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Quo grabis? – Zukunftsperspektiven in der Bodenkunde (Ergebnisbericht von Steffen A. Schweizer - [email protected] ) Das Jahr 2015 wird als das UN-Jahr des Bodens in Erinnerung bleiben. Doch wohin entwickelt sich der berufliche Aktivbereich der Bodenkunde längerfristig und welche Einstiegsperspektiven bieten sich insbesondere jungen Bodenkundlern? Den hohen Diskussionsbedarf über diesen fachlichen Tellerrand hinweg zeigt ein Diskussionsabend auf der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft (DBG) in München. Die Young Professionals in Soil Science (YPSS, www.youngsoils.de) luden am Montag, den 7. September 2015, zu einem World Café der Bodenperspektiven – in drei Runden ganz interaktiv ohne professoralen Vorsitz an acht unterschiedlichen Diskussionstischen. Der Andrang von über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die selbst nach einem elfstündigen ersten Konferenztag noch hochinteressiert mitdiskutierten, zeigt die Brisanz der Zusammenkunft zum direkten Meinungsaustausch. Unter der humorvoll zusammengefassten Leitfrage der Veranstaltung „Quo grabis?“ (frei übersetzt: „Wohin gräbst Du?“) wurden fünf Berufsbereiche besprochen, in die Bodenkundler bevorzugt hineindiffundieren. Am Tisch für Bodenperspektiven in der Wissenschaft berichteten Prof. Dr. Sandra Spielvogel von der Uni Bern sowie Prof. Yakov Kuzyakov von der Uni Göttingen von ihrem eigenen Weg zum bisherigen Erfolg. Die viele Arbeit Tag und Nacht sowie meist auch am Wochenende schaffen sie nicht ohne eine gehörige Portion Leidenschaft für ihr Fach. Der harte wissenschaftliche Wettbewerb verlangt ihnen dieses Engagement jedoch ab. Während die benötigte räumliche Flexibilität der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gerade zuträglich ist, so kann die zeitliche Flexibilität der wissenschaftlichen Arbeit dem Familienmanagement durchaus hilfreich sein. Neben erfolgreicher Dateninterpretation und – publikation gehört auch das Lehren und Management von Studierenden und Forschungsgruppen zum Aufgabenfeld einer Professorin oder eines Professors. Durch den zunehmenden Stellenabbau im Mittelbau haben vielerorts die notwendigen Fachkompetenzen sowie administrativen Aufgaben zugenommen. Stetige Weiterentwicklung eigener Kompetenzfelder und breite Kenntnis der Literatur sind notwendig, um aktuelle Forschungsfragen und wissenschaftliche Nischen zu identifizieren. Ein weiteres Standbein ist die ergebnisreiche Zusammenarbeit mit Institutionen aus anderen Bereichen der Forschung und Praxis, die durch eine weiträumige Vernetzung auf Konferenzen und anderen Treffen angebahnt werden kann. Hierbei ist es die Kunst, relevante Brücken von der eigenen Forschung zu anderen Forschern und der Gesellschaft zu schlagen. In den fachlichen Aspekten der Bodenforschung ist generell ein Trend weg von der Feldbodenkunde hin zu molekulareren Themen erkennbar. Diesen schwierigen Spagat zu meistern und Prozessverständnis auf der Nanoebene auf land(wirt-)schaftliche Fragestellungen zu

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Quo grabis? – Zukunftsperspektiven in der Bodenkunde(Ergebnisbericht von Steffen A. Schweizer - [email protected])

Das Jahr 2015 wird als das UN-Jahr des Bodens in Erinnerung bleiben. Doch wohin entwickelt sich der berufliche Aktivbereich der Bodenkunde längerfristig und welche Einstiegsperspektiven bieten sich insbesondere jungen Bodenkundlern? Den hohen Diskussionsbedarf über diesen fachlichen Tellerrand hinweg zeigt ein Diskussionsabend auf der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft (DBG) in München. Die Young Professionals in Soil Science (YPSS, www.youngsoils.de) luden am Montag, den 7. September 2015, zu einem World Café der Bodenperspektiven – in drei Runden ganz interaktiv ohne professoralen Vorsitz an acht unterschiedlichen Diskussionstischen. Der Andrang von über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die selbst nach einem elfstündigen ersten Konferenztag noch hochinteressiert mitdiskutierten, zeigt die Brisanz der Zusammenkunft zum direkten Meinungsaustausch. Unter der humorvoll zusammengefassten Leitfrage der Veranstaltung „Quo grabis?“ (frei übersetzt: „Wohin gräbst Du?“) wurden fünf Berufsbereiche besprochen, in die Bodenkundler bevorzugt hineindiffundieren.

Am Tisch für Bodenperspektiven in der Wissenschaft berichteten Prof. Dr. Sandra Spielvogel von der Uni Bern sowie Prof. Yakov Kuzyakov von der Uni Göttingen von ihrem eigenen Weg zum bisherigen Erfolg. Die viele Arbeit Tag und Nacht sowie meist auch am Wochenende schaffen sie nicht ohne eine gehörige Portion Leidenschaft für ihr Fach. Der harte wissenschaftliche Wettbewerb verlangt ihnen dieses Engagement jedoch ab. Während die benötigte räumliche Flexibilität der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gerade zuträglich ist, so kann die zeitliche Flexibilität der wissenschaftlichen Arbeit dem Familienmanagement durchaus hilfreich sein. Neben erfolgreicher Dateninterpretation und –publikation gehört auch das Lehren und Management von Studierenden und Forschungsgruppen zum Aufgabenfeld einer Professorin oder eines Professors. Durch den zunehmenden Stellenabbau im Mittelbau haben vielerorts die notwendigen Fachkompetenzen sowie administrativen Aufgaben zugenommen. Stetige Weiterentwicklung eigener Kompetenzfelder und breite Kenntnis der Literatur sind notwendig, um aktuelle Forschungsfragen und wissenschaftliche Nischen zu identifizieren. Ein weiteres Standbein ist die ergebnisreiche Zusammenarbeit mit Institutionen aus anderen Bereichen der Forschung und Praxis, die durch eine weiträumige Vernetzung auf Konferenzen und anderen Treffen angebahnt werden kann. Hierbei ist es die Kunst, relevante Brücken von der eigenen Forschung zu anderen Forschern und der Gesellschaft zu schlagen. In den fachlichen Aspekten der Bodenforschung ist generell ein Trend weg von der Feldbodenkunde hin zu molekulareren Themen erkennbar. Diesen schwierigen Spagat zu meistern und Prozessverständnis auf der Nanoebene auf land(wirt-)schaftliche Fragestellungen zu übertragen wird zunehmend eine anspruchsvolle Jobvoraussetzung, auf deren Grund sich die Ideen junger Bodenkundler entfalten können.

An den Tischen für bodenkundliche Baubegleitung debattierten Ricarda Miller vom Ingenieurbüro Schnittstelle Boden und der freischaffende Bodenkundler Dr. Andreas Lehmann mit zahlreichen jungen Bodenkundlern über die beruflichen Möglichkeiten im vorsorgenden Bodenschutz. Bei 50-80 € Stundenlohn und steigenden Jobmöglichkeiten durch den notwendigen Bodenschutz im Rahmen der Umwelt(verträglichkeits-)prüfung vieler Bauprojekte sollte man als junger Bodenkundler schon mal die Ohren spitzen. Nach Abrechnung aller Nebenkosten und Steuern schmilzt der Stundenlohn je nach Auftragslage und Schwierigkeitsstatus allerdings noch etwas zusammen. Die bodenkundliche Baubegleitung ist jedoch besonders bei Großprojekten (z.B. Trassenbau, Windkraftanlagen) immer stärker nachgefragt und gerade in der Schweiz ein etabliertes Berufsbild. Die zum Berufsstart benötigten Kenntnisse bodenkundlicher Baubegleitung erlernt man aufgrund der hohen praktischen Relevanz in spezialisierten Büros. Bei entsprechenden Kenntnissen der Feldbodenkunde, guter Vermittlungsfähigkeit und gutem Durchsetzungsvermögen sowie einer ausreichenden psychischen Belastbarkeit stehen einem im weiteren Verlauf auch vielversprechende Möglichkeiten als Freiberufler offen, mit einem dynamischen Feld an Aufträgen, die für jede Qualifikation hohe Herausforderungen bieten. Im Arbeitsalltag warten spannende Aufgaben als Dolmetscher zwischen Bauleitern und Landwirten. Hier gilt es auch bei umstrittenen Bauprojekten und Bürgerprotesten mit guter Kommunikation und Mediation als Vertreter der Bodenfunktionen

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solide Entscheidungen zu treffen. Bei einer gegenwärtigen Versiegelung von ca. 70 ha pro Tag wird den bodenkundlichen Baubegleitern der Zukunft nicht langweilig werden.

Die engagierten Diskussionen an den Tischen für Altlasten und Bodensanierung wurden betreut von Renate Zöllner vom Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München und Peter Nickol von der Nickol & Partner GmbH. Als Vertreter des Ingenieurtechnischen Verbandes für Altlastenmanagement und Flächenrecycling e.V. (ITVA) konnten beide Experten das Interesse für die Sanierung der unzählbar vielen verseuchten Flächen in Deutschland wecken. In den Böden verlassener Industriestandorte aus rücksichtslosen vergangenen Jahrzehnten schlummern oft hohe Gefahren für das Grundwasser, die Ökologie und den Menschen. In diesem Spannungsfeld werden Wissensvermittler mit sowohl direktem Kontakt zu besorgten Bürgern, als auch verantwortungsvollem Verständnis wissenschaftlicher Artikel, beispielsweise humantoxikologischer Untersuchungen mit Benzpyren, benötigt. Dabei bedarf es ebenfalls solider Entscheidungskompetenz und einer effektiven Vermittlung zwischen verschiedenen Ansprechpartnern, seien es Umweltschützer, Ämter oder Industrievertreter. Auch das Berufsfeld der Bodenschutzverwaltung ist attraktiv für junge Bodenkundler. Interessierte Studierende mit angewandten Bachelor- und Masterarbeitsthemen sind hier gerne willkommen. Mit der gegenwärtigen Ausweisung von Münchner Flächen für Flüchtlinge ist dieses Berufsfeld momentan ebenfalls hochpolitisch und mit direkt sichtbaren Auswirkungen für die Gesellschaft verbunden.

Spannend war es auch an den Tischen für internationale Entwicklungszusammenarbeit mit Ute Sonntag und Walter Engelberg, beide vom Sektorvorhaben Desertifikationsbekämpfung der GIZ. Wer hier zu sehr an eigenständige Weltverbesserung als „Bodenkundler ohne Grenzen“ denkt, liegt allerdings nicht ganz richtig. Im Arbeitsalltag gilt es einiges an Schreibtischarbeit zu bewältigen, um eine wirkungsvolle Einbettung der Entwicklungsvorhaben in den jeweiligen Partnerländern zu gewährleisten. Auch wenn hierfür meist methodische Kenntnisse aus sozialwissenschaftlichen Fachgebieten nötig sind, so sind auch studierte Naturwissenschaftler gefragte Berufsanfänger in der Entwicklungszusammenarbeit. Beim Projektmanagement, dem Entwurf von Konzeptpapieren sowie der Verknüpfung mit Partnerinstitutionen gilt es über das bodenkundliche Fach hinweg auch Klima-, Wasser- und Ernährungsthemen in generalistischer Manier in Einklang zu bringen. Als absoluter Experte eines Fachgebiets kann man jedoch auch als Gutachter an entwicklungspolitischen Projekten mitwirken. Der Berufseinstieg in die Entwicklungszusammenarbeit erfolgt meist über ausgeschriebene Juniorfachkraftstellen, die auf 2-4 Jahre befristet sind. Hiernach werden etwa 20-30 % der Mitarbeiter festangestellt. Wer schon viel Berufserfahrung sammeln konnte, kann auch mit einer Initiativbewerbung einsteigen. Als Vermittler zwischen politisch vorgegebenen Budgetposten und den Projektpartnern vor Ort wartet hier ein bewegendes Arbeitsfeld mit hohem Reiseradius. Das gegenwärtig diskutierte Ziel, die Degradation von Land weltweit auf null zu reduzieren, wird zukünftig eine ambitionierte Herausforderung für die Expertise junger Bodenkundler.

Mit Dr. Gerhard Milbert vom Geologischen Dienst NRW und dem Bundesverband Boden e.V. (BVB) kam zur zweiten Diskussionsrunde spontan ein weiterer Tisch zu den Perspektiven junger Bodenkundler in den Landesverwaltungen und Behörden hinzu. Hier berichtete Hr. Milbert vorwiegend von seinen Erfahrungen im Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen, den Herausforderungen beim Zusammenfinden unterschiedlicher Interessensgruppen, aber auch den Jobperspektiven.

An allen Thementischen des World Cafés wurde deutlich, dass durch die ökosystemare Schlüsselrolle und weltweite Verbreitung der Böden jungen Bodenkundlern ein breites Beschäftigungspotential mit vielen unterschiedlichen Arbeitsfeldern offen steht. Vielerorts bereitet jedoch die abnehmende Finanzierung Sorgen, die zur Wiederherstellung und dem Erhalt der Bodenfunktionen dringend benötigt wird. Da bleibt zu hoffen, dass die jungen Bodenkundler gerade deshalb nicht aufhören immerwährend tiefer zu graben, um sich findig in erfolgreiche Projekte einzubringen und so zur holistischem Bedeutung der Bodenkunde beizutragen.

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Fotos von der Veranstaltung

1) Großer Andrang beim World Café der Bodenperspektiven (Foto Markus Graf).

2) Dank Unterstützung von der DBG konnte durch Verpflegung und Getränke die Energie der Diskussionsteilnehmer auch nach einem elfstündigen Konferenztag wieder hochgefahren werden (Foto Markus Graf).

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3) Die Veranstalter der Young Professionals of Soil Science (YPSS) erläutern zu Beginn kurz das Veranstaltungsformat des World Cafés: Drei interaktive Runden à 20 Minuten mit wechselnden Teilnehmern und Themen (Foto Markus Graf).

4) Am Tisch für Wissenschaft konnte man erfolgreiche Bodenkunde-Professoren nach ihrem Erfolgsrezept befragen (Foto Steffen Schweizer).

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5) An den Tischen für Baubegleitung konnten junge Bodenkundler mit Experten aus diesem vielversprechenden Arbeitsfeld diskutieren (Fotos Steffen Schweizer).

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6)(Links) Hier wurde über das Arbeitsfeld der

Bodenschutzverwaltung debattiert, das momentan durch den Zustrom an Flüchtlingen hohe politische Bedeutung erfährt. (Rechts) Auch über den Berufseinstieg in das nicht weniger spannende Feld der Bodensanierung konnten die Teilnehmer viele Details erfahren (Foto links Steffen Schweizer, Foto rechts Markus Graf).

7) Vertreter der internationalen Entwicklungszusammenarbeit brachten an diesen Thementischen das vielfältige und interdisziplinäre Spannungsfeld nahe, in dem die Bodenexpertise ein großes Potential besitzt (Fotos Steffen Schweizer).

8) Der spontane Tisch über Perspektiven in Landesverwaltungen und Behörden stieß sogleich auf reges Interesse (Foto Karsten Schacht).

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9) Die Ergebnisse der Diskussion wurden auf den Tischdecken festgehalten (Foto Steffen Schweizer).