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WAVELETS EINE EINF ¨ UHRUNG CHRISTIAN BLATTER Nachgef¨ uhrt Oktober 2012 / cbl.

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WAVELETS

EINE EINFUHRUNG

CHRISTIAN BLATTER

Nachgefuhrt Oktober 2012 / cbl.

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Vorwort

Dieses Buch ist weder die ,,große Retrospektive“ eines Protagonisten noch eineenzyklopadische Forschungsmonographie, sondern die Annaherung eines mathe-matischen Normalverbrauchers an ein Thema, das wie kein anderes seit der Erfin-dung der Schnellen Fourier-Transformation die Approximationstheorie stimuliertund die Anwender beflugelt hat. Ich hatte eigentlich nur im Sinn, fur Studentender ETH Zurich eine einsemestrige Vorlesung zusammenzustellen, die sie ab ovo indie Welt der Wavelets einfuhren sollte (einen derartigen Kurs hatte es hier nochnicht gegeben). Dank der Zusprache von Kollegen ist nun aus dieser Vorlesung dasvorliegende Buch geworden.

Mein Zielpublikum hatte ich mir so vorgestellt: MathematikstudentInnen mit derublichen Grundausbildung, mit einem Rucksack voller Konvergenzsatze, aber ohnepraktische Erfahrung, sagen wir, mit Fourier-Analysis. Im stillen hatte ich mir auchZuhorer aus der Ingenieurswelt gewunscht; erst im Nachhinein habe ich erfahren,daß gerade letztere aus dem Kurs den großten Gewinn gezogen hatten.

Inhaltlich habe ich mir folgendes vorgenommen: Im ersten Kapitel gibt es einenTour d’horizon uber verschiedene Weisen der Signaldarstellung, und schon hiertritt zum ersten Mal das Haar-Wavelet auf den Plan. Das zweite Kapitel bringtein Repetitorium der Fourier-Analysis (ohne Beweise), erganzt durch zwei Theo-reme, die ,,letztgultige“ Grenzen der Signaltheorie abstecken: die HeisenbergscheUnscharferelation und das Abtast-Theorem von Shannon. In Kapitel 3 beginntes dann richtig mit der kontinuierlichen Wavelet-Transformation, und Kapitel 4:,,Frames“ beschreibt einen allgemeinen Rahmen (was sonst . . .), in dem sowohl diekontinuierliche wie die diskrete Wavelet-Transformation begriffen werden konnen.Damit kommen wir endlich zur Hauptsache: der Multiskalen-Analyse mit ihrenschnellen Algorithmen in Kapitel 5, und zur Konstruktion von orthonormiertenWavelets mit kompaktem Trager in Kapitel 6. Auch Spline-Wavelets werden kurznoch behandelt.

Was bei dem gegebenen Umfang fehlt, sind Biorthogonalsysteme, mehrdimensionaleWavelets und eine ins Einzelne gehende Behandlung von Anwendungen. Fernersollte es ohne Einsatz von Distributionen abgehen. Es gibt also keine Sobolev-Raume und damit auch keine Diskussion der punktweisen Konvergenz usw. vonWavelet-Approximationen, und das Paley-Wiener-Theorem steht ebenfalls nicht zurVerfugung. Glucklicherweise laßt sich auch mit Hilfe eines elementaren Argumentsbeweisen, daß die Daubechies-Wavelets kompakten Trager besitzen.

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Beim Aufarbeiten des Stoffes habe ich mich großzugig bei anderen Autoren be-dient, in erster Linie naturlich bei den unvergleichlichen ,,Ten lectures on wavelets“von Ingrid Daubechies [D], in geringerem Maß bei [L], dem einzigen anderen mirbekannten Wavelet-Buch in deutscher Sprache, und im ,,Friendly guide to wavelets“von Kaiser [K]. Fur weitere Quellen der Inspiration verweise ich auf das Literatur-verzeichnis. Ich habe dieses Verzeichnis bewußt sehr knapp gehalten und daraufverzichtet, die sehr umfangreichen, aber nicht bis 1997 nachgefuhrten Literatur-angaben in [D] oder [L] einfach nachzudrucken.

Noch ein Wort zu den Figuren: Die meisten Graphen von mathematisch definiertenFunktionen wurden zunachst mit Hilfe von Mathematicar berechnet, als Plot aus-gegeben und hierauf in der Graphik-Umgebung ,,Canvas“ weiterbearbeitet. Einigeder Figuren, zum Beispiel die Bilder 3.7 und 6.1, wurden mit ,,Think Pascal“als Bitmap erzeugt, im A4-Format ausgedruckt und anschließend photographischverkleinert.

Ich danke allen, die mich zu diesem Unternehmen ermutigt und mir dabei geholfenhaben, in erster Linie den Herausgebern der Reihe ,,Advanced Lectures in Mathe-matics“ und dem Vieweg-Verlag fur die Aufnahme dieser ,,Einfuhrung“ in ihr Pro-gramm.

Zurich, Ende November 1997

Fur den vorliegenden Nachdruck dieser ,,Einfuhrung“ sind die bis dahin gefundenenDruckfehler eliminiert worden. Die wichtigste Anderung betrifft das Literaturver-zeichnis: Es wurde erganzt durch das seither erschienene Werk [Bu]. Dieses Buch istim approach mit dem unsrigen vergleichbar; daruber hinaus enthalt es insbesondereeine ausfuhrliche und bis 1998 nachgefuhrte Liste von Literaturangaben.

Zurich, im November 2002

Fur die Online-Ausgabe dieser ,,Einfuhrung“ sind zusatzlich die von Jens Ruhmkorfgefundenen Druckfehler eliminiert worden. Ich danke ihm fur das hochprazise erratasheet.

Zurich, im Oktober 2012

Christian Blatter

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Inhaltsverzeichnis

Hinweise und besondere Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . vi

1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.1 Ein zentrales Thema der Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.4 Gefensterte Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . 101.5 Wavelet-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.6 Das Haar-Wavelet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Fourier-Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.1 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.2 Fourier-Transformation auf R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312.3 Die Heisenbergsche Unscharferelation . . . . . . . . . . . . . . . 432.4 Das Abtast-Theorem von Shannon . . . . . . . . . . . . . . . . 47

3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation . . . . . . . . . . 54

3.1 Definitionen und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543.2 Eine Plancherel-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613.3 Umkehrformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653.4 Die Kernfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693.5 Abklingverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

4 Frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4.1 Geometrische Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794.2 Der allgemeine Frame-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 874.3 Diskrete Wavelet-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . 914.4 Beweis des Satzes (4.10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

5 Multiskalen-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

5.1 Axiomatische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1065.2 Die Skalierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . 1175.4 Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

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v

6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager . . . . . . . 137

6.1 Losungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1376.2 Algebraische Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1466.3 Binare Interpolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1546.4 Spline-Wavelets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

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Hinweise und besondere Bezeichnungen

Dieses Buch ist eingeteilt in sechs Kapitel, und jedes Kapitel ist weiter unterteilt inAbschnitte. Formeln, die spater nocheinmal benotigt werden, sind abschnittweisemit mageren Ziffern nummeriert. Innerhalb eines Abschnitts wird ohne Angabe derAbschnittnummer auf Formel (1) zuruckverwiesen; 3.4.(2) hingegen bezeichnet dieFormel (2) des Abschnitts 3.4.

Neu eingefuhrte Begriffe sind am Ort ihrer Definition schrag gesetzt; eine weiter-gehende Warnung (,,Achtung, jetzt kommt eine Definition“) erfolgt nicht. Defini-tionen lassen sich vom Sachverzeichnis her jederzeit wieder auffinden.

Satze (Theoreme) sind kapitelweise nummeriert; die halbfette Signatur (4.3) be-zeichnet den dritten Satz in Kapitel 4. Satze werden im allgemeinen angesagt; je-denfalls sind sie erkenntlich an der vorangestellten Signatur und am durchlaufendenSchragdruck des Textes. Die beiden Winkel und bezeichnen den Beginnund das Ende eines Beweises.

Eingekreiste Ziffern nummerieren abschnittweise die erlauternden Beispiele; derleere Kreis © markiert das Ende eines Beispiels.

Eine Familie von Objekten cα uber der Indexmenge I (ein ,,Datensatz“) wird be-zeichnet mit (

cα |α ∈ I)

=: c. .

1A bezeichnet die charakteristische Funktion der Menge A und 1X die identischeAbbildung des Vektorraums X.

Sind e bzw. a1, . . ., ar gegebene Vektoren eines Vektorraums X, so bezeichnen <e>bzw. span(a1, . . . , ar) den von e bzw. von den ak aufgespannten Unterraum.

R∗ := R \ 0 ist die multiplikative Gruppe der reellen Zahlen.

R2− := R∗×R ist die ,,zersagte (a, b)-Ebene“, wobei in Figuren die a-Achse vertikal,

die b-Achse horizontal angelegt ist.

Das Zeichen∫

ohne Angabe von Integrationsgrenzen bezeichnet immer das uberdie ganze reelle Achse erstreckte Integral bezuglich des Lebesgue-Maßes:∫

f(t) dt :=

∫ ∞−∞

f(t) dt .

Analog: Summen∑k ohne Angaben von Summationsgrenzen erstrecken sich uber

ganz Z: ∑k

ak :=

∞∑k=−∞

ak .

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Fourier-Transformation:

f(ξ) :=1√2π

∫f(t) e−iξt dt .

Umkehrformel, gelegentlich als Fourier∨-Transformation bezeichnet:

f(t) =1√2π

∫f(ξ) eiξt dξ .

Mit jNa f bezeichnen wir den N -Jet (das Taylor-Polynom der Ordnung N) von f ander Stelle a ∈ R, in Formeln:

jNa f(t) :=N∑k=0

f (k)(a)

k!(t− a)k .

Das Symbol eα bezeichnet die Funktion

eα: R→ C , t 7→ eiαt .

Fur Funktionen f : X→ C, wobei X = R oder X = Z, bezeichnen a(f) und b(f) daslinke und das rechte Ende des Tragers von f :

a(f) := infx ∈ X

∣∣ f(x) 6= 0, b(f) := sup

x ∈ X

∣∣ f(x) 6= 0.

Ein Zeitsignal ist ganz einfach eine Funktion f : R→ C.

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1 Problemstellung

1.1 Ein zentrales Thema der Analysis

Ein zentrales Thema der Analysis ist die Approximation bzw. die Darstellung vonbeliebigen gegebenen oder gesuchten Funktionen f mit Hilfe von speziellen Funk-tionen. ,,Spezielle Funktionen“ sind Funktionen aus einem Katalog, zum BeispielMonome t 7→ tk, k ∈ N, oder Funktionen der Form t 7→ ect, c ∈ C fest. SpezielleFunktionen sind im allgemeinen gut verstanden, oft einfach zu berechnen und habeninteressante analytische Eigenschaften.

Um Ideen zu fixieren, betrachten wir eine (gegebene oder gesuchte) Funktion

f : R y C ,

wobei wir annehmen, f sei in einer Umgebung U des Punktes a ∈ R hinreichend oftdifferenzierbar. Eine derartige Funktion laßt sich in U durch ihre Taylor-Polynome

jna f(t) :=n∑k=0

f (k)(a)

k!(t− a)k (1)

mit kontrollierbarem Fehler approximieren, und unter geeigneten Voraussetzungenwird f durch die unendliche Taylor-Reihe tatsachlich dargestellt, das heißt, es gilt

f(t) =

∞∑k=0

f (k)(a)

k!(t− a)k

fur alle t in einer geeigneten Umgebung U ′ ⊂ U .

Allgemein: Man wahlt eine der jeweiligen Situation angepaßte Familie(eα |α ∈ I

)von Basisfunktionen t 7→ eα(t); dabei ist I eine diskrete oder ,,kontinuierliche“Indexmenge. Eine Approximation der ziemlich beliebigen Funktion f mit Hilfe dereα hat dann die Form

f(t).=

N∑k=1

ckeαk(t)

mit gewissen Koeffizienten ck, und eine Darstellung von f hat die Form

f(t) ≡∑α∈I

cαeα(t) ; (2)

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2 1 Problemstellung

oder sie erscheint als Integral uber die Indexmenge I:

f(t) ≡∫I

dα c(α) eα(t) . (3)

Idealerweise stehen gerade soviele Basisfunktionen zur Verfugung, daß sich jede indem betreffenden Zusammenhang vorkommende Funktion f auf genau eine Weise inder Form (2) bzw. (3) darstellen laßt. Die Operation, die einem f den zugehorigenKoeffizientenvektor

(cα |α ∈ I

)zuweist, heißt Analyse von f bezuglich der Familie(

eα |α ∈ I). Die Koeffizienten cα lassen sich besonders einfach bestimmen, wenn die

Basisfunktionen eα orthonormiert sind (s.u.). Im Fall der Taylor-Entwicklung (1)sind zur Koeffizientenbestimmung sukzessive Derivationen von f notwendig, undbei der sogenannten Tschebyscheff-Approximation gibt es keine Formel fur die ck.

Die Umkehroperation, die aus einem gegebenen Koeffizientenvektor(cα |α ∈ I

)die

Funktion

f(t) :=∑α∈I

cα eα(t)

produziert, heißt Synthese von f mit Hilfe der eα.

©1 Das x-Intervall [ 0, L ] modelliert einen warmeleitenden Stab S (Bild 1.1). Dieortlich und zeitlich veranderliche Temperatur in diesem Stab wird beschrieben durcheine Funktion (x, t) 7→ u(x, t), die der eindimensionalen Warmeleitungsgleichung

∂u

∂t= a2 ∂

2u

∂x2(4)

genugt; dabei bezeichnet a > 0 eine Materialkonstante. Gegeben sind die langsS veranderliche Anfangstemperatur x 7→ f(x) sowie die Randbedingung, daß dieEnden des Stabs fur alle t > 0 auf Temperatur 0 gehalten werden. Fur 0 < x < Lfindet kein Warmeaustausch mit der Umgebung statt. Gesucht ist der resultierendeTemperaturverlauf u.

f!=!u(.,!0)u

xLS0

Bild 1.1

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1.1 Ein zentrales Thema der Analysis 3

Bei derartigen Problemen hat sich das folgende Vorgehen bewahrt: Man bestimmtzunachst Funktionen U(·, ·) der speziellen Form

(x, t) 7→ U(x, t) = X(x)T (t) ,

die (4) genugen und an den Enden des Stabs verschwinden. Dies leisten die Funk-tionen

Uk(x, t) := exp(−k

2π2a2

L2t)

sinkπx

L(k ∈ N≥1) .

Wegen der Linearitat und Homogenitat der berucksichtigten Bedingungen sind dannauch beliebige Linearkombinationen

u(x, t) :=∞∑k=1

ck Uk(x, t)

der Uk Losungen der Warmeleitungsgleichung, die an den Enden des Stabes ver-schwinden. Die Losung des ursprunglichen Problems ist daher gefunden, wenn esgelingt, die Koeffizienten ck so festzulegen, daß auch noch die Anfangsbedingungu(x, 0) ≡ f(x) erfullt ist. Es mußte also die Identitat

∞∑k=1

ck sinkπx

L≡ f(x) (0 < x < L) (5)

sichergestellt werden. Damit stehen wir vor der Frage, ob das Funktionensystem

ek(x) := sinkπx

L(k ∈ N≥1)

reichhaltig genug ist, um eine beliebig vorgegebene Funktion f : ]0, L[→ R gemaß(5) reprasentieren zu konnen. Diese Frage ist zu bejahen, wie in der Theorie derFourier-Reihen (s.u.) gezeigt wird. ©Nun kommt ein weiterer Aspekt: Wird eine Funktion f nicht nur in Gedankenanalysiert oder synthetisiert, sondern konkret, wie bei der Analyse von Herzstrom-kurven oder langzeitlichen Klimaveranderungen, so wird fur die numerische Arbeiteine vollstandige Diskretisierung fast unumganglich. Diese Diskretisierung betriffteinerseits den Vorrat an Basisfunktionen (falls er nicht schon von Anfang an diskretwar) und anderseits den zugrundegelegten Raum der unabhangigen Variablen t(bzw. x, x, . . . ): Die Werte von allen vorkommenden (gegebenen oder gesuchten)Funktionen werden nur noch an diskreten Stellen

t := kτ (k ∈ Z, τ > 0 fest)

evaluiert, gemessen oder berechnet.

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4 1 Problemstellung

Daß auch die Werte f(t) selber numerisch nur in ,,quantisierter“ Form darstellbarsind, wollen wir hier außer acht lassen.

Wavelets sind neuartige Systeme von Basisfunktionen fur die Darstellung, Filterung,Verdichtung, Speicherung usw. von irgendwelchen ,,Signalen“

f : Rn → C .

Hier wird im Fall n = 1 die unabhangige Variable t als Zeit interpretiert; es gehtdann um die Verarbeitung von Zeitsignalen f : R → C. Der Fall n = 2 betrifftdie Bildverarbeitung ; ein konkretes Beispiel ist die Darstellung und Abspeicherungvon Abermillionen von Fingerabdrucken im Polizeicomputer [1]. Wir wollen unsdiesen Wavelets nahern, indem wir kurz einige Tatsachen uber Fourier-Reihen unddie Fourier-Transformation in Erinnerung rufen. Ein eigentliches Repetitorium derFourier-Analysis wird in den Abschnitten 2.1 und 2.2 gegeben.

1.2 Fourier-Reihen

Fourier-Reihen betreffen 2π-periodische Funktionen

f : R→ C , f(t+ 2π) ≡ f(t) ;

wir schreiben dafur auch f : R/2π → C. Der naturlichste Definitionsbereich einerderartigen Funktion ist der Einheitskreis S1 in der komplexen z-Ebene, siehe dasBild 1.2. Auf S1 erscheinen die unendlich vielen modulo 2π aquivalenten Punktet+ 2kπ, k ∈ Z, als ein einziger Punkt z := eit.

tt t + 2!t ! 2! 0

eit

1

z

S1

i

Bild 1.2

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1.2 Fourier-Reihen 5

Werden die Potenzfunktionen

χk: S1 → S1 , z 7→ zk

durch die Variable t ausgedruckt, so erhalt man die periodischen Grundfunktionenoder reinen Schwingungen

ek: R→ C , t 7→ eikt (k ∈ Z) .

(Leider gibt es fur diese Funktionen keinen universell akzeptierten Bezeichner; wirprobieren es hier einmal mit dem halbfetten e.)

Fur Funktionen f : R/2π → C ist

〈f, g〉 :=1

∫ π

−πf(t) g(t) dt (1)

ein naturliches Skalarprodukt. Die ek sind orthonormiert:

〈ej , ek〉 = δjk ;

insbesondere sind sie linear unabhangig. Nach allgemeinen Prinzipien der linearenAlgebra ist dann

ck := 〈f, ek〉 =1

∫ π

−πf(t) e−ikt dt (2)

die ,,k-te Koordinate von f bezuglich der Basis(ek | k ∈ Z

)“, und

sN :=N∑

k=−N

ckek bzw. sN (t) :=N∑

k=−N

ck eikt

ist die Orthogonalprojektion von f auf den Unterraum

UN := span(e−N , . . . , 1, . . . , eN )

aller Linearkombinationen der ek mit |k| ≤ N . Als Fußpunkt des Lotes von f aufUN (Bild 1.3) ist sN der f am nachsten gelegene Punkt von UN ; dabei wird imFunktionenraum die zu (1) gehorende Abstandsmessung

d(f, g) := ‖f − g‖ :=

(1

∫ π

−π

∣∣f(t)− g(t)∣∣2 dt)1/2

zugrundegelegt.

0

f

sN

UN = span(e!N , . . . , eN)

Bild 1.3

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6 1 Problemstellung

Dieser Teil war einfach. Entscheidend und viel schwieriger zu beweisen ist aber,daß das System

(ek | k ∈ Z

)vollstandig ist. Damit ist folgendes gemeint: Jede

vernunftige Funktion f : R/2π → C wird durch ihre (unendliche) Fourier-Reihe

∞∑k=−∞

ck eikt

tatsachlich dargestellt; das heißt, es gilt in einem Sinn, der im Einzelfall zu prazi-sieren ist, die Konvergenz limN→∞ sN = f bzw.

f(t) =

∞∑k=−∞

ck eikt . (3)

Fur weitere Einzelheiten verweisen wir auf Abschnitt 2.1.

Was gibt es hier zur ,,Diskretisierung“ zu sagen? Nun, das System(ek | k ∈ Z

)ist

bereits diskret; es gibt nur ganzzahlige Frequenzen k. Beim numerischen Rechnenmuß man sich naturlich auf einen endlichen Frequenzbereich [−N ..N ] beschranken;anstelle von Darstellungen (3) gibt es also nur Approximationen sN .

Wird auch bezuglich der Variablen t diskretisiert, so kommt man zu der sogenanntendiskreten Fourier-Transformation. Das ist nun eine rein algebraische Angelegenheit,da Konvergenzfragen keine Rolle mehr spielen. Die diskrete Fourier-Transformationhat durch die Erfindung von schnellen Algorithmen (Cooley & Tukey, 1965; esgibt aber Vorlaufer) einen ungeheuren Aufschwung erlebt. Das Stichwort dazulautet Fast Fourier Transform, abgekurzt FFT. Wir werden sehen, daß die Waveletsab initio auf einen schnellen Algorithmus hin angelegt sind. Dieser Sachverhalthat entscheidend dazu beigetragen, die Wavelets innert weniger Jahre zu einemerfolgreichen Werkzeug in mannigfachen Anwendungsgebieten zu machen.

Die Fourier-Transformation, die einer 2π-periodischen Funktion f ihre Fourier-Koeffizienten

(ck | k ∈ Z

)zuweist, behandelt f als ,,Gesamtobjekt“. Insbesondere

gibt es keine Lokalisierung auf der Zeitachse. In einem Datensatz(yk | 0 ≤ k < N

),

yk := f(2πk

N

)(0 ≤ k < N) ,

also einer einfachen Wertetabelle von f , ist auf der Zeitachse prazis lokalisierbareInformation uber f gespeichert. Im Gegensatz dazu enthalt jeder einzelne Fourier-Koeffizient ck Information uber f aus dem gesamten Definitionsbereich. Den cklaßt sich nicht ansehen, wo z.B. f seinen Maximalwert oder eine Sprungstelle hat.

©2 Die Sprungfunktion

f(t) :=

12 (π − t) (0 < t < 2π)0 (t = 0)f(t+ 2π) ∀t

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1.2 Fourier-Reihen 7

0 !/2 !

!/2s10

t2!

f

Bild 1.4

(Bild 1.4) besitzt die Fourier-Entwicklung

f(t) =∞∑k=1

1

ksin(kt) ,

die zwar f tatsachlich darstellt, aber ,,gleichmaßig schlecht“ konvergiert: Da dieKoeffizienten 1/k mit k → ∞ so langsam abnehmen, ist man an jeder Stelle t 6= 0(mod 2π) auf die Oszillationen von k 7→ sin(k t) angewiesen, damit tatsachlichKonvergenz eintritt. Ferner kommt es zu dem bekannten Gibbs’schen Phanomen:Jede Partialsumme sN der Fourier-Reihe uberschießt an einer gewissen Stelle tN inder Nahe von 0 den maximalen Funktionswert π

2 um ca. 18%.

Geht es nun um die Fourier-Analyse der in Bild 1.5 dargestellten Funktion g, sobesitzt g wegen der Sprungstelle t0 von vorneherein eine uberall schlecht konvergenteFourier-Reihe. Weiter laßt sich den ck nicht ansehen, wo die Sprungstelle liegt,obwohl das vielleicht gerade am meisten interessiert. ©

0 2!t0

t

Bild 1.5

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8 1 Problemstellung

Bei der Approximation einer Funktion f mit Hilfe von Wavelets wird es eine Loka-lisierung geben, und zwar ist sie sozusagen maßgeschneidert: Kurzlebige Detail-strukturen von f wie Sprungstellen oder ausgepragte Spitzen sind anhand derWaveletkoeffizienten von f genau lokalisierbar; langzeitliche Trends von f sind intieferen Schichten der Koeffizientenhierarchie abgelegt und naturgemaß in kleineremMaßstab dargestellt, das heißt: weniger genau lokalisiert.

1.3 Fourier-Transformation

Bei der Fourier-Transformation auf R, kurz: FT, geht es um die Analyse und Syn-these von Funktionen

f : R→ C .

Grundfunktionen sind wieder die reinen Schwingungen

eα: R→ C , t 7→ eiαt , (1)

dieses Mal aber beliebiger reeller Frequenzen α ; in anderen Worten: Die Index-menge ist R und damit isomorph zum Definitionsbereich der betrachteten Funktio-nen f . Das relevante Skalarprodukt ist nunmehr

〈f, g〉 :=

∫ ∞−∞

f(t) g(t) dt

(vgl. 1.2.(2)

); es ist das entscheidende Strukturelement der sogenannten L2-Theorie

(fur Details siehe Abschnitt 2.2). Da die eα nicht in L2 liegen, hat es keinen Sinn,sie als ,,orthonormiert“ anzusehen: Das Skalarprodukt 〈eα, eβ〉 ist nicht definiert.Trotzdem ist es erlaubt und macht fur viele f ∈ L2 Sinn, mit Hilfe der Formel

f(α) :=1√2π

∫ ∞−∞

f(t) e−iαt dt

einen ,,Koeffizientenvektor“(f(α) |α ∈ R

)zu definieren. Die Funktion

f : R→ C , α 7→ f(α)

heißt Fourier-Transformierte oder auch Spektralfunktion von f . Der Funktionswertf(α) laßt sich auffassen als komplexe Amplitude, mit der die Frequenz α im Signalf vertreten ist. Es gibt aber auch hier keine Lokalisierung bezuglich t: Am Wert

f(α) laßt sich nicht ablesen, wann die ,,Note“ α gespielt wurde.

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1.3 Fourier-Transformation 9

In der Bildverarbeitung mochte man sich die zweidimensionale Fourier-Transfor-mation zunutze machen. Nun gibt es in den verschiedenen Zonen etwa eines Land-schaftsbildes ganz verschiedene Texturen (Wald, frisch gepflugter Acker, Seeflache

usw.), die an sich charakteristische Muster in der Fourier-Transformierten f : R2 →C erzeugen. Wiederum laßt sich der Funktion f nur ansehen, welche Texturen indem Bild allenfalls auftreten, nicht aber, an welchem Ort das jeweils der Fall ist.Aus diesem Grund wird im allgemeinen nicht das Gesamtbild Fourier-transformiert;sondern das Bild wird in kleine, homogen texturierte Quadrate zerlegt, die je fursich der Fourier-Transformation unterzogen werden.

Simultane Lokalisierung bezuglich t und α in einem und demselben ,,Datenvektor“ist nicht oder jedenfalls nur in ganz bestimmten Grenzen erhaltlich — und dieseGrenzen konnen auch mit Wavelets nicht uberschritten werden. Es gibt keinen,,Schwingungsstoß“ im Zeitintervall [ t0−h, t0+h ] (und außerhalb ≡ 0) mit Frequenzim Intervall [α0−δ, α0 +δ ] und beliebig kleinen h > 0, δ > 0. Der quantitative Aus-druck dieses fundamentalen Sachverhalts ist die Heisenbergsche Unscharferelation∫ ∞

−∞t2 |f(t)|2 dt ·

∫ ∞−∞

α2 |f(α)|2 dα ≥ 1

4‖f‖4 (2)

(siehe Abschnitt 2.3). Hier ist der erste Faktor linker Hand ein gewisses Maß furdie ,,Ausbreitung“ des Graphen von f uber die t-Achse und der zweite Faktor einMaß fur die ,,Ausbreitung“ des Graphen von f uber die α-Achse (Bild 1.6). Die

Ungleichung (2) besagt, daß f und f nicht beide sehr stark um den Nullpunktherum konzentriert sein konnen. Fur die konstanten Vielfachen der Funktionent 7→ exp(−c t2), c > 0, und nur fur diese, gilt in (2) das Gleichheitszeichen.

ˆf

t

f

!

Bild 1.6

Fur vernunftige Funktionen f : R→ C gilt die Umkehrformel

f(t) =1√2π

∫ ∞−∞

f(α) eiαt dα bzw. f =1√2π

∫ ∞−∞

dα f(α) eα , (3)

die f mit Hilfe von reinen Schwingungen (1) synthetisiert. Das ist naturlich furtheoretische Betrachtungen fundamental, fur praktische Zwecke aber fast zuviel

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10 1 Problemstellung

des Guten: Ein ,,real“ vorkommendes Signal ist außerhalb eines beschrankten t-Intervalls I vernachlassigbar schwach oder sogar exakt identisch 0. Dies ist demAnwender von vorneherein bekannt, und er begehrt gar nicht, das Signal f außerhalbI zu synthetisieren. Die Umkehrformel (3) produziert aber auf der ganzen t-Achseeinen Funktionswert und muß sich daher ganz vergeblich anstrengen, auf R\I durchvollstandige gegenseitige Ausloschung aller eα ,,identisch 0“ zu erzeugen.

1.4 Gefensterte Fourier-Transformation

Wir sind also auf der Suche nach einem ,,Datentyp“, aus dem sowohl zeitliche wiespektrale Information uber ein Signal f : R→ C leicht extrahiert werden kann. Einemusikalische Partitur stellt einen diskreten Datentyp dar, der genau das leistet: WerNoten lesen kann, entnimmt einer Partitur ohne weiteres, in welchen Zeitintervallenwelche Frequenzen aktiviert sind.

Die sogenannte gefensterte Fourier-Transformation, englisch: Windowed FourierTransform, abgekurzt WFT, liefert eine kontinuierliche Version eines derartigen Da-tentyps. Die simultane Lokalisierung bezuglich der Zeit- und der Frequenzvariablenwird allerdings erkauft mit einer kolossalen Redundanz, da nun die Indexmenge des,,Datenvektors“ (

Gf(α, s) | (α, s) ∈ R× R)

zweidimensional ist, obwohl nur eine Funktion f von einer Variablen t codiert wird.

y

y = g(t)

t

!h h0

12h

Bild 1.7

Die WFT laßt sich folgendermaßen beschreiben: Zunachst wird eine Fensterfunktiong: R → R≥0 ein fur allemal fest gewahlt. Die Funktion g sollte ,,mit Gesamtmasse1 um t = 0 herum konzentriert“ sein, also z.B. kompakten Trager (siehe Bild 1.7)

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1.4 Gefensterte Fourier-Transformation 11

oder jedenfalls bei 0 ein ausgepragtes Maximum haben. Besonders verbreitet istdas Fenster

g(t) := Nσ,0(t) :=1√2πσ

exp(− t2

2σ2

), (1)

σ > 0 ein fester Parameter.1 Die zugehorige Transformation wird auch als Gabor-Transformation bezeichnet, da Gabor (Nobelpreistrager fur Physik 1971) als er-ster die WFT verwendet und auch Nσ,0 als in gewissem Sinn optimales Fenstervorgeschlagen hat.

Fur gegebenes s ∈ R stellt die Funktion

gs: t 7→ g(t− s)

das um s nach rechts (falls s > 0) verschobene Fenster g dar. Wir behalten dieGrundschwingungen 1.3.(1) bei und definieren die Fenster-Transformierte

Gf : R× R→ C , (α, s) 7→ Gf(α, s)

einer Funktion f durch

Gf(α, s) :=1√2π

∫ ∞−∞

f(t) g(t− s) e−iαt dt . (2)

Legen wir etwa die in Bild 1.7 dargestellte Fensterfunktion g zugrunde, so laßtsich (2) folgendermaßen interpretieren: Der Wert Gf(α, s) gibt an, mit welcherkomplexen Amplitude die Grundschwingung eα wahrend des t-Intervalls [ s−h, s+h ]in f vertreten ist. Wurde in diesem Intervall gerade die ,,Note“ α gespielt, so fallt|Gf(α, s)| groß aus.

Da die Information uber f in Gf sehr redundant reprasentiert ist, gibt es fur diegefensterte Fourier-Transformation f 7→ Gf verschiedene Umkehrformeln, die aufCalderon und Gabor zuruckgehen. Fur praktisch-numerische Zwecke wird naturlicheine diskrete Version der WFT benotigt. Sie arbeitet mit aquidistanten Teilungenauf der t- und der α-Achse.

Die konstante Fensterbreite 2h(bzw. ∼2σ im Fall (1)

)hat zur Folge, daß das ,,Ab-

fragemuster“ t 7→ g(t − s)e−iαt fur |α| 1h aussieht, wie in Bild 1.8 dargestellt.

Nun enthalt das Signal f vielleicht nur wenige Vollschwingungen der Frequenzα, die dann nur einen kleinen Teil des Intervalls [ s − h, s + h ] belegen. Das inBild 1.8 gezeigte ,,Abfragemuster“ ist jedoch nicht in der Lage, den Ort diesesSchwingungsstoßes mit der gewunschten Genauigkeit festzustellen.

1 Die offizielle Bezeichnung fur diese Funktion ist N(0,σ). Die hier verwendete Notation

ist jedoch im Einklang mit der Schreibweise 1.5.(1).

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12 1 Problemstellung

s ! h s s + ht

y y = g(t!s) cos(!t), |!| groß

Bild 1.8

Am unteren Ende des Horbereichs, d.h. fur Frequenzen |α| 1h ist es noch schlim-

mer: Das ,,Abfragemuster“ sieht in diesem Fall aus, wie in Bild 1.9 gezeichnet.Besitzt jetzt das Signal f einen (vielleicht hochinteressanten) Schwingungsanteilmit charakteristischer Frequenz |α| 1

h , so wird das durch die Transformation Gnicht entdeckt. Das ,,Fenster“ in Bild 1.9 ist zu schmal, um auch nur eine einzigeVollschwingung erfassen zu konnen.

s ! h s s + ht

y

y = g(t!s) cos(!t), |!| klein

Bild 1.9

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1.5 Wavelet-Transformation 13

1.5 Wavelet-Transformation

Damit das entscheidend Neue der Wavelet-Transformation (WT) gegenuber den vor-angehenden Ansatzen FT und WFT klarer herauskommt, halten wir hier nochein-mal fest:

• Die Fourier-Transformation von Funktionen f : R → C arbeitet mit einer spe-ziellen (und durch interessante analytische Eigenschaften ausgezeichneten) ana-lysierenden Funktion t 7→ eit, die mit dem reellen Frequenzparameter α dilatiertwird: t 7→ eiαt.

• Bei der gefensterten Fourier-Transformation haben wir dieselbe analysierendeFunktion t 7→ eit und ihre Dilatierten, dazu eine verschiebbare, im ubrigen aberstarre Fensterfunktion g; letztere ist ziemlich willkurlich wahlbar.

Lt

y = !(t)

y

Bild 1.10

Das Grundmodell der Wavelet-Transformation bearbeitet ebenfalls komplexwertigeZeitsignale f : R → C. Man beginnt mit der Wahl eines geeigneten analysierendenWavelets, auch Mutter-Wavelet oder einfach Wavelet genannt, x 7→ ψ(x). Bild 1.10zeigt ein ψ mit kompaktem Trager [ 0, L ]. Dilatierte und verschobene Kopien desMutter-Wavelets ψ heißen Waveletfunktionen. Die zur Analyse von Signalen f ver-wendeten ,,Abfragemuster“ sind nun gerade derartige Waveletfunktionen, namlichdie Funktionen

ψa,b: R→ C , t 7→ 1

|a|1/2 ψ( t− b

a

), (1)

wobei fur (a, b) die Indexmenge R∗ × R oder R>0 × R zugrundegelegt wird. DieVariable a ist der Skalenparameter, b der Verschiebungsparameter. Der Vorfaktor1/|a|1/2 ist nicht entscheidend und eher technisch bedingt; er wird zugegeben, um‖ψa,b‖ = 1 sicherzustellen.

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14 1 Problemstellung

y = !( t!b

), 0 < a " 1

t

a

aL

b

Bild 1.11

Die Bilder 1.11 und 1.12 zeigen, daß das die Breite des Abfragemusters bzw. -fenstersproportional zu |a| wachst und daß in diesem Fenster immer eine vollstandige undeinfache Kopie des analysierenden Wavelets ψ sichtbar ist. Folgendes sollte mansich gleich merken:

• Skalenwerte a mit einem Betrag |a| 1 liefern ein breites Fenster und dienenzur Erfassung von langsamen Vorgangen bzw. langwelligen Schwingungsan-teilen.

• Skalenwerte a mit 0 < |a| 1 liefern ganz schmale Fenster und dienenzum prazis lokalisierten Nachweis von hochfrequenten und/oder kurzlebigenPhanomenen.

tb

aL

ay = !( t!b

), a " 1

Bild 1.12

Nach allem bisher Gesagten leuchtet ein, daß nunmehr die Wavelet-Transformierte

Wf : R∗ × R→ C , (a, b) 7→ Wf(a, b)

eines Zeitsignals f folgendermassen definiert ist:

Wf(a, b) := 〈f, ψa,b〉 =1

|a|1/2∫ ∞−∞

f(t)ψ( t− b

a

)dt .

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1.5 Wavelet-Transformation 15

Strenggenommen mußte man Wψf schreiben; denn der resultierende Datensatz(Wf(a, b)

∣∣ (a, b) ∈ R∗ × R)

hangt ab von dem zu Beginn gewahlten Mutter-Wavelet ψ. Solange nicht ver-schiedene Wavelets ψ gleichzeitig betrachtet werden, durfen wir auf die ausfuhr-lichere Schreibweise Wψ verzichten.

Wir werden sehen (Abschnitt 3.3), daß es auch fur die Wavelet-Transformationeine Umkehrformel gibt. Sie stellt das Ausgangssignal f als Linearkombination derBasisfunktionen ψa,b dar, wobei die WerteWf(a, b) als Koeffizienten dienen und aufder Indexmenge R∗ × R ein charakteristisches ,,Volumenelement“ zugrundegelegtwird. Sind die ψa,b gegeben durch (1), so gilt

f =1

∫R∗×R

da db

|a|2 Wf(a, b)ψa,b

mit einer Konstanten Cψ, die nur von dem gewahlten ψ abhangt(Satz (3.7)

).

Es wird sich herausstellen, daß mit diesem Ansatz auf der Frequenzachse eine log-arithmische Skala maßgebend wird, wie wir sie von der Akustik bzw. vom Horen herkennen: Gleiche Tonschritte gehoren zu gleichen Frequenzverhaltnissen ω2/ω1 (zumBeispiel 5:4 fur die große Terz) und nicht zu gleichen Frequenzdifferenzen ω2 − ω1.

Besonders klar kommt das zum Ausdruck, wenn wir nun die Indexmenge R>0 × Rdiskretisieren: Wir wahlen einen Zoomschritt σ > 1, am verbreitetsten ist σ := 2,und betrachten nur noch die diskreten Dilatationswerte

ar := σr (r ∈ Z) ;

dabei entspricht also großerem r ∈ Z ein großerer Dilatationsfaktor ar > 0. Wasnun den Verschiebungsparameter b anbelangt, so konnen wir nicht einfach eine festeSchrittweite β > 0 wahlen und dann die Verschiebungszahlen bk := k β (k ∈ Z)zugrundelegen wie bei der Fourier-Transformation. Vielmehr wird in den feinerenMaßstaben, das heißt: fur kleineres r, auch eine entsprechend kleinere Schrittweitebenotigt, damit alles richtig hinkommt. Konkret: Auf dem Niveau ar in der (a, b)-Ebene (a vertikal, b horizontal abgetragen) gibt es die Gitterpunkte

br,k := k σr β (k ∈ Z)

im Abstand σrβ, siehe das Bild 4.4. Dies ist eigentlich ganz naturlich und gewahr-leistet die prazise Lokalisierung von hochfrequenten und/oder kurzlebigen Phano-menen bei der numerischen Verarbeitung eines Zeitsignals f .

Die systematische Ausbeutung der so etablierten Gruppe von Selbstahnlichkeiten(auch zwischen ψ und seinen skalierten Versionen) fuhrt zu der sogenannten Multi-skalen-Analyse mit einem zugehorigen schnellen Algorithmus, genannt Fast WaveletTransform, abgekurzt FWT, zur sukzessiven Berechnung der Waveletkoeffizienten

cr,k :=Wf(ar, br,k)

bzw. zur Synthese des Signals f aus den cr,k.

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16 1 Problemstellung

Bei der Wahl des analysierenden Wavelets ψ hat man, im Gegensatz zur Fourier-Analyse, große Freiheit: Im wesentlichen genugt es, dafur zu sorgen, daß ψ in L1∩L2

liegt und∫∞−∞ ψ(t) dt = 0 ist. Man kann es z.B. so einrichten, daß

• ψ kompakten Trager hat,

• die zur beschriebenen Diskretisierung gehorenden Waveletfunktionen (die ,,Ab-fragemuster“)

ψr,k(t) := 2−r/2ψ

(t− k · 2r

2r

)orthonormiert sind,

• schnelle Transformationsalgorithmen zur Verfugung stehen,

• ψ soundsooft stetig differenzierbar ist,

• undsoweiter.

Im weiteren Verlauf dieses Buches werden wir verschiedene ,,beruhmte“ Mutter-Wavelets ψ formelmaßig oder als theoretische Konstrukte darstellen und numerischbzw. graphisch realisieren. Es sind dies (in der Reihenfolge des Erscheinens, amlinken Rand die jeweiligen Bildnummern):

1.13 Haar-Wavelet,

3.4 Mexikanerhut,

3.5 Modulierte Gauß-Funktion,

3.9 Ableitung der Gauß-Funktion,

4.8 Daubechies-Grossmann-Meyer-Wavelet zu σ= 2, β= 1,

5.4 Meyer-Wavelet,

6.4 Daubechies-Wavelet 3ψ,

6.6 Daubechies-Wavelet 2ψ,

6.9 Battle-Lemarie-Wavelet zu n = 1,

6.11 Battle-Lemarie-Wavelet zu n = 3.

Dieses Buch handelt von den mathematischen Grundlagen der Wavelet-Analyse.Trotzdem soll hier noch kurz ein Blick auf die Anwendungen geworfen werden.

Die Fourier-Analyse ist ein machtiges Werkzeug innerhalb und außerhalb der Mathe-matik. Innerhalb der Mathematik kommt sie in erster Linie in der Theorie der(linearen) partiellen Differentialgleichungen zum Zug, siehe das Beispiel 1.1.©1 ,und außerhalb bei der Modellierung bzw. Analyse von irgendwelchen zeitlich oderraumlich periodischen Phanomenen, um nur einmal nur das Nachstliegende zu nen-nen. Die FT bezieht ihre Starke aus den uberwaltigenden Invarianz- und Symme-trieeigenschaften der periodischen Grundfunktionen eα.

Im Gegensatz dazu sind die Wavelets von Beginn an im Hinblick auf praktische An-wendungen außerhalb der Mathematik ersonnen worden. Ihre analytischen Eigen-schaften sind wesentlich vertrackter als diejenigen der Grundfunktionen eα, undso sind sie als Werkzeug innerhalb der Mathematik bis jetzt nur wenig zum Zuggekommen; ein schones Beispiel findet man in [M], chapter 5.

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1.5 Wavelet-Transformation 17

Die eigentlichen Haupt-Anwendungsgebiete der Wavelets sind Signalverarbeitungund Bildverarbeitung. Die Signalverabeitung befaßt sich mit Zeitsignalen und be-dient sich dazu der ,,eindimensionalen“ Wavelets, deren Theorie in diesem Buchvorgestellt wird; in der Bildverarbeitung kommen ,,zweidimensionale“ Wavelets zumZug. Die Theorie dieser ,,zweidimensionalen“ Wavelets ist eine naheliegende ,,Qua-drierung“ der eindimensionalen Theorie, enthalt aber auch neue Elemente. Sie wirdin der vorliegenden Wavelet-Einfuhrung nicht behandelt.

Unter Verarbeitung verstehen wir hier die Analyse, ,,Reinigung“, Filterung, ra-tionelle Speicherung und Ubermittlung von Zeitsignalen bzw. Bilddaten sowie vorallem deren Verdichtung. Die Informationstheorie betrachtet ein Bild als Resultateines Zufallsprozesses, im Grenzfall als Bitmap ohne Korrelationen zwischen be-nachbarten Pixeln. In einem realen Bild (oder Tondokument) gibt es aber typischerWeise Regionen hoher Informationsdichte und anderseits Bereiche (zum Beispielwolkenlosen Himmel), wo inhaltlich wenig passiert. Unterwirft man das gegebeneBild einer (diskreten) Wavelet-Transformation, so lassen sich leicht diejenigen Wave-letkoeffizienten cr,k heraussieben, deren Betrag einen gewissen Schwellenwert uber-schreitet. Nur diese cr,k werden tatsachlich gepeichert bzw. ubermittelt. Damit(und das ist die eigentliche Essenz dieses Ansatzes) wird automatisch von jeder Zonedes Bildes genau soviel Bildinhalt pro Flacheneinheit ausgedruckt, wie dort tatsach-lich vorhanden ist. Indem auf diese Weise die Bildauflosung dynamisch der wech-selnden lokalen Informationsdichte angepaßt wird, lassen sich betrachtliche Kom-pressionsraten erzielen, ohne daß die Bildqualitat merklich unter der Verdichtungleidet.

Den Leser, der sich eingehender mit den verschiedenen Anwendungen der Waveletsbefassen mochte, verweisen wir auf die Sammelbande [Be], [C′] und [D′], ferner auf[L], Kapitel 3. Als neuartige Beschreibungselemente haben die Wavelets auch inverschiedenen Gebieten der theoretischen Physik Einzug gehalten; siehe dazu [K],Part II.

Zum Schluß eine ganz kurze historische Notiz: Vorlaufer der Wavelets, allerd-ings ohne den wohlklingenden Namen, gibt es schon seit 1910 (siehe den nachstenAbschnitt). Im Lauf der Jahrzehnte haben verschiedene Kommunikationstheo-retiker die beschriebenen Nachteile der Fourier-Analyse bzw. der WFT mit wech-selnden Wavelet-ahnlichen Ansatzen zu uberspielen versucht. Zu nennen ware hierauch eine beruhmte Integralformel von Calderon (1964), die der Umkehrformel furdie Wavelet-Transformation zu Gevatter steht. Der eigentliche Durchbruch zurselbstandigen Wavelet-Theorie erfolgte aber erst in den spaten Achtzigerjahren mitder axiomatischen Beschreibung der Multiskalen-Analyse

(durch Mallat und Meyer

[12])

und der Konstruktion von orthonormalen Wavelets mit kompaktem Tragerdurch Ingrid Daubechies [3]. Fur weitergehende Einzelheiten und eine umfang-reiche Bibliographie (nachgefuhrt bis 1992) verweisen wir auf das Standardwerk[D].

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18 1 Problemstellung

1.6 Das Haar-Wavelet

Viele Aspekte der Wavelet-Theorie lassen sich bereits am allereinfachsten Wavelet,dem sogenannten Haar-Wavelet, beobachten und nachvollziehen. Dazu brauchtes keine tiefschurfenden Vorbereitungen; wir konnen daher gleich damit beginnen.Selbstverstandlich wird uns das Haar-Wavelet auch in den spateren Kapiteln immerwieder begegnen und als handliches Beispiel dienen.

1910 hat A. Haar zum ersten Mal ein vollstandiges Orthonormalsystem fur denHilbertraum L2 := L2(R) beschrieben und damit bewiesen, daß dieser Raum zumFolgenraum

l2 :=

(ck | k ∈ N

) ∣∣∣∣∣∞∑k=0

|ck|2 <∞

isomorph ist. Heute interpretieren wir die von Haar angegebenen Basisfunktionenals dilatierte und verschobene Kopien eines bestimmten Mutter-Wavelets ψ, wie imvorangehenden Abschnitt 1.5 beschrieben.

1

!1

1x

y

y = !Haar(x)

Bild 1.13 Das Haar-Wavelet

Das Haar-Wavelet ist die folgende einfache Treppenfunktion:

ψ(x) :=

1(0 ≤ x < 1

2

)−1

(12 ≤ x < 1

)0 (sonst)

(Bild 1.13). Dieses ψ =: ψHaar hat kompakten Trager; ferner ist∫ ∞−∞

ψ(x) dx = 0 ,

∫ ∞−∞|ψ(x)|2 dx = 1 .

Das Haar-Wavelet ist jedenfalls gut lokalisiert im Zeitbereich, aber leider unstetig.Die Fourier-Transformierte ψ von ψHaar berechnet sich folgendermaßen:

ψ(α) =1√2π

(∫ 1/2

0

e−iαx dx−∫ 1

1/2

e−iαx dx)

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1.6 Das Haar-Wavelet 19

=1√2π

1

−iα(e−iαx

∣∣∣1/2x:=0− e−iαx

∣∣∣1x:=1/2

)= . . .

=i√2π

sin2(α/4)

α/4e−iα/2 . (1)

Die (gerade) Funktion |ψ| erreicht ihr Maximum an der Stelle α0.= 4.6622, siehe

Bild 1.14, und nimmt fur α → ∞ ab wie 1/α. Hiernach ist ψ ,,ziemlich gut“lokalisiert bei der Frequenz α0.

y

!0 4" 8"!

|#Haar(!)|ˆy =

Bild 1.14

Mit Hilfe von ψHaar werden nun die Waveletfunktionen

ψr,k(t) := 2−r/2 ψHaar

(t− k · 2r

2r

)(r, k ∈ Z) (2)

(Bild 1.15) generiert. Trager von ψr,k ist das Intervall

Ir,k := [ k · 2r, (k + 1) · 2r[der Lange 2r. Wir wiederholen: Zu großerem r gehoren langere Intervalle undentsprechend ,,langwelligere“ Waveletfunktionen. Die Amplitude von ψr,k ist sogewahlt, daß

‖ψr,k‖2 :=

∫ ∞−∞|ψr,k(t)|2 dt = 1 (3)

fur alle r und alle k. Es gilt aber viel mehr:

(1.1) Die ψr,k (r ∈ Z, k ∈ Z) bilden eine orthonormierte Basis von L2(R).

k . 2r (k+1) . 2r

t

!r, k , !!r, k! = 1

Bild 1.15

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20 1 Problemstellung

Ist k 6= l, so besitzen ψr,k und ψr,l disjunkte Trager; folglich ist

〈ψr,k, ψr,l〉 = 0 (k 6= l) .

Ist weiter s < r, so ist ψr,k auf dem Trager von ψs,l konstant (= −2−r/2, 0 oder2−r/2), siehe Bild 1.16. Hiernach ist

〈ψr,k, ψs,l〉 = 0 (s 6= r, alle k, l) ,

und zusammen mit (3) folgt, daß die ψr,k ein Orthonormalsystem bilden.

!r, k

t

!s, l

Bild 1.16

Nun zur Hauptsache: Wir mussen zeigen, daß jedes f ∈ L2 durch endliche Line-arkombinationen der ψr,k (kurz: durch Waveletpolynome) im Sinn der L2-Metrikbeliebig genau approximiert werden kann. Nach allgemeinen Prinzipien genugt es,ein f : R → C der folgenden Art zu betrachten: Es gibt ein m und ein n, so daßfolgendes zutrifft:

• f(x) ≡ 0(|x| ≥ 2m) ,

• f ist eine Treppenfunktion, konstant auf den Intervallen I−n,k der Lange 2−n.

Wir konstruieren nun eine Folge(Ψr | r ≥ −n

)von Waveletpolynomen

Ψr :=

r∑j=−n+1

(∑k

cj,k ψj,k

),

indem wir, bei den feinsten Details von f beginnend, Schritt fur Schritt immerlangwelligere Anteile aus dem noch ,,unerledigten Rest“ fr := f −Ψr heraussieben.Beim Grenzubergang r →∞ kommen also die langwelligsten Anteile von f zuletztdaran, gerade umgekehrt als z.B. bei der Fourier-Analyse.

Wir beginnen die Konstruktion mit Ψ−n := 0, f−n := f und treffen fur den Schrittr r′ := r + 1 die folgende Induktionsannahme (Z fur Zusicherung):

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1.6 Das Haar-Wavelet 21

Zr Das Waveletpolynom Ψr und der Rest fr sind so bestimmt, daß

f = Ψr + fr (4)

gilt und fr auf den Intervallen Ir,k konstant ist. Dieser Wert, mit fr,k bezeich-net, ist nichts anderes als der Mittelwert von f auf dem Intervall Ir,k.

Wir bilden jetzt die Großen

δr′,k :=1

2(fr,2k − fr,2k+1)

fr′,k :=1

2(fr,2k + fr,2k+1)

(vgl. Bild 1.17) und setzen

cr′,k := 2r′/2 δr′,k (vgl. die Normierung der ψr,k) , (5)

Ψr′ := Ψr +∑k

cr′,k ψr′,k ,

fr′(x) := fr′,k (x ∈ Ir′,k) .

Dann gilt (4) mit r′ anstelle von r, die Funktion fr′ ist konstant auf den IntervallenIr′,k, und fr′,k ist der Mittelwert von f auf Ir′,k ; in anderen Worten: Es gilt Zr′ .

2k . 2r (2k+1) . 2r

t(2k+2) . 2r

Ir, 2k Ir, 2k+1

fr, 2k+1

fr, 2k

fr!, k

Ir!, k

!r!, k

Bild 1.17

Beginnend mit r := −n erhalt man nach n+m derartigen Schritten die Beziehung

f = Ψm + fm =m∑

j=−n+1

(∑k

cj,k ψj,k

)+ fm .

Der Rest fm ist konstant auf den Intervallen Im,k der Lange 2m. Allerdings sindhochstens die zwei Werte

A := fm,−1 = Mittelwert von f auf [−2m, 0[ ,

B := fm,0 = Mittelwert von f auf [0, 2m[

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22 1 Problemstellung

von 0 verschieden; denn fur |x| ≥ 2m waren bis zu diesem Zeitpunkt alle betrach-teten Funktionen = 0.

Wir konnen das Verdoppelungsverfahren mit dem noch unerledigten Rest fm fort-setzen. Nach p weiteren Schritten hat man

fm =

m+p∑j=m+1

(∑k

cj,k ψj,k

)+ fm+p ,

und zwar ist fm+p konstant auf den beiden Intervallen [−2m+p, 0[ , [ 0, 2m+p[ undaußerhalb = 0. Da f außerhalb [−2m, 2m[ verschwindet, ist

fm+p,−1 = 2−pA , fm+p,0 = 2−pB

und folglich

‖fm+p‖2 =

∫ ∞−∞|fm+p(x)|2 dx = 2m+p

(2−2p|A|2 + 2−2p|B|2

)(6)

bzw.‖fm+p‖ = 2m/2

√|A|2 + |B|2 · 2−p/2 .

Mit p→∞ ergibt sich∥∥f −Ψm+p

∥∥ = ‖fm+p‖ ≤ C · 2−p/2 → 0 ,

wie behauptet.

Dieser Beweis von Satz (1.1) ist in dem Sinne konstruktiv, daß er einen Algorithmuszur sukzessiven Bestimmung der Waveletkoeffizienten cj,k gerade mitliefert; undnicht nur das: Es handelt sich hier um einen schnellen Algorithmus, wovon wiruns durch Zahlen der insgesamt erforderlichen Rechenoperationen leicht uberzeugenkonnen: Die betrachtete Funktion f ist bestimmt durch

N := 2 · 2m · 2n

Einzeldaten. Der erste Reduktionsschritt bezieht sich aufN/2 Intervallpaare und er-fordert pro Paar im wesentlichen zwei Additionen

(das Halbieren und die Skalierung

(5) brauchen wir nicht zu zahlen). Jeder weitere Reduktionsschritt erfordert halb

soviele Operationen wie der vorangehende, und nach m+n Schritten wird vernunfti-gerweise abgebrochen. Zur Bestimmung aller Koeffizienten cj,k sind daher imganzen nur

N

2

(1 +

1

2+

1

4+ . . .

)· 2 .

= 2N

Operationen erforderlich. Wir werden in Abschnitt 5.4 sehen, daß sich auch dieRekonstruktion von f aus den cj,k mit derselben Anzahl von Operationen bewerk-stelligen laßt. Zum Vergleich: Die Multiplikation eines Datenvektors der Lange Nmit einer N -reihigen Matrix erfordert O(N2) Operationen.

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1.6 Das Haar-Wavelet 23

Der hier vorgefundene algorithmische Sachverhalt ist nicht eine Besonderheit desHaar-Wavelets; vielmehr ist er bei allen Mutter-Wavelets ψ garantiert, die wie ψHaar

eine Multiskalen-Analyse zulassen, siehe dazu 5.4: Algorithmen.

Zum Schluß dieses Abschnitts mussen wir auf ein gewisses Paradoxon aufmerksammachen, das geeignet ist, den Novizen zu verunsichern. Alle Waveletfunktionen ψr,k(auch diejenigen, die wir erst spater kennenlernen) haben Mittelwert 0:∫ ∞

−∞ψr,k(t) dt = 0 (r, k ∈ Z) .

Wie kann man mit derartigen Funktionen etwa das in Bild 1.18 dargestellte f ap-proximieren?

t

y

y = f(t)

Bild 1.18

Nun, die Approximation Ψr → f (r → ∞) erfolgt in L2, in vielen praktischenFallen sogar punktweise, aber nicht in L1. Letzteres laßt sich exakt folgendermaßeneinsehen: Das Funktional

ι: L1 → C , f 7→∫ ∞−∞

f(t) dt

ist stetig auf L1, und fur eine positive Funktion f ist auch ι(f) > 0. Trotzdem giltι(Ψr) = 0 fur alle approximierenden Funktionen Ψr.

Was in Wirklichkeit passiert, konnen wir am einfachsten an dem folgenden Beispieluntersuchen: Wir approximieren die Funktion

φ(x) :=

1 (0 ≤ x < 1)0 (sonst)

mit Hilfe des im Beweis von Satz (1.1) verwendeten Algorithmus, wobei wir anstelleder ψr,k aus (2) die Waveletfunktionen

ψr,k(t) := ψHaar

(t− k · 2r

2r

)

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24 1 Problemstellung

zugrundelegen, d.h. auf die Normierung verzichten. Wir fuhren noch die Funktionen

gr(t) :=

1 (0 ≤ t < 2r)0 (sonst)

(r ≥ 0)

ein; sie sind mit den ψr,k verknupft durch die Rekursionsformel

gr =1

2ψr+1,0 +

1

2gr+1 ,

die man ohne weiteres anhand von Bild 1.19 verifiziert. Mit vollstandiger Induktionfolgt hieraus

φ = g0 =r∑j=1

1

2jψj,0 +

1

2rgr (r ≥ 0) .

t

1

0

!

2r 2r+1

gr

gr+112

12

!r+1, 0

12

12

~

Bild 1.19

Hier ist die Summe rechter Hand gerade die Approximante Ψr, wahrend fr :=gr/2

r auf dem Intervall Ir,0 konstant ist und somit den unerledigten Rest darstellt.Wir sehen: Die zu approximierende Funktion φ hat zwar den Trager [ 0, 1[ , dieTrager der Approximanten Ψr sind aber immer weiter ausgebreitet, und die aus,,Mittelwertsgrunden“ notwendige Diskrepanz zwischen φ und den Ψr wird ubereinen immer großeren Bereich verschmiert: Ψr hat den Wert 1− 1

2r auf dem Intervall[ 0, 1[ und den Wert − 1

2r auf dem Intervall [1, 2r[ . Wie erwartet, gilt∫ ∞−∞

fr(t)dt = 1 =

∫ ∞−∞

φ(t)dt ∀r ,

und in Ubereinstimmung mit (6) haben wir∫ ∞−∞|fr(t)|2dt = 2r ·

( 1

2r

)2

=1

2r→ 0 (r →∞) ;

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1.6 Das Haar-Wavelet 25

endlich gilt auch

limr→∞

∣∣φ(t)−Ψr(t)∣∣ = lim

r→∞|fr(t)| = 0 ∀t ,

letzteres sogar gleichmaßig in t.

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2 Fourier-Analysis

Das Hauptwerkzeug zum Aufbau der Wavelet-Theorie ist die Fourier-Analysis. Wirbenotigen sowohl die wichtigsten Formeln und Satze uber Fourier-Reihen als auchdie Grundlagen der Fourier-Transformation auf R. Diese Dinge werden in den fol-genden Abschnitten im Sinne eines Repetitoriums zusammengestellt, damit wirspater ohne weiteres darauf zugreifen konnen. Fur die zugehorigen Beweise ver-weisen wir auf die entsprechenden Lehrbucher, zum Beispiel [2], [5], [10], [15]. Inden Abschnitten 2.3 und 2.4 behandeln wir die Heisenbergsche Unscharferelationund das Abtast-Theorem von Shannon. Diese beiden Satze der Fourier-Analysishandeln von ,,letztgultigen“ Grenzen der Signaltheorie und stehen damit auch imHintergrund von allen Wavelet-Bemuhungen.

2.1 Fourier-Reihen

Wir legen den Funktionenraum L2 := L2(R/2π) zugrunde. Die Punkte dieses

Raums sind meßbare Funktionen f : R→ C, die 2π-periodisch sind:

f(t+ 2π) = f(t) ∀t ∈ R ,

und fur die das Integral1

∫ 2π

0

|f(t)|2 dt

endlich ist. Genaugenommen besteht L2 aus Aquivalenzklassen von derartigen

Funktionen: Zwei Funktionen f und g, die sich nur auf einer Nullmenge von t-Werten unterscheiden, werden als ein und derselbe Punkt von L2

angesehen. Dashat unter anderem folgende Konsequenz: Eine Funktion f ∈ L2

, uber die man nichtsNaheres weiß, hat in individuellen Punkten keine wohlbestimmten Funktionswerte;unter diesen Umstanden hat es also keinen Sinn, z.B. von f(0) zu sprechen. Hinge-

gen sind beliebige Integrale∫ baf(t) dt wohldefiniert. Daran muß man sich gewohnen.

Durch

〈f, g〉 :=1

∫ 2π

0

f(t) g(t) dt

wird auf L2 ein Skalarprodukt erklart. Zu diesem Skalarprodukt gehort die Norm

‖f‖ :=√〈f, f〉 =

(1

∫ 2π

0

|f(t)|2 dt)1/2

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2.1 Fourier-Reihen 27

und die Distanzmessungd(f, g) := ‖f − g‖ .

Bezuglich dieser Metrik d(·, ·) ist L2 ein vollstandiger metrischer Raum. Alles in

allem (L2 ist ja auch noch ein Vektorraum uber C) ist L2

ein sogenannter Hilbert-raum.

Die Funktionen

ek: t 7→ eikt = cos(kt) + i sin(kt) (k ∈ Z)

sind 2π-periodisch und bilden wegen

〈ej , ek〉 =1

∫ 2π

0

ei(j−k)t dt =

1 (j = k)1

2π(j − k)ei(j−k)t

∣∣∣2π0

= 0 (j 6= k)

ein Orthonormalsystem in L2.

Jedes f ∈ L2 besitzt Fourier-Koeffizienten

ck := f(k) := 〈f, ek〉 =1

∫ 2π

0

f(t) e−ikt dt (k ∈ Z) . (1)

Die ck sind nichts anderes als die Koordinaten von f bezuglich der ,,orthonormalenBasis“

(ek | k ∈ Z

), vgl. die analogen Formeln im euklidischen Raum Rn. Relativ

leicht zu beweisen ist das Riemann-Lebesgue-Lemma

(2.1) limk→±∞

ck = 0 .

Das zentrale Resultat der L2-Theorie ist jedoch die Parsevalsche Formel. Sie

druckt aus, daß das Skalarprodukt von zwei beliebigen Funktionen f und g ∈ L2

mit dem ,,formalen Skalarprodukt“ der zugehorigen Koeffizientenvektoren f und gubereinstimmt:

(2.2) Fur beliebige f und g ∈ L2 gilt

∞∑k=−∞

f(k) g(k) = 〈f, g〉 ;

insbesondere ist∑∞k=−∞ |ck|2 = ‖f‖2 .

Die mit den Fourier-Koeffizienten von f gebildete Reihe

∞∑k=−∞

ck ek (2)

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28 2 Fourier-Analysis

heißt (formale) Fourier-Reihe von f . Daß diese Reihe zu der Ausgangsfunktion fgehort, wird gelegentlich durch die Formel

f(t) ∑k

ck eikt (3)

ausgedruckt. Die zur Elementargeometrie bestehenden Analogien lassen die Hoff-nung aufkommen, daß die Reihe (2) die Funktion f in gewissem Sinne ,,darstellt“.Hieruber laßt sich folgendes sagen:

Die Reihe (2) besitzt Partialsummen

sN (t) :=

N∑k=−N

ck eikt .

Wie schon in Abschnitt 1.2 bemerkt, ist sN die Orthogonalprojektion von f auf den(2N + 1)-dimensionalen Unterraum

UN := span(e−N , . . . , 1, . . . , eN ) ⊂ L2 ;

insbesondere steht sN senkrecht auf f − sN , siehe Bild 1.3. Hieraus folgt nach demSatz von Pythagoras

‖f − sN‖2 = ‖f‖2 − ‖sN‖2 = ‖f‖2 −N∑

k=−N

|ck|2 .

Mit (2.2) ergibt sich daher limN→∞ ‖f − sN‖2 = 0 , in Worten:

(2.3) Die formale Fourier-Reihe einer Funktion f ∈ L2 konvergiert im Sinn der

L2-Metrik gegen f .

Fur praktische Zwecke benotigt man aber wesentlich mehr, namlich einen Satz, derfur hinreichend regulare Funktionen die punktweise Konvergenz von sN (t) gegenf(t) garantiert. Das tiefste Resultat in dieser Richtung ist der folgende Satz vonCarleson (1966). Sein Beweis ist so schwierig, daß er bis heute keine Aufnahme in diehandelsublichen Analysis-Lehrbucher gefunden hat. Da wir den Satz gelegentlichbenotigen, fuhren wir ihn hier an:

(2.4) Die Partialsummen sN (t) einer Funktion f ∈ L2 konvergieren fur fast alle t

gegen f(t).

Einfacher zu beweisen sind die folgenden Satze. Darin erscheint als weiterer Begriffdie Variation einer Funktion f : R/2π → C (gemeint ist eine tatsachliche Funktion,nicht eine Aquivalenzklasse). Dieser Begriff ist wie folgt erklart: Man betrachtetbeliebige Einteilungen

T : 0 = t0 < t1 < t2 < . . . < tn = 2π

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2.1 Fourier-Reihen 29

des Intervalls [ 0, 2π ] und bildet zugehorige Inkrementsummen

VT (f) :=

n∑k=1

∣∣f(tk)− f(tk−1)∣∣

(die Inkrementbetrage werden aufaddiert!). Die (totale) Variation V (f) der 2π-periodischen Funktion f ist das Supremum dieser Summen uber alle Teilungen T .Ist V (f) < ∞, so sagt man, f sei von beschrankter Variation. Man kann dieFunktion t 7→ f(t) als Parameterdarstellung einer geschlossenen Kurve γ in derkomplexen Ebene interpretieren. Die Große V (f) ist dann gerade die Lange L(γ)dieser Kurve. Ist f zum Beispiel stuckweise stetig differenzierbar, so gilt

V (f) = L(γ) =

∫ 2π

0

∣∣f ′(t)∣∣ dt <∞ .

(2.5) Die Funktion f : R/2π → C sei stetig und von beschrankter Variation. Dannkonvergieren die Partialsummen sN (t) mit N → ∞ auf R/2π gleichmaßig gegenf(t) .

Mit Hilfe des Variationsbegriffes laßt sich auch eine ,,quantitative Version“ desRiemann-Lebesgue-Lemmas formulieren:

(2.6) Es bezeichne f (r) die r-te Ableitung, r ≥ 0, der Funktion f : R/2π → C. Ist

f (r) stetig und V(f (r)

)=: V <∞, so gilt

|ck| ≤V

2π |k|r+1∀ k 6= 0 .

In Worten: Je glatter die Funktion f , desto schneller gehen die ck mit k → ±∞gegen 0. Dieser Satz laßt sich gewissermaßen umkehren:

(2.7) Genugen die Koeffizienten ck einer Abschatzung der Form

ck = O( 1

|k|r+1+ε

) (|k| → ∞

)fur ein ε > 0, so ist die Funktion f(t) :=

∑k ck e

ikt mindestens r-mal stetig dif-ferenzierbar.

Wird die angeschriebene Reihe p-mal gliedweise differenziert, so resultiert∑k

ck(ik)p eikt .

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30 2 Fourier-Analysis

Wegen

ck (ik)p = O( 1

|k|r−p+1+ε

) (|k| → ∞

)ist die so erhaltene Reihe gleichmaßig konvergent (gegen eine stetige Funktion),solange p ≤ r. Fur diese p stellt sie dann gerade f (p) dar, womit f ∈ Cr erwiesenist.

Der in (2.6) und (2.7) beschriebene Sachverhalt wird auch bei der Fourier-Analysisauf R manifest (und hat einschneidende Konsequenzen fur die Glattheit unsererWavelets); wir werden darauf zuruckkommen.

Zum Schluß geben wir noch die bei beliebiger Periodenlange L > 0 maßgebendenFormeln fur die Fourier-Koeffizienten und die Gestalt der Fourier-Reihe an; sie mus-sen fur L := 2π in die Formeln (1) und (3) ubergehen.

(2.8) Es sei f : R → C eine periodische Funktion mit Periode L > 0, und es sei∫ L0|f(x)|2 dx <∞. Dann gilt

f(x) ∞∑

k=−∞

ck e2kπix/L , ck :=

1

L

∫ L

0

f(x) e−2kπix/L dx , (4)

und es ist∞∑

k=−∞

|ck|2 =1

L

∫ L

0

|f(x)|2 dx .

Die Funktion g(t) := f(L2π t)

ist 2π-periodisch; die Beziehungen (4) ergebensich daher durch eine einfache Variablensubstitution. Aufgrund von (2.2) muß furL-periodische Funktionen eine Formel der Gestalt

∞∑k=−∞

|ck|2 = C

∫ L

0

|f(x)|2 dx

gelten. Fur die spezielle Funktion f(t) :≡ 1 ist ck = δ0k (Kronecker-Delta), worausman auf C = 1

L schließt.

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2.2 Fourier-Transformation auf R 31

2.2 Fourier-Transformation auf R

Vereinbarung: Ab sofort und bis zum Ende dieses Buches bezeichnet∫

ohne Angabeder Integrationsgrenzen das uber die ganze reelle Achse erstreckte Integral bezuglichdes Lebesgue-Maßes auf R: ∫

f(t) dt :=

∫ ∞−∞

f(t) dt .

Fur die Fourier-Analysis auf R gibt es nicht nur eine Theorie, sondern mindestensderen drei. Es kommt namlich darauf an, welcher Funktionenraum zugrundegelegtwird. Dabei geht es immer um Funktionen

f : R→ C , (1)

derartige Funktionen wollen wir im weiteren Zeitsignale nennen.

Der Raum L1 besteht aus den meßbaren Funktionen (1), genau: Aquivalenzklassenvon solchen Funktionen, fur die das Integral∫

|f(t)| dt =: ‖f‖1

( 1 ist Bezeichnungsindex!) endlich ist, und analog der Raum L2 aus den Funktionen(1), fur die das Integral ∫

|f(t)|2 dt =: ‖f‖2

( 2 ist Exponent!) endlich ist. Der dritte im Bunde ist der sogenannte SchwartzscheRaum S; er besteht aus den Funktionen (1) mit folgenden Eigenschaften: f istbeliebig oft differenzierbar, in Zeichen: f ∈ C∞(R), und samtliche Ableitungen vonf gehen mit |t| → ∞ schneller als jede Potenz 1/|t|n gegen 0. Beispiele fur derartigeFunktionen sind

t 7→ e−ct2

(c > 0) , t 7→ 1

cosh t.

Uber die zwischen diesen Raumen bestehenden Inklusionen gibt Bild 2.1 Aufschluß.Die Wavelets von praktischer Bedeutung gehoren jedenfalls dem Durchschnitt L1 ∩L2 an, so daß fur sie sowohl die L1- wie die L2-Theorie verfugbar ist. Der beruhmte,,Mexikanerhut“ (Bild 3.4) liegt sogar in S.

Die Fourier-Transformierte f einer Funktion f ∈ L1 ist definiert durch das Integral

f(ξ) :=1√2π

∫f(t) e−iξt dt (ξ ∈ R) . (2)

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32 2 Fourier-Analysis

L1

L2

Ssin tt

e!t2/2

11 + t2

1

1 + |t|

|t| (1 + t2)1

Bild 2.1

Die Definition von f ist in der Literatur nicht einheitlich. Anstelle des hier angegebe-nen Integrals findet man auch∫

f(t) e−iξt dt ,

∫f(t) e−2πiξt dt

und weitere. Inhaltlich andert sich dadurch naturlich nichts, nur die Formeln sehenetwas anders aus.

Fur ein gegebenes ξ ∈ R laßt sich der (wohlbestimmte) Wert f(ξ) folgendermaßen

interpretieren: f(ξ) stellt die komplexe Amplitude dar, mit der die reine Schwingungeξ in f vertreten ist. Das folgende Gedankenexperiment soll das veranschaulichen:Betrachte ein Signal f , dessen Wert f(t) wahrend eines langeren Zeitintervalls Imit der Kreisfrequenz ξ um den Ursprung herumlauft, wahrend der restlichen Zeitaber kaum messbar ist. Dann ist arg

(f(t) e−iξt

)auf I ziemlich konstant, und das

Integral ∫I

f(t) e−iξt dt

erhalt einen großen Betrag, da sich beim Aufsummieren kaum etwas weghebt. DasRestintegral ∫

R\If(t) e−iξt dt

wird daran nicht mehr viel andern, da sich der Signalwert f(t) auf R \ I, im Gegen-satz zum schnell und harmonisch oszillierenden eξ, kaum noch bewegt, so daß sichbeim Aufsummieren das meiste wegheben wird.

(2.9) Die Fourier-Transformierte f einer Funktion f ∈ L1 ist automatisch stetig;uberdies gilt

limξ→±∞

f(ξ) = 0 .

Daß f ,,im Unendlichen verschwindet“, ist nichts anderes als die FT-Version desRiemann-Lebesgue-Lemmas (2.1).

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2.2 Fourier-Transformation auf R 33

f g := Thf

tt ! ht

Bild 2.2

Wir leiten nun einige Rechenregeln her. Fur Zeitsignale f und beliebiges h ∈ R istThf definiert durch

Thf(t) := f(t− h) .

Ist h > 0, so bewirkt Th eine Verschiebung des Graphen von f um h nach rechts,siehe Bild 2.2. Es sei nun f ∈ L1 und g(t) := Thf(t). Dann berechnet sich dieFourier-Transformierte von g zu

g(ξ) =1√2π

∫f(t− h) e−iξt dt =

1√2π

∫f(t′) e−iξ(t

′+h) dt′ = e−iξ h f(ξ) .

Wir haben daher die Formel

(R1) (Thf ) (ξ) = e−iξ h f(ξ) ,

in Worten: Wird f um h nach rechts verschoben, so nimmt f den Faktor e−h auf.

Wir betrachten weiter ein beliebiges Signal f ∈ L1 und modulieren f mit derreinen Schwingung eω. Es resultiert die Funktion g(t) := eiωt f(t). Ihre Fourier-Transformierte berechnet sich zu

g(ξ) =1√2π

∫eiωt f(t) e−iξt dt =

1√2π

∫f(t)e−i(ξ−ω)t dt = f(ξ − ω) .

Es gilt also die zu (R1) ,,duale“ Formel

(R2) (eω f ) (ξ) = f(ξ − ω) ;

in Worten: Wird f mit eω moduliert, so verschiebt sich f um ω auf der ξ-Achse.

f g := Daf

ttt/a

(a = 3)

Bild 2.3

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34 2 Fourier-Analysis

Im Zusammenhang mit Wavelets spielen nun auch Dilatationen der Zeitachse einefundamentale Rolle. Wir mussen daher untersuchen, wie sich die Fourier-Transfor-mation gegenuber der Operation Da verhalt, die fur beliebiges a ∈ R∗ wie folgtdefiniert ist:

Daf(t) := f( ta

).

Die Wirkung von Da auf den Graphen eines Signals f ist in Bild 2.3 fur den Falla := 3 dargestellt. Ist |a| > 1, so wird G(f) in die Breite gezogen, und fur |a| < 1wird G(f) horizontal gestaucht. Ist a < 0, so wird G(f) uberdies an der vertikalenAchse gespiegelt. Es sei also g(t) := Daf(t). Zur Berechnung von g verwenden wirnaturlich die Substitution

t := a t′ (t′ ∈ R) , dt = |a| dt′

(Betrag der Funktionaldeterminante!). Es ergibt sich nacheinander

g(ξ) =1√2π

∫f( ta

)e−iξt dt =

|a|√2π

∫f(t′) e−iξat

′dt′ = |a| f(a ξ) .

Alles in allem haben wir die Formel

(R3) (Daf ) (ξ) = |a|D 1af(ξ) (a ∈ R∗)

bewiesen. Fur die Graphen von f und f bedeutet das folgendes: Wird der Graphvon f mit dem Faktor a > 1 in die Breite gezogen, so wird der Graph von f mitdem Faktor 1

a < 1 horizontal gestaucht und zusatzlich mit dem Faktor |a| vertikalgestreckt.

Fur je zwei Funktionen f und g ∈ L1 ist das Faltungsprodukt f ∗ g definiert durch

f ∗ g(x) :=

∫f(x− t) g(t) dt (x ∈ R) .

Das Objekt f ∗ g ist jedenfalls in L1 und zunachst nur eine Aquivalenzklasse vonFunktionen. In den meisten Anwendungsfallen ist f ∗ g eine tatsachliche Funk-tion mit wohlbestimmten Werten, und zwar ist f ∗ g mindestens so glatt wie die,,schonere“ der beiden Funktionen f und g. Eine typische Anwendung der Fal-tung ist die sogenannte Regularisierung einer gegebenen Funktion f mit Hilfe vonglatten Buckelfunktionen gε ∈ C∞. Die gε haben Totalmasse

∫gε(t) dt = 1 und

sind außerhalb des Intervalls [−ε, ε ] identisch 0, siehe Bild 2.4. Der Funktionswertf ∗ gε(x) laßt sich dann interpretieren als ein gewogenes Mittel der Funktionswertevon f in einer ε-Umgebung von x; die C∞-Funktion fε := f ∗ gε ist daher eine,, ε-verschmierte“ Version von f .

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2.2 Fourier-Transformation auf R 35

!! !

g! " C #, $g!(t)dt = 1

t

Bild 2.4

Mit Hilfe des Satzes von Fubini (uber die Vertauschbarkeit der Integrationsreihen-folge) konnen wir nun leicht die Fourier-Transformierte von f ∗ g berechnen:

(f ∗ g) (ξ) =1√2π

∫ (∫f(x− t) g(t) dt

)e−iξx dx

=1√2π

∫R×R

f(x− t)g(t) e−iξx d(x, t)

=1√2π

∫g(t)

(∫f(x− t) e−iξx dx

)dt .

Hier hat das innere Integral nach (R1) den Wert√

2π e−iξtf(ξ), wobei nur derFaktor e−iξt noch von t abhangt, so daß wir weiterfahren konnen mit

. . . =√

2π f(ξ)1√2π

∫g(t) e−iξt dt .

Damit erhalten wir den sogenannten Faltungssatz

(2.10) (f ∗ g) (ξ) =√

2π f(ξ) g(ξ) .

In Worten: Die Fourier-Transformation verwandelt das Faltungsprodukt in eingewohnliches, d.h. punktweises Produkt.

Nun zur L2-Theorie. Auf L2 ist ein Skalarprodukt erklart vermoge

〈f, g〉 :=

∫f(t) g(t) dt . (3)

Fur je zwei Funktionen f , g ∈ L2 ist 〈f, g〉 eine wohlbestimmte komplexe Zahl.Jedes f ∈ L2 besitzt eine endliche 2-Norm, kurz: Norm,

‖f‖ :=√〈f, f〉 =

(∫|f(t)|2 dt

)1/2

,

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36 2 Fourier-Analysis

und es gilt die Schwarzsche Ungleichung∣∣ 〈f, g〉 ∣∣ ≤ ‖f‖ ‖g‖ . (4)

L2 ist wie L2 ein Hilbertraum. Fur ein allgemeines f ∈ L2 braucht das Fourier-

Integral (2) nicht zu existieren: Da eξ nicht in L2 liegt, kann man dieses Integralnicht als Skalarprodukt 1√

2π〈f, eξ〉 auffassen. Nun ist aber die Teilmenge X :=

L1 ∩ L2 dicht in L2. Dies ermoglicht, die auf X formelmaßig definierte Fourier-Transformation

F : f 7→ f

auf ganz L2 auszudehnen, wobei allerdings das Bild f = F(f) einer Funktion f ∈L2 \X nur ,,im Limes“ erschlossen werden kann. Im einzelnen stellt sich folgendes

heraus: Die Fourier-Transformierte f einer Funktion f ∈ L2, uber die man nichtsNaheres weiß, ist wieder ein L2-Objekt, d.h. eine Aquivalenzklasse von Funktionen,und besitzt in individuellen Punkten ξ ∈ R keine wohlbestimmten Funktionswerte.Als Abbildung

F : L2 → L2

ist die Fourier-Transformation aber wohldefiniert und bijektiv (ein Wunder!), jamehr noch: F ist eine Isometrie bezuglich des Skalarprodukts (3). Es gilt namlichdie Formel von Parseval-Plancherel:

(2.11) Fur beliebige f , g ∈ L2 ist

〈f , g〉 = 〈f, g〉 ,

oder ausfuhrlich: ∫f(ξ) g(ξ) dξ =

∫f(t) g(t) dt .

Insbesondere gilt

∥∥f∥∥2= ‖f‖2 bzw.

∫ ∣∣f(ξ)∣∣2 dξ =

∫|f(t)|2 dt .

Eine periodische Ausgangsfunktion f laßt sich aus ihren Fourier-Koeffizienten ck =f(k) wieder zuruckerhalten: durch Aufsummieren der Fourier-Reihe. In analoger

Weise gibt es auch bei der Fourier-Transformation eine Umkehrformel, die f alsInput akzeptiert und das Ausgangssignal f uber einen Summationsprozeß zuruck-liefert. Die Lehrbucher der Fourier-Analysis untersuchen, unter welchen moglichstschwachen Voraussetzungen uber f eine derartige Formel gilt. Wir notieren hier diefolgende Version:

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2.2 Fourier-Transformation auf R 37

(2.12) Ist f ∈ L1 und f ∈ L1, so gilt

f(t) =1√2π

∫f(ξ) eiξt dξ

fast uberall, insbesondere in allen Stetigkeitspunkten t von f .

Man kann diese Formel abstrakt in der Form

f =1√2π

∫dξ f(ξ) eξ

schreiben und folgendermaßen interpretieren: Das Ausgangssignal f ist eine Line-arkombination von reinen Schwingungen aller moglichen Kreisfrequenzen ξ ∈ R,und zwar ist die Schwingung eξ mit der komplexen Amplitude f(ξ) in f vertreten.

In Satz (2.12) wurden nicht nur uber das Ausgangsssignal f , sondern auch uber

f Voraussetzungen gemacht. Das bringt uns auf die Frage: Wie hangen die Eigen-schaften (Stetigkeit, Abklingverhalten usw.) von f mit denjenigen von f zusam-men? Diesbezuglich kann man generell folgendes sagen: Je regularer, das heißt: jeglatter, das Zeitsignal f ist, desto schneller geht f(ξ) mit |ξ| → ∞ gegen 0. Unddual dazu: Je schneller das Ausgangssignal f(t) mit |t| → ∞ gegen 0 geht, desto

regularer ist f . Eine Funktion f im Schwartzschen Raum S ist ,,superglatt“, folglichklingt f ,,superschnell“ ab; und f klingt auch (mitsamt allen seinen Ableitungen)

,,superschnell“ ab, deshalb ist f ,,superglatt“. Alles in allem ergibt sich, daß F ,eingeschrankt auf S, diesen Raum bijektiv auf sich selbst abbildet.

Wir wollen das eben beschriebene allgemeine Prinzip noch etwas praziser, ebenquantitativ, formulieren. Die ,,Regularitat“ einer Funktion wird am einfachstenausgedruckt durch die Anzahl Male, die sie stetig differenziert werden kann. Dasbringt uns dazu, zunachst einmal das Zusammenspiel von Fourier-Transformationund Ableitung zu untersuchen.

Es sei f ∈ C1, und sowohl f wie f ′ sollen integrabel, d.h. in L1, sein. Dann giltjedenfalls limt→±∞ f(t) = 0, und wir erhalten durch partielle Integration∫

f ′(t)↑

e−iξt

↓dt = f(t) e−iξt

∣∣∣∞t:=−∞

+ iξ

∫f(t) e−iξt dt .

Es ergibt sich die Rechenregel

(R4) f ′ (ξ) = iξ f(ξ) ,

und so fortfahrend erhalten wir, jedenfalls formal, fur beliebige r ≥ 0:

f (r)(ξ) = (iξ)r f(ξ) . (5)

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38 2 Fourier-Analysis

Das Signal f sei zum Beispiel r-mal stetig differenzierbar, und die Ableitungen f (k)

(0 ≤ k ≤ r) seien in L1. Dann ist die Formel (5) anwendbar, und mit Satz (2.9),angewandt auf f (r), folgt

limξ→±∞

|ξ|rf(ξ) = 0 ,

in Worten: f klingt mit |ξ| → ∞ schneller ab als 1/|ξ|r. Ahnliches ergibt sich mitSatz (2.11): Ist unter geeigneten Voraussetzungen uber die f (k) (0 ≤ k ≤ r) das

Integral∫|f (r)(t)|2 dt <∞, so ist auch das Integral

∫|ξ|2r |f(ξ)|2 dξ <∞.

Dual zu den eben angestellten Uberlegungen betrachten wir jetzt rasch abklingendeSignale f . Wir beginnen mit einem f ∈ L1, das mit |t| → ∞ so rasch abklingt, daßauch noch tf

(gemeint ist die Funktion t 7→ t f(t)

)in L1 ist. Dann gilt

f(ξ + h)− f(ξ)

h=

1√2π

∫f(t) e−iξt

e−ith − 1

hdt .

Hier genugt der Integrand

gh(t) := f(t) e−iξte−ith − 1

h

der Abschatzung|gh(t)| ≤ |f(t)| |t| ∀h 6= 0 .

Nach dem Satz von Lebesgue (uber den Grenzubergang unter dem Integralzeichen)existiert daher

(f )′(ξ) = limh→0

f(ξ + h)− f(ξ)

h=

1√2π

∫f(t) e−iξt(−it) dt .

Von rechts nach links gelesen ergibt sich die Rechenregel

(R5) (t f ) (ξ) = i (f )′(ξ) ,

und wegen (2.9) ist (f )′ sogar stetig. Mit vollstandiger Induktion folgt hieraus furbeliebige r ≥ 1:

(2.13) Klingt f ∈ L1 mit |t| → ∞ so rasch ab, daß∫|t|r |f(t)| dt <∞ ausfallt, so

ist die Fourier-Transformierte f mindestens r-mal stetig differenzierbar, und es gilt

(f )(r)(ξ) = (−i)r(tr f)

(ξ) . (6)

Ein Extremfall liegt vor, wenn f ∈ L1 sogar kompakten Trager hat. Ist supp(f) ⊂[−b, b ] und folglich (wir schreiben schon ζ anstelle von ξ)

f(ζ) =1√2π

∫ b

−bf(t) e−iζt dt , (7)

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2.2 Fourier-Transformation auf R 39

so wird f eine ganze holomorphe Funktion der komplexen Variablen ζ = ξ+ iη. Furdie Konvergenz des Fourier- Integrals (2) war ja wesentlich, daß der Faktor e−iξt

fur t→ ±∞ beschrankt bleibt, und dazu muß ξ reell sein. In dem Integral (7) uberein endliches Intervall konnen wir jedoch den Faktor e−iζt fur komplexes ζ wie folgtabschatzen: ∣∣e−iζt∣∣ =

∣∣e−i(ξ+iη)t∣∣ ≤ eb|η| (−b ≤ t ≤ b) .

Das Integral (7) ist daher fur beliebige ζ ∈ C konvergent, und es folgt ahnlich wiebeim Beweis von (R5), daß man (7) nach der Variablen ζ komplex differenzieren

kann. Uberdies hat man fur f eine Abschatzung der Form

|f(ζ)| ≤ 1√2π

∫ b

−b|f(t)|e|t Im(ζ)| dt ≤ Ceb |Im(ζ)| .

Die Große des Tragers von f bestimmt also das Wachstumsverhalten der ganzenFunktion ζ 7→ f(ζ) in vertikaler Richtung.

Da sich f in diesem Fall als ganze holomorphe Funktion erwiesen hat, ist es unmog-lich, daß f kompakten Trager besitzt, wenn das fur f der Fall ist. Dual dazu hatman folgende Aussage: Ein bandbegrenztes Signal f (s.u.) kann nicht kompaktenTrager haben.

Wir beschließen diesen Abschnitt mit einigen Beispielen.

©1 Es sei a > 0. Die Funktion f := 1[−a,a ] besitzt die Fourier-Transformierte

f(ξ) =1√2π

∫ a

−ae−iξt dt =

1√2π

1

−iξ e−iξt

∣∣∣at:=−a

=1√2π

2

ξ

eiξa − e−iξa2i

=

√2

π

sin(aξ)

ξ(ξ 6= 0) .

An der Stelle ξ = 0 erhalt man separat oder als limξ→0 f(ξ) den Wert

f(0) =

√2

πa .

Wir verweisen dazu auf Bild 2.5. In der Signaltheorie ist die sogenannte Sinc-Funktion sehr verbreitet. Sie ist definiert durch

sinc (x) :=

sinx

x(x 6= 0)

1 (x = 0)

und ist eine ganze holomorphe Funktion von x. Unter Verwendung dieser Funktionkonnen wir unser Resultat folgendermaßen schreiben:

(1[−a,a ]

)(ξ) =

√2

πa sinc(aξ) . (8)

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40 2 Fourier-Analysis

ˆ

!a a

1

t !

2/" a

f f

"a

Bild 2.5

Zur Ubung berechnen wir nocheinmal die Fourier-Transformierte des Haar-Wavelets(siehe Abschnitt 1.6). Im L1-Sinn ist

ψHaar = 1[0, 12 ] − 1[ 12 ,1] = T 141[− 1

4 ,14 ] − T 3

41[− 1

4 ,14 ] ,

somit folgt mit Hilfe der Regel (R1) aus (8):

ψHaar(ξ) =

√2

π

(e−iξ/4 − e−3iξ/4) · 1

4sinc(

ξ

4)

=i√2π

e−iξ/2eiξ/4 − e−iξ/4

2i

sin(ξ/4)

ξ/4=

i√2π

e−iξ/2sin2(ξ/4)

ξ/4,

wie vorher.

Die Funktion

g(t) := 1[−a,a ](t) · eiω0t

modelliert einen zum Zeitpunkt t := −a plotzlich einsetzenden und zum Zeitpunktt := a wieder abgebrochenen Schwingungsvorgang der Frequenz ω0. Die Fourier-Transformation behandelt diesen Vorgang als ein uber die ganze Zeitachse ausge-breitetes Gesamtphanomen. Es ergibt sich nach der Regel (R2):

g(ξ) =

√2

π

sin(a(ξ − ω0)

)ξ − ω0

.

Die Funktion g hat, wie zu erwarten war, ein mehr oder weniger ausgepragtesMaximum an der Stelle ω0 (Bild 2.6). Wegen der Sprungstellen von g bei t := ±aklingt aber

∣∣g∣∣ mit |ξ| → ∞ nur langsam ab; g ist nicht einmal in L1. ©

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2.2 Fourier-Transformation auf R 41

!

g

"0

0

ˆ

Bild 2.6

©2 Die Fourier-Transformierte der speziellen Funktion

g0(t) := N1,0(t) :=1√2πe−t

2/2

berechnet sich am einfachsten mit den Methoden der komplexen Funktionentheorie.Da g0 reell und gerade ist, wird auch g0 eine reelle und gerade Funktion. Es genugtdaher, fur ξ > 0 zu argumentieren. Wir betrachten neben g0 die in der ganzenz-Ebene holomorphe Funktion f(z) := e−z

2/2 sowie das Rechteck R in Bild 2.7.Dabei wird es um den Grenzubergang a → ∞ gehen, so daß wir von vornehereina ≥ ξ > 0 annehmen durfen, ξ ist fest.

!0

!1

R

"

!a a

z

#! #+

Bild 2.7

Nach dem Integralsatz von Cauchy ist∫∂Rf(z) dz = 0 und folglich∫

σ1

f(z) dz =

∫σ0

f(z) dz +

∫γ+

f(z) dz −∫γ−

f(z) dz ,

abgekurzt:I1 = I0 + I+ − I− .

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42 2 Fourier-Analysis

Fur I1 benutzen wir die Parameterdarstellung

σ1: t 7→ z(t) := t+ iξ (−a ≤ t ≤ a) .

Es ergibt sich

I1 =

∫ a

−aexp(− t

2 + 2iξt− ξ2

2

)dt = eξ

2/2

∫ a

−ae−t

2/2 e−iξt dt

= eξ2/2(2π g0(ξ) + o(1)

)(a→∞) . (9)

Das Integral I0 schreiben wir in der Form

I0 =

∫ a

−ae−t

2/2 dt =√

2π + o(1) (a→∞) , (10)

wobei wir einen bekannten Integralwert benutzt haben, der auch ohne Ausflug insKomplexe erhaltlich ist. Fur die beiden letzten Integrale I± verwenden wir dieParameterdarstellung

γ±: t 7→ z(t) := ±a+ it (0 ≤ t ≤ ξ)

und erhalten

I± =

∫ ξ

0

exp(−a

2 ± 2iat− t22

)i dt ,

was sich wegen a ≥ ξ wie folgt abschatzen laßt:

∣∣I±∣∣ ≤ ∫ a

0

exp(− (a− t)(a+ t)

2

)dt ≤

∫ a

0

exp(−a

2(a− t)

)dt

= . . . =2

a

(1− e−a2/2

)= o(1) (a→∞) .

Dies beweist I1 = I0 + o(1) (a → ∞); folglich ergibt sich aus (9) und (10) durchVollzug des Grenzubergangs a→∞ :

g0(ξ) =1√2πe−ξ

2/2 .

Die spezielle Funktion N1,0 wird also durch die Fourier-Transformation (auf derξ-Achse) reproduziert.

Zum Schluß wollen wir die Fourier-Transformierte des ,,Wellenzuges“

g(t) := Nσ,0(t) cos(ω0t) =1√2π σ

exp(− t2

2σ2

) eiω0t + e−iω0t

2

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2.3 Die Heisenbergsche Unscharferelation 43

y

t

y = g(t)

(! = 1, " = 5)

0.25

1!1

Bild 2.8

(Bild 2.8) berechnen. Hierzu verwenden wir unsere Rechenregeln. Zunachst istNσ,0 = 1

σDσg0 und folglich wegen (R3):

Nσ,0(ξ) =1

σσ(D 1

σg0

)(ξ) =

1√2π

e−σ2ξ2/2 .

Damit ergibt sich nun mit (R2):

g(ξ) =1

2√

(e−σ

2(ξ−ω0)2/2 + e−σ2(ξ+ω0)2/2

).

Die Fourier-Transformierte des betrachteten ,,Wellenzuges“ besitzt also Spitzen anden Stellen ±ω0 der ξ-Achse, und zwar sind diese Spitzen um so ausgepragter,je großer σ ist, das heißt: je mehr Vollschwingungen der Frequenz ω0 tatsachlichstattfinden. ©Fur weitere explizite Formeln verweisen wir auf die umfangreichen Tabellen in [13].

2.3 Die Heisenbergsche Unscharferelation

Wir haben an verschiedenen Stellen notiert, daß ein Zeitsignal f und seine Fourier-Transformierte f nicht gleichzeitig in einem kleinen Bereich der t- bzw. der ξ-Achselokalisiert sein konnen:

• Schon die Skalierungsregel (R3) besagt, daß sich f unter einer zeitlichen Kom-pression von f verflacht und entsprechend ausweitet.

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44 2 Fourier-Analysis

• Die Fourier-Transformierte einer an den Stellen ±a abgebrochenen harmoni-schen Schwingung besitzt den Trager R und ist fur |ξ| → ∞ nicht einmalabsolut integrierbar.

• Ein Zeitsignal mit kompaktem Trager kann nicht bandbegrenzt (s.u.) sein.

• Weitere Feststellungen in diesem Sinn, die der Leser selber machen mag.

Der quantitative Ausdruck des hier beschriebenen Sachverhalts ist die beruhmteHeisenbergsche Unscharferelation, ein Satz der Fourier-Analysis, der in der Quan-tenmechanik eine wichtige Rolle spielt. Dort wird die Bewegung eines Teilchens,,abstrakt“ beschrieben durch eine Funktion ψ ∈ S (kein Zusammenhang mit un-seren Wavelets); dabei stellt fX(x) := |ψ(x)|2 die Wahrscheinlichkeitsdichte fur den

Ort X dieses Teilchens und fP (ξ) := |ψ(ξ)|2 die entsprechende Dichte fur dessenImpuls P dar. Die Unscharferelation besagt, daß diese beiden Dichten nicht gleich-zeitig eine ausgepragte Spitze haben konnen.

Dabei haben wir stillschweigend ψ ∈ L2 und fur die wahrscheinlichkeitstheoretischeInterpretation

‖ψ‖2 =

∫fX(x) dx = 1

angenommen. Die Große∫x2fX(x) dx =

∫x2|ψ(x)|2 dx =: ‖xψ‖2

ist der Erwartungswert der Zufallsvariablen X2 und damit ein Maß fur die von 0aus gemessene ,,horizontale Ausbreitung“ der Funktion ψ. Analog ist∫

ξ2fP (ξ) dξ =

∫ξ2 |ψ(ξ)|2 dξ =: ‖ξψ‖2

ein Maß fur die Ausbreitung von ψ uber die ξ-Achse. Mit Hilfe dieser Großen laßtsich die Heisenbergsche Unscharferelation folgendermaßen formulieren:

(2.14) Fur beliebige Funktionen ψ ∈ L2 gilt

‖xψ‖ · ‖ξ ψ ‖ ≥ 1

2‖ψ‖2 , (1)

wobei hier die linke Seite auch den Wert∞ annehmen kann. Das Gleichheitszeichensteht genau fur die konstanten Vielfachen der Funktionen x 7→ e−cx

2

, c > 0.

Ist ‖xψ‖ =∞ oder ‖ξ ψ ‖ =∞, so gibt es nichts zu beweisen. Mindestens eine

der beiden Funktionen ψ und ψ ist dann eben ,,sehr ausgebreitet“. Wir nehmen alsoan, daß die linke Seite von (1) endlich ist, und beweisen diese Ungleichung zunachstfur Funktionen ψ ∈ S. Damit sind alle Konvergenzfragen aus dem Weg geraumt;insbesondere gilt limx→±∞ x|ψ(x)|2 = 0.

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2.3 Die Heisenbergsche Unscharferelation 45

Die Fourier-Transformierte ψ laßt sich mit Hilfe der Regel (R4) und der Parse-valschen Formel (2.11) aus (1) eliminieren. Es gilt

‖ξ ψ ‖ = ‖ψ′ ‖ = ‖ψ′‖ ;

somit ist die behauptete Ungleichung (1) mit

‖xψ‖ · ‖ψ′‖ ≥ 1

2‖ψ‖2 (2)

aquivalent. Nach der Schwarzschen Ungleichung 2.2.(4) ist aber

‖xψ‖ · ‖ψ′‖ ≥∣∣〈xψ, ψ′〉∣∣ ≥ ∣∣Re〈xψ, ψ′〉

∣∣ . (3)

Hier laßt sich die rechte Seite folgendermaßen berechnen:

2 Re〈xψ, ψ′〉 = 〈xψ, ψ′〉+ 〈ψ′, x ψ〉 =

∫x↓

(ψ(x)ψ′(x) + ψ′(x)ψ(x)

)↑

dx

= x |ψ(x)|2∣∣∣∞−∞−∫ ∞−∞|ψ(x)|2 dx = −‖ψ‖2 .

Wird dies rechts in (3) eingesetzt, so folgt (2).

Zum Schluß mussen wir uns noch von der Annahme ψ ∈ S befreien. Da S inL2 dicht liegt, genugt dazu ein einfaches Approximationsargument, das wir hierunterdrucken.

In (1) gilt genau dann das Gleichheitszeichen, wenn in (3) an beiden Stellen ≥ dasGleichheitszeichen gilt, und hierfur ist zunachst einmal notwendig, daß die Vektorenxψ und ψ′ ∈ L2 linear abhangig sind. Es muß also ein µ+ iν ∈ C geben mit

ψ′(x) ≡ (µ+ iν)xψ(x) (x ∈ R) . (4)

Die Losungen dieser Differentialgleichung sind die Funktionen

ψ(x) := C e(µ+iν)x2/2 , C ∈ C ,

und ein derartiges ψ gehort genau dann zu L2, wenn µ =: −c negativ ist. Zweitensmuß 〈xψ, ψ′〉 reell sein. Dies fuhrt im Verein mit (4) auf die Bedingung

〈xψ, ψ′〉 =⟨xψ, (µ+ iν)xψ

⟩= (µ− iν)‖xψ‖2 ∈ R ,

und hieraus folgt ν = 0.

Nach diesem Satz konnen die beiden Funktionen ψ, ψ nicht bei x := 0, ξ := 0gleichzeitig scharf lokalisiert sein: Mindestens eine der Zahlen ‖xψ‖2 und ‖ξ ψ‖2ist ≥ ‖ψ‖2/2. Naturlich gilt dasselbe fur ein beliebiges Paar (x0, ξ0) anstelle von(0, 0):

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46 2 Fourier-Analysis

(2.15) Fur beliebige Funktionen ψ ∈ L2 und beliebige x0 ∈ R, ξ0 ∈ R gilt

‖(x− x0)ψ‖ · ‖(ξ − ξ0)ψ‖ ≥ 1

2‖ψ‖2 .

Dabei sind mit ‖(x− x0)ψ‖ bzw. ‖(ξ − ξ0)ψ‖ die folgenden Großen gemeint:

(∫(x− x0)2 |ψ(x)|2 dx

)1/2

bzw.(∫

(ξ − ξ0)2 |ψ(ξ)|2 dξ)1/2

.

Wir betrachten die Funktion

g(t) := e−iξ0t ψ(t+ x0)

und berechnen

‖g‖2 =

∫ ∣∣ψ(t+ x0)∣∣2 dt = ‖ψ‖2 ,

‖t g‖2 =

∫t2∣∣ψ(t+ x0)

∣∣2 =

∫(x− x0)2

∣∣ψ(x)∣∣2 dx .

Schreibt man g in der Form

g(t) = e−iξ0t h(t) , h(t) := ψ(t+ x0) ,

so findet man aufgrund der Regeln (R2) und (R1):

g(τ) = h(τ + ξ0) = eix0(τ+ξ0) ψ(τ + ξ0) .

Dies impliziert

‖τ g‖2 =

∫τ2∣∣ψ(τ + ξ0)|2 dτ =

∫(ξ − ξ0)2

∣∣ψ(ξ)∣∣2 dξ .

Wendet man nun (2.14) auf die Funktion g an, so ergibt sich nach Einsetzen derfur ‖g‖, ‖t g‖ und ‖τ g‖ erhaltenen Werte gerade die behauptete Formel.

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2.4 Das Abtast-Theorem von Shannon 47

2.4 Das Abtast-Theorem von Shannon

Das Abtast-Theorem von Shannon, auch Sampling Theorem genannt, gibt eineuberraschende Antwort auf die folgende Frage: Ist es moglich, ein Zeitsignal faus diskreten Werten

(f(kT ) | k ∈ Z

)vollstandig zu rekonstruieren? Ohne weitere

Annahmen uber f muß die Antwort naturlich ,,nein“ lauten, denn in den offenenIntervallen zwischen den Meßpunkten kT kann man sich f noch ganz beliebig aus-denken.

Das Sampling Theorem hat eine interessante Geschichte, die man in [9] nachlesenkann. Die zugehorige Reihenentwicklung (3) war namlich in der Fourier-Analysisschon lange vor Shannon unter dem Namen cardinal series bekannt.

Eine Funktion f ∈ L1 heißt Ω-bandbegrenzt, falls ihre Fourier-Transformierte f fur|ξ| > Ω identisch verschwindet:

f(ξ) ≡ 0 ( |ξ| > Ω) .

Das Theorem von Shannon besagt, daß sich eine derartige Funktion aus den diskre-ten Werten (

f(kT ) | k ∈ Z), T :=

π

Ω(1)

vollstandig, das heißt: in allen Punkten t ∈ R wertgenau, rekonstruieren laßt. Ganzuberraschend ist das allerdings nicht: Ein bandbegrenztes Zeitsignal f ist von selbsteine ganze holomorphe Funktion der komplexen Variablen t (vgl. die entsprechendeAussage uber die Fourier-Transformierte von Zeitsignalen mit kompaktem Trager),und eine derartige Funktion ist durch ihre Werte auf einer ,,ziemlich bescheidenen“Menge bereits vollstandig bestimmt. Das Theorem von Shannon gibt aber sogareine Formel fur f .

In (1) wird ein ganz bestimmter Zusammenhang zwischen der Bandbreite Ω und demAbtastintervall T stipuliert. Es gibt dazu sehr viel zu sagen — im Augenblick nurdas folgende: Alle in der Spektralzerlegung von f uberhaupt auftretenden eξ habeneine Schwingungsdauer ≥ 2π/Ω. Mit der Festsetzung T := π/Ω wird demnachsichergestellt, daß alle in f vorhandenen harmonischen Anteile wenigstens zweimalpro Periode erfaßt werden. Hier also das Abtast-Theorem (Bild 2.9):

Tt

f

f

!!!

!

ˆ

Bild 2.9

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48 2 Fourier-Analysis

(2.16) Die stetige Funktion f : R → C sei Ω-bandbegrenzt und genuge einer Ab-schatzung der Form

f(t) = O( 1

|t|1+ε

)(t→ ±∞) ; (2)

ferner sei T := π/Ω. Dann gilt

f(t) =∞∑

k=−∞

f(kT ) sinc(Ω(t− kT )

)(t ∈ R) . (3)

Die formale Reihe rechts in (3) wird in der Literatur Kardinalreihe von f genannt.Da die sinc-Funktion auf R beschrankt ist, wird durch (2) sichergestellt, daß dieKardinalreihe gleichmaßig konvergiert und folglich eine auf ganz R stetige Funk-tion f darstellt. Wegen sinc(kπ) = δ0k realisiert f von vorneherein die gegebenenWerte f(kT ) und kann auch in Fallen, wo f nicht bandbegrenzt ist, als stetige In-terpolierende des Datensatzes

(f(kT ) | k ∈ Z

)verwendet werden. — Aufgrund des

weiter oben Gesagten ist es keine Einschrankung, das Zeitsignal f von vornehereinals stetig vorauszusetzen. Die Voraussetzung (2) ließe sich abschwachen.

Wegen (2) ist f in L1 ∩ L2 und besitzt daher nach (2.9) eine stetige Fourier-

Transformierte f . Da f fur |ξ| > Ω verschwindet, ist auch f ∈ L1, und die rechteSeite der Umkehrformel (2.12) produziert eine stetige Funktion t 7→ f(t), die fastuberall mit f ubereinstimmt, also = f ist:

f(t) =1√2π

∫f(ξ) eiξt dξ =

A

1√2π

∫ Ω

−Ω

f(ξ) eitξ dξ (t ∈ R) . (4)

Da f stetig ist, gilt f(−Ω) = f(Ω) = 0, und f stimmt auf dem ξ-Intervall [−Ω,Ω]punktweise uberein mit einer gewissen 2Ω-periodischen Funktion F :

f(ξ) ≡ F (ξ) (−Ω ≤ ξ ≤ Ω) . (5)

Diese Funktion F ∈ L2(R/(2Ω)

)laßt sich nach den Formeln (2.8) in eine Fourier-

Reihe entwickeln:

F (ξ) ∞∑

k=−∞

cke2kπiξ/(2Ω) , (6)

und zwar konvergiert die angeschriebene Reihe nach dem Satz von Carleson (2.4)fur fast alle ξ gegen F (ξ). Die Koeffizienten ck berechnen sich nach den Formeln

ck =1

∫ Ω

−Ω

F (ξ) e−2kπiξ/(2Ω) dξ =B

1

∫f(ξ) e−2kπiξ/(2Ω) dξ . (7)

Das letzte Integral konnen wir nach (4) als f -Wert interpretieren; es ergibt sich

ck =

√2π

2Ωf(−kπ/Ω) =

√2π

2Ωf(−kT ) ,

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2.4 Das Abtast-Theorem von Shannon 49

und die Formel (6) geht uber in

F (ξ) =

√2π

∞∑k=−∞

f(kT ) e−ikTξ (fast alle ξ ∈ R) . (8)

Aufgrund der Identitat (5) durfen wir daher (4) ersetzen durch

f(t) =1

∫ Ω

−Ω

( ∞∑k=−∞

f(kT ) e−ikTξ

)eitξ dξ .

Die Reihe unter dem Integralzeichen konvergiert wegen (2) gleichmaßig, so daß wirgliedweise integrieren durfen:

f(t) =1

∞∑k=−∞

f(kT )

∫ Ω

−Ω

ei(t−kT )ξ dξ .

Das zuletzt angeschriebene Integral berechnet sich folgendermaßen:∫ Ω

−Ω

ei(t−kT )ξ dξ =

∫ Ω

−Ω

cos((t− kT )ξ

)dξ =

2

t− kT sin(Ω(t− kT )

)(t 6= kT )

= 2Ω sinc(Ω(t− kT )

)(t ∈ R) .

Damit erhalten wir definitiv die behauptete Formel

f(t) =

∞∑k=−∞

f(kT ) sinc(Ω(t− kT )

)(t ∈ R) ,

wobei die angegebene Reihe auf R gleichmaßig konvergiert.

Man nennt Ω := π/T die Nyquist-Frequenz zum gewahlten Abtastintervall T .Umgekehrt: Die Große T−1 stellt die Anzahl Abfragen pro Zeiteinheit dar undwird auch Abtastrate genannt. Die Abtastrate T−1 := Ω/π heißt Nyquist-Rate furFunktionen der Bandbreite Ω.

Es sei nun eine bestimmte Abtastrate T−1 gegeben, z.B. T−1 := 40 000 sec−1.Was laßt sich sagen, wenn die tatsachliche Bandbreite Ω′ von f großer ist als dieNyquist-Frequenz Ω := π/T ? Um das herauszufinden, mussen wir den voran-gehenden Beweis nocheinmal anschauen. An den Stellen A in (4) und B in (7)

wurde verwendet, daß f außerhalb des Intervalls [−Ω,Ω] identisch verschwindet.Ist das in Wirklichkeit nicht der Fall, das heißt: ist die tatsachliche Bandbreite Ω′

von f großer als Ω = π/T , so gilt bei A und bei B nicht das Gleichheitszeichen, unddie Kardinalreihe (3) stellt die Funktion f nicht mehr dar.

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50 2 Fourier-Analysis

Welche andere Funktion f wird dann durch die Kardinalreihe von f dargestellt?Man konnte vielleicht denken, daß einfach die eξ mit Frequenzen |ξ| > Ω aus fherausgefiltert werden, so daß die Kardinalreihe im wesentlichen die Funktion

f :=1√2π

∫ Ω

−Ω

dξ f(ξ) eξ

produziert. Diese Vermutung trifft leider nicht zu. In Wirklichkeit kommt es zueinem (auch in der technischen Praxis) storenden Phanomen, das als Aliasing be-zeichnet wird.

Um Ideen zu fixieren, nehmen wir an, es sei

Ω < Ω′ < 3Ω

und f(ξ) ≡ 0 fur |ξ| > Ω′. Dann gilt(vgl. (4)

):

f(kT ) =1√2π

∫ Ω′

−Ω′f(ξ) eikTξ dξ

=1√2π

(∫ −Ω

−3Ω

f(ξ) eikTξ dξ +

∫ Ω

−Ω

f(ξ) eikTξ dξ +

∫ 3Ω

Ω

f(ξ) eikTξ dξ

).

Substituiert man in den beiden ausseren Integralen

ξ := ξ′ ± 2Ω (−Ω ≤ ξ′ ≤ Ω) ,

so wird eikTξ = eikTξ′

(wegen 2ΩT = 2π), und es ergibt sich

f(kT ) =1√2π

∫ Ω

−Ω

(f(ξ) + f(ξ − 2Ω) + f(ξ + 2Ω)

)eikTξ dξ . (9)

Damit kommt die stetige Funktion g ∈ L2 ins Spiel, deren Fourier-Transformiertedefiniert ist durch

g(ξ) :=

f(ξ) + f(ξ − 2Ω) + f(ξ + 2Ω) (−Ω ≤ ξ ≤ Ω)

0(|ξ| > Ω

) . (10)

Fur diese Funktion gilt wegen (9):

g(kT ) =1√2π

∫ Ω

−Ω

g(ξ) eikTξ dξ = f(kT ) (k ∈ Z) .

Somit besitzt g dieselbe Kardinalreihe wie f , ist aber tatsachlich Ω-bandbegrenzt.Die gemeinsame Kardinalreihe von f und von g stellt daher nicht f , sondern dieFunktion g dar. Das bedeutet folgendes: Ist die wahre Bandbreite Ω′ von f großer

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2.4 Das Abtast-Theorem von Shannon 51

ˆ

f

g

3!! !!"!! "!!

ˆ

Bild 2.10 Aliasing

als die Nyquist-Frequenz Ω := π/T , so werden die hoherfrequenten Anteile des Sig-nals f von der Kardinalreihe nicht einfach ,,vergessen“ oder herausgefiltert, sondernsie erscheinen darin auf geheimnisvolle Weise frequenzverschoben. Die Kardinal-reihe produziert eine Ω-bandbegrenzte Funktion g, deren Fourier-Transformierte gdurch (10) gegeben und in Bild 2.10 dargestellt ist.

Wahrend also undersampling zu dem unerwunschten Aliasing fuhrt, laßt sich over-sampling zur Konvergenzverbesserung ausnutzen. Wir wollen hier zeigen, wie daszu erreichen ist.

Es sei eine Abtastrate T−1 vorgegeben, und es sei Ω := π/T die zugehorige Nyquist-Frequenz. Wir nehmen jetzt an, die Funktion f sei Ω′-bandbegrenzt fur ein Ω′ < Ω.Wir definieren die (im ubrigen von f unabhangige) Hilfsfunktion q ∈ L2 durch

q(ξ) :=

1

(|ξ| ≤ Ω′

)12

(1− sin

π(2|ξ| − Ω− Ω′)2(Ω− Ω′)

) (Ω′ ≤ |ξ| ≤ Ω

)0

(|ξ| ≥ Ω

) .

Die Funktion q ist zusammen mit f in Bild 2.11 dargestellt.

f

q

!!!"!!!

"!

ˆ

Bild 2.11

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52 2 Fourier-Analysis

Das Signal f erfullt die Voraussetzungen von Satz (2.16), somit gilt (8) bzw.

f(ξ) =

√2π

∞∑k=−∞

f(kT ) e−ikTξ (−Ω ≤ ξ ≤ Ω) ,

wobei wir zusatzlich wissen, daß f(ξ) fur Ω′ ≤ |ξ| ≤ Ω identisch verschwindet. Fur|ξ| ≤ Ω′ ist q(ξ) ≡ 1. Ausgehend von (4) konnen wir daher folgende Rechnungaufmachen:

f(t) =1√2π

∫ Ω

−Ω

f(ξ) eiξt dξ =1√2π

∫ Ω

−Ω

f(ξ) q(ξ) eiξt dξ

=1

∫ Ω

−Ω

( ∞∑k=−∞

f(kT ) e−ikTξ

)q(ξ) eitξ dξ

=1

∞∑k=−∞

f(kT )

∫ Ω

−Ω

q(ξ) ei(t−kT )ξ dξ .

Setzen wir zur Abkurzung

1

∫ Ω

−Ω

q(ξ) eisξ =: Q(s) , (11)

so erhalten wir anstelle der Kardinalreihe (3) die neue Darstellung

f(t) =

∞∑k=−∞

f(kT )Q(t− kT ) .

Um die behauptetete Konvergenzverbesserung beurteilen zu konnen, benotigen wirdie (von f unabhangige) Funktion Q in expliziter Form. Da q gerade ist, berechnetsich das Integral (11) folgendermaßen:

Q(s) =1

∫ Ω

−Ω

q(ξ) cos(sξ) dξ =1

Ω

(∫ Ω′

0

cos(sξ) dξ +

∫ Ω

Ω′. . . cos(sξ) dξ

)

=π2

2Ωs

sin(Ω′s) + sin(Ωs)

π2 − (Ω− Ω′)2s2.

Hieraus folgt schon

Q(s) = O( 1

|s|3) (

|s| → ∞).

Betrachten wir ein Beispiel: Zweifaches oversampling des Zeitsignals f bedeutetΩ′ = 1

2Ω. Das Signal f soll nun im Innern des t-Intervalls [0, T ] rekonstruiertwerden. In diesem Fall ist Q(t− kT ) fur |k| → ∞ von der Großenordnung

2π2

2Ω · |k|T · (Ω/2)2(kT )2=

4

π

1

|k|3 ,

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2.4 Das Abtast-Theorem von Shannon 53

dabei wurde naturlich ΩT = π benutzt. Zum Vergleich mit der Kardinalreihe (3):Die analogen Werte sinc

(Ω(t− kT )

)sind fur |k| → ∞ von der Großenordnung

1

π

1

|k| ;

es mussen also viel mehr Terme berucksichtigt werden, bis dieselbe Genauigkeiterreicht ist.

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3 Die kontinuierlicheWavelet-Transformation

3.1 Definitionen und Beispiele

Eine Funktion ψ: R→ C, die den folgenden Bedingungen (1)∧(2) genugt, heißt einMutter-Wavelet oder einfach Wavelet:

ψ ∈ L2 , ‖ψ‖ = 1 ; (1)

∫R∗

∣∣ψ(a)∣∣2

|a| da =: Cψ < ∞ . (2)

Diese beiden Bedingungen stellen das bare Minimum dar, das fur das Funktionierender in diesem Kapitel dargestellten Theorie notwendig ist. Alle praktisch vorkom-menden Wavelets sind auch in L1, die meisten sind stetig (das Haar-Wavelet aller-dings nicht), viele sind differenzierbar, und die in den Anwendungen beliebtestenWavelets haben kompakten Trager.

Ob ein vorgelegtes ψ ∈ L2 die Bedingung (2) erfullt, laßt sich nicht von bloßemAuge erkennen. Fur vernunftige ψ’s ist darum das folgende Kriterium nutzlich, daszugleich eine anschauliche Interpretation der Bedingung (2) liefert:

(3.1) Fur Funktionen ψ ∈ L2 mit t ψ ∈ L1, das heißt:∫|t| |ψ(t)| dt < ∞, ist die

Bedingung (2) aquivalent mit∫ ∞−∞

ψ(t) dt = 0 bzw. ψ(0) = 0 . (3)

Da nach diesem Satz ein Wavelet Mittelwert 0 hat, muß der Graph G(ψ) einesWavelets ψ, wie eben eine Welle, notwendigerweise zum Teil oberhalb und zum Teilunterhalb der t-Achse verlaufen.

Ein ψ der betrachteten Art ist von selbst in L1, und es gilt

ψ(0) =1√2π

∫ψ(t) dt .

Nach (2.9) ist ψ stetig. Das Integral (2) kann daher nur konvergieren, wenn ψ(0) =0 ist.

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3.1 Definitionen und Beispiele 55

Umgekehrt: Aus t ψ ∈ L1 folgt mit (2.13) sogar ψ ∈ C1. Wir setzen

sup|ψ ′(ξ)|

∣∣ |ξ| ≤ 1

=: M .

Gilt nun ψ(0) = 0, so ist nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung

|ψ(ξ)| ≤M |ξ|(|ξ| ≤ 1

),

und wir erhalten die Abschatzung∫R∗

∣∣ψ(ξ)∣∣2

|ξ| dξ ≤∫

0<|ξ|≤1

M2 |ξ| dξ +

∫|ξ|≥1

∣∣ψ(ξ)∣∣2 dξ ≤M2 + ‖ψ‖2 <∞ .

Ist ein Wavelet ψ fest gewahlt, so heißt

Wf(a, b) :=1

|a|1/2∫f(t)ψ

( t− ba

)dt (a 6= 0) (4)

die Wavelet-Transformierte des Zeitsignals f ∈ L2 bezuglich ψ. Definitionsbereichvon Wf ist die ,,zersagte Ebene“

R2− :=

(a, b)

∣∣ a ∈ R∗ , b ∈ R.

Oft werden nur positive a-Werte betrachtet; die Bedingung (2) ist dann zu modi-fizieren (s.u.). Da die Variable b eine Verschiebung langs der Zeitachse bezeichnet,ist es ublich, in Figuren die b-Achse horizontal und die a-Achse vertikal anzule-gen. Als Funktion von zwei Variablen ist Wf im Gegensatz zu f und f nicht leichtgraphisch darzustellen. Siehe Beispiel©5 fur einen Versuch in dieser Richtung.

Wir denken uns ein Wavelet ψ fest gewahlt. Fur a 6= 0 bezeichnet

ψa(t) :=1

|a|1/2 ψ( ta

)die von 0 aus mit dem Faktor |a| in die Breite gezogene, im Fall a < 0 an dervertikalen Achse gespiegelte und zum Schluß renormierte Funktion ψ. Man hatnamlich ∫

|ψa(t)|2 dt =1

|a|

∫ ∣∣∣ψ( ta

)∣∣∣2 dt =1

|a|

∫|ψ(t′)|2 |a|dt′ = 1 .

Wird ψa anschließend noch um b nach rechts (falls b > 0) verschoben, so erhalt mandie in (4) erscheinende Funktion

ψa,b(t) := ψa(t− b) =1

|a|1/2 ψ( t− b

a

), (5)

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56 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

t0 b b

! !a, b , a < !1

!a, b , 0 <a < 1

Bild 3.1

siehe dazu Bild 3.1. Es gilt

‖ψa,b‖ = 1 ∀ (a, b) ∈ R2− .

Mit Hilfe der ψa,b laßt sich nun die Definition (4) der Wavelet-Transformierten alsSkalarprodukt schreiben:

Wf(a, b) = 〈f, ψa,b〉 . (6)

Hieraus folgt erstens, daß Wf(a, b) an jeder Stelle (a, b) ∈ R∗ × R einen wohlbe-stimmten Wert besitzt, und weiter nach der Schwarzschen Ungleichung, daß dieFunktion Wf beschrankt ist:

|Wf(a, b)| ≤ ‖f‖ ∀ (a, b) ∈ R2− . (7)

Wir berechnen nun die Fourier-Transformierten der ψa,b. Nach der Regel (R3) ist

ψa(ξ) = |a|1/2 ψ(aξ) ,

und hieraus folgt mit Regel (R1), angewandt auf (5):

ψa,b(ξ) = |a|1/2 e−ibξ ψ(aξ) . (8)

Aufgrund von (2.11) (Parsevalsche Formel) und (6) konnen wir demnach Wf(a, b)auch auf die folgende Form bringen:

Wf(a, b) = 〈f , ψa,b〉 = |a|1/2∫f(ξ) eibξ ψ(aξ) dξ . (9)

Das letzte Integral laßt sich als Fourier-Umkehrintegral interpretieren, und zwarwird die Fourier∨-Transformierte der L1-Funktion

Fa(ξ) :=√

2π |a|1/2 f(ξ)ψ(aξ) (10)

als Funktion der Variablen b ausgerechnet. Wir konnen also folgendes sagen:

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3.1 Definitionen und Beispiele 57

(3.2) Fur festes a 6= 0 ist die Funktion

Wf(a, ·): b 7→ Wf(a, b)

die Fourier-Umkehrtransformierte der Funktion Fa, letztere gegeben durch (10).

Insbesondere ergibt sich mit (2.9), daß Wf auf den Horizontalen a = const. stetigist und mit b→ ±∞ gegen 0 geht.

©1 Die Funktion ψ := ψHaar ist offensichtlich ein Wavelet im Sinn der Definition.Fur a > 0 ist

ψ( t− b

a

)=

1 (b ≤ t < b+ a

2 )

−1 (b+ a2 ≤ t < b+ a)

0 (sonst)

und folglich

Wf(a, b) =1√a

(∫ b+a/2

b

f(t) dt−∫ b+a

b+a/2

f(t) dt

)

=

√a

2

(2

a

∫ b+a/2

b

f(t) dt− 2

a

∫ b+a

b+a/2

f(t) dt

).

Abgesehen von dem Normierungsfaktor stellt also der Wert Wf(a, b) eine Differenzvon Mittelwerten der Funktion f uber zwei benachbarte Intervalle der Lange a

2 inder Nahe von b dar, siehe dazu Bild 3.2.

f

ab +2

b + ab

t

Bild 3.2

Man kann es aber auch anders sehen:

Wf(a, b) =1√a

∫ b+a/2

b

(f(t)− f(t+ a

2 ))dt

= − 1√a

∫ b+a/2

b

(∫ t+a/2

t

f ′(τ) dτ)dt = . . .

= − 1√a

∫ a/2

−a/2

(a2− |τ |

)f ′(b+

a

2+ τ)dτ .

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58 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

So geschrieben erscheint der Wert Wf(a, b) als gewogenes Mittel von f ′ uber dasIntervall [b, b+ a], siehe dazu Bild 3.3. ©

ab +

2b b + a

t

a2

! a2

0

!

Bild 3.3

©2 Die Funktion

ψ(t) :=2√3π−1/4(1− t2)e−t

2/2 (11)

besitzt den in Bild 3.4 dargestellten Graphen, der unmittelbar an einen Mexikaner-hut erinnert. Der vorangestellte Zahlenfaktor (=: γ) ist so gewahlt, daß ‖ψ‖ = 1wird.

Wie man leicht nachrechnet, ist ψ(t) = −γ g′′(t), wobei g(t) := e−t2/2 die Gauß-

Funktion bezeichnet. Deren Fourier-Transformierte g ist in Beispiel 2.2.©2 berech-net und als g identifiziert worden. Mit Hilfe der Regel (R4) folgt daher

ψ(ξ) = −γ(iξ)2 g(ξ) = γξ2e−ξ2/2 .

Insbesondere gilt ψ(0) = 0; dieses ψ ist also in der Tat ein Wavelet. Aus erwahntenGrunden tragt es den Namen Mexikanerhut. ©

1

1

!

t

"

Bild 3.4 Der Mexikanerhut

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3.1 Definitionen und Beispiele 59

©3 Bild 3.5 zeigt das Beispiel einer modulierten Gauß-Funktion. Hierzu gelangtman folgendermaßen: Zunachst wird eine Basisfrequenz ω > 0 fest gewahlt; ω := 5scheint sich in der Praxis bewahrt zu haben (siehe [D], 3.3.5.C). Es leuchtet ein,daß der ,,Wellenzug“

t 7→ χ(t) := eiωt e−t2/2

kein schlechtes ,,Abfragemuster“ vorstellt. Leider ist die Bedingung χ(0) = 0 nichterfullt. Wir machen also den Ansatz

ψ(t) :=(eiωt −A

)e−t

2/2

und haben nun die Konstante A festzulegen. Nach Regel (R2) gilt

ψ(ξ) = e−(ξ−ω)2/2 −Ae−ξ2/2

und folglich ψ(0) = e−ω2/2 − A. Mit A := e−ω

2/2 ist somit (3) Genuge getan, undwir konnen die komplexwertige Funktion

ψ(t) :=(eiωt − e−ω2/2

)e−t

2/2

grundsatzlich als Wavelet akzeptieren. Dieses ψ noch zu normieren, uberlassen wirdem Leser als Ubungsaufgabe. ©

1 2

Im !

Re !

t

(" = 3)

Bild 3.5 Modulierte Gauß-Funktion

©4 Eine ganz beliebige Funktion ψ ∈ L2 mit Norm 1, Mittelwert 0 und kompaktemTrager ist automatisch ein Wavelet: Es sei ψ(t) ≡ 0 fur |t| > b. Die Funktionh(t) := |t| 1[−b,b](t) ist offensichtlich in L2; folglich ist∫

|t| |ψ(t)| dt =⟨h, |ψ|

⟩<∞ ,

und die Behauptung folgt mit (3.1). ©

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60 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

©5 Wir versuchen hier, die Wavelet-Transformierte eines Zeitsignals f als Funktionvon zwei Variablen graphisch darzustellen. Als analysierendes Wavelet verwendenwir dabei den Mexikanerhut (11). Das Zeitsignal soll sich aus den drei ,,Noten“

f1(t) := 2− 2|t+ 2| (−3 ≤ t ≤ −1) , := 0 (sonst) ,

f2(t) := 1− cos(2πt) (0 ≤ t ≤ 3) , := 0 (sonst) ,

f3(t) :=1

2

(1− cos(5πt)

)(4 ≤ t ≤ 6) , := 0 (sonst)

(siehe Bild 3.6) wie folgt zusammensetzen:

f(t) := 2.883 f1(t) + 1.205 f2(t) + 0.968 f3(t) . (12)

f2

f3

f12

!3 !1 0 3 4 6t

Bild 3.6

Um das naturliche Abklingen von Wf(a, b) mit a→ 0 zu kompensieren, siehe dazuSatz (3.15), haben wir in Bild 3.7 anstelle von Wf die Funktion

w(a, b) :=1

a3/2

∣∣Wf(a, b)∣∣ (0 < a ≤ 0.4)

dargestellt. Die in (12) erscheinenden Intensitaten wurden so gewahlt, daß diedrei Anteile w1, w2, w3 in dem dargestellten (a, b)-Bereich denselben Maximal-wert wmax = 10 erhalten. Das Bild besteht aus 480 × 768 Pixeln, die ein Gittervon Punkten (a, b) reprasentieren. Fur jedes einzelne Pixel wurde numerisch dieTestgroße p := w(a, b)/wmax berechnet; anschließend wurde das betreffende Pixelmit Wahrscheinlichkeit p schwarz eingefarbt. ©

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3.2 Eine Plancherel-Formel 61

Bild 3.7 Die Wavelet-Transformierte der Funktion f gemaß (12); vgl. Bild 3.6

3.2 Eine Plancherel-Formel

Die Wavelet-Transformation akzeptiert Funktionen f ∈ L2(R) als Input und pro-duziert Funktionen Wf : R2

− → C als Output. Wenn wir in dieser Situation einePlancherel-Formel ins Auge fassen, so benotigen wir naturlich ein Skalarproduktfur Funktionen u: R2

− → C, und fur dieses wiederum benotigen wir ein Maß aufder Menge R2

− := R∗ ×R. Das zweidimensionale Lebesgue-Maß dadb ist hier nichtdas Richtige, und zwar aus dem folgenden Grund: Die Variablen a und b sindnicht ,,gleichberechtigt“ wie zum Beispiel x und y in der euklidischen Ebene. Indem vorliegenden Zusammenhang wird ein Punkt (a, b) ∈ R2

− vielmehr benutzt zurFestlegung einer affinen Streckung

Sa,b : R→ R , τ 7→ t := aτ + b

der Zeitachse, und da erscheint der Streckungsfaktor |a| schon von bloßem Auge alsungleich bedeutungsvoller. Die Gesamtheit

Aff(R) :=Sa,b

∣∣ (a, b) ∈ R2−

(1)

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62 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

dieser affinen Abbildungen ist eine topologische Gruppe bezuglich der Zusammen-setzung . Als solche tragt sie ein ,,naturliches“ Maß dµ, genannt linksinvariantesHaarsches Maß. Da Aff(R) gemaß (1) von der Menge R2

− bijektiv parametrisiertwird, tritt dµ als Maß in der (a, b)-Ebene in Erscheinung. Fur weitere Einzelheitenverweisen wir auf die Literatur, zum Beispiel [8] oder [16]. Wenn man nun denexpliziten Ausdruck fur dµ = dµ(a, b) tatsachlich ausrechnet, so ergibt sich

dµ = dµ(a, b) :=1

|a|2 dadb . (2)

Mit den vorangehenden Ausfuhrungen sollte nur heuristisch begrundet werden,warum wir nun im weiteren auf der Menge R2

− gerade das Maß (2) zugrundelegen.Die Theorie des Haarschen Maßes wird im weiteren nicht benotigt.

Das Skalarprodukt im Hilbertraum

H := L2(R2−, dµ) = L2

(R∗ × R,

dadb

|a|2)

hat demnach folgende Form:

〈u, v〉H :=

∫R2−

u(a, b) v(a, b)dadb

|a|2 .

Damit kommen wir schon zu der angekundigten Plancherel-Formel fur die Wavelet-Transformation:

(3.3) Es bezeichneW die Wavelet-Transformation zu einem gegebenen Wavelet ψ.Dann gilt

〈Wf,Wg〉H = Cψ 〈f, g〉fur beliebige f , g ∈ L2.

Wir arbeiten mit der in 3.1.(10) eingefuhrten Funktion Fa und der mit g analoggebildeten Funktion Ga. Mit (3.2) und (2.11) ergibt sich nacheinander

〈Wf,Wg〉H =

∫R∗

(∫Wf(a, b)Wg(a, b) db

)da

|a|2

=

∫R∗

∫Fa(−b) Ga(−b) db da|a|2

=

∫R∗〈Fa, Ga〉

da

|a|2 =

∫R∗〈Fa, Ga〉

da

|a|2

= 2π

∫R∗

(∫|a| f(ξ) g(ξ)

∣∣ψ(aξ)∣∣2 dξ) da

|a|2

= 2π

∫ (f(ξ) g(ξ)

∫R∗

∣∣ψ(aξ)∣∣2 da|a|

)dξ .

(3)

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3.2 Eine Plancherel-Formel 63

Das zuletzt angeschriebene innere Integral (=: Q) hat fur ξ = 0 trivialerweise denWert 0. Ist ξ 6= 0, so liefert die Substitution

a :=a′

ξ(a′ ∈ R∗) , da =

da′

|ξ|

(Betrag der Funktionaldeterminante!) fur Q den Wert

Q =

∫R∗

∣∣ψ(a′)∣∣2 da′/|ξ||a′/ξ| =

∫R∗

∣∣ψ(a)∣∣2

|a| da =1

2πCψ ,

unabhangig von ξ. Wir konnen daher die Gleichungskette (3) fortsetzen mit

〈Wf,Wg〉H = 2π

∫f(ξ) g(ξ)

Cψ2π

dξ = Cψ〈f, g〉 .

Nach dem Satz von Fubini sind damit auch alle vorangegangenen Manipulationengerechtfertigt.

Bevor wir diesen Satz und seine Konsequenzen analysieren, behandeln wir nocheinige Varianten.

Oft werden nur Skalierungsfaktoren a > 0 betrachtet, das heißt, man beschranktsich auf die obere (a, b)-Halbebene

R2> :=

(a, b)

∣∣ a ∈ R>0 , b ∈ R,

wobei dasselbe Maß wie vorher zugrundegelegt wird. Es sei also

H ′ := L2(R2>, dµ) = L2

(R>0 × R,

dadb

|a|2)

der zugehorige Hilbertraum. Damit schon fur die ,,halben“ Wavelet-TransformiertenWfR2

> eine Plancherel-Formel gilt, muß ψ einer gewissen Symmetriebedingung ge-nugen, namlich

∫<0

∣∣ψ(a)∣∣2

|a| da = 2π

∫>0

∣∣ψ(a)∣∣2

|a| da =: C ′ψ . (4)

Diese Bedingung ist automatisch erfullt, wenn ψ symmetrisch oder reellwertig ist:Ist ψ symmetrisch, so ist auch ψ symmetrisch, und ist ψ eine reellwertige Funktion,

so gilt ψ(−ξ) ≡ ψ(ξ).

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64 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

(3.4) Es bezeichneW die Wavelet-Transformation zu einem gegebenen Wavelet ψ,das der Symmetriebedingung (4) genugt. Dann gilt

〈Wf,Wg〉H′ = C ′ψ 〈f, g〉

fur beliebige f , g ∈ L2.

Die zu (3) analoge Gleichungskette sieht nun folgendermaßen aus:

〈Wf,Wg〉H′ =

∫>0

(∫Wf(a, b)Wg(a, b) db

)da

|a|2...

= 2π

∫ (f(ξ) g(ξ)

∫>0

∣∣ψ(aξ)∣∣2 da|a|

)dξ .

Das zuletzt angeschriebene innere Integral (=: Q′) hat fur ξ = 0 trivialerweise denWert 0. Ist ξ > 0, so liefert die Substitution

a :=a′

ξ(a′ ∈ R>0) , da =

da′

ξ

den Wert

Q′ =

∫>0

∣∣ψ(a′)∣∣2 da′/ξ|a′/ξ| =

∫>0

∣∣ψ(a)∣∣2 da|a| =

1

2πC ′ψ ,

und im Fall ξ < 0 erhalt man analog mit Hilfe der Substitution

a :=a′

ξ(a′ ∈ R<0) , da =

da′

|ξ|

den Wert

Q′ =

∫<0

∣∣ψ(a′)∣∣2 da′/|ξ||a′/ξ| =

∫<0

∣∣ψ(a)∣∣2 da|a| =

1

2πC ′ψ .

Nun schließt man wieder wie vorher:

〈Wf,Wg〉H′ = 2π

∫f(ξ) g(ξ)

C ′ψ2π

dξ = C ′ψ〈f, g〉 .

Betrachtet man nocheinmal den Beweis der Plancherel-Formel (3.3), so bemerktman, daß ihre Bilinearitat in den Variablen f und g eine wesentliche Verallge-meinerung ermoglicht: Man darf f und g mit zwei verschiedenen Wavelets trans-formieren und erhalt immer noch eine Formel vom Typ (3.3). Dies erhoht naturlichdie Flexibilitat der Wavelet-Transformation, sowohl bei der Analyse wie bei derRekonstruktion von Zeitsignalen f .

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3.3 Umkehrformeln 65

(3.5) Es seien ψ und χ zwei Wavelets, und es sei das Integral

∫R∗

ψ(a) χ(a)

|a| da =: Cψχ (5)

definiert. Bezeichnen Wψ und Wχ die Wavelet-Transformationen bezuglich ψ undχ, so gilt

〈Wψf,Wχg〉H = Cψχ 〈f, g〉fur beliebige f , g ∈ L2.

Man wiederholt den Beweis von (3.3), wobei Fa wie vorher definiert ist durch3.1.(10), wahrend Ga naturlich zu ersetzen ist durch

Ga(ξ) :=√

2π |a|1/2 g(ξ) χ(aξ) .

Wir uberlassen die Details dem Leser.

Die hier gefundenen Formeln lassen sich am besten im Rahmen der topologischenGruppen und ihrer Darstellungen verstehen, siehe dazu [L], Abschnitt 1.6.

3.3 Umkehrformeln

Die kontinuierliche Wavelet-Transformation codiert ein gegebes Zeitsignal, also eineFunktion f von einer rellen Variablen t , als eine Funktion Wf von zwei reellenVariablen a und b. Anstelle von ∞1 haben wir nun sozusagen ∞2 Daten, unddas bedeutet, daß f in dem Datensatz

(Wf(a, b) | (a, b) ∈ R2

−)

hochredundantreprasentiert ist. Dieser Sachverhalt erleichtert naturlich die Rekonstruktion desAusgangssignals f ausWf ungemein, und zwar gibt es nicht nur eine Umkehrformelwie bei der Fourier-Transformation, sondern letzten Endes beliebig viele derartigeFormeln. Wir werden im nachsten Kapitel sehen, daß sogar eine geeignete diskreteKollektion von Werten

cr,k := Wf(ar, br,k)

genugt, um f vollstandig wiederherzustellen; in anderen Worten: Es gibt auch furdie Wavelet-Transformation eine Art Shannon-Theorem.

Rein mengentheoretisch besitzt R2− ,,gleich viele“ Punkte wie R, und darum gibt es

auch ,,gleich viele“ Funktionen u: R2− → C wie Funktionen f : R → C. Trotzdem

leuchtet ein, daß nicht jeder denkbare Datensatz(u(a, b) | (a, b) ∈ R2

−)

als Wavelet-Transformierte einer Funktion f ∈ L2 auftreten kann. In anderen Worten: DieWerte Wf(a, b) von tatsachlichen Wavelet-Transformierten sind auf geheimnisvolleWeise weitraumig miteinander verknupft. Auf diesen Punkt werden wir in Abschnitt3.4 eingehen.

Wir benotigen das folgende Regularisierungslemma:

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66 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

(3.6) Es bezeichne

gσ(t) :=1√2π σ

exp(− t2

2σ2

)die Normalverteilung mit Streuung σ, und es sei die Funktion f ∈ L1 stetig an derStelle x. Dann gilt

limσ→0+

(f ∗ gσ)(x) = f(x) .

Ist ein ε > 0 vorgegeben, so gibt es ein h > 0 mit

|f(x− t)− f(x)| < ε(|t| ≤ h

).

Wegen

∫gσ(t) dt = 1 ist

(f ∗ gσ)(x)− f(x) =

∫ (f(x− t)− f(x)

)gσ(t) dt

und folglich∣∣(f ∗ gσ)(x)− f(x)∣∣

≤∫|t|≤h

|f(x− t)− f(x)| gσ(t) dt+

∫|t|≥h

(|f(x− t)|+ |f(x)|

)gσ(t) dt

≤ ε

∫ h

−hgσ(t) dt+ ‖f‖1 gσ(h) + |f(x)|

∫|t|≥h

gσ(t) dt .

Hier hat das erste Integral rechter Hand einen Wert < 1, und gσ(h) sowie das letzteIntegral streben mit σ → 0+ gegen 0, siehe dazu Bild 3.8. Es gibt daher ein σ0, sodaß fur alle σ < σ0 gilt: ∣∣(f ∗ gσ)(x)− f(x)

∣∣ < 2ε ,

was zu beweisen war.

In diesem Zusammenhang notieren wir noch die fur beliebige Zeitsignale f ∈ L2

gultige Identitat

(f ∗ gσ)(x) = 〈f, Txgσ〉 . (1)

Hier ist namlich die linke Seite definitionsgemaß gleich

∫f(t)gσ(x− t) dt und die

rechte auch, da gσ eine reelle gerade Funktion ist.

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3.3 Umkehrformeln 67

g! , !!1

g! , !"1

ht

Bild 3.8

Die Plancherel-Formel (3.3) laßt sich folgendermaßen schreiben:

〈f, g〉 =1

∫R2−

Wf(a, b) 〈ψa,b, g〉dadb

|a|2 . (2)

Setzen wir hier g := Tx gσ, so wird daraus

〈f, Tx gσ〉 =1

∫R2−

Wf(a, b) 〈ψa,b, Tx gσ〉dadb

|a|2 ,

und mit (1) ergibt sich

(f ∗ gσ)(x) =1

∫R2−

Wf(a, b) (ψa,b ∗ gσ)(x)dadb

|a|2 .

Fuhren wir hier den Grenzubergang σ → 0+ durch, so erhalten wir mit Hilfe unseresLemmas (3.6) die folgende Rekonstruktionsformel:

(3.7) Unter geeigneten Voraussetzungen uber f und ψ gilt in allen Stetigkeits-punkten x von f :

f(x) =1

∫R2−

Wf(a, b) ψa,b(x)dadb

|a|2 . (3)

Der Grenzubergang unter dem Integralzeichen ist ziemlich heikel. Fur dieEinzelheiten verweisen wir auf [D], Proposition 2.4.2.

Die Formel (3) laßt sich ,,abstrakt“ auffassen als

f =1

∫R2−

dµ Wf(a, b) ψa,b(·) ; (4)

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68 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

sie stellt also das Ausgangssignal f als Superposition von Waveletfunktionen ψa,bdar, wobei die Werte Wf(a, b) als Koeffizienten dienen.

Die Gultigkeit von (4) im sogenannten ,,schwachen Sinn“ ist ubrigens eine unmit-telbare Folge der Plancherel-Formel (3.3). Gemeint ist der folgende funktionalana-lytische Hokuspokus: Jeder Vektor f ∈ L2 tritt auf eine zweite (,,schwache“) Weisein Erscheinung als stetiges konjugiert-lineares Funktional

〈f, ·〉 : L2 → C , g 7→ 〈f, g〉 ,

und jedes derartige Funktional φ:L2 → C gehort zu einem ganz bestimmten f .Betrachten wir die Plancherel-Formel in der Gestalt (2) fur festes f und variablesg ∈ L2, so besagt sie gerade

〈f, · 〉 =1

∫R2−

dµ Wf(a, b) 〈ψa,b, ·〉

oder, in Worten ausgedruckt: Die ,,schwache Version“ von f wird aus Wf zuruck-erhalten durch Superposition der Funktionale 〈ψa,b, · 〉 mit den WertenWf(a, b) als

Koeffizienten. Die formale Ubereinstimmung mit (4) ist evident.

Die beiden Varianten (3.4) und (3.5) der Plancherel-Formel liefern analog die fol-genden Rekonstruktionsformeln:

(3.8) Unter geeigneten Stetigkeitsvoraussetzungen gilt

f(x) =1

C ′ψ

∫R2>

Wf(a, b) ψa,b(x)dadb

|a|2 ,

falls ψ die Symmetriebedingung 3.2.(4) erfullt, und

f(x) =1

Cψχ

∫R2−

Wψf(a, b) χa,b(x)dadb

|a|2 ,

sofern Cψχ, siehe 3.2.(5), definiert ist.

Die letzte Formel laßt sich lesen als

f =1

Cψχ

∫R2−

dµ Wψf(a, b) χa,b(·)

und leistet die Rekonstruktion von f mit anderen Waveletfunktionen als vorgangigzur Analyse benutzt wurden. Derartige Analyse-Synthese-Paarungen werden wirauch bei der diskretisierten Version der Wavelet-Transformation antreffen.

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3.4 Die Kernfunktion 69

3.4 Die Kernfunktion

Die Formel 3.3.(4) laßt sich folgendermaßen interpretieren: Die Abbildung

f 7→ 1

∫R2−

dµ 〈f, ψa,b〉ψa,b(·) (1)

ist die Identitat. Wenn in diesem Zusammenhang von einer Resolution der Identitatgesprochen wird, so ist das fast chemisch zu verstehen: Die Abbildung id: L2 → L2

wird in ihre (a, b)-Anteile aufgelost und am Schluß in dem Integral 3.3.(4) bzw. (1)rekristallisiert. Eine derartige Resolution der Identitat treffen wir schon auf ganzelementarem Niveau an: Ist (e1, . . . , en) eine orthonormale Basis im Rn, so giltidentisch in x ∈ Rn die Formel

x =n∑k=1

〈x, ek〉 ek ;

in anderen Worten: Die Abbildung

x 7→n∑k=1

〈x, ek〉 ek

ist die Identitat. Ein wesentlicher Unterschied zu 3.3.(4) bzw. (1) besteht allerdings:Die Vektoren ek (1 ≤ k ≤ n) sind linear unabhangig, die Funktionen ψa,b (a ∈R∗, b ∈ R) aber nicht. In den Abschnitten 4.1–2 werden wir diese Dinge nocheinmalund in einem allgemeineren Zusammenhang betrachten.

Im Augenblick bleiben wir bei H := L2(R2−, dµ). Nach (3.3) gilt

‖Wf‖ ≤√Cψ‖f‖ (f ∈ L2) ;

folglich ist die Wavelet-Transformation W: L2 → H eine stetige Abbildung. Esbezeichne

U :=Wf ∈ H

∣∣ f ∈ L2

die Bildmenge. Im vorliegenden Fall gibt es eine Umkehrabbildung

W−1: U → L2 , u 7→ W−1u ,

und zwar ist W−1 gemaß 3.3.(4) (jedenfalls formal) gegeben durch die Formel

W−1u =1

∫R2−

dµ u(a, b)ψa,b(·) .

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70 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

Der Raum U aller Wavelet-Transformierten ist ein echter Teilraum von H. So habenzum Beispiel die Funktionen u ∈ U in allen Punkten (a, b) einen wohlbestimmtenFunktionswert, und jedes einzelne derartige u ist wegen 3.1.(7) global beschrankt:

‖u‖∞ := supu(a, b)

∣∣ (a, b) ∈ R2−<∞ .

Es gilt aber noch mehr: Der Funktionenraum U besitzt einen sogenannten re-produzierenden Kern, und das bedeutet, daß die Funktionswerte eines u ∈ Uweitraumig untereinander verknupft sind, wie bei einer holomorphen Funktion.

Holomorphe Funktionen haben ja die folgende ,,Reproduktionseigenschaft“: IstG ⊂ C ein Gebiet mit Randzyklus ∂G und ist f auf einer offenen Menge Ω ⊃ G∪∂Gholomorph, so gilt

f(z) =1

2πi

∫∂G

f(ζ)

ζ − z dζ (z ∈ G) .

Betrachte jetzt ein festes u ∈ U . Es gibt ein f ∈ L2 mit u = Wf . Aufgrund von(3.3) haben wir daher

u(a, b) = 〈f, ψa,b〉 =1

Cψ〈Wf,Wψa,b〉H =

1

Cψ〈u,Wψa,b〉H

((a, b) ∈ R2

−). (2)

Wenn wir hier die rechte Seite als Integral darstellen wollen, so benotigen wir dieFunktion Wψa,b als Funktion von neuen Variablen a′, b′. Dazu fassen wir ψa,b alsein Zeitsignal auf und erhalten mit 3.1.(6):

Wψa,b(a′, b′) = 〈ψa,b, ψa′,b′〉 ,

so daß (2) in

u(a, b) =1

∫R2−

u(a′, b′)〈ψa,b, ψa′,b′〉da′db′

|a′|2

ubergeht. Die Funktion

K(a, b, a′, b′) := 〈ψa′,b′ , ψa,b〉

ist fur alle (a, b, a′, b′) ∈ R2− × R2

− wohldefiniert und heißt reproduzierender Kernfur die Funktionen u ∈ U . Wir haben namlich den folgenden Satz bewiesen:

(3.9) (Cψ, U und K haben die angegebene Bedeutung.) Fur beliebige u ∈ U und

(a, b) ∈ R2− gilt

u(a, b) =1

∫R2−

K(a, b, a′, b′)u(a′, b′)da′db′

|a′|2 . (3)

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3.4 Die Kernfunktion 71

0.5

1!1

yy = !(t)

t

Bild 3.9 Ableitung der Gauß-Funktion

©1 Als Beispiel wahlen wir das Wavelet

ψ(t) :=√

2π−1/4 t e−t2/2 = −

√2π−1/4 d

dte−t

2/2

(Bild 3.9), wobei wir mit dem vorangestellten Zahlenfaktor dafur gesorgt haben,daß ‖ψ‖ = 1 wird. Nach Regel (R4) und Beispiel 2.2.©2 ist

ψ(ξ) = −√

2π−1/4 iξ e−ξ2/2 .

Beschranken wir uns auf positive a, so hat die reproduzierende Formel (3) folgendeGestalt:

u(a, b) =1

C ′ψ

∫R2>

K(a, b, a′, b′)u(a′, b′)da′db′

|a′|2 .

Wir berechnen vorweg das Integral

C ′ψ := 2π

∫>0

|ψ(ξ)|2ξ

dξ = 4√π

∫ ∞0

ξ e−ξ2

dξ = 2√π

∫ ∞0

e−u du = 2√π .

Mit Hilfe der Regel 3.1.(8) ergibt sich weiter

ψa,b(ξ) = a1/2e−ibξ ψ(aξ) = −√

2π−1/4a3/2 i e−ibξ ξ e−a2ξ2/2

und ein analoger Ausdruck fur ψa′,b′ . Nach der Parsevalschen Formel haben wirdaher

K(a, b, a′, b′) = 〈ψa′,b′ , ψa,b〉 =2√πa3/2a′3/2

∫ei(b−b

′)ξ ξ2 e−(a2+a′2)ξ2/2 dξ .

Das Integral laßt sich als Fourier-Integral auffassen, und zwar ist

K(a, b, a′, b′) = 2√

2 a3/2a′3/2G(b′ − b) (4)

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72 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

fur die FunktionG(ξ) := ξ2 e−(a2+a′2)ξ2/2 .

Wir setzen zur Abkurzung√a2 + a′2 =: A. Die Funktion ξ 7→ e−ξ

2/2 wird durchdie Fourier-Transformation reproduziert; somit besitzt g(ξ) := e−(Aξ)2/2 nach Regel(R3) die Fourier-Transformierte

g(x) =1

Ae−(x/A)2/2 ,

und mit (2.13) ergibt sich

G(x) = −(g)′′

(x) =1

A5(A2 − x2) e−(x/A)2/2 .

Tragen wir das in (4) ein, so erhalten wir schließlich

K(a, b, a′, b′) =√

8a3/2a′3/2

A5

(A2−x2

)e−(x/A)2/2, x := b′−b, A :=

√a2 + a′2 .

©©2 Wir uberlassen es dem Leser als Ubungsaufgabe, C ′ψ und die Kernfunktionfur das Haar-Wavelet zu berechnen. Da hier die Skalarprodukte 〈ψa′,b′ , ψa,b〉 angeeigneten Figuren (Bild 3.10) unmittelbar abgelesen werden konnen, ist es nichtnotig, den Umweg uber die Fourier-Transformation zu machen. Dafur gibt es zahl-reiche Fallunterscheidungen, und am Schluß resultiert kein einfacher Ausdruck furdie Kernfunktion K. ©

b

b + a

b!

b! + a!t

!a, b

!a!, b !

1/ a

1/ a!

Bild 3.10

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3.5 Abklingverhalten 73

3.5 Abklingverhalten

Die asymptotischen Eigenschaften der Funktion (a, b) 7→ Wf(a, b) interessieren inerster Linie fur a → 0. In den zu |a| 1 gehorenden Werten von Wf ist Informa-tion uber die hochfrequenten oder/und kurzlebigen (englisch: transient) Anteile vonf gespeichert. Von der Fourier-Transformation wissen wir, daß z.B. Sprungstellendes Zeitsignals ein langsames Abklingen von f(ξ) fur ξ → ±∞ zur Folge haben.Die Umkehrformel (in der Praxis eine geeignete Diskretisierung dieser Formel) kon-vergiert dann auch in denjenigen Zonen der t-Achse schlecht, wo f an sich glattist. Bei der Wavelet-Transformation laßt sich diese Konvergenzverschlechterunglokalisieren: Verhalt sich das Zeitsignal f in der Umgebung von t = b anstandig,so klingt Wf(a, b) mit a → 0 sehr schnell gegen 0 ab; und nur in Zonen mitausgepragten Spitzen oder Knackpunkten des Zeitsignals ist mit einem schlechtenAbklingen von Wf(a, b) mit a→ 0 zu rechnen.

Dieser Umstand hat entscheidende praktische Konsequenzen: Bei der praktisch-numerischen Behandlung eines Signals f werden von der Wavelet-TransformiertenWf(a, b) nur (zum Beispiel) die Werte cr,k := Wf(2r, k 2r) berechnet und abge-speichert. Wenn sich nun das Signal uber weite Teile der Zeitachse hochanstandigverhalt (also zum Beispiel r-mal differenzierbar ist), so wird der uberwiegende Teilder cr,k so verschwindend klein ausfallen, daß man diese cr,k ebensogut als 0 anse-hen kann. Damit wird nun eine unerhorte Datenkompression moglich: Nur die cr,k,deren Betrag einen gewissen Schwellenwert uberschreitet, werden uberhaupt abge-speichert und bei der spateren Rekonstruktion von f verwendet. Es zeigt sich, daßdiese ,,wesentlichen“ cr,k vollauf genugen, um das Ausgangssignal fur alle t mit dergewunschten Genauigkeit wiederherzustellen.

Wir beginnen mit zwei einfachen Aussagen.

(3.10) Es werde ein Wavelet ψ mit tψ ∈ L1 zugrundegelegt. Das Zeitsignal f ∈ L2

sei beschrankt und an der Stelle b Holder-stetig: In einer Umgebung von b gilt∣∣f(t)− f(b)∣∣ ≤ C|t− b|α (1)

mit einem α ∈ ]0, 1]. Dann ist

|Wf(a, b)| ≤ C ′ |a|α+ 12 . (2)

Es genugt, den Fall a > 0 zu betrachten. Da f beschrankt ist, konnen wir(nach allfalliger Vergroßerung von C) annehmen, daß (1) fur alle t ∈ R gilt.

Aus∫ψ(t) dt = 0 folgt

Wf(a, b) =1

a1/2

∫ (f(t)− f(b)

)ψ( t− b

a

)dt

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74 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

und somit

|Wf(a, b)| ≤ C

a1/2

∫|t− b|α

∣∣∣ψ( t− ba

)∣∣∣ dt .Hier substitutieren wir t := b+ ay (−∞ < y <∞) und erhalten

|Wf(a, b)| ≤ C |a|α+ 12

∫|y|α |ψ(y)| dy .

Aus α ≤ 1 folgt |y|α ≤ 1 + |y|; nach Voraussetzung uber ψ hat somit das letzteIntegral einen endlichen Wert, und (2) ist bewiesen.

Eine Lipschitz-stetige, kurz: lipstetige, Funktion ist Holder-stetig mit Exponentα = 1. Wir haben daher das folgende Korollar:

(3.11) Es werde ein Wavelet ψ mit tψ ∈ L1 zugrundegelegt. Das Zeitsignal f ∈ L2

sei global lipstetig. Dann gibt es ein C, unabhangig von b, mit

|Wf(a, b)| ≤ C |a|3/2 .

Von der Umkehrung dieser Aussagen gibt es verschiedene Varianten, siehe [D],Th. 2.9.2 und 2.9.4. Wir fuhren hier ohne Beweis die folgende an:

(3.12) Es werde ein Wavelet ψ mit kompaktem Trager zugrundegelegt. Ist f ∈ L2

ein stetiges Zeitsignal, dessen Wavelet-Transformierte einer Abschatzung der Form

|Wf(a, b)| ≤ C |a|α+ 12

((a, b) ∈ R2

−)

mit einem α ∈ ]0, 1] genugt, so ist f global Holder-stetig mit Exponent α.

Die nachsten Resultate sind von wesentlich feinerer Natur. Es geht daraus hervor,daß wir dem Mutter-Wavelet ψ außer

∫ψ(t) dt = 0 noch weitere derartige Bedin-

gungen auferlegen mussen, wenn wir die Abkling-Eigenschaften der zugehorigenTransformierten Wf optimieren wollen.

Wir benotigen den folgenden Begriff: Fur beliebiges k ∈ N heißt

Mk(ψ) :=

∫tk ψ(t) dt (tkψ ∈ L1)

∞ (sonst)

das k-te Moment von ψ ∈ L1. Das Wavelet ψ ist von der Ordnung N , wennfolgendes gilt:

tNψ ∈ L1 ; Mk(ψ) = 0 (0 ≤ k ≤ N − 1) , MN (ψ) =: γ 6= 0 .

Ohne besondere Maßnahmen ist die Ordnung eines Wavelets = 1, fur ein sym-metrisches ψ ist die Ordnung ≥ 2 (Existenz der Momente vorausgesetzt). DieFourier-Transformierte eines ψ der Ordnung N ist nach (2.13) N -mal stetig dif-ferenzierbar, und es gilt

ψ(k)(0) = 0 (0 ≤ k ≤ N − 1) , ψ(N)(0) 6= 0 ;

folglich besitzt ψ an der Stelle 0 eine Taylor-Entwicklung der Form

ψ(ξ) = γ′ ξN + hohere Terme , γ′ 6= 0 . (3)

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3.5 Abklingverhalten 75

(3.13) Es werde ein Wavelet ψ der Ordnung N mit kompaktem Trager zugrunde-gelegt. Ist das Zeitsignal f ∈ L2 in einer Umgebung U der Stelle b von der KlasseCN , so gilt

Wf(a, b) = |a|N+ 12

(γ′f (N)(b) + o(1)

)(a→ 0) (4)

mit γ′ := sgnN(a) γ /N ! .

Es sei ψ(t) ≡ 0 fur |t| > T . Wir betrachten nur den Fall a > 0 und nehmen avon vorneherein so klein an, daß das Intervall [ b− aT, b+ aT ] ganz in U liegt.

Die Funktion f laßt sich an der Stelle b nach Taylor entwickeln: Fur t ∈ U gibt esein τ zwischen b und t mit

f(t) = jN−1b f(t) +

f (N)(τ)

N !(t− b)N

= jNb f(t) +f (N)(τ)− f (N)(b)

N !(t− b)N ; (5)

dabei hat das Anfangsstuck die Form

jNb f(t) =N∑k=0

ck(t− b)k .

FurWf(a, b) := a−1/2

∫f(t)ψ

((t− b)/a

)dt benotigen wir daher unter anderem die

folgenden Integrale:

∫(t− b)k ψ

( t− ba

)dt = ak+1

∫t′k ψ(t′) dt′ =

0 (0 ≤ k ≤ N − 1)

aN+1γ (k = N).

Damit ergibt sich bereits

Wf(a, b) = aN+ 12 γ

f (N)(b)

N !+ R ,

wobei wir nun noch den vom Restterm in (5) herruhrenden Rest R abschatzenmussen. Dazu benotigen wir die Hilfsfunktion

ω(h) := sup|τ−b|≤h

∣∣f (N)(τ)− f (N)(b)∣∣ (h ≥ 0) ;

nach Voraussetzung uber f ist

limh→0+

ω(h) = 0 . (6)

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76 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

Fur den Rest R erhalten wir mit Hilfe der Substitution t := b+ at′ (−T ≤ t′ ≤ T )die Darstellung

R =1

a1/2N !

∫ (f (N)(τ)− f (N)(b)

)(t− b)N ψ

( t− ba

)dt

=aN+ 1

2

N !

∫ T

−T

(f (N)(τ)− f (N)(b)

)t′N ψ(t′) dt′ .

Hier liegt der (variable) Punkt τ zwischen b und t = b + at′, so daß wir R folgen-dermaßen abschatzen konnen:

|R| ≤ aN+ 12

N !

∫ T

−Tω(a|t′|

)|t′|N |ψ(t′)| dt′ ≤ aN+ 1

2

N !ω(aT )

∫ T

−T|t′|N |ψ(t′)| dt′ .

Nach Voraussetzung uber ψ existiert das letzte Integral; mit (6) folgt daher

R = aN+ 12 o(1) (a→ 0) ,

wie behauptet.

Nach diesem Satz wird das Abklingverhalten von Wf in Zonen der b- bzw. dert-Achse, wo das Signal f hinreichend glatt ist, durch die Ordnung N des verwen-deten Wavelets bestimmt. Man kann sogar noch mehr sagen: Der in der asymp-totischen Formel (4) auftretende Proportionalitatsfaktor ist im wesentlichen der

Ableitungswert f (N)(b), so daß der ,,Zoom“

a 7→ Wf(a, b) (a→ 0)

geradezu als Meßinstrument fur diesen Ableitungswert verwendet werden kann. —Jedenfalls lohnt es sich aus den am Anfang dieses Abschnitts erlauterten Grunden,die Ordnung des verwendeten Wavelets moglichst hoch anzusetzen.

Ist f weniger regular, als von der Ordnung des verwendeten Wavelets honoriertwird, so laßt sich in Verallgemeinerung von (3.11) folgendes sagen:

(3.14) Es werde ein Wavelet ψ der Ordnung N zugrundegelegt. Das Zeitsignalf ∈ L2 sei von der Klasse Cr, r < N , und zwar sei f (r) global lipstetig. Dann gibtes ein C, unabhangig von b, mit

|Wf(a, b)| ≤ C |a|r+ 32 .

Wir durfen wiederum a > 0 annehmen. Wird die Funktion f an einer beliebigenStelle b nach Taylor entwickelt, so ergibt sich

(vgl. (5)

)f(t) = jrb f(t) +

f (r)(τ)− f (r)(b)

r!(t− b)r

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3.5 Abklingverhalten 77

fur ein τ zwischen b und t. Wegen r < N liefert nur der Restterm einen Beitrag anWf(a, b), und wir erhalten

Wf(a, b) =1

r! a1/2

∫ (f (r)(τ)− f (r)(b)

)(t− b)rψ

( t− ba

)dt

=ar+

12

r!

∫ (f (r)(τ)− f (r)(b)

)t′r ψ(t′) dt′ .

Der Punkt τ liegt zwischen b und t = b+ at′; nach Voraussetzung uber f gilt daher∣∣f (r)(τ)− f (r)(b)∣∣ ≤ Clip a |t′|

fur ein geeignetes Clip . Damit konnen wir Wf(a, b) wie folgt abschatzen:

|Wf(a, b)| ≤ Clip ar+ 3

2

r!

∫|t′|r+1 |ψ(t′)| dt′ ,

wobei das letzte Integral nach Voraussetzung uber ψ einen endlichen Wert hat.

Zum Schluß wollen wir untersuchen, wie sich ein Knackpunkt des Signals f be-merkbar macht. Unter einem r-Knackpunkt, r ≥ 0, verstehen wir eine isolierteSprungstelle b der r-ten Ableitung von f :

f (r)(b+)− f (r)(b−) =: ∆ 6= 0 .

Im ubrigen sei f (r) in der Umgebung von b stetig. Wir beweisen daruber:

(3.15) Es werde ein Wavelet ψ der Ordnung N mit kompaktem Trager zugrunde-gelegt. Das Zeitsignal f ∈ L2 besitze an der Stelle b einen r-Knackpunkt, r < N .Dann gilt

Wf(a, b) = |a|r+ 12

(C ∆ + o(1)

)(a→ 0)

mit einer von f unabhangigen Konstanten C.

Der linke Teil von Bild 3.7 illustriert den Fall r = 1, N = 2 dieses Satzes.

Wir durfen ohne Einschrankung der Allgemeinheit b = 0 annehmen; fernergenugt es, den Fall a→ 0+ zu betrachten. Anstelle von (5) gilt dann

f(t) = jr−10 f(t) +

f (r)(0+)

r!tr +

f (r)(τ)− f (r)(0+)

r!tr (t > 0)

fur ein τ zwischen 0 und t ; analog fur t < 0. Mit

f (r)(0+) + f (r)(0−)

2=: A

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78 3 Die kontinuierliche Wavelet-Transformation

ergibt sich folgende fur alle t gultige Darstellung von f :

f(t) = jr−10 f(t) +

A

r!tr +

2 r!sgn t · tr +

f (r)(τ)− f (r)(0±)

r!tr ,

wobei ± sinngemaß zu interpretieren ist. Wegen N > r erhalten wir daher

Wf(a, 0) =1

r! a1/2

∫ (∆

2sgn t +

(f (r)(τ)− f (r)(0±)

))trψ( ta

)dt

=ar+

12

r!

∫ T

−T

(∆

2sgn t′ +

(f (r)(τ)− f (r)(0±)

))t′r ψ(t′) dt′ . (7)

Setzen wir1

2 r!

∫ T

−Tsgn t · tr ψ(t) dt =: C ,

so ergibt sich bereitsWf(a, 0) = C ∆ ar+

12 + R .

Um nun den Rest R abzuschatzen, benutzen wir die fur h > 0 definierte Hilfsfunk-tion

ω(h) := sup0<|τ |≤h

∣∣f (r)(τ)− f (r)(0±)∣∣ ,

wobei ± auch hier sinngemaß zu interpretieren ist. Nach Voraussetzung uber f giltwie oben

limh→0+

ω(h) = 0 . (8)

Der (variable) Punkt τ im Integral (7) liegt zwischen 0 und t = at′, so daß wir denRest R folgendermaßen beschranken konnen:

|R| ≤ ar+12

r!

∫ T

−Tω(a |t|

)|t|r |ψ(t)| dt ≤ ar+

12

r!ω(aT )

∫ T

−T|t|r |ψ(t)| dt .

Da hier das letzte Integral existiert, schließen wir mit (8) auf die behauptete Formel

R = o(ar+

12

)(a→ 0+) .

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4 Frames

Der allgemeine Begriff des ,,Frames“ (von englisch frame; es gibt dafur keinentreffenden deutschen Ausdruck) ermoglicht, die kontinuierliche und die diskreteWavelet-Transformation unter einem einheitlichen funktionalanalytischen Gesichts-punkt darzustellen. Die nachfolgenden Abschnitte 4.1–2 sind im wesentlichen [K],Kapitel 4, nachempfunden, wo dieser einheitliche Aspekt besonders klar heraus-gearbeitet ist.

Aufs knappste zusammengefaßt: Ein Frame ist eine Kollektion a. :=(aι | ι ∈ I

)von Vektoren eines Hilbertraums X, die so reichhaltig ist, daß kein x ∈ X aufallen aι senkrecht steht. Im unendlichdimensionalen Fall ist das nicht so leichtsicherzustellen. Die aι brauchen nicht linear unabhangig (geschweige denn ortho-normiert) zu sein; in diesem Sinne sind Frames im allgemeinen redundant.

4.1 Geometrische Betrachtungen

Zur Einubung betrachten wir die folgende Situation:

Es sei X ein endlichdimensionaler komplexer Hilbertraum: dimX =: n < ∞, undes seien r Vektoren a1, . . ., ar ∈ X gegeben, wobei man sich die Anzahl r großerals n vorstellen soll. Mit Hilfe dieser aj konstruieren wir die Abbildung

T : X → Cr , x 7→ Tx ; (Tx)j := 〈x, aj〉 (1 ≤ j ≤ r) .

Bezeichnet (e1, . . . , er) die Standardbasis von Cr =: Y , so konnen wir T folgen-dermaßen darstellen:

Tx =

r∑j=1

〈x, aj〉 ej . (1)

Da X Dimension n hat, ist der Bildraum

U := im(T ) :=Tx∣∣ x ∈ X

hochstens n-dimensional. Folglich ist U ein echter Teilraum des r-dimensionalenRaums Y , falls r > n ist, siehe dazu Bild 4.1.

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80 4 Frames

a1

a3

a2

e1

e3

e2

0

T

T *

U

YX

Bild 4.1

Wir wollen nun die folgenden Fragen untersuchen: Ist ein Vektor x ∈ X durch seinBild y := Tx ∈ Y eindeutig bestimmt? Anders ausgedruckt: Ist T injektiv? Odernoch anders: Ist kerT = 0 ? Und, wenn ja: Wie erhalt man in diesem Fall x aus yzuruck?

Ist T injektiv (und damit grundsatzlich invertierbar), so heißt die vorgegebeneKollektion a. := (a1, . . . , ar) von Vektoren aj ∈ X ein Frame, und T ist der zua. gehorige Frame-Operator.

Y wird auf einfache Weise ein Hilbertraum vermoge des Standard-Skalarprodukts

〈y, z〉 :=r∑

k=1

yk zk , (2)

was man gehoben wie folgt ausdrucken kann: Y = L2(1, . . . , r,#

). Die Vektoren

y ∈ Y lassen sich namlich als Funktionen

1, . . . , r → C , k 7→ yk

auffassen, und # bezeichnet allgemein das Zahlmaß, das jedem Punkt der jeweiligenGrundmenge das Maß (bzw. die Masse) 1 zuweist.

Die Abbildung T ist nun eine Abbildung zwischen Hilbertraumen, und wir konnenihre Adjungierte T ∗: Y → X betrachten, die durch folgende Identitat charakteri-siert ist:

〈x, T ∗y〉X = 〈Tx, y〉Y ∀x ∈ X , ∀ y ∈ Y .

Insbesondere ist

〈x, T ∗ej〉 = 〈Tx, ej〉 = (j-te Koordinate von Tx) = 〈x, aj〉 ∀x ∈ X ,

und hieraus schließt man auf

T ∗ej = aj (1 ≤ j ≤ r) . (3)

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4.1 Geometrische Betrachtungen 81

Durch Zusammensetzung von T mit T ∗ erhalt man den (von uns so genannten)Gram-Operator

G := T ∗ T : X → X ,

eine Abbildung von X nach X.1 Wenden wir in (1) auf beiden Seiten T ∗ an, soerhalten wir wegen (3) fur G die Formel

Gx =

r∑j=1

〈x, aj〉 aj . (4)

Wir behaupten, es giltkerT = kerG . (5)

Aus Tx = 0 folgt naturlich Gx = 0. Die Umkehrung ergibt sich mit Hilfe derIdentitat

‖Tx‖2 = 〈Tx, Tx〉 = 〈T ∗Tx, x〉 = 〈Gx, x〉 . (6)

Aus (5) ziehen wir den folgenden Schluß:

(4.1) Die Abbildung T : X → Y ist genau dann injektiv, wenn der zugehorigeGram-Operator G := T ∗T : X → X regular ist.

Wir mussen also den Gram-Operator genauer untersuchen. Fur beliebige x, u ∈ Xgilt

〈x,Gu〉 = 〈x, T ∗Tu〉 = 〈Tx, Tu〉 = 〈T ∗Tx, u〉 = 〈Gx, u〉 . (7)

Der Operator G ist also selbstadjungiert, folglich sind alle seine Eigenwerte λi reell.Weiter: Ist λ ein Eigenwert von G und x 6= 0 ein zugehoriger Eigenvektor, so ergibtsich mit (6):

λ〈x, x〉 = 〈Gx, x〉 = ‖Tx‖2 ≥ 0

und damit λ ≥ 0. Wir ordnen die λi der Große nach wie folgt:

0 ≤ A := λ1 ≤ λ2 ≤ . . . ≤ λn =: B .

Im weiteren gibt es eine orthonormierte Basis (e1, . . . , en) von X, die G diagonali-siert. Wird diese Basis zugrundegelegt, so besitzt der Punkt x = (x1, . . . , xn) dasBild Gx = (λ1x1, . . . , λnxn). Hieraus ergeben sich die folgenden entscheidendenUngleichungen:

‖Tx‖2 = 〈Gx, x〉 =n∑k=1

λk |xk|2≥ A ‖x‖2

≤ B ‖x‖2.

Wir konnen daher den folgenden Satz aussprechen:

1 Unter der Gram-Matrix versteht man ublicherweise die Matrix der Skalarprodukte

〈ak, al〉. Das ist nicht die Matrix von G, sondern die Matrix der Abbildung TT∗:Y→Y.

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82 4 Frames

(4.2) Eine Kollektion a. = (a1, . . . , ar) von Vektoren ist genau dann ein Frame,wenn es Konstanten B ≥ A > 0 gibt mit

A ‖x‖2 ≤ ‖Tx‖2 ≤ B ‖x‖2 ∀x ∈ X .

Die Zahlen B ≥ A > 0 sind die Frame-Konstanten des Frames a. . Ist A = B, soheißt das Frame a. straff (englisch: tight). In diesem Fall gilt

‖Tx‖2 = A ‖x‖2 ∀x ∈ X ,

in Worten: T bildet X im wesentlichen isometrisch auf U ab; ferner ist dann

G = A · 1X ,

wobei 1X die identische Abbildung des Vektorraums X bezeichnet.

©1 Wir wahlen als X den Raum C2 mit Standard-Skalarprodukt (2). Fur eine festgewahlte Zahl r ≥ 2 betrachten wir nun die r Vektoren

aj :=1√2

(ωj , ωj) (0 ≤ j ≤ r − 1) ,

dabei haben wir zur Abkurzung ω := e2πi/r gesetzt. Bild 4.2 zeigt die erstenKoordinaten der Einheitsvektoren aj . Wir betrachten nun den zugehorigen Frame-Operator T : X → Cr. Fur allgemeines x = (x1, x2) ∈ X haben wir

(Tx)j = 〈x, aj〉 =1√2

(x1ωj + x2ω

j)

und folglich

‖Tx‖2 =1

2

r−1∑j=0

(x1ωj + x2ω

j)(x1ωj + x2ω

j) =↑

1

2

r−1∑j=0

(|x1|2 + |x2|2

)=r

2‖x‖2

(an der mit ↑markierten Stelle haben wir benutzt, daß∑r−1j=0 ω

2j = 0 ist). Aufgrund

der erhaltenen Identitat ist die Kollektion a. = (a0, . . . , ar−1) ein straffes Frame mitFrame-Konstanten A = r/2. Man kann r/2 als Maß fur die Redundanz des Framesa. interpretieren: Fur C2 wurden an sich 2 Basisvektoren genugen. ©

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4.1 Geometrische Betrachtungen 83

!

1/ 2

C (erste Koordinate)

a0

a1

Bild 4.2

©2 Es sei a. = (a1, . . . , an) eine orthonormierte Basis des Hilbertraums X. Danngilt

‖Tx‖2 =n∑j=1

|〈x, aj〉|2 = ‖x‖2 ∀x ∈ X ;

folglich ist a. ein straffes Frame mit A = 1. ©©3 Um die geometrische Anschauung zu verstarken, betrachten wir noch die fol-gende reelle Situation: Es seien

aj = (aj1, aj2, aj3) (1 ≤ j ≤ 3) (8)

drei linear unabhangige Vektoren im euklidischen R3. Schreibt man die drei Zeilen-vektoren (8) untereinander, so ergibt sich eine regulare (3× 3)-Matrix [M ].

Der Frame-Operator T bildet ein allgemeines x ∈ R3 ab auf den Vektor

Tx :=( 3∑k=1

a1kxk ,3∑k=1

a2kxk ,3∑k=1

a3kxk

)∈ R3

mit Betragsquadrat

‖Tx‖2 =

3∑j=1

( 3∑k=1

ajkxk

)2

=

3∑j=1

(∑k,l

ajkajlxkxl

)=∑k,l

( 3∑j=1

ajkajl

)xk xl .

Es geht also um die quadratische Form Q, deren Matrizenelemente Qkl gegebensind durch

Qk,l :=3∑j=1

ajkajl .

Das sind nicht die Skalarprodukte der aj , sondern die Skalarprodukte der Kolon-nenvektoren von [M ]. Es gilt also die Matrizengleichung [Q] = [M ]′ [M ], wobei hier

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84 4 Frames

der ′ die Transposition bezeichnet. Die symmetrische Matrix [Q] ist somit ebenfallsregular. Folglich ist die quadratische Form Q positiv definit und nimmt auf derEinheitssphare S2 ⊂ R3 ein Minimum A > 0 und ein Maximum B an. Daraus folgtsofort, daß die drei gegebenen Vektoren ein Frame mit Frame-Konstanten A und Bbilden. ©Wir wenden uns nun der zweiten Frage zu: Wie laßt sich der Vektor x ∈ X ausseinem Bild y := Tx zuruckgewinnen?

Es sei also a. = (a1, . . . , ar) ein Frame und G: X → X der zugehorige Gram-Operator. G ist regular, folglich existiert die Inverse G−1: X → X. Fur die weitereAbbildung

S := G−1T ∗: Y → X

giltST = G−1 T ∗T = G−1G = 1X ; (9)

in Worten: S ist Linksinverse des Frame-Operators T und laßt sich daher zur Rekon-struktion von x aus y = Tx verwenden. Ist das Frame a. straff, so ist G−1 = 1

A1Xund folglich S = 1

AT∗. In diesem Fall erhalt man also die Rucktransformation S

gratis, d.h. ohne Berechnung einer Inversen.

Wir betrachten jetzt die gegenuber (9) umgestellte Zusammensetzung

P := TS: Y → Y

und behaupten:

(4.3) P := TS ist die Orthogonalprojektion von Y auf den Unterraum U := im(T ).

Es bezeichne PU die angegebene Orthogonalprojektion. Jeder Vektor y ∈ Ybesitzt eine wohlbestimmte Zerlegung

y = u+ v , u = PU y ∈ U , v ∈ U⊥ .

Fur Vektoren u = Tx ∈ U folgt aus (9) die Identitat Pu = TSTx = Tx = u. Furein v ∈ U⊥ gilt

〈x, T ∗v〉 = 〈Tx, v〉 = 0 ∀x ∈ X .

Hieraus schließen wir auf T ∗v = 0, was Pv = T (G−1T ∗)v = 0 nach sich zieht. Imganzen ergibt sich

Py = Pu+ Pv = u = PU y ∀y ∈ Y .

Die Proposition (4.3) laßt sich folgendermaßen interpretieren: Fur Vektoren u ∈ Uist x := Su derjenige Vektor in X, dessen T -Bild gerade u ist, und fur ein beliebigesy ∈ Y ist x := Sy derjenige Vektor in X, dessen T -Bild am nachsten bei y liegt;

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4.1 Geometrische Betrachtungen 85

0

T

S := G!1 T * U

YX

x = Sy

y

Tx = Py

Bild 4.3

siehe dazu Bild 4.3. Damit haben wir eine einfache geometrische Beschreibung derAbbildung S: Y → X erhalten.

Nun kommt der nachste Schritt: Mit Hilfe von G−1 definieren wir die Vektoren

aj := G−1aj ∈ X (1 ≤ j ≤ r)

und nennen a. := (a1, . . . , ar) das zu a. duale Frame. Ist a. straff, so stimmen dieaj bis auf einen Faktor 1

A mit den aj uberein. Der folgende Satz faßt zusammen,was es uber die Beziehung zwischen a. und a. zu sagen gibt.

(4.4) Es sei a. ein Frame mit Frame-Konstanten B ≥ A > 0 und a. das zugehorigeduale Frame. Dann trifft folgendes zu:

(a) x =

r∑j=1

〈x, aj〉 aj ∀x ∈ X ;

in Worten: Die beiden Frames a. und a. ermoglichen zusammen eine Resolutionder Identitat von X.

(b) Fur beliebiges y = (y1, . . . yr) ∈ Y ist Sy gegeben durch Sy =∑rj=1 yj aj .

(c) Die Kollektion a. ist ein Frame mit Frame-Konstanten1

A≥ 1

B> 0.

(d) Das zu a. duale Frame ist a.; insbesondere gilt auch

x =

r∑j=1

〈x, aj〉 aj ∀x ∈ X .

(a) Mit (4) erhalt man ohne weiteres

x = G−1(Gx) = G−1(∑

j

〈x, aj〉 aj)

=∑j

〈x, aj〉 aj .

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86 4 Frames

(b) Mit (3) ergibt sich

Sy = G−1T ∗(∑

j

yj ej

)= G−1

(∑j

yj aj

)=∑j

yj aj .

(c) Es bezeichne T den zu der Kollektion a. gehorigen Frame-Operator. Mit G istauch G−1 selbstadjungiert, folglich gilt

(T x)j = 〈x, aj〉 = 〈x,G−1aj〉 = 〈G−1x, aj〉 =(T (G−1x)

)j

fur alle x und alle j. Dies beweist

T = T G−1 , (10)

und mit (6) ergibt sich

‖T x‖2 = ‖T (G−1x)‖2 = 〈G(G−1x), G−1x〉 = 〈x,G−1x〉 .

Mit Hilfe der orthonormierten Basis (e1, . . . , en) von X, die G und G−1 diagonali-siert, erhalten wir nunmehr die Abschatzungen

‖T x‖2 = 〈x,G−1x〉 =n∑i=1

1

λi|xi|2

≥ 1

B ‖x‖2

≤ 1A ‖x‖2

.

(d) Der zu a. gehorige Gram-Operator G berechnet sich mit (10) wie folgt:

G := T ∗ T = G−1T ∗ TG−1 = G−1 .

Hiernach gilt≈aj := G−1aj = Gaj = aj fur alle j, was zu beweisen war.

Ist r > n := dim(X), so sind die aj linear abhangig, und es gibt unendlich vieleDarstellungen eines gegebenen Vektors x ∈ X als Linearkombination der aj . DieDarstellung (4.4)(a) ist folgendermaßen ausgezeichnet:

(4.5) Es seien a. und a. duale Frames, und es sei x =∑rj=1 ξj aj eine beliebige

Darstellung des Vektors x ∈ X als Linearkombination der aj . Dann ist

r∑j=1

|ξj |2 ≥r∑j=1

∣∣〈x, aj〉∣∣2 ,und zwar gilt das Gleichheitszeichen nur, wenn ξj = 〈x, aj〉 fur 1 ≤ j ≤ r.

Betrachte den Punkt (ξ1, . . . ξr) =: y ∈ Y . Nach (4.4)(b) ist x = Sy, und mit(4.3) ergibt sich Tx = TSy = PUy. Hieraus folgt sofort

‖Tx‖2 = ‖PUy‖2 ≤ ‖y‖2 ,

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4.2 Der allgemeine Frame-Begriff 87

und zwar kann das Gleichheitszeichen nur gelten, wenn y = PUy = Tx ist. Werdendie angefuhrten Sachverhalte in Koordinaten ausgedruckt, so resultieren gerade dieBehauptungen des Satzes.

Man kann es so sehen: Die ,,naturliche“ Darstellung (4.4)(a) benotigt am wenigsten,,Koeffizientenenergie“.

4.2 Der allgemeine Frame-Begriff

Nach den vorangegangenen Betrachtungen sind wir bereit fur die folgenden allge-meinen Dispositionen:

X ist ein komplexer Hilbertraum, dessen Vektoren wir mit f , h und ahnlichenBuchstaben bezeichnen. Man sollte sich X unendlichdimensional vorstellen.

M ist eine ,,abstrakte“ Menge von Punkten m. Auf M ist ein Maß µ definiert,das jeder meßbaren Teilmenge E ⊂ M einen ,,Inhalt“ µ(E) ∈ [ 0,∞ ] zuweist. Diemeßbaren Teilmengen bilden eine sogenannte σ-Algebra F , und es ist dafur gesorgt,daß jede ,,vernunftige“ Teilmenge von M zu F gehort. Nach allgemeinen Prinzi-pien laßt sich dann auf M Integralrechnung betreiben, und es hat einen Sinn, zumBeispiel von dem Hilbertraum Y := L2(M,µ) zu sprechen. Das Paar (M,µ) istdie Abstraktion des Paars

(1, 2, . . . , r,#

), das im vorangehenden Abschnitt eine

prominente Rolle gespielt hat.

Weiter ist eine Familie h. :=(hm |m ∈ M

)von Vektoren hm ∈ X gegeben; In-

dexmenge ist also der Maßraum M . Die hm stellen (wie die aj des vorangehen-den Abschnitts) eine Art Meßsonden dar, mit denen nun die Vektoren f ∈ Xmoglichst umfassend ausgeforscht werden sollen. In Abschnitt 1.5 haben wir von,,Abfragemustern“ gesprochen.

Fur ein gegebenes f ∈ X werden namlich die samtlichen Skalarprodukte

Tf(m) := 〈f, hm〉 (m ∈M)

gebildet. Auf diese Weise erhalt man einen Datensatz(Tf(m) |m ∈ M

)bzw. eine

Funktion Tf : M → C. Das auf M eingerichtete Integral setzt uns nun instand, dieErgiebigkeit der vorgenommenen Messungen zu quantifizieren: Ein naturliches Maßfur die uber f erhaltene Information ist das L2-Integral

‖Tf‖2 :=

∫M

|Tf(m)|2 dµ(m) (≤ ∞) . (1)

Damit kommen wir zu der folgenden Definition: Die Familie h. ist ein Frame, wennfolgende Bedingungen erfullt sind:

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88 4 Frames

• Die Funktion Tf ist µ-messbar fur alle f ∈ X, so daß das Integral (1) uberhauptSinn macht.

• Es gibt Konstanten B ≥ A > 0 mit

A ‖f‖2 ≤(a)

‖Tf‖2 ≤(b)

B ‖f‖2 ∀ f ∈ X .

Hier garantiert (b), daß der Frame-Operator

T : X → CM , f 7→ Tf

ein beschrankter Operator von X nach Y := L2(M,µ) ist. Die (heiklere) Un-gleichung (a) stellt sicher, daß T injektiv ist, so daß bei dem ganzen Prozeß keineInformation verlorengeht.

Wenn wir gerade dabei sind, erklaren wir noch den verwandten Begriff der Riesz-Basis, der im Zusammenhang mit der diskreten Wavelet-Transformation ebenfallseine Rolle spielen wird. Hier ist M von vorneherein abzahlbar, und µ ist dasZahlmaß # auf M . Eine Familie h. =

(hm |m ∈ M

)von Vektoren hm ∈ X ist

eine Riesz-Basis von X, wenn folgende Bedingungen erfullt sind:

• span(h.) = X .

• Es gibt Konstanten B ≥ A > 0 mit

A∑m

|ξm|2 ≤(c)

∣∣∣∑m

ξm hm

∣∣∣2 ≤ B∑m

|ξm|2 ∀ ξ. ∈ l2(M) . (2)

Anders ausgedruckt: Die Abbildung

K: l2(M)→ X , ξ. 7→∑m

ξm hm

ist ein beschrankter Operator mit beschranktem Inversen K−1: X → l2(M).

Die Relation zwischen den beiden Begriffen Frame und Riesz-Basis ist nicht offen-sichtlich, da in den Definitionen von ganz verschiedenen Dingen die Rede ist. Wirbeweisen darum:

(4.6) Eine Riesz-Basis h. mit Konstanten B ≥ A > 0 ist automatisch ein Framemit A und B als Frame-Konstanten.

Es bezeichne(em |m ∈ M

)die kanonische orthonormierte Basis von l2(M).

Dann ist Kem = hm und folglich

Tx :=∑m

〈x, hm〉em =∑m

〈x,Kem〉em =∑m

〈K∗x, em〉em = K∗x

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4.2 Der allgemeine Frame-Begriff 89

fur alle x ∈ X. Nach allgemeinen Prinzipien der Funktionalanalysis folgen aus (2)die analogen Ungleichungen fur K∗ = T ; somit gilt dann auch

A ‖f‖2 ≤ ‖Tf‖2 ≤ B ‖f‖2 .

Die folgende pauschale Formulierung durfte der Wahrheit nahekommen: Eine Riesz-Basis ist ein Frame, dessen Vektoren (auch im Limes) linear unabhangig sind. DieUngleichung (c) in (2) garantiert namlich, daß eine nichttriviale Linearkombination∑m ξm hm nicht den Nullvektor darstellen kann.

Im endlichdimensionalen Fall ließen sich G−1 und das zu a. duale Frame a. durchInversion einer Matrix bestimmen. In der jetzigen Situation ist ein Operator

G : X → X , dim(X) =∞ ,

zu invertieren. Dies laßt sich mit Hilfe eines Iterationsverfahrens bewerkstelligen,das umso besser konvergiert, je naher der Quotient B

A bei 1 liegt. Wir beweisendaruber:

(4.7) Es sei h. ein Frame mit Frame-Konstanten B ≥ A > 0. Wird fur beliebigesy ∈ X die Iteration

x0 := 0 , xn+1 := xn +2

A+B(y −Gxn) (n ≥ 0)

angesetzt, so gilt limn→∞ xn = G−1 y .

In der numerischen Praxis (gemeint ist: bei der konkreten Berechnung der Frame-Vektoren aj := G−1aj) wird man das Verfahren abbrechen, sobald die Inkremente

2A+B (y −Gxn) vernachlassigbar klein geworden sind.

Mit

R := 1X −2

A+BG

laßt sich die Iterationsvorschrift in der Form

xn+1 :=2

A+By + Rxn

schreiben. Nun ist G ein positiv definiter selbstadjungierter Operator, und nachVoraussetzung uber T gilt A1X ≤ G ≤ B 1X . Hieraus folgt∥∥∥G− A+B

21X

∥∥∥ ≤ B −A2

;

somit ist

‖R‖ =∥∥∥ 2

A+BG− 1X

∥∥∥ ≤ B −AB +A

=B/A− 1

B/A+ 1< 1 .

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90 4 Frames

Nach dem Kontraktionsprinzip bzw. dem allgemeinen Fixpunktsatz existiert daherder limn→∞ xn =: x ∈ X, und es gilt

x = x+2

A+B(y −Gx) .

Dies impliziert y −Gx = 0 und damit x = G−1y, wie behauptet.

Von den hier entwickelten Ideen kennen wir im Augenblick zwei Anwendungsfalle:Erstens naturlich das in Abschnitt 4.1 dargestellte endlichdimensionale Modell undzweitens die kontinuierliche Wavelet-Transformation. Letztere soll jetzt in demneugeschaffenen Rahmen (framework!) nocheinmal interpretiert werden.

X ist der Raum L2(R) der Zeitsignale f , und M ist die Menge

R2− :=

(a, b)

∣∣ a ∈ R∗ , b ∈ R,

versehen mit dem Maß dµ := dadb/|a|2 . Der Raum Y := L2(M) ist der in Kapitel 3mit H bezeichnete Raum L2(R2

−, dµ).

Nachdem ein Mutter-Wavelet ψ gewahlt ist, bildet man vermoge

ψa,b(t) :=1

|a|1/2 ψ( t− b

a

)die Familie

ψ. :=(ψa,b | (a, b) ∈ R2

−)

von Vektoren ψa,b ∈ L2. Der zugehorige Frame-Operator T verwandelt jede Funk-tion f ∈ L2 in eine Funktion Tf : R2

− → C nach der Vorschrift

Tf(a, b) := 〈f, ψa,b〉 = Wf(a, b)(

(a, b) ∈ R2−).

Wir sehen: Die Wavelet-Transformation ist nichts anderes als der Frame-OperatorT zu der Familie ψ. . Nach Satz (3.3) gilt

‖Wf‖2 = Cψ ‖f‖2 ∀f ∈ L2

mit Cψ := 2π

∫R∗

|ψ(a)|2|a| da. Damit ist folgendes erwiesen:

(4.8) Fur jedes beliebige Wavelet ψ ist die Familie ψ. ein straffes Frame mit Frame-Konstanten Cψ.

Unter diesen Umstanden ist G−1 =1Cψ

1X , und die Formeln

ψa,b =1

Cψψa,b

((a, b) ∈ R2

−)

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4.3 Diskrete Wavelet-Transformation 91

liefern das duale Frame ψ. . Die Formel (4.4)(a), die einen gegebenen Vektor x ∈ Xaus den Werten (Tx)j := 〈x, aj〉 wiederherstellt, verwandelt sich sinngemaß in

f =

∫R2−

dadb

|a|2 Wf(a, b)1

Cψψa,b ∀f ∈ L2 , (3)

in Ubereinstimmung mit (3.7) bzw. 3.3.(4). Nun bezog sich naturlich (4.4)(a)auf eine endlichdimensionale Situation, und die Valabilitat von (3) ist damit nichtgesichert. In der Tat gilt (3) nur ,,schwach“ oder dann unter weitergehenden Vor-aussetzungen uber f und ψ, siehe dazu die Ausfuhrungen in Abschnitt 3.3.

4.3 Diskrete Wavelet-Transformation

Das Shannon-Theorem (Abschnitt 2.4) leistet die vollstandige Wiederherstellungeines bandbegrenzten Zeitsignals f aus einem diskreten Satz

(f(kT ) | k ∈ Z

)von

Meßdaten. In diesem Abschnitt geht es nun darum, etwas Ahnliches fur die Wavelet-Transformation zu erreichen. Die Meßdaten sind jetzt nicht f -Werte in Gitterpunk-ten kT , sondern eben Resultate von ,,Waveletmessungen“, also geeignet ausgewahlteWerte der Wavelet-TransformiertenWf : R2

−→ C. Man darf nicht vergessen, daß einSignal f in seiner Wavelet-TransformiertenWf mit unerhorter Redundanz abgelegtist. Unter diesen Umstanden kommt es nicht ganz uberraschend, wenn schon eindiskreter Satz von Wf -Werten genugt, um f als L2-Objekt unzweideutig festzule-gen, gegebenenfalls auch punktweise zu reproduzieren, und dies ohne die Voraus-setzung, daß f bandbegrenzt ist.

Wir beschranken uns auf eine abzahlbare Teilmenge

M :=

(am, bm,n)∣∣ m,n ∈ Z

⊂ R2

>

gemaß folgender Vereinbarung: Es wird ein Zoomschritt σ > 1 gewahlt (am verbrei-tetsten ist σ := 2) sowie ein Grundschritt β > 0. Diese beiden Parameter werdenim weiteren festgehalten. Hierauf setzt man

am := σm , bm,n := nσm β (m,n ∈ Z) ;

negative a-Werte werden nicht mehr in Betracht gezogen. Die resultierende MengeM ist in Bild 4.4 dargestellt.

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92 4 Frames

a

!

1" " "

!m

!m"

b

(m = 0)

(m < 0)

Bild 4.4

Strukturell, das heißt: fur die Zwecke der Adreßverwaltung, ist M ∼ Z×Z. Welchesist nun das richtige Maß auf diesem M ? Jeder Punkt (am, bm,n) ∈ M vertritt ein

Rechteck Rm,n der Breite σmβ und der Hohe σm√σ − σm/√σ in der (a, b)-Ebene

(Bild 4.5), und die Rm,n bilden eine disjunkte Zerlegung der oberen Halbebene R2> .

Der µ-Inhalt von Rm,n berechnet sich zu

µ(Rm,n) = σmβ

∫ σm√σ

σm/√σ

da

a2=

β√σ

(σ − 1) ,

unabhangig von m und n. Dieser Sachverhalt bringt uns dazu, auf der Menge M ∼Z2 das Zahlmaß # zugrundezulegen. Der Raum Y des vorangehenden Abschnittswird damit zu Y := l2(Z2).

Es sei nun ψ ein fest gewahltes Mutter-Wavelet. Von den Waveletfunktionen ψa,b ,(a, b) ∈ R2

−, werden nur die zu den Punkten (am, bm,n) ∈M gehorenden zuruckbe-halten und naturlich umadressiert: ψσm, n σm β =: ψm,n . Damit besteht nun dieFamilie

ψ. :=(ψm,n | (m,n) ∈ Z2

)aus den folgenden Waveletfunktionen:

ψm,n(t) := σ−m/2 ψ( t− nσmβ

σm

)= σ−m/2 ψ(σ−mt− nβ) .

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4.3 Diskrete Wavelet-Transformation 93

Rm, n

(am, bm, n)

!m"!m/ !

!m

!m !

Bild 4.5

Der dazugehorige Frame-Operator T : f 7→ Tf ist uber die Formel

Tf(m,n) := 〈f, ψm,n〉 =Wf(am, bm,n)((m,n) ∈ Z2

)(1)

an die Wavelet-Transformation W: f 7→ Wf angeschlossen.

Damit kommen wir zu der entscheidenden Frage: Unter welchen Voraussetzungenuber ψ, σ und β ist die Kollektion ψ. uberhaupt ein Frame, und welches sind dieresultierenden Frame-Konstanten?

In [D], Th. 3.3.1, wird folgende notwendige Bedingung bewiesen:

(4.9) Es sei ψ ein Wavelet, und es seien C−, C+ definiert durch

C− := 2π

∫<0

|ψ(ξ)|2|ξ| dξ , C+ := 2π

∫>0

|ψ(ξ)|2|ξ| dξ .

Dann bestehen folgende Beziehungen zwischen σ, β und den erzielbaren Frame-Konstanten A und B:

A ≤ minC−, C+β log σ

, B ≥ maxC−, C+β log σ

.

Insbesondere ist A = B nur moglich, falls C− = C+. Dies hat damit zu tun, daßwir negative a-Werte verworfen haben; vergleiche dazu die analoge Bedingung inSatz (3.4). Fur den Beweis von (4.9) verweisen wir auf [D].

Interessanter ist naturlich ein Satz in der anderen Richtung: Unter genau bezeich-neten Umstanden wird garantiert, daß ψ. ein Frame ist mit Frame-KonstantenB ≥ A > 0 innerhalb vorgegebener Toleranzen.

Der Zoomschritt σ > 1 sei gegeben. Ein Wavelet ψ heißt fur die Zwecke der folgen-den Betrachtungen zulaßig , wenn die Fourier-Transformierte ψ die nachstehendenBedingungen (a) und (b) erfullt.

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94 4 Frames

(a) Es gibt Konstanten α > 0, ρ > 0 und C mit

|ψ(ξ)| ≤

C|ξ|α

(|ξ| ≤ 1

)C

|ξ|1+2ρ

(|ξ| ≥ 1

) . (2)

Diese Bedingung ist an sich harmlos und dient in erster Linie zur Einfuhrung derKonstanten α, ρ und C. Ist zum Beispiel tψ ∈ L1 und ψ′ von beschrankter Varia-tion, so gelten Abschatzungen der Form (2) mit α = 1 und ρ = 1

2 .

(b) Es gibt eine Konstante A′ > 0 mit

∞∑m=−∞

∣∣ψ(σmξ)∣∣2 ≥ A′ (1 ≤ |ξ| ≤ σ) . (3)

Weil die linke Seite von (3) gegenuber der Streckung ξ 7→ σξ invariant ist, kannman sich auf den Prufbereich 1 ≤ |ξ| ≤ σ beschranken. Die Bedingung druckt aus,

daß die Nullstellen von ψ nicht ,,logarithmisch konspirieren“ durfen. Insbesonderedarf der Trager von ψ nicht in einem einzigen Intervall ]b, σb[ Platz haben. Wenn ψzum Beispiel endliche Ordnung N aufweist, so gibt es wegen 3.5.(3) ein h > 0 mit

ψ(ξ) 6= 0 (0 < |ξ| < h) ,

und (3) ist gesichert.

Die Konstanten α, ρ, C und A′ heißen im folgenden Parameter von ψ. — Wirkonnen nun den zentralen Satz dieses Kapitels formulieren:

(4.10) Der Zoomschritt σ > 1 sei vorgegeben. Es sei ψ ein zulaßiges Wavelet mitParametern α, ρ, C und A′. Dann gibt es Konstanten β0, B′ und C ′, so daß folgen-des zutrifft: Ist der Grundschritt β < β0, so ist die Familie ψ. =

(ψm,n | (m,n) ∈ Z2

)ein Frame mit Frame-Konstanten

A =2π

β(A′ − C ′β1+ρ) , B =

β(B′ + C ′β1+ρ) .

Den Beweis dieses Satzes erbringen wir im nachsten Abschnitt. An dieser Stellebegnugen wir uns mit der folgenden heuristischen Betrachtung: Wir mussen zeigen,daß der Operator T die Frame-Bedingung

A ‖f‖2 ≤ ‖Tf‖2 ≤ B‖f‖2 ∀f ∈ L2 (4)

erfullt. Nach (1) ist

‖Tf‖2 =∑m,n

|Tf(m,n)|2 =∑m,n

∣∣Wf(σm, n σmβ)∣∣2 . (5)

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4.3 Diskrete Wavelet-Transformation 95

Unsere Uberlegung mit den Rechtecken Rm,n zeigt, daß wir hier die Summe rechterHand im wesentlichen als eine Riemannsche Summe fur das Integral∫

R2>

dadb

a2|Wf(a, b)|2

auffassen konnen, und dieses Integral hat nach Satz (3.4) den Wert C ′ψ ‖f‖2 .

Es ist daher plausibel, daß ‖Tf‖2 fur hinreichend kleine σ > 1 und β > 0 dieGroßenordnung von ‖f‖2 hat, wie in (4) verlangt. Der Satz (4.10) zeigt, daß inWahrheit unter sehr bescheidenen Annahmen uber ψ der Datensatz(

Tf(m,n) | (m,n) ∈ Z2)

(6)

alle features der gerade analysierten Funktion f beinhaltet, wenn nur β klein genuggewahlt wird; man durfte also ruhig σ := 2 nehmen.

Fur die Rekonstruktion von f aus den abgespeicherten Daten (6) benotigt man daszu ψ. duale Frame ψ. . Ist ψ. nicht straff, so sind die ψm,n mit Hilfe von

ψm,n := G−1(ψm,n)

zu berechnen. Leider gehen die ψm,n nicht durch Dilatation und Translation aus

einem einzigen ψ hervor; es sei denn, ψ werde sehr speziell gewahlt. Wir uberlegenhierzu folgendermaßen:

Die beiden Operatoren

D: L2 → L2 , Df(t) :=1√σf( tσ

)und

S: L2 → L2 , Sf(t) := f(t− β)

sind unitar; somit ist D∗ = D−1 und S∗ = S−1. Betrachte nun den Gram-OperatorG, gegeben durch

Gf :=∑m,n

〈f, ψm,n〉ψm,n .

Bezuglich D gilt

Dψm,n(t) =1√σψm,n

( tσ

)=

1

σ(m+1)/2ψ( t/σσm− nβ

)= ψm+1,n(t)

und folglich

D(Gf) =∑m,n

〈f, ψm,n〉Dψm,n =∑m,n

〈f, ψm,n〉ψm+1,n =∑m,n

〈f, ψm−1,n〉ψm,n

=∑m,n

〈f,D−1ψm,n〉ψm,n =∑m,n

〈Df,ψm,n〉ψm,n = G(Df) .

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96 4 Frames

Dann kommutiert naturlich auch G−1 mit D, und wir erhalten

ψm,n = G−1(ψm,n) = G−1Dm(ψ0,n) = DmG−1(ψ0,n) , (7)

das heißt:

ψm,n(t) =1

σm/2ψ0,n

( t

σm

).

Leider ist G nicht mit S vertauschbar; die eben durchgefuhrte Rechnung (7) laßtsich also nicht mutatis mutandis wiederholen: In der Formel

S(Gf) =∑m,n

〈f, ψm,n〉Sψm,n

sind die Sψm,n nicht irgendwelche anderen ψm′,n′ wie die Dψm,n, sondern sehenfolgendermaßen aus:

Sψm,n(t) = ψm,n(t− β) =1

σm/2ψ( t

σm− (n+ σ−m)β

),

und hier ist n + σ−m im allgemeinen keine ganze Zahl. — Hieraus zieht manden Schluß, daß die ψ0,n einzeln bestimmt werden mussen und nicht miteinanderverwandt sind.

Man wird also unter allen Umstanden darnach trachten, von vorneherein ein straffesFrame ψ. zu wahlen. Daß das moglich ist, zeigt der folgende Satz:

(4.11) Die Fourier-Transformierte ψ des Wavelets ψ besitze kompakten Trager imIntervall I := [ω, ω′ ], ω′ > ω > 0 , und es gelte

∞∑m=−∞

|ψ(σmξ)|2 ≡ A′ > 0 (1 ≤ ξ ≤ σ) .

Dann ist ψ. =(ψm,n | (m,n) ∈ Z2

)mit Zoomschritt σ und Grundschritt

β ≤ 2π

ω′ − ω

ein straffes Frame fur reellwertige Zeitsignale f ∈ L2.

Wir durfen ohne Einschrankung der Allgemeinheit

β :=2π

ω′ − ω (8)

annehmen. Aufgrund der Parsevalschen Formel (2.11) und Regel 3.1.(8) ist

‖Tf‖2 =∑m,n

∣∣〈f , ψm,n〉∣∣2 =∑m,n

σm∣∣∣∣∫ f(ξ) ψ(σmξ) einσ

mβξ dξ

∣∣∣∣2 .

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4.3 Diskrete Wavelet-Transformation 97

Setzen wir fur den Moment

g(ξ) := f(ξ) ψ(σmξ) ,

so konnen wir ‖Tf‖2 in der Form

‖Tf‖2 =∑m,n

σm∣∣∣∣∫ g(ξ)einσ

mβξ dξ

∣∣∣∣2 =∑m,n

σm |Qmn|2

schreiben; dabei ist

Qmn :=

∫σ−mI

g(ξ) einσmβξ dξ

(die Funktion g ist außerhalb σ−mI identisch 0). Die Funktionen

ξ 7→ einσmβ ξ (n ∈ Z)

sind die periodischen Grundfunktionen fur ein Intervall der Lange

σ−m2π

β= σ−m(ω′ − ω) ,

also fur σ−mI. Nach den Formeln (2.8) ist daher

Qmn = σ−m2π

βg(−n) ,

und durch Summation uber n ergibt sich (m ist fest):

∑n

|Qmn|2 = σ−2m(2π

β

)2 ∑n

|g(n)|2 =↑σ−m

β

∫σ−mI

|g(ξ)|2 dξ

= σ−m2π

β

∫>0

|f(ξ)|2 |ψ(σmξ)|2 dξ ;

dabei haben wir an der Stelle ↑ die in (2.8) angegebene Parsevalsche Formel furPeriodenlange σ−m · 2π/β angewandt. Damit erhalten wir

‖Tf‖2 =∑m,n

σm|Qmn|2 =2π

β

∫>0

|f(ξ)|2(∑m

|ψ(σmξ)|2)dξ

=2π

βA′∫>0

|f(ξ)|2 dξ =πA′

β‖f‖2 .

Erst ganz am Schluß haben wir benutzt, daß f reellwertig ist. Dann gilt namlich

die Identitat f(−ξ) ≡ f(ξ) .

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98 4 Frames

Damit stehen wir vor der Aufgabe, ein Wavelet ψ zu produzieren, das den Voraus-setzungen von Satz (4.11) genugt. Da diese Voraussetzungen die Fourier-Trans-

formierte ψ betreffen, liegt es nahe, mit ψ zu beginnen. In dem folgenden Beispielvon Daubechies-Grossmann-Meyer wird ein passendes ψ mit einfachen Formeln be-schrieben; das Wavelet ψ selber muß dann (numerisch) errechnet werden. DieseRucktransformation betrifft aber nur eine einzige Funktion und kann ein fur allemaldurchgefuhrt werden, bevor man mit der Analyse von irgendwelchen Signalen fbeginnt.

©1 Wir benotigen die Hilfsfunktion

ν(x) :=

0 (x ≤ 0)

10x3 − 15x4 + 6x5 (0 ≤ x ≤ 1)

1 (x ≥ 1)

(9)

(oder eine andere Funktion mit ahnlichen Eigenschaften). Im Intervall 0 ≤ x ≤ 1ist

ν(x) := 30

∫ x

0

t2(1− t)2 dt .

Da hier der Integrand an den Stellen 0 und 1 eine zweifache Nullstelle hat, imubrigen positiv und bezuglich t = 1

2 symmetrisch ist (siehe Bild 4.6), ergibt sich,daß ν(x) im Intervall 0 ≤ x ≤ 1 monoton von 0 bis 1 wachst mit C2-Anschlussenan den Stellen 0 und 1. Ferner gilt

ν(1− x) ≡ 1− ν(x) ∀x ∈ R , (10)

was spater noch eine Rolle spielen wird.

t, x

y = ! (x)

y

1

11/20

y = t2 (1!t)2

Bild 4.6

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4.3 Diskrete Wavelet-Transformation 99

Es seien σ > 1 und β > 0 gegeben. Mit

ω :=2π

(σ2 − 1)β, ω′ := σ2ω

ist (8) erfullt. Wir definieren nun ψ mit Trager I := [ω, ω′ ] durch

ψ(ξ) :=√A′ ·

sin(π

2ν( ξ − ωσω − ω

))(ω ≤ ξ ≤ σω)

cos(π

2ν( ξ − σωσ2ω − σω

))(σω ≤ ξ ≤ σ2ω)

0 (sonst)

(11)

(siehe Bild 4.7), wobei die Konstante A′ durch die Bedingung ‖ψ‖ = 1 bestimmtwird.

1

0 2!/3 4!/3 8!/3"

#

($ = 2, % = 1)ˆ

Bild 4.7

Wie bereits fruher bemerkt, ist die Funktion

Ψ(ξ) :=∑m

|ψ(σmξ)|2

invariant bezuglich ξ 7→ σξ. Betrachten wir sie im ξ-Intervall [ω, σω ], so geben nurdie zwei Terme mit m = 0 und m = 1 einen Beitrag. Man findet

Ψ(ξ) = |ψ(ξ)|2 + |ψ(σξ)|2 = A′(

sin2(π2 ν(x)

)+ cos2

(π2 ν(x)

))≡ A′ ;

dabei wurde zur Abkurzungξ − ωσω − ω =: x

gesetzt.

Soviel zu ψ ; das (komplexwertige) Wavelet ψ mit dieser Fourier-Transformiertenist in Bild 4.8 zu sehen; Re(ψ) ist eine gerade, Im(ψ) eine ungerade Funktion. —Wir werden auf dieses Beispiel zuruckkommen. ©

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100 4 Frames

y

y = Im(!(t))

y = Re(!(t))

t4321

Bild 4.8 Das Daubechies-Grossmann-Meyer-Wavelet zu σ= 2, β= 1

4.4 Beweis des Satzes (4.10)

Der nachfolgende Beweis stutzt sich im wesentlichen auf [D], Abschnitt 3.3.2.

Wir stehen vor der Aufgabe, die Summe rechter Hand in 4.3.(5) moglichst genauabzuschatzen. Hierzu beginnen wir mit 3.1.(9):

Wf(a, b) = |a|1/2∫f(ξ) ψ(aξ) eibξ dξ

und setzen zur Abkurzung

f(ξ) ψ(aξ) =: g(ξ) . (1)

Damit ergibt sich, b 6= 0 vorausgesetzt:

Wf(a, nb) = |a|1/2∫ 2π/b

0

einbξ∑l

g(ξ + l

b

)dξ . (2)

Die Funktion

G(ξ) :=∑l

g(ξ + l

b

)

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4.4 Beweis des Satzes (4.10) 101

ist periodisch mit Periode 2πb . Nach den Formeln (2.8) konnen wir daher (2) inter-

pretieren als

Wf(a, nb) = |a|1/2 · 2π

bG(−n) ,

und durch Summation uber n ergibt sich

∑n

|Wf(a, nb)|2 = |a|(2π

b

)2 ∑n

|G(n)|2 = |a| 2πb

∫ 2π/b

0

|G(ξ)|2 dξ . (3)

Hier wurde zuletzt die in (2.8) angefuhrte Parsevalsche Formel fur Periodenlange2πb benutzt.

Wir untersuchen nun das letzte Integral genauer:∫ 2π/b

0

|G(ξ)|2 dξ =

∫ 2π/b

0

∑k,l

g(ξ + l

b

)g(ξ + k

b

)dξ

=∑k,l

∫ 2π/b

0

g(ξ + l

b

)g(ξ + k

b

)dξ .

Hier substituieren wir ξ + l 2πb =: ξ′ und erhalten weiter∫ 2π/b

0

|G(ξ)|2 dξ =∑k,l

∫ 2(l+1)π/b

2lπ/b

g(ξ′) g(ξ′ + (k − l) 2π

b

)dξ′

=∑k

∫g(ξ) g

(ξ + k

b

)dξ .

Tragen wir das in (3) ein, so konnen wir

∑n

|Wf(a, nb)|2 =2π |a|b

∑k

∫g(ξ) g

(ξ + k

b

)dξ

notieren. Wir setzen hier

a := σm , b := σmβ (m ∈ Z)

und summieren auch noch uber m. Es ergibt sich

‖Tf‖2 =∑m,n

∣∣Wf(σm, nσmβ)∣∣2 =

β

∑k,m

Qkm , (4)

wobei die Qkm nach Definition (1) von g folgendermaßen aussehen:

Qkm :=

∫f(ξ) ψ(σmξ) f

(ξ + k

σmβ

)ψ(σmξ + k

β

)dξ .

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102 4 Frames

Es wird sich herausstellen, daß in (4) die Terme mit k = 0 den Lowenanteil aus-machen. Wir schreiben daher

‖Tf‖2 =2π

β

(∫|f(ξ)|2

∑m

|ψ(σmξ)|2 dξ + Q

),

wobei die samtlichen Terme Qkm mit k 6= 0 im Rest Q zusammengefaßt sind. Umden Hauptteil und den Rest gegeneinander ausspielen zu konnen, benotigen wir dasfolgende Lemma:

(4.12) Es sei ψ ein zulaßiges Wavelet mit Parametern α, ρ, C und A′. Dann gibtes erstens ein B′ mit ∑

m

|ψ(σmξ)|2 ≤ B′ ∀ξ ∈ R ,

und zweitens gilt|Q| ≤ C ′ β1+ρ ‖f‖2 (5)

mit einem C ′, das unabhangig ist von β.

Nach Definition 4.3.(3) von A′ haben wir dann

β(A′ − C ′β1+ρ) ‖f‖2 ≤ ‖Tf‖2 ≤ 2π

β(B′ + C ′β1+ρ) ‖f‖2 ,

wie behauptet. Damit ist Satz (4.10), modulo das Lemma, bewiesen.

Wir holen nun den Beweis von Lemma (4.12) nach.

Um die Summe∑m |ψ(σmξ)|2 nach oben abzuschatzen, mussen wir die Terme

mit m < 0 und diejenigen mit m ≥ 0 getrennt behandeln und dabei jeweils diepassende Ungleichung fur ψ verwenden. Es ergibt sich∑

m

∣∣ψ(σmξ)∣∣2 ≤ sup

1≤|ξ|≤σ

∑m

∣∣ψ(σmξ)∣∣2

≤ C2

(∑m<0

(σm+1

)2α+∑m≥0

1(σm)2(1+2ρ)

)=: B′ .

Nun zu (5). Wir fassen Qkm als ein Skalarprodukt auf, wobei wir die vorhandenenFaktoren noch passend aufteilen. Nach der Schwarzschen Ungleichung ergibt sich

|Qkm| ≤(∫ ∣∣f(ξ)

∣∣2 ∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + 2kπ/β)

∣∣ dξ)1/2

×(∫ ∣∣f(ξ + 2kπ/(σmβ))∣∣2 ∣∣ψ(σmξ)

∣∣ ∣∣ψ(σmξ + 2kπ/β)∣∣ dξ)1/2

.

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4.4 Beweis des Satzes (4.10) 103

Substituieren wir hier im zweiten Faktor ξ + 2kπ/(σmβ) =: ξ′, so folgt

|Qkm| ≤(∫ ∣∣f(ξ)

∣∣2 ∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + 2kπ/β)

∣∣ dξ)1/2

×(∫ ∣∣f(ξ)∣∣2 ∣∣ψ(σmξ)

∣∣ ∣∣ψ(σmξ − 2kπ/β)∣∣ dξ)1/2

.

Die |Qkm| sind nun uber alle k 6= 0 und alle m zu summieren. Fur die innere Summeuber m verwenden wir die Schwarzsche Ungleichung in der Form∑

m

(√xm ·

√ym)≤√∑

m xm ·√∑

m ym ;

es ergibt sich

|Q| ≤∑k 6=0

(∫ ∣∣f(ξ)∣∣2 ∑

m

∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + 2kπ/β)

∣∣ dξ)1/2

×

(∫ ∣∣f(ξ)∣∣2 ∑

m

∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ − 2kπ/β)

∣∣ dξ)1/2

.

(6)

Die Summen uber m werden nun nach oben abgeschatzt mit Hilfe der Funktion

q(s) := supξ

∑m

∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + s)

∣∣ ,wobei es an sich genugen wurde, das Supremum uber 1 ≤ |ξ| ≤ σ zu erstrecken.Die Ungleichung (6) geht damit uber in

|Q| ≤ ||f ||2∑k 6=0

√q(2kπ/β) q(−2kπ/β) . (7)

Bei der Abschatzung von q(·) durfen wir von vorneherein β ≤ π annehmen; somitwerden nur Werte q(s) mit |s| ≥ 2 benotigt. Die Terme mit m < 0 und die mitm ≥ 0 mussen wiederum getrennt behandelt werden. Wir bilden also

q−(s) := sup1≤|ξ|≤σ

∑m<0

∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + s)

∣∣ , q+(s) := sup1≤|ξ|≤σ

∑m≥0

. . . ;

dann gilt jedenfallsq(s) ≤ q−(s) + q+(s) . (8)

Es sei zunachst m < 0. Aus |ξ| ≤ σ und |s| ≥ 2 folgt

|σmξ| ≤ 1 , |σmξ + s| ≥ |s| − 1 ≥ |s|2≥ 1 .

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104 4 Frames

Wir haben daher∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + s)

∣∣ ≤ C2(σm|ξ|

)α 1(|s|/2

)1+2ρ ,

und durch Summation uber alle m < 0 ergibt sich

q−(s) ≤ C1

|s|1+2ρ.

Im Fall m ≥ 0 argumentieren wir folgendermaßen: Von den beiden Zahlen |σmξ|und |σmξ + s| ist mindestens eine ≥ |s|/2 (beachte, daß ξ und s verschiedenesVorzeichen haben konnen) und jedenfalls eine ≥ |σmξ|. Sowohl |s|/2 wie |σmξ| sind

≥ 1. Wegen∣∣ψ(ξ)

∣∣ ≤ C fur alle ξ ziehen wir hieraus den Schluß

∣∣ψ(σmξ)∣∣ ∣∣ψ(σmξ + s)

∣∣ ≤ C2 min

1

(|s|/2)1+2ρ,

1

|σmξ|1+2ρ

≤ C2 1(|s|/2

)1+ρ

1

|σmξ|ρ ,

und durch Summation uber alle m ≥ 0 folgt

q+(s) ≤ C2

|s|1+ρ.

Wegen (8) haben wir damit

q(s) ≤ C3

|s|1+ρ

(|s| ≥ 2

)und folglich √

q(2kπ/β) q(−2kπ/β) ≤ C4 β1+ρ 1

|k|1+ρ(k 6= 0) .

Tragen wir das in (7) ein, so ergibt sich nach Ausfuhrung der Summation uber allek 6= 0 die behauptete Abschatzung

|Q| ≤ C ′ β1+ρ ||f ||2 .

Es laßt sich ohne weiteres verifizieren, daß die eingefuhrten Konstanten C1, . . ., C4

und C ′ nicht von β abhangen.

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5 Multiskalen-Analyse

Der Siegeszug der Wavelets durch die verschiedensten Anwendungsgebiete beruhtauf den sogenannten ,,schnellen Algorithmen“ (fast wavelet transform, FWT), unddiese wiederum funktionieren dank einer sorgfaltigen Wahl des Mutter-Waveletsψ. Bis anhin brauchte ja das verwendete Wavelet nur bescheidene ,,technische“Bedingungen wie trψ ∈ L1 oder ψ ∈ Cr fur ein r ≥ 0 zu erfullen und naturlichψ(0) = 0.

Die trigonometrischen Grundfunktionen eα: t 7→ eiαt sind ausgezeichnet durch diefolgende lineare Reproduktionseigenschaft: Werden sie einer Translation Th unter-worfen, so nehmen sie einfach einen konstanten Faktor auf, in Formeln:

Theα = e−iαheα .

Im Gegensatz dazu ist bei den Wavelets die Skalierung das zentrale Thema, alsofur beliebiges a ∈ R∗ die Operation

Da: ψ 7→ Daψ , Daψ (t) := ψ( ta

).

Gegenuber Skalierung haben sich die bis anhin betrachteten Wavelets (ausgenom-men ψHaar) indifferent verhalten: Sie sind eben gestaucht bzw. auseinandergezogenworden. Im diskreten Fall geht es um die ganzzahligen Iterierten einer einzigenSkalierungsoperation Dσ , wobei σ > 1 den Zoomschritt bezeichnet. Wir wollenhier ein fur allemal σ := 2 wahlen; das ist auch der in der Praxis am haufigstenverwendete Wert. Wenn nun ein Mutter-Wavelet ψ zugrundegelegt wird, das sich inbestimmter Weise reproduziert, wenn es dem Zoom D2 unterworfen wird, so ergebensich neuartige und hocherfreuliche Effekte, die eben unter dem Begriff Multiskalen-Analyse (MSA) zusammengefaßt werden. Konkret wird es so eingerichtet, daß ψeiner linearen Identitat der folgenden Form genugt:

D2ψ (t) ≡n∑k=0

ckψ(t− k) .

Diese Identitat fuhrt zu analogen linearen Formeln zwischen den Skalarproduk-ten 〈f, ψn,k〉 und 〈f, ψn+1,k〉, so daß diese Skalarprodukte (die Waveletkoeffizientenvon f) nicht auf jeder Zoomstufe durch muhselige Integration ab ovo berechnetwerden mussen. Die definitiven Formeln werden etwas anders aussehen; aber diesist die Grundidee.

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106 5 Multiskalen-Analyse

5.1 Axiomatische Beschreibung

In Abschnitt 4.3 wurde die kontinuierliche Wavelet-Transformation diskretisiert,und es wurde gezeigt, daß unter geeigneten Voraussetzungen ein diskreter Satz(Tf(m,n) | (m,n) ∈ Z2

)von ,,Waveletmessungen“ Tf(m,n) := 〈f, ψm,n〉 ausreicht,

um die vollstandige Rekonstruktion von f (punktweise, im L2-Sinn usw., je nach-dem) zu ermoglichen. Die Multiskalen-Analyse ist von vorneherein diskret, und dieauftretenden Waveletfunktionen ψj,k bilden kraft Konstruktion eine orthonormierte

Basis von L2. Es mussen also keine ψj,k berechnet werden.

Zu einer Multiskalen-Analyse, abgekurzt MSA, gehoren definitionsgemaß die fol-genden Ingredienzen (a)–(c):

(a) Eine zweiseitige Folge(Vj | j ∈ Z

)von abgeschlossenen Teilraumen von L2.

Diese Vj sind durch Inklusion geordnet:

. . . ⊂ V2 ⊂ V1 ⊂ V0 ⊂ V−1 ⊂ . . . ⊂ Vj ⊂ Vj−1 ⊂ . . . ⊂ L2 (1)

(zu kleinerem j gehort der umfassendere Raum!), und es gilt⋂j

Vj = 0 (Separationsaxiom) , (2)

⋃j

Vj = L2 (Vollstandigkeitsaxiom) . (3)

Dabei sollte man sich etwa folgendes vorstellen: Die Zeitsignale f ∈ Vj enthal-ten nur Details mit Ausdehnung ≥ 2j auf der Zeitachse. Je negativer j, destofeiner sind die Details, die in den f ∈ Vj vorkommen konnen, und ,,im Limes“kann uberhaupt jedes f ∈ L2 durch Funktionen fj ∈ Vj erreicht werden.

(b) Die Vj sind durch eine starre Skalierungseigenschaft miteinander verknupft:

Vj+1 = D2(Vj) ∀j ∈ Z . (4)

Auf die Zeitsignale f bezogen kann man das folgendermaßen ausdrucken:

f ∈ Vj ⇐⇒ f(2j ·)∈ V0 . (5)

(c) V0 enthalt 1 Basisvektor pro Grundschritt 1. Genau: Es gibt ein φ ∈ L2∩L1, sodaß die Funktionen

(φ( · − k) | k ∈ Z

)eine orthonormierte Basis von V0 bilden.

Dieses φ heißt Skalierungsfunktion der betrachteten MSA; es bestimmt allesweitere vollstandig.

Achtung: Verschiedene Autoren nummerieren die Vj gerade in umgekehrter Rich-tung. Wir halten uns hier an [D].

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5.1 Axiomatische Beschreibung 107

Aufgrund von Punkt (c) laßt sich V0 in folgender Weise als Menge von Zeitsignalenf darstellen:

V0 =f ∈ L2

∣∣ f(t) =∑k ck φ(t− k) ,

∑k |ck|2 <∞

. (6)

Ausgehend von φ bilden wir nun wie seinerzeit mit dem gewahlten Mutter-Waveletψ die Funktionen

φj,k(t) := 2−j/2 φ( t− k · 2j

2j

)= 2−j/2 φ

( t2j− k)

(j ∈ Z , k ∈ Z) .

Aus (b) folgt dann ohne weiteres, daß die Familie(φj,k | k ∈ Z

)eine orthonormierte

Basis von Vj ist, wobei nun φj,k und φj,k+1 um die Schrittweite 2j gegeneinanderverschoben sind.

Die Orthogonalprojektion Pj von L2 auf Vj laßt sich nach dem unter (a) Gesagtenals Tiefpass-Filter interpretieren: Das Bild Pjf eines Signals f ∈ L2 enthalt nochalle Details von f , die wenigstens die Ausdehnung 2j auf der Zeitachse besitzen.Fur Pj haben wir die folgende Formel:

Pjf =∞∑

k=−∞

〈f, φj,k〉φj,k . (7)

©1 Das simpelste Beispiel einer MSA erhalt man wie folgt: Man wahlt φ := 1[0,1[

und setzt

V0 :=f ∈ L2

∣∣ f konstant auf Intervallen [ k, k+1[, Vj := D2j (V0) (j 6= 0) .

Dann sind jedenfalls (b) und (c) erfullt, und auch (1) ist gesichert. Die Separations-bedingung (2) trifft trivialerweise zu, und die Vollstandigkeit (3) ergibt sich ohneweiteres daraus, daß die Treppenfunktionen mit dual rationalen Sprungstellen in L2

dicht liegen. Wird die in den Abschnitten 5.1–3 dargestellte allgemeine Konstruk-tion auf dieses einfache Beispiel angewandt, so resultiert gerade das Haar-Wavelet.Wir werden das im einzelnen verfolgen. ©Wegen der Inklusionen (1) lassen sich die φj,k nicht zu einer großen orthonormiertenBasis von L2 zusammenfassen. Wir konstruieren darum zusatzlich zum System derVj ein System

(Wj | j ∈ Z

)von paarweise orthogonalen Teilraumen Wj ⊂ L2, und

zwar wahlen wir als Wj gerade den ,,Raumgewinn“ beim Ubergang vom Raum Vjzum nachstgroßeren Raum Vj−1 in der Kette (1). Damit ist naturlich folgendesgemeint: Wj ist das orthogonale Komplement von Vj in Vj−1. Dann gilt

Vj−1 = Vj ⊕Wj , Wj ⊥ Vj ∀j ∈ Z ; (8)

ferner ist alles so eingerichtet, daß die zu (4) und (5) analogen Formeln

Wj+1 = D2(Wj) bzw. f ∈Wj ⇔ f(

2j ·)∈W0 (9)

ebenfalls zutreffen . Wir durfen deren Beweis getrost dem Leser uberlassen.

Betrachtet man die Kette (1) und die Definition (8) der Wj , so erscheint die folgendeProposition plausibel:

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108 5 Multiskalen-Analyse

(5.1) Besitzt das System(Vj | j ∈ Z

)die Eigenschaften (a) einer MSA, so sind die

zugehorigen Teilraume Wj paarweise orthogonal, und es gilt⊕jWj = L2 (orthogonale direkte Summe) . (10)

Ist i > j, so gilt Wi ⊂ Vi−1 ⊂ Vj , und mit (8) schließt man auf Wi ⊥Wj .

Fur den Beweis von (10) benotigen wir sowohl die Vollstandigkeit (3) wie auch dasSeparationsaxiom (2). Wir mussen folgendes zeigen: Aus f ∈ L2 und

f ⊥Wj ∀j ∈ Z

folgt f = 0.

Es sei ein ε > 0 vorgegeben. Nach (3) gibt es ein j0 und ein h0 ∈ Vj0 mit ||f−h0|| <ε ; wir nehmen der Einfachheit halber j0 = 0 an. Zu h0 ∈ V0 gibt es ein h1 ∈ V1

und ein g1 ∈W1 mith0 = h1 + g1 ;

weiter gibt es ein h2 ∈ V2 und ein g2 ∈W2 mit

h1 = h2 + g2 .

So in der absteigenden Kette V0 ⊃ V1 ⊃ V2 ⊃ . . . fortfahrend erhalt man

h0 = hn +n∑k=1

gk , hn ∈ Vn , gk ∈Wk (1 ≤ k ≤ n) .

Da hier alle rechter Hand erscheinenden Vektoren aufeinander senkrecht stehen, gilt

||hn||2 +

n∑k=1

||gk||2 = ||h0||2 ∀n .

Hiernach ist die Reihe∑∞k=0 ||gk||2 konvergent; somit konvergiert die Reihe

∑∞k=0 gk

in L2, und es existiert derlimn→∞

hn =: h .

Betrachte ein festes j. Fur alle n ≥ j ist hn ∈ Vn ⊂ Vj ; folglich ist auch h ∈ Vj ,denn die Vj sind abgeschlossen. Da dies fur alle j zutrifft, schließen wir mit (2) aufh = 0. Damit ist

h0 =∞∑k=0

gk ;

und da f nach Voraussetzung auf allen gk ∈Wk senkrecht steht, folgt

〈f, h0〉 =∞∑k=0

〈f, gk〉 = 0 .

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5.1 Axiomatische Beschreibung 109

Dies impliziert nach dem Satz von Pythagoras die Ungleichung

||f ||2 = ||f − h0||2 − ||h0||2 < ε2 .

Da ε beliebig war, muß f = 0 sein.

Es bezeichne Qj die Orthogonalprojektion von L2 auf Wj . Aus (8) folgt nachallgemeinen Prinzipien die Beziehung

Qj = Pj−1 − Pj bzw. Pj−1 = Pj +Qj .

Wir haben weiter oben die Projektion Pj als Tiefpass-Filter interpretiert und konnennunmehr folgendes sagen: Pj−1f enthalt alle Details des Signals f , die wenigstensdie Ausdehnung 2j−1 haben, und in der Differenz Pj−1f − Pjf = Qjf werdenhieraus noch die Anteile mit Ausdehnung ≥ 2j entfernt. Somit ist Qj eine ArtFilter, der gerade die Details von f mit einer zeitlichen Ausdehnung um 2j/

√2

herum aus f heraussiebt. Andersherum: Man erhalt Pj−1f , indem man zu denin Pjf wiedergegebenen Anteilen der Ausdehnung ≥ 2j die in Qjf gespeichertenZusatzdetails der Ausdehnung ∼ 2j/

√2 hinzufugt.

Wenn wir die orthogonale Zerlegung

V−1 = V0 ⊕W0

betrachten, so konnen wir folgende Milchmadchenrechnung anstellen: Der RaumV−1 benotigt zwei Basisvektoren pro Langeneinheit, und V0 liefert einen Basisvek-tor pro Langeneinheit. Folglich enthalt auch W0 gerade einen Basisvektor proLangeneinheit, und aus Symmetriegrunden sollte es moglich sein, diese Basisvek-toren von W0 wie diejenigen von V0 durch ganzzahlige Translationen auseinan-der hervorgehen zu lassen. In anderen Worten: Es besteht eine gewisse Hoffnung,daß sich eine Funktion ψ ∈ L2 finden laßt mit der Eigenschaft, daß die Familie(ψ( · − k) | k ∈ Z

)gerade eine orthonormierte Basis von W0 ist.

Ein derartiges ψ ware dann unser Mutter-Wavelet. Setzt man, wie seinerzeit ver-einbart,

ψj,k(t) := 2−j/2 ψ( t− k · 2j

2j

)= 2−j/2 ψ

( t2j− k)

(j ∈ Z , k ∈ Z) ,

so ist die (fur festes j gebildete) Familie(ψj,k | k ∈ Z

)eine orthonormierte Basis von Wj , und man hat folgende Formel fur Qjf :

Qjf =

∞∑k=−∞

〈f, ψj,k〉ψj,k .

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110 5 Multiskalen-Analyse

Die Gesamtheit aller ψj,k , also die Familie

ψ. :=(ψj,k | (j, k) ∈ Z2

)ware dann eine orthonormierte Wavelet-Basis von L2.

In den nachsten Abschnitten geht es darum, diesen Traum zu realisieren. Im beson-ders einfachen Fall von Beispiel©1 ist die obige Milchmadchenrechnung sogar stich-haltig, da die Trager der φ0,k nicht uberlappen, und man durchschaut leicht, daßψ := ψHaar das Gewunschte leistet.

5.2 Die Skalierungsfunktion

Die Skalierungsfunktion φ ist das Alpha und das Omega jeder Multiskalen-Analyse.Hat man sich auf ein φ festgelegt, so ist der Raum V0 bestimmt durch 5.1.(6), dieweiteren Vj ergeben sich mit 5.1.(5), und die Wj sind charakterisiert durch 5.1.(8).

Bei der Wahl von φ = φ0,0 ∈ L2∩L1 sind dreierlei Bedingungen zu berucksichtigen:

Erstens mussen die φ0,k orthonormiert sein. Sind die φ0,k zu einem vorgegebenenφ nicht orthonormiert, so ließe sich dieser Zustand vielleicht mit Hilfe eines Gram-Schmidt-Prozesses herstellen. Wir werden im nachsten Abschnitt einen ,,Ortho-gonalisierungstrick“ kennen lernen, der die φ0,k mit einem Schlag zu einem Or-

thonormalsystem(φ#

0,k | k ∈ Z)

macht, dessen Mitglieder immer noch durch ganz-zahlige Translationen auf der Zeitachse auseinander hervorgehen.

Zweitens mussen wir dafur sorgen, daß die Bedingungen 5.1.(2) (Separation) und5.1.(3) (Vollstandigkeit) erfullt sind. Mit diesem Punkt werden wir uns am Schlußdieses Abschnitts befassen. Dabei wird sich folgendes herausstellen

(Satz (5.8)

):

Die bescheidene Normierungsbedingung∣∣∣∫ φ(x)dx∣∣∣ = 1 bzw.

∣∣φ(0)∣∣ =

1√2π

(1)

ist fur 5.1.(2)–(3) notwendig und hinreichend.

Die dritte und letzte Bedingung, die wir zu berucksichtigen haben, ist vielleichtweniger offensichtlich, aber am einschneidendsten: Wir mussen dafur sorgen, daßdie Inklusionen 5.1.(1) garantiert sind. Das folgende Lemma mag der Leser selbstverifizieren:

(5.2) Es sei ein φ ∈ L2 gewahlt, φ 6= 0. Definiere V0 durch 5.1.(6) und die weiterenVj durch 5.1.(5). Gilt dann V0 ⊂ V−1, so treffen samtliche Inklusionen 5.1.(1) zu.

Damit kommen wir zu dem entscheidenden Punkt:

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5.2 Die Skalierungsfunktion 111

(5.3) Fur V0 ⊂ V−1 ist notwendig und hinreichend, daß es einen Koeffizienten-vektor h. ∈ l2(Z) gibt mit

φ(t) =√

2∞∑

k=−∞

hk φ(2t− k) (fast alle t ∈ R) . (2)

Aus 5.1.(5)–(6) folgt

V−1 =f ∈ L2

∣∣ f =∑k hkφ−1,k , h. ∈ l2(Z)

,

die Bedingung (2) ist daher fur φ ∈ V0 ⊂ V−1 notwendig. — Umgekehrt: Aus (2)ergibt sich fur beliebiges l ∈ Z die Identitat

φ(t− l) =√

2∞∑

k=−∞

hk φ(2t− (k + 2l)

)(fast alle t ∈ R) ,

folglich ist dann

φ0,l =

∞∑k=−∞

hk φ−1,k+2l ∈ V−1 ∀l ∈ Z .

Hiermit liegen auch beliebige Linearkombinationen der φ0,l in V−1, und V0 ⊂ V−1

ist erwiesen.

Die Identitat (2) heißt Skalierungsgleichung ; sie regiert die ganze Multiskalen-Analyse. Wir werden namlich in Satz (6.1) bzw. 6.1.(2) sehen, daß der Ko-effizientenvektor h. die Skalierungsfunktion φ eindeutig festlegt. Die Koeffizien-ten hk erscheinen auch in den zugehorigen Algorithmen, und zwar bestimmen siesozusagen ,,alles“: Bei der numerischen Arbeit muß man weder die Skalierungsfunk-tion φ noch das dazugehorige Mutter-Wavelet ψ (das wir noch konstruieren werden)zur standigen Verfugung haben; dies im Gegensatz zur Fourier-Analyse, wo immerwieder Funktionswerte eiξ berechnet werden mussen.

Die Skalierungsgleichung beschreibt eine Art ,,Selbstahnlichkeit“ der Funktion φ .Man vergleiche dazu die Gleichung

K =

r⋃i=1

fi(K)

in der Theorie der fraktalen Mengen; die fi sind dort kontrahierende Ahnlichkeitender euklidischen Ebene. Das Vorhandensein einer derartigen Reproduktionseigen-schaft unter D2 schrankt naturlich die Wahlmoglichkeiten fur φ wesentlich ein.

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112 5 Multiskalen-Analyse

Auch die hk lassen sich nicht beliebig wahlen. Wir mussen ja dafur sorgen, daß dieφ0,k eine orthonormierte Basis von V0 bilden. Da das Skalarprodukt translationsin-variant ist, sind hierfur sind die Gleichungen

〈φ0,n, φ〉 = δ0n ∀n ∈ Z

notwendig und hinreichend. Wird das mit (2) in Verbindung gebracht, so ergibtsich

δ0n =

∫φ(t− n)φ(t) dt = 2

∑k,l

hk hl

∫φ(2t− 2n− k)φ(2t− l) dt

=∑k,l

hk hl

∫φ(t′ − 2n− k)φ(t′ − l) dt′ =

∑k,l

hk hl δ2n+k,l

=∑k

hk h2n+k .

Damit also die φ0,k orthonormiert sind, mussen die hk notwendigerweise den soge-nannten Konsistenzbedingungen

(5.4)∞∑

k=−∞

hk hk+2n = δ0n ∀n ∈ Z

genugen, insbesondere der Gleichung∑k |hk|2 = 1. — An dieser Stelle beweisen

wir gerade noch die folgende lineare Relation zwischen den hk ; die darin auftretendeBedingung q 6= 0 ist wegen (1) ohne Belang.

(5.5) Ist h ∈ l1(Z) und∫φ(t) dt =: q 6= 0, so gilt

∞∑k=−∞

hk =√

2 .

Wird die Skalierungsgleichung (2) von −N bis N nach t integriert, so resultiert∫ N

−Nφ(t) dt =

√2∑k

hk

∫ N

−Nφ(2t− k) dt =

1√2

∑k

hk

∫ 2N−k

−2N−kφ(t′) dt′ . (3)

Es ist ∣∣∣∫ 2N−k

−2N−kφ(t′) dt′

∣∣∣ ≤ ‖φ‖1 ∀k ∈ Z .

Nach dem Satz von Lebesgue, angewandt auf die Summe rechter Hand in (3), folgtdaher durch Grenzubergang N →∞ :

q =1√2

∑k

hk q

und damit die Behauptung.

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5.2 Die Skalierungsfunktion 113

Aber Vorsicht: Sogar, wenn wir ein h. ∈ l2(Z) haben, das die Relationen (5.4) und(5.5) erfullt, ist damit noch lange nicht gesagt, daß es eine brauchbare Funktion φgibt, die der Skalierungsgleichung (2) genugt.

Im Augenblick wollen wir einfach annehmen, es liege tatsachlich eine Multiskalen-Analyse gemaß (a)–(c) vor. Schreiben wir (2) in der Form

φ =∑k

hk φ−1,k ,

so ergibt sich nach allgemeinen Prinzipien uber orthonormale Basen die Formel

hk = 〈φ, φ−1,k〉 (k ∈ Z) . (4)

Das Skalarprodukt 〈φ, φ−1,k〉 ist hochstens dann 6= 0, wenn die Trager von φ undvon φ−1,k uberlappen. Die Formel (4) erlaubt daher den folgenden Schluß:

(5.6) Besitzt die Skalierungsfunktion φ kompakten Trager, so sind hochstens end-lich viele hk von 0 verschieden.

Man kann aber noch mehr sagen. Zu diesem Zweck definieren wir fur beliebigeFunktionen f : R→ C die Großen

a(f) := infx∣∣ f(x) 6= 0

≥ −∞ , b(f) := sup

x∣∣ f(x) 6= 0

≤ ∞ .

In dem folgenden Satz nehmen wir der Einfachheit halber an, daß φ eine richtigge-hende Funktion ist und nicht nur ein L2-Objekt.

(5.7) Die Skalierungsfunktion φ habe kompakten Trager. Dann sind a := a(φ) undb := b(φ) ganze Zahlen, und hochstens die hk mit a ≤ k ≤ b sind von 0 verschieden.

Man hat

a(φ−1,k) =1

2

(a(φ) + k

), b(φ−1,k) =

1

2

(b(φ) + k

).

Aufgrund von (5.6) sind die Zahlen

kmin := mink∣∣ hk 6= 0

, kmax := max

k∣∣ hk 6= 0

wohldefiniert. Betrachtet man nun die rechte Seite der Skalierungsgleichung (2) alseine Superposition von kongruenten Graphen, die mit Schrittweite 1

2 gegeneinanderverschoben sind, so erkennt man, daß

a = a(φ−1,kmin) =

1

2(a+ kmin) , b = b(φ−1,kmax

) =1

2(b+ kmax)

gelten muß. Aus diesen beiden Gleichungen folgt kmin = a, kmax = b.

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114 5 Multiskalen-Analyse

Wenn man bedenkt, daß in den numerischen Algorithmen einzig noch die hk eineRolle spielen, so ist nunmehr klar, daß man nicht nur aus akademischen Grundendaran interessiert ist, Skalierungsfunktionen mit kompaktem Trager zu konstruieren.Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg.

©1 Wegen 1[0,1[ = 1[0, 12 [ + 1[ 12 ,1[ genugt die in Beispiel 5.1.©1 betrachtete und zum

Haar-Wavelet gehorende Skalierungsfunktion

φ := φHaar := 1[0,1[

der Skalierungsidentitat

φ(t) ≡ φ(2t) + φ(2t− 1) bzw. φ =1√2φ−1,0 +

1√2φ−1,1

(siehe Bild 5.1). Im vorliegenden Fall ist also

h0 = h1 =1√2, hk = 0 ∀k ∈ Z \ 0, 1 . (5)

Man verifiziert ohne weiteres, daß die Aussagen (5.4), (5.5) und (5.7) durch diesesBeispiel bestatigt werden. ©Wir mussen noch, wie versprochen, der Frage nachgehen, unter welchen Annahmenuber φ Separation und Vollstandigkeit der Familie

(Vj | j ∈ Z

)garantiert sind. Der

folgende Satz gibt die einfache Antwort:

(5.8) Die Skalierungsfunktion φ ∈ L2 genuge einer Abschatzung der Form

|φ(t)| ≤ C

1 + t2(t ∈ R) , (6)

und die Familie(φ0,k | k ∈ Z

)sei eine orthonormierte Basis von V0. Dann gilt

jedenfalls ⋂j

Vj = 0 ; (7)

und genau dann, wenn

∫φ(t) dt =: q den Betrag 1 hat, gilt auch

⋃j Vj = L2.

Jedes f ∈ V0 besitzt eine Darstellung der Form f =∑k fk φ0,k ; dabei gilt∑

k |fk|2 = ‖f‖2 <∞. Aus (6) folgt die weitere Abschatzung

∑k

|φ(t− k)|2 ≤ C2 ∀t ∈ R

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5.2 Die Skalierungsfunktion 115

1

1

0t

!Haar

Bild 5.1

(mit einem anderen C), und hieraus schließt man mit Hilfe der Schwarzschen Un-gleichung auf

|f(t)| ≤∑k

|fk| |φ(t− k)| ≤ C ‖f‖ (fast alle t ∈ R) .

Da f ∈ V0 beliebig war, haben wir daher

‖f‖∞ := ess supt∈R

|f(t)| ≤ C ‖f‖ ∀f ∈ V0 .

Fur ein g ∈ Vj ist die Funktion f := g(2j · ) in V0 ; folglich gilt dann

‖g‖∞ = ‖f‖∞ ≤ C‖f‖ = C 2−j/2 ‖g‖ .

Gehort nun dieses g samtlichen Vj (j > 0) gleichzeitig an, so ist das nur moglich,wenn ‖g‖∞ = 0 und folglich g = 0 ist. Damit ist (7) bewiesen.

Der Raum V := ∪jVj ist invariant gegenuber den Translationen Tk (k ∈ Z) und denDilatationen D2j (j ∈ Z); ferner liegen die Treppenfunktionen mit dual rationalenSprungstellen dicht in L2. Zum Beweis der zweiten Behauptung genugt es daher,folgendes zu zeigen:

Die Funktion f := 1[−1,1[ ist genau dann in V , wenn |q| = 1 ist.

Die Relation f ∈ V bedeutet, daß f von seinen Bildern P−jf fur j →∞ im L2-Sinnbeliebig genau approximiert wird:

limj→∞

P−jf = f ,

und nach allgemeinen Prinzipien ist dies aquivalent mit

limj→∞

‖P−jf‖2 = ‖f‖2 = 2 . (8)

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116 5 Multiskalen-Analyse

Wir halten j > 0 fur den Moment fest. Nach 5.1.(7) ist

P−jf =∑k

ck φ−j,k , ck := 〈f, φ−j,k〉

und folglich

‖P−jf‖2 =∑k

|ck|2 .

Fur die ck machen wir folgende Rechnung auf:

ck =

∫ 1

−1

φ−j,k(t) dt = 2j/2∫ 1

−1

φ(2jt− k) dt = 2−j/2∫ N−k

−N−kφ(t′) dt′ , (9)

dabei haben wir zur Abklurzung 2j =: N gesetzt.

Mit C bezeichnen wir im folgenden immer wieder neue positive Konstanten, die vonder gewahlten Skalierungsfunktion φ, nicht aber von j (bzw. N) und k abhangen,und mit Θ bezeichnen wir immer wieder neue komplexe Zahlen vom Betrag ≤ 1.

Aus (6) folgt fur beliebiges a > 0 die Abschatzung∫|t|≥a

|φ(t)| dt < 2

∫ ∞a

C

t2dt =

C

a. (10)

Um uns fur die folgenden Konvergenzbetrachtungen zusatzlichen Spielraum zu ver-schaffen, wahlen wir noch ein ε ∈ ]0, 1 ] ; es gibt dann ein M ∈ N mit∫

|t|≥M|φ(t)|dt ≤ ε . (11)

Bei der Abschatzung des Integrals rechter Hand in (9) nehmen wir von vornehereinN = 2j ≥M an und unterscheiden die drei folgenden Falle:

• Ist |k| ≤ N − M , so gilt −N − k ≤ −N + (N − M) = −M und analogN − k ≥ N − (N −M) = M . Wegen (11) haben wir daher

ck = 2−j/2(q + Θε

),

und hieraus folgt leicht

|ck|2 = 2−j(|q|2 + CΘε

).

• Ist N −M < |k| ≤ N +M , so ergibt sich mit∣∣∣∫ N−k

−N−kφ(t) dt

∣∣∣ ≤ ∫ |φ(t)| dt = C

die Abschatzung |ck| ≤ 2−j/2 C.

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 117

• Ist |k| > N +M und zum Beispiel k > 0, so ist in dem fraglichen Integral dieObergrenze N − k ≤ −M < 0. Wegen (10) lassen sich daher die betreffendenck wie folgt abschatzen:

|ck| ≤ 2−j/2C

k −N .

Damit ergibt sich

∑|k|>N+M

|ck|2 ≤ 2 · 2−j∞∑

k=N+M+1

C2

(k −N)2≤ 2 · 2−j

∞∑k′=M+1

C

k′2≤ 2−j

C

M.

Berucksichtigen wir noch die Anzahlen der k’s in den beiden ersten Fallen, so er-halten wir fur ‖Pjf‖2 die folgende Darstellung:

‖P−jf‖2 =∑k

|ck|2

=(2 · (2j −M) + 1

)2−j(|q|2 + CΘε

)+ 2−jΘ

(4MC +

C

M

)= (2|q|2 + CΘε) + 2−jΘ

(2M(|q|2 + C) + 4MC +

C

M

).

Hieraus schließt man auf limj→∞ ‖P−jf‖2 = 2|q|2 + CΘε; und da ε > 0 beliebigwar, gilt (8) genau dann, wenn |q| = 1 ist.

5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich

Die Multiskalen-Analyse ist ,,invariant“ bezuglich ganzzahliger Translationen sowiebezuglich Dilatationen mit Zweierpotenzen. Um diese innere Symmetrie moglichstgut auszunutzen, werden wir die tatsachliche Konstruktion von zulaßigen φ’s undzugehorigen Mutter-Wavelets ψ in den ,,Fourier-Bereich“ verlegen. Die Orthonor-malitat der φ0,k = φ( · − k) zum Beispiel muß also durch Eigenschaften von φ aus-gedruckt werden; naturlich benotigen wir auch eine Fourier-Version der Skalierungs-gleichung, undsoweiter.

Fur eine beliebige Funktion φ ∈ L2 ist

‖φ‖2 =

∫|φ(ξ)|2 dξ =

∑l

∫ 2π

0

|φ(ξ + 2πl)|2 dξ .

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118 5 Multiskalen-Analyse

Hier laßt sich die rechte Seite als Integral uber Z×[ 0, 2π ] auffassen. Nach dem Satzvon Fubini ist folglich die bei Vertauschung der Integrationsreihenfolge entstehendeFunktion

Φ(ξ) :=∑l

|φ(ξ + 2πl)|2

fast uberall zunachst auf [ 0, 2π ], dann auf ganz R definiert, von selbst 2π-periodisch,und es gilt

‖φ‖2 =

∫ 2π

0

Φ(ξ) dξ .

Wir beweisen als erstes das folgende Lemma:

(5.9) Fur eine beliebige Funktion φ ∈ L2 bilden die ganzzahligen Translatiertenφk := φ( ·−k) genau dann ein Orthonormalsystem, wenn folgende Identitat zutrifft:

Φ(ξ) :=∑l

|φ(ξ + 2πl)|2 ≡ 1

2π(fast alle ξ ∈ R) . (1)

Aus Symmetriegrunden genugt es, die Skalarprodukte 〈φ0, φk〉 zu betrachten.Man berechnet nacheinander

〈φ0, φk〉 = 〈φ0, φk〉 =

∫φ(ξ) e−ikξφ(ξ) dξ =

∫|φ(ξ)|2 eikξ dξ

=∑l

∫ 2π

0

|φ(ξ + 2πl)|2 eikξ dξ =

∫ 2π

0

Φ(ξ) eikξ dξ

= 2π Φ(−k) .

Die Orthonormalitatsbedingung 〈φ0, φk〉 = δ0k ist daher aquivalent mit

Φ(k) =1

2πδ0k ∀k ∈ Z ,

und das heißt naturlich Φ(ξ) ≡ 12π fast uberall.

Als nachstes nehmen wir uns die Skalierungsgleichung

φ(t) ≡√

2∑k

hk φ(2t− k) (fast alle t ∈ R) (2)

vor. Unterwerfen wir (2) der Fourier-Transformation, so ergibt sich mit Hilfe derRegeln (R1) und (R3) die Identitat

φ(ξ) =1√2

∑k

hk e−ikξ/2 φ

(ξ2

).

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 119

Dies bringt uns dazu, (zunachst nur formal) die Funktion

H(ξ) :=1√2

∑k

hk e−ikξ (3)

einzufuhren; wir nennen sie die erzeugende Funktion der betrachteten Multiskalen-Analyse. Wegen ‖h.‖ = 1 ist die angeschriebene Reihe nach Satz (2.4) fast uberallkonvergent und definiert H als eine tatsachliche 2π-periodische Funktion. Sind nurendlich viele hk 6= 0, so ist H ein trigonometrisches Polynom. Die Skalierungs-gleichung erhalt damit die Gestalt

φ(ξ) = H(ξ

2

)φ(ξ

2

). (4)

In Worten: An die Stelle einer Art ,,Faltungsgleichung“ ist eine Funktionalgleichunggetreten, in der nur eine ganz gewohnliche Multiplikation von Funktionswerten er-scheint.

Ist φ eine Skalierungsfunktion, so gelten (1) und (4) gleichzeitig, und wir konnenfolgende Kette von Gleichungen aufstellen:

1

2π≡∑l

|φ(ξ + 4πl)|2 +∑l

|φ(ξ + 2π + 4πl)|2

=∑l

∣∣∣H(ξ2

)∣∣∣2 ∣∣∣φ(ξ2

+ 2πl)∣∣∣2 +

∑l

∣∣∣H(ξ2

+ π)∣∣∣2 ∣∣∣φ(ξ

2+ π + 2πl

)∣∣∣2=

(∣∣∣H(ξ2

)∣∣∣2 +∣∣∣H(ξ

2+ π

)∣∣∣2) · 1

2π.

Da hier ξ ∈ R beliebig war, ergibt sich damit die Fourier-Version der Konsistenz-bedingungen (5.4):

(5.10) Die erzeugende Funktion H einer Multiskalen-Analyse genugt der Identitat

|H(ω)|2 + |H(ω + π)|2 ≡ 1 (fast alle ω ∈ R) .

Hieraus folgt naturlich, daß H auf R gleichmaßig beschrankt ist:

|H(ω)| ≤ 1 (ω ∈ R) . (5)

Nach 5.2.(1) ist φ(0) 6= 0; somit ergibt sich aus (4) der Wert H(0) = 1, und mit(5.10) schliesst man auf H(π) = 0.

Als nachstes mussen wir nun moglichst explizit den Raum W0, das orthogonaleKomplement von V0 in dem umfassenderen Raum V−1 , beschreiben. Das wird unsdann ermoglichen, ein Mutter-Wavelet ψ anzugeben.

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120 5 Multiskalen-Analyse

Wir beginnen mit V−1 . Jedes f ∈ V−1 besitzt eine Darstellung der Form

f =∑k

fkφ−1,k , fk = 〈f, φ−1,k〉 (k ∈ Z) ,

und hieraus folgt durch Fourier-Transformation (wie oben fur das φ selber)

f(ξ) =1√2

∑k

fk e−ikξ/2 φ

(ξ2

). (6)

Wir fuhren daher (analog zu H) die Funktion

mf (ξ) :=1√2

∑k

fk e−ikξ (7)

ein und konnen dann (6) in der Form

f(ξ) = mf

(ξ2

)φ(ξ

2

)(8)

schreiben. Die Reihe (7) ist konvergent fur fast alle ξ ∈ R/2π; folglich gilt dieDarstellung (8) fur fast alle ξ ∈ R. — Diese Schlußkette laßt sich umkehren: Gilt(8) fur ein mf ∈ L2

, so ist f ∈ V−1 .

Ein f ∈ W0 ⊂ V−1 steht senkrecht auf V0, folglich ist 〈f, φ0,k〉 = 0 fur alle k ∈ Z.Wir haben daher∫

f(ξ) φ(ξ) eikξ dξ =

∫ 2π

0

(∑l

f(ξ + 2πl) φ(ξ + 2πl)

)eikξ dξ = 0 ∀k ∈ Z ,

und das ist nur moglich, wenn die periodische Funktion∑l

f(ξ + 2πl) φ(ξ + 2πl)

fur fast alle ξ ∈ R/2π verschwindet. Wir nehmen hier wieder die zu geraden bzw. zu

ungeraden l gehorenden Teilsummen auseinander und drucken anschließend f mitHilfe von (8), analog φ mit Hilfe von (4) aus. Sowohl mf wie H sind 2π-periodisch;folglich ergibt sich mit nochmaliger Benutzung von (5.9):

0 ≡∑l

f(ξ + 4πl) φ(ξ + 4πl) +∑l

f(ξ + 2π + 4πl) φ(ξ + 2π + 4πl)

=∑l

mf

(ξ2

)H(ξ

2

) ∣∣∣φ(ξ2

+ 2πl)∣∣∣2

+∑l

mf

(ξ2

+ π)H(ξ

2+ π

) ∣∣∣φ(ξ2

+ π + 2πl)∣∣∣2

=

(mf

(ξ2

)H(ξ

2

)+mf

(ξ2

+ π)H(ξ

2+ π

) )· 1

2π.

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 121

Hiernach ist

mf (ω)H(ω) + mf (ω + π)H(ω + π) = 0 (fast alle ω ∈ R) . (9)

Die Formeln (5.10) und (9) lassen sich zusammengenommen folgendermaßen inter-pretieren: Fur (fast) jedes feste ω ist

H :=(H(ω), H(ω + π)

)ein Einheitsvektor im unitaren Raum C2, und der Vektor

mf :=(mf (ω),mf (ω + π)

)steht senkrecht auf H.

Nun bildet der VektorH′ :=

(H(ω + π), −H(ω)

)zusammen mit H eine orthonormierte Basis von C2. Nach allgemeinen Prinzipiengilt dann

mf = λ(ω)H′ (10)

mitλ(ω) = 〈mf ,H

′〉 = mf (ω)H(ω + π)−mf (ω + π)H(ω) .

Die Funktion ω 7→ λ(ω) genugt der Identitat λ(ω + π) ≡ −λ(ω); es gibt daher eine2π-periodische Funktion ν(·) mit

λ(ω) = eiων(2ω) . (11)

Tragen wir dies in (10) ein, so erhalten wir durch Auszug der ersten Koordinate:

mf (ω) = eiων(2ω)H(ω + π) .

Diese Darstellung von mf in (8) eingebracht liefert schließlich fur f den Ausdruck

f(ξ) = eiξ/2 ν(ξ)H(ξ

2+ π

)φ(ξ

2

)(fast alle ξ ∈ R) . (12)

Damit konnen wir den folgenden Satz formulieren:

(5.11) Eine Funktion f ∈ L2 gehort genau dann zu W0, wenn es ein ν(·) ∈ L2

gibt, so daß sich f in der Form (12) darstellen laßt.

Wir haben schon gezeigt, daß f ∈W0 die Existenz einer 2π-periodischen Funk-tion ν: R → C nach sich zieht, so daß (12) gilt. Der Identitat (11) entnehmen wirexplizit ν(ξ) = e−iξ/2λ(ξ/2); somit ergibt sich mit (10):

|ν(ξ)|2 =∣∣∣λ(ξ

2

)∣∣∣2 =∣∣∣mf

(ξ2

)∣∣∣2 =∣∣∣mf

(ξ2

)∣∣∣2 +∣∣∣mf

(ξ2

+ π)∣∣∣2 .

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122 5 Multiskalen-Analyse

Hieraus folgt

‖ν‖2 :=1

∫ 2π

0

|ν(ξ)|2 dξ =1

π

∫ π

0

(|mf (ω)|2 + |mf (ω + π)|2

)dω = 2‖mf‖2

=∑k

|fk|2 = ‖f‖2 <∞ .

Umgekehrt: Gilt (12) mit einem ν(·) ∈ L2 , so haben wir (8) mit

mf

(ξ2

)= eiξ/2 ν(ξ)H

(ξ2

+ π).

Wegen (5) folgt hieraus mf ∈ L2 und damit weiter f ∈ V−1. Außerdem ergibt sich

mf :=(mf (ω),mf (ω + π)

)= eiων(2ω)

(H(ω + π),−H(ω)

)= eiων(2ω) H′ ;

somit steht mf fur fast alle ω auf H senkrecht. Hiernach gilt (9) fur fast alle ω,und dies ist fur ein f ∈ V−1 mit f ⊥ V0 aquivalent.

Fur das gesuchte Mutter-Wavelet ψ machen wir nun den von (12) inspiriertenAnsatz

ψ(ξ) := eiξ/2H(ξ

2+ π

)φ(ξ

2

)(13)

und haben damit Erfolg:

(5.12) Wird das Mutter-Wavelet ψ definiert durch (13), so bilden die Funktionen(ψ0,k | k ∈ Z

)eine orthonormierte Basis von W0.

Um die Orthonormalitat der ψ0,k zu beweisen, mussen wir nach (5.9) die fol-gende Rechnung durchfuhren:∑

l

|ψ(ξ + 2πl)|2 =∑l

|ψ(ξ + 4πl)|2 +∑l

|ψ(ξ + 2π + 4πl)|2

=∣∣∣H(ξ

2+ π

)∣∣∣2∑l

∣∣∣φ(ξ2

+ 2πl)∣∣∣2 +

∣∣∣H(ξ2

)∣∣∣2∑l

∣∣∣φ(ξ2

+ π + 2πl)∣∣∣2

=

(∣∣∣H(ξ2

+ π)∣∣∣2 +

∣∣∣H(ξ2

)∣∣∣2) 1

2π≡ 1

2π.

Wegen 1 ∈ L2 folgt mit (5.11), daß ψ in W0 liegt, und damit gehoren auch die

ganzzahligen Translatierten ψ0,k zu W0. — Betrachte anderseits ein beliebigesf ∈W0. Nach Satz (5.11) bzw. (12) und (13) gibt es ein ν(·) ∈ L2

mit

f(ξ) = ν(ξ) ψ(ξ) (fast alle ξ ∈ R) . (14)

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 123

Die Funktion ν(·) besitzt eine formale Fourier-Reihe∑k νk e

−ikξ mit∑k |νk|2 =

‖ν‖2 <∞. Nach Satz (2.4) konnen wir daher (14) ersetzen durch

f(ξ) =∑k

νk e−ikξ ψ(ξ) (fast alle ξ ∈ R) ,

und dies ist die Fourier-Transformierte der Darstellung

f(t) =∑k

νk ψ(t− k) bzw. f =∑k

νk ψ0,k ,

wobei die zuletzt angeschriebene Reihe in L2 konvergiert. Damit ist gezeigt, daßdie ψ0,k in der Tat eine Basis von W0 konstituieren.

Der Ansatz (13) fur ψ ist nicht ganz zwingend; so kann man zum Beispiel Faktoren

eiα e−iNξ mit α ∈ R, N ∈ Z zugeben. Ein zusatzlicher Faktor e−iNξ in ψ bewirkteine Verschiebung des Tragers von ψ um N Einheiten nach rechts; gegebenenfallslaßt sich dadurch erreichen, daß φ und ψ denselben Trager haben.

Mit (13) haben wir erst die Fourier-Transformierte des Wavelets ψ. Um an das ψselber heranzukommen, mussen wir (13) in den Zeitbereich zuruckubersetzen. Mit(3) ergibt sich

eiξ/2H(ξ

2+ π

)=

1√2

∑k

hk eik(ξ2 +π

)eiξ/2 =

1√2

∑k

(−1)k hk ei(k+1)ξ/2

=1√2

∑k′

(−1)k′−1 h−k′−1 e

−ik′ξ/2 ,

wobei wir zuletzt die Substitution k := −k′− 1 (k′ ∈ Z) vorgenommen haben. Wirkonnen daher (13) ersetzen durch

ψ(ξ) =1√2

∑k

(−1)k−1 h−k−1e−ikξ/2 φ

(ξ2

). (15)

Nach den Regeln (R1) und (R3) ist dies die Fourier-Transformierte der Darstellung

ψ(t) =√

2∑k

(−1)k−1 h−k−1 φ(2t− k) . (16)

Setzen wir zur Vereinheitlichung der Formeln

(−1)k−1 h−k−1 =: gk , (17)

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124 5 Multiskalen-Analyse

so geht (16) uber in

ψ(t) =√

2∑k

gk φ(2t− k) , (18)

im formalen Einklang mit der Skalierungsgleichung 5.2.(2). Eine andere zulaßigeDefinition der gk ware

gk := (−1)k h2N−1−k . (19)

Sind zum Beispiel nur die hk mit 0 ≤ k ≤ 2N − 1 von 0 verschieden, so impliziert(19) dasselbe fur die gk, und alle Summationen in den zugehorigen Algorithmen(siehe Abschnitt 5.4) erstrecken sich uber die Indexmenge 0, 1, . . . , 2N − 1.

Wir konnen die bis hierher gewonnenen Resultate in dem folgenden Satz zusam-menfassen:

(5.13) Es sei(Vj | j ∈ Z

)eine Multiskalen-Analyse mit Skalierungsfunktion φ und

erzeugender Funktion H. Wird dann das Mutter-Wavelet ψ definiert durch (13)bzw. durch (16), so ist das Funktionensystem

(ψj,k | j ∈ Z, k ∈ Z

), ψj,k(t) := 2−j/2 ψ

( t− k · 2j2j

),

eine orthonormierte Wavelet-Basis von L2(R).

Betrachte ein festes j ∈ Z. Da die ψ0,k nach (5.12) eine orthonormierte BasisvonW0 bilden, folgt leicht aufgrund des Prinzips 5.1.(9) und einer kleinen Rechnung,daß

(ψj,k | k ∈ Z

)eine orthonormierte Basis von Wj ist. Mit Satz (5.1) ergibt sich

nun die Behauptung.

©1 Wir nehmen uns wieder die Haar-Multiskalen-Analyse vor, vgl. Beispiel 5.2.©1 ,und wollen nun die Konstruktion von ψ gemaß allgemeiner Theorie in diesem Fallnachvollziehen. Man rechnet leicht nach, daß φ := φHaar die Fourier-Transformierte

φ(ξ) =1√2π

sin(ξ/2)

ξ/2e−iξ/2 (20)

besitzt. Setzen wir die Werte 5.2.(5) der hk in (3) ein, so ergibt sich

H(ξ) =1√2

1√2

(1 + e−iξ) = cosξ

2e−iξ/2 , (21)

und man verifiziert leicht, daß die Funktionalgleichung (4) erfullt ist. Das Rezept(13) liefert nunmehr

ψ(ξ) := eiξ/2 · cos(ξ

4+π

2

)ei(ξ4 +π

2

)· 1√

sin(ξ/4)

ξ/4e−iξ/4

=−i√2π

sin2(ξ/4)

ξ/4eiξ/2 ,

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 125

was bis auf einen Faktor −eiξ mit 1.6.(1) ubereinstimmt. Das hier erhaltene ψist folglich gegenuber dem offiziellen Haar-Wavelet umsigniert und um eine Einheitnach links verschoben. Das zeigt sich auch, wenn wir nun mit (17) die gk berechnen:Man erhalt

g−1 = h0 =1√2, g−2 = −h1 = − 1√

2,

und alle andern gk sind 0. Damit wird

ψ =1√2φ−1,−1 −

1√2φ−1,−2

bzw. ψ(t) = φ(2t+ 1)−φ(2t+ 2), wie angekundigt. Die Definition (19) der gk (mitN := 1) hatte tatsachlich ψHaar geliefert, wovon sich der Leser selber uberzeugenmag. ©

©2 Als zweites Beispiel behandeln wir das sogenannte Meyer-Wavelet. Wir beno-tigen wieder die in Bild 4.6 dargestellte Hilfsfunktion

ν(x) :=

0 (x ≤ 0)

10x3 − 15x4 + 6x5 (0 ≤ x ≤ 1)

1 (x ≥ 1)(dieses ν(·) hat nichts mit den ν(·)’s in (5.11) zu tun

). Durch den Ansatz

φ(ξ) :=

1√2π

(|ξ| ≤ 2π

3

)1√2π

cos(π

2ν(

32π |ξ| − 1

)) (2π3 ≤ |ξ| ≤ 4π

3

)0

(|ξ| ≥ 4π

3

)(siehe Bild 5.2) wird eine Funktion φ definiert, von der man a priori folgendes sagen

kann: Da φ kompakten Trager hat, ist φ ∈ C∞, und wegen φ ∈ C2 genugt φ derVoraussetzung 5.2.(6) von Satz (5.8); ferner gilt∫

φ(t) dt =√

2π φ(0) = 1 ,

wie fur ∪j Vj = L2 erforderlich, siehe (5.8).

Im Hinblick auf (5.9) mussen wir die Funktion

Φ(ξ) :=∑l

|φ(ξ + 2πl)|2

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126 5 Multiskalen-Analyse

!4!/3 4!/32!/3!2!/3!! !"

1/ 2!

#

# = $(") # = $(" ! 2!)

0

ˆˆ

Bild 5.2

untersuchen. Ein Blick auf Bild 5.2 zeigt, daß es genugt, die Bedingung (1) imξ-Intervall

[2π3 ,

4π3

]zu verifizieren. Hier geben nur die beiden Terme mit l = 0 und

l = −1 einen Beitrag. Wegen

32π |ξ − 2π| − 1 = 1−

(3

2π ξ − 1) (

2π3 ≤ ξ ≤ 4π

3

)und

ν(1− x) ≡ 1− ν(x) (x ∈ R)

ergibt sich in der Tat

Φ(ξ) =1

2πcos2

(π2ν(

32π ξ−1

))+

1

2πsin2

(π2ν(

32π ξ−1

))≡ 1

(2π3 ≤ ξ ≤ 4π

3

).

Wir definieren nun die 2π-periodische Funktion

H(ξ) :=√

2π∑l

φ(2ξ + 4πl) (22)

(dies ist fur jedes feste ξ eine endliche Summe!) und behaupten, daß H und φ wieerforderlich durch

φ(ξ) ≡ H(ξ

2

)φ(ξ

2

)miteinander verknupft sind.

Die Funktion ξ 7→ φ(ξ2

)hat als Trager das Intervall

[− 8π

3 ,8π3

]. Anderseits sind

alle Funktionen φ( · + 4πl) mit l 6= 0 wegen 4π|l| − 4π3 ≥ 8π

3 auf diesem Intervallidentisch 0. Damit ist bereits

H(ξ

2

)φ(ξ

2

)=√

2π∑l

φ(ξ + 4πl) φ(ξ

2

)=√

2π φ(ξ) φ(ξ

2

). (23)

Auf dem Trager[− 4π

3 ,4π3

]von φ ist aber φ

(ξ2

)≡ 1√

2π; die rechte Seite von (23)

hat somit fur alle ξ den behaupteten Wert φ(ξ).

Hiernach genugt φ auch einer Skalierungsgleichung, und alle fur eine Multiskalen-Analyse erforderlichen Sachverhalte sind etabliert. Mit (13) ergibt sich folgenderAusdruck fur ein zugehoriges Mutter-Wavelet:

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 127

1

0.5

!4 !2 2 4

!

t

Bild 5.3 Die zum Meyer-Wavelet gehorige Skalierungsfunktion

1

2 4

t

0.5

!0.5

!2!4 !1/2

!

Bild 5.4 Das Meyer-Wavelet

ψ(ξ) = eiξ/2H(ξ

2+ π

)φ(ξ

2

)=√

2π eiξ/2∑l

φ(ξ + 2π + 4πl

)φ(ξ

2

)=√

2π eiξ/2(φ(ξ + 2π) + φ(ξ − 2π)

)φ(ξ

2

).

Man rechnet leicht nach, daß dies bis auf den ,,Phasenfaktor“ eiξ/2 gerade dasDaubechies-Grossmann-Meyer-Wavelet 4.3.(11) zu den Werten σ := 2, β := 1 ist.Damals bildeten die ψj,k nur ein Frame; dank des von der Theorie gelieferten Zusatz-faktors eiξ/2 haben wir nun sogar eine orthonormierte Wavelet-Basis.

Die Bilder 5.3–4 zeigen die Skalierungsfunktion φ sowie das Meyer-Wavelet ψ imZeitbereich. ©

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128 5 Multiskalen-Analyse

Wir haben zu Beginn von Abschnitt 5.2 festgehalten, daß an die Skalierungsfunk-tion φ dreierlei Anforderungen gestellt werden: Erstens mussen die φ0,k ein Ortho-normalsystem bilden; zweitens gibt es die weitere Normierungsbedingung 5.2.(1),und drittens naturlich muß φ einer Skalierungsgleichung genugen. Wir wollen zumSchluß dieses Abschnitts zeigen, wie sich aus einem φ, das nur die zweite und diedritte Bedingung erfullt, ein φ# zur gleichen Ausschopfung

(Vj | j ∈ Z

)von L2

gewinnen laßt, dessen ganzzahlige Translatierte φ#0,k tatsachlich orthonormiert sind.

(5.14) Die Funktion φ ∈ L1 ∩ L2 genuge einer Skalierungsgleichung sowie derBedingung

∫φ(t) dt 6= 0, und es seien die Raume Vj ⊂ L2 definiert durch 5.1.(5)–

(6). Gibt es Konstanten B ≥ A > 0 mit

A ≤ Φ(ξ) :=∑l

|φ(ξ + 2πl)|2 ≤ B (fast alle ξ ∈ R) ,

so trifft folgendes zu:

(a) Die Funktionenfamilie(φ( · − k) | k ∈ Z

)ist eine Riesz-Basis von V0 , insbeson-

dere ein Frame mit Frame-Konstanten 2πA und 2πB.

(b) Setzt man

φ#(ξ) :=φ(ξ)√2πΦ(ξ)

,

so definiert φ# eine Multiskalen-Analyse mit denselben Vj . Insbesondere bilden dieFunktionen

(φ#( · − k) | k ∈ Z

)eine orthonormierte Basis von V0.

(a) Wir mussen zeigen, daß fur beliebiges

f :=∑k

ckφ( · − k) ∈ V0

die folgenden Ungleichungen zutreffen:

2πA∑k

|ck|2 ≤ ‖f‖2 ≤ 2πB∑k

|ck|2 .

Die Fourier-Transformierte von f ist gegeben durch

f =(∑

k

ck e−ikξ

)φ(ξ) ;

somit gilt

‖f‖2 =

∫ 2π

0

∣∣∣∑k

ck e−ikξ

∣∣∣2 ∑l

|φ(ξ + 2πl)|2 dξ

≤ B∫ 2π

0

∣∣∣∑k

ck e−ikξ

∣∣∣2 dξ = 2πB∑k

|ck|2 .

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5.3 Konstruktionen im Fourier-Bereich 129

Analog schließt man bezuglich A, und mit (4.6) folgt, daß die φ( · − k) erst rechtein Frame bilden.

(b) Wegen φ ∈ L1 ist φ stetig; damit sind nacheinander auch

√2πΦ ,

1√2πΦ

, φ#

stetig. Die beiden Funktionen√

2πΦ und 1/√

2πΦ liegen in L2 . Bezeichnen wir die

Fourier-Koeffizienten von 1/√

2πΦ mit ak , so gilt

1√2πΦ(ξ)

=∑k

ake−ikξ (fast alle ξ ∈ R)

und folglich

φ#(ξ) =∑k

ake−ikξ φ(ξ) (fast alle ξ ∈ R) .

Hieraus schließt man auf

φ# =∑k

ak φ( · − k) ∈ V0

und damit weiter auf V #0 ⊂ V0. Analog beweist man mit Hilfe der Fourier-

Entwicklung von√

2πΦ die Inklusion V0 ⊂ V #0 . In der Folge stimmen alle V #

j

mit den entsprechenden Vj uberein.

Daß die φ#( · − k) orthonormiert sind, ergibt sich nun unmittelbar aus (5.9).

Wir sind aber noch nicht ganz fertig. Es fehlt noch der Nachweis, daß φ# dieNormierungsbedingung 5.2.(1) erfullt, bzw. daß die Vj von Anfang an dem Separa-tions- und dem Vollstandigkeitsaxiom genugten.

Wegen V0 ⊂ V−1 genugt auch φ# einer Skalierungsgleichung und folglich einerIdentitat der Form (4):

φ#(ξ) = H#(ξ

2

)φ#(ξ

2

). (24)

Nach Voraussetzung uber φ ist φ(0) 6= 0 und damit auch φ#(0) 6= 0 ; aus (24) folgtdaher H#(0) = 1 und ferner, daß H# in der Umgebung von 0 stetig ist. Da H#

der Identitat (5.10) genugt, ist dann H#(π) = 0. Wir behaupten, es gilt

φ#(2πl) = 0 ∀l ∈ Z \ 0 .

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130 5 Multiskalen-Analyse

Zu jedem l 6= 0 gibt es ein r ∈ N und ein n ∈ Z mit l = 2r(2n+ 1). Wird (24)rekursiv r mal angewandt, so ergibt sich

φ#(2πl) =r−1∏j=1

H#(2r−j(2n+ 1)π

)·H#

((2n+ 1)π

)φ#((2n+ 1)π

)= 0 ,

da H# in den ungeraden Vielfachen von π verschwindet.

Damit haben wir

|φ#(0)|2 = Φ#(0) =1

2π,

wie gemaß 5.2.(1) erforderlich.

5.4 Algorithmen

Wir unterbrechen hier das Studium der theoretischen Grundlagen, um endlich diemehrfach angekundigten ,,schnellen Algorithmen“ darzustellen, die sich im Rahmender Multiskalen-Analyse fast von selbst ergeben. Im Gegensatz dazu brauchte esJahrhunderte von der Einfuhrung der Fourier-Analyse (durch Euler) bis zur Ent-deckung der FFT.

Der Leser hat sich vielleicht uber die vielen Faktoren√

2 und 1√2

in den vorange-

henden Abschnitten gewundert und gedacht, daß man sie durch sorgfaltigere Wahlder Bezeichnungen hatte vermeiden konnen. Aber die getroffenen Vereinbarungenhatten ihren Sinn: Es war alles darauf angelegt, daß derartige Faktoren dort, woes wirklich darauf ankommt, namlich beim repetitiven numerischen Rechnen, nichtmehr vorkommen.

Der Motor hinter den schnellen Wavelet-Algorithmen ist die Skalierungsgleichung

φ(t) =√

2∑k

hk φ(2t− k) , (1)

gepaart mit der analogen Gleichung fur ψ, die wir nach 5.3.(18) in der Form

ψ(t) =√

2∑k

gk φ(2t− k) (2)

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5.4 Algorithmen 131

schreiben konnen; dabei ergeben sich die gk gemaß 5.3.(17) oder 5.3.(19) aus denhk. Aus (1) folgt fur beliebige j ∈ Z, n ∈ Z die Identitat

2−j/2φ( t

2j− n

)= 2−(j−1)/2

∑k

hk φ( t

2j−1− 2n− k

),

was wir als

φj,n =∑k

hk φj−1,2n+k ∀j, ∀n , (3)

das heißt: als Rekursionsformel fur φj−1,. φj,. interpretieren konnen. Analogergibt sich aus (2) die Formel

ψj,n =∑k

gk φj−1,2n+k ∀j, ∀n , (4)

die von φj−1,. zu ψj,. fuhrt.

Wir wollen nun ein f ∈ L2 analysieren und nachher wieder synthetisieren. Dabeiwird es eine feinste in Betracht gezogene Skala geben; wir durfen annehmen, siegehore zum Wert j = 0. Die Analyse beginnt also mit den Daten

a0,k := 〈f, φ0,k〉 :=

∫f(t)φ(t− k) dt .

Diese Werte konnen zum Beispiel durch numerische Integration ermittelt werden.Eventuell liegt f ohnehin nur als diskreter Datensatz

(f(k) | k ∈ Z

)vor, und man

setzt kurzer Handa0,k := f(k) (k ∈ Z) ,

was wegen∫φ(t) dt = 1 nicht ganz abwegig ist — besonders dann nicht, wenn φ

einen schmalen Trager hat und aufeinanderfolgende Werte f(k) wenig voneinanderverschieden sind. Jedenfalls gehen wir aus von der Annahme

P0f =∑k

a0,k φ0,k .

Die Wavelet-Analyse schreitet nun in Richtung wachsender j, und das heißt: immerlangerer Wellen, voran. Wir beschreiben gleich den Schritt j − 1 j. Es sei alsoj ≥ 1, und es gelte

Pj−1f =∑k

aj−1,k φj−1,k , aj−1,k = 〈f, φj−1,k〉 (5)

mit vorhandenen Werten aj−1,k . Anschaulich gesprochen gibt Pj−1f alle Merkmalevon f wieder, die wenigstens die Ausdehnung 2j−1 auf der Zeitachse haben; siehe

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132 5 Multiskalen-Analyse

die ausfuhrlichen Erlauterungen in Abschnitt 5.1. Als nachstes sollen nun die aj,n(n ∈ Z) berechnet werden. Mit (3) ergibt sich

aj,n := 〈f, φj,n〉 =∑k

hk 〈f, φj−1,2n+k〉 ,

so daß wir folgende Rekursionsformel fur aj−1,. aj,. notieren konnen:

aj,n =∑k

hk aj−1,2n+k

Mit

Pjf =∑k

aj,k φj,k

haben wir dann die nachstgrobere Approximation von f . Nun ist ja

Pj−1f = Pjf + Qjf ;

dabei bezeichnet Qj die Orthogonalprojektion auf Wj . Das Bild Qjf enthalt alleDetails von f mit einer zeitlichen Ausdehnung um 2j/

√2 herum. Da

(ψj,k | k ∈ Z

)eine orthonormierte Basis von Wj ist, gilt

Qjf =∑k

dj,k ψj,k

mit

dj,n = 〈f, ψj,n〉 =∑k

gk 〈f, φj−1,2n+k〉 ;

dabei haben wir naturlich (4) benutzt. Wegen (5) hat sich damit folgende Formelfur den Schragschritt von aj−1,. zu dj,. ergeben:

dj,n =∑k

gk aj−1,2n+k

Die beim Ubergang von Pj−1f zu Pjf extrahierte Information uber das Zeitsignalf ist jetzt in dem Datenvektor dj,. abgelegt.

Im ganzen erhalten wir die folgende Kaskade, bei der f in jedem Schritt aufs Dop-pelte vergrobert wird und Details der Große ∼ 2j/

√2 extrahiert werden:

a0,.h−→ a1,.

h−→ a2,.h−→ a3,.

h−→ · · · h−→ aJ,.

g g g g g

d1,. d2,. d3,. · · · dJ,.

(6)

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5.4 Algorithmen 133

Wieviele Rechenoperationen erfordert diese Analyse? Um Ideen zu fixieren, nehmenwir von vorneherein an, daß die Skalierungsfunktion φ kompakten Trager hat. Nach(5.7) sind dann a(φ) und b(φ) ganze Zahlen; es sei etwa

a(φ) = 0 , b(φ) = 2N − 1 , N ≥ 1 .

Nach (5.7) sind dann nur die hk mit 0 ≤ k ≤ 2N − 1 von 0 verschieden, und mitder Vereinbarung 5.3.(19) trifft das auch fur die gk zu.

Fur einen beliebigen Datenvektor x. uber der Indexmenge Z drucken wir mit denSchreibweisen

supp(x.) ⊂ [ p, q[ , length(x.) ≤ q − p ,aus, daß hochstens die xk mit p ≤ k < q von 0 verschieden sind und daß insgesamthochstens q−p Einzeldaten uberhaupt in Betracht gezogen werden; p und q brauchendabei nicht ganzzahlig zu sein.

Uber die Funktion f ist nur die in dem Datenvektor a0,. abgelegte Informationvorhanden. Wir gehen zum Beispiel aus von

supp(a0,.) ⊂ [0, 2J [ , length(a0,.) = 2J

und behaupten, daß sich die Trager der aj,. folgendermaßen eingabeln lassen:

supp(aj,.) ⊂ [−2N + 2, 2J−j [ (j ≥ 0) . (7)

Die Behauptung trifft zu fur j := 0. Fur den Schritt j − 1 j nehmen wir an,es sei j ≥ 1 und

supp(aj−1,.) ⊂ [−2N + 2, q[ , q := 2J−(j−1) .

Wegen

aj,n =2N−1∑k=0

hk aj−1,2n+k

kann aj,n hochstens dann 6= 0 sein, wenn sich die beiden Mengen

2n, 2n+ 1, . . . , 2n+ 2N − 1 und [−2N + 2, q[

schneiden, und hierfur ist notwendig und hinreichend, daß

2n < q ∧ 2n+ 2N − 1 ≥ −2N + 2

gilt. Die erste Ungleichung besagt n < q2 = 2J−j , die zweite n ≥ −2N + 3

2 , undhieraus schließt man, daß (7) wie angeschrieben zutrifft.

Die Formel (7) legt nahe, den Prozeß nach J Schritten abzubrechen, da supp(aj,.)von da an bei [−2N + 2, 0 ] stagniert. Wieviel Multiplikationen sind bis dahin

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134 5 Multiskalen-Analyse

insgesamt ausgefuhrt worden? (Die Additionen lassen wir der Einfachheit halberaußer acht.)

Die Berechnung eines Werts aj,n erfordert hochstens length(h.) = 2N Multiplika-tionen. Aus (7) folgt anderseits

length(aj,.) ≤ 2J−j + 2N − 2 (j ≥ 0) ,

und dieselbe Schranke gilt offensichtlich fur length(dj,.). Damit erhalten wir fur dieAnzahl µ der insgesamt erforderlichen Multiplikationen die folgende obere Schranke:

µ ≤ 2 · 2N ·J∑j=1

(2J−j + 2N − 2

)= 4N

(2J − 1 + J(2N − 2)

).

Hiernach ist

µ ≤ 2 length(h.) length(a0,.)(1 + o(1)

);

in Worten: Die Anzahl Operationen ist linear in der Inputlange.

Ausgehend von a0,. hat man also in J ≥ 1 Schritten die Koeffizientenvektoren

d1,. , d2,. , . . . , dJ,. , aJ,.

berechnet (die Zwischenresultate a0,. , . . ., aJ−1,. werden nicht mehr benotigt).Die Langensumme dieser Vektoren ist von der Großenordnung length(a0,.), so daßpunkto Speicherbedarf nicht viel gewonnen scheint. Nun werden aber die Koeffizien-tenvektoren dj,. lange Sequenzen von vernachlaßigbaren Eintragen dj,k enthalten,je nach der Feinstruktur des Signals f in verschiedenen Zonen der t-Achse. Indemman alle dj,k , deren Betrag einen gewissen Schwellenwert (englisch: treshold) unter-schreitet, kurzer Hand nullsetzt und den betreffenden Speicherplatz freigibt, erreichtman spektakulare Kompressionsraten ohne signifikanten Informationsverlust. Siehedazu zum Beispiel den instruktiven Artikel [19].

Nun zur Synthese. Hier erhalten wir einen Algorithmus von ahnlicher Einfachheit.Da der Schritt j − 1 j darauf hinauslauft, die orthonormierte Basis φj−1,. vonVj−1 durch die ebenfalls orthonormierte Basis φj,. ∪ ψj,. zu ersetzen, mussen furden Gegenschritt j j−1 keine Matrizen invertiert werden. Im einzelnen hat man

Pj−1f = Pjf +Qjf =∑k

aj,k φj,k +∑k

dj,k ψj,k

und folglich

aj−1,n = 〈Pj−1f, φj−1,n〉 =∑k

aj,k 〈φj,k, φj−1,n〉 +∑k

dj,k 〈ψj,k, φj−1,n〉 .

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5.4 Algorithmen 135

Fur die rechter Hand erscheinenden Skalarprodukte entnehmen wir den Formeln (3)und (4) die Werte

〈φj,k, φj−1,n〉 = hn−2k , 〈ψj,k, φj−1,n〉 = gn−2k ,

so daß wir definitiv die folgende Syntheseformel erhalten:

aj−1,n =∑k

hn−2k aj,k +∑k

gn−2k dj,k

Als Gegenstuck zu (6) ergibt sich damit eine ahnliche Kaskade, die aus den Koef-fizientenvektoren

aJ,. , dJ,. , dJ−1,. , . . . , d2,. , d1,.schließlich den Datensatz a0,. und damit P0f zuruckliefert:

aJ,.h−→ aJ−1,.

h−→ aJ−2,.h−→ · · · h−→ a1,.

h−→ a0,.

g g g g

dJ,. dJ−1,. d2,. d1,.Wir uberlassen es dem Leser, die Anzahl der hierfur insgesamt erforderlichen Mul-tiplikationen abzuschatzen. Es wird eine Zahl herauskommen, die ungefahr doppeltso groß ist wie das µ von vorher.

Die eingerahmten Formeln zeigen, daß wir nur eine Tabelle der hk und der gkbenotigen, um sofort mit konkreter numerischer Arbeit beginnen zu konnen. Wederdie Skalierungsfunktion φ noch das Mutter-Wavelet ψ mußen vorratig sein oderlaufend neu berechnet werden. (Auch von der Theorie dahinter braucht man eigent-lich nichts zu verstehen . . .) In [D] finden sich zahlreiche derartige Tabellen; siegehoren zu verschiedenen Wavelets ψ, die sich aus dem einen oder andern Grundbewahrt haben. Das folgende Beispiel einer derartigen Tabelle gehort zu dem soge-nannten Daubechies-Wavelet 3ψ mit Trager [ 0, 5 ] :

k hk gk = (−1)kh5−k

0 .3326705529500825 .03522629188570951 .8068915093110924 .08544127388202672 .4598775021184914 −.13501102001025463 −.1350110200102546 −.45987750211849144 −.0854412738820267 .80689150931109245 .0352262918857095 −.3326705529500825

(8)

Wir werden dieses Wavelet in 6.2.©2 ab ovo konstruieren und dann auch sehen, wiedie angegebenen Werte hk zustandekommen.

©1 (Fortsetzung von Beispiel 5.3.©2 ) Die zum Meyer-Wavelet gehorigen hk haben

wir noch gar nicht berechnet. Das soll hier nachgeholt werden.

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136 5 Multiskalen-Analyse

Die erzeugende Funktion H(·) ist gegeben durch 5.3.(22) und ist wie φ eine geradeFunktion. Aufgrund von 5.3.(3) erhalt man daher nacheinander

hk =

√2

∫ π

−πH(ξ) eikξ dξ =

√2

∫ π

−πH(ξ) cos(kξ) dξ

=

√2

π

∫ π

0

√2π∑l

φ(2ξ + 4πl) cos(kξ) dξ .

Von der Summe gibt nur der zu l = 0 gehorige Term einen Beitrag ans Integral;somit ist

hk = h−k =2√π

∫ π

0

φ(2ξ) cos(kξ) dξ .

Diese Integrale mussen nun numerisch berechnet werden. Bei dem hier gewahltenν(·) besitzt φ an den Stellen ± 2π

3 einen 4-Knackpunkt, an den Stellen ± 4π3 einen

3-Knackpunkt und ist im ubrigen beliebig oft differenzierbar. Hieraus folgt(vgl.

Beispiel 1.2.©2 ), daß die hk fur k → ∞ nur wie 1/k4 abklingen. Die Rechnungliefert die folgenden Werte:

k hk = h−k

0 .7487911 .4423472 −.0394313 −.1279284 .0332785 .0571206 −.0248077 −.0253108 .0160009 .009538

10 −.00855611 −.00245112 .00341613 .00005814 −.00064715 .000225

k hk = h−k

16 −.00032917 .00006118 .00033319 −.00023120 −.00005921 .00017422 −.00011523 −.00002724 .00011525 −.00006726 −.00002827 .00006628 −.00004029 −.00001530 .00004631 −.000027

©

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6 Orthonormierte Waveletsmit kompaktem Trager

6.1 Losungsansatz

Wir stehen vor der Aufgabe, Skalierungsfunktionen φ: R → C zu produzieren mitfolgenden Eigenschaften:

(a) φ ∈ L2 , supp(φ) kompakt,

(b) φ(t) ≡√

2∑k

hk φ(2t− k) bzw. φ(ξ) = H(ξ

2

)φ(ξ

2

),

(c)

∫φ(t) dt = 1 bzw. φ(0) =

1√2π

,

(d)

∫φ(t)φ(t− k) dt = δ0k bzw.

∑k

|φ(ξ + 2πl)|2 ≡ 1

2π.

Sind alle diese Bedingungen erfullt, so liefert Satz (5.13) eine orthonormierte Basisvon Wavelets ψj,k mit kompaktem Trager.

Aus (a) folgt sofort φ ∈ L1 und φ ∈ C∞; ferner ergibt sich mit (5.6), daß nurendlich viele hk ungleich 0 sind. Die erzeugende Funktion

H(ξ) :=1√2

∑k

hk e−ikξ

ist daher ein trigonometrisches Polynom, das nach (5.10) der Identitat

|H(ξ)|2 + |H(ξ + π)|2 ≡ 1 (ξ ∈ R) (1)

genugt und, wie schon fruher bemerkt, wegen (b) die speziellen Werte H(0) = 1,H(π) = 0 besitzt.

Die systematische Produktion von derartigen Polynomen ist eine algebraische Auf-gabe, der wir uns im nachsten Abschnitt zuwenden. An dieser Stelle zeigen wir, daßdie Skalierungsfunktion φ, wenn es denn uberhaupt eine gibt, durch H vollstandigbestimmt ist. Wird (b) rekursiv r-mal angewandt so ergibt sich

φ(ξ) =r∏j=1

H( ξ

2j

)· φ( ξ

2r

)und folglich wegen (c):

φ(ξ) =1√2π

limr→∞

r∏j=1

H( ξ

2j

), (2)

falls das unendliche Produkt konvergiert. Wir beweisen daruber:

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138 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

(6.1) Die erzeugende Funktion H ∈ C1 genuge der Identitat (1) sowie H(0) = 1.Dann konvergiert das Produkt (2) auf R lokal gleichmaßig gegen eine Funktion

φ ∈ L2.

Mit

maxξ|H ′(ξ)| =: M

folgt nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung

|H(ξ)− 1| = |H(ξ)−H(0)| ≤M |ξ| (ξ ∈ R) ,

und hieraus schließt man auf∣∣∣H( ξ2j

)− 1∣∣∣ ≤ M |ξ|

2j(j ≥ 0) .

Wegen∑j≥1 2−j = 1 konvergiert daher das Produkt (2) lokal gleichmaßig gegen

eine stetige Funktion φ: R→ C.

Um φ ∈ L2 zu beweisen, mussen wir den von H zu φ fuhrenden Grenzprozess mitHilfe einer ,,Abschneidefunktion“ leicht modifizieren. Wir setzen namlich

f0(ξ) :=1√2π

1[−π,π[(ξ)

und definieren rekursiv wie in (b):

fr(ξ) := H(ξ

2

)fr−1

(ξ2

)(r ≥ 1) . (3)

Dann ist

fr(ξ) =1√2π

r∏j=1

H( ξ

2j

)· 1[−2rπ,2rπ[ . (4)

Fur jedes feste ξ ∈ R gibt es ein r0 mit

−2rπ ≤ ξ < 2rπ ∀r > r0 ,

so daß der ,,Abschneidefaktor“ in (4) fur alle r > r0 entfallt. Der Vergleich mit (2)beweist daher

limr→∞

fr(ξ) = φ(ξ) (ξ ∈ R) ,

und zwar haben wir auch hier lokal gleichmaßige Konvergenz. Als nachstes beweisenwir das folgende Lemma:

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6.1 Losungsansatz 139

(6.2) Die Familie(fr( ·−k) | k ∈ Z

)bildet fur jedes r ≥ 0 ein Orthonormalsystem.

Aufgrund von Satz (5.9) ist (6.2) aquivalent mit

Φr(ξ) :=∑l

|fr(ξ + 2πl)|2 ≡ 1

2π(r ≥ 0) . (5)

Mit Hilfe von (3) erhalt man fur die Φr folgende Rekursionsformel:

Φr(ξ) =∑l

|fr(ξ + 4πl)|2 +∑l

|fr(ξ + 2π + 4πl)|2

=

(∣∣∣H(ξ2

)∣∣∣2+∣∣∣H(ξ

2+ π

)∣∣∣2) Φr−1

(ξ2

).

Da nun die Behauptung (5) fur r := 0 offensichtlich zutrifft, ist sie damit wegen (1)fur alle r ≥ 0 als richtig erwiesen.

Mit Hilfe des Lemmas von Fatou konnen wir nun den folgenden Schluß bezuglichder Grenzfunktion φ ziehen:∫

|φ(ξ)|2 dξ ≤ lim supr→∞

∫|fr(ξ)|2 dξ = lim sup

r→∞1 = 1 .

Damit ist φ ∈ L2 erwiesen.

Wir mussen uns nun um den Trager supp(φ) kummern. Woher nehmen wir dieGewißheit, daß die Skalierungsfunktion (2) tatsachlich kompakten Trager hat, wennnur endlich viele hk ungleich 0 sind? Die im Beweis von Satz (6.1) verwendetenFunktionen fr, die in L2 gegen φ konvergieren, haben gewiss keinen kompaktenTrager; denn die Trager supp( fr ) sind kompakt, die fr selbst somit holomorpheFunktionen der komplexen Variablen ξ.

Um supp(φ) unter Kontrolle zu bekommen, mussen wir direkt im Zeitbereich argu-mentieren. Wir wollen im weiteren

a(h.) := mink∣∣ hk 6= 0

= 0 , b(h.) := max

k∣∣ hk 6= 0

= 2N − 1 (6)

annehmen. Falls φ uberhaupt kompakten Trager hat, liefert Satz (5.7) dessenGrenzen a(φ) = 0 und b(φ) = 2N − 1. Wir konstruieren nun eine neue Folge(gr | r ≥ 0

), die in irgendeinem Sinn gegen φ konvergiert, bei der wir aber sicher

sind, daß die Trager von allen gr im anvisierten Intervall [ 0, 2N − 1 ] liegen.

Fur die Definition einer derartigen Folge erinnern wir uns an die von der Skalierungs-gleichung 5.2.(2) codierte Reproduktionseigenschaft von φ. Man kann sie so aus-drucken: Die Skalierungsfunktion φ ist ein Fixpunkt der Transformation

S: L2 → L2 , g 7→ Sg ; Sg(t) :=√

22N−1∑k=0

hk g(2t− k) .

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140 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Zur Bestimmung von Fixpunkten dient in der Analysis das folgende allgemeineVerfahren: Man wahlt einen passenden Startpunkt g0 und definiert rekursiv eineFolge

(gr | r ≥ 0

)durch

gr+1 := Sgr (r ≥ 0) . (7)

Wenn man Gluck hat, konvergiert diese Folge gegen ,,den“ Fixpunkt φ von S. ImHinblick auf 5.2.(1) wahlen wir im vorliegenden Fall g0 := 1[0,1[ und definieren die

Folge(gr | r ≥ 0

)durch (7). Als erstes beweisen wir

supp(gr) ⊂ [ 0, 2N − 1 ] ∀r ≥ 0 . (8)

Wegen N ≥ 1 trifft die Behauptung fur r = 0 zu. Gilt (8) wie angeschrieben, sokann gr+1(t) = Sgr(t) hochstens dann ungleich 0 sein, wenn sich die beiden Mengen

2t− (2N − 1), . . . , 2t− 1, 2t

und [ 0, 2N − 1]

schneiden, und hierfur mußen die Ungleichungen

2t ≥ 0 ∧ 2t− (2N − 1) ≤ 2N − 1

erfullt sein, oder eben 0 ≤ t ≤ 2N − 1.

Die Wirkung von S im Fourier-Bereich ist offensichtlich gegeben durch

Sg(ξ) = H(ξ

2

)g(ξ

2

),

und r-malige Iteration liefert fur unsere gr die Formel

gr(ξ) =r∏j=1

H( ξ

2j

)· g0

( ξ2r

).

Nun ist(siehe 5.3.(20)

)g0(ξ) =

1√2π

e−iξ/2 sinc(ξ

2

)(9)

und somit

limr→∞

g0

( ξ2r

)=

1√2π

.

Der Vergleich mit (2) zeigt, daß jedenfalls im Fourier-Bereich der erhoffte Sachver-halt eingetreten ist: Es gilt

limr→∞

gr(ξ) = φ(ξ) (ξ ∈ R)

mit lokal gleichmaßiger Konvergenz auf R.

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6.1 Losungsansatz 141

Wie gut die gr selber gegen φ konvergieren, hangt stark von den Regularitatseigen-schaften von φ ab, und die kennen wir nicht; im Augenblick ist φ nur ein L2-Objekt.Trotzdem hat es einen Sinn, vom Trager von φ zu sprechen: Man wird

supp(φ) ⊂ [ 0, 2N − 1 ]

gelten lassen, falls ∫R\[0,2N−1]

|φ(t)|2 dt = 0

ist, und hierfur ist hinreichend, daß φ auf allen C2-Testfunktionen u mit kompaktemund zu [ 0, 2N − 1 ] disjunktem Trager senkrecht steht. Genau dies wird in demfolgenden Lemma bewiesen:

(6.3) Es sei u eine C2-Funktion mit kompaktem und zum Intervall [ 0, 2N − 1 ]disjunktem Trager. Dann gilt

〈φ, u〉 =

∫φ(t)u(t) dt = 0 .

Es sei ein ε > 0 vorgegeben. Nach Voraussetzung uber u ist u ∈ L1; es gibtdaher ein M > 0 mit ∫

|ξ|≥M|u(ξ)| dξ ≤ ε .

Zu diesem M gibt es weiter ein r ≥ 0 mit

|gr(ξ)− φ(ξ)| ≤ ε (−M ≤ ξ ≤M) ;

endlich gilt wegen 5.3.(5) und (9):

|φ(ξ)| ≤ 1√2π

, |gr(ξ)| ≤1√2π

∀ξ ∈ R , ∀r ≥ 0 .

Nach (8) sind die Trager von gr und u disjunkt. Wir haben daher

〈φ, u〉 = 〈gr, u〉+ 〈φ− gr, u〉 = 0 + 〈 φ− gr, u 〉

und folglich

∣∣〈φ, u〉∣∣ ≤ ∫ M

−M|φ(ξ)− gr(ξ)| |u(ξ)| dξ +

∫|ξ|≥M

(|φ(ξ)|+ |gr(ξ)|

)|u(ξ)| dξ

≤(‖u‖1 +

2√2π

)ε .

Da hier ε > 0 beliebig war, ergibt sich die Behauptung.

Damit konnen wir den folgenden Satz aussprechen:

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142 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

(6.4) Der Koeffizientenvektor h. sei begrenzt durch (6), und die zugehorige Funk-tion H genuge der Identitat (1) sowie H(0) = 1. Dann besitzt die Skalierungs-gleichung eine wohlbestimmte Losung φ ∈ L2, und φ hat kompakten Trager imIntervall [ 0, 2N − 1 ] .

Das zum Beweis dieses Satzes verwendete Iterationsverfahren (7) laßt sich ubrigensrecht gut fur die numerische Konstruktion von φ verwenden. In den Bildern 6.1und 6.3 sind die approximierenden Treppenfunktionen gr ebenfalls dargestellt.

Bild 6.1 Iterative Konstruktion der Daubechies-Skalierungsfunktion 2φ

Nach (6.1) bzw. (6.4) ist φ durch H bestimmt und explizit gegeben durch (2).Dies legt folgendes Vorgehen nahe: Man wahlt ein trigonometrisches Polynom H,das der Identitat (1) sowie H(0) = 1 genugt, und definiert φ durch (2). Dann sind(a), (b) und (c) automatisch erfullt; nachzuweisen bleibt (d). Das folgende Beispielzeigt, daß die durch (1) codierten Konsistenzbedingungen fur (d) wohl notwendig,aber nicht hinreichend sind.

©1 In Anlehnung an Beispiel 5.3.©1 definieren wir

H(ξ) :=1

2(1 + e−3iξ) = e−3iξ/2 cos

2.

Man berechnet

|H(ξ)|2 + |H(ξ + π)|2 = cos2 3ξ

2+ cos2 3(ξ + π)

2≡ 1 .

Die eindeutig bestimmte Losung der Funktionalgleichung (b), die auch noch (c)erfullt, laßt sich einfach hinschreiben:

φ(ξ) =1√2π

e−3iξ/2 sin(3ξ/2)

3ξ/2;

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6.1 Losungsansatz 143

sie liefert

φ(t) =

13

(0 ≤ t < 3)

0 (sonst)

.

Die Funktionen(φ( ·−k) | k ∈ Z

)sind offensichtlich nicht orthonormiert. Immerhin

laßt sich zeigen, daß die zugehorigen ψj,k ein straffes Frame in L2 bilden; siehe [D],Proposition 6.3.2. ©Es sind verschiedene Zusatzvoraussetzungen an H vorgeschlagen worden, die (d)garantieren — in Wirklichkeit fehlt namlich nicht viel. Die folgende Variantestammt von Mallat [12]:

(6.5) Die erzeugende Funktion H ∈ C1 genuge der Identitat (1) sowie H(0) = 1;ferner sei

H(ξ) 6= 0(|ξ| ≤ π

2

). (10)

Wird dann φ definiert durch (2), so bilden die φ0,k (k ∈ Z) eine orthonormierteBasis von V0 .

Wir mussen zeigen, daß die Orthonormalitat (6.2) der fr( · − k) im Limeserhalten bleibt, und dazu benotigen wir die entscheidende Zusatzvoraussetzung (10).

Ist |ξ| ≤ π, so gilt H(ξ/2j) 6= 0 fur alle j ≥ 1, und hieraus folgt nach Definition der

Konvergenz eines unendlichen Produkts, daß φ(ξ) 6= 0 ist. Da φ aufgrund der lokalgleichmaßigen Konvergenz von (2) stetig ist, gibt es folglich ein δ > 0 mit

|φ(ξ)| ≥ δ(|ξ| ≤ π

). (11)

Nun laßt sich fr, wie man sich leicht uberlegt, auch folgendermaßen darstellen:

fr(ξ) =

1√2π

φ(ξ)

φ(ξ/2r)(−2rπ ≤ ξ < 2rπ)

0 (sonst) .

Dank (11) erhalten wir daher die universelle Abschatzung

|fr(ξ)| ≤1√2π δ

|φ(ξ)| ∀ξ ∈ R , ∀r ≥ 0 ,

die uns erlaubt, in der abschließenden Formelzeile∫φ(t)φ(t− k) dt =

∫|φ(ξ)|2 eikξ dξ = lim

r→∞

∫|fr(ξ)|2 eikξ dξ = δ0k ∀k ∈ Z

vom Lebesgueschen Satz (betreffend den Grenzubergang unter dem Integralzeichen)Gebrauch zu machen.

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144 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

©1 (Fortsetzung) Um zu sehen, was in diesem Beispiel schiefgelaufen ist, berechnenwir

|fr(ξ)|2 =1

r∏j=1

∣∣∣H( ξ2j

)∣∣∣2 =1

r∏j=1

cos2 3ξ

2j+1

(|ξ| < 2rπ

).

Betrachte jetzt den Punkt ξr := 23 2rπ. An dieser Stelle ist

|fr(ξr)|2 =1

r∏j=1

cos2(2r−j π

)=

1

2π.

Wegen ξr →∞ (r →∞) scheint es daher ausgeschlossen, daß die |fr|2 eine gemein-same integrable Majorante besitzen.

Der tiefere Grund fur den hier vorliegenden Sachverhalt ist folgender: Die Aktion

D: R/2π → R/2π , ξ 7→ 2ξ

besitzt eine geschlossene Bahn

(ξ0, . . . , ξn−1) , ξk := Dξk−1 ∀k , ξn = ξ0 (12)

mit |H(ξk)| = 1 fur alle k, namlich den Zweierzyklus

2π3 ,

4π3

. Durch die Bedingung

(10) werden derartige Zyklen unmoglich gemacht. Dies laßt sich folgendermaßeneinsehen: Aus (10) folgt

|H(ξ)| < 1(π2 ≤ ξ ≤ 3π

2

),

wobei hier ξ modulo 2π zu verstehen ist. Es sei (12) eine beliebige geschlossene Bahn

von D. In der (notwendigerweise periodischen) Binardarstellung vonξ02π

modulo 1

kommt bestimmt die Sequenz 01 oder die Sequenz 10 vor. Dann fallt aber nachendlich vielen Schritten ein Punkt Djξ0 in das Intervall

[π2 ,

3π2

]; die betrachtete

Bahn enthalt daher notwendigerweise Punkte ξj mit |H(ξj)| < 1. ©Lawton [11] hat eine Bedingung eher algebraischer Art gefunden, die ebenfalls dieOrthonormalitat der φ0,k garantiert. Wir nehmen wiederum (6) an; mit (6.4) folgtdann a(φ) = 0 und b(φ) = 2N − 1 .

Es geht jetzt um die Zahlen

αm := 〈φ, φ0,m〉 =

∫φ(t)φ(t−m) dt (m ∈ Z) .

Wegen supp(φ) ⊂ [0, 2N − 1] sind alle αm mit |m| ≥ 2N − 1 von selbst gleich 0.Aufgrund der Skalierungsgleichung 5.2.(2) haben wir

αm = 2∑k,l

hk hl

∫φ(2t− k)φ(2t− 2m− l) dt

=∑k,l

hk hl

∫φ(t′)φ(t′ + k − 2m− l) dt′ =

∑k,l

hk hl α2m+l−k .

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6.1 Losungsansatz 145

Substituieren wir hier die Summationsvariable l gemaß l := n+ k− 2m mit laufen-dem n, so folgt

αm =∑n

(∑k

hk hn+k−2m

)αn . (13)

Dies bringt die (4N − 3)-reihige Matrix A :=[Amn

]ins Spiel, deren Elemente

definiert sind durch

Am,n :=∑k

hk hn+k−2m

(|m|, |n| < 2N − 1

). (14)

Die Gleichung (13) besagt αm =∑nAmn αn, und das heißt: Der Vektor α. ist ein

Eigenvektor von A zum Eigenwert 1. Nun ist aber auch der Vektor

β. := (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0) , d.h. βm = δ0m(|m| < 2N − 1

)ein Eigenvektor von A zum Eigenwert 1; denn aufgrund von (14) bzw. (5.4) gilt

∑n

Amn βn = Am,0 =∑k

hk hk−2m = δ0,m = βm (|m| < 2N − 1) .

Nach diesen Vorbereitungen konnen wir den folgenden Satz notieren:

(6.6) Der Koeffizientenvektor h. sei begrenzt durch (6), die zugehorige FunktionH genuge der Identitat (1) sowie H(0) = 1, und es sei φ die durch (2) bestimmteSkalierungsfunktion. Ist 1 ein e i n f a c h e r Eigenwert der Matrix A, so sind dieφ0,k (k ∈ Z) orthonormiert.

Nach Annahme uber A gibt es eine Zahl c ∈ C∗ mit α. = c β. ; in anderenWorten: Alle αm = 〈φ, φ0,m〉 mit m 6= 0 haben den Sollwert 0, und α0 = c 6= 0. Diezum Beweis von (5.9) durchgefuhrte Rechnung zeigt, daß unter diesen Umstandendie Identitat

Φ(ξ) =∑l

|φ(ξ + 2πl)|2 ≡ c

gilt.

Ist nun l = 2r(2n + 1) 6= 0, so liefert die schon im Beweis von (5.14) verwendeteSchlußkette

φ(2πl) =r−1∏j=1

H(2r−j(2n+ 1)π

)·H((2n+ 1)π

)φ((2n+ 1)π

)= 0 (15)

den noch fehlenden Wert c = 2π |φ(0)|2 = 1 .

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146 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

©1 (Fortsetzung) In diesem Beispiel ist N = 2, und die hk haben folgende Werte:

h0 = h3 =1√2, h1 = h2 = 0 .

Durch Einsetzen in (14) erhalt man die Matrix

A =

0 1

2 0 0 01 0 0 1

2 00 0 1 0 00 1

2 0 0 10 0 0 1

2 0

(Zeilen und Kolonnen von −2 bis 2 nummeriert) mit den Eigenwerten

−1 , −1

2,

1

2, 1 , 1 .

Der Eigenraum zum doppelten Eigenwert 1 ist zweidimensional; er wird aufgespanntvon den Vektoren (1, 2, 0, 2, 1) und naturlich (0, 0, 1, 0, 0). ©

Uber die Regularitat der erhaltenen Skalierungsfunktionen wurde hier nicht ge-sprochen. Die Bilder 6.1 (bzw. 6.5) und 6.3 zeigen, daß φ in der Tat ziemlichruppig aussehen kann. Da φ nicht als einfacher Ausdruck, sondern nur als Resultateines ,,fraktalen“ Prozesses vorliegt, ist die Regularitatsuntersuchung, sei es via dasAbklingverhalten von φ(ξ) fur |ξ| → ∞ oder via eine eingehende Analyse des Ope-rators S, delikat und erfordert sehr ins Einzelne gehende Abschatzungen. Dabeikommt zum Beispiel heraus, daß die Daubechies-Skalierungsfunktion 3φ und daszugehorige Wavelet 3ψ schon stetig differenzierbar sind, und weiter, daß die Dif-ferenzierbarkeitsordnung im wesentlichen linear (mit einem Faktor ∼ 0.2) mit Nwachst. Fur Einzelheiten verweisen wir den Leser auf [D], Chapter 7, oder auf [7].

6.2 Algebraische Konstruktionen

Nach den Ergebnissen des vorangehenden Abschnitts bleibt einzig noch das alge-braische Problem, trigonometrische Polynome

H(ξ) :=1√2

∑k

hk e−ikξ

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6.2 Algebraische Konstruktionen 147

zu finden, die der Identitat

|H(ξ)|2 + |H(ξ + π)|2 ≡ 1 (ξ ∈ R)

genugen sowie der Bedingung H(0) = 1. Wir wollen uns hier auf reelle hk festlegen,die zugehorigen Skalierungsfunktionen φ sowie die Mutter-Wavelets ψ sind dannebenfalls reellwertig.

Nach 5.3.(13) wird ψ gegeben sein durch

ψ(ξ) := eiξ/2H(ξ

2+ π

)φ(ξ

2

).

Nun sind wir nach dem in Abschnitt 3.5 Gesagten, siehe zum Beispiel (3.13), daraninteressiert, daß das Wavelet ψ moglichst hohe Ordnung besitzt, und das ist nach

3.5.(3) damit aquivalent, daß ψ an der Stelle ξ = 0 von moglichst hoher Ordnung Nverschwindet. Folglich sollte H an der Stelle π eine Nullstelle der Ordnung N 1haben, was wir mit

H(ξ) =(1 + e−iξ

2

)NB(ξ) , N ≥ 1

zum Ausdruck bringen. Anstelle von H betrachten wir zunachst die Funktion

M(ξ) := |H(ξ)|2 = H(ξ)H(−ξ) ≥ 0 , (1)

die jedenfalls der Identitat

M(ξ) +M(ξ + π) ≡ 1 (2)

genugen muß. Aus Symmetriegrunden ist M ein Polynom in cos ξ , und M enthaltden Faktor (1 + e−iξ

2

)N (1 + eiξ

2

)N=(1 + cos ξ

2

)N=(

cos2 ξ

2

)N;

folglich ist

M(ξ) =(

cos2 ξ

2

)NA(ξ) , A(ξ) = B(ξ)B(−ξ) = P (cos ξ) (3)

fur ein gewisses Polynom P . Fuhren wir mit sin2 ξ2 =: y die neue Variable y ein

und setzen zur Abkurzung

A(ξ) = P (cos ξ) = P (1− 2y) =: P (y) , (4)

so geht (3) uber inM(ξ) = (1− y)N P (y) .

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148 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Wegen

cos2(ξ + π

2

)= sin2 ξ

2= y

undA(ξ + π) = P (− cos ξ) = P (2y − 1) = P

(1− 2(1− y)

)= P (1− y)

erhalten wir daher anstelle der Identitat (2) die Formel

(1− y)NP (y) + yNP (1− y) ≡ 1 . (5)

Diese Gleichung gilt zunachst fur 0 ≤ y ≤ 1; nach allgemeinen Prinzipien uberholomorphe Funktionen gilt sie dann von selbst fur beliebige y ∈ C.

Nach dem Satz uber die Partialbruchzerlegung gibt es eindeutig bestimmte Koef-fizienten Ck, C ′k mit

1

yN (1− y)N≡

N∑k=1

Ckyk

+

N∑k=1

C ′k(1− y)k

,

und aus Symmetriegrunden ist Ck = C ′k fur alle k. In der Folge gibt es ein PolynomPN vom Grad ≤ N − 1, so daß die Identitat

(1− y)NPN (y) + yNPN (1− y) ≡ 1

zutrifft, und PN ist die einzige polynomiale Losung von (5) mit einem Grad ≤ N−1.Nun genugt jede Losung P von (5) auch der Identitat

P (y) ≡ (1− y)−N(1− yN P (1− y)

).

Fur das Polynom PN ziehen wir hieraus den Schluß

PN (y) = jN−10 PN (y) =

N−1∑k=0

(−Nk

)(−y)k =

N−1∑k=0

(N + k − 1

k

)yk ; (6)

denn der mit einem Faktor yN belegte Anteil von PN gibt keinen Beitrag anjN−10 PN . Damit haben wir die Losung von (5) mit dem kleinstmoglichen Grad

gefunden. Es sei nun P eine beliebige Losung von (5). Dann ist

(1− y)N(P (y)− PN (y)

)+ yN

(P (1− y)− PN (1− y)

)≡ 0 (7)

und folglichP (y)− PN (y) = yN P ∗(y)

fur ein gewisses Polynom P ∗. Setzen wir das in (7) wieder ein, so ergibt sich

P ∗(y) + P ∗(1− y) ≡ 0 ,

und das ist aquivalent mit

P ∗(y) = R(1− 2y) = R(cos ξ) , R ungerade.

Da sich diese Rechnungen auch ruckwarts nachvollziehen lassen, haben wir alles inallem folgendes gezeigt:

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6.2 Algebraische Konstruktionen 149

(6.7) Ein trigonometrisches Polynom M(·) genugt genau dann der Identitat (2),wenn es die folgende Form hat:

M(ξ) =(

cos2 ξ

2

)NP(

sin2 ξ

2

).

Dabei istP (y) = PN (y) + yN R(1− 2y)

mit einem ungeraden Polynom R.

Im Hinblick auf (1) konnen wir M(·) nur brauchen, wenn P der zusatzlichen Be-dingung

P (y) ≥ 0 (0 ≤ y ≤ 1)

genugt. Mit P := PN ist diese Bedingung offensichtlich erfullt.

Um nun von M zu H zu kommen, mussen wir gewissermaßen ,,aus M die Wurzelziehen“, wobei wir uns nur um den Faktor

P(

sin2 ξ

2

)= P (cos ξ) = A(ξ)(

vgl. (3))

zu kummern brauchen. Fur diese Aufgabe steht nun ein uberraschendesLemma von Riesz zur Verfugung. Es lautet folgendermaßen:

(6.8) Ist

A(ξ) =

n∑k=0

ak cosk ξ , ak ∈ R , an 6= 0

und ist A(ξ) ≥ 0 fur reelle ξ, insbesondere A(0) = 1, dann gibt es ein trigonome-trisches Polynom

B(ξ) =

n∑k=0

bk e−ikξ

mit reellen Koeffizienten bk und B(0) = 1, so daß identisch in ξ gilt:

A(ξ) ≡ B(ξ)B(−ξ) . (8)

Die Funktion A(·) besitzt eine Produktzerlegung der Form

A(ξ) = an

n∏j=1

(cos ξ − cj) , (9)

wobei die cj reell sind oder dann in konjugiert komplexen Paaren auftreten. Wirfuhren mit e−iξ =: z die komplexe Variable z ein; die Darstellung (9) geht damituber in

A(ξ) = an

n∏j=1

(z + z−1

2− cj

). (10)

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150 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Bei der Untersuchung der hier auftretenden Faktoren benotigen wir die bekanntenEigenschaften der Abbildung z 7→ (z + z−1)/2 sowie wiederholt die Identitat

z + z−1

2− s+ s−1

2≡ − 1

2s(z − s) (z−1 − s) (z s 6= 0) . (11)

(a) Ist cj ∈ R und |cj | ≥ 1, so gibt es ein s ∈ R∗ mit cj = (s + s−1)/2. Mit (11)erhalten wir daher

z + z−1

2− cj = − 1

2s· (z − s) · (z−1 − s) .

(b) Ist cj ∈ R und |cj | < 1, so gibt es ein s = eiα 6= ±1 mit

cj =s+ s−1

2= cosα .

Damit enthalt A(ξ) einen Faktor cos ξ − cosα mit 0 < |α| < π, und das ist nurdann mit A(ξ) ≥ 0 (ξ ∈ R) vertraglich, wenn dieser Faktor eine gerade Anzahl malvorkommt. Es gibt daher ein j′ mit cj′ = cj , und wir erhalten mit (11) die Identitat

(z + z−1

2− cj

)(z + z−1

2−cj′

)=

1

4e2iα(z − eiα)(z−1 − eiα)(z − eiα)(z−1 − eiα)

=1

4(z − eiα)(z − e−iα) (z−1 − eiα)(z−1 − e−iα)

=1

4· (z2 − 2z cosα+ 1) · (z−2 − 2z−1 cosα+ 1

).

(c) Ist cj /∈ R, so gibt es erstens ein j′ mit cj′ = cj und zweitens ein s ∈ C∗ mit

cj =s+ s−1

2, cj′ =

s+ s−1

2.

Mit Hilfe von (11) erhalten wir dann

(z + z−1

2− cj

)(z + z−1

2− cj′

)=

1

4|s|2 (z − s)(z−1 − s) (z − s)(z−1 − s)

=1

4|s|2 ·(z2 − 2Re(s)z + |s|2

)·(z−2 − 2Re(s)z−1 + |s|2

).

Es ist daher moglich, die in (10) auftretenden Faktoren so zu kombinieren undanders wieder aufzuteilen, daß A(ξ) eine Darstellung der folgenden Art erhalt:

A(ξ) = C Q(z)Q(z−1) = C Q(e−iξ

)Q(eiξ)

;

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6.2 Algebraische Konstruktionen 151

dabei ist Q(z) =∑nk=0 qkz

k ein Polynom mit reellen Koeffizienten qk , wahrend sichdie Konstante C ∈ C∗ durch Zusammenfassung von an mit den in (a)–(c) erschiene-

nen Vorfaktoren ergibt. Die Zusatzbedingung A(0) = 1 liefert C = 1/(Q(1)

)2. Mit

B(ξ) := Q(e−iξ)/Q(1) folgt jetzt die Behauptung des Lemmas.

Die Zerlegung (8) ist nicht eindeutig bestimmt, da in den Fallen (a) und (c) dieVertauschung s↔ s−1 eine andere Zerlegung des betreffenden Teilprodukts liefert.Diese Flexibilitat laßt sich dazu benutzen, die resultierende Skalierungsfunktion unddann auch das zugehorige Wavelet symmetrischer zu machen. Wir gehen auf diesenPunkt nicht ein.

Wird fur ein gegebenes N der Einfachheit halber P := PN gewahlt, so wird A(·)ein Polynom vom Grad N − 1 in cos ξ und B(·) ein Polynom vom Grad N − 1 ine−iξ. Die erzeugende Funktion

H(ξ) =(1 + e−iξ

2

)NB(ξ)

erhalt damit den Grad 2N − 1 in e−iξ, und als Trager der zugehorigen Skalierungs-funktion Nφ ergibt sich das Intervall [ 0, 2N − 1 ]. Die davon abgeleiteten Wavelets

Nψ heißen Daubechies-Wavelets.

Den Fall N = 2 werden wir uns im nachsten Abschnitt noch besonders vornehmen,den Fall N = 3 im nachfolgenden Beispiel ©2 . In [D], Table 6.1, sind die zu denDaubechies-Wavelets Nψ gehorenden Koeffizientenvektoren

(hk | 0 ≤ k ≤ 2N − 1

)fur 2 ≤ N ≤ 10 auf 16 Stellen genau angegeben. In [L], Tabelle 2.3, finden sichsechsstellige Koeffizienten fur N von 2 bis 5.

©1 Im Fall N = 1 erhalten wir naturlich das Haar-Wavelet. Die Formel (6) liefertP1(y) ≡ 1, und damit ist auch P (cos ξ) ≡ 1, B(ξ) ≡ 1. Es resultiert

H(ξ) =1

2(1 + e−iξ) ,

in Ubereinstimmung mit 5.3.(21). ©©2 Wir nehmen uns den Fall N = 3 vor und wahlen

P (y) := P3(y) =

(2

0

)+

(3

1

)y +

(4

2

)y2 = 1 + 3y + 6y2 .

Mit

y = sin2 ξ

2=

1

4(−e−iξ + 2− eiξ) , y2 =

1

16(e−2iξ − 4e−iξ + 6− 4eiξ + e2iξ)

und (4) erhalten wir dann

A(ξ) =3

8e−2iξ − 9

4e−iξ +

19

4− . . . .

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152 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Bild 6.2 zeigt, daß A(ξ) durchwegs ≥ 0 ist, so daß es einen Sinn hat, mit derRechnung fortzufahren. FurB(·) mussen wir den AnsatzB(ξ) = b0+b1e

−iξ+b2e−2iξ

machen und dann in

(b0 + b1e−iξ + b2e

−2iξ)(b0 + b1eiξ + b2e

2iξ) =3

8e−2iξ − 9

4e−iξ +

19

4− . . .

die Koeffizienten bei e−2iξ, e−iξ und 1 vergleichen. Dies liefert die drei Gleichungen

b2b0 =3

8, b1b0 + b2b1 = −9

4b20 + b21 + b22 =

19

4. (12)

y

10

1

! 2!"

y = A(")

0

Bild 6.2

Wegen A(0) = P (0) = 1 garantiert Lemma (6.8), daß wir reelle Losungen (b0, b1, b2)finden werden, die uberdies der Bedingung b0 + b1 + b2 = 1 genugen. Verwendenwir diese Bedingung zur Elimination von b0 + b2 aus der mittleren Gleichung (12),so erhalten wir fur b1 die quadratische Gleichung b21 − b1 − 9

4 = 0, die die Werte

b1 =1±√

10

2, b0 + b2 =

1∓√

10

2

liefert. Wir uberlassen es dem Leser, das obere Vorzeichen weiter zu verfolgen; esfuhrt auf komplexe b0 und b2. Damit ist definitiv b1 = (1 −

√10)/2, und wegen

der ersten Gleichung (12) sind b0 und b2 die beiden Losungen der quadratischenGleichung

x2 − 1 +√

10

2x+

3

8= 0 .

Wir wahlen willkurlich eine der beiden moglichen Zuordnungen und erhalten

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6.2 Algebraische Konstruktionen 153

B(ξ) =1 +√

10 +√

5 + 2√

10

4+

1−√

10

2e−iξ +

1 +√

10−√

5 + 2√

10

4e−2iξ ,

woraus sich schließlich

H(ξ) =(1 + e−iξ

2

)3

B(ξ)

=1

8

(1 + 3e−iξ + . . .

)(1 +√

10 +√

5 + 2√

10

4+

1−√

10

2e−iξ + . . .

)=

1 +√

10 +√

5 + 2√

10

32+

5 +√

10 + 3√

5 + 2√

10

32e−iξ + . . .

ergibt. Dies reicht schon zur Bestimmung von h0 und h1:

h0 =√

21 +√

10 +√

5 + 2√

10

32= 0.33267 . . .

h1 =√

25 +√

10 + 3√

5 + 2√

10

32= 0.80689 . . . ,

im Einklang mit Tabelle 5.4.(8). Wir uberlassen es dem Leser, auch noch dierestlichen hk zu berechnen und sich damit vollstandig zu uberzeugen, daß wirtatsachlich den Koeffizientenvektor h. zum Daubechies-Wavelet 3ψ bestimmt haben.

Die Funktionen 3φ und 3ψ sind in den Bildern 6.3–4 zu sehen. ©

Bild 6.3 Die Daubechies-Skalierungsfunktion 3φ

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154 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Bild 6.4 Das Daubechies-Wavelet 3ψ

6.3 Binare Interpolation

In den beiden vorangehenden Abschnitten haben wir Skalierungsfunktionen undzugehorige Wavelets mit Hilfe von Konstruktionen im Fourier-Bereich erhalten,ferner als Grenzfunktionen eines Iterationsprozesses, wobei allerdings das Konver-genzverhalten im Zeitbereich unerortert blieb. Es gibt noch eine dritte, sogenannt,,direkte“ Methode zur Konstruktion von Skalierungsfunktionen φ, die von Anfangan die exakten Werte φ(x) in allen ,,dual rationalen“ Punkten x ∈ R liefert. MitHilfe dieser Methode erhalt man auch die besten Regularitatsaussagen zum Beispielfur die Daubechies-Wavelets Nψ.

Um Ideen zu fixieren, denken wir uns ein N ≥ 1 gewahlt und nehmen von vorne-herein

a(h.) = 0 , b(h.) = 2N − 1

an, wie fur die Daubechies-Wavelets vereinbart; die Skalierungsgleichung hat danndie Form

φ(t) =√

22N−1∑k=0

hk φ(2t− k) , h0 h2N−1 6= 0 . (1)

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6.3 Binare Interpolation 155

Im weiteren sei zur Abkurzung

0, 1, . . . , 2N − 1 =: J , RJ =: X

gesetzt. Fur die Beschreibung der ,,dual rationalen“ Zahlen, kurz: Binarzahlen,verwenden wir die naheliegenden Bezeichnungen

k · 2−r∣∣ k ∈ Z

=: Dr (r ∈ N) ,

⋃r≥0

Dr =: D .

Damit gelten die Inklusionen

Z = D0 ⊂ D1 ⊂ . . . ⊂ Dr ⊂ Dr+1 ⊂ . . . ⊂ D ,

und D liegt dicht in R.

Grundlage der ,,direkten“ Methode sind folgende einfache Tatsachen:

• Ist t ∈ Dr fur ein r ≥ 1, so liegen die Zahlen 2t− k (k ∈ J) in Dr−1.

• Ist t < 0, so sind die Zahlen 2t− k (k ∈ J) ebenfalls < 0.

• Ist t > 2N − 1, so sind die Zahlen 2t− k (k ∈ J) ebenfalls > 2N − 1.

Hiernach erlaubt die Skalierungsgleichung (1), die Werte von φ auf

D1\D0 , D2\D1 , D3\D2 , . . .

und damit auf ganz D sukzessive zu berechnen, wenn diese Werte auf D0 = Zeinmal bestimmt sind. Und weiter: Ist von vorneherein φ(k) = 0 fur k ∈ Z<0

und k ∈ Z>2N−1, so wird automatisch φ(t) = 0 fur alle t ∈ D<0 ∪ D>2N−1.(In

Wirklichkeit ist auch φ(0) = φ(2N − 1) = 0; das wird sich bei der Bestimmung vonφZ von selbst ergeben.

)Was nun φZ betrifft, so ist jedenfalls die pauschale Festsetzung

φ(k) := 0(k ∈ Z\J

)mit (1) vertraglich. Damit verbleiben wir mit dem homogenen Gleichungssystemφ(j) =

√2∑k hk φ(2j − k), oder anders geschrieben:

φ(j) =√

2

2N−1∑k=0

h2j−k φ(k) (0 ≤ j ≤ 2N − 1) , (2)

fur den Vektor(φ(j) | j ∈ J

)=: a . Die (J × J)-Matrix

B =[Bjk

], Bjk :=

√2 h2j−k

((j, k) ∈ J × J

)mußte also einen Eigenvektor a zum Eigenwert 1 haben. Wir behaupten:

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156 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

(6.9) Die Matrix B besitzt jedenfalls den Eigenwert 1. Ist dieser Eigenwert einfach,so gibt es genau einen zugehorigen Eigenvektor a mit∑

k∈Jak = 1 . (3)

Zur Veranschaulichung schreiben wir die Matrix B fur den Fall N := 3 explizithin:

B =√

2

h0 0 0 0 0 0h2 h1 h0 0 0 0h4 h3 h2 h1 h0 00 h5 h4 h3 h2 h1

0 0 0 h5 h4 h3

0 0 0 0 0 h5

. (4)

Wir argumentieren uber die Kolonnensummen von B. Dazu betrachten wir nochein-mal die erzeugende Funktion H, gegeben durch 5.3.(3). Wegen

0 = H(π) =1√2

∑k

hk (−1)k

folgt zusatzlich zu (5.5) die Gleichung∑lh2l −

∑lh2l+1 = 0 ,

so daß wir im ganzen ∑lh2l =

∑lh2l+1 =

1√2

erhalten. Ein Blick auf (4) zeigt, daß hiernach die Matrix B (jedenfalls fur N = 3)konstante Kolonnensummen 1 besitzt. Das gilt naturlich allgemein:

2N−1∑j=0

Bjk =√

22N−1∑j=0

h2j−k =

√2∑l h2l = 1 (k gerade)

√2∑l h2l+1 = 1 (k ungerade)

,

wobei man sich leicht davon uberzeugt, daß fur jedes k ∈ J uber samtliche h2l 6= 0bzw. h2l+1 6= 0 summiert wird. Der vorgefundene Sachverhalt laßt sich folgen-dermaßen interpretieren: Der Vektor e :=

(1 | j ∈ J

)ist ein Eigenvektor zum

Eigenwert 1 der Matrix B′. Dann besitzt naturlich auch B den Eigenwert 1 sowieeinen zugehorigen Eigenvektor a 6= 0.

Nach allgemeinen Prinzipien (siehe [6], §58, Theorem 1) gibt es zwei invarianteUnterraume U und V von B mit U ⊕ V = X, so daß B − 1X auf U nilpotent undauf V invertibel ist. Das charakteristische Polynom q(λ) von B besitzt somit eineZerlegung q(λ) = (λ − 1)m q1(λ) mit m := dim(U). Nach Voraussetzung uber q(·)ist aber m = 1; folglich ist U =<a> und dim(V ) = dim(X)− 1.

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6.3 Binare Interpolation 157

Zu jedem y ∈ V gibt es ein x ∈ V mit y = Bx− x, und hieraus folgt

〈e, y〉 = 〈e, Bx〉 − 〈e, x〉 = 〈B′e, x〉 − 〈e, x〉 = 0 .

Dies beweist V ⊂ <e>⊥, und aus Dimensionsgrunden ist dann V = <e>⊥. Wegena /∈ V ist daher ∑

k∈Jak = 〈e,a〉 6= 0 ,

und die betrachtete Summe laßt sich zu 1 normieren.

Die Bedingung (3) bzw.∑k∈J φ(k) = 1 kommt nicht von ungefahr. Es gilt namlich

der folgende Satz(vgl. (6.1)

):

(6.10) Die erzeugende Funktion H genuge den Voraussetzungen von (6.1), und

es sei φ ∈ L2 definiert durch das unendliche Produkt 6.1.(2). Ist φ in Wirklichkeiteine stetige Funktion, die einer Abschatzung der Form

|φ(t)| ≤ C

1 + t2(t ∈ R)

genugt, so gilt ∑k

φ(x− k) ≡ 1 (x ∈ R) . (5)

Nach Voraussetzung uber φ ist

g(x) :=∑k

φ(x− k)

eine stetige periodische Funktion der Periode 1 mit Fourier-Koeffizienten

cj =

∫ 1

0

g(x) e−2jπix dx =∑k

∫ 1

0

φ(x− k) e−2jπi(x−k) dx

=

∫φ(x) e−2jπix dx =

√2π φ(2jπ) = δ0j (j ∈ Z) ,

wobei wir zuletzt 6.1.(15) benutzt haben. Hiernach ist g konstant und hat denbehaupteten Wert.

Die Daubechies-Skalierungsfunktionen Nφ sind fur N ≥ 2 stetig. Dies werden wirfur N = 2 tatsachlich beweisen; fur den allgemeinen Fall verweisen wir auf [D],Chapter 7, sowie [4] oder [7]. Die Nφ (auch 1φ = φHaar) genugen daher ihrerjeweiligen Skalierungsgleichung (1) identisch in t ; ferner gilt fur sie (5).

Die numerische Konstruktion von Nφ spielt sich also im ganzen folgendermaßen ab:Aus ubergreifenden Grunden besitzt das System (2) eine Losung

(φ(j) | j ∈ J

)=: a

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158 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

mit∑k∈J φ(k) = 1. Ist die Vielfachheit des Eigenwerts 1 von B tatsachlich 1,

so ist damit NφZ eindeutig bestimmt, und mit Hilfe des geschilderten Rekur-sionsverfahrens laßt sich Nφ sukzessive in allen Punkten x ∈ D berechnen. Fur diegraphische Darstellung von Nφ reicht das naturlich vollkommen aus. Es geht abernoch weiter: Im Grundsatz ist jetzt Nφ(x) an jeder Stelle x ∈ R mindestens alsGrenzwert verfugbar, da Nφ stetig ist und D in R dicht liegt.

Wie angekundigt, beweisen wir zum Schluß:

(6.11) Die Daubechies-Skalierungsfunktion 2φ ist stetig.

Beim Beweis machen wir von dem hier besprochenen Rekursionsverfahren Ge-brauch, wobei wir allerdings (5) nicht benutzen durfen, sondern mitbeweisen wer-den. Wir folgen dabei im wesentlichen der Darstellung [14].

Wir beginnen wie in Beispiel 6.2.©2 : Gemaß 6.2.(6) ist

P (y) := P2(y) =

(1

0

)+

(2

1

)y = 1 + 2y

und folglich

A(ξ) = P2

(sin2 ξ

2

)= 1 + 2 sin2 ξ

2= 2− cos ξ .

Hierauf mussen wir nun das Lemma von Riesz (6.8) anwenden. Werden in derangestrebten Identitat

(b0 + b1e−iξ)(b0 + b1e

iξ) ≡ 2− 1

2(eiξ + e−iξ)

die Koeffizienten verglichen, so resultieren die beiden Gleichungen

b20 + b21 = 2 , b0b1 = −1

2.

Wir wahlen die Losung (b0, b1) =((1 +

√3)/2, (1−

√3)/2

)und haben dann

H(ξ) =(1 + e−iξ

2

)2

B(ξ) =1

8

(1 + 2e−iξ + e−2iξ

)(1 +√

3 + (1−√

3)e−iξ)

=1

8

(1 +√

3 + (3 +√

3)e−iξ + (3−√

3)e−2iξ + (1−√

3)e−3iξ),

womit auch H(0) = 1 sichergestellt ist. Der Koeffizientenvektor h. laßt sich daherfolgendermaßen tabellieren:

h0 =1√2

1 +√

3

4= .4829629131445341

h1 =1√2

3 +√

3

4= .8365163037378079

h2 =1√2

3−√

3

4= .2241438680420134

h3 =1√2

1−√

3

4= −.1294095225512604 .

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6.3 Binare Interpolation 159

Die weiteren Rechnungen werden sich im Zahlbereich

D[√

3]

:=x+ y

√3∣∣ x, y ∈ D

abspielen. D

[√3]

ist offensichtlich ein Ring, und die Konjugation (komplexe Zahlenkommen in diesem Abschnitt nicht vor)

z = x+ y√

3 7→ z := x− y√

3 (x, y ∈ D)

ist ein Automorphismus von D[√

3], der die Zahlen des Grundrings D festhalt. Wir

setzen noch

a :=1 +√

3

4= .6830 . . . , a =

1−√

3

4= −.1830 . . . .

Mit diesen Bezeichnungen geht die Skalierungsgleichung (1) uber in

φ(t) = aφ(2t) + (1− a)φ(2t− 1) + (1− a)φ(2t− 2) + aφ(2t− 3) , (6)

und aus dem Gleichungssystem (2) wirdφ(0)φ(1)φ(2)φ(3)

=

a

1− a 1− a aa 1− a 1− a

a

φ(0)φ(1)φ(2)φ(3)

. (7)

Das System (7) besitzt genau eine Losung, die auch noch die Bedingung (3) erfullt,namlich

φ(0)φ(1)φ(2)φ(3)

=

02a2a0

.

Wie vereinbart, setzen wir φ(k) := 0 fur alle ubrigen k ∈ Z. Dann ist φ(·) durch (6)rekursiv auf ganz D bestimmt. Wir behaupten, daß φD die folgenden Eigenschaftenbesitzt:

(6.12) Fur alle x ∈ D gilt

(a) φ(x) ∈ D[√

3],

(b) φ(3− x) = φ(x) ,

(c)∑k φ(x− k) = 1 ,

(d)∑k k φ(x− k) = x− 2a− 4a .

Fur x ∈ D0 = Z treffen (a)–(c) zu. Zur Verifikation von (d)Z schreiben wirφZ in der Form

φ(x) = 2a δx1 + 2a δx2 (x ∈ Z) .

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160 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Dann ist

φ(x− k) = 2a δx−k,1 + 2a δx−k,2 = 2a δx−1,k + 2a δx−2,k (x, k ∈ Z) ,

und fur beliebige x ∈ Z ergibt sich so die Gleichungskette∑k

k φ(x− k) = 2a∑k

k δx−1,k + 2a∑k

k δx−2,k = 2a(x− 1) + 2a(x− 2)

= x− 2a− 4a .

Wir nehmen nun an, die Relationen (a)–(d) treffen fur alle x ∈ Dr zu, und betrach-ten ein beliebiges t ∈ Dr+1. Samtliche Zahlen 2t− k liegen in Dr ; an (6) ist daherunmittelbar abzulesen, daß auch φ(t) in D

[√3]

liegt. Fur (b) und (c) hat man

φ(3− t) = aφ(6− 2t) + (1− a)φ(5− 2t) + (1− a)φ(4− 2t) + aφ(3− 2t)

= aφ(2t− 3) + (1− a)φ(2t− 2) + (1− a)φ(2t− 1) + a φ(2t) = φ(t)

und∑k

φ(t− k) =∑k

(aφ(2t− 2k) + (1− a)φ(2t− 2k − 1)

+ (1− a)φ(2t− 2k − 2) + aφ(2t− 2k − 3))

=(a+ (1− a)

)∑k

φ(2t− 2k) +((1− a) + a

)∑k

φ(2t− 2k − 1)

=∑l

φ(2t− l) = 1 .

Und schließlich der Induktionsschritt fur (d):∑k

k φ(t− k)

=∑k

k(aφ(2t− 2k) + (1− a)φ(2t− 2k − 1)

+ (1− a)φ(2t− 2k − 2) + aφ(2t− 2k − 3))

=∑k

(a k + (1− a)(k − 1)

)φ(2t− 2k) +

∑k

((1− a)k + a(k − 1)

)φ(2t− 2k − 1)

=1

2

∑k

(2k + 2a− 2)φ(2t− 2k) +1

2

∑k

((2k + 1)− 1− 2a

)φ(2t− 2k − 1)

=1

2

∑l

l φ(2t− l) + (a− 1)∑l

φ(2t− l) =1

2(2t− 2a− 4a) + a− 1

= t− 2a− 4a ;

dabei haben wir wiederholt 2a+ 2a = 1 benutzt.

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6.3 Binare Interpolation 161

Angesichts dieses Induktionsbeweises erscheint Eigenschaft (d) wie ein Wunder. InWirklichkeit laßt sich (d) aus allgemeinen Prinzipien herleiten, ahnlich, wie wir jaauch die Formel (c) in Satz (6.10) theoretisch begrundet haben.

Betrachten wir die Formeln (6.12)(c) und (d) speziell fur 0 ≤ x ≤ 1, so erhaltenwir wegen supp(φ) = [ 0, 3 ] die beiden Gleichungen

φ(x) + φ(x+ 1) + φ(x+ 2) = 1

− φ(x+ 1)− 2φ(x+ 2) = x− 2a− 4a ,

und hieraus ergeben sich durch Elimination die Formeln

φ(x+ 1) = −2φ(x) + x+ 2a

φ(x+ 2) = φ(x)− x+ 2a

(x ∈ D , 0 ≤ x ≤ 1) . (8)

Wir bleiben fur einen Moment beim x-Intervall [0, 1]. Die Skalierungsgleichungvereinfacht sich hier wegen supp(φ) = [0, 3] zu

φ(x) =

aφ(2x)

(x ∈ D, 0 ≤ x ≤ 1

2

)aφ(2x) + (1− a)φ(2x− 1)

(x ∈ D, 1

2 ≤ x ≤ 1) . (9)

Hier soll nun die zweite Zeile etwas umgeschrieben werden. Ist 12 ≤ x ≤ 1, so ist

2x = u+ 1 fur ein u ∈ [0, 1] ; mit Hilfe der ersten Formel (8) ergibt sich daher

φ(2x) = φ(u+ 1) = −2φ(u) + u+ 2a = −2φ(2x− 1) + 2x− 1 + 2a

und folglich

aφ(2x) + (1− a)φ(2x− 1) = (−2a+ 1− a)φ(2x− 1) + 2ax− a+ 2a2

= aφ(2x− 1) + 2ax+1

4.

Wir konnen daher (9) ersetzen durch

φ(x) =

aφ(2x)

(x ∈ D , 0 ≤ x ≤ 1

2

)a φ(2x− 1) + 2ax+ 1

4

(x ∈ D , 1

2 ≤ x ≤ 1) . (10)

Damit haben wir ein Reproduktionsschema fur φ erhalten, das sich nur auf dasIntervall [ 0, 1 ] bezieht. Dabei erscheint auf der rechten Seite jeweils ein einzigerφ-Term, und zwar mit einem Koeffizienten vom Betrag < 1. Dieser Umstand bildetnun die Grundlage fur den Stetigkeitsbeweis.

Es bezeichne X den Raum aller stetigen Funktionen f : [ 0, 1 ] → R, die an denStellen 0 und 1 bzw. die Werte 0 und 2a annehmen, versehen mit der Metrik

d(f, g) := sup0≤x≤1

|f(x)− g(x)| .

Nach allgemeinen Prinzipien ist X ein vollstandiger metrischer Raum. Wir be-haupten:

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162 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

(6.13) Durch die Festsetzung

Tf(x) :=

a f(2x)

(0 ≤ x ≤ 1

2

)a f(2x− 1) + 2ax+ 1

4

(12 ≤ x ≤ 1

) (11)

wird eine kontrahierende Abbildung T : X → X erklart, und zwar gilt

d(Tf, Tg) ≤ a d(f, g) ∀f, g ∈ X . (12)

Ist f(0) = 0 und f(1) = 2a, so wird auch Tf(0) = 0 und Tf(1) = 2a; fernerist Tf

(12

)= 2a2, und zwar unabhangig davon, ob dieser Wert mit Hilfe der ersten

oder der zweiten Zeile von (11) berechnet wird. Weiter: Ist f ∈ X , so zeigt einBlick auf (11), daß Tf auf jedem der beiden Halbintervalle

[0, 1

2

]und

[12 , 1]

stetigist; folglich ist Tf auf ganz [0, 1] stetig. Damit ist erwiesen, daß T eine Abbildungvon X nach X ist.

Es seien nun f und g zwei beliebige Funktionen in X . Fur 0 ≤ x ≤ 12 hat man

|Tf(x)− Tg(x)| = a |f(2x)− g(2x)| ≤ a d(f, g) ,

und fur 12 ≤ x ≤ 1 gilt

|Tf(x)− Tg(x)| =∣∣(a f(2x− 1) + 2ax+ 1

4

)−(a g(2x− 1) + 2ax+ 1

4

)∣∣= |a| |f(2x− 1)− g(2x− 1)| ≤ |a| d(f, g) .

Wegen |a| < a (< 1) gilt hiernach |Tf(x)−Tg(x)| ≤ a d(f, g) fur alle x ∈[0, 1], und

(12) ist erwiesen.

Nach dem allgemeinen Fixpunktsatz gibt es eine Funktion f∗ ∈ X mit Tf∗ = f∗.Dieses f∗ stimmt in den Punkten von D ∩ [0, 1] mit dem vorher betrachteten φuberein, da f∗ an den Stellen 0 und 1 dieselben Werte hat wie φ und (11) fur f := f∗

(⇒ Tf=f∗) in das Reproduktionsschema (10) der Funktion φ(D∩ [0, 1]

)ubergeht.

Unser φ: D → R besitzt daher im Bereich 0 ≤ x ≤ 1 eine stetige Fortsetzung aufganz [0, 1]. Mit (8) ergibt sich weiter, daß auch in den Intervallen [1, 2] und [2, 3]derartige Fortsetzungen existieren, und außerhalb [0, 3] ist φ(x) :≡ 0 trivialerweiseeine stetige Fortsetzung. Wir fassen zusammen:

(6.14) Es gibt genau eine stetige Funktion φ: R→ R mit Trager [0, 3], die identischin x den folgenden Gleichungen genugt:

(a) φ(x) =∑3k=0 hk φ(x− 2k) ,

(b)∑k φ(x− k) = 1 ,

(c)∑k k φ(x− k) = x− 3−

√3

2.

(a) Die Funktion u(x) := φ(x) −∑3k=0 hk φ(2x − k) ist stetig und in allen

Punkten von D gleich 0; folglich ist u(x) ≡ 0.

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6.3 Binare Interpolation 163

Die linke Seite von (b) ist in jedem beschrankten x-Intervall eine endliche Summeund folglich eine stetige Funktion v(·), die uberdies nach (6.12)(c) in den Punktenvon D den Wert 1 annimmt. Folglich ist v(x) ≡ 1. — Analog folgt aus (6.12)(d)die Identitat (c).

Dieses φ ist nun in der Tat die Daubechies-Skalierungsfunktion 2φ. Aus (6.14)(a)folgt namlich

φ(ξ) = H(ξ

2

)φ(ξ

2

)(ξ ∈ R) ,

und mit (6.14)(b) ergibt sich

√2π φ(0) =

∫ 3

0

φ(x) dx =

∫ 1

0

2∑k=0

φ(x+ k) dx =

∫ 1

0

∑k

φ(x+ k) dx = 1 .

Dann gilt aber 6.1.(2). Somit ist die hier konstruierte Funktion φ die ,,Originalver-

sion“ der bisher nur als φ verfugbaren Skalierungsfunktion zum Koeffizientenvektor(h0, . . . , h3), und die haben wir mit 2φ bezeichnet.

Die Bilder 6.5 und 6.6 von 2φ und dem zugehorigen Daubechies-Wavelet 2ψ sindmit Hilfe des beschriebenen Rekursionsverfahrens hergestellt worden; dabei wurdenje 3 · 256 Funktionswerte berechnet.

Bild 6.5 Die Daubechies-Skalierungsfunktion 2φ

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164 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Bild 6.6 Das Daubechies-Wavelet 2ψ

6.4 Spline-Wavelets

In diesem letzten Abschnitt konstruieren wir die sogenannten Battle-Lemarie-Wave-lets. Als Ausgangsmaterial dienen gewisse Spline-Funktionen aus dem Fundus dernumerischen Mathematik; die entstehenden Wavelets werden daher auch als Spline-Wavelets bezeichnet. Die Battle-Lemarie-Wavelets haben allerdings — im Wider-spruch zur Kapiteluberschrift — keinen kompakten Trager mehr. Trotzdem konnenwir den in den vorangehenden Abschnitten errichteten Formalismus auch fur dieBehandlung dieser Wavelets verwenden. Doch alles der Reihe nach!

Ein nochmaliger Blick auf die Skalierungsgleichung in der Form 5.3.(4) zeigt, daß

mit den Paaren (φ1, H1) und (φ2, H2) auch das Paar (φ1 · φ2, H1 · H2) eine der-artige Gleichung erfullt. Der Multiplikation im Fourier-Bereich entspricht die Fal-tung im Zeitbereich; in anderen Worten: Sind φ1 und φ2 Skalierungsfunktionen,so genugt auch φ1 ∗ φ2 einer Skalierungsgleichung. Mit φ0 := φHaar beginnend er-halten wir daher mit Hilfe der Rekursion φn+1 := φ0 ∗ φn (n ≥ 0) eine Folge vonimmer regulareren Funktionen, die a priori Skalierungsgleichungen genugen und sichvielleicht zur Konstruktion von Wavelets aufbereiten lassen.

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6.4 Spline-Wavelets 165

Wir wechseln die Bezeichnungsweise; denn die dabei entstehenden Funktionen sindin der numerischen Mathematik schon fruher auf den Plan getreten unter demNamen B-Splines (fur Basis-Splines), und sie spielen eine wichtige Rolle in derallgemeinen Theorie der Spline-Approximation. Es gibt dafur in der Literatur ver-schiedene Festsetzungen; wir wahlen hier die folgende:

B0(x) :=

1 (0 ≤ x < 1)

0 (sonst),

Bn+1(x) := (B0 ∗Bn)(x) =

∫ x

x−1

Bn(t) dt (n ≥ 0) . (1)

Die Rechnung liefert zum Beispiel als kubischen B-Spline die Funktion

B3(x) =

16x

3 (0 ≤ x ≤ 1)23 − 2x+ 2x2 − 1

2x3 (1 ≤ x ≤ 2)

B3(4− x) (2 ≤ x ≤ 4)

0 (sonst) .

Bild 6.7 zeigt die Graphen von B1, B2 und B3. Mit vollstandiger Induktion laßtsich leicht folgendes beweisen:

supp(Bn) = [ 0, n+ 1 ] ,

∫Bn(x) dx = 1 (n ≥ 0)

sowieBn ∈ Cn−1(R) (n ≥ 1) .

1

1/2

0 1 2 3 4

x

B3

B2

B1

Bild 6.7

Da fur alle praktischen Zwecke B0 = φHaar ist, haben wir(vgl. 5.3.(20)

)B0(ξ) =

1√2πe−iξ/2sinc

(ξ2

).

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166 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Aus der Rekursionsformel (1) wird mit Hilfe des Faltungssatzes (2.10) die Formel

Bn+1(ξ) =√

2π B0(ξ) Bn(ξ) = e−iξ/2 sinc(ξ

2

)Bn(ξ) ,

und durch multiplikative Kumulation folgt

Bn(ξ) =1√2π

(e−iξ/2 sinc

(ξ2

))n+1

(n ≥ 0) . (2)

Dieser Darstellung entnimmt man ohne weiteres

Bn(0) =1√2π

(n ≥ 0) , Bn(ξ) = O( 1

|ξ|n+1

)(|ξ| → ∞) . (3)

Nach dem zu Anfang dieses Abschnitts Gesagten erwarten wir, daß jedes B-SplineBn einer Skalierungsgleichung genugt. In der Tat gilt

e−iξ/2sinc(ξ

2

)= e−iξ/2

2 sin(ξ/4) cos(ξ/4)

2 ξ/4= e−iξ/4 cos

ξ

4· e−iξ/4sinc

(ξ4

)und folglich

Bn(ξ) =(e−iξ/4 cos

ξ

4

)n+1

Bn

(ξ2

).

Hiernach ist

Bn(ξ) = Hn

(ξ2

)Bn

(ξ2

)(4)

mit

Hn(ξ) :=(e−iξ/2 cos

ξ

2

)n+1

=(1 + e−iξ

2

)n+1

. (5)

Die zu Hn gehorigen Koeffizienten hk(eigentlich h

(n)k

)haben demnach die Werte

hk =

2

2n+1

(n+ 1

k

)(0 ≤ k ≤ n+ 1)

0 (sonst)

,

und die Skalierungsgleichung erhalt im Zeitbereich folgende Form:

Bn(x) ≡ 1

2n

n+1∑k=0

(n+ 1

k

)Bn(2x− k) (x ∈ R) .

Daß die Bn derartigen Identitaten genugen, war der Definition nicht ohne weiteresanzusehen!

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6.4 Spline-Wavelets 167

Um zu prufen, ob Bn als Skalierungsfunktion taugt, mussen wir nach (5.9) die2π-periodische Funktion

Φn(ξ) :=∑l

|Bn(ξ + 2πl)|2 (6)

untersuchen. Da die angeschriebene Reihe wegen (3) gleichmaßig konvergiert, istΦn eine stetige Funktion (wir werden Φn im folgenden sogar explizit ausrechnen).Unter Verwendung von (2) ergibt sich ferner

∣∣Bn(ξ)∣∣2 =

1

∣∣∣ sin(ξ/2)

ξ/2

∣∣∣2n+2

≥ 1

( 2

π

)2n+2 (|ξ| ≤ π

);

dabei haben wir die Ungleichung

sinx

x≥ 2

π

(0 < x ≤ π

2

)benutzt. Unter diesen Umstanden gibt es (von n abhangige) Zahlen B ≥ A > 0 mit

A ≤ Φn(ξ) ≤ B ∀ξ ∈ R ,

und Teil (a) von Satz (5.14) erlaubt den folgenden Schluß: Die TranslatiertenBn( · − k) (k ∈ Z) bilden eine Riesz-Basis des Raumes

V0 := span(Bn( · − k) |k ∈ Z

).

Den Beweis des folgenden Lemmas verschieben wir auf spater.

(6.15) Es gibt Polynome pn vom Grad n, so daß folgendes zutrifft:

Φn(ξ) ≡ 1

2πpn(cos ξ) (n ≥ 0) .

Die pn lassen sich rekursiv berechnen und besitzen rationale Koeffizienten.

Wir denken uns ein n ≥ 1 gewahlt und festgehalten. Der in Teil (b) von Satz(5.14) beschriebene Orthogonalisierungsprozeß liefert nun die zu diesem n gehorigedefinitive Skalierungsfunktion φ, deren Translatierte φ(· − k) (k ∈ Z) tatsachlichorthonormiert sind:

φ(ξ) :=Bn(ξ)√2πΦn(ξ)

=Bn(ξ)√pn(cos ξ)

. (7)

Um jetzt das φ auch im Zeitbereich zu erhalten, entwickeln wir 1/√pn(cos ξ) nach

Fourier. Aus1√

pn(cos ξ)=∑k

cke−ikξ

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168 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

ergibt sich dann mit Hilfe von Regel (R1):

φ(x) =∑k

ck Bn(x− k) , (8)

wobei die Koeffizienten

ck = c−k =1

π

∫ π

0

cos(kξ)√pn(cos ξ)

dξ (k ≥ 0)

leider einzeln numerisch berechnet werden mussen.

Da 1/√pn(cos ξ) eine reell-analytische 2π-periodische Funktion ist, nehmen die ck

mit |k| → ∞ exponentiell ab: Es gibt ein ρ < 1 mit

|ck| ≤ C ρ|k| ∀k ,

und wegen supp(Bn) = [ 0, n+ 1 ] folgt hieraus leicht, daß auch φ(x) mit |x| → ∞exponentiell abklingt. Der kompakte Trager von Bn ist aber bei dem Orthogonali-sierungsprozeß verlorengegangen.

Wir benotigen weiter die modifizierte erzeugende Funktion H# und furs Arbeitenmit dem zu φ gehorigen Wavelet ψ die Koeffizienten h#

r in der Darstellung

H#(ξ) =1√2

∑r

h#r e−irξ . (9)

Aus (7) ergibt sich wegen (4) zunachst

H#(ξ) =φ(2ξ)

φ(ξ)=Bn(2ξ)

Bn(ξ)

√pn(cos ξ)

pn(cos(2ξ)

) = Hn(ξ)

√pn(cos ξ)

pn(cos(2ξ)

) .Mit (5) erhalten wir daher

H#(ξ) =(1 + e−iξ

2

)n+1√

pn(cos ξ)

pn(cos(2ξ)

) , (10)

woran sich schon ablesen laßt, daß ψ die Ordnung n+1 besitzt. Der Wurzelausdruckrechter Hand ist nun nach Fourier zu entwickeln: Es gilt√

pn(cos ξ)

pn(cos(2ξ)

) =∑k

qk e−ikξ ,

wobei auch hier die Koeffizienten

qk = q−k =1

π

∫ π

0

√pn(cos ξ)

pn(cos(2ξ)

) cos(kξ) dξ (k ≥ 0) (11)

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6.4 Spline-Wavelets 169

numerisch berechnet werden mussen. Der Koeffizientenvergleich zwischen (9) und(10) liefert dann fur die h#

r die Formel

h#r =

√2

2n+1

n+1∑l=0

(n+ 1

l

)qr−l

(= h#

n+1−r). (12)

Damit konnen wir endlich das zu dem gewahlten n gehorige Battle-Lemarie-Waveletbzw. Spline-Wavelet ψ berechnen. Aufgrund von 5.3.(16) und (8) ist

ψ(t) =√

2∑k

(−1)k−1 h#−k−1 φ(2t− k)

=√

2∑k

∑l

(−1)k−1 h#−k−1clBn(2t− k − l)

=√

2∑r

∑k

(−1)k−1 h#−k−1 cr−k Bn(2t− r) .

Setzen wir daher zur Abkurzung

√2∑k

(−1)k−1 h#−k−1 cr−k =: br ,

so erhalten wir definitiv

ψ(t) =∑r

br Bn(2t− r) ,

wobei at runtime entschieden wird, wieviel Terme konkret berucksichtigt werdenmussen.

Nachdem wir so zu einem gewissen Abschluß gelangt sind, holen wir nun den Beweisvon Lemma (6.15) nach.

Tragen wir (2) in die Definition (6) von Φn ein, so ergibt sich

Φn(ξ) =1

2πsin2n+2 ξ

2

∑l

1(ξ2 + πl

)2n+2 =1

2πsin2n+2 ξ

2Sn(ξ)

mit

Sn(ξ) :=∑l

1(ξ2 + πl

)2n+2 .

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170 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

Wie man ohne weiteres nachrechnet, gilt

Sn(ξ) =2

n(2n+ 1)S′′n−1(ξ) (n ≥ 1) ,

und hieraus folgt fur Φn die Rekursionsformel

Φn(ξ) =2

n(2n+ 1)sin2n+2 ξ

2

(Φn−1(ξ)

sin2n(ξ/2)

)′′, (13)

die wir nun noch etwas praktikabler machen mussen.

Da die B0(· − k) (k ∈ Z) orthonormiert sind, ist Φ0(ξ) ≡ 12π . Wir fuhren mit

cos ξ =: y die neue Variable y ein und machen den Ansatz

Φn(ξ) =1

2πpn(y) ; p0(y) ≡ 1 .

Beim Eintrag in (13) haben wir folgende Differentiationsregeln zu beachten:

d

dξ= (− sin ξ)

d

dy,

d2

dξ2= −y d

dy+ (1− y2)

d2

dy2.

Damit ergibt sich anstelle von (13) zunachst

pn(y) =1

n(2n+ 1)(1− y)n+1

(−y(pn−1(y)

(1− y)n

)·+ (1− y2)

(pn−1(y)

(1− y)n

)·· ), (14)

wobei der Punkt · die Ableitung nach y bezeichnet. Man berechnet nacheinander

(pn−1(y)

(1− y)n

)·=

pn−1

(1− y)n+ n

pn−1

(1− y)n+1,

(pn−1(y)

(1− y)n

)··=

pn−1

(1− y)n+ 2n

pn−1

(1− y)n+1+ n(n+ 1)

pn−1

(1− y)n+2,

und (14) wird dadurch nennerfrei:

pn(y) =1

n(2n+ 1)

(− y(1− y)pn−1 − nypn−1

+ (1 + y)((1− y)2pn−1 + 2n(1− y)pn−1 + n(n+ 1)pn−1

)).

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6.4 Spline-Wavelets 171

Nach Zusammenfassung gleichartiger Terme erhalten wir folgende definitive Rekur-sionsformel fur die pn:

pn(y) =1

n(2n+ 1)

(n(n+ 1 + ny) pn−1

+ (1− y)(2n+ (2n− 1)y

)pn−1 + (1− y)2(1 + y) pn−1

);

und es ist leicht einzusehen, daß pn ein Polynom vom Grad n in y ist.

Wird die erhaltene Rekursionsformel zum Beispiel an Mathematicar ubergeben, soerhalt man folgenden Output:

p1(y) = 13 (2 + y) ,

p2(y) = 130 (16 + 13y + y2) ,

p3(y) = 1630 (272 + 297y + 60y2 + y3) ,

... ,

undsoweiter.

©1 Fur n = 1 ergibt sich mit Hilfe von (11) und (12) die folgende Tabelle der h#r :

r h#r = h#

2−r

1 .81764640142 .39729708683 −.06910098384 −.05194534645 .01697104676 .00999059487 −.00388326198 −.00220195109 .0009233709

10 .000511636011 −.000224296312 −.000122686313 .000055356314 .000030011215 −.000013818816 −.0000074444

r h#r = h#

2−r

17 .000003479818 .000001865619 −.000000882320 −.000000471221 .000000224922 .000000119823 −.000000057624 −.000000030625 .000000014826 .000000007827 −.000000003828 −.000000002029 .000000001030 .000000000531 −.000000000332 −.0000000001

Die Skalierungsfunktion φ und das Battle-Lemarie-Wavelet ψ zu n = 1 sind in denBildern 6.8–9 dargestellt; beide Funktionen sind stuckweise linear.

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172 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

1

4

0.5

!2 !1 1 32x

!

Bild 6.8 Die Battle-Lemarie-Skalierungsfunktion zu n = 1

1

1

!4 !3 !2 !1 2 3x

!

0.5

!0.5

!1

!1.5

Bild 6.9 Das Battle-Lemarie-Wavelet zu n = 1

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6.4 Spline-Wavelets 173

Werden dieselben Rechnungen fur n = 3 durchgefuhrt, so findet man, daß die h#r mit

|r| → ∞ wesentlich langsamer abklingen als fur n = 1. Obwohl mit Mathematicar

vierzehnstellig gerechnet wurde, geben wir daher im folgenden nur sechsstelligeWerte an:

r h#r = h#

4−r

2 .7661303 .4339234 −.0502025 −.1100376 .0320817 .0420688 −.0171769 −.017982

10 .00868511 .00820112 −.00435413 −.00388214 .00218715 .00188216 −.001104

r h#r = h#

4−r

17 −.00092718 .00056019 .00046220 −.00028521 −.00023222 .00014623 .00011824 −.00007525 −.00006026 .00003927 .00003128 −.00002029 −.00001630 .00001031 .000008

Die zugehorige Skalierungsfunktion φ und das Battle-Lemarie-Wavelet ψ zu n = 3sind in den Bildern 6.10–11 zu sehen. ©

2 4

x

!

!2

1

0.5

6

Bild 6.10 Die Battle-Lemarie-Skalierungsfunktion zu n = 3

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174 6 Orthonormierte Wavelets mit kompaktem Trager

1

!4 !2 2 4x

0.5

!0.5

!1/2

!

Bild 6.11 Das Battle-Lemarie-Wavelet zu n = 3

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175

Literaturverzeichnis

Bucher uber Wavelets

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[C] Charles K. Chui: An introduction to wavelets. Academic Press 1992.

[C′] Charles K. Chui ed. : Wavelets. A tutorial in theory and applications. Aca-demic Press 1992.

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Originalarbeiten und Hintergrundmaterial

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177

Sachverzeichnis

Abtast-Theorem 47Abtastrate 49Adjungierte 80Aliasing 50Analyse 2analysierendes Wavelet 13

B-Spline 165bandbegrenzt 47Basisfunktionen 1Battle-Lemarie-Wavelet 164, 169beschrankte Variation 29

Cardinal Series 47

Darstellung einer Funktion 1Daubechies-Wavelets 151diskrete Fourier-Transformation 6duales Frame 85erzeugende Funktion 119

Faltungsprodukt 34Faltungssatz 35Fast Fourier Transform 6Fast Wavelet Transform 15Fenster-Transformierte 11Fensterfunktion 10FFT 6formale Fourier-Reihe 28Fourier-Koeffizienten 6, 27Fourier-Reihe 6, 28Fourier-Transformierte 8, 31Frame-Konstanten 82Frame-Operator 80, 88Frame 80, 87FT 8FWT 15

Gabor-Transformation 11gefensterte Fourier-Transformation 10Gram-Matrix 81Gram-Operator 81Grundschritt 91

Haar-Wavelet 18Haarsches Maß 62Heisenbergsche Unscharferelation 9, 44Hilbertraum 27

Kardinalreihe 48Knackpunkt 77Koeffizientenvektor 2Konsistenzbedingungen 112kubischer B-Spline 165

L1-Theorie 31L2-Theorie 8, 31linksinvariantes Maß 62lipstetig 74Lokalisierung 6

Metrik 27Mexikanerhut 58Meyer-Wavelet 125modulierte Gauß-Funktion 59Moment 74MSA 106Multiskalen-Analyse 15, 106Mutter-Wavelet 13, 54

Norm 26, 35Nyquist-Frequenz 49Nyquist-Rate 49

Ordnung eines Wavelets 74

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178 Sachverzeichnis

Parameter 94Parsevalsche Formel 27, 36periodische Grundfunktionen 5Plancherel-Formel 36

Regel (R1) 33— (R2) 33— (R3) 34— (R4) 37— (R5) 38Regularisierung 34reine Schwingung 5reproduzierender Kern 70Resolution der Identitat 69Riemann-Lebesgue-Lemma 27Riesz-Basis 88

Sampling Theorem 47Satz von Carleson 28Schwartzscher Raum 31Schwarzsche Ungleichung 36Separationsaxiom 106Sinc-Funktion 39Skalarprodukt 26, 35, 62Skalenparameter 13Skalierungsfunktion 106Skalierungsgleichung 111

Spektralfunktion 8Spline-Wavelets 164, 169straffes Frame 82Synthese 2

totale Variation 29

Umkehrformel 9, 36

Variation 29Verschiebungsparameter 13Vollstandigkeitsaxiom 106vollstandiges Funktionensystem 6

Wavelet-Transformierte 14, 55Waveletfunktionen 13Waveletkoeffizienten 15, 105Waveletpolynome 20Wavelet 13, 54WFT 10Windowed Fourier Transform 10

Zeitsignal 4, 31Zoomschritt 15, 91zulaßiges Wavelet 93Zahlmaß 80