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„Weißensee“ Die Serie Folge 6 „Am Ende des Tages“ Drehbuch von Annette Hess (Fassung vom 30. März 2009) Sender: MDR / ARD Degeto Redaktion: Jana Brandt Wolfgang Voigt Produktion: Ziegler Film Produzentin: Regina Ziegler Producer: Marc Müller-Kaldenberg

WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

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Page 1: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

„Weißensee“ Die Serie

Folge 6 „Am Ende des Tages“

Drehbuch

von Annette Hess (Fassung vom 30. März 2009)

Sender: MDR / ARD Degeto Redaktion: Jana Brandt

Wolfgang Voigt Produktion: Ziegler Film Produzentin: Regina Ziegler Producer: Marc Müller-Kaldenberg

Page 2: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 1

HAUPTFIGUREN Martin Kupfer, 33, Volkspolizist, Unterleutnant Hans Kupfer, 61, Martins Vater, Oberst MfS Marlene Kupfer, 58, Martins Mutter, Altenpflegerin Falk Kupfer, 38, Martins Bruder, Oberstleutnant MfS Vera Kupfer, 36, Falks Ehefrau, Lehrerin Roman Kupfer, 13, deren einziges Kind Dunja Hausmann, 56, Liedermacherin Julia Hausmann, 24, Dunjas Tochter, Kosmetikerin NEBENFIGUREN Leutnant Uwe Geifel, 50, Leutnant MfS Peter Görlitz, 42, Volkspolizist Kollege von Martin Lisa Grambow, 6, Martins Tochter Marion Grambow, 32, Martins Ex-Frau Armin Priess, 32, Dunjas Pianist Oberst Günther Gaucke, 71, Leiter der Hauptabteilung 9, Vorgesetzter von Hans und Falk EPISODENFIGUREN Moni Schrader, 36, geschieden, zwei Kinder, Julias Chefin im Kosmetikgeschäft Klaus Sorge, 53, Polizeihauptwachtmeister, Martins Chef

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Weißensee - Am Ende des Tages 2

01. BILD / WEIßSENSEE A/T Früher Morgen. Es wird Herbst, ein regnerischer Tag, die ersten gelben Blätter werden vom Wind über die Straßen geweht. 02. BILD / SIMON-DACH-STRAßE – BESETZTE WOHNUNG I/T In der Simon-Dach-Straße liegen Julia und Martin Arm in Arm. Martin schläft, doch Julia ist wach, sie grübelt, sie denkt darüber nach, ob sie vielleicht schwanger ist… sie denkt an ihre Mutter im Krankenhaus. Der Wecker rasselt. Julia schaltet ihn aus. Sie küsst Martin wach.

JULIA Guten Morgen... MARTIN …lass mich noch schlafen…bitte, sei gnädig… JULIA Musst du nicht los?

MARTIN Ich habe erst um zehn einen Termin bei meinem Chef. JULIA Hast du heute keinen Dienst?

Martin öffnet die Augen und zieht Julia an sich. MARTIN Nein, heute werde ich suspendiert.

JULIA Vielleicht kommst du ja noch mal mit einer Verwarnung davon.

MARTIN Bei Befehlsverweigerung, kaum, das ist Ende der Fahnenstange.

Julia setzt sich im Bett auf.

JULIA Du klingst aber nicht besonders unglücklich.

Martin kommt ebenfalls hoch, nachdenklich.

MARTIN Nein…

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Weißensee - Am Ende des Tages 3

JULIA (besorgt) Und als was willst du dann arbeiten? Als irgendein Hilfsarbeiter?

Martin sieht Julia verwundert an.

MARTIN Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass dir meine Arbeit als Polizist besonders viel bedeutet.

JULIA Ja… aber es muss ja nicht alles ungewiss sein. MARTIN So kenne ich dich gar nicht…

Martin nimmt Julias Kinn in die Hand und sieht ihr in die Augen.

MARTIN Sehe ich da ein Geheimnis?

JULIA Ja… du hast Recht.

MARTIN Und was sagst du mir nicht?

Julia macht sich von Martin los und steht auf.

JULIA Ich muss erst mal was klären, ja? Dann reden wir.

MARTIN Muss ich mir Sorgen machen? JULIA Nein.

Julia gibt Martin einen Kuss und geht hinaus, Martin sieht ihr nachdenklich nach… 03. BILD / HAUS KUPFER – ESSZIMMER / FLUR I/T Zur gleichen Zeit im Esszimmer der Kupfers. Die Familie frühstückt. Hans, Marlene, Roman und Falk sitzen um den Tisch herum. Nur Vera fehlt. Falk wirkt aufgeräumt und gut gelaunt. Hans und Marlene dagegen sind still, sie vermissen Martin.

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Weißensee - Am Ende des Tages 4

FALK (zu Roman) Um welche Uhrzeit wird das heute stattfinden?

ROMAN Um halb vier, nach der 9. Stunde ist das Vorturnen. FALK Dann werde ich mal vorbeikommen. ROMAN Bitte nicht… Papa. Das würde mich ganz nervös machen.

FALK (ignoriert das) Wie viele Kinder werden geprüft?

ROMAN Aus meiner Klasse nur Andreas Felber und ich. FALK Und insgesamt? ROMAN Ungefähr 18. FALK Und zehn Plätze hat das Sportinstitut zu vergeben.…

MARLENE (unterbricht) Dann wünsche ich dir viel Glück, Roman.

FALK Na, das ist ja wohl keine Frage des Glücks. Sondern lediglich des Könnens. Und der Konzentration auf den entscheidenden Moment. Roman: vorher genug trinken!

Roman nickt. In dem Moment betritt Vera das Zimmer, sie sieht schlecht aus. Alle mustern sie mehr oder weniger offen.

VERA Guten Morgen, entschuldigt, ich bin spät dran…. ich habe heute Morgen schreckliche Kopfschmerzen…

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Weißensee - Am Ende des Tages 5

Vera setzt sich.

VERA Vielleicht habe ich mir eine Sommergrippe eingefangen.

MARLENE Ja, die grassiert ja jetzt. Bei uns im Heim sind einige Senioren krank…

Falk sieht Vera leicht alarmiert an, aber er wischt seinen misstrauischen Gedanken fort:

FALK (unterbricht) Soll ich dich zu Doktor Bernekow fahren?

VERA Danke, ich glaube, das ist nicht nötig. Ich nehme eine Tablette, dann geht es schon wieder.

Niemand antwortet etwas darauf... Schnitt auf: später. Falk zieht sich im Flur einen Mantel über. Hans tritt hinzu.

HANS (leise) Achte auf deine Frau, Falk.

Falk sieht seinen Vater an.

FALK (ebenso) Ich denke, du bist der letzte, der mir Ehetipps geben kann, Vater. HANS Dein Ton gefällt mir nicht. FALK Dunja Hausmann wird übrigens heute aus dem Krankenhaus entlassen. HANS Wird sie in die Haft überführt? FALK Wir haben eine bessere Lösung für sie gefunden.

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Weißensee - Am Ende des Tages 6

Hans will noch etwas fragen, doch da erscheint Marlene in der Tür. Sie weiß sofort, worüber die beiden gesprochen haben, lässt sich aber nichts anmerken.

MARLENE Falk, ein Richter Reuben hat angerufen. Du kannst die Anordnung abholen. FALK Gut.

Hans sieht Falk fragend an, aber er erklärt sich nicht weiter… 04. BILD / KLINIK PRENZLAUER BERG – ZIMMER DUNJA I/T Später am Vormittag. In Dunjas Krankenzimmer. Dunja steht am Fenster und sieht hinaus in den Hof, auch hier fallen die ersten Blätter von den Bäumen. Dunjas Gesichtsausdruck ist leer. Schwester Elke kommt herein und räumt das Frühstückstablett ab.

SCHWESTER ELKE Sie haben ja wieder nichts gegessen, Frau Hausmann. Sie fallen ja ganz vom Fleisch…

DUNJA War meine Tochter noch mal da?

SCHWESTER ELKE Ja, gestern abend, aber der Oberarzt hat sie nicht zu Ihnen lassen…

Dunja nickt.

SCHWESTER ELKE Sie haben Sehnsucht nach Ihrer Tochter, was? Das kann ich verstehen, meine Tochter hat nach Beula geheiratet. Ich sehe sie kaum noch, wenn’s hochkommt einmal im Jahr. Aber so ist das: Söhne hat man ein Leben lang, Töchter nur, bis sie selber Kinder haben. DUNJA Ich habe kein Enkelkind. SCHWESTER ELKE Wird schon noch. DUNJA (automatisch) Meinen Sie?

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Weißensee - Am Ende des Tages 7

SCHWESTER ELKE Sie sind heute traurig? Naja, ihr Künstler seid ja auch besonders zart besaitet. Muss es auch geben. Aber das ist auch eine Last, was?

Dunja lächelt nur müde. Da reicht Schwester Elke Dunja einen Becher mit zwei rosa Tabletten darin.

SCHWESTER ELKE Und die nehmen sie jetzt fein. Damit Sie wieder lächeln können. Und singen vor allem.

DUNJA Ich vertrage die Tabletten nicht. Davon bekomme ich einen trockenen Mund. SCHWESTER ELKE Das ist doch nur am Anfang so.

Dunja legt die Tabletten auf den Nachttisch.

DUNJA Später.

Inzwischen nestelt Schwester Elke in ihrer Kitteltasche. Sie holt ein bedrucktes Papier hervor, dass sie auseinanderfaltet. Es ist das Cover einer Single, darauf das Schwarz-Weiß-Foto einer jüngeren Dunja. Der Titel heißt: „Nicht der Regen, nicht die Sonne“.

SCHWESTER ELKE Ich wollte Sie noch um etwas bitten…

DUNJA Wird das ein Abschied?

SCHWESTER ELKE Das Lied mag ich besonders…

DUNJA Werde ich als geheilt entlassen?

ELKE (ausweichend) Wenn Sie mir ein Autogramm geben würden?

Dunja nimmt den Kugelschreiber, den Schwester Elke ihr reicht. Sie unterschreibt mit leicht zitternder Hand auf dem Plattencover: „Für die gute Elke…“ Elke nimmt das Cover und liest.

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Weißensee - Am Ende des Tages 8

SCHWESTER ELKE „Für die gute Elke.“ – (feixt) Ich bin aber nicht immer gut…

DUNJA Wer ist das schon.

In diesem Moment betreten zwei Männer das Krankenzimmer: Falk und ein älterer Herr, Dr. Pfeifer. Dunja sieht sie resigniert an. Elke steckt schnell das Cover ein und geht mit dem Tablett hinaus.

FALK Es geht Ihnen besser, wie man sieht. Das freut uns natürlich. Sind Sie bereit für ein Gespräch? DUNJA Ich kann’s kaum erwarten. FALK Es ist ja so, auch nach Ansicht der behandelnden Ärzte, seien wir offen, Ihr Suizidversuch lässt keinen Zweifel daran, dass eine psychische Erkrankung vorliegt. Die Behandlung steht erst am Anfang. Und wir wollen ja alle kein Risiko eingehen… DUNJA (ungeduldig) Sagen Sie klar, was Sie von mir wollen!

Falk nickt Dr. Pfeifer zu, der öffnet seine Aktentasche…

FALK Ich möchte Sie schützen. DUNJA Das ist allerdings neu.

Dr. Pfeifer reicht Dunja ein amtlich aussehendes Papier. FALK Frau Hausmann, das hier ist eine Anordnung des zuständigen Richters im Bezirk Prenzlauer Berg…

Dunja überfliegt das Blatt.

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Weißensee - Am Ende des Tages 9

DUNJA (re: Schreiben, fassungslos) Eine Entmündigung?! Sie wollen mich entmündigen?! FALK Sie können das jetzt vielleicht nicht richtig einschätzen, aber dieser Beschluss ist zu Ihrer eigenen Sicherheit gefasst worden. Ihr Vormund ist bis auf weiteres Anwalt Dr. Pfeifer. Er hat ab sofort die Entscheidungsgewalt in Ihren finanziellen und verwalterischen Belangen…

Dr. Pfeifer verzieht keine Miene. Dunja setzt sich auf das Bett, sie ist schockiert. DUNJA (kopfschüttelnd) Das könnt ihr nicht machen... FALK Es liegt alles in Ihrer Hand. Es steht Ihnen frei, sich als mündige, verantwortungsvolle Bürgerin unseres Staates zu erweisen.

Dunja sieht Falk an und begreift.

DUNJA Achso.

Sie sieht plötzlich müde aus.

DUNJA Ich war sowieso gerade dabei, Autogramme zu geben. - Wo muss ich unterschreiben?

Falk und Dr. Pfeifer wechseln einen Blick…

FALK (freundlich) Frau Hausmann, es wird alles gut. Wir passen auf Sie auf.

05. BILD / STRAßE – VOR PRAXIS FRAUENARZT A/T Zur gleichen Zeit. Julia geht eine Straße entlang, dann betritt sie einen Hauseingang. An der Tür hängt ein Schild „Dr. Peter Graves – Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe“…

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Weißensee - Am Ende des Tages 10

06. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT – FLUR I/T

Später. Im Ministerium für Staatssicherheit. Falk geht zufrieden über den Flur, da erscheint eine Sekretärin.

SEKRETÄRIN Oberst Gaucke möchte Sie sprechen. Sofort.

Falk folgt der Sekretärin.

07. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT – BÜRO GAUCKE I/T Falk betritt Gauckes Büro. Gaucke sitzt arbeitend an seinem Schreibtisch, er sieht kurz auf.

GAUCKE Ja, Kupfer, bitte setzen Sie sich,

Falk nimmt Platz. Gaucke blättert in seinen Unterlagen.

GAUCKE Dieses Punk-Konzert, der operative Einsatz in der Dunckerstraße, der hat ja ein sehr überzeugendes Ergebnis gezeigt… FALK Ja. Fünfundzwanzig der Festgenommenen haben letztlich eine feindlich-negative Haltung zu unserer Republik nicht mehr leugnen können. Sechs Prozesse stehen an, neun Personen konnten wir für unsere Sache gewinnen. Die übrigen zeigen Reue und Einsicht, sie werden weiter beobachtet, außerdem marxistisch-leninistisch aufgeklärt. GAUCKE Glückwunsch. Sehr gute Arbeit.

FALK Danke, Genosse Oberst.

GAUCKE Wie lief es mit Dunja Hausmann?

FALK Auch da keine Probleme. Sie wird in Zukunft kooperieren.

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Weißensee - Am Ende des Tages 11

Gaucke nickt.

GAUCKE Ich hatte es von Ihnen auch nicht anders erwartet.

Gaucke steht auf, Falk sieht ihn erwartungsvoll an: was kommt jetzt? Gaucke geht auf und ab, dabei:

GAUCKE Ich bin ganz offen, wir sind unter uns: Sie sind mein Mann in der HA 20. Ich war nie mit Ihrem Vater einverstanden, in letzter Zeit noch weniger. Da findet eine Aufweichung statt, vielleicht eine Alterserscheinung, was weiß ich. Die einen werden zu Pudding, aber die hatten nie ein Rückrat, die haben von Anfang an nichts getaugt. Aber die anderen, die verfestigen ihre Prinzipien, Tag für Tag, die meißeln unsere Idee in Stein, unermüdlich, immer weiter. Die stehen wie eine Eins, bis zum Ende - das sind meine Leute! Sie gehören dazu. Das sehe ich jetzt schon. - Falk, ich will Sie auf lange Sicht auf der Position Ihres Vaters etablieren. An diesem Ziel müssen wir arbeiten…

Falk schweigt beeindruckt – aber auch betroffen: er soll seinem Vater den Posten streitig machen… Gaucke setzt sich, etwas außer Atem.

GAUCKE Leider gibt es noch immer diesen Makel an Ihrer Familie. Das Verhältnis Ihres Bruders mit Julia Hausmann.

Falk verzieht keine Miene.

FALK Ich arbeite daran.

Gaucke nickt, ordnet seine Papiere, dabei: GAUCKE (wie nebenbei) Sie werden in Kürze vom Minister zum Oberst-Leutnant ernannt. Ich habe Sie vorgeschlagen, er war einverstanden. FALK Das freut mich.

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Weißensee - Am Ende des Tages 12

GAUCKE Also: den Makel beseitigen, und kein einziger Fehler mehr! FALK Zu Befehl. GAUCKE Danke, das war’s.

Falk steht auf und will gehen, aber dann zögert er.

GAUCKE Noch was? FALK Was planen Sie denn langfristig für meinen Vater? GAUCKE Wie ich höre, macht er sich ausgezeichnet in seiner Lehrtätigkeit, die Studenten sind sehr angetan. FALK Aufs Abstellgleis also. GAUCKE Er ist hier ein Sicherheitsrisiko… FALK Aber er hat einen mächtigen Fürsprecher. GAUCKE Ja… ich weiß, dass der Erste und er Waffenkameraden sind. Aber selbst ein Hans Kupfer hat irgendwann einen schwachen Moment, den unser oberster Genosse dann nicht mehr schönreden kann. – Also, Augen auf.

Falk will etwas sagen, nickt dann aber nur und geht… 08. BILD / POLIZEIREVIER – BÜRO SORGE I/T

Zur gleichen Zeit. Auf dem Polizeipräsidium. Hans wird von Hauptmann Sorge empfangen. Sorge kennt Hans nicht, weiß aber sofort, dass er bei der Stasi ist. Sorge ist entsprechend angespannt und misstrauisch.

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Weißensee - Am Ende des Tages 13

HANS Mein Name ist Schmidt. Es geht um den Einsatz am Sonnabend in der Dunckerstraße. SORGE Guten Morgen, Genosse Schmidt, ja, ich bin hier grade dabei, das Protokoll zu schreiben…

Sorge zeigt auf einen Stuhl. Hans setzt sich, Sorge ebenfalls.

HANS Es soll einen Vorfall mit einem VP gegeben haben. SORGE Allerdings, ich werde eine Meldung machen müssen. Wegen einer Befehlsverweigerung. Das wird eine Suspendierung.

HANS Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. SORGE Die Sachlage lässt eigentlich keine andere Konsequenz zu. HANS Ich denke, Sie sollten dem VP gegenüber Milde walten lassen. SORGE (misstrauisch) Sollte ich? HANS Gerade Sie, Genosse Sorge, müssten doch für die ein oder andere menschliche Verfehlung Verständnis haben. SORGE Wie kommen Sie darauf?

HANS Was denken Sie, würde Ihre Frau dazu sagen, dass Sie noch einen volljährigen Sohn in Jena haben.

Sorge sieht Hans erschrocken an…

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Weißensee - Am Ende des Tages 14

09. BILD / VOR POLIZEIREVIER A/T

Später. Vor dem Polizeirevier. Martin kommt heran. Er will das Revier betreten, da kommt ihm sein Vater entgegen.

MARTIN Was tust du hier? HANS Ich helfe dir. MARTIN Ich komme alleine zurecht. HANS Den Eindruck habe ich gerade nicht. MARTIN Hör auf, dich in mein Leben einzumischen. HANS (weiter) Aber Kinder sind immer undankbar, davor hat mich schon mein Vater immer gewarnt. Alles Gute, mein Sohn.

Hans geht weiter, Martin sieht ihm irritiert nach, dann betritt er das Revier. 10. BILD / POLIZEIREVIER – BÜRO MARTIN I/T Martin betritt das Büro, Görlitz sieht von seinem Schreibtisch auf.

GÖRLITZ Dass du dich noch hertraust.

MARTIN Morgen, Görlitz.

Martin geht an seinen Schreibtisch, da sieht Hauptwachtmeister Sorge herein. Martin sieht auf, Görlitz beobachtet die beiden gespannt.

SORGE Morgen, Genossen. MARTIN Guten Morgen, ich komme gleich zu Ihnen…

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Weißensee - Am Ende des Tages 15

SORGE Ihnen wird in Kürze eine schriftliche Verwarnung zugehen, Kupfer. Sie wissen warum. MARTIN Ja… SORGE (weiter) Dienstbesprechung ist heute schon um vier. Machen Sie den Protokollanten?

Martin nickt. Sorge geht wieder hinaus, Görlitz starrt Martin mit offenem Mund an. Er schüttelt fassungslos den Kopf.

GÖRLITZ Das glaube ich jetzt nicht… schriftliche Verwarnung!? Wenn ich an deiner Stelle wäre, mich hätten sie gnadenlos vor die Wand gestellt.

Martin weiß, dass sein Vater hinter dieser Wendung steckt. MARTIN Das gefällt mir nicht…

Görlitz steht auf und schlägt Martin auf die Schulter.

GÖRLITZ Mann, freu dich doch, dass es in deiner Welt einen gnädigen Gott gibt!

Görlitz geht hinaus. Martin setzt sich an seinen Schreibtisch.

MARTIN (hinterher) Ich glaube, da werde ich lieber Atheist.

11. BILD / SCHULE - KLASSENZIMMER I/T In Veras Schule. Ein Klassenzimmer. Vera unterrichtet Staatsbürgerkunde in einer 8. Klasse. Die meisten Kinder schreiben still und konzentriert mit. Vera spricht mechanisch.

Page 17: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 16

VERA … Ein weiterer Versuch des Weltimperialismus, über die DDR in das sozialistische Weltsystem einzudringen, wurde durch die Sicherheitsmaßnahmen vom 13. August 1961 vereitelt. Die NATO hatte detaillierte Pläne für einen Überfall auf die DDR aufgestellt. In einem Blitzkrieg sollte die DDR überrollt werden, nachdem aus Westberlin eingeschleuste Konterrevolutionäre einen Putsch organisiert und eine “neue Regierung” ausgerufen hätten. Aber die sozialistischen Länder konnten detaillierte Kenntnis von diesen Absichten und Plänen erlangen und bereiteten die erforderlichen Gegenmaßnahmen vor. Welche waren das?

Einige Schüler melden sich. VERA Christian. CHRISTIAN (schnell) In der Nacht vom 12. zum 13. August begann die Aktion, die die Imperialisten in der ganzen Welt überraschte und ernüchterte: Die DDR hat die Staatsgrenze zu Westberlin geschlossen und sie fest und undurchlässig gemacht. Außerdem standen die Truppen aller Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages bereit, den Sozialismus gegen jeden Aggressor zu verteidigen. VERA (mechanisch) Sehr gut, Christian. - Und damit wurde der Frieden in Europa gerettet.

Eine Hand erhebt sich.

VERA Stefan? STEFAN Aber warum ist die Mauer immer noch da? VERA Du meinst den Schutzwall, Stefan.

Page 18: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 17

STEFAN Warum ist der Schutzwall heute immer noch da?

Vera macht inzwischen eine Notiz im Klassenbuch. VERA Weil die Bedrohung durch die Imperialisten nicht abgenommen hat… Im Gegenteil, sie wird täglich größer. Wir befinden uns im Krieg! (fährt fort, zu dozieren) Unmittelbar nach dem 13. August 1961 entstanden in der DDR zwei große Massenbewegungen. Wer kann diese nennen? - Christine, bitte.

Ein Mädchen steht auf und stottert den auswendig gelernten Text herunter, inzwischen setzt sich Vera an den Lehrertisch. Sie sieht müde aus.

CHRISTINE Einmal die FDJ... Das FDJ-Aufgebot hatte zum Ziel, viele Freiwillige für die Nationale Volksarmee zu gewinnen, sie wollten… um den Sozialismus sicher und wirkungsvoll zu schützen. Zweitens, im Produktionsaufgebot wurde um höchste Leistungen gerungen, um die Auswirkungen des von den Imperialisten sofort verhängten wirtschaftlichen Boykotts in Grenzen zu halten…

12. BILD / EXQUISITGESCHÄFT I/T Im Exquisitgeschäft. Moni ist damit beschäftigt, Kosmetikschachteln in einen Schrank unter dem Tresen einzuräumen.

JULIA (off) Na, bunkerst du mal wieder die gute Ware für die Vorzugskunden?

Moni kommt etwas ertappt hinter dem Tresen hervor und sieht Julia fast wütend an. MONI Spionierst du mir nach, oder was? JULIA (ehrlich empört) So ein Quatsch, aber ich bin doch nicht blöd.

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Weißensee - Am Ende des Tages 18

Julia geht ins Hinterzimmer und kommt kurz darauf in ihrem Kittel zurück, den sie zuknöpft.

MONI Wieso kommst du denn so spät? JULIA Ich war noch beim Arzt. MONI Und, was sagt er? JULIA Ungefähr 9. Woche.

Julia beginnt, ein Regal aufzuräumen. Moni ist einen Moment lang berührt, dann wird sie ernst.

MONI Weiß Martin es schon? JULIA Nein… MONI Willst du es denn nicht? JULIA Doch. - Aber ich habe keine Ahnung, wie Martin reagiert… MONI Habt ihr noch nicht über Kinder geredet? JULIA Nein… wann denn auch!? Bisher waren wir nur immer mit unseren Eltern beschäftigt. MONI Er wird sich schon freuen. JULIA Ich habe ein bisschen Schiss. MONI Die Kerle stellen sich am Anfang immer an, aber wenn die Würmchen erst da sind, dann platzen sie vor Stolz.

Page 20: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 19

Julia sieht Moni an.

JULIA Und dann hauen sie ab. MONI Hey! Ich habe meinen Mann verlassen, nicht er mich! JULIA Schon gut. – Hast du eigentlich mal wieder was in Aussicht? Wie war es denn eigentlich bei diesem Konzert…

Moni ist dieses Thema sichtlich unangenehm… MONI Da lief gar nichts! Nee, ich glaube, ich bleibe einsam. Der Lack ist ab.

Da wirft Julia Moni eine Schachtel zu, die sie auffängt… JULIA Hier! Damit siehst du nach einer Woche Anwendung glatt zehn Jahre jünger aus.

Moni lacht.

MONI Gib mir zwei!

Julia wirft ihr eine zweite Schachtel zu…

13. BILD / TURNHALLE I/T

In einer Turnhalle. Roman turnt gerade am Barren vor. Drei offiziell aussehende Herren sitzen hinter einem Tisch und machen sich Notizen. Andere Kinder in Sportsachen sitzen auf einer Bank und warten auf ihre Prüfung. Ein nervöser Trainer steht dabei und turnt innerlich jede Welle mit. Da öffnet sich eine Tür und Falk betritt leise die Halle. Roman, hochkonzentriert, bemerkt seinen Vater nicht. Falk beobachtet seinen Sohn beim Turnen. Einer aus der Kommission nickt Falk zu, sie scheinen sich zu kennen. Roman ist kurz vor dem Ende seiner Übung, da sieht er aus dem Augenwinkel seinen Vater. Beim Absprung patzt er. Falk verzieht keine Miene, aber er wechselt noch einen Blick mit dem Kommissionsmitglied: das wird ja wohl jetzt kein Grund sein, ihn nicht zu nehmen!

Page 21: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 20

KOMMISSIONSMITGLIED Danke, Roman. Thomas Jascke bitte.

Roman setzt sich wieder auf die Bank, ein weiterer Junge tritt vor… Roman sieht seinen Vater an, der zwinkert ihm einmal kurz zu. Schnitt auf: Später. Das Vorturnen ist beendet. Falk legt Roman den Arm um.

FALK Gehen wir noch ein Eis essen?

Roman nickt… 14. BILD / STRAßE - LADA I/A/T Ein hellblauer Lada. Vera fährt nachhause. Sie muss an einem Zebrastreifen anhalten, Fußgänger gehen über die Straße. Veras Blick fällt auf eine Eckkneipe. Sie zögert, hinter ihr hupt ein Autofahrer. Vera gibt Gas, fährt aber kurz darauf rechts an den Bürgersteig. Vera steigt aus dem Wagen und betritt die Kneipe… 15. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – FLUR I/T Zur gleichen Zeit. In der Wohnung Hausmann. Die Wohnungstür wird von außen aufgeschlossen. Kurz darauf tritt Julia in den Flur. Sie bleibt stehen, lauscht, dann geht sie langsam durch die stille, menschenleere Wohnung… 16. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – BOUDOIR DUNJA I/T Julia betritt das Zimmer ihrer Mutter. Dort sieht sie sich kurz um. Dann zieht sie einen alten Kinderkoffer hinter einem Schrank hervor. Sie legt ihn auf den Boden, kniet sich davor und klappt den Koffer auf. Julia nimmt nach und nach die Dinge heraus, die darin sind: eine etwas abgetakelte Puppe mit nur einem Auge, dann ein paar winzig kleine Schühchen, eine Mütze – es sind Julias Kindersachen, die Dunja in diesem Koffer aufbewahrt… Julia ist gerührt, denkt an ihr eigenes, ungeborenes Kind… 17. BILD / STRAßE - LADA I/A/T Vera kommt aus der Kneipe. Sie ist betrunken, sie geht zwar grade, aber man sieht, dass es sie eine gewisse Anstrengung kostet. Sie steigt in den Wagen und fährt ab…

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Weißensee - Am Ende des Tages 21

18. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – BOUDOIR DUNJA I/T In der Wohnung Hausmann. Julia betrachtet noch immer die Sachen aus dem Koffer. Plötzlich klappt die Wohnungstür, Julia fährt erschrocken herum. In der Zimmertür erscheint Dunja.

DUNJA Ich bin wieder da. Frisch geölt und entschlackt. JULIA Mama!

Julia springt auf und umarmt ihre Mutter, die ihre Tochter kurz innig festhält. Dann fällt ihr Blick auf den Kinderkoffer.

DUNJA Was treibst du da? Wühlst du in deiner frühen Vergangenheit?

Julia klappt den Koffer zu, sie sieht ihre Mutter zärtlich an.

JULIA Wie geht es dir? DUNJA Mir geht es gut. Ich bin frei.

Dunja lächelt, aber Julia sieht, dass das Lächeln falsch ist.

JULIA Soll ich deine Freunde anrufen? Armin, Christine… Das müssen wir doch feiern?

DUNJA Heute nicht, Julia. Aber morgen, da feiern wir ein Wiedersehen, dass es kracht. JULIA Ich koche uns ein paar Nudeln, ja? Hast du noch Konserven da? DUNJA Rote Tomaten habe ich immer im Haus.

Julia geht hinaus, Dunjas Lächeln verschwindet sofort aus ihrem Gesicht… sie sieht sich um, ihr Blick fällt auf die Deckenlampe, auf einen Bilderrahmen – sie weiß, dass hier überall Wanzen sind…

Page 23: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 22

19. BILD / HAUS KUPFER – FLUR - KÜCHE I/T Zur gleichen Zeit im Haus Kupfer. Falk und Roman betreten den Flur. Falk trägt einen großen Pappkarton.

FALK (off) Hallo, wo seid ihr denn alle? MARLENE (ruft, off) Küche! FALK Wir haben eine Eistorte mitgebracht! (zu Roman) Aber du gehst jetzt erst mal duschen, mein Sohn.

Roman geht die Treppe hinauf. Falk betritt die Küche… 20. BILD / HAUS KUPFER - KÜCHE A/T In der Küche. Marlene bereitet das Abendbrot vor. Falk stellt den Pappkarton auf den Tisch.

FALK Zum Nachtisch.

MARLENE Stell’s ins Eisfach. - Gibt es was zu feiern?

FALK (lächelt) Wir sind Helden! Roman und ich. - Wo ist Vater?

Marlene macht eine Kopfbewegung in Richtung Arbeitszimmer… 21. BILD / HAUS KUPFER – ARBEITSZIMMER HANS I/T In Hans Arbeitszimmer. Hans sitzt am Schreibtisch und schreibt einen Brief. Die Tür zum Wohnzimmer steht offen, der Fernseher läuft. Hans sieht ab und zu auf. Es läuft in der „Aktuellen Kamera“ ein Beitrag über den Bombenanschlag auf dem Oktoberfest in München.

SPRECHER … nach dem Bombenanschlag auf dem Münchner Oktoberfest erhöht sich die Zahl der Opfer auf 13. Der mutmaßliche Attentäter, der als Rechtsextremist bekannte Gundolf Köhler, ist ebenfalls ums Leben gekommen...

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Weißensee - Am Ende des Tages 23

Falk kommt herein.

FALK N’ Abend, Vater. HANS (nickt kurz) Nehmen sie Roman?

FALK Es ist noch nicht offiziell, aber ich denke, keiner zweifelt an seinem sportlichen Talent.

HANS Freut mich.

FALK Und ich werde OL.

HANS Ich weiß. Der Flurfunk funktioniert verlässlich. FALK Mehr sagst du nicht dazu?

Hans lächelt.

HANS Ich bin auf der Hut, mein Sohn.

Falk wirkt ertappt. Hans unterschreibt den Brief und faltet die Bögen zusammen.

FALK (ausweichend) Ich habe auch eine gute Nachricht für dich.

Falk schließt die Tür zum Wohnzimmer und dreht sich dann zu seinem Vater um. Hans tütet den Brief ein und klebt den Umschlag zu. Inzwischen:

FALK Dunja Hausmann ist aus dem Krankenhaus entlassen worden. Und sie hat sich bereit erklärt, mit uns zusammenzuarbeiten.

Hans legt langsam den Brief zur Seite. Hans schweigt, Falk ist enttäuscht, er hatte mehr erwartet.

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Weißensee - Am Ende des Tages 24

FALK Es ist doch so, wie du es immer wolltest: miteinander für den Sozialismus. Nicht gegeneinander. Sich das intellektuelle Potential zu Nutze machen…

HANS Ja, ich denke nur, du hast da eher die Haltung eine Kolonialisten, ich mehr die eines Bündnispartners.

Hans nimmt den Füller wieder in die Hand und adressiert den Brief.

HANS Ich bin gleich fertig.

FALK An wen schreibst du?

HANS An den obersten Genossen. Er hat mich zur Jagd auf der Schorfheide eingeladen. Ich habe zugesagt. FALK Gute Idee.

22. BILD / STRAßE BEI GARTENKOLONIE - LADA I/A/T Vera fährt eine nahezu menschenleere Straße entlang, an einer Kleingartenkolonie, sie weint, sie ärgert sich über ihren Rückfall. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht… sie sieht nur noch verschwommen…die Alleebäume… die Straße… Ein Radfahrer fährt rechts am Straßenrand, er zeigt mit dem Arm an, dass er nach links abbiegen will. Aber Vera sieht es nicht, sie fährt weiter… Der Lada erwischt den Radfahrer mit der linken Seite… Es gibt einen dumpfen Aufprall, Vera erschrickt, reißt die Augen auf… sie sieht in den Seitenspiegel, in den Rückspiegel, sie erkennt nichts und gibt Gas… Der Radfahrer liegt reglos auf dem Pflaster… 23. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – KÜCHE I/ABEND In der Wohnung Hausmann. Dunja und Julia essen zusammen Abendbrot. Schweigend. Dunja will Julia Wein nachschenken.

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Weißensee - Am Ende des Tages 25

JULIA Nein, danke.

Dunja schenkt sich selbst das Glas voll.

JULIA Nimmst du Medikamente? DUNJA (spöttisch) Kleine rosa Pillen? Glücklichmacher? Nein, sollte ich? Langweile ich dich? Ich kann auch mein großes Witzebuch von nebenan holen… JULIA Wenn du so schweigst, das macht mir Angst. DUNJA (ernst) Ja, mir auch. JULIA Warum haben sie dich laufen lassen? DUNJA Mein kleiner Auftritt hat sie anscheinend beeindruckt.

Julia blickt auf Dunjas Handgelenke, die immer noch verbunden sind.

JULIA (irritiert) Das war ein Auftritt? Wolltest du gar nicht… dass es klappt? DUNJA Doch, sonst hätte ich quer geschnitten, weißt du. Aber wenn man es ernst meint, schneidet man längs. JULIA Hast du dabei nicht eine Sekunde an mich gedacht? Ich meine, ich bin doch dein Kind…ich…

Da sieht Dunja auf, sie sieht Julia ins Gesicht.

DUNJA (unterbricht) Du bist schwanger, stimmt es? Von ihm, von Herrn Kupfer.

Julia zögert, schließlich nickt sie.

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Weißensee - Am Ende des Tages 26

DUNJA Und, was hast du nun vor? JULIA Wenn dann: was haben wir vor. - Ich will unser Kind bekommen. DUNJA (begreift) Du hast es ihm noch gar nicht gesagt. (Julia schweigt) - Überleg es dir gut, Julinka. Mit einem Kind wirst du angreifbarer. JULIA Wie meinst du das? DUNJA (eindringlich) Sie können es dir wegnehmen.

Julia sieht Dunja erschrocken an: was für ein bedrohlicher Gedanke! Dann:

JULIA Das ist das Erste, woran du denkst?

Julia sieht ihre Mutter an, die einen Schluck Wein nimmt und Julias Blick ausweicht: sie erkennt sie nicht wieder… 24. BILD / STRAßE A/ ABEND

Zur gleichen Zeit. Ein Streifenwagen steht mit hochgeklappter Motorhaube am Straßenrand. Görlitz und Martin begutachten den Motor.

GÖRLITZ Ist doch eine ausgewachsene Zumutung, womit die uns hier auf die Menschheit loslassen…

MARTIN Das letzte Mal war es die Benzinpumpe…

Görlitz fummelt an einem Kabel. Da schaltet sich im Wagen das Funkgerät ein.

STIMME … Unfall mit einem Fahrradfahrer. Reulitzer Straße. Ein Verletzter. Verdacht auf Fahrerflucht.

Martin setzt sich auf den Fahrersitz und nimmt das Funkgerät.

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Weißensee - Am Ende des Tages 27

MARTIN (ins Funkgerät) Wagen 43. Wir fahren hin!

Görlitz sieht hinter der Motorhaube hervor. GÖRLITZ Ja wie denn?! MARTIN Komm, zieh mal am Gashahn…

Görlitz tut das, Martin startet den Wagen, schließlich springt der Motor an. Görlitz wirft die Klappe zu und setzt sich auf den Beifahrersitz. Martin fährt ab…

25. BILD / STRAßE BEI GARTENKOLONIE A/ ABEND

An der Unfallstelle. Ein Krankenwagen ist schon da, ein Arzt und zwei Sanitäter kümmern sich um den noch immer ohnmächtigen Radfahrer. Eine ältere Dame steht dabei, Frau Wendtland. Martin und Görlitz steigen aus, Görlitz nimmt einen Fotoapparat aus dem Wagen. Die beiden treten heran.

MARTIN Guten Abend.

Görlitz nickt Frau Wendtland zu. Der Arzt sieht auf.

ARZT N’Abend. GÖRLITZ Hat er so da gelegen?

Der Arzt nickt. Görlitz schießt ein Foto von dem Verletzen, vom demolierten Fahrrad, das etwas entfernt liegt. Einer der Sanitäter gibt Martin inzwischen einen Ausweis.

SANITÄTER Den hatte er in der Tasche.

Martin sieht auf den Ausweis.

MARTIN Uwe Langer, er ist erst 15 Jahre… wie sieht es denn aus?

Der Arzt verzieht das Gesicht: nicht so gut. Dann nickt er den Sanitätern zu.

ARZT Auf drei. Eins-zwei-drei.

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Weißensee - Am Ende des Tages 28

Die Sanitäter und der Arzt heben den Verletzten auf die Trage. Dann schieben sie die Trage in den Krankenwagen.

ARZT Wir bringen ihn ins Klinikum Weißensee.

Martin nickt, dann wendet er sich an Frau Wendtland. Görlitz macht inzwischen Detailfotos vom Fahrrad.

MARTIN Haben Sie die Polizei gerufen?

Frau Wendtland nickt. Sie ist aufgeregt.

FRAU WENDTLAND Ich habe alles gesehen. Ich habe hier eine Laube, ich stand da hinter dem Zaun… MARTIN Wie ist Ihr Name? FRAU WENDLANDT Wendtland, Ella. Ich habe gesehen, wie das Auto einfach weitergefahren ist. Der junge Mann hat keinen Mucks mehr gesagt. Ich bin dann da runter zur Zelle gelaufen, hier war ja keiner weit und breit… ich habe den Notruf gewählt… MARTIN Was war das für ein Wagen? FRAU WENDTLAND Ich weiß nicht, hell, auf jeden Fall hell.

Martin macht sich Notizen. Görlitz steigt in der Zwischenzeit in den Streifenwagen und setzt einen Funkspruch ab.

MARTIN Das Nummernschild haben Sie nicht erkannt? FRAU WENDLAND Nein, leider nicht… MARTIN Vielleicht den Fahrer?

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Weißensee - Am Ende des Tages 29

FRAU WENDTLAND Es war eine Frau. Ich habe grade hochgeguckt, als sie vorbeifuhr, und sie gesehen. Ich dachte noch, sie wird ja wohl auf das Fahrrad aufpassen… MARTIN Können Sie die Frau beschreiben? FRAU WENDTLAND Blond. So um die 30 oder 40 vielleicht… Es ging ja sehr schnell. Es tut mir leid, aber…

Martin legt Frau Wendtland eine Hand auf den Arm

MARTIN Frau Wendland, Sie haben genau richtig reagiert.

Görlitz kommt heran. GÖRLITZ Es kommt ein Abschleppwagen für das Fahrrad…

26. BILD / WOHNUNG HAUSMANN - FLUR I/ ABEND Zur gleichen Zeit. Julia verabschiedet sich von Dunja. Die drückt Julia den Koffer mit den Kindersachen in die Hand.

JULIA Was machst du jetzt? Wann fängst du wieder an zu Proben? DUNJA Praktisch sofort, ich habe neue Ideen, gute Ideen. Für schlimme Lieder. So ein paar Tage Klinik, die helfen der Inspiration, das Essen im Krankenhaus, das regt die Phantasie an… JULIA Kann ich dich allein lassen? DUNJA (ironisch) Ja, Mama, und wenn ich im Dunkeln Angst kriege, dann mache ich einfach überall das Licht an. Und das Radio auch.

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Weißensee - Am Ende des Tages 30

JULIA Ich komme morgen wieder. DUNJA (spöttisch) Nicht dass zwischen uns noch die innige Mutter-Tochter-Beziehung ausbricht.

Julia streicht ihrer Mutter liebevoll über die Wange. JULIA Ich lass mir von dir nicht mehr verbieten, dich lieb zu haben. DUNJA Raus!

Dunja schiebt Julia aus der Wohnung. Fast in Panik. Sie hat Tränen in den Augen, Julias Liebe ist nicht zu ertragen: wie ein Spiegel, der ihr die Wahrheit zeigt… 27. BILD / WEIßENSEE A/ABEND Über Weißensee geht die Sonne unter… 28. BILD / HAUS KUPFER – FLUR I/NACHT Später am Abend. Vera betritt das Haus, sie hängt ihren Mantel an die Garderobe, sie hört Stimmen aus dem Wohnzimmer. Sie atmet tief durch, reißt sich schwer zusammen. Da erscheint Falk.

FALK Guten Abend, Schatz. Du kommst ja spät… VERA Guten Abend, Falk.

Falk küsst Vera, er merkt sofort, dass sie eine Fahne hat und weicht zurück. Er sieht sie erschrocken an, überspielt das aber.

FALK Kommst du zum Abendessen? Roman und ich haben eine Eistorte besorgt… VERA Kannst du mich bitte beim Abendbrot entschuldigen… ich muss was Falsches gegessen…

Da packt Falk Vera plötzlich hart an den Schultern, er schüttelt sie, nicht aggressiv sondern hilflos und verzweifelt.

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Weißensee - Am Ende des Tages 31

FALK Warum? Vera, warum?! VERA In mir ist alles so leer, Falk.

Damit wendet Vera sich ab und geht in Richtung ihres Schlafzimmers. Falk sinkt auf eine Kommode, er schüttelt den Kopf… fassungslos…

29. BILD / SIMON-DACH-STRAßE – BESETZTE WOHNUNG I/N In der besetzten Wohnung. Martin ist dabei, die beiden Zeichnungen seiner Tochter Lisa an die Wand zu pinnen. Julia stellt schnell den Kinderkoffer in eine Ecke, dann tritt sie von hinten an Martin heran und umarmt ihn zärtlich.

JULIA Hey…

MARTIN Denkst du, aus Lisa wird mal eine große Künstlerin?

JULIA Das kommt drauf an, durch wessen Augen man sie sieht… Vateraugen. Kunstkritikeraugen… da kann es große Unterschiede geben.

MARTIN Ich wollte eigentlich nur ein schlichtes ‚Ja’.

Martin und Julia küssen sich. Dann sieht Martin Julia an.

MARTIN Es ist übrigens ein Wunder geschehen: ich wurde nicht suspendiert. Als wäre das Ganze nie passiert. Wie durch Zauberhand: nie gewesen.

Julia löst sich von Martin. JULIA Zauberhand, ja…?

Martin und Julia sehen sich an, sie wissen beide bescheid.

MARTIN Und du? Erfahre ich jetzt dein Geheimnis?

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Weißensee - Am Ende des Tages 32

Martin sieht Julia prüfend an, die seinem Blick ausweicht.

JULIA Sie haben meine Mutter gehen lassen. MARTIN Einfach so?

Julia schüttelt langsam den Kopf…. JULIA Bestimmt nicht bedingungslos, nein... - Sie ist verändert. Das ist kaum auszuhalten… ich will ihr helfen und weiß nicht wie…

Schnitt auf: später, in der Nacht. Martin und Julia liegen im Bett. Julia schläft, Martin ist wach, nachdenklich…

MARTIN (unvermittelt) Julia!

Julia wird halb wach…

JULIA (im Halbschlaf) Was ist denn…?

MARTIN Bist du schwanger?!

Julia schweigt einen Moment lang, dann:

JULIA Ja…

MARTIN Ist das sicher? JULIA Ich war heute beim Arzt.

Martin schaltet das Licht an. Er sieht Julia ernst und prüfend an, die ihrerseits Angst vor Martins Reaktion hat.

MARTIN Und warum hast du mir das nicht gleich gesagt? - Willst du etwa-

JULIA (unterbricht) Ich habe nur auf den richtigen Moment gewartet.

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Weißensee - Am Ende des Tages 33

MARTIN Du willst es doch… JULIA Ja.

Da fängt Martin an, über das ganze Gesicht zu lächeln.

MARTIN Das ist doch großartig, wunderbar, das Beste, das Schönste, was uns passieren kann… Julia! Sag doch auch mal was!! JULIA Was denn?

Da springt Martin aus dem Bett und reißt das Fenster zum Hinterhof auf. MARTIN (ruft) Wir kriegen ein Kind!

Julia setzt sich im Bett auf und lächelt.

MARTIN (ruft lauter) Wir kriegen ein Kind!!!

NACHBAR (off) Dann ruf gefälligst 112!!!

30. BILD / WEIßENSEE – VOR HAUS KUPFER A/T Der nächste Morgen. Vor dem Haus Kupfer. Es ist regnerisch. Es riecht nach Herbst. Falk – mit einer Aktentasche - kommt aus dem Haus und geht auf den hellblauen Lada zu. Da bleibt er stehen und stutzt. Ein Kotflügel vorn hat eine erhebliche Beule. Der Lack ist abgeschrammt. Falk fährt mit der Hand prüfend darüber.

FALK Scheiße!

31. BILD / WEIßENSEE – HAUS KUPFER - BADEZIMMER I/T Vera steht vor dem Spiegel und schminkt sich, als Falk hereinkommt. Vera fährt erschrocken herum.

VERA Kannst du bitte anklopfen, Falk. FALK Du hast eine Beule in den Wagen gefahren.

Page 35: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 34

Vera hört auf, sich zu schminken. Sie sieht Falk erschrocken an.

FALK Du bist mit deinem besoffenen Kopf irgendwo gegengeknallt! VERA Ich…ich kann mich nicht erinnern. – Ist es schlimm? FALK Schlimm… schlimm, das ist nur Blech… schlimm ist, dass du trinkst… VERA Es war ein einmaliger Ausrutscher. Ich verspreche es dir.

Falk sieht Vera an, er glaubt ihr kein Wort. Er verlässt das Bad. Vera sieht in den Spiegel, verzweifelt… 32. BILD / KRANKENHAUS – FLUR I/T Martin – in Uniform - steht zusammen mit dem Arzt, der auch an der Unfallstelle war, vor einer Scheibe, sie beobachten den Fahrradfahrer, Uwe Langer, der in seinem Bett liegt und sich mit einer Schwester unterhält. Er sieht schon wieder ganz fröhlich aus.

MARTIN Sie haben es ihm noch nicht gesagt? ARZT Wir warten noch, bis er körperlich ganz stabil ist.

Martin nickt und sieht Uwe Langer voller Mitgefühl an…

33. BILD / POLIZEIREVIER – BÜRO MARTIN I/T Später. Auf dem Revier. Görlitz sitzt am Schreibtisch, als Martin hereinkommt.

MARTIN Uwe Langer ist außer Lebensgefahr. GÖRLITZ Wer ist Uwe Langer?

Page 36: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 35

MARTIN Der Radfahrer von gestern Abend. Ich war eben im Krankenhaus. GÖRLITZ Na, dann ist doch alles gut. MARTIN Er ist querschnittsgelähmt. GÖRLITZ Nicht gut. MARTIN Der Arzt sagt, er muss sehr unglücklich auf den Bordstein gefallen sein. - Mensch, das ist noch ein halbes Kind, Görlitz! Und wir wissen nichts weiter, als dass der Unfallwagen ein heller Wagen war. Und dass ihn eine Frau gesteuert hat.

Görlitz zuckt mit den Schultern.

GÖRLITZ Ist doch jetzt sowieso Sache der Kripo. - Kennste den: Ein hoher Parteibonze hat besoffen zwei Bürger angefahren, er fragt den Richter voller Angst nach seiner zu erwartenden Strafe. "Du bekommst natürlich keine, Genosse! Der Mann, der durch die Scheibe deines Autos flog, wird wegen eines imperialistischen Angriffs verurteilt. Und der andere, der 15 Meter durch die Luft flog… MARTIN (setzt fort) Wird wegen Unfallflucht bestraft. - Görlitz, deine Witze waren auch schon mal frischer.

Martin will wieder gehen. GÖRLITZ Hey, wo willst du denn hin? MARTIN Ich frage mal in der Kriminaltechnik, ob sie was am Fahrrad gefunden haben. Lackspuren oder so.

Page 37: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 36

Martin verlässt den Raum, Görlitz starrt auf die Schreibmaschine.

GÖRLITZ Und ich darf hier wieder ganz alleine den Bericht schreiben! Nur weil ich einen blöden Vetter in Hamburg habe!

34. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – BOUDOIR DUNJA I/T In Dunjas Boudoir. Dunja hat Besuch von drei Freunden: Armin, dem Pianisten, Christine Jeroch, der Schriftstellerin und Roland Einrauch, dem Dramatiker. Dunja trägt einen langärmeligen Pullover, ihre Handgelenke sind nicht zu sehen. Armin spielt leise auf dem Klavier, während sich die anderen unterhalten. Dabei beobachtet er Dunja.

DUNJA … das war nur eine verschleppte Grippe. CHRISTINE Ja, das kann einen schon mal umhauen. Aber du siehst gut aus… DUNJA Danke. EINRAUCH Du hast letzte Woche was verpasst: die Stasi hat in der Dunckerstraße ein Punkkonzert ausgehoben. Mit Hilfe der VP. Zander war auch da. Sie haben ihn nach acht Stunden Verhör gehen lassen. Also, wenn ich so was höre, dann überlege ich wirklich, ob ich nicht doch abhaue. Ich habe eine Einladung zu einem Theaterfestival in Bochum. Was meint ihr, soll ich dableiben? Kommst du mit, Christine? Du hast doch auch die Schnauze voll von dieser Mangelwirtschaft… Mangel an Pressefreiheit, Redefreiheit, Reisefreiheit - nur Mangel an Spitzeln, den haben wir nicht! CHRISTINE Mensch, Roland, pass ein bisschen auf, was du sagst. EINRAUCH Ich weiß doch, dass Dunjas Wohnung die einzig saubere im Prenzlberg ist.

Dunja hält es nicht aus und steht auf.

Page 38: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 37

DUNJA Möchte noch jemand ein Bier? EINRAUCH Ich.

35. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – KÜCHE I/T Dunja geht in die Küche, ihr ist übel, sie liefert ihre Freunde aus... sie ist hilflos… Armin kommt ihr nach.

ARMIN Hast du auch was zu Essen da? DUNJA Dass ihr Junggesellen euch immer bei mir durchfressen müsst!

Dunja nimmt Butter und Brot aus einem Schrank und ein Ende Mettwurst.

ARMIN Ich helfe dir. DUNJA Ich kann das durchaus alleine.

Aber Armin bleibt, er will mit Dunja reden. Zusammen schmieren die beiden Brote, dabei:

ARMIN Ich dachte immer, wir wären Freunde. DUNJA (ironisch) Ich weiß nicht, was dich auf diesen sentimentalen Gedanken gebracht hat. ARMIN Du hättest es mir sagen müssen. DUNJA Was?

Dunja sieht Armin irritiert und erschrocken an: wovon redet er, was weiß er?

Page 39: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 38

ARMIN Seit wann genau hast du die Probleme mit Medikamenten? Seit sie deine Platten aus den Läden genommen haben? DUNJA Was? Wer hat das gesagt? ARMIN Deine Betreuerin von der Asla, ich habe sie zufällig getroffen. Sie hat mir verboten, von dem Treffen zu sprechen.

Dunja schweigt, durcheinander…

ARMIN Ich habe es auch niemand erzählt. DUNJA Ich habe keine Probleme mit Medikamenten! Ich nehme nie welche! Das weißt du doch.

Armin sieht Dunja mitfühlend an, es ist klar, dass er ihr nicht glaubt.

ARMIN Ich bin nur traurig. Ich dachte, du hättest Vertrauen zu mir.

Armin nimmt den Teller mit den Broten und geht hinaus, Dunja bleibt in der Küche zurück, sie nimmt einen Schluck Bier… sie schüttelt den Kopf, sie kann das hier nicht! Dann folgt sie Armin… 36. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – BOUDOIR DUNJA I/T Dunja tritt in ihr Zimmer.

DUNJA Ich möchte, dass ihr jetzt geht. Ich möchte alleine sein. Bitte. Geht.

Die drei sehen Dunja verblüfft an, die so ernst aussieht. Dann zucken sie die Schultern und stehen langsam auf… Armin und Einrauch nehmen sich noch ein paar Brote vom Teller… 37. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – FLUR I/T Etwas später. Dunja schließt die Tür hinter ihren Freunden. Kurz darauf klingelt das Telefon. Dunja hebt ab.

Page 40: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 39

DUNJA Hausmann?

STIMME (off) Auf diese Weise können Sie uns nicht von Ihrer geistigen Gesundheit überzeugen, Frau Hausmann. Wir haben eine Absprache, wenn Sie sich nicht daran halten, müssen wir Sie vor sich selber schützen…

Dunja wirft den Hörer auf die Gabel. Sie lehnt sich gegen die Wand… Da öffnet sich die Tür und Julia kommt herein. Sie sieht ihre Mutter erschrocken an. Dunja fällt ihrer Tochter sozusagen in die Arme…

JULIA Du zitterst ja.

38. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – KÜCHE I/T Später: In der Küche. Dunja hat Julia die Anordnung des Gerichts gegeben, die Julia jetzt fassungslos liest.

JULIA Aber das, das geht doch nicht…

Dunja legt den Finger auf den Mund. Dann:

DUNJA Ich kann nichts dagegen tun. Nichts. (leise) Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, da wusste ich, ich will leben. Aber ich weiß nicht mehr wo, nicht mehr wie, und nicht mehr mit wem. JULIA Schreib ein Lied darüber… DUNJA Ich kann nicht mehr singen. JULIA Du bist die stärkste Frau, die ich kenne, Dunja! DUNJA Ja, das glauben alle kleinen Mädchen von ihrer Mutter. Es tut weh zu begreifen, dass das nicht so ist. – Ich bin zwischen allen Stühlen.

Julia sieht ihre hilflose, so zerbrechlich wirkende Mutter an, selbst ratlos…

Page 41: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 40

39. BILD / VOR HAUS KUPFER A/T Zur gleichen Zeit vor dem Haus Kupfer. Martin lädt gerade einen Karton in seinen Trabant. Da kommt ein dunkler Lada angefahren. Hans steuert ihn, er parkt und steigt aus. Er kommt heran.

HANS Guten Abend, Martin.

MARTIN N’ Abend, Vater. - Ich habe nur ein paar Sachen aus meiner alten Küche geholt. Töpfe, Pfannen…

Der Karton steht offen und man sieht das gerahmte Familienfoto der Kupfers obenauf liegen. Hans nimmt es kurz in die Hand und legt es wieder zurück.

HANS Es ist dein Eigentum. MARTIN Unser Hausstand ist noch etwas spärlich. HANS Darf ich fragen, wo ihr wohnt? Doch nicht in der Prenzlauer Allee 72? MARTIN Das weißt du noch nicht? HANS Sonst würde ich nicht fragen.

Martin wirft die Kofferraumhaube zu. MARTIN Wir haben eine Wohnung besetzt, in der Simon-Dach-Straße. HANS (verblüfft) Du hast eine Wohnung besetzt?! MARTIN Willst du sie räumen lassen?

Page 42: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 41

HANS Ich habe dir schon mal gesagt, ich werde dir keine Steine mehr in den Weg legen. Ich bin euer Freund. Ich bin für euch da, wenn ihr mich braucht. MARTIN (misstrauisch) Danke für das Angebot.

HANS Trinkst du noch ein Bier?

Martin zögert…

HANS Mit deinem alten Vater?

40. BILD / HAUS KUPFER – WOHNZIMMER I/T

Im Wohnzimmer. Hans kommt mit zwei Bierflaschen und reicht Martin eine davon. Beide bleiben stehen und sehen in den Garten hinaus.

HANS Falk sägt neuerdings an meinem Stuhl. MARTIN Hat er denn Erfolg damit? HANS Er wird am Freitag zum Oberstleutnant ernannt.

Martin pfeift anerkennend. HANS Mein Stuhl ist aus Eisen und seine Säge stumpf. MARTIN Macht dir dein Beruf noch Spaß? HANS Aus Spaß habe ich das noch nie gemacht. MARTIN Nur aus Überzeugung, natürlich.

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Weißensee - Am Ende des Tages 42

HANS Der Weg ist hart und weit. Aber ich glaube immer noch an den Kommunismus als einzig gesunde Gesellschaftsform. Was geschieht mit einer Welt, die nur auf Profit ausgerichtet ist? MARTIN (kennt den Text) Irgendwann geben die Kühe 50 Liter Milch am Tag. Wir können zwischen 100 Haarshampoo-Sorten wählen, wir stellen Leute ein, die unsere Wohnungen entrümpeln. Der Warenüberfluss nährt unsere Gier, er macht uns fett und krank… HANS (lächelt, ehrlich) Geht es euch gut? MARTIN Ja.

HANS Immer noch so verliebt?

Martin muss lächeln, er muss es ihm sagen:

MARTIN Vater, wir bekommen ein Kind.

Hans nickt, lächelt jetzt auch.

HANS Ich freue mich… aber das macht die Sache ja nicht unbedingt leichter. Ein Kind mit Fräulein Hausmann…

Hans muss plötzlich wider Willen lachen. Martin sieht seinen Vater an.

HANS Jetzt kriegt ihr auch noch ein Kind! Martin, was wird deine Mutter dazu sagen?! Und Dein Bruder? Bei den Gesichtern will ich dabei sein…

Martin lacht mit. Die beiden prusten regelrecht…

MARTIN (fängt sich) Bitte, sag niemand etwas. Noch nicht.

Page 44: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 43

HANS Wenn ich etwas gut kann, dann ein Geheimnis bewahren.

Die beiden lachen weiter… Da kommt Falk von draußen herein, er trägt einen Kleidersack, in dem man eine Uniform erkennt. Falk sieht Martin und Hans ausgelassen lachen und fühlt sich sofort ausgeschlossen… aber er lässt sich nichts anmerken.

FALK Guten Abend, Bruderherz. MARTIN Guten Abend, Falk. Herzlichen Glückwunsch im Voraus, ich habe gehört… FALK Nicht vorher gratulieren, das bringt Unglück! HANS Und hast du euren Wagen abgeholt? FALK Der ist morgen früh erst fertig. Sie haben nicht den passenden Lack auf Lager. – Ich brauche jetzt eine Dusche.

Falk geht hinaus. Martin sieht Hans nachdenklich an.

MARTIN Der Lada? HANS Irgendein Blechschaden. Vera hat angeblich versucht, einzuparken. - Ich fürchte ja, sie war betrunken. MARTIN Sie trinkt wieder?

Hans schweigt vielsagend.

MARTIN Könnt ihr Vera nicht helfen? HANS Ich kann sie ja schlecht in die Klinik zwangseinweisen lassen. - Außerdem ist das Falks Sache.

Page 45: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 44

Martin nickt und stellt sein Bier auf den Tisch.

MARTIN Danke für das Bier.

Hans nickt, er reicht Martin die Hand.

HANS Grüß Julia von mir.

Martin schüttelt den Kopf, er geht zur Tür. Dann dreht er sich noch einmal um.

MARTIN In welcher Werkstatt ist der Wagen von Falk?

41. BILD / WEIßENSEE - WERKSTATT A/ABEND Später. Ein menschenleerer Hinterhof. Eine Autowerkstatt. Martin hat seinen Wagen geparkt, er klopft gegen eine geschlossene Werkstatttür, schließlich öffnet ein Mann in einem Overall.

MECHANIKER Hier ist längst Feierabend.

MARTIN Sie haben hier einen hellblauen Lada zur Reparatur. Kann ich den mal sehen. MECHANIKER Wozu?

Martin zeigt dem Mann seinen Polizeiausweis. Der Mann tritt genervt zur Seite und lässt Martin herein. Schnitt auf: Martin sieht sich den Kotflügel des hellblauen Ladas an.

MARTIN Das sieht aber nicht nach einem Einparkfehler aus…

42. BILD / STRAßE BEI GARTENKOLONIE A/ABEND Später. Martin steht an einem Gartenzaun. Er zeigt Frau Wendland, die offensichtlich im Garten arbeitet, sein Familienfoto. Frau Wendland lässt ihren Blick über die Gesichter gleiten, da:

FRAU WENDTLAND Ja, mit ziemlicher Sicherheit ja, das hier, das war die Frau…

Page 46: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 45

Frau Wendtland zeigt auf Vera.

MARTIN Danke, Sie haben mir sehr geholfen. FRAU WENDLANDT Auf dem Bild sind Sie ja auch drauf…

Martin steckt das Foto wieder ein. MARTIN (ausweichend) Tut mir leid, dass ich Sie so spät noch gestört habe.

FRAU WENDTLAND Wollen Sie sich nicht mal meine Kürbisse ansehen?

MARTIN Danke, vielleicht ein anderes Mal, Frau Wendtland. FRAU WENDTLAND Da habe ich schon Preise mit gewonnen.

Martin zögert. 43. BILD / SIMON-DACH-STRAßE – BESETZTE WOHNUNG I/ABEND Später. Martin betritt die Wohnung, er trägt den Karton, außerdem darauf einen großen Kürbis. Julia tritt ihm entgegen, sie nimmt ihm den Kürbis ab.

JULIA Oh, mein Gott, was ist das denn? MARTIN Kürbissuppe für die nächsten 8 Wochen.

Martin stellt die Kiste ab… Später: die beiden liegen zusammen im Bett. Eine Kerze brennt. Julia hat Martin gerade von Dunja erzählt.

JULIA ... sie hat aufgegeben, ihr Kampfgeist ist weg...

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Weißensee - Am Ende des Tages 46

MARTIN Der kommt wieder, deine Mutter lässt sich doch nicht kleinkriegen…

Aber Julia sieht skeptisch aus.

JULIA Ich muss ihr helfen.

MARTIN Wie willst du das machen?

Julia schweigt nachdenklich.

MARTIN Tu nichts Unüberlegtes, bitte. JULIA (ausweichend) Und du? Was war bei dir?

MARTIN Ich glaube, Vera, meine Schwägerin, sie hat betrunken einen Unfall verursacht. Und dann Unfallflucht begangen. JULIA Willst du sie anzeigen?

Martin sieht nachdenklich aus... 44. BILD / VOR SCHULE A/T Der nächste Morgen. Vera geht auf die Schule zu. Da tritt Martin – in zivil - auf Vera zu.

MARTIN Guten Morgen, Vera.

Vera sieht sich erschrocken um.

VERA Martin…?

MARTIN Kann ich dich kurz sprechen?

Vera sieht auf die Uhr.

Page 48: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 47

VERA Fünf Minuten. - Ist etwas passiert?

Die beiden treten zur Seite.

MARTIN Vera, bist du am Montag mit dem Lada gefahren?

VERA Ja…

MARTIN Warst du in der Reulitzer Straße? Das ist bei den Gartenkolonien…

Vera schluckt und ahnt Böses, sie nickt, schüttelt dann den Kopf. Martin weiß jetzt Bescheid.

VERA Ich verstehe nicht, was du von mir willst.

MARTIN Du hast einen jungen Mann angefahren. Hast du das gar nicht gemerkt?

Vera wird weiß wie eine Wand.

VERA Nein, nein, ich habe doch niemand angefahren…

MARTIN Ich gebe dir 24 Stunden Zeit, geh zur Polizei. Sonst werde ich die Sache melden. Es tut mir leid, Vera, aber ich muss das tun.

VERA Ist… was ist denn mit dem jungen Mann?

MARTIN Er hat überlebt, aber er wird gelähmt bleiben.

Martin geht davon, Vera sieht ihm nach, sie hat Tränen in den Augen. Sie ist tief betroffen, geschockt, wie paralysiert… Da geht die Schulglocke, Vera geht langsam auf die Schule zu. Ein paar Schüler grüßen sie freundlich.

SCHÜLER Guten Morgen, Frau Kupfer.

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Weißensee - Am Ende des Tages 48

Vera lächelt mechanisch… 45. BILD / EXQUSITGESCHÄFT I/T Im Exquisitgeschäft. Julia und Moni stecken Lippenstifte in eine große Drehscheibe. Dabei:

JULIA … ich habe die Adresse von einem Journalisten aus dem Westen. Der hat ein Büro in Mitte… MONI Aber was willst du denn von dem? JULIA Wenn der drüben einen Artikel darüber veröffentlicht, wie sie hier mit den kritischen Künstlern umgehen… MONI (unterbricht) Damit schadest du nicht nur dir, sondern auch deiner Mutter. - Mach das nicht, Julia! JULIA Einer muss doch den Mund aufmachen.

Da betreten zwei Kundinnen das Geschäft. Julia geht auf die beiden zu. JULIA Guten Tag, kann ich Ihnen etwas zeigen?

Moni sieht Julia nach, beißt sich auf die Lippe… 46. BILD / SCHULE – KLASSENRAUM I/T Vera steht vor ihrer Klasse und unterrichtet. Ein Schüler liest einen Aufsatz vor, an der Tafel steht das Thema: „Wenn ich erwachsen bin“, aber Vera hört nicht zu, sie ist mit ihren Gedanken ganz woanders.

CHRISTIAN (liest)… nach meiner Fachausbildung möchte ich wie mein Vater im VEB Feintechnik als Maschinenbauingenieur arbeiten. Ich möchte als nützliches Mitglied der Gesellschaft dem Sozialismus dienen. In meiner Freizeit möchte ich sportlich im Verein tätig sein, ich möchte

Page 50: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 49

politisch aktiv am Aufbau unserer DDR mitarbeiten…

Plötzlich geht Vera mitten im Satz aus dem Raum. Christian hört auf zu lesen. Die Kinder sehen sich verwundert an… 47. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT – BÜRO FALK I/T Später am Tag. Falk sitzt an seinem Schreibtisch und arbeitet. Da klopft es und seine Sekretärin sieht herein.

FALK Jetzt nicht, ich bin an meiner Rede…

SEKRETÄRIN Es ist Ihre Frau…

Vera tritt herein, sie wirkt verängstigt, aber auch entschlossen. Falk sieht sie alarmiert an. Er steht auf.

FALK Ist etwas mit Roman?!

Vera schüttelt den Kopf.

VERA Ich muss mit dir reden.

Falk nickt seiner Sekretärin zu, die die Tür schließt.

FALK Setz dich. VERA Können wir hier… ich meine, es ist privat…

Falk nickt: verstehe. 48. BILD / VOR MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT A/T Später. Falk und Vera gehen auf einem kleinen Platz auf und ab. Vera erzählt Falk von dem Unfall. Man hört nicht, was sie sagt, aber der Inhalt ist offensichtlich. Falk verzieht keine Miene. Schließlich bleiben die beiden stehen. Vera sieht Falk voller Angst an: wie wird er reagieren. Schließlich nickt er kurz.

FALK Ich werde mich darum kümmern.

Dann geht er davon und lässt Vera stehen.

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Weißensee - Am Ende des Tages 50

49. BILD / BÜRO KRIMINLAPOLIZEI I/T In einem Büro der Kriminalpolizei. Leutnant Geifel steht vor einem Schreibtisch, er lässt sich gerade von einem Kriminalbeamten die Akte zu „Unfallflucht Reulitzer Straße“ aushändigen. 50. BILD / REULITZER STRAßE – LAUBE WENDTLAND A/T Bei den Gartenkolonien. Zwei Stasimitarbeiter treten an den Gartenzaun. Frau Wendtland, die im Garten arbeitet, richtet sich auf und sieht die beiden Männer fragend und alarmiert an… 51. BILD / VOR PLATTENBAU A/ABEND Vor einem Plattenbau. Julia kommt an einen Hauseingang, sie sucht einen Namen auf den vielen Klingelschildern, findet ihn: ‚Günther Wolf’. Julia zögert, schließlich drückt sie auf die Klingel. Sie wartet, doch nichts rührt sich. Da nimmt sie einen Briefumschlag aus der Tasche und wirft ihn in den Briefkasten… 52. BILD / SIMON-DACH-STRAßE – BESETZTE WOHNUNG I/ABEND Am Abend. Julia und Martin essen zusammen Abendbrot: Kürbiscremesuppe. Aber Martin hat keinen Appetit.

JULIA Schmeckt’s dir nicht? Ich lerne bestimmt nie kochen…ist das schlimm?

MARTIN Nein... ich meine, ich habe keinen Hunger. (nach einer Pause) Sie ist nicht gekommen. Sie hat sich nicht gestellt.

Julia sieht Martin mitfühlend an.

JULIA Und was machst du jetzt? MARTIN Mir bleibt doch nichts anderes übrig, oder? Ich meine, dieser Junge, soll der nie erfahren, wer verantwortlich ist? JULIA Doch.

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Weißensee - Am Ende des Tages 51

MARTIN Es ist trotzdem widerlich, einen Menschen anzuschwärzen…

53. BILD / KONSPIRATIVE WOHNUNG I/ABEND Zur gleichen Zeit. In einer konspirativen Wohnung. Falk und Moni sitzen in einer schlichten Sofaecke zusammen bei einer Tasse Kaffee. Moni hat gerade von Julias Plänen erzählt.

FALK Hat sie schon Kontakt aufgenommen? MONI Ich glaube, bisher nicht… FALK Was will sie dem denn genau erzählen? MONI Sie will ihnen was zeigen, ein Dokument, eine richterliche Verfügung oder so was.

Falk sieht Moni überrascht an.

FALK Das ist ja stark! Vertrauliche Unterlagen der DDR-Justiz an den Klassenfeind weitergeben. Das grenzt ja an Hochverrat… MONI Das habe ich ihr auch gesagt, sie soll nicht so einen Unsinn machen, gerade jetzt.

Falk sieht Moni aufmerksam an.

FALK Was heißt gerade jetzt?

Moni zögert… 54. BILD / VOR POLIZEIREVIER – TRABANT MARTIN A/I/T Der nächste Morgen. Martin fährt mit seinem Trabant vor dem Polizeirevier vor. Er schaltet den Motor aus - aber er bleibt noch einen Moment lang im Wagen sitzen. In dem Moment, als er aussteigen will, öffnet sich die Beifahrertür und Falk steigt ein.

FALK Guten Morgen.

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Weißensee - Am Ende des Tages 52

MARTIN Falk… FALK Fahr los. MARTIN Ich muss zum Dienst… FALK Du bist entschuldigt.

Martin zögert, aber dann startet er den Motor und gibt Gas… 55. BILD / AM WEIßENSEE A/T Am Weißensee. Martin und Falk gehen am Ufer entlang.

FALK Als Kinder waren wir hier oft mit den Eltern, jeden Sonntag. Weißt du noch?

MARTIN Ja, da durfte man noch überall baden. FALK Einmal bist du fast abgesoffen. MARTIN Du hast mich rausgezogen. Ich weiß. Du hast mir das Leben gerettet. FALK Ich gebe zu, ich habe gezögert. MARTIN (unvermittelt) Du weiß, was Vera getan hat. FALK Es gibt keine Beweise.

MARTIN Ein erheblicher Lackschaden…

FALK Mein Wagen ist wie neu. Und die Rechnung für die Reparatur: unauffindbar.

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Weißensee - Am Ende des Tages 53

MARTIN Es gibt eine Augenzeugin.

FALK Frau Wendtland hat sich geirrt. Sie hat gar nichts gesehen. Das haben wir schriftlich.

MARTIN Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren, warst du mal im Krankenhaus, hast du dir Uwe Langer mal angesehen, ich meine, wenn…

Da bleibt Falk stehen, er sieht Martin kühl an.

FALK (unterbricht) Martin, wenn du in der Sache noch irgendetwas unternimmst, Wind machst, Lügen verbreitest, dann lasse ich deine Julia Hausmann sofort festnehmen. Dann ist sie weg vom Fenster…

MARTIN Mit welcher Begründung?

FALK Kontakt zum Feind, Verdacht auf Hochverrat – das reicht für viele Jahre Gefängnis. - Du hast deine Braut nicht mehr unter Kontrolle, was? Sind das die Hormone, die bei ihr verrückt spielen?

Martins Blick ist fassungslos und voller Verachtung.

MARTIN Du warst mal mein großes Vorbild, Falk.

FALK Das hier ist eine freundliche Warnung, von deinem dir wohlgesonnenen Bruder: sorg dafür, dass sie keinen Unsinn macht. Schwanger in der U-Haft, das ist nicht schön. Und behalten darf sie das Kind natürlich auch nicht… MARTIN Ich gehe lieber, bevor ich dir vor die Füße kotze.

Falk lächelt.

Page 55: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 54

FALK Sehen wir uns denn heute Abend? Wir haben ein kleines Fest. Roman wird an ein Sportinstitut gehen, ich habe einen Stern mehr auf der Schulter…

Doch Martin geht, ohne noch etwas zu sagen. Falk sieht ihm zufrieden nach. Dann geht er in die andere Richtung…

FALK (für sich) Außerdem wird es eine ganz besondere Überraschung geben…

56. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – BOUDOIR DUNJA I/T Zur gleichen Zeit. Dunja sitzt am Klavier, sie spielt immer wieder eine einfache Melodie, ein Kinderlied, sie starrt dabei vor sich hin. Da klingelt es an der Wohnungstür… 57. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – FLUR I/T Dunja öffnet die Wohnungstür, davor steht Falk. Allein.

DUNJA Ich weiß nichts, ich habe nichts, ich habe niemand gesehen, getroffen oder gesprochen…

FALK (unterbricht) Frau Hausmann, ich bin sozusagen privat hier.

Dunja sieht Falk überrascht an.

DUNJA Was wollen Sie?

FALK Darf ich reinkommen?

Dunja zögert, dann tritt sie zur Seite und lässt Falk herein… 58. BILD / WOHNUNG HAUSMANN – BOUDOIR DUNJA I/T Dunja und Falk sitzen in Dunjas Boudoir. Falk hat Dunja gerade seine Frage gestellt.

FALK Ich weiß, dass mein Vater Sie sehr verehrt.

Dunja und Falk sehen sich an. Dunja ahnt, dass Falk alles weiß.

Page 56: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 55

DUNJA Und was soll ich für Sie singen?

FALK Ich dachte an ein paar Brechtlieder, Dreigroschenoper… DUNJA Warum sollte ich das tun? FALK Um zu zeigen, auf welcher Seite Sie stehen.

Dunja denkt nach, sie sieht gequält aus.

DUNJA Ich stehe doch gar nicht mehr. Sie haben mir die Beine gebrochen… FALK Dass ihr Künstler immer gleich so theatralisch sein müsst…

59. BILD / SIMON-DACH-STRAßE – BESETZTE WOHNUNG I/T Am Abend. Julia kommt nachhause. Martin sitzt schon in der Küche am Tisch. Er sieht ernst aus.

JULIA Hey?

MARTIN Für dich. Das lag vor der Tür.

Martin reicht Julia einen Brief, den sie schnell öffnet und liest.

MARTIN Ist das von diesem Journalisten?

JULIA Ja… er will mich treffen. Er interessiert sich für Dunja Hausmann.

MARTIN Du darfst da nicht hingehen.

Julia setzt sich an den Tisch, Martin gegenüber, und sieht Martin prüfend an.

Page 57: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 56

MARTIN (weiter) Es ist zu gefährlich.

JULIA Ich soll den Mund halten, aus Angst?

MARTIN Du bist nicht mehr allein, Julia, du hast auch Verantwortung für unser Kind.

Da steht Julia auf, sie geht aufgebracht auf und ab:

JULIA Genau, eben deshalb muss ich hingehen: ich will kein Kind haben in einer Welt, in der die Menschen aus Angst nicht die Wahrheit sagen.

MARTIN Du weißt doch noch nicht mal, ob du deiner Mutter damit hilfst.

JULIA Doch, das weiß ich, ich will diese Schweine unter Druck setzen, sie müssen das rückgängig machen, diese Entmündigung, das ist ja wie ein Mord, und wenn das drüben in der Zeitung steht, dann…

MARTIN (unterbricht) Julia, sie werden dich festnehmen, sie werden dir unser Kind wegnehmen… JULIA Das können sie nicht… MARTIN Warum nicht? JULIA Weil du es nicht zulassen wirst! MARTIN Dann sitze ich auch irgendwann… dann hat unser Kind weder Vater noch Mutter…

Page 58: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 57

JULIA (dazwischen) Und wenn sie dich drankriegen, dann kommen deine Freunde und machen den Mund auf…und dann deren Freunde und Kinder… Kapierst du denn nicht, Martin: wenn sich das keiner mehr gefallen lässt, dann werden wir irgendwann frei sein! MARTIN Ich wusste gar nicht, dass du so eine Idealistin bist… aber idealistisch und schwanger, das ist eine Scheißkombination. - Julia, ich verbiete dir, dich mit dem Journalisten zu treffen…

JULIA Das kannst du nicht.

MARTIN Es ist auch mein Kind. Und wenn du so leichtsinnig bist, dann muss ich die Verantwortung übernehmen… JULIA Du kannst mir nichts verbieten, Martin.

Martin steht auf und hält Julia fest, er legt ihr die Hand auf den Bauch.

MARTIN Julia… ich habe Angst, dich zu verlieren… Dich und unser Kind.

Da macht Julia sich los. JULIA Ja, und mit diesen Ängsten werden sie einen immer in der Hand haben - wenn man feige ist. MARTIN Dann bin ich jetzt eben feige… JULIA Ich will keinen feigen Vater für mein Kind!

MARTIN Was heißt das?

JULIA Die Wahrheit ist: du kommst nicht los von deiner Familie und ich nicht von meiner.

Page 59: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 58

MARTIN Wir hätten uns nie treffen sollen.

Julia schweigt. Martin nickt noch einmal… dann geht er nach nebenan. Er wirft einen Koffer auf das Bett, packt schnell ein paar Sachen hinein. Julia setzt sich an den Küchentisch. Martin klappt den Koffer zu, er erscheint in der Küchentür.

MARTIN Ich gehe. Ich hole in den nächsten Tagen meine übrigen Sachen…

Julia antwortet nicht. Martin geht hinaus, die Tür klappt hinter ihm zu. Julia nimmt die Hände vor das Gesicht und schluchzt… 60. BILD / HAUS KUPFER - WOHNZIMMER I/ABEND Zur gleichen Zeit im Haus Kupfer. Eine Feier findet statt: Falk, schmuck in Uniform, Vera, Hans, Marlene, ein aufgeregter Roman im Anzug, Oberst Gaucke, Geifel und weitere Offiziere mit ihren Ehefrauen sind anwesend. Alle haben ein Glas in der Hand, Falk spricht gerade ein paar Worte vor den Gästen. Vera, mit einem Wasserglas, steht neben ihm.

FALK … ohne mich selbst loben zu wollen, muss ich doch sagen, dass obwohl deine Mutter und ich natürlich traurig sind, dass du nun nur noch am Wochenende zu Hause sein wirst: Roman, wir sind sehr stolz auf dich. Wir wünschen dir eine großartige Zeit auf dem Rennsteig! Auf deine Siege und Medaillen!

Alle prosten Roman zu, Vera zieht ihren Sohn an sich, mit Tränen in den Augen, Roman lächelt verlegen. Inzwischen kommt Marlene aus der Küche. Sie trägt eine letzte Wurstplatte, die sie auf das üppige, kalte Buffet stellt. Dann dreht sie sich um…

MARLENE Meine Herrschaften, liebe Freunde, ich darf Euch bitten: greift zu! Das Buffet ist eröffnet…

Die Gäste gehen ans Buffet und bedienen sich. Oberst Gaucke tritt an Hans heran.

GAUCKE Ich habe gehört, Sie gehen mal wieder auf die Jagd, Kupfer?

Page 60: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 59

HANS Ja, das muss ab und zu mal sein, sonst verlernt man das Schießen. GAUCKE Na, dann grüßen Sie mal den obersten Genossen von mir. HANS Ich werde ihm gern von Ihnen berichten, Genosse Oberst.

Die beiden Männer messen sich mit Blicken. Da klingelt es an der Haustür.

MARLENE Hans! Machst du mal auf?

Hans geht in den Flur… 61. BILD / HAUS KUPFER – FLUR I/ABEND Hans öffnet die Haustür. Martin steht davor. Hans’ Blick fällt sofort auf den Koffer.

MARTIN Guten Abend, Vater.

HANS Komm rein.

62. BILD / HAUS KUPFER – ARBEITSZIMMER HANS I/ABEND Hans und Martin betreten Hans’ Arbeitszimmer, beobachtet von Falk und Marlene, die den beiden mit Blicken folgen. Hans schließt demonstrativ die Tür… Die beiden schweigen zunächst, dann:

MARTIN Du hast recht gehabt, ihr habt alle recht gehabt. Es reicht nicht, wenn man sich liebt.

HANS Was meinst du damit?!

MARTIN Dass es daneben noch zu viele andere Faktoren gibt, die eine Rolle spielen, die Familie, die Einstellung, der Alltag… Julia und ich, wir sind nicht vereinbar… ich war naiv…

Hans sieht Martin fast schockiert an.

Page 61: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 60

HANS Ihr habt euch getrennt?!

MARTIN Sie hat mich feige genannt… und ich bin vielleicht auch feige… HANS (eindringlich) Mach nicht denselben Fehler wie ich, Martin!

Martin sieht seinen Vater überrascht an…

HANS Was soll denn reichen, Martin, wenn nicht Liebe?

63. BILD / HAUS KUPFER – WOHNZIMMER I/ABEND Zur gleichen Zeit. Im Wohnzimmer klingelt Falk mit seinem Glas. Die Gäste verstummen.

FALK … hört bitte noch einmal zu. Ich habe es ja schon gesagt: ich habe eine kleine Überraschung vorbreitet. Ich freue mich, dass eine große Künstlerin unseres Landes sich heute bereit erklärt hat, uns hier mit ihren Brechtliedern ein wenig Kultur nahe zu bringen…

Falk weist in Richtung Terrassentür und aus den Garten kommt herein – Dunja. Sie sieht traurig und schön aus. Sie lächelt. Marlene ist geschockt und sieht Falk irritiert an: was soll das? Oberst Gaucke tuschelt mit seinen Offizieren.

GAUCKE Das ist typisch Kupfer, setzt immer noch einen obendrauf… muss unbedingt seine Trophäe vorführen…

Dunja stellt sich vor ihr Publikum. Falk hat ihr ein Mikrofon aufgestellt. Dunja tritt an das Mikrofon, sie sieht die Anwesenden an, nacheinander, wechselt einen Blick mit Marlene.

Page 62: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 61

DUNJA Guten Abend. Genosse Kupfer hat mich gebeten, heute für Sie zu singen – ich konnte ihm das einfach nicht abschlagen, ich singe ohne Klavier, da mein Pianist sich geweigert hat, mich zu begleiten…

Leichtes Getuschel entsteht. Dunja hebt an, zu singen, aber es kommt kein Ton heraus.

FALK Vielleicht die Seeräuber-Jenny?

Falk nickt Dunja zu, die aber weiterhin keinen Ton hören lässt. Sie will singe, ist aber blockiert. Falk wird nervös, da öffnet sich die Tür von Hans’ Arbeitszimmer. Hans und Martin kommen heraus. Hans bleibt stehen, verblüfft, und sieht Dunja an. In diesem Moment beginnt sie zu singen, laut und klar und schön.

DUNJA (singt) Jemand hat etwas an die Wand geschrieben… die Buchstaben hell und blau… Kein Regen, keine Sonne, kein Wind in weißen Segeln, da steht. was rettet die Welt?

Martin sieht kurz seinen Vater an und verlässt dann das Zimmer. DUNJA (singt, weiter) Die Gleichheit im Gleichschritt der Sozialisten, Imperialisten, marschieren, kaschieren, produzieren, ich lese: was rettet die Welt?

Marlene tritt an Falk heran. MARLENE Warum hast du das getan? FALK Sie sollte das nicht singen... das Lied ist verboten…

Falk will einen Schritt auf Dunja zumachen, aber Hans hält ihn fest. HANS Du lässt sie singen.

Page 63: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 62

DUNJA (singt inzwischen weiter) Auf einem kleinen roten Blatt in der Pfütze, einem Zettel am Baum, am Bahnhof auf der Tafel in brüchigen Farben, auch hier nur: was rettet die Welt?

64. BILD / STRAßE - TREPPENHAUS I/ABEND (stumme Szene) Martin läuft die dunkle Straße entlang. Er läuft wie um sein Leben… Schnitt auf: er springt die Treppe hinauf…

DUNJA (off, weiter) Nicht das Reden, nicht das Schweigen, nicht das Hören, nicht das Sehen, nicht Konfuzianismus, Nazismus, Kommunismus… ismus… ismus… da steht auf der Plakatwand, vom Regen erweicht, vom Wind zerrissen ismus ismus doch: was rettet die Welt?

65. BILD / SIMON-DACH-STRAßE – BESETZTE WOHNUNG I/ABEND (stumme Szene) In der Wohnung ist Julia gerade dabei, ihr Karibik-Poster von der Wand zu nehmen. Sie weint dabei. Da hört sie, wie Martin die Treppe hinaufkommt, sie lässt das Plakat los, sie öffnet ihm de Tür. Er steht atemlos vor ihr, er sagt etwas, er wischt Julia die Tränen ab, Julia lächelt… dann fallen sie sich in die Arme… sie küssen sich…

DUNJA (off, weiter) Kein Toben, kein beben, kein Licht, kein Wasser, kein Schatten, im Schatten ein Mann, eine Frau: was rettet die Welt?

66. BILD / HAUS KUPFER – WOHNZIMMER I/ABEND Im Wohnzimmer.

DUNJA (weiter) Im Schatten ein Mann, eine Frau: was rettet uns?

Das Lied ist zuende, es kommt ein wenig unsicherer Applaus… Vera steht stumm da, etwas in dem Lied hat ihr Innerstes angerührt…

FALK (ironisch) Vielen Dank, Frau Hausmann. Auch wenn ich mir ein anderes Programm gewünscht habe.

Page 64: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 63

DUNJA Es tut mir leid, ich kann nichts anderes singen. Ich werde nie Ihr Tanzbär sein. Ich werde nie einen Ring durch die Nase tragen. Meinetwegen können Sie mich jetzt wegsperren, aber ich werde in Ihren Innereien rumoren… FALK Ich denke, es reicht.

Alle schweigen mehr oder weniger betreten. Falk will etwas sagen, doch da geht Hans auf Dunja zu.

HANS Ich bringe Sie nach Hause. DUNJA Das wäre nett.

Hans und Dunja gehen. Marlene wendet sich ab… Gaucke tritt an Falk heran.

GAUCKE Wir sprechen uns morgen.

Dann geht auch er, begleitet von seiner Frau und zwei weiteren Paaren… 67. BILD / WEIßENSEE I/N Die Sonne ist untergegangen, die Nacht ist da. 68. BILD / KRANKENHAUS – ZIMMER I/N Uwe Langer liegt in seinem Bett und grübelt, er sieht unglücklich aus. Da erscheint eine Frau draußen vor der Scheibe. Vera. Sie zögert kurz, aber dann klopft sie und geht in das Zimmer hinein… sie stellt sich vor, reicht Uwe die Hand… er sieht sie irritiert an… 69. BILD / PRENZALUER ALLEE – VOR HAUS DUNJA I/A/N Hans und Dunja sitzen in Hans’ Wagen vor dem Haus, schon lange, wie es aussieht. Sie schweigen zusammen… 70. HAUS KUPFER – WOHNZIMMER I/N Die Gäste sind fort. Marlene räumt die Spuren der Feier fort. Falk sitzt im Wohnzimmer und betrinkt sich. Marlene weint, was ihr Sohn nicht bemerkt… schließlich…

Page 65: WeissenseeFolge6 DB vom 30 03 2009...Title Microsoft Word - WeissenseeFolge6_DB_vom_30_03_2009.doc Author Annette Hess Created Date 8/31/2011 11:36:42 AM

Weißensee - Am Ende des Tages 64

MARLENE Warum hast du sie nur hierher gebracht?

FALK Ich dachte…ich war überzeugt, dass sie nicht mehr gefährlich ist. Aber der Krieg geht weiter… immer weiter… guck mal, er sieht aus wie ein Engel…

Roman ist in seinem Anzug auf dem Sofa eingeschlafen, er sieht aus wie ein kleines Kind… 71. STRAßE – VOR PLATTENBAU A/T Der nächste Morgen. Julia und Martin gehen auf den Plattenbau zu, in dem Günther Wolf sein Büro hat. Kurz vor dem Hauseingang bleiben sie stehen… sie sehen sich an. Martin lächelt.

MARTIN Warum bleibst du stehen?

JULIA Vielleicht hast du Recht. Wir haben Verantwortung, für unser Kind. Du auch für deine Tochter…

Da nimmt Martin Julias Hand.

MARTIN Ja, komm.

Martin zieht Julia mit sich… und über ganz Berlin scheint die Sonne. Ende