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Werner Jann · Marian Döhler (Hrsg.) Agencies in Westeuropa

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Werner Jann · Marian Döhler (Hrsg.)

Agencies in Westeuropa

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Interdisziplinäre Organisations-und VerwaltungsforschungBand 15

Herausgegeben von

Thomas EdelingWerner JannDieter Wagner

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Werner Jann Marian Döhler (Hrsg.)

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1. Auflage Mai 2007

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Lektorat: Monika Mülhausen / Marianne Schultheis

Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15422-0

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort Marian Dohler und Werner Jann 1

Vom Amt zur Agentur? Organisationsvielfalt, Anpassungsdruck und institutionelle Wandlungsprozesse im deutschen Verwaltungsmodell Marian Dohler 12

Next Steps und zwei Schritte zuriick? Stereotypen, Executive Agencies und die Politik der Delegation in GroBbritannien Martin Lodge 48

Ministerielle Steuerung von Regulierungsbehorden -Ein britisch - deutscher Vergleich der Telekommunikations-regulierer OFTEL und RegTP Dominik Bollhojf 79

Kontakt durch Kontrakt? Ministerien und Agencies in Danemark Thurid Hustedt 100

Die Resultate im Blick? Kontraktsteuerung in Schweden Jan Ties sen 138

Agencies in Norwegen Steuerung und Organisation zentralstaatlicher Behorden Tobias Bach 111

Die europaischen Agenturen als Diener vieler Herren? Zur Steuerung und Rolle von EU-Agenturen Julia Fleischer 212

Verzeichnis der Autoren 253

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Vorwort^

Marian Dohler/Werner Jann

Strukturveranderungen in der Verwaltung, seien sie als Reformen absichtsvoll herbeigefuhrt oder nicht-intendiertes Nebenprodukt von staatlichem Aufgaben-wachstum oder auch von Sparanstrengungen, verlaufen in der Regel schleichend und ohne die offentliche Aufmerksamkeit besonders einnehmen zu konnen (vgl. Jann 1999). Nicht zuletzt deshalb entsteht leicht der Eindruck von Stabilitat oder Veranderungsresistenz. Dabei kann kaum ein Zweifel dariiber bestehen, dass sich der offentliche Sektor in Westeuropa in einem spUrbaren Umbruch befindet (vgl. OECD 2004). Folgt man der in der Literatur dominierenden Richtung, dann lieBe sich dieser Wandel in erster Linie auf die Umsetzung des seit den frlihen 1990er Jahren florierenden New Public Management-Diskurses zuriickfuhren (vgl. z.B. Schick 2002; Pollitt et al. 2004), der nicht nur die internen Verwal-tungsablaufe an privatwirtschaftlichen Vorbildem misst, sondem auch von einer grundsatzlichen Dezentralisierungsphilosophie gekennzeichnet ist, die sich ge-gen monolithisch-hierarchische Elemente der klassischen Verwaltungsorganisa-tion richtet.

Gleichzeitig sprechen die Ruckkopplungseffekte, die von der okonomischen Globalisierung wie auch den Liberalisierungsbestrebungen der EU ausgehen, auch dafiir, dass nationalstaatliche Verwaltungen nicht einfach nur unter dem Einfluss einer von vielen Reformwellen stehen, sondern dass es auch urn einen Rollen- und Funktionswandel des Staates geht. Der Begriff des Gewahrleistungs-staates, der in diesem Zusammenhang des ofteren Verwendung findet, ist ohne Zweifel zutreffend, beschreibt aber nur eine Facette des Phanomens. Neben der funktionalen Veranderung staatlicher Aufgaben, die sich u.a. im Anschluss an die Privatisierung ehemaliger Infrastrukturmonopole vollzogen hat, zeichnet sich auch ein institutioneller Wandel ab, in dessen Kern die quantitative Zunahme bzw. wachsende Bedeutung von „Agencies" steht, also Behorden auf der zentra-len bzw. Bundesebene, die nicht unmittelbar der Ministerial verwaltung zure-chenbar sind. Nun sind dezentrale Verwaltungseinheiten im Staatsaufbau moder-ner Industrienationen alles andere als neu, sondem seit langem etabliert. Das gestiegene Interesse an diesen vormals eher unauffalligen Behorden wird vor

' Wir danken Victoria Muller und Sebastian Dittrich ftir ihre tatkraftige Unterstiitzung bei der Fertig-stellung der Druckfassung dieses Bandes.

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allem aus der Erwartung gespeist, dass es sich hierbei um eine modemere und leistungsfahigere Form von Verwaltung handell. Insbesondere die OECD-favorisiert in ihren Veroffentlichungen das Konzept von „distributed gover­nance" (OECD 2004: 4).

Die Bewertungen dieses Phanomens fallen jedoch keineswegs einhellig aus. Eine eher kritische Position sieht in der Zunahme bzw. Aufwertung von Agen­cies die Gefahr zunehmender Fragmentierung der Regierungs- und Verwaltungs-organisation mit der Konsequenz eines politischen Kontrollverlustes (vgl. z.B. Christensen/ Laegreid 2001). Aus einer positiven Perspektive hingegen gelten Agencies als lange iiberfallige Dezentralisierung bzw. Delegation von Aufgaben, die mehr Transparenz und eine klarere Verantwortungstrennung zwischen politi­schen und administrativen Aufgaben erlaubt (vgl. z.B. Majone 2005). Unabhan-gig von divergierenden Bewertungen eint die wachsende Forschergemeinde das Interesse am Phanomen der „Agencification" ihr landeriibergreifendes Auftreten, das auf der europaischen Ebene eine Fortsetzung findet. Bei dem Versuch einer analytischen Durchdringung dieses Phanomens drangen regelmaBig drei Fragen in den Vordergrund.

• Erstens ist der Begriff Agency wenig konturscharf, so dass sich das Problem der defmitorischen Abgrenzung gegeniiber der etablierten Verwaltung stellt. Als konsensfahige Minimaldefinition kann festgehalten werden, dass es sich um nichtministerielle Behorden handelt, die weniger in den hierarchischen Verwaltungsaufbau integriert sind und daher starker liber indirekte Verfah-ren wie Kontrakte oder Zielvereinbarungen gesteuert werden. Agenturen bilden gleichwohl ein schwer greifbares „moving target", weil sie in vielen Landem nicht einfach neu errichtet werden, sondern unter anderer Bezeich-nung bereits existieren.

• Daran anschlieBend wird haufig die Frage aufgeworfen, welche Faktoren zur Entstehung von Agencies fiihren bzw. Reformprozesse in Gang setzen, in denen die vorhandenen Behorden dem Agency-Konzept folgend reorga-nisiert werden. Abgesehen von der NPM-Reformwelle, die sich zu einem flachendeckenden Modernisierungsleitbild entwickelt hat, ist auch zu beo-bachten, dass Lander, in denen nichtministerielle Zentral- oder Bundesbe-horden langst etabliert sind, mit Anforderungen konfrontiert werden, die sich u.a. aus EU-Richtlinien iiber die Regulierung des Telekommunikations-oder Energiesektors ergeben und aus diesen sektoralen Entwicklungen her-aus Anreize zur Errichtung von Agencies schaffen.

• Drittens schlieBlich hat das Problem der politischen Steuerung besondere Aufmerksamkeit erlangt. Dafiir gibt es verschiedene Griinde. Aus der NPM-Perspektive wird das Agency-Konzept propagiert, um das Modell einer ver-

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tikal integrierten und hierarchisch gesteuerten Verwaltung durch ausgela-gerte, semiautonome Organisationen abzulosen. Die Steuerungsthematik wird dabei eher vernachlassigt, well es primar um die Forderung nach Ablo-sung des alten Steuerungsmodels geht, und nicht um die moglichen Proble-me, die aus dem Wechsel des Steuerungsinstrumentariums resultieren. Ge-nau dies interessiert hingegen aus der politikwissenschaftlichen Perspektive, da mit der Loslosung einzelner Verwaltungseinheiten aus der hierarchischen Steuerungspyramide auch die Gefahr eines Kontrollverlustes fur Regierung und Parlament droht und die Doktrin der Ministerverantwortlichkeit ausge-hohlt werden konnte.

Die nachfolgend versammelten Beitrage, die mit Ausnahme des Aufsatzes von Martin Lodge aus Arbeiten am Lehrstuhl fiir Politik, Verwaltung und Organisa­tion der Universitat Potsdam hervorgegangen sind, spiegeln mit unterschiedli-cher Schwerpunktsetzung diese drei Kemthemen wider. Sie nehmen dabei je-weils eine institutionalistische Sichtweise auf das Phanomen der Agencies ein. Institutionalistisch bedeutet hier, dass die Analyse nicht primar aus einer Perfor-manzperspektive erfolgt, wie sie fiir den NPM-Diskurs charakteristisch ist, und dort regelmaBig zu der Annahme fuhrt, dass die Modernisierung des offentlichen Sektors primarer Antrieb struktureller Veranderungen bildet. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Einbettung in die jeweiligen Regierungssysteme, deren konsti-tutionelle Grundlagen, nationale Verwaltungstraditionen und Akteurstrategien. Anders als es das Schlagwort von der Agencification - was man mit „Agentur-Bildung" ubersetzen konnte - suggeriert, geht es in der Mehrzahl der Fallstudien weniger um die Errichtung neuer Agencies, sondern vielmehr um die Frage, ob, warum und in welchem Umfang etablierte Verwaltungsstrukturen in Agenturen transformiert werden.

Dabei wird deutlich, dass das Instrument der Agencies aus einer Vielzahl von Motiven heraus propagiert und genutzt wird. Sektorale Entwicklungen in der Telekommunikation oder dem Verbraucherschutz vermischen sich mit Modemi-sierungsbestrebungen sowie Reaktionen auf externe Anforderungen, die u.a. von der EU formuliert werden. In der Literatur wird daher nicht grundlos die Viel-schichtigkeit von Rechts-, Organisations- und Statustypen hervorgehoben, nicht selten gefolgt von der resignativen Feststellung, dass sowohl die Motive fiir die Errichtung wie auch ihre Ausgestaltung und Aufgaben so erheblich variieren, dass es schwer fallt, von Agencies als einheitlichem Untersuchungsgegenstand auszugehen (vgl. Pollitt et al. 2004: 7 ff.). Gleichwohl zeichnet sich eine Ge-meinsamkeit ab, die im vorliegenden Sammelband aufgegriffen und vertieft behandelt wird. Sie liegt in der bereits angesprochenen Steuerungsproblematik, die bezeichnenderweise auch in den Landern Virulenz erlangt, in denen Agen-

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cies seit langem zum Organisationsrepertoire gehoren wie etwa Schweden oder Danemark. Damit stellt sich das Agency-Phanomen nicht einfach nur als Tech-nik zur Problemlosung dar, insbesondere zur Effizienzerhohung des Verwal-tungshandelns, sondem auch als mogliche Quelle unterschiedlich gravierender Steuerungsprobleme. Dies legt auch eine Erweiterung des Analysehorizontes nahe, da es nicht langer ausreicht, Agencies nur als Objekt oder Instrument von Verwaltungsreformen zu sehen. Dariiber hinaus sollte auch ihr Subjekt- bzw. Akteurcharakter Beachtung finden, da dies moglicherweise zu Krafteverschie-bungen zwischen Regierung und Verwaltung fuhrt.

Die Feststellung, es gabe eine „tremendous variation in the way in which agencies work, and in the kinds of relationships they have with their parent de­partment" (PoUitt et al. 2004: 24), fmdet nachfolgend eine Bestatigung. Noch hat sich in der Literatur allerdings kein Konsens iiber eine Problem- bzw. Frageper-spektive ergeben, die in der Lage ware, den nicht unbedingt befriedigenden Be-fund groBer Vielfalt in ein aussagekraftiges Erklarungsschema umzuwandeln. Der vorliegende Sammelband will deshalb einen AnstoB zur vertieften Analyse des Prozesses der Agencification im deutschen Sprachraum vermitteln, in dem dieser potenziell weitreichende Umbruch der Staats- und Regierungsorganisation noch deutlich geringeres Interesse gefunden hat als in der angelsachsisch-skandinavischen Diskussion. Dass dabei auftretende Fragen eher angerissen als endgliltig beantwortet werden konnen, ist ein typisches Phanomen junger For-schungsfelder, in denen sich Problemperspektiven und Konzepte erst allmahlich herausschalen. Das macht es umso bedeutsamer, die nationalen bzw. EU-Erfahrungen aufzuarbeiten, um so die Grundlage flir das bessere Verstandnis eines Phanomens zu schaffen, dessen politische Bedeutung im Wachsen begrif-fen ist.

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Vorwort 11

Literatur

Christensen, Tom/ Laegreid, Per (2001): New Public Management. The Effects of Con-tractualism and Devolution on Political Control. In: Public Management Review 3, 73-94.

Jann, Werner (1999): Zur Entwicklung der offentlichen Verwaltung. In: Ellwein, Thomas/ Holtmann, Everhard (Hrsg.): 50 Jahre Bundesrepubhk Deutschland. Opladen: West-deutscher Verlag, Politische Vierteljahresschrift Sonderheft 30, 520-543.

Majone, Giandomenico (2005): Strategy and Structure of the Political Economy of Agency Independence and Accountability. In: OECD (Hrsg.): Designing Independ­ent and Accountable Regulatory Authorities for High Quality Regulation. Paris: OECD, 126-155.

OECD (2004): Policy Brief: Public Sector Modernisation: Changing Organisational Structures. Paris: OECD.

Pollitt, Christopher/ Talbot, Colin/ Caulfield, Janice/ Smullen, Amanda (2004): Agencies: How Governments do Things Through Semi-Autonomous Organizations. Basing­stoke: Palgrave MacMillan.

Schick, Allen (2002): Agencies in Search of Principles. In: OECD (Hrsg.): Distributed Public Governance: Agencies, Authorities and other Autonomous Bodies. Paris: OECD, 25-38.

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Vom Amt zur Agentur? Organisationsvielfalt, Anpassungsdruck und institutionelle Wandlungsprozesse im deutschen Verwaltungsmodell^

Marian Dohler

1 Einleitung

„Agentur hat Konjunktur" titelte der Berliner Behordenspiegel (Nr. 8/ 2003: 1) angesichts einer wachsenden Zahl von Bundesbehorden, die nach dem Vorbild des sog. „Agency"-Konzeptes errichtet oder reorganisiert werden. Die Bundesre-publik scheint damit einem internationalen Trend zu folgen (vgl. Thatcher 2002, 2004; Gilardi 2002; Pollitt/ Bouckert 2004; Tenbucken 2004). Versucht man diese Beobachtung in die weitergehende Frage zu iibersetzen, ob und in welchem Umfang daraus ein institutioneller Wandel resultiert, stellt sich erstens ein defi-nitorisches Problem, da der Terminus Agency „rather an omnibus label to des­cribe a variety of organisations" (Majone/ Everson 2001: 150) reprasentiert als einen generischen Typus von Verwaltung. Hinzu kommt, dass das Konzept in zwei parallel laufenden, aber miteinander kaum verbundenen Diskursen auftritt. Im New Public Management-Diskurs (NPM) werden Agencies vor allem iiber die Organisationsdimension defmiert (vgl. Pollitt et al. 2001: 274 f.; OECD 2002; Talbot 2004: 14 ff.): Es handelt sich um von der Ministerialverwaltung getrennte, aber nach wie vor dem Geltungsbereich des offentlichen Rechts zuge-horige Behorden, deren Aufgaben - der Trennung zwischen „policies", die allein von der Regierung bzw. den vorgesetzten Ministerien zu formulieren sind, und „operations" folgend - sich auf den Vollzug beschranken, die dabei aber hoch-spezialisiert und von einer „task orientation" gekennzeichnet sind, und die schlieBlich nicht wie im klassischen Blirokratiemodell direkt und hierarchisch, sondern indirekt („at arm's length") iiber Kontrakte bzw. Zielvereinbarungen gesteuert werden, um so mehr Autonomic flir ein effizienzorientiertes Manage­ment zu schaffen. Dieser Definition nicht unahnlich, aber mit einer deutlich starkeren Gewichtung der Policy-Dimension treten Agencies auch in der Debatte

' Fiir die kritische Durchsicht einer ersten Fassung dieses Aufsatzes danke ich Tobias Bach, Julia Fleischer und Tobias Langer.

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um den Aufstieg des „Regulierungsstaates" in Erscheinung (vgl. Majone 1997; Majone/ Everson 2001: 132 ff.; Grande/ Eberlein 2000: 641). In diesem Diskurs steht vor allem die regulative Aufgabe im Vordergrund, bei der die Regelbildung und -durchsetzung die Eigenproduktion staatlicher Outer und Dienstleistungen zunehmend verdrangt. In organisatorischer Hinsicht werden insbesondere die fachliche Spezialisierung sowie die politische Unabhangigkeit von Agencies betont, die deshalb auch zu einer eigenstandigen politischen Akteursrolle befa-higt sind (naheres dazu unter 4.1).

Daran gemessen stellt sich die Bundesrepublik sowohl auf der Bundes- wie auch der Landesebene nur als begrenzt „agencifizierbar" dar. Denn schon in der Zentralverwaltung des deutschen Kaiserreichs als Nukleus der heute bestehenden 14 Bundesministerien und 445 Bundesbehorden (BT-Drs. 15/5111: 4) setzte die Ausdifferenzierung zwischen der Reichkanzlei einerseits und funktional speziali-sierten Behorden andererseits, wie dem Reichseisenbahnamt (1873) oder dem Reichsgesundheitsamt (1876), in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts ein (vgl. Morsey 1957). Die etablierte Arbeitsteilung zwischen Ministerien und nachgeordneter Vollzugsverwaltung verhindert weitgehend, dass es zu spektaku-laren Abspaltungs- oder Neugriindungswellen kommt, die es rechtfertigen wiir-den, von einer Agencification der bundesdeutschen Verwaltung zu sprechen. Angesichts der Restrukturierung von Teilen der sog. nichtministeriellen Bundes-verwaltung seit Beginn der 1990er Jahre ware es allerdings verkiirzt, die Bundes­republik als ganzlich unbeeinflusst vom allgemeinen Trend zur Ausbreitung des Agency-Konzeptes zu wahnen. Insbesondere die im Vergleich zu fruheren Jahr-zehnten beobachtbare Zunahme von Bundesbehorden mit regulativen Aufgaben wie der Bundesnetzagentur (ehem. Regulierungsbehorde fiir Telekommunikation und Post - RegTP) oder der Bundesanstalt fiir Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) deutet auf einen „schleichenden Wandel" (Jann 1999: 533 ff.; Ellwein 1994: 83 ff.) hin, der langfristig in eine partielle Transformation des bundesdeut­schen Verwaltungsmodells miinden konnte (naheres dazu bei Dohler 2006). Nicht minder gerechtfertigt ist es aber auch, die Bundesrepublik als „agency laggard" (Dohler 2002: 103) zu charakterisieren, da sich weder die politische Unabhangigkeit noch die Kontraktsteuerung zum Standard entwickelt haben.^

" Im Marz 2005 hat die Bundesregierung zwar ausgefuhrt, dass mit 203 von insgesamt 429 nachge-ordneten Bundesbehorden Zielvereinbarungen abgeschlossen wurden, „die zeitliche, quaHtative und wirtschaftliche Ziele umfassen" (BT-Drs. 15/5111: 6). Doch bestehen erhebliche Zweifel, ob damit tatsachlich eine veranderte Steuerungspraxis einhergeht. Erstens lassen bisherige Erfahrungen vermu-ten, dass es sich primar um personal- und haushaltsspezifische Parameter handelt, die den „Policy-Output" der betreffenden Behorde kaum tangieren. Zweitens ist es gangige Praxis, dass die Einfuh-rung des Kontraktmanagements nicht mit der Einschrankung oder gar Ablosung des hierarchischen Weisungsrechts verbunden ist, so dass Zielvereinbarungen weniger die dezentrale Ergebnisverant-wortung starken, sondem lediglich die Informationsbasis der vorgesetzten Ministerien verbessem.

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Das Phanomen einer Agentur-Bildung kann sich im deutschen Fall sinnvoller-weise also nur auf zwei Elemente des Modells beziehen. Erstens die Neuerrich-tung von Behorden mit spezifisch regulativen Aufgaben, die iiber den bloBen Gesetzesvollzug hinaus eine politische Dimension erlangen, und zweitens die Zunahme nichthierarchischer Steuerungsformen bzw. groBerer behordlicher Autonomic wie sie etwa mit der Kontraktsteuerung angestrebt wird.

Diese Konstellation fuhrt zweitens dazu, dass sich die Frage nach den Ursa-chen bzw. Motiven flir die begrenzte Rezeption des Agency-Konzeptes deshalb kaum aus eindeutigen Absichtsbekundungen heraus beantworten lasst, weil die­ses Modell organisatorisch bereits existiert, der Begriff „Agentur" aber zugleich auch als Innovationssignal im Verhaltnis zur klassischen und als modemisie-rungsbediirftig angesehenen Verwaltung verstanden wird. Daraus kann bei den Akteuren nur eine ambivalente Einstellung erwachsen, die einerseits aus dem mehr oder minder klaren Bewusstsein besteht, uber einen Modemisierungsvor-sprung zu verfiigen, was auf den anderen Seite nicht verhindem kann, dass die Einfuhrung einzelner Elemente des Agency-Konzeptes zum Zweck des politi-schen „credit claiming" propagiert wird oder tatsachlich als sinnvoller Bestand-teil der Verwaltungsmodemisierung gilt. D.h., dass man nicht zwangslaufig mit jenen klaren politischen Zielen rechnen darf, wie sie bei der Errichtung einer agency-artigen Beh5rde gemeinhin unterstellt werden (vgl. Epstein/ O'Halloran 1999: 29 ff.; Huber/ Shipan 2002: 9). Zudem ist die Differenz zwischen „acade-mic theories", die den Bedeutungszuwachs des Agency-Konzeptes auf das Motiv der Effizienzerhohung oder auch einen institutionellen Isomorphismus zurlick-fiihren, und den ganzlich anders gearteten „practitioner theories" (Pollitt 2004: 336 f.) zu bedenken, die den Handlungskalkiilen von Politikern zugrunde liegen. So lasst etwa die Diskrepanz zwischen den enormen Anstrengungen, mit denen die EU-Mitgliedstaaten um die Standorte europaischer Agencies ringen (vgl. dazu Pollitt 2004: 336 und Fleischer in diesem Band), und dem deutlich geringe-ren Interesse an deren Organisation und Kompetenzen erahnen, wie weit sich die Practitioner-Motive von funktionalen bzw. politisch-inhaltlichen Uberlegungen entfemen konnen.

Die konzeptionellen Unscharfen sowie die diffuse Motivstruktur werden drittens schlieBlich auch Konsequenzen fiir den institutionellen Wandel besitzen, dessen Intensitat hier ausgelotet und erklart werden soil. Die hiesige Ausgangssi-tuation schlieBt einen klaren Strukturbruch aus. Wenn es eine Tendenz zur Agen­tur-Bildung gibt, so wird sie in der Bundesrepublik in einer Zone zwischen der Nutzung von Handlungsspielraumen, die im etablierten Verwaltungsmodell vorhanden sind, symbolischen Innovationen und der partiellen Adaption von Elementen des Agency-Konzeptes stattfinden. Auch wenn die Koexistenz aller drei Varianten einer Agentur-Bildung unterstellt werden kann, ist es sinnvoll.

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sich vor allem auf jene Veranderungen zu konzentrieren, in denen Abweichung von den etablierten Prinzipien des Verwaltungsaufbaus und deren Arbeitsweise erkennbar sind. Denn nur die Identifikation von Reibungsflachen zwischen dem Agency-Konzept einerseits und der etablierten, hier als „klassisch" bezeichneten Verwaltung andererseits erlaubt es, Aussagen iiber den institutionellen Wandel vorzunehmen.

Um die Frage nach der Intensitat dieses Wandels und seinen Ursachen be-antworten zu konnen, werden folgende Arbeitsschritte vorgenommen. Im zwei-ten Abschnitt werden zunachst jene Merkmale des deutschen Verwaltungsmo-dells herausgearbeitet, die im Kontrast zum Agency-Konzept stehen. Der dritte Abschnitt setzt eine Stufe unterhalb der Modellebene an und analysiert die Rechtstypen der Verwaltungsorganisation und fragt nach den Spielraumen flir eine Agentur-Bildung. Im vierten Abschnitt folgen einige empirische Beispiele, die veranschaulichen sollen, welche Handlungskalkiile die Errichtung neuer bzw. die Restrukturierung vorhandener Behorden beeinflussen und mit welchen exter-nen Anpassungszwangen das deutsche Verwaltungsmodell konfrontiert wird. SchlieBlich wird im ftinften Abschnitt danach gefragt, ob und wie sich dieser exteme Anpassungsdruck bei neueren Entscheidungsprozessen auf die Uber-nahme des Agency-Konzeptes auswirkt.

2 Merkmale des deutschen Verwaltungsmodells

Mit „Verwaltungsmodeir' wird hier auf ein normatives Ideal verwiesen, dass in der Praxis nur in eingeschrankter Form anzutreffen ist, aber als Normalitatsan-nahme fiir den Umgang mit der Verwaltung pragende Wirkung besitzt. Die prak-tischen Abweichungen vom Idealtypus werden verfassungsrechtlich mit einem Ausnahme-Regel-Schema legitimiert, welches Ausnahmen den Status von Grenzfallen zuweist, die die Geltungskraft der Regel nicht in Frage stellen. Diese Regel, d.h. der Standardtyp der bundesdeutschen Verwaltung, konstituiert sich durch drei miteinander verwobene Merkmale, in deren Kern jeweils die Vorstel-lung von der „Fremdbestimmtheit" (Dreier 1991: 114) alien Verwaltungshan-delns steht. Verwaltung kann demnach nie selbst Recht oder gesetzesaquivalente Normen schaffen, sondem selbige immer nur vollziehen.

An erster Stelle ist das normative Konzept der „legislativen Programm-steuerung" zu nennen, das „auf einer strengen Unterscheidung zwischen Politik als Willensbildung und Verwaltung als Willensausfiihrung" (Grauhan 1969: 270) beruht. Der Geltungsanspruch dieses stark von der Gewaltenteilungsidee her gedachten Uber- und Unterordnungsschemas ist nach wie vor ungebrochen, wenngleich die Teilhabe der (Ministerial)Verwaltung an politischen Entschei-

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dungsprozessen heute nicht mehr als Verletzung des Demokratieprinzips gedeu-tet wird wie noch in den 1960er Jahren. Der im Konzept der legislativen Pro-grammsteuerung eingeschlossene „Vorbehalt des Gesetzes" ist zwar primar an den Gesetzgeber gerichtet, dem eine „Selbstentscheidungspflicht" (Nierhaus 1997: 720) fiir die wesentlichen Inhalte auferlegt wird, besitzt dadurch aber auch flir die Verwaltung erhebliche Konsequenzen, da deren eigene Entscheidungs-spielraume tunlichst gering zu halten sind. Obwohl dieser „delegationsfeindli-clie" (Nierhaus 1997: 723) normative Anspruch in der Praxis keineswegs immer eingelost wird, ist er als zentrales Element der Rollenzuweisung an eine gesetz-lich domestizierte Verwaltung von erheblicher Bedeutung.

Ein zweites Merkmal ist auf der Handlungsebene angesiedelt und betrifft den Status der Verwaltung im Verhaltnis zur Politik. Unabhangig davon, wie bedeutsam, wie politiknah oder wie politisierungsanfallig sich eine Verwaltungs-aufgabe darstellt, der damit betrauten Behorde wird kein politischer Akteurstatus zuerkannt. Das erscheint deshalb auch iiberflussig, weil sich die Verwaltung auf die verfalschungsfreie Durchsetzung des Gesetzgeberwillens beschranken soil. Ein „open-ended mandate", wie es der Vollzugsverwaltung in GroBbritannien Oder den USA zugebilligt wird, ist hierzulande nicht vorgesehen. Verwaltungs-aufgaben werden gesetzlich abschlieBend aufgezahlt, so dass eine eigenstandige Rechtsentwicklung durch die administrative Vollzugspraxis kaum moglich ist (vgl. dazu Coen 2005). Sie erfolgt bestenfalls durch die Rechtsprechung der Gerichte. Auch dass eine Behorde aus eigenem Antrieb den Versuch untemimmt, politische Unterstiitzung bei Parteien, im Bundestag oder in den Medien zu mo-bilisieren, wird ungern gesehen, da dies als Aufgabe der vorgesetzten Ressorts gilt, und findet, wenn iiberhaupt, nur in einer geduldeten Grauzone statt. Noch weniger zulassig ist die offentliche Kritik am vorgesetzten Ministerium."^ Wenn Mitarbeiter oder Leiter nachgeordneter Behorden offentliche Stellungnahmen abgeben, etwa bei Anhorungen des Bundestages, wird das mehr als Sachverstan-digen-AuBerung begriffen, denn als Beitrag zur politischen Willensbildung. Zu diesem reduzierten Akteurstatus gehort auch die Erwartung, dass die Vollzugs-verwaltung die ihr „gestellten Aufgaben moglichst ohne eigene Interpretationen zu erledigen" (Ellwein 1994a: 477) habe.

Drittens schlieBlich ist das deutsche Verwaltungsmodell auf der institutio-nellen Ebene von der Dominanz des Hierarchieprinzips gepragt, das mittlerweile aber seinen beinahe militarischen, von „Weisungsbefugnissen" und „Befehlsket-ten" getragenen Charakter verloren hat und mehr als formale Kompetenzordnung behandelt wird, die den Verwaltungsalltag nicht mehr beherrscht, sondem nur

^ Erhellend in diesem Zusammenhang ist die Aussage einer Mitarbeiterin der „Sabine Christiansen"-Produktionsfirma, „man habe die Erfahrung gemacht, dass die Ministerien nicht mit nachgeordneten Behorden gemeinsam in einer Talkshow auftreten" (Tagesspiegel vom 20.9.2004).

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noch als „rule of last resort" zum Einsatz gelangt. Das andert freilich nichts da-ran, dass die Uber- und Unterordnung von Behorden ein insbesondere fur die Verwaltungssteuerung nach wie vor wichtiges Organisationsprinzip darstellt, dem beinahe Verfassungsrang zugemessen wird. Die Ministerverantwortlichkeit (Art. 65 GG) ist streng genommen zwar kein Bestandteil des deutschen Verwal-tungsmodells, liefert aber die zentrale Begrlindung fiir die Notwendigkeit eines liickenlosen hierarchischen Verwaltungsaufbaus. Denn nach herrschender Mei-nung kann die Verantwortung des Ministers nur dann geltend gemacht werden, wenn sie mit einem hierarchischen Durchgriff auf alle Vorgange und Verwal-tungseinheiten in dessen Zustandigkeitsbereich verkniipft ist (vgl. Mehde 2001: 15). Daraus entsteht eine eindeutige Vorrangstellung der Ministerialverwaltung gegenliber alien nachgeordneten Behorden, was auch im interorganisatorischen Kontakt seinen Niederschlag findet. Die etwa im danischen Fall zeitweilig disku-tierte Frage, ob Zentralbehorden und Ministerien nicht auf gleicher Augenhohe anzusiedeln und Behordenleitem daher eine Art Immediatzutritt zum Minister zuzugestehen sei (vgl. Hustedt in diesem Band), darf hierzulande als ausge-schlossen gelten."

Fasst man die wesentlichen Charakteristika des bundesdeutschen Verwal-tungsmodells zusammen, dann sind primar drei Abweichungen vom Agency-Konzept hervorhebenswert, die sich jeweils als Facette von politischer Unabhan-gigkeit verstehen lassen. Erstens diirfen Bundesbehorden dem herrschenden Verstandnis zufolge keine eigenstandige Rolle als Akteur im politischen Prozess wahrnehmen. Zweitens verfUgen Bundesbehorden nur iiber begrenzte und zudem ministeriell kontrollierte Handlungsspielraume. Drittens schlieBlich bildet die indirekte Steuerung die Ausnahme. Eindeutig dominant ist nach wie vor die direkte, hierarchische Steuerung. Wenn man nun die politische Unabhangigkeit als wesentliches Kriterium fiir die Ubemahme des Agency-Konzeptes einsetzt, und das soil nachfolgend geschehen, ergibt sich daraus ein zweifaches Problem. Zum einen ist politische Unabhangigkeit als Merkmal einer Behorde sehr vage und daher konkretisierungsbediirftig. Mit dieser definitorischen Unscharfe zu-sammenhangend wird man zum anderen auf das Phanomen stoBen, dass sowohl Politiker wie auch die steuerungsbefugte Ministerialverwaltung Behorden haufig als unabhangig bezeichnen, selbst wenn sie einer hierarchischen Steuerung - in der Praktikersprache als „Fachaufsicht" bezeichnet - unterliegen. Beides lasst sich durch eine begriffliche Differenzierung handhabbar machen bzw. erklaren, bei der zwischen zwei Autonomietypen unterschieden wird (vgl. dazu Verhoest

^ M.W. gab es uberhaupt nur eine Behorde in Deutschland, namlich das Bundeskartellamt in den ersten Jahren seines Bestehens, bei der sich der Minister (Erhard) regelmaBig direkt mit dem Behor-denleiter zur Beratung traf (vgl. Dohler 2004: 278). Meist ist der zustandige Abteilungsleiter „End-station" fiir den direkten Kontakt mit dem Ministerium.

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et al. 2005: 109). Und zwar einer „managerial autonomy", die die eigenstandige Gestaltung intemer Personal-, Haushalts- und Verfahrensfragen einschlieBt. Dieser Autonomietypus entspricht in etwa dem, was hierzulande als „Geschafts-leitungsgewalt" bezeichnet wird und in der vorherrschenden Wahmehmung bereits einen hohen Grad an Unabhangigkeit darstellt. Deutlich weiter geht dem-gegeniiber die „policy autonomy", die die nach auBen, an die Adressaten gerich-teten Inhalte administrativer Entscheidungen umfasst. Das schlieBt weitreichende Ermessensspielraume ein, die bis bin zur eigenstandigen Regelbildung reichen konnen. Vollkommen aquivalente Definitionen fUr diese beiden Autonomietypen existieren in der Politik- und Verwaltungspraxis nicht. Nimmt man die gangige Unterscheidung zwischen Rechts- und Fachaufsicht als Bezugspunkt, dann kame das Konzept der „ministerialfreien Raume" (vgl. Dohler 2004: 99 ff.) dem der policy autonomy am nachsten. Als ministerialfrei wird eine Verwaltung dann bezeichnet, wenn sie keiner Fachaufsicht durch das vorgesetzte Ministerium unterliegt, was insbesondere zur Folge hat, dass keine Einzelweisungen erfolgen, die die fachlichen Entscheidungen einer Behorde betreffen.

Eine als „policy autonomy" ausgestaltete Unabhangigkeit ist im deutschen Verwaltungsmodell nicht vorgesehen und nur in den Grenzen einer besonders begrtindeten und legitimierten Ausnahme zulassig. Diese Problematik diirfte umso schwerer wiegen, desto relevanter die Verwaltungsaufgabe und desto wei­ter deren Regelungsumfang ausfallen, d.h. die politischen Ausstrahlungseffekte zunehmen. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt von ministerialfreien Rau-men, die als verfassungsrechtlich unbedenklich gelten, bislang bei politikfernen Sachmaterien, die entweder einer besonderen Expertise bediirfen, der Beurtei-lung ethischer Probleme dienen oder Priifungs- und Auswahlentscheidungen betreffen. Die Frage, in welchem Umfang politische Unabhangigkeit zulassig bzw. moglich ist, kann sich allerdings nicht allein auf der Modellebene klaren lassen, sondem erfordert auch einen Blick auf die unterhalb dieser Ebene ange-siedelten Normen.

3 Anything goes: Typen der Verwaltungsorganisation auf der Bundesebene

Einschlagig ist hier vor allem das Verwaltungsorganisationsrecht, das zu den dogmatisch eher schmalbrlistigen Bereichen des offentlichen Rechts gehort, was sich im Wesentlichen aus seiner Zurechnung zum „Innenrecht" der Verwaltung erklart (vgl. Krebs 1988: 583), in dem die parlamentarische wie auch die gericht-liche Kontrolle ausgeschlossen sind. Bei der Anwendung und juristischen Gel-tung der sog. Rechtsformenlehre, die die Verwaltung nach Rechtstragern, Orga-

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nisationsmerkmalen und Kompetenzen zu typologisieren versucht, wirken zwei Grundsatze. Zum einen die Organisationsgewalt, die der Regierung bzw. einzel-nen Ressortministem das Recht zur eigenstandigen Gestaltung der Verwaltung zuweist. Das Grundgesetz beinhaltet dazu kaum positivrechtliche Vorgaben zur Verwaltungsorganisation (vgl. Krebs 1988: 600 ff.), sondem konzentriert sich auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Landem. Wie eine Bundesbe-horde aufgebaut, kontrolliert, gesteuert oder rechtlich verfasst sein soil, liegt weitgehend im Ermessen der Bundesregierung. Seinen Ausdruck findet das zum anderen im weniger bekannten Grundsatz der „Formenwahlfreiheit" (vgl. dazu Bull 2001: 550 ff.), der sich auf die Rechtsform fur verschiedene Verwaltungs-aufgaben bezieht. Dass dieses Thema uberhaupt zum Gegenstand einer Debatte wurde, verdankte sich hauptsachlich der Privatisierung von Staatsaufgaben seit den 1980er Jahren, wodurch die Problematik des Steuerungsverlustes bei der Nutzung privater Rechts- und Orgnisationsformen aufgeworfen wurde (vgl. ebd.; Loeser 1994: 90 ff.; Pabst/ Schwartmann 1998). Ansonsten findet die Errichtung und organisatorische Ausgestaltung der nichtministeriellen Bundesverwaltung im Windschatten der offentlichen Aufmerksamkeit statt.

Die Entscheidung liber die Errichtung einer Bundesbehorde konzentrierte sich bisher regelmaBig auf die Rechtsform, ohne dass dabei die Frage nach ei-nem moglichen Agentur-Status eine Rolle gespielt hatte. Die zur Verfiigung stehenden Rechtsformen (vgl. Tabelle 1) weisen aber dennoch gewisse, wenn auch implizite Verbindungen zur Agency-Debatte auf. Die vier Grundtypen reprasentieren zunachst variierende Grade an „Staatlichkeit" (vgl. dazu grundle-gend: Dittmann 1983; Loeser 1994). Fiir den vorliegenden Zusammenhang be-deutsam sind vor allem die Art der Steuerung, die Geltung des Personal- und Haushaltsrechts des Bundes sowie die mehr oder minder zulassige „Teilhabe auBerstaatlicher Krafte" (Dittmann 1983: 90) an der Verwaltung. Im Grundge­setz erwahnt sind nur die beiden offentlichrechtlichen Formen der (a) unmittelba-ren und der (b) mittelbaren Bundesverwaltung (Art. 86 GG ff.). Der zentrale Unterschied ist zum einen darin zu sehen, dass die unmittelbare Bundesverwal­tung keine eigene Rechtstragerschaft besitzt, wie dies fur die Korperschaften, Anstalten und Stiftungen der mittelbaren Bundesverwaltung gilt, und zum ande­ren - was hier von deutlich groBerer Bedeutung ist - in der Art ihrer Steuerung. Wahrend letztere nur der Rechtsaufsicht unterliegen sollen, die allein der Recht-maBigkeit des Verwaltungshandelns gilt, sind unmittelbare Bundesbehorden, die vor allem in Gestalt von Bundesoberbehorden und Beauftragten in Erscheinung treten, sowohl der Rechts- wie auch der Fachaufsicht unterworfen (vgl. Krebs 1988: 593; Loeser 1994: 129; Mayen 2004: 46).

Im juristischen Sprachgebrauch unterscheidet sich die Each- von der Rechtsaufsicht dadurch, dass sie auch die „ZweckmaBigkeit" einschlieBt. Dieses

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nebulose Kriterium besagt, dass die Aufsicht insofem „totar' (Becker 1989: 877) ist, als sie jegliche Aktivitat der nachgeordneten Behorde kontrollieren und revi-dieren kann, ohne dass dagegen irgendein Rechtsmittel moglich ist. Das ist das Wesen des Innenrechts. Die divergierende Steuerungsintensitat wird nicht zuletzt mit der „Distanz zum Muttergemeinwesen" (Dittmann 1983: 90) begriindet. Bei der mittelbaren Bundesverwaltung wird „eine gewisse Relativierung der Staat-lichkeit" (Dittmann 1983: 91) gesehen, die auch eine hierarchisch ausgedlinnte Steuerung rechtfertige. Ahnliches gilt fiir das Personal- und Haushaltsrecht, das nur bei Behorden der unmittelbaren Bundesverwaltung zwingend Anwendung findet. Die Geltung der Bundeshaushaltsordnung kann bspw. fiir Juristische Personen des offentlichen Rechts" (§ 105 Abs. 2 BHO) per Gesetz eingeschrankt Oder aufgehoben werden. Die Integration gesellschaftlicher Akteure schlieBlich ist bei der unmittelbaren Bundesverwaltung ausgeschlossen, bei der korper-schaftlich verfassten Selbstverwaltung der Sozialversicherung hingegen konstitu-tiv. Diese graduelle Abnahme hierarchisch-biirokratischer Regelbindung setzt sich bei den beiden privatrechtlichen Typen der Bundesverwaltung fort. Sie unterscheiden sich dadurch, dass der Bund im Fall der sog. Bundesprivatverwal-tung (c) Eigentiimer bzw. Mehrheitseigner privatrechtlicher Gesellschaftsformen wie Aktiengesellschaften, GmbHs oder eingetragener Vereine ist. Die Bundes-verrichtungsverwaltung (d) hingegen ist nur vertraglich mit offentlichen Aufga-ben betraut oder „beliehen" und verbleibt dabei in privatrechtlicher Form. Ihre Kontrolle und Steuerung erfolgt iiber die Stimmrechte des EigentUmers bzw. vertragliche Vereinbarungen. Die Anwendung des offentlichen Personal- und Haushaltsrechts kann nach Belieben erfolgen, ist aber uniiblich, da sich der Ein-satz dieser Rechtsformen ja haufig genau dagegen richtet.

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Zu den wenigen Orientierungsmarken, die bei der Errichtung einer neuen Bun-desbehorde ins Gewicht fallen, gehort jene verfassungsrechtliche Gleitformel, die besagt, dass mit Zunahme legitimatorischer Anforderungen an eine Aufgabe auch die Staatlichkeit der Verwaltung hoher zu gewichten ist. Das kommt etwa darin zum Ausdruck, dass hoheitliche Aufgaben nur durch unmittelbare Bundes-verwaltung wahrgenommen werden sollen (vgl. Stem 1980: 817; Loeser 1994: 42). Dass das Kriterium der Hoheitlichkeit allerdings keine zuverlassigen An-haltspunkte fiir die Nutzung einer spezifischen Rechtsform beinhaltet, macht die FiJlle solchermaBen deklarierter Aufgaben deutlich, die an offentlich-rechtliche Korperschaften oder an Private delegiert werden, z.B. die Qualitatssicherung diverser Berufe durch Kammem, die Sicherheitsuberwachung kerntechnischer Anlagen durch den TUV (ein „beliehener" Verein) oder die Privatisierung der Flugsicherheit (vgl. Pabst/ Schwartmann 1998). Allenfalls der „Grundsatz der Impermeabilitat" (Dittmann 1983: 88 ff.) wirkt insofern strikt, als er verbietet, die im Grundgesetz aufgeflihrte obligatorische Bundesverwaltung in der Form der mittelbaren Verwaltung, also durch Korperschaften und Anstalten durchzu-fiihren. Im Unterschied dazu gilt fiir die sog. „fakultative" Bundesverwaltung, die dem Bund „erwachsen" kann, wenn „neue Aufgaben" (Art. 87 Abs. 3 GG) entstehen, eine weitgehende Formenwahlfreiheit.

Was nun aus der verfassungsrechtlichen Perspektive wie ein geordneter, an Rechtstypen orientierter Auswahlprozess bei der Errichtung neuer Behorden erscheinen konnte, verlauft in der Praxis sehr viel hemdsarmeliger und folgt mehr dem jeweiligen politischen Handlungsbedarf als der Rechtssystematik. Das verfassungsrechtliche Verwerfungsrisiko ist gering, denn selbst wenn Rechts-formen oder Organisationsmerkmale in problematischer Mischung auftauchen, wird dazu kurz und biindig festgestellt: „Eine fehlerhafte Organisationsformen-wahl zeitigt nach heutiger Dogmatik regelmaBig keine Rechtsfolgen" (Schneider 1997: 111, FN 44; vgl. auch Loeser 1994: 103). Entgegen der verbreiteten Auf-fassung, dass die bundesdeutsche Verwaltung eine iiberdurchschnittlich hohe Veranderungsresistenz aufweist, ist im Hinblick auf Rechts- und Organisations-formen also ein betrachtliches MaB an Flexibilitat festzustellen. Es ist ohne wei-teres moglich, innerhalb des bestehenden organisationsrechtlichen Rahmens neue - wenn man so will - hybride Verwaltungstypen zu schaffen, die eine Reihe Agency-typischer Merkmale aufweisen. Die Diffusion dieses Modells muss sich also nicht als Strukturbruch durchsetzen, sondem kann „organisch" und ohne viel politisches Aufsehen stattfinden.

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4 Handlungskalkiile im Umgang mit Verwaltungsorganisationsformen

Die Ausfullung dieses Handlungsspielraumes lieBe sich analog zur „Institutional Choice"-Literatur analysieren, in der jedes Detail der Funktionszuweisung, des Organisationsaufbaus, der Ressourcenausstattung, der administrativen Entschei-dungsverfahren und Handlungsspielraume einer Behorde als Ausfluss konkurrie-render politischer Interessen erscheint (naheres dazu in Dohler 2005). Das Bild eines wogenden politischen Schlachtfeldes, in dem die Akteure Schachspielern gleich jeden Zug des Gegners zu antizipieren und zu parieren versuchen, bedarf im deutschen Fall jedoch der Modifikation. Charakteristisch ist zunachst das Fehlen einer einheitlichen und sinnstiftenden Statuszuschreibung. Weder im Hinblick auf Rechtsformen, Aufgaben oder Organisationsmerkmale wird die nichtministerielle Bundesverwaltung explizit als Typus oder Einheit betrachtet. Wenn einmal summarisch von „Bundesbehorden" die Rede ist, dann primar in der um Systematisierung bemiihten rechtswissenschaftlichen Literatur und weni-ger im politischen Alltag. Als durchaus typisch kann deren Wahmehmung als „amorphe Masse" (Becker 1978: 150) gesehen werden, die aufgrund ihres feh-lenden Objekt- bzw. Akteurcharakters auch keinen iiber Einzelfalle hinausge-henden Steuerungsgegenstand der Politik bildet.

Fur Politik und Ministerialverwaltung bildet insbesondere das Ressortprin-zip einen wichtigen Referenzpunkt fiir den Umgang mit der nachgeordneten Verwaltung. Charakteristisch ist eine sektorale Abschottung, die „spill overs" von einem Politikfeld in ein anderes verhindert. So werden Wandlungsprozesse im nachgeordneten Bereich etwa des Finanzministeriums weder im Umwelt-noch im Verkehrsministerium registriert, geschweige denn als nachahmenswerte Blaupause empfunden. Verstarkt wird dieser Versaulungseffekt durch das Fehlen eines institutionellen Griindungszeitpunktes, wie man ihn z.B. in GroBbritannien und ansatzweise in Frankreich identifizieren kann. In beiden Fallen werden die „executive agencies" bzw. die „autorites administratives independentes" (vgl. Decoopman 2002) aufgrund ihres gemeinsamen Entstehungshintergrundes als spezifischer Typus der Verwaltungsorganisation wahrgenommen. Fehlt ein sol-cher Zeitpunkt, bedarf es einer anderen Rollenzuweisung nationaler Vollzugsbe-horden, wie in den USA, um sektor- bzw. ressortspezifische Idiosynkrasien ge-gen alternative Modellelemente zu iiberwinden. Umgekehrt konnte man natiirlich auch argumentieren, dass gerade der „amorphe" Status der deutschen Bundesbe-horden eine schleichende Agentur-Bildung begunstigt, da kein institutionelles Bollwerk durchbrochen werden muss. Allerdings setzt die Wirkung der „splen-did isolation", auf der die administrative Organisation der verschiedenen Politik-sektoren bislang fuBte, bereits im Stadium der Problemwahrnehmung ein, so dass sektorale Widerstande gar nicht erst aktiviert werden miissen. Die dabei freige-

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setzten Beharrungskrafte sorgen dafur, dass Entwicklungen aus benachbarten Politikfeldem kaum rezipiert werden und daher auch nicht im Sinne einer Mo-delldiffusion wirken (Hinweise darauf bei Sturm et al. 2002: 47 f.; Dohler 2004: 214 m.w.L.). Selbst die im Kontext regulativer Aufgaben, also einem ahnlichen Zusammenhang entstandenen Behorden gelten zu Recht als „set up and designed on an ad hoc basis" (OECD 2003: 39). Sektorlibergreifende Lernprozesse finden in der Regel nicht statt. Auch die seit 2001 jahrlich stattfindende Behordenleiter-tagung des Bundes dient mehr der Darstellung der Modemisierungsvorhaben der Bundesregierung, als dass sie sich zu einem Forum administrativer Identitatsbil-dung entwickelt hatte. Insgesamt ist festzuhalten, dass die nachgeordnete Ver-waltung im Handlungskalkiil von Politikem und Ministerialverwaltung kaum als eigenstandiger Faktor in Erscheinung tritt,^ sondem - und diese These gilt es im Folgenden weiter zu erharten - mehr als institutionelle RestgroBe bei der Bewal-tigung sektoraler bzw. ressortspezifischer Probleme.

Als Konsequenz aus der institutionellen und politischen Konturarmut der Bundes verwaltung hat sich eine stark exekutivzentrierte Umgangsform heraus-gebildet, in der nicht nur die zustandigen Ressorts dominieren, sondem auch kaum eine Politisierung vorhanden ist (vgl. Ellwein 1994: 115; Fehling 2001: 141 ff.; Dohler 2004: 118 ff.). Dafiir lassen sich zwei Griinde anfuhren. Zum einen die Disjunktion zwischen politischem Prozess und Gesetzesvollzug. Be­horden werden nie als isolierte Funktionseinheiten, sondern stets als Bestandteil einer staatlichen Aufgabe gedacht, iiber deren inhaltliche Ausgestaltung zwar durchaus Kontroversen stattfinden, die aber nach Beendigung des Gesetzge-bungsverfahrens als abschlieBend geklart zu betrachten sind. Soweit Gesetzesno-vellen notwendig werden, finden sie innerhalb der legislativen Arena statt, in der die Vollzugsverwaltung als politischer Akteur keinen Platz besitzt. Die Verwal­tung ist Adressat politischen Handelns und kein Teilnehmer am politischen Pro­zess. Zum anderen ist deren Legitimitat nach Abschluss des Gesetzgebungsver-fahrens gesichert. Eine permanente, auch politische Infragestellung des admini-strativen Mandats, wie sie in den USA zu beobachten ist (vgl. Masing 2003: 587), kann hierzulande - abgesehen von der allgemeinen Biirokratiekritik - als Ausnahme gelten. Behordengriindungen oder deren Reorganisation stehen damit auch weniger deutlich erkennbar im Zusammenhang mit politischen Entwick-lungsschiiben, wie dies bei den britischen „executive agencies" oder den ameri-kanischen Regulierungsbehorden wahrend des New Deals oder der „rights revo­lution" in den 1960er Jahren der Fall war. Eine zweite Konsequenz besteht darin,

^ Womit sich das deutsche Verwaltungsmodell nahtlos in die kontinentaleuropaische Tradition ein-reiht, in der die Verwaltung - anders etwa in den USA - immer als integraler Bestandteil der Exeku-tive begriffen wird (vgl. dazu Rutgers 2000: 297 f.).

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dass der Errichtung, dem Umbau oder dem Funktionszuschnitt von Bundesbe-horden trotz der Dominanz der vorgesetzten Ministerien eine auBerordentlich heterogene Motivstmktur zugmnde liegt, die die „Anything goes*'-Hypothese des vorangegangenen Abschnitts stiitzt. Dies lasst sich anhand folgender Beispiele illustrieren.

Den sicher spektakularsten Fall eines dramatischen Funktions- und gleich-zeitig Politisierungszuwachs bildet die Treuhandanstalt (THA), die - noch unter der letzten DDR-Regierung gegrlindet - durch den Einigungsvertrag von 1990 als Anstalt offentlichen Rechts in die Bundesverwaltung iiberfiihrt und zu einem zentralen Bestandteil jenes MaBnahmebiindels wurde, mit dessen Hilfe die poli-tisch-okonomischen Probleme der Wiedervereinigung gelost werden sollten. Der THA fiel mit der Privatisierung der ehemals volkseigenen Betriebe die heikelste und mit den groBten Konflikten behaftete Aufgabe zu. Ihr Image als quasi-autonomes, von einem Vorstand geleitetes und damit in die Nahe privater Aktiengesellschaften geriicktes Untemehmen lieBen die THA als eigenstandigen Akteur erscheinen, der fiir die Bundesregierung wie ein „Problemzerstauber" (Czada 1995) oder „Schock-Absorber" (Busch 2004) wirken konnte. Ob diese Rollenzuweisung von Anfang geplant war, erscheint zweifelhaft. Allerdings erkannte die damalige Regierung sehr rasch, dass sich die okonomischen Grau-samkeiten wie BetriebsschlieBungen, -verkaufe und Arbeitsplatzabbau zumindest teilweise politikentlastend der THA zurechnen lieBen. Eine ahnliche Stinden-bock-Funktion hatte wenige Jahre spater das Bundesgesundheitsamt (BGA) zu tragen, eine selbstandige Bundesoberbehorde, die als Dach fiir zuletzt sechs Institute im Bereich des offentlichen Gesundheitswesens fungierte. Darunter befand sich das fiir die Arzneimittelkontrolle zustandige Institut, das zu Beginn der 1990er Jahre nur mit zeitlicher Verzogerung auf Verdachtsfalle reagiert hat­te, dass HIV-infiziertes Blutplasma zur Medikamentenherstellung verwendet worden war. Die daraus entstehende „HIV-Krise" setzte den verantwortlichen Minister Seehofer politisch so unter Druck, dass dieser 1993/94 zu einem sym-boltrachtigen Befreiungsschlag ausholte, der in der Auflosung des BGA in ein-zelne Bundesinstitute bestand (vgl. Dohler 2004: 159 ff.). In beiden Fallen ging es jeweils um Reaktionen auf singulare Ereignisse, die nicht von langerfristigen Entwicklungstrends angetrieben wurden und daher auch keine Beriihrungspunkte zum Agency-Konzept besitzen.

Die beiden folgenden Beispiele sind wiederum spezifisch sektoralen Ent-wicklungen zuzuordnen, zeigen aber auch, dass das Merkmal administrativer Unabhangigkeit eine zunehmende Rolle spielt. Beispielhaft daflir ist der Um-bruch der Finanzmarktregulierung, der in Deutschland Ende der 1980er Jahre einsetzte (vgl. dazu ausfuhrlich LUtz 2003). Insbesondere der Wertpapierhandel geriet durch Anforderungen der intemationalen Kapitalmarkte unter Druck, so

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dass das zuvor weitgehend auf der Selbstregulierung eines korporativen Verban-de- bzw. Akteurskartells beruhende deutsche Modell von einem amerikanischen Regulierungsmodell verdrangt wurde, welches auf der strikten staatlichen Uber-wachung von Transparenz- und Insidervorschriften beruht. Das Resultat dieser extemen Anpassungszwange, denen die um Marktanteile ftirchtenden deutschen GroBbanken lobbyistisch Nachdruck verliehen, war 1994 die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes flir den Wertpapierhandel (BAW), einer sektoralen Auf-sichtsbehorde, die 2002 mit den schon zuvor bestehenden Bundesaufsichtsam-tem flir das Versicherungs- bzw. Kreditwesen zur BaFin verschmolzen wurde (vgl. Liitz 2003: 154 f.). Hatte das BAW noch die Rechtsform einer typischen Bundesoberbehorde, wurde die BaFin als Anstalt des offentlichen Rechts errich-tet, um auBerhalb der engen Grenzen des Dienstrechts bzw. des BAT Personal rekrutieren zu konnen, was zunachst auf groBere Managerial-Autonomie hindeu-tet (naheres zur BaFin in Abschnitt 5).

Die administrative Neuordnung der Lebensmitteliiberwachung im Jahr 2002 war zwar ahnlich krisenverursacht wie die beiden ersten Beispiele, namlich als Ausfluss der BSE-Krise (vgl. Janning 2004: 422 ff.). Doch hier vermischten sich Internationale Entwicklungstrends mit bundesdeutschen Eigenheiten zu einer optionenkanalisierenden Vorgeschichte, die in einer bemerkenswerten, weil in dieser Form einzigartigen dualen Behordenstruktur miindete (vgl. dazu Boschen et al. 2002; Behringer 2004). Wahrend das Bundesinstitut flir Risikobewertung (BfR) als wissenschaftliche Beratungsinstanz flir das vorgesetzte Ministerium fungiert, ist das Bundesamt flir Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) flir die Koordination^ von RisikoabwehrmaBnahmen zustandig. Diese institutionelle Losung ist auf die Rezeption der intemationalen Debatte liber Risikoregulierung zurlickzuflihren, in der sich die prozedurale Trennung zwi-schen Risikobewertung und Risikomanagement durchgesetzt hat (vgl. Behringer 2004: 36 ff.), um auf diese Weise „Orientierungswissen von neutraler Stelle" (Henning 2005: 15) gegen protektionistisch motivierte Zugriffe der Politik ab-schirmen zu konnen. Der mit einem Reorganisationsgutachten beauftragte Bun-desrechnungshof folgte dieser Uberlegung und empfahl eine politisch unabhan-gige Beratungseinrichtung, nicht zuletzt auch, um damit EU-kompatible Behor-denstrukturen in der Lebensmittelsicherheit zu schaffen (vgl. Henning 2005: 13). Wahrend aber in der EU sowie in anderen EU-Staaten das Risikomanagement eine originar ministerielle Aufgabe darstellt, dlirfen Vollzugsaufgaben hierzulan-de nur im Ausnahmefall innerhalb eines Ministeriums angesiedelt werden (§ 4 Abs. 2 GGO). Eine Risikomanagement-Kompetenz flir das Verbraucherschutz-

^ „Koordination" bedeutet hier vor allem Abstimmung und Informationsaustausch mit den Bundes-landem, die fiir die Lebensmitteliiberwachung ebenso zustandig sind wie fiir etwaige MaBnahmen (Risikomanagement) gegeniiber Herstellem und Handel.

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ministerium ware aufgrund der Empfindlichkeiten der Lander kaum durchsetzbar gewesen. Um die Trennung zwischen Risikobewertung und -management an-satzweise zu retten, blieb also nur eine Aufteilung in zwei nachgeordnete Behor-den, die zudem als symboltrachtiger „Schlussstrich" unter die BSE-Krise an Plausibilitat gewann (vgl. Behringer 2004: 84). Fur das BVL als selbstandiger Bundesoberbehorde gilt die uneingeschrankte Rechts- wie auch Fachaufsicht, ohne dass dies im Gesetz Erwahnung finden muss. Diese hierarchischen Durch-griffskompetenzen werden - potenziell jedenfalls - durch die Beteiligung der Lander an zwei beratenden Ausschiissen des BVL (§ 2 Abs. 3 BVL-Gesetz) gemindert. Beim BfR sind demgegeniiber zwei Ausnahmen vorgesehen. Bei der Unterrichtung der Offentlichkeit Uber „Risiken gesundheitlicher Art" (§ 2 Abs. 1 Nr. 12 BfR-Gesetz) sowie „bei seinen wissenschaftlichen Bewertungen und Forschungen" (§ 2 Abs. 3 BfR-Gesetz) unterliegt das BfR ausdrlicklich nicht der Fach-, sondem nur der Rechtsaufsicht. Damit soil einerseits dem Argwohn vor-gebeugt werden, der Bund konne sich zu kurzfristig motivierten Interventionen in die verwaltungsinterne Meinungsbildung hinreiBen lassen. Andererseits ver-bleibt das politisch heiklere Risikomanagement unter ministerieller Kontrolle. Das Muster selektiver Autonomiegewahrung kann als typisch fiir den politischen Umgang mit Bundesbehorden betrachtet werden.

Aus diesen Beispielen lasst sich nicht nur die Vielschichtigkeit der Hand-lungsmotive ablesen, was hier vor allem als Argument gegen Agentur-Bildung als geplantem Prozess interpretiert wird, sondem es zeichnet sich auch die Ten-denz zu einer Entmischung der ehedem relativ klaren Rechtstypologie ab. Lange Zeit gait die Annahme, dass die verschiedenen Rechtsformen „mit unterschiedli-cher Steuerungsenergie" (Loeser 1994: 77) ausgestattet sind. Behorden der un-mittelbaren Bundesverwaltung weisen durch die Fachaufsicht die engste Bin-dung an das vorgesetzte Ministerium auf, Korperschaften und Anstalten verfugen durch die Beschrankung auf die Rechtsaufsicht bereits iiber eine groBere Distanz, die sich bei den beiden privatrechtlichen Typen noch verstarkt. Mit dieser „Ab-stufung der Einflussrechte" (Dreier 1991: 244) korrespondierte ein spezifisches Muster der Aufgabenzuweisung. Besonders bedeutsame, nicht selten als hoheit-lich gekennzeichnete Aufgaben waren in der Re gel der unmittelbaren Bundes­verwaltung vorbehalten, wohingegen Korperschaften und Anstalten fiir „im offentlichen Interesse liegende, aber staatsfremde Aufgaben" (Dreier 1991: 241) reserviert sein sollten, die auf gesellschaftlicher Teilhabe oder wissenschaftlicher Expertise basieren und durch ein dichtes ministerielles Kontrollregime eher be-hindert waren.

De facto verliert jedoch die Rechtsform zunehmend an Aussagekraft, da immer mehr Durchmischungen zu beobachten sind, wie etwa bei der Treuhand-anstalt, die - obgleich eine Anstalt offentlichen Rechts - sowohl der Rechts- wie