verantwortungs-los“, sagt ver.di und fordert sofortiges Um-steuern, damit nicht immer mehr Men-schen von sozialem Abstieg oder gar Armut im Alter oder bei Erwerbsminderung be-droht sind. Private Vorsorge kann die Lücke nicht schließen. Wir brauchen wieder eine gesetzliche Rente, auf die man sich verlas-sen kann. Das Rentenniveau muss auf dem heutigen Stand von 48 Prozent stabilisiert und sogar angehoben werden.

Der DGB hat eine Unterschriftenkampag-ne gestartet, um Druck zu machen: „In die-sem Jahr haben wir die Chance, bei der Rente viel zu bewegen. Dafür zählt jede

Stimme“, heißt es im Aufruf. Denn die Bundes tagswah l entscheidet mit über die Zukunft der Ren-te: „Wir fordern die im Bundestag ver-tretenen Parteien auf, die gesetzliche Rente in der kommenden Legislaturperiode wieder stark zu machen!“

Den Rentenappell mitzeichnen unter:rente­muss­reichen.de/meinestimme

Auf der Petitionsplattform des DGB lassen sich auch Unterschriftenlisten herun-terladen:www.open petition.de/petition/on­line/mit­deiner­stimme­den­renten­sinkflug­stoppen

FOTO: REEDEREI RAMBOW

FOTO: ITF

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Das laufende Jahr 2017 ist das Jahr der Bundestagswahl. Das bedeutet für uns als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der Maritimen Wirtschaft, dass wir un-sere inhaltlichen Positionen gegenüber den Parteien, aber auch gegenüber allen Kandidatinnen und Kandidaten entlang der Nord- und Ostseeküste klar und selbstbewusst im nun anlaufenden Wahl-kampf artikulieren müssen. Das ist unsere Ver antwortung als Gewerkschaft! Wir ha-ben unsere Vorstellungen und Konzepte im Laufe des Jahres bereits häufig zum Ausdruck gebracht. An zwei Ver anstaltungen erinnere ich euch speziell: Wir nutzten im Frühjahr die ver.di- Konferenz „Strategie Küste“ in der Bremer Bürgerschaft, um unsere mari-timen Anforderungen an die Landes- und Bundespolitik zu formulieren. Im Mittel-

punkt stand und steht dabei der fort-schreitende Auto matisierungs- und Digitalisierungsprozess in der Hafen-wirtschaft sowie in der Schifffahrt. Unsere Position dazu ist eindeutig: Die Beschäftigten müssen im Mittelpunkt der Veränderungsprozesse stehen. Wir sperren uns nicht gegen den tech-nischen Fortschritt. Wir sagen aber

auch ganz klar: Technischer Fortschritt und die damit verbundene Veränderung der Arbeitswelt können von den Beschäftigten nur akzeptiert werden, solange das huma-ne Element in der Arbeit bestehen bleibt. Denn stirbt die Arbeit im Hafen, stirbt ein wesentlicher Teil der maritimen Städte und Regionen. Alleine im Hamburger Hafen hängen aktuell rund 150.000 Arbeitsplät-ze direkt oder indirekt davon ab. Wir

fordern die Politik daher auf, die Beschäf-tigten und ihre Familien in den Mittel-punkt ihres Handelns zu stellen.

Die Profitgier vieler Arbeitgeber darf die Politik nicht leiten. Als Gesellschaft müssen wir dafür eintreten, dass die mari-timen Kommunen und Länder weiterhin handlungsfähig bleiben und nicht durch wachsende Arbeitslosigkeit und dadurch drohenden Kaufkraftverlust die Steuerein-

nahmen verlieren, die zu Investitionen in Verkehrsinfrastruktur so essenziell wichtig sind. Es kann nicht allein betriebswirt-schaftlich entschieden werden, was volks-wirtschaftlich enorme Folgen nach sich zieht. Wir brauchen eine breite gesell-schaftliche und politische Debatte über die Folgen und Herausforderungen, die wir als Gewerkschaft ver.di offensiv beeinflus-sen müssen – und beeinflussen werden!

Die zweite Veranstaltung, auf die ich nochmals blicken möchte, ist die Demons-tration im Vorfeld der 10. Nationalen Mari-timen Konferenz. Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft wieder öfter Farbe bekennen und auf den Straßen für unsere Positionen öffentlich eintreten müssen. Einige der Themen, die wir auf dem Hamburger Rat-hausplatz angesprochen haben, sind noch nicht gelöst. Wir brauchen schnellstmög-

FACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017M E I N U N G

E D I T O R I A L

WATERFRONT Euer maritimes ver.di-Magazin Nr. 2, Juli 2017Herausgeber: Vereinte Dienstleistungs- gewerkschaft (ver.di)Bundesvorstand: V.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Christine BehleKoordination: Peter GeitmannRedaktionelle Bearbeitung: Ute Christina Bauer, Helma Nehrlich (transit berlin.pro media) www.pressebuero-transit.deRedaktionsanschrift: ver.di-Bundesverwaltung Fachbereich Verkehr Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 BerlinLayout, Satzerstellung: VH-7 Medienküche GmbH Kreuznacher Straße 62, 70372 Stuttgart www.vh7-m.deTitelbild Seite 1: ETFDruck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 65295 Darmstadt www.alpha-print-medien.deDer ver.di-Fachbereich Verkehr ist auch im Internet zu finden: www.verdi.de/verkehr

I M P R E S S U M

I N T E R V I E W

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Es ist vielleicht der kurioseste Bundes­wahlkreis Deutschlands: Der Wahl­kreis Bremen II – Bremerhaven (Wahl­kreis 55) besteht aus Bremen­Nord, Teilen des Bremer Westens sowie Bremerhaven. Bis zu 65 Kilometer lie­gen dazwischen, in die Lücke zwängt sich das Bundesland Niedersachsen. Genau für diesen seltsamen Wahl­kreis kandidiert Uwe Schmidt. Der 51­jährige ist gelernter Kfz­Mecha­niker und Hafenfacharbeiter. Als in Bremerhaven­Lehe Geborener lebt er heute noch dort und ärgert sich darüber, dass der Stadtteil immer wieder fälschlicherweise als ärmster Stadtteil der Republik geschmäht wird.

Was sind Deine wichtigsten Themen für die Bundestagswahl, wofür setzt Du dich ein?Uwe Schmidt | Vordringlich geht es mir natürlich um Arbeitnehmerfragen, schließ-lich bin ich Betriebsratsvorsitzender beim Gesamthafenbetrieb des Landes Bremen mit ca. 1.400 Mitarbeitern an den Stand-orten Bremen und Bremerhaven. Außer-dem bin ich sowohl Mitglied der Bundes-tarifkommission Deutsche Seehäfen als auch der ver.di-Bundesfachgruppe Mariti-me Wirtschaft. Und: Last but not least bin ich Vorsitzender der Bremerhavener Ar-beitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD und auch im AfA-Bundes-vorstand.

All dies prägt meine politische Linie: Aktuell schon Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, kandidiere ich jetzt für den Bundestag, um dort Arbeitnehmerrechte, Arbeitnehmermitbestimmung und Gewerk-schaftsrechte verstärkt auf die Agenda zu bringen.

Was möchtest Du für die Beschäftig­ten erreichen?Uwe Schmidt | Als Gewerkschafter und als Politiker habe ich ein immenses Inte-resse daran, dass auch unter den Bedin-gungen von Automatisierung und Digi-talisierung gute und tarifgebundene Hafenarbeitsplätze erhalten bleiben. Dar-um werden wir uns streiten müssen. Auch die Mitbestimmung der Gewerkschaften und der Betriebsräte vor Ort muss unbe-dingt gefestigt werden! Das wird auf Bundesebene eines meiner großen Anlie-gen sein. Außerdem halte ich es für sehr wichtig, dass auch Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht erhalten, sodass Tarif-verträge auch von den Gewerkschaften durchgesetzt werden können und nicht nur

auf individualrechtlicher Ebene von den einzelnen tarifgebundenen Beschäftigten.

Im Frühjahr kam die Hiobsbotschaft, dass die Logistiksparte des GHBV ge­schlossen wird und viele Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren sollten. Was ist daraus geworden?Uwe Schmidt | Wir haben dagegen de-monstriert, sind gegen die Entlassungen auf die Barrikaden gegangen. Insgesamt sollten 840 Personen arbeitslos werden, für Bremerhaven haben wir es geschafft,

dass sich diese Zahl auf fünf Menschen reduziert hat, für alle anderen haben wir eine Beschäftigung gefunden. In Bremen sind aktuell noch ca. 130 Personen aus der GHB-Logistiksparte ohne Arbeit. ver.di hat massiv interveniert und gemeinsam mit dem Hafensenator und der Hafenwirt-schaft nach Lösungen gesucht – und ge-funden. Nicht für alle, aber für den größten Teil. Wir werden aber weiter darauf drän-gen, dass auch die noch nicht vermittelten Kolleginnen und Kollegen wieder in Arbeit kommen – sofern sie nicht aus dem Er-werbsleben ausscheiden wollen.

Wenn Du ab September im Berliner Bundestag sitzt, was sind Deine wich­tigsten Themen?Uwe Schmidt | Als Hafenarbeiter interes-siert mich natürlich alles, was mit Verkehr zu tun hat. Mir ist aber der gesamte Be-reich der Wirtschaft sehr wichtig. Dazu lau-fen verschiedene ver.di-Projekte: So wollen wir beispielsweise in den deutschen Häfen keine kommerzielle Zeit- und Leiharbeit mehr akzeptieren. Das ist Bestandteil eines Projektes zur „Strategie Küste“. Wir wollen als Gewerkschaft und in der AfA Zeit- und Leiharbeit nur noch dort zulassen,

wo die Sozialpartner das vereinbaren. Das ist ein Grundprinzip der sozialpartner-schaftlich organisierten Gesamthafenbe-triebe, das wir auf alle Bereiche ausdehnen möchten. Außerdem wollen wir als Partei keine sachgrundlosen Befristungen mehr zulassen. Und dann geht es mir natürlich darum, die Infrastruktur für die Häfen zu verbessern. Das betrifft zum einen die Hafenanbindung, aber es geht auch dar-um, die Länder und die Kommunen zu ent-lasten. Der Bund muss sich bezüglich der Infrastruktur der Seehäfen bewusst wer-den, welche nationale Bedeutung diese besitzen. Wer sich hinstellt und sagt, Bremen habe als Bundesland und als Kommune zu viele Schulden, macht es sich zu einfach. Er lässt außen vor, dass wir den zweitgrößten deutschen Seehafen vor-halten. Einen solchen Seehafen gibt es nicht geschenkt. Wenn da Investitions-bedarf besteht, muss sich der Bund stärker einbringen – auch finanziell und nicht nur mit warmen Worten.

Du bist Mitglied der Tarifkommission, die Tarifverhandlungen für die deut­schen Seehäfen geführt hat. Wie schätzt Du den Anfang Mai unter­zeichneten Abschluss ein?Uwe Schmidt | Wir haben ein gutes, mehrsträngiges Tarifergebnis erreicht: Nicht nur die Tabelle wurde angehoben, sondern auch die betriebliche Altersversor-gung. Die A- und B-Pauschalen haben wir ebenfalls angefasst. Die Arbeitgeber haben sich ziemlich gesperrt, gerade die Behand-lung der betrieblichen Altersversorgung ging ihnen gegen den Strich. Ein weiterer Erfolg: Wir haben den Demografie-Tarifver-trag verhandelt, der durch das Tarifergeb-nis mitgespeist wird. Das ist für die deut-schen Seehäfen eine wichtige Sache, an die die Arbeitgeber eigentlich nicht heran-wollten. Aktuell verhandeln wir noch über den Tarifvertrag „Automatisierung in den deutschen Seehäfen“. Dazu gibt es eine interne Arbeitsgruppe, in der sich ver.di mit den Arbeitgebern zusammensetzt und die Vorstellungen diskutiert. Die Aufgabe lau-tet: Wie können wir angesichts der Digi-talisierung in den Häfen die Leute in guten Facharbeiterjobs halten? Aber das ist noch im Fluss, dazu kann ich abschließend nichts sagen; außerdem bin ich nicht Mit-glied dieser Verhandlungskommission.

Wie waren die Tarifverhandlungen atmosphärisch? Waren sie sehr kon­frontativ?Uwe Schmidt | In Teilen ja. Einige Arbeit-geber innerhalb des ZDS sprechen eine

deutlich andere Sprache als wir Gewerk-schafter. Damit mussten wir uns auseinan-dersetzen, das müssen wir auch weiterhin tun. Aber die Arbeitgeber haben zur Kennt-nis genommen, dass wir kampfbereit und durchsetzungsfähig sind. Die deutschen Hafenarbeiter sind wehrhaft! Insofern war es für uns Arbeitnehmervertreter eine gute Tarifrunde.

Ihr wollt in Bremen einen speziellen Passus in die Hafenverordnung brin­gen, nämlich die Verankerung des Grundsatzes „Laschen ist Hafenar­beit“. Ist das jetzt unter Dach und Fach?Uwe Schmidt | Nein, so weit sind wir noch nicht, momentan wiehert der Amts-schimmel. Die Hafenverwaltung meldet auf einmal Bedenken an, über die wir diskutie-ren müssen. Aber wir haben den politi-schen Willen dazu und fordern die Verwal-tung auf, die Änderung verwaltungstech-nisch möglich zu machen.

Woran hakt es?Uwe Schmidt | In unserem Entwurf heißt es, dass Ladungssicherungsarbeiten in den bremischen Häfen durch qualifizierte Ha-fenarbeiter zu erledigen sind. Jetzt auf ein-mal sagt die Hafenverwaltung, Seeleute seien aufgrund ihrer Ausbildung dafür auch qualifiziert. Das verneinen wir – ohne die Qualifikation der Seeleute anzweifeln zu wollen. Aber wenn Seeleute zusätzlich zu ihrer extremen Arbeitsbelastung auch noch Lascharbeiten, die sonst von Hafenarbei-tern erledigt werden, aufgenötigt bekom-men, steigt das Gefährdungspotenzial. Dazu gibt es Untersuchungen und Studien beispielsweise aus dem Hamburger Hafen.

Im Augenblick „klemmt“ es also auf­grund von Bedenken aus der Verwal­tung. Seid Ihr dennoch optimistisch, das Problem zu lösen?Uwe Schmidt | Darauf werden wir beste-hen. Und ich glaube schon, dass wir als Gewerkschaft mit Unterstützung der Politik die Möglichkeit haben, uns durchzusetzen. Vielleicht wird es Verzögerungen geben, aber die Stoßrichtung ist klar: Zunächst hat uns die ganze Welt gesagt, all das ginge aus wettbewerbsrechtlichen Gründen gar nicht. Schließlich gebe es eine Regelung zu den Lascharbeiten auch in Hamburg nicht, in Rotterdam nicht usw. – das üb-liche Gezeter eben. Aber wir haben aus-reichend Belege dafür, dass auch andere Hafenplätze darüber nachdenken. Schließ-lich geht es auch um Hafensicherheit. Und an der ist allen gelegen.

Exot im Deutschen BundestagDen Hafenarbeiter und Gewerkschafter Uwe Schmidt zieht es nach Berlin

UWE SCHMIDT | FOTO: SPD

Wenn es dazu kommt, wie kann man gewährleisten, dass die Regelungen umgesetzt werden? Wird es Kontrol­len etwa durch die ITF­Inspektoren geben?Uwe Schmidt | Ja, die ITF kann das ja schon jetzt, weil in den meisten ITF-Verträ-gen Lascharbeiten durch Seeleute ohnehin schon ausgeklammert werden. Allerdings hat die ITF – soweit ich weiß – nur be-grenzte Sank tionsmöglichkeiten. Deshalb wollen wir in die Bremer Hafenverordnung hineinschreiben, dass auch das Hafenamt und in Teilen die zuständigen Behörden ein Kontroll- und gleichzeitig ein Sanktions-recht ausüben können. Die überarbeitete Bremer Hafenverordnung kann dann Vor-bild für alle deutschen Seehäfen sein.

Wie sind Deine persönlichen Erwar­tungen für Berlin?Uwe Schmidt | Wenn ich als kleiner Bre-merhavener in den Bundestag einziehe, werde ich sicherlich auch nicht zaubern können. Dennoch sehe ich es als meine Aufgabe an, mich als Gewerkschafter für die konkreten Bedürfnisse der Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer einzusetzen. Als Hafenarbeiter werde ich im Deutschen Bundestag ein Exot sein – soweit ich weiß, gibt es in der aktuellen Zusammensetzung des Parlaments nur einen Arbeiter. Und der wird dort unter „Sonstige“ geführt.

FRAGEN: UTE CHRISTINA BAUER

TORBEN SEEBOLD | FOTO: KATJA JÄNCHEN

lich eine Anpassung der lokalen und regio-nalen Hafenverordnungen, damit ein für alle Mal klargestellt wird: Laschen ist Hafenarbeit! Wir stehen dazu im Land Bremen in guten Gesprächen. Das Ant-wortschreiben des Hamburger Senators für Wirtschaft und Hafen Frank Horch kommt allerdings einer Realitätsverweige-rung gleich. Er streitet die Auswirkungen des Laschens auf Gesundheit, Leben und Arbeitsplätze von Seeleuten und Hafenar-

beitern schlichtweg ab. Darüber wird noch zu sprechen sein.

Zur Sicherung von Arbeits-plätzen in der deutschen Schiff fahrt ist dringend eine

Reform der nationalen Schiff-fahrtspolitik erforderlich. Unsere

ver.di- Bundesfachgruppe wird am 12. Oktober zu einer Maritimen Ideenwerk-statt in die Berliner Bundesverwaltung ein-laden. Eine neue Bundesregierung muss diese Reform dringend anpacken! Deshalb möchte ich euch auch motivieren, die Bundestagswahl zu nutzen und euer Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit in der Mariti-men Wirtschaft!

EUER TORBEN SEEBOLD

Wir werden am 12. Oktober zu einer Maritimen Ideenwerkstatt in die ver.di-Bundesverwaltung einladen. Eine neue Bundesregierung muss dringend eine Reform

der nationalen Schifffahrtspolitik anpacken!

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3A K T U E L L E SFACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017

Gute Nachrichten aus der Hanse­stadt: Beim 11. Bremer Schifffahrts­kongress vergab die Berufsbil­dungsstelle Seeschifffahrt (BBS) die Auszeichnungen „Exzellenter Ausbil­dungsbetrieb 2017“ und „Exzellenter Ausbilder 2017“. Geehrt wurden am 9. Mai die Ausbildungsreederei Rörd Braren in Kollmar und der Ausbilder Uwe Rottwinkel von der Reederei Rambow in Drochtersen.

„Die maritime Branche ist eine Herzens-angelegenheit, egal ob es um Ausbildung und Studium, um die Gewinnung von Fach-kräften oder um klassische Branchenbe-treuung geht“, erklärte der Bremer Staats-rat Jörg Schulz in seinem Grußwort. Er wünsche sich, dass auch in Zukunft junge Leute zum Schiffsmechaniker bzw. zur Schiffsmechanikerin ausgebildet werden und sie ihren Beruf in den Reedereien, in einem konsolidierten wirtschaftlichen Um-feld, auch weiterhin ausüben können. „Die Änderung der Schiffsbesetzungsverord-nung sollte nicht dazu führen, dass Absol-ventinnen und Absolventen einer hervor-

Der Nautiker Uwe Rottwinkel ist bei der Reederei Rambow mit Sitz in Drochtersen für vieles zuständig: für sämtliche Managementsysteme, für alles, was mit Seekarten zu tun hat, für die Nautik, für den Funk. Und eben für die Ausbildung. In dieses Arbeitsfeld kniet er sich seit vielen Jahren so sehr hinein, dass ihn die Berufsbildungsstelle Seeschiff­fahrt (BBS) nun für sein soziales En­gagement als „Exzellenten Ausbilder 2017“ ausgezeichnet hat – als ersten Ausbilder überhaupt.

Für die kleine Reederei mit 14 Contai-ner- und Feederschiffen – acht davon unter deutscher Flagge – kam die Auszeichnung überraschend. „Sonst werden immer nur die großen Unternehmen erwähnt“, stellt Rottwinkel fest. Dabei sollte doch die gute Arbeit kleinerer Reedereien genauso berücksichtigt werden. Umso mehr freue er sich, dass dies nun geschehen sei.

Bei der Reederei Rambow ist Rottwinkel seit 1985 beschäftigt, viele Jahre ist er für das Unternehmen zur See gefahren. Seit er 2003 in den Landbetrieb wechselte, hat er die Verantwortung für die Azubis

Exzellente Ausbildung in der Seeschifffahrt

Auch den Schwierigen eine Chance geben

Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt zeichnete Reederei und Ausbilder aus

BBS-Preis für soziales Engagement in der Ausbildung für Uwe Rottwinkel

ragenden beruflichen Ausbildung zukünftig der erste Berufseinstieg in den Primär-arbeitsmarkt fehlt“, so der Staatsrat.

Für die BBS e. V. sei es ein wichtiges Anliegen, die jahrelangen Mühen für sehr gute Ausbildung, wie die der Rörd Braren Reederei, entsprechend zu würdigen. Erst-malig wurde auch ein Ausbilder für sein persönliches Engagement geehrt. Uwe Rottwinkel von der Reederei Rambow er-hielt die Auszeichnung für sein soziales Engagement. „In der heutigen Zeit über-nehmen nicht mehr viele Menschen die Verantwortung für junge Auszubildende“, sagte der Vor sitzende der BBS, Ernst-Peter Ebert in seiner Laudatio. Besonders dann nicht, wenn dies auch die Menschen mit-einschließe, die sonst kaum eine Chance in der Gesellschaft hätten. Wie Ebert be-richtete, seien nicht wenige der vermeint-lich schwierigen Menschen tatsächlich Ka-pitän oder Chief geworden.

„Wir möchten mit dieser Auszeichnung allen an der Ausbildung Beteiligten an Bord und an Land für ihr besonderes Enga-gement danken“, betonte BBS-Geschäfts-führer Holger Jäde. Für Reedereien und

übernommen. Nun ist er in der Ausbildung zuständig für das Auswahlverfahren, für die Einstellung, für die Koordination der Bordeinsätze und der Schulblöcke. Ausge-bildet werden bei der Reederei Rambow Schiffsmechaniker; Nautiker und Techniker können ihr Patent ausfahren. „Weil wir ein relativ kleiner Betrieb sind, können wir nur begrenzt Arbeitsplätze bieten. Dabei schöpfen wir gern aus unserem eigenen Pool“, so Rottwinkel. So sind bei Rambow eigentlich immer zwischen 35 und 40 Leute in der Ausbildung.

Wenn es darum geht, Auszubildende oder Mitarbeiter einzustellen, handele er intuitiv, auf klassische Auswahlkri terien wie Tests und Schulnoten gebe er nicht viel. Auch sogenannten „schwierigen Fällen“ gibt Rottwinkel eine Chance. „Ich habe vie-le Quereinsteiger eingestellt, auch solche, die nur einen Hauptschulabschluss hatten und sonst nicht unterkamen – wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft, eines nicht ganz so tollen Zeugnisses oder eines Lebens-laufs, der nicht geradlinig verlaufen ist.“ Darunter waren Leute, bei denen viele we-gen ihrer Tätowierungen zunächst einen Schreck bekommen. Oder Leute, die schon an die 40 Jahre alt waren. „Wenn sie wirk-

Ausbilder sei die Ausbildung von Schiffs-mechanikerinnen und Schiffsmechanikern ein Weg zur Förderung des eigenen Nach-wuchses. Die duale Ausbildung auf dem Weg zum Leitenden Ingenieur oder Kapi-tän bringe nur Vorteile mit sich – für die jungen Menschen, die eine Ausbildung in der Seeschifffahrt beginnen wollen, genau-so wie für die Reederei, die einen Aus-bildungsplatz zur Verfügung stellt. „Die wenigsten interessierten Bewerber wissen wirklich, welche Möglichkeiten sich aus dem Arbeitsplatz Schiff ergeben“, so Jäde. „Alle kennen den Kapitän an Bord. Dass es auch einen interessanten Arbeitsplatz als Leiter der Maschinenanlage gibt, erfah-ren viele der jungen Menschen erstmals bei einem Vorstellungsgespräch.“ Das Ver-ständnis für den Gesamtbetrieb Schiff wer-de in keiner anderen seemännischen Aus-bildung so gut gefördert, wie während dieser dualen Berufsausbildung. „Deswe-gen freut es mich, dass wir durch die Auslobung des Preises die Bemühungen und Anstrengungen, aber auch die Freu-den, die mit der Ausbildung verbunden sind, anerkennen können“, schloss Jäde.

lich wollen, gebe ich solchen Menschen gern eine Chance. Die haben oft bei uns gute Abschlüsse erzielt, unsere Abbrecher- und Durchfallquoten sind gering.“

Bei der Auswahl der Azubis lässt sich Rottwinkel von seinem Bauchgefühl leiten. „Die Leute bewerben sich bei uns oder ich bekomme eine Anfrage von der Berufs-bildungsstelle bzw. der Zentralen Heuer-stelle.“ Bei diesen Institutionen gelte er als Ansprechpartner für gewisse Problemfälle. Nach einem Gespräch mit den Bewerbern und einem Blick in ihre Unterlagen ent-scheide er sich oft dafür, es mit den Leuten zu versuchen. „Manchmal sagt man mir nach, dass ich zu langmütig bin. Ich gebe auch Leute nicht auf, die in anderen Be-trieben schon längst gekündigt worden wären. Aber ich glaube an das Gute im Menschen. Ein 19-Jähriger kann sich noch ändern, da kann es noch ‚Klick‘ machen.“ Man könne einen Azubi, den andere schon aufgegeben haben, sehr glücklich machen, wenn man an ihn glaubt und ihm etwas

zutraut. „Die geben teilweise richtig Gas. Ein grandioses Abiturzeugnis interessiert mich wenig. Erst an Bord zeigt sich, ob jemand für den Beruf geschaffen ist und Lust und Liebe dafür mitbringt.“

Weil die Besatzungsstärken auf den relativ kleinen Schiffen der Reederei Rambow nicht sehr groß sind, könne man die Azubis nicht – wie es bei manchen Großreedereien der Fall ist – mit einem extra Ausbildungsoffizier auf einem Aus-bildungsdeck nebenbei mitfahren lassen, erklärt Rottwinkel. „Andererseits bevor-zuge ich ohnehin ein learning by doing, das die Auszubildenden gleich richtig in die Crew integriert. Sie tragen dann – gestaffelt nach Ausbildungsjahr – schon

Verantwortung und haben eine echte Daseinsberechtigung an Bord. Viele gehen richtig darin auf. Sie verstehen, wie die Schifffahrt läuft und worauf es ankommt.“

Trotz guter Bedingungen geht auch bei der Reederei Rambow die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen zurück. „Ich könnte sofort fünf weitere Ausbildungsstellen ver-geben“, so Rottwinkel. Die Negativpresse der letzten Jahre über die wirtschaftliche Situation der Seeschifffahrt habe einiges dazu beigetragen. Dennoch ist Rottwinkel überzeugt: „Ausbildung bleibt wichtig, auch wenn viele sagen, dass die deutsche Seeschifffahrt keine Zukunft hat. Wir wol-len, dass die deutsche Flagge Bestand hat. Ausbildung gehört einfach dazu.“ UCB

„Wir würden gern noch mehr ausbilden“Bestens betreut: Angehende Schiffsmechaniker in der Reederei Rörd Braren

Die Freude war groß: Die Urkunde der Berufsbildungsstelle Seeschiff­fahrt (BBS), die die Reederei Rörd Braren in Kollmar an der Unter­elbe als „Exzellenten Ausbil­dungsbetrieb“ ausweist, hat im Unternehmen einen Ehrenplatz gefunden. Gleich im Eingangs­bereich des Büros hängt sie nun, auch die dazugehörige Stele wur­de prominent aufgestellt. Die kleine Reederei, deren zwölf Schiffe vor allem Stückgut trans­portieren, wurde von der BBS in ihrem besonderen Engagement für die Ausbildung bestätigt und gewürdigt.

„Wir bilden überwiegend Schiffs-mechaniker aus, derzeit lernen bei uns rund 20 Auszubildende diesen Beruf, daneben bieten wir Praktika für Marineoffiziere, die in die Schiff-fahrt wollen“, erzählt Rörd Braren, namensgebender Chef und Gründer der Reederei. Außerdem bilde man nautische und technische Junioroffi-ziere aus, die ihr Patent ausfahren müssen. Seit Gründung der Reederei im Jahr 1990 genieße die Ausbildung einen hohen Stellenwert. Pro Jahr stelle man fünf Auszubildende für den Beruf des Schiffsmechanikers ein. „Wir würden gerne noch mehr Aus-bildungsverträge abschließen, aber es gibt kaum noch Bewerbungen“, be-dauert Braren. Das Image der See-schifffahrt habe unter den verbreite-ten Nachrichten über Pleiten und Insolvenzen sehr gelitten.

Der wichtigste Grund für die große Ausbildungsbereitschaft sei das Be-dürfnis, den Menschen, die das wirk-lich wollen, Chancen in der Branche zu eröffnen. „Auch wir haben ja einmal von der Generation unserer Väter eine Lehrstelle bekommen. So wie ich die Chance hatte, zur See zu fahren, möchte ich das an junge Leuten weitergeben.“ Natürlich habe die Reederei auch etwas davon. Die

Flotte der Reederei Rörd Braren fahre überwiegend unter deutscher Flagge und man ziehe es vor, zumindest mit den Schiffsleitungen – dem Kapi-tän und dem Chief – in der deutschen Sprache zu kommunizieren. „Wir haben auch festgestellt, dass unser Unternehmen am besten läuft, wenn wir uns die Leute über eigene Aus-bildungen selbst heranziehen. So sehen wir gleich, ob jemand zu uns passt.“ Auszubildenden, die sich be-sonders gut anstellen, biete man gern auch ein Stipendium an, falls sie ein nautisches oder technisches Studium anschließen wollen. „Wir hoffen natürlich, dass sie zu uns zu-rückkommen, wenn sie ihr Examen in der Tasche haben.“

Die Anforderungen des Berufs seien anders geworden, man habe heute mit viel mehr Technik und Automatisierung zu tun. Daher seien technische Fächer – etwa Elektronik – in der Ausbildung sehr wichtig. „Wir achten schon darauf, wer ein Händchen für die Bedienung von technischen Geräten und Maschinen hat, ein Grundverständnis dafür ist unverzichtbar.“

Fast immer mache man mit den Auszubildenden gute Erfahrungen. Nur manchmal wünscht sich Rörd Braren von den jungen Leuten mehr Durchhaltevermögen: „Als ich 1968 mit der Seefahrt angefangen habe, war ich sechs Monate seekrank. Ich habe anfangs auf jeder Reise ge-spuckt. Aber ich habe mir gesagt, ‚das will ich jetzt, irgendwann geht das vorbei‘. Und so kam es dann ja auch.“ So etwas mache heute keiner mehr mit, spätestens nach 14 Tagen werde in so einem Fall die Ausbil-dung abgebrochen. „Die Gesellschaft hat sich verändert und die Menschen mit ihr. Härten mag niemand mehr in Kauf nehmen. Aber im Großen und Ganzen sind wir mit den Leistungen unserer Azubis sehr zufrieden.“

UCB

FOTO: BBS FOTOS (3): REEDEREI RÖRD BRAREN

FOTO: REEDEREI RAMBOW

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4 FACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017I N T E R N A T I O N A L E S

So wie der europäische Zusammen­schluss der Transportarbeitergewerk­schaften, die ETF, aktuelle Entwick­lungen und Veränderungen durch Digitalisierung und Automatisierung im Hafensektor analysiert und dazu ein Programm erarbeitet hat (siehe letzte Ausgabe, Seite 5), so hat die ETF auch Schwerpunkte für gewerk­schaftliche Arbeit in der Seeschiff­fahrt gesetzt. Das Arbeitsprogramm der ETF­Sektion Seeverkehr steckt Aufgaben bis 2021 ab.

Ziel der gemeinschaftlichen gewerk-schaftlichen Aufgabenstellung ist es, die Seeverkehrsbranche in Europa zu stärken und einen Europäischen Seeverkehrsraum ohne Sozialdumping zu schaffen. Dazu will die ETF die Beschäftigungsmöglichkeiten für europäische Seeleute verteidigen und stärken. Gewerkschaftliche und soziale Grundrechte für Seeleute an Bord von Schiffen unter europäischer Flagge sollen umfassender durchgesetzt werden. Das geht einher mit der Sicherung hoher Schu-lungs- und Zertifizierungsstandards sowie

Frank Moreels, der Vorsitzende der belgischen Transportarbeitergewerk­schaft, erhielt auf dem 5. ETF­ Kongress in Barcelona das Vertrauen der nationalen Gewerkschaftvertre­ter und wurde zum neuen Präsiden­ten der ETF gewählt.

Frank hat klare Vorstellungen von den Herausforderungen, die sich im europäi-schen Transportsektor in den kommenden Jahren stellen. Er hat es als seine Aufgabe und die aller europäischen Gewerkschaf-ter formuliert: „eine stärkere ETF“ zu schaffen, „um ein demokratisches und soziales Europa aufzubauen“.

Angesichts des Vormarsches populisti-scher, nationalistischer und rechtsextremer Kräfte in Europa sieht Moreels die Gefahr

einer stärkeren Beteiligung von Frauen im Seeverkehrssektor.

Besondere Priorität im neuen ETF- Arbeitsprogramms hat die Schaffung und Bewahrung von Arbeitsplätzen. Die soll durch eine verbesserte Anwerbung, bes-sere Laufbahnmöglichkeiten sowie Arbeits- und Lebensbedingungen für europäische Seeleute gesichert werden. Drei wichtige Vereinbarungen strebt die ETF dazu an:

Europäischer Seeverkehrsraum ohne Sozialdumping

Nach Überzeugung der ETF muss eine Verordnung über einen solchen Euro-päischen Seeverkehrsraum abgeschlossen werden, damit die EU-Sozialvorschriften nicht nur auf den Inlandsverkehr beschränkt bleiben, sondern auf innergemeinschaft-lichen Schiffsverkehr ausgedehnt werden. Das soll Sozialdumping in europäischen Gewässern ausschließen und faire Bedin-gungen für alle Seeleute sichern. Schwer-punkt ist das hohe Seefahrtsaufkommen in Nord- und Ostsee. Wenn hier die ITF-Politik zur Kabotage durchgesetzt werden könnte,

von Spaltung. Er will, dass die ETF und der Europäische Gewerkschaftsbund EGB dafür kämpfen, soziale Rechte ins Herz von Europa zu rücken und gegen die wilde Liberalisierung der Transportwirtschaft vor-zugehen. „Europa muss demokratisch und sozial werden oder es wird zugrunde gehen!“

Digitalisierung und „Uberisierung“ der Wirtschaft bewirken einen Wandel in den Transportberufen. Die Gewerkschaften se-hen sich akut mit „Schwarzarbeit, Schein-selbstständigkeit, prekären Arbeitsplätzen, digitalen Plattformen und Zeitarbeits firmen konfrontiert.“ Sie müssen sich darauf kon-zentrieren, so viele menschliche Arbeits-plätze wie möglich unter guten sozialen Bedingungen zu erhalten und Sozialdum-ping zu bekämpfen. Dazu seien verstärkt

ETF verabschiedet Arbeits programm für den Seeverkehr

Für ein demokratisches und soziales Europa

käme das der Schaffung eines euro päischen Binnenseeverkehrsraumes gleich. Teil der ETF-Aktion sollen Seeleute- Umfragen sein, um verlässliche Daten zu Bemannungs-bedingungen zu erhalten. Schwerpunkte liegen im Personenlinien- und Fährverkehr, aber auch in der Handelsschifffahrt.

Aufwertung der Sozialrechte für Seeleute

Menschenwürdige Arbeit und bessere Lebensbedingungen für Seeleute auf Schif-fen unter europäischer Flagge stehen hier im Mittelpunkt. Sie würden auch auf die Beschäftigung europäischer Seeleute au-ßerhalb der EU ausstrahlen. Dazu sollen die Informationsmöglichkeiten und die Kontaktaufnahme mit Seeleuten verbessert und neue Mitglieder für die Gewerkschaft geworben werden. Eine Studie zur Situati-on der Seeleute mit Blick auf soziale Sicherheit und Rentenansprüche soll auch

vorhandene Unterschiede zwischen EU-Mitgliedsstaaten zeigen.

Schulung und Zertifizierung vereinheitlichen

Die ETF will in den kommenden Jahren eine Sozialpartner-Vereinbarung zur Schu-lung für europäische Seeleute verabschie-den. Diese sollte Kompetenznachfrage und Angebot an Arbeitsplätzen auf See besser angleichen helfen. Die Bildungsproble-matik soll im Sozialen Dialog mit den euro päischen Arbeitgeberorganisationen aufgegriffen und geregelt werden. Gute Kooperation mit Aus- und Fortbildungsein-richtungen der Seefahrt und die zukunfts-trächtige Überarbeitung der Lehrpläne sieht die ETF als Stärkung für das See-fahrts-Cluster insgesamt. In diesem Bereich soll nach ETF-Planung auch die Verwen-dung staatlicher Beihilfen und von EU-För-dermitteln genauer analysiert werden. NEH

wirksame Kampagnen nötig und eine starke, flexible Strategie: „Verhandeln, wenn möglich; Aktionen starten, wenn nötig.“ Anvisiert werden müsse das Vor-gehen einer Vielzahl multinationaler Unter-nehmen im Transportsektor, in der Luft- und Seefahrtfahrt, den Häfen oder bei Logistikunternehmen auf Straßen und Schiene. Das könne nur mit dem Engage-ment der Mitglieder und mit starken Ge-werkschaften auch in Osteuropa gelingen.

Eine besondere Bedeutung komme jun-gen Beschäftigten zu und der Gleich-stellung der Geschlechter. Gegenüber der Öffentlichkeit brauche die ETF bessere Kommunikation: „Klare und starke Bot-schaften, Filme, Infografiken, um all diese schwierigen Probleme nachvollziehbar zu machen.“ NEH

New Work Programme of ETF Maritime Transport Section The new ETF Work Programme 2017 – 2021 will have as an objective the creation and preser-vation of jobs through the impro-vement of recruitment, job pros-pects, retention and working and living conditions of European seafarers. The new Work Pro-gramme proposes a specific stra-tegy that will result in improved employment and working condi-tions for European seafarers and which will in turn contribute to the overarching goals. In this regard the Work Programme en-visages pursuing three major results in the coming years:

Adopt a Regulation on a European Maritime Space without Social Dumping

Enhance, promote and better implement Social Right for Seafarers

Adopt a Social Partners Agreement on Training for Seafarers

FOTO: ETF

ETF: For More socially sustainable Maritime Policies in Europe One of the main objectives of the ETF is to be the voice of its 3.5 mil­lion members in the context of the European Union (EU). Headquar­tered in Brussels, the ETF acts to co­ordinate the political views and pri­orities of its affiliates and advocate these, through its lobbying activi­ties, with the EU policy­makers, mainly the European Commission, European Parliament and the Coun­cil of the European Union.

As the experiences of Port Packages I & II show, trade union lobbying can only be effective when it is backed by a strong and powerful industrial basis at national and workplace level. Our political activ-ities in the EU must therefore be consis-tent and connected with those of our affiliates. It is in this framework that the ETF Dockers’ Section has recently organised three events, precisely aimed at fueling exchanges between our polit-ical activities and our industrial base.

On the occasion of the ETF 5th Con-gress, held in May 2017 in Barcelona, ETF Dockers have organised a side event on ‘Shipping policies: what is left for maritime workers?’

European ports are changing rapidly

and so is port work. Being seaports the connecting points between different modes of transport, they often have to adapt to developments in other trans-port modes, in particular shipping. For this reason, over the last years ETF Dockers have looked more and more closely at EU and national shipping pol-icies as well as at market-based and technological developments in the mar-itime transport sector. The EU approach to subsidies to shipping, the trend to-ward bigger ships, the creation and con-solidation of shipping alliances have all significant consequences on ports, on their economic performance and there-fore on their socio-economic dimension. As an example, bigger ships require higher and more frequent public and private investments, possibly higher lev-els of automation, and impose on ports, port labour and port cities huge efforts to adapt. At the same time, port users have always been at the forefront for demanding policy-makers to liberalise port services and to make port labour cheaper. Already for decades, the EU maritime sector experiences the para-doxical situation where tax-payers’ money is being used to subsidise a sec-tor that is not contributing to create EU

jobs both at sea and ashore: vessels are mostly manned with non-EU nation-als, ships are mainly built outside the EU and dockers’ jobs are threatened by growing automation as well as liber-alisation processes. ver.di, together with other Dockers’ unions in the North Range, is leading the work of the ETF for raising policy-makers attention on this situation.

The main objective of this side event was to launch a discussion on these subjects with our colleagues in the Mar-itime Transport Section, as achieving fairer and more socially sustainable maritime shipping policies in Europe is in the interest of all maritime workers.

Being aware of the need to make the ETF more present and visible at work-

place level and to involve more closely trade union representatives as well as Dockers in our work to shape the future of dockwork, the Dockers’ Section re-cently organised the first-ever ETF Young Dockers’ meeting and an auto-mation seminar. The two events took place in Antwerp from 25 to 28 June 2017 and were attended by more than 80 participants from 14 affiliated union coming from 9 European countries.

The meeting allowed more than 30 Dockers younger than 35 to get to know each other, exchange priorities and make plans for the future. We see young Dockers as our present, and we need to involve them closely in our work, as they are key for shaping the future of our sector and of our professions!

The automation seminar was the first of a series of activities aimed at discuss-ing automation with the workers we rep-resent. Beside a general introduction on what automation is, how this is being implemented and how it impacts ports and port work, during the meeting we had a close look at the realities of port work in Rotterdam, Hamburg and Ant-werp. Very fruitful debates took place on the role of collective bargaining to shape the impact of automation on workers; on the future of our unions and how organ-ising strategies change; on the role of training and retraining to make workers ready for technological developments; on labour organization and the future of labour pools. LIVIA SPERA, ETF POLITICAL SECERTARY PORTS

PARTICIPANTS FROM 14 UNIONS JOINED IN ANTWERP. | FOTO: ETF

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5FACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017 N A T I O N A L E M E L D U N G E N

Sie sei „gekommen, um zu bleiben!“, sagt sie. Nicht ganz unwichtig, bedenkt man, dass die Position in den letzten Jahren einen häufigen Wechsel erfahren hat: Leiter(in) des Vertragsbüros der ITF-Billig-flaggenkampagne bei ver.di. Maya Schwie-gershausen-Güth ist das seit einigen Wochen, als eine Säule der neu konstituier-ten Fachgruppe Maritime Wirtschaft. Maya möchte den Schwung der Fusion nutzen und das Vertragswesen strategisch fort-entwickeln, statt es nur zu verwalten.

Erst im Juli 2016 hatte der ver.di- Verkehrsreport sie als neue Tarifsekretärin für die Fachgruppe Häfen vorgestellt. Dass sie „das Wasser mag und gern ans Meer fährt“, qualifizierte sie damals nicht allein für diese Arbeit, ist aber für ihre jetzige Funktion erst recht von Nutzen. Mit Auto-matisierung und Digitalisierung und im-mer wieder dem Thema Gute Arbeit hatte

Willkommen an Bord

FOTO: DIE HOFFOTOGRAFEN

Wieder da FOTO: SHUTTERSTOCK.COM

Keine Billigflagge in der nationalen Fähr- und Ausflugsschifffahrt!

Von der Waterkant nach Berlin

Entschließung„Die Teilnehmenden der 18. ver.di- Konferenz für Betriebs-/Personalräte und Tarifkommissionsmitglieder in der nationalen ‚Kurzstreckenschifffahrt‘ vom 23. bis 26. Januar 2017 im ver.di- Bildungszentrum Undeloh wenden sich gegen die Ausflaggung von Fähr- und Ausflugsschiffen in der nationalen, küs-tennahen Schifffahrt und fordern vom zuständigen Ressort der ver.di-Bundes-verwaltung, dem Bundesfachbereichs-vorstand, der Bundesfach gruppe ‚Mari-

time Wirtschaft‘, den ver.di-Landes-bezirksvorständen und Fachbereichs-vorständen ‚Verkehr‘ Niedersachsen/Bremen, Nord und Hamburg, sich ge-meinsam mit den Vertretern der ITF/ETF bei den jeweiligen Landesregierungen, Parteien und Verbänden für einen dies-bezüglichen Beibehalt der ‚Deutschen Flagge‘ einzusetzen sowie bei den zu-ständigen Genehmigungsbehörden auf eine Versagung etwaiger Ausflaggun-gen hinzuwirken.“ 32 TEILNEHMENDE DER 18. KONFERENZ DER AUSFLUGS­ UND FÄHRSCHIFFFAHRT

Der Unmut der Beschäftigten war deutlich: 32 Arbeitnehmervertreter/innen empörten sich im Januar in einer Entschließung über die Pläne der Elb-Link GmbH Cuxhaven (s. Kasten). Das Tochterunternehmen der estnischen Reederei Saaremaa Shipping Company betrieb bis März 2017 zwei Doppelend-Fähren zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel. Nach dem Willen der Ge-schäftsleitung sollten die Schiffe in das Register der autonomen portugiesischen Provinz Madeira „umgeflaggt“ werden. Damit hätte das Unternehmen gegen gel-tendes internationales und nationales Schifffahrtsrecht verstoßen und zugleich ein neues Kapitel der Steuer-, Sozialversi-cherungs- und Sicherheitsflucht im küsten-nahen Schifffahrtsbereich aufgeschlagen. Aus ver.di-Sicht absolut inakzeptabel!

Weniger aufgrund zu geringer Nachfrage als wegen Problemen mit der Hausbank hat-te das Unternehmen Elb-Link den Fährver-kehr im März 2017 eingestellt und kurz dar-auf Insolvenz angemeldet. Nach Gründung einer neuen Betreibergesellschaft unter glei-chem Namen konnte am 25. Mai der Fährbe-trieb wieder aufgenommen werden – aller-dings nur noch mit dem Schiff „Grete“. Dass Grete unter deutscher und nicht unter malte-sischer Flagge fährt, ist dennoch ein Erfolg.

Verschiedene gesetzliche Bestimmungen ebenso wie das Bundesverfassungsgericht hatten 1995 unmissverständlich auf die nur begrenzte Anwendbarkeit des Internationa-len Seeschiffsregisters (ISR) verwiesen. Auf nationale küstennahe Fähr- und Ausflugs-verkehre und insbesondere für die Fährver-bindungen auf ausschließlich nationalen Wasserstraßen trifft dies nach ver.di-Auffas-sung nicht zu. UCB

Eigentlich ist es eine Rückkehr: Die Geburts-stunde von Christian Schadow, seit 1. Juli 2017 Gewerkschaftssekretär für den Ar-beitskreis Häfen in der ver.di-Bundesver-waltung, schlug vor 47 Jahren in Berlin. Doch weil sich die Familie vor 35 Jahren

FOTO: ver.di

Im Rostocker Hafen konnte ver.di ihren Organisationsgrad erheblich ausbauen Der ehemalige Seehafen Rostock, Umschlagsbetrieb wurde mit der Privatisierung in sieben kleine Hafeneinzelbetriebe zersplittert. In der Folge kam es zur Tarifflucht. Der Branchentarifvertrag mit dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) verlor seine Geltung. In zwei Unterneh­men, davon eines in öffentlicher Hand, wurden Haustarifverträge abgeschlossen. In den anderen Hafeneinzelbetrieben fand ver.di so gut wie nicht mehr statt.

Zwischenzeitlich sind die wichtigs-ten Hafeneinzelbetriebe an die Euro-ports-Gruppe weiterverkauft worden. Seit 2015 verfolgen wir nun das Ziel, über den Umweg von Haustarifverträ-gen eine Tarifbindung für die Euro-ports-Gruppe herzustellen.

Wir sind mit unseren Bemühungen auf gutem Wege: Mit zwei Hafenein-zelbetrieben gibt es bereits Tarifverträ-ge. Dabei setzen wir konsequent die bedingungsgebundene Tarifarbeit um. Eine offene und ehrliche Diskussion

mit den Beschäftigten ist dabei unbe-dingt erforderlich. Natürlich mussten die Beschäftigten davon überzeugt werden, dass es sich lohnt, Mitglied in ver.di zu werden. Sie waren geprägt durch negative Erfahrungen in der Vergangenheit. Klar ist auch, dass wir die Erwartungen, die wir wecken, dann auch erfüllen müssen. Darauf kommt es an. Wenn wir unsere Zusa-gen einhalten und erfolgreich sind, machen diese Beispiele Schule.

Und was konnte bisher erreicht werden? Von Anfang 2016 bis Januar 2017 hat sich der Organisationsgrad in vier Hafeneinzelbetrieben von 10 bis 25 Prozent auf 60, 72, und 85 Pro-zent erhöht. Und das in Betrieben, in denen ver.di vorher so gut wie keine Rolle gespielt hat! Mit dem größten Hafeneinzelbetrieb konnte inzwischen ein Tarifvertrag abgeschlossen wer-den. Bei zwei weiteren Unternehmen stehen demnächst Tarifverhandlungen an. Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr noch zwei weitere Betrie-be zu Tarifverhandlungen auffordern werden. DETLEV FOLLACK

nach Hamburg aufmachte, fühlt er sich als „echter Hamburger“. Dort schloss er die Schule ab, dort absolvierte er eine Aus-bildung zum Hafenfacharbeiter, dort sam-melte er als Containerbrückenfahrer beim Hamburger Gesamthafenbetrieb (GHB) mit knapp 1.100 Mitarbeitern Erfahrungen – auch als Betriebsrat und als Gewerkschafts-vertrauensmann. „In Hamburg Hafenarbei-ter zu sein, ist etwas ganz Besonderes“, spielt er auf den Stolz der „Hamburger Docker“ an. Und nach über 25 Jahren keiner mehr zu sein, sei schon komisch. Allerdings hat Christian 2016 schon fünf Monate als gewerkschaftlicher Betreuungs-sekretär in Bremerhaven ausgeholfen. Wie Gewerkschaft von innen tickt, weiß er also.

Als Betriebsrat und Mitglied der Tarif-kommission legte Christian Schadow sein Hauptaugenmerk auf Tarifbedingungen und ver.di-Tarifpolitik: „Beim GHB Hamburg er-fuhren die Haustarifverträge in den letzten 25 Jahren immer wieder Veränderungen je

nach Einstellungsdatum der Beschäftigten. Dagegen anzukämpfen und Benachteili-gungen neu Eingestellter zu verhindern, war ein starker Ansporn für mich.“

Jetzt ist Christian neugierig auf seine neue Aufgabe in Berlin, die er vor allem als eine politische begreift und als „span-nende Herausforderung“, zu der er nicht Nein sagen konnte. Nun erfahre er auch, was etwa in den Ostseehäfen los ist und was in kleineren Häfen passiert. „Dort wird unter anderen Bedingungen gearbei-tet, dort geht es um andere Ladungen.“

Eine hochwichtige gewerkschaftliche Aufgabe sei es, in nicht tarifierte Bereiche hineinzukommen; außerhalb der großen Häfen seien der Organisationsgrad und die Tarifbindungen schwächer. „Das zu än-dern, wird eine zentrale Aufgabe sein.“ Nötig sei es, die verschiedenen Hafen-standorte und Betriebe zu vernetzen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Kampfkraft der Hafenarbeiter erhalten bleibt. Das ist

FOTO: KATJA JÄNCHEN

kein Selbstläufer.“ Erreichtes festzuhalten, sei angesichts von Automatisierung und Digitalisierung zu wenig. „Neue Berufs-felder entstehen, die wir von Anfang an im Blick haben müssen. Früher war es eine Selbstverständlichkeit, als Hafen-arbeiter in die Gewerkschaft einzutreten und dort zu bleiben. Das ist heute nicht mehr unbedingt so.“ Ein Dauerthema sei der Grundsatz „Laschen ist Hafenarbeit“. Bei der letzten Baltic Week seien gute Aktionen gelaufen, jetzt müsse man sehen, wie sie im September fortgeführt werden. „Die nächste Aktionswoche vorzubereiten, wird eine meiner ersten Taten sein.“

In vieles müsse er noch hineinwachsen, etwa bei den Fragen der europäischen und internationalen Kooperation über die ETF und die ITF, sagt Christian. „Das ist neu für mich, doch dem stelle ich mich gern.“ Der Abschied von Hamburg falle nicht leicht, aber der neue Job werde ihn oft dahin zurückführen. Und die frühere Hei-matstadt neu zu entdecken, sei auch reizvoll. „Ich verlasse Hamburg mit einem weinenden Auge und komme mit einem lachenden Auge nach Berlin.“ UCB

sich die Politik- und Sozialwissenschaft-lerin schon parallel zum Studium beschäf-tigt, bevor sie 2013 als Tarif koordinatorin der ver.di-Bundesfachgruppe Straßenper-sonenverkehr noch tiefer in die Materie einstieg. Auch das Internationale geriet immer mehr in ihren Fokus. 2014 wurde sie zur Vizepräsidentin des ITF-Aus-schusses für den ÖPNV gewählt, ist mitt-lerweile bestens vernetzt und fachlich eingebunden in internationale Themen und Prozesse.

In letzter Zeit hat sie sich mit den Herausforderungen der Hafenwirtschaft und ihren praktischen Auswirkungen für die Kolleginnen und Kollegen im Hafen beschäftigt. Nun steuert sie vom Land ins Wasser, genauer gesagt von der Hafen-kollegin ins Vertragsbüro der ITF-Billigflag-genkampagne bei ver.di. „Ich bringe meine Hafenerfahrung mit ein in die neue Auf-gabe und habe einen maritimen Blick auf die Herausforderungen der Branche“, sagt die 33-Jährige. Damit sind etwa Auto-matisierungs- und Digitalisierungsprozes-

se, Anforderungen an Qualifizierung sowie der Kampf gegen Lohn- und Sozial dumping in der internationalen Seeschifffahrt ge-meint.

Die Verbesserung der Arbeits- und Le-bensbedingungen von Seefahrerinnen und Seefahrern auf Schiffen in deutscher Eigen-tümerschaft stehen dabei im Fokus. „See-leute dürfen nicht zum Spielball von Ree-derinteressen werden! Globale Solidarität ist hier die Maxime“, sagt Maya Schwie-gershausen-Güth. Zusammen mit den Kol-leginnen und Kollegen der ITF-Billigflag-genkampagne bei ver.di, im Vertragsbüro in Berlin und direkt auf den Schiffen vor Ort setzt sie sich für die Interessen der Seeleute weltweit ein. Für Kolleginnen und Kollegen im Hafen denkt sie dabei stets mit – ganz im maritimen Sinn. Als Leiterin des Vertragsbüros umfasst ihre Arbeit vor allem „die Verhandlung mit Reedern national und international, das Engage-ment in ETF- und ITF-Gremien sowie die stra tegische Fortentwicklung der Verträge.“ Willkommen an Bord, Maya! NEH

Tarifmeldungen Das hat ver.di erreicht:

Zentrale Tarifrunde Seehäfen 2017

Abschluss: 4. Mai 2017 in Bremen

Tabellenwirksame Lohnerhöhung um 2,7 Prozent zum 1. Juni 2017

Erhöhung des Arbeitgeber-anteils zur Altersvorsorge um 10 Euro auf jetzt 55 Euro monatlich (bei gleichbleiben-dem Eigenanteil v. 20 Euro)

Erhöhung der A-Pauschale um 300 Euro jährlich auf jetzt 2.808 Euro

1,8 Prozent Inflationsausgleich für Beschäftigte in Betrieben mit Beschäftigungssicherung (C-Betriebe)

Laufzeit zwölf Monate

Entgelttarifvertrag DC Abschluss: 22. Juni 2017 in Bremen

Deutliche Reallohnsteigerung: Tabellenwirksame Lohn-erhöhung um 2,9 Prozent zum 1. Juni 2017

Weitere 2,8 Prozent zum 1. Juli 2018

Laufzeit 26 Monate

Lohntafel der BBB Schlepp­ und Hafendienst GmbH und der Fairplay Schleppdampf­schiffs­Reederei Richard Borchard GmbH

Abschluss: 22. Juni 2017 in Rostock

Steigerung des Gesamt-monatsentgelts und der geld-werten Nebenleistungen ab 1. Juni 2017 um 2,3 Prozent.

Einmalzahlung einer Leistungszulage von 650 Euro für Juli 2017

Erhöhung des Urlaubsgelds ab 2018 auf 1600 Euro.

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6 S C H I F F F A H R T FACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017

Satzungsänderung bei der Seemannskasse

Mit dem Übergang der Seemannskasse zur Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS) im Jahr 2009 ergaben sich auch einige rechtliche Veränderungen. So unterliegt die See-mannskasse hinsichtlich des Vermögensrechtes seitdem dem Rentenrecht. Das hat Auswirkungen auf die Situation der Finanzreserven. Die Satzung vom 1. Dezember 2016 sah in § 24 Abs. 1 vor, dass höchstens das Sechsfache einer Monatsausgabe als Betriebsmittel und maximal das 15-fache einer Monatsausgabe als Rücklage vorgehalten werden dürfen, insgesamt darf der Bestand an Betriebs-mitteln und Rücklagen also das 21-fache einer Monatsausgabe nicht überschreiten. Damit war ein Rahmen vorgegeben, den der Beirat aber ange-sichts der wirtschaftlichen und personellen Ent-wicklung in der Seeschifffahrt nun nicht mehr für praktikabel gehalten hat. Da aktuell der Bestand an Betriebsmitteln und Rücklagen höher ausfällt als in der Satzung vorgegeben, haben das Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und

das Bundesversicherungsamt (BVA) den Beirat auf-gefordert, tätig zu werden, um die entsprechenden Satzungsvorgaben einzuhalten. Eine einvernehm-liche Klärung war zunächst nicht zu erreichen.

Ein Gutachten, erstellt durch das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) Bremen, sollte helfen, eine Verständigung zwischen BMAS, BVA und Beirat herzustellen. In die Bewertung wurden dabei sowohl die Beitragssätze und Leis-tungsempfänger als auch die wirtschaftliche und personelle Entwicklung in der Schifffahrtsbranche mit einbezogen. Ergebnis: Eine kurzfristige Absen-kung des Beitragssatzes zur Erreichung der Ober-grenze von 21 Monatsausgaben wird nicht als sinnvoll angesehen. Stattdessen wird empfohlen, die Entwicklung der nächsten vier bis fünf Jahre abzuwarten. Dann sollen die Annahmen des Gut-achtens überprüft werden.

BMAS, BVA und Beirat einigten sich in der Sitzung am 4. Juli 2017 auf den im Gutachten empfohlenen Vorschlag. Die derzeitigen Satzungs-bestimmungen sollen alle fünf Jahre überprüft werden. Damit ist zunächst Rechtssicherheit her-gestellt worden und man hat die Zeit, die weitere Entwicklung in der Branche zu beobachten. P.G.

Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit – SFN gesichert

Im Manteltarifvertrag, dem MTV-See, steht im § 15, Abs. 1 geregelt: „Beschäftigte, die Sonntags- Feiertags- und Nachtarbeit zu begünstigten Zeiten leisten, erhalten hierfür aus ihrer Arbeitszeit resultierende Zuschläge nach § 3b des Einkom-menssteuergesetzes.“ Das bedeutet: Wurde nach-weislich in diesen Zeiten (SFN) gearbeitet, verrin-gerte sich die Steuerbelastung zugunsten einer besseren Nettoheuer. Die Tarifvertragspartner hat-ten dazu die für die Seeschifffahrt federführende Finanzbehörde Hamburg informiert. Es gab von dort keine Bedenken zur Umsetzung des Tarifver-trages.

Aufgrund zweier aktueller Urteile des Bundesfi-nanzhofs regte die Finanzbehörde Ende 2012 an, die Voraussetzungen für die Einkommenssteuer-freiheit von SFN-Zuschlägen zu präzisieren. Das haben die Tarifpartner in enger Abstimmung mit der Finanzverwaltung getan. Der MTV und der Heuertarifvertrag HTV-See wurden entsprechend angepasst. Statt auf die SFN-Pauschale bezieht

man sich dort nun auf den Grundlohnergänzungs-anspruch. Mit dieser Änderung sollte Rechtssicher-heit für Seeleute und Unternehmen hergestellt werden.

Im Rahmen von Betriebsprüfungen 2016 in Nie-dersachsen, die unter Beteiligung eines Bundes-prüfers vom Bundeszentralamt für Steuern erfolg-ten, kam es dennoch zu großen Unsicherheiten. Es drohten erhebliche finanzielle Belastungen für Seeleute und Reedereien, zum Teil wurden bereits Forderungen an Unternehmen gestellt und in der Folge auch hohe Beträge überwiesen.

ver.di und der Arbeitgeberverband VDR wand-ten sich deshalb an das Bundesministerium für Finanzen, um negative Folgen für Seeleute und Reedereien zu verhindern. Das Thema wurde in einer Bund-, Länderfinanz-Gesprächsrunde erör-tert. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass sowohl nach dem aktuellen wie nach dem zuvor geltenden MTV-See SFN-Zuschläge steuer-frei nach § 3 EStG gezahlt werden können, wenn nachweislich in den begünstigten Zeiten gearbei-tet wurde. Damit ist auch der Vertrauensschutz gewährleistet und Rechtssicherheit wieder herge-stellt worden. P.G.

Aktuelles aus der Seemannskasse und zu Sonntags- und Nachtarbeit

Da mittlerweile mehr als drei Viertel aller Fahrten auf den Binnenwasser­straßen durch mehrere EU­Mitglieds­staaten führen, haben sich die Sozial­partner zu gemeinsamem Handeln entschlossen. Ergebnis ist die EU­Richtlinie 2014/112, die die Arbeits­zeitgestaltung in der europäischen Binnenschifffahrt regelt. Sie ist be­reits im Januar in Kraft getreten, muss aber in nationales Recht umge­setzt werden. Das geschieht nun end­lich auch in der Bundesrepublik. Doch die „Binnenschifffahrts­Arbeitszeit­verordnung“ klingt nicht nur sperrig, sie ist auch unbefriedigend.

Die Hauptkritik hat der zuständige ver.di- Sekretär Werner Kiepe schon in seiner Stellungnahme zum Entwurf vorgebracht: Die gemeinsame EU-Richtlinie gibt aus-drücklich nur Mindestvorschriften vor, die Mitgliedsstaaten können jedoch sehr wohl günstigere nationale Regelungen einfüh-ren oder beibehalten. Doch: „Diese Chance wurde vertan.“ Mehr noch: Nicht einmal eine Evaluation ist vorgeschrieben, wie sich die neue Verordnung in der Praxis für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von Beschäftigten in der Binnenschifffahrt aus-wirkt. Nach Inkrafttreten, womit im Spät-sommer zu rechnen ist, scheinen die Mes-sen deshalb auf längere Zeit – schlecht – gesungen.

Die Besonderheiten in der Binnenschiff-fahrt wurden auch nicht über eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes geregelt. Das hätte umfassendere parlamentarische Debatten in Gang gesetzt. Stattdessen wurde der schnellere Weg über eine Verordnung ge-

Das Gegenteil von einem großen Wurfver.di kritisiert die neue Verordnung über die Arbeitszeit in der Binnenschifffahrt

wählt; und die enttäuscht nun auch inhalt-lich. „Man hätte sehr wohl eine bessere Vorschrift machen können“, sagt Kiepe. Noch der Verordnungsentwurf ging etwa von den Beschäftigten als Subjekten mit Rechten aus. Inzwischen hat die Perspek-tive gewechselt, nun sind Arbeitgeberauf-gaben formuliert. Außerdem: Wo im Ent-wurf Verstöße gegen Ruhezeiten und Ruhepausen noch mit Bußgeld belegt wa-ren, werden sie inzwischen nur noch als Ordnungswidrigkeiten gesehen.

Entscheidend für Sicherheit und Gesundheit

Zwar ist klar, dass die Arbeitszeiten in der Binnenschifffahrt nicht mit denen in anderen Branchen vergleichbar sind. Doch gerade hier, wo Beschäftigte körperlich schwer arbeiten, ständigem Lärm und Vib-rationen von Maschinen ausgesetzt sind, mit gesundheitsgefährdenden Stoffen han-tieren, enge Terminvorgaben erfüllen müs-sen, dem Wetter ausgesetzt sind und lange Zeit ohne weitere soziale Kontakte auf den Schiffen leben, wären gute Arbeitszeit-regelungen für Gesundheit und Sicherheit extrem wichtig.

Stattdessen erlaubt die neue Verord-nung eine Verlängerung der Arbeitszeit auf bis zu 14 Stunden täglich und bis auf 84 Stunden im Sieben-Tage-Zeitraum. Innerhalb von sieben Tagen werden über-dies 42 Stunden Nachtarbeit möglich. „Das müsste zumindest durch betriebliche Gründe gerechtfertigt sein“, meint Kiepe, „sonst laufen die Ausnahmen auf eine allgemeine Absenkung des Schutzniveaus

in der Binnenschifffahrt hinaus – und die sollte laut EU-Richtlinie gerade nicht erfolgen.“

Ähnliches gilt für die Festlegung der Ruhezeiten. Generell wird im EU-Recht von einer ununterbrochenen 11-stündigen Er-holungszeit ausgegangen, die neue Ar-beitszeitverordnung erlaubt in der Binnen-

schifffahrt eine Verkürzung der Ruhezeit auf zehn Stunden und zugleich deren Un-terbrechung. Das „halten wir arbeitsmedi-zinisch für sehr problematisch“, sagt der ver.di-Mann. Prinzipiell vermisst er außer-dem eine Formulierung, dass die nationale Verordnung auch für Beschäftigte aus Drittstaaten gilt. Und noch einen Punkt kri-

tisiert er scharf: Die Vorschrift ermöglicht in einigen Details die Unterschreitung der Vorgaben durch tarifvertragliche Vereinba-rungen, etwa bei den Regelungen zu Ruhepausen und Nachtarbeit. Das verkehrt den Sinn von Tarifautonomie und ist für ver.di „ein Einfallstor für einen möglichen Unterbietungswettbewerb.“ NEH

FOTO: CHR. V. POLENTZ

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Seit dem 18. Januar 2017 sind See­leute auf Seeschiffen rechtlich besser geschützt. Durch eine Änderung des Seearbeitsübereinkommens sind Ree ­dereien verpflichtet, ihre Seeleute gegen das Risiko des Imstichlassens sowie von Arbeitsunfällen und Be­rufskrankheiten zu versichern.

Die neuen Vorgaben der Maritime Labour Convention (MLC) gelten für alle

Seeleute besser gegen Imstichlassen abgesichert

Seeleute, egal unter welcher Flagge sie fahren. Auf Handelsschiffen unter deut-scher Flagge übernimmt die BG Verkehr im Fall von Arbeitsunfällen oder Berufskrank-heiten die Versicherung.

Für alle neu ist der Schutz vor dem Im-stichlassen durch den Reeder. Seeleute gelten dann als im Stich gelassen, wenn ihr Reeder:

ihnen zwei Monate lang keine Heuern zahlt,

die Heimschaffungskosten nicht übernimmt,

nicht für die medizinische Betreuung sorgt,

gesundheitsschädliche Unterkünfte an Bord bereithält,

verdorbene oder ungenügende Ver-pflegung an Bord zur Verfügung stellt,

keinen ausreichenden Kraftstoff für das Überleben an Bord des Schiffes bereithält.

In diesen Fällen haben die betroffenen Seeleute einen direkten Rechtsanspruch gegen den Versicherer des Reeders. In der Regel handelt es sich um eine sogenannte P&I-Versicherung. Unter Protection and In-demnity (Schutz und Entschädigung) wird in der Seeschifffahrt eine Transportver-sicherung verstanden, die über sogenannte P&I-Clubs erfolgt, die die Risikoabsiche-rung aus den Umlagen der versicherten Reeder gemeinschaftlich bestreiten. Der Versicherer muss dann einspringen und zum Beispiel die offenen Heuerforderun-gen der maximal letzten vier Monate be-gleichen. Die Versicherungsbescheinigung, deren Inhalte nach der MLC und dem See-arbeitsgesetz vorgeschrieben sind, muss an Bord eines jeden international fahren-den Schiffes über 500 BRZ aushängen.

Deutsche Besonderheiten

Häufig wird das Imstichlassen von See-leuten mit der Insolvenz eines Reeders zu-sammenfallen. Bei Schiffen unter deutscher Flagge zahlt dann die Bundesagentur für Arbeit den deutschen Seeleuten auf Antrag das Insolvenzgeld, das mit den vom Ver-sicherer gezahlten Heuern verrechnet wird.

Der deutsche Gesetzgeber weicht auch in der Begrifflichkeit von der MLC ab. Statt „Zurücklassung“ heißt es im neuen § 76a Seearbeitsgesetz: „Imstichlassen“. Der Be-griff soll den Unterschied zu der bereits im Seemannsgesetz geregelten „Zurück-lassung“ deutlich machen, nämlich das

Verlassen des Schiffes im Ausland auf Veranlassung des Kapitäns. Ansonsten ent-spricht das Seearbeitsgesetz aber vollstän-dig den neuen Vorgaben der MLC.

Nach der neuen MLC-Norm A2.5.2 muss in der Versicherungsbescheinigung zum Imstichlassen auch der Reeder (eng-lisch: „shipowner“) aufgeführt sein. Leider legen viele P&I-Versicherer den Begriff „shipowner“ weit aus und weisen in ihrer Bescheinigung einen anderen Reeder als im Seearbeitszeugnis aus – den „registe-red owner“, der zum Beispiel eine Ein-Schiffs-KG sein kann. Diese Abweichung vom Wortlaut der MLC birgt die Gefahr, dass bisher eindeutige Verantwortlich-keiten unklarer werden. Für die deutsche Flagge hat der Dachverband der P&I-Clubs der BG Verkehr zugesichert, in jeder Ver-sicherungsbescheinigung den Reeder nach dem Seearbeitszeugnis mit aufzunehmen.Seit dem 18. Januar überprüfen neben den Flaggenstaatbesichtigern auch die Hafen-staatkontrolleure, ob die vorgeschriebenen Versicherungsbescheinigungen an Bord mitgeführt werden.

Zumindest in der Theorie hat die Erwei-terung der MLC den Schutz für die Seeleute deutlich verbessert. Die Praxis wird zeigen, ob diese neue Absicherung auch tatsäch-lich funktioniert. Denn Bilder von „gestran-deten“ Seeleuten in den Häfen sollten endgültig der Vergangenheit angehören.

CHRISTIAN BUBENZERBG VEKEHR/DIENSTSTELLE

SCHIFFSSICHERHEIT

Jährlich im Frühling und im Herbst wird im „Theater im Fischereihafen“ Bremerhaven über die Hochsee­fischerei und den Fischereihafen in­formiert. Filme und Bilder zeigen die harte, schwere Arbeit der Hochsee­fischer und die Entwicklung des Fischereihafens. Aufgelockert wird die Vorführung durch Einlagen eines Shanty­Chors. Etwa 20 Frauen und fünf Männer singen von den Befind­lichkeiten der Seeleute und der Romantik in der Seefahrt. Das Thea­ter ist immer gerammelt voll; auch viele ehemalige und aktive Seeleute mit ihrer Begleitung sind dabei.

Seit ich wieder in Bremerhaven lebe, bin auch ich unter dem Publikum. Um einen guten Platz zu bekommen, bin ich das letzte Mal etwas früher gekommen. Da saß ich nun in der fünften Reihe auf einem Mittelplatz. Gute Sicht und gute Akustik. Gezeigt wurde ein Film über die Arbeit der Hochseefischer, eine Übersicht von den Sei-tenfängern bis zu den Fangfabrikschiffen. Die Brecher knallten über die Reeling, die Seeleute versuchten, sich hinter die Netz-winde oder in den Dom in Sicherheit zu bringen. Beim Überholen wurde das eingeholte Netz wieder außerbords geris-sen. Man sah, wie die Seeleute „bis zum Hals“ im Wasser und in den Fischen stan-den. Gearbeitet wurde, das wusste ich aus meiner eigenen Fahrenszeit, „bis zum Umfallen“ 50, 60, ja sogar 70 Stunden und mehr, nur unterbrochen von kurzen Essenspausen. Treibeis konnte man längs-seits sehen, Eis an den Aufbauten und dem Mast, Eisklumpen in den Wanten und der Takellage. Ein zerrissenes Netz wurde auf dem Vordeck geflickt, ohne Handschuhe. Die Männer schlugen die Hände über Kreuz auf die Schultern, um Blut in die eiskalten, gefrorenen Finger zu pumpen und zu ver-hindern, dass sie abfrieren.

„Seemann, lass das Träumen“, sang der Chor in der Pause. Die Gesichter der Sänge-rinnen strahlten, die Augen glänzten. „Dei-ne Heimat ist das Meer, deine Sehnsucht sind die Sterne“, ging es weiter. Ich dachte zurück, als ich noch zur See gefahren bin.

Während der Schulzeit, als ich das Kapi-tänspatent machte, hatte ich meine Frau kennengelernt. Wir sind dann zusammen-gezogen. Mit dem Patent in der Tasche bin ich im September 1972 als Steuermann auf

der „Venus“ eingestiegen, einem schon betagteren Heckfänger, der unter Ostgrön-land und um Island dem Kabeljau, Schell-fisch, Seelachs und Rotbarsch nachjagte. Alle drei Wochen waren wir wieder in Bre-merhaven. So liefen wir dann auch am Mittwoch dem 6. Dezember 1972 ein. Am Donnerstag dem 7. unterschrieb ich das Aufgebot, am Freitag dem 8. haben wir ge-heiratet und am Sonnabend bin ich wieder rausgefahren. Ich war ja Seemann und meine „Heimat das Meer“! Ich hätte es mir gar nicht leisten können, länger an Land zu bleiben. Die finanziellen Reserven waren verbraucht, während der Schulzeit ohne Einkommen, und die neue Einrich-tung musste bezahlt werden.

Am 4. Januar 1973 liefen wir wieder ein und am 7. wieder aus. Als ich das nächste Mal wiederkam, war meine Tochter gerade 15 Tage alt. „Seemann lass das Träumen, denke nicht an mich“, rieten mir die Sänge-rinnen. Ob das auch meine Frau gedacht hatte, als sie hochschwanger über Weih-nachten und Neujahr allein war oder als am 10. Januar die Wehen einsetzten? „Deine Sehnsucht sind die Sterne“, sang der strahlende Chor. Wie kommen die denn dazu, uns Seeleuten zu unterstellen, dass unsere Heimat das Meer und unsere Sehn-sucht die Sterne sind? Wahrscheinlich ist keine der Sängerinnen mit einem Seemann zusammen, sonst wüssten sie es ja besser, dachte ich mir.

Mit dem Frischfischfang ging es zurück und ich bin auf einem nagelneuen Fang-fabrikschiff, der „Mond“, eingestiegen. Drei, vier Monate dauerten nun die Reisen. Wenn man aber fernab unter Argentinien, Alaska oder der Georgesbank fischte, hatte man ab dem siebenten, spätestens aber nach dem neunten Monat Anspruch auf Ablösung. „Deine Heimat ist das Meer“, sang der Chor.

Im nächsten Film wurde vom Herings-fang auf der Georgesbank vor der US-Küste berichtet. Gewaltige Fänge wurden ge-zeigt. Bis zu 1.500 Zentner mit einem Hol. Die beiden Giens knarrten unter der Last, die 10-Zoll-Stroppen dehnten sich. Die Befürchtung der Seeleute, dass der Steert (das Achternetz) abreißt, konnte man direkt mitfühlen. Wenn der Steert dann mannshoch an Deck lag, die Codleinen ge-öffnet wurden und sich die silbrige Flut gleich einem Wasserfall durch die Heckluke ins Arbeitsdeck ergoss, sah man die Er-leichterung in den Gesichtern.

Der Chor sang dann von einem Jonny, der anscheinend in der ganzen Welt herum gehurt hat. In jedem Hafen hatte er an-geblich eine Braut. Dazu kommt, dass er eigentlich immer besoffen gewesen sein muss, denn Whisky und Rum waren sein Pläsier, wenn man den Sängerinnen glaubt. Darüber, was seine Bräute in aller Welt mit dem besoffenen Kerl angefangen haben, kann man spekulieren. Nach dem, was ich von der Seefahrt kenne, war es allerdings nicht so einfach mit den Bräuten. Von mei-nen Seeleutekollegen waren nur wenige verheiratet. Meist waren dies Patentinha-ber, die ihre Frauen, so wie ich, während der Schulzeit kennengelernt haben und daher die Beziehung festigen konnten. Und der Chor sang von dem besoffenen Jonny mit seinen Bräuten in aller Welt und das Publikum klatschte, auch die Seeleute. Danach folgte ein Lied über einen See-mann, der sein Schiff, die „Mary Ann“ über alles liebte und ihm die „Treue hielt“.

Die längste Zeit, die ich auf einem Schiff gefahren bin, waren 14 Monate auf der „Sonne“. Gerade mein Steuermannspatent erhalten, habe ich sie im März 1969 als 2. Nautischer Offizier mit in Dienst gestellt. Die „Sonne“ fährt noch immer. Seit Ende

Seemann – Deine Heimat ist das MeerEine Betrachtung über eine Berufsgruppe in Realität und Verklärung

der siebziger Jahre als Forschungsschiff. Frank Schätzing hat sie in seinem Roman „Der Schwarm“ verewigt. Ein schönes Schiff, viel Arbeit und Schufterei, in Eis und Frost, in Sturm und Nebel. Geliebt habe ich sie nicht und die Treue habe ich ihr schon gar nicht gehalten. Warum auch?

Wie und warum kommt man bloß auf solche Lieder und warum nennt man sie „Seemannslieder“? Warum diskriminiert man bewusst oder unbewusst eine ganze Berufsgruppe? Über Eisenbahner, Werft-arbeiter oder Kaufmannsgehilfen sind mir

Moderne Piraterie und ihre Hinter-gründeEin Real-Roman um die Kaperung des Container-schiffes „Taipan“Am 5. April 2010 wird das deut­sche Containerschiff „Taipan“ vor der Küste Somalias von Piraten gekapert. Nach drei Stunden, in denen sich die Mannschaft im Pa­nikraum unter Deck verschanzt, greift die niederländische Marine ein und befreit die Besatzung. Die zehn Piraten werden in Ge­wahrsam genommen und nach Deutschland überführt.

Ab November 2010 findet in Ham-burg der erste Piratenprozess seit 400 Jahren statt: „Ein Frontalzusam-menstoß zwischen der deutschen Justiz und der somalischen Wirklich-keit“ titelte die „Süddeutsche Zei-tung“ damals. Zehn in ärmlichsten Verhältnissen lebende Fischer, darun-ter drei Heranwachsende, müssen mittels Dolmetscher dem Gericht Rede und Antwort stehen. Hunger, Gewalt und der nicht endende Bür-gerkrieg in ihrem Heimatland hätten sie zu der Gewalttat getrieben, be-richten die Angeklagten. Und von ihrem trostlosen Leben in einem Land, wo jede staatliche Ordnung zu-sammengebrochen ist, wo Warlords

und Clans sich gegenseitig bekriegen und die Diskriminierung von Minder-heiten Alltag ist. – Die Verhandlung wird auch für Richter und Anwälte in der Hansestadt zu einem einschnei-denden Erlebnis.

Kapitän Jan Kahmann, langjähri-ger ver.di-Bundesfachbereichsleiter und ITF-Vorstandsmitglied, gehörte zu den ständigen Beobachtern des zwei Jahre andauernden Prozesses. Er berichtet in seinem „Real-Roman“ auch von diesen Problemen um die Kaperung des Containerschiffs – sachlich und objektiv, auch mit einem Blick auf die Ereignisse im Umfeld. Entstanden ist eine einzigartige Dokumentation und eingehende Stu-die der Piraterie vor Somalia. Ihr Erscheinen wurde von der ver.di- Billigflaggenkampagne gefördert.

Jan Kahmann: Jagd auf menschliches Gold. Die Kaperung des Containerschiffs „Taipan“ und der Hamburger Piratenprozess, KellnerVerlag Bremen 2016, 472 Seiten, 18,90 Euro ISBN 978-3.95651-1-115-8

keine derartigen Schmählieder bekannt. Ist es, weil sie sich besonders gut zum Schun-keln und Mitgrölen eignen und beim ge-meinsamen Zechen die Stimmung heben?

Es gibt ja auch echte Seemannslieder, die Shanties. Die Texte handeln von der Schufterei auf See, von den Betrügereien im Hafen, von heruntergekommenen Schiffen, von Hunger und Durst und von brutalen Vorgesetzten. Einem Shanty-Chor stünden Shanties jedenfalls besser an als diskriminierende „Seemannslieder“.

WILHELM ZECHNER

FOT

O: K

IRK

R. W

ILLI

AMS

KARIKATUR: RAINER HOFMANN­BATTISTON

FACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017 S C H I F F F A H R T

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Kreuzfahrten von A bis ZBeschäftigte profitieren in Seminaren von den Erfahrungen der ITF­Inspektoren

Letztes Jahr hat ver.di entschieden, sich mit anderen Schwesterge­werkschaften aus Norwegen und Italien an der Durchführung von internationalen Seminaren aktiv zu beteiligen. Die Seminare richten sich an Seefahrer, die auf Kreuz­fahrtschiffen arbeiten und werden in deren Heimatländern organi­siert. Die Gewerkschaften, welche die Verhandlungsrechte haben und Tarifverträge mit Kreuzfahrtree­dern unterschreiben – das sind ver.di, die norwegische Seefahrer­gewerkschaft NSU, die italienische Gewerkschaft FIT CISL und die internationale Transportarbeiter Födera tion (ITF) – organisieren ge­meinsam Seminare auf den Philip­pinen, auf Saint Lucia, in Indien, Indonesien und Panama.

Wenn man die großen See-, Expedi-tions-, Küsten- und einige Flusskreuz-fahrtschiffe gemeinsam betrachtet, waren 2016 insgesamt 493 Kreuzfahrt-schiffe unterwegs. Davon fahren 192 unter einer Billigflagge (FOC), sind aber dennoch durch einen gültigen ITF-Tarif-vertrag abgedeckt. Die meisten der 218 Nationalflaggen schiffe sind eben-falls mit ITF-Verträgen versorgt. Die Gesamtzahl der mit ITF-Tarifverträgen

abgedeckten See-Kreuzfahrtschiffe be-trägt daher mindestens 410, was zirka 83 Prozent der Flotte entspricht.

Seeleute von verschiedenen Reede-reien, die sich ganz oder teilweise auf Kreuzfahrtschiffe spezialisiert haben – etwa NCL, RCCL, TUI Cruises, Hapag Lloyd, Costa, P & O, Viking Cruises – nehmen an den Seminaren teil. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über-nehmen bei ihrer Arbeit an Bord ver-schiedene Aufgaben – etwa Deck, Ma-schine und Personal –, sie besetzen sowohl höhere als auch niedrigere Rangpositionen. Das Ziel der Seminare besteht darin, bei den Seeleuten das grund legende Gewerkschaftsbewusst-sein zu stärken. Weitere Themen sind Rechte und Pflichten bei der Arbeit auf See, Belästigung und Mobbing, Gesund-heit sowie HIV/AIDS.

Dabei wollen wir die Seeleute so gut wie möglich ausbilden, damit sie – wieder an Bord – ihr Wissen mit ihren Kolleginnen und Kollegen teilen. Infor-mationen zu wichtigen Themen wie IMO, ILO, FOC, beteiligte Gewerkschaf-ten etc. werden ausführlich behandelt. Darüber hinaus werden die Manteltarif-verträge (CBA) inhaltlich erklärt. Vor dem Hauptseminar findet eine separate eintägige Veranstaltung ausschließlich für die weiblichen Teilnehmerinnen statt, um sie zu befähigen, ihre Rolle in einem ansonsten männlich dominierten Berufs-zweig wahrzunehmen. Ebenfalls findet eine Sitzung über eine effektive persön-liche Finanzplanung statt. Die Seeleute nehmen an Rollenspielen teil, die ver-schiedene Situationen darstellen, wel-che an Bord auftreten können. Sie haben

auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Situationen zu kommentieren.

Um die Teilnahme zu fördern, haben die Seeleute die Möglichkeit, Familien-mitglieder, Eltern, Freunde oder Partner mit zubringen. So verlängert sich die Zeit, die sie getrennt von ihren Lieben sind, nicht noch weiter. Es werden Ausflüge organisiert, die den Teilnehmern die Möglichkeit geben, sich gegenseitig

näher kennen zulernen und sich mit den Vertretern der Gewerkschaften zu ver-netzen. In den Seminaren haben die Gewerkschaftsvertreter die Möglichkeit, die Seeleute kennenzulernen; viele da-von treffen wir auf unseren späteren Schiffsbesuchen wieder. Wenn wir den Seeleuten einmal bekannt sind, fällt es ihnen leichter, mit uns in Kontakt zu treten und uns wertvolle Informationen über die Arbeit an Bord zu geben.

Nach den Seminaren erhalten wir viel positives Feedback. Zufrieden halten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende ihr Seminarzertifikat in den Hän-den. Darüber hinaus haben die Gewerk-schafter wert volle Informationen über Probleme auf den Schiffen gewonnen, die wir mit in die Tarifverhandlungen nehmen. HAMANI AMADOU

FACHBEREICH VERKEHR 02 | 2017P A N O R A M A

Island, Liechtenstein, Norwegen oder der Schweiz. Voraussetzung ist, dass das Schiff im deutschen Register eingetragen ist und die Bundesflagge oder eine Flagge der vorgenannten Staaten führt.

Ausbildungsplatzförderung: Die Bun-desregierung fördert die Ausbildung von Schiffsmechanikern sowie nautischen und technischen Offiziersassistenten auf Schif-fen unter deutscher oder EU-Flagge. Pro Ausbildungsplatz gibt es großzügige Zu-schüsse: für Schiffsmechaniker 32.000 Euro, für nautische Offiziersassistenten 16.000 Euro, für technische Offiziersas-sistenten 21.000 Euro. Diese Ausbildungs-platzförderung des Bundes wird noch er-gänzt durch Fördermittel aus der „Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland“. Für die dreijährige Ausbildung zum Schiffsmecha-niker bzw. die anderthalbjährige Ausbil-dung zum nautischen oder technischen Offiziersassistenten erhalten die Reederei-en pro Quartal 3.500 Euro (s. nebenstehen-der Kasten). Insgesamt wird so beispiels-weise die Ausbildung zum Schiffsmecha-niker mit 74.000 Euro gefördert.

Einnahmen der „Stiftung Schifffahrts­standort Deutschland“: Die „Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland“ fördert die nautische und technische Ausbildung sowie die Qualifizierung und Fortbildung von Seeleuten. Die Stiftung finanziert sich aus Beiträgen von Reedereien, die Schiffe ausflaggen und nicht ausbilden, die sich sozusagen von der Verpflichtung auszubil-den, freikaufen. Dabei staffelt sich der Ablö-sebetrag nach der Größe des jeweiligen Schiffes von bis zu 500 BRZ (2.000 Euro) bis über 80.000 BRZ (16.196 Euro) pro Jahr. Dass die Stiftung in den Jahren durch-schnittlich jeweils ca. 20 Mio. Euro einge-nommen hat, zeigt wie viele Reedereien die Ausbildung umgehen wollen.

Unser Appell an die Politik: Sub ventionen dürfen keine Einbahnstraße sein. Nehmen heißt auch Geben. Nur so sind Subventio-nen mit dem Gemeinwohl vereinbar. Die Politik muss Gegenleistungen einfordern. Andernfalls sind die Finanzgeschenke an die Reedereien den Steuerzahlern nicht zu vermitteln und auch nicht gerechtfertigt. PETER GEITMANN

Wo bleiben die Gegenleistungen?Reedereien erhalten Milliardensubventionen – ein Überblick

Tonnagesteuer: 1999 wurde sie auf Grundlage der EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen im Seeverkehr in Deutschland eingeführt. Sie ist, wie man auf der Inter-netseite www.deutsche­Flagge.de le-sen kann, eine günstige Gewinnermitt-lungsart für Seeschiffe. Dabei wird nicht vom tatsächlichen Gewinn ausgegangen, stattdessen wird pauschal auf Basis der Nettoraumzahl des Schiffes ein fiktiver Ge-winn ermittelt, der bei guter wirtschaft-licher Lage deutlich geringer ausfällt. Beispielsweise beträgt der Tonnagesteuer-gewinn für ein Containerschiff mit 6.500 Standardcontainern und einer Nettoraum-zahl von ca. 45.000 im Jahr rund 65.000 Euro (Quelle: deutsche-Flagge.de). Von diesem Betrag wird dann entsprechend die Steuer (19 Prozent) ermittelt, die für das Schiff gezahlt werden muss (12.350 Euro). Seit 2003 wurde so die deutsche Seeschiff-fahrt mit rund 2,87 Mrd. Euro subventio-

niert. Das Pikante daran: Die Anwendung der Tonnagesteuer ist nicht an das Führen der deutschen Flagge gebunden, sie kann auch – und das wird zum weit überwiegen-den Teil praktiziert – für ausgeflaggte Schiffe in Anspruch genommen werden. Sie wirkt damit de facto fast als Steuerbe-freiung für die gesamte Branche.

Der Verband Deutscher Reeder (VDR) argumentiert, die Tonnagesteuer sei eine Standortsteuer, um die Reedereibetriebe in Deutschland zu halten. Die EU-Leitlinien zielen aber auch auf eine Stärkung der Flotte unter EU-Flaggen sowie den Erhalt und die Entwicklung von Ausbildung und Beschäftigung im seemännischen Bereich. Genau da jedoch geht es bergab – die Anzahl an Schiffen unter deutscher Flagge nimmt, verbunden mit abnehmenden Aus-bildungs- und Beschäftigungsquoten deut-scher Seeleute, stetig ab; ja sie befindet sich auf einem historischen Tiefstand.

Versicherungssteuer auf Erlöspools: Schiffserlöspools sind ein in der internatio-nalen Seeschifffahrt verbreitetes Instrument zur gemeinsamen Vermarktung der in einem Pool (Schiffsgemeinschaft) vereinten Schiffe. Laut Steuergesetz hätten die Reeder dabei anfallende Gewinne versteuern müssen. Der VDR beziffert den Sub ventionswert auf jähr-lich ca. 200 Mio. Euro. Auf Druck der Reede-reien und des VDR hat die Politik das Ver-sicherungssteuergesetz zugunsten der Ree-der geändert. Der VDR begrüßte die Entscheidung, die Reedereien zeigen sich erleichtert. Wieder einmal werden keine Ge-genleistungen – etwa Flaggenführung und Beschäftigungszusagen – eingefordert.

Hundertprozentiger Lohnsteuereinbe­halt: Nach Einkommenssteuergesetz § 41, Abs. 4 müssen Reedereien im internationa-len Verkehr für alle Seeleute (unabhängig von der Nationalität) auf Schiffen unter deutscher Flagge keine Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Sie dürfen die Lohn-steuer für sich einbehalten.

Lohnnebenkostenförderung: Reederei-en erhalten seit dem 1. Juli 2017 passgenau die Arbeitgeberbeiträge, die sie für Seeleute in die Sozialversicherung einzahlen, erstat-tet. Seeleute sind im Sinne der Richtlinie alle Seeleute aus Deutschland, der EU sowie

Satte Förderung durch die Stiftung

Schiffsmechaniker/-innen: bis zu 12 Quartale, je Quartal 3.500 Euro

Nautische oder Technische Offiziersassistent/-innen: bis zu 6 Quartale, je Quartal 3.500 Euro

Kapitän/-innen oder Schiffsoffizier/-innen des nautischen oder technischen Schiffsdienstes: bis zu 16 Quartale, je Quartal 8.000 Euro

Kapitäne/-innen oder Schiffsoffizier/-innen des nautischen oder technischen Schiffsdienstes bei voran-gegangener Arbeitslosigkeit: bis zu 20 Quartale, je Quartal 9.500 Euro

Fortbildungsmaßnahmen (Lehr-gangsgebühren) von Seeleuten werden bis zu 3.000 Euro und für Unter stützungsberechtigte (bezogen auf den Fortzubilden-den) bis zu 4.000 Euro gefördert.

DIE ITF UNTERSTÜTZT EIN KINDERDORF IN CEBU (PHILIPPINEN) MIT SPENDEN | FOTOS (4): ITF