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Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

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Walter J. Koch

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GABLER EDITION WISSENSCHAFT

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Walter J. Koch

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Die strategische Logik der Integration

Deutscher Universitats-Verlag

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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1.AuflageOktober2006

Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006

Lektorat: Brigitte Siegel / Nicole Schweitzer

Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de

Das Werk einschliefJIich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbe-sondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften.

Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany

ISBN-10 3-8350-0538-3 ISBN-13 978-3-8350-0538-9

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Vorwort Welche KrSfte bestimmen die Entwicklung von Branchen und Industrien? Lasst sich hin-ter den Veranderungen und Restrukturierungen eine Logik aufzeigen, die sich bei An-wendung in unterschiedlichen Markten bewahrt und die ggf. auch eine Abschatzung zu-kunftiger Entwicklungen eriaubt? Diesen Fragen soli in diesem Buch nachgegangen wer-den.

Bei Verfolgung der Entwicklungen aus einer distanzierten Perspektive erschlieBt sich in der Tat eine strategische Logik, mit deren Hilfe sich das auf den ersten Blick ungeordnete Geschehen in seinen Grundzugen erklaren lasst. In Abhangigkeit von den Bedurfnissen der Kunden, moglichen Arten der Produktiosung zur Befriedlgung dieser Bedurfnisse, Kostenstrukturen, den Vorgaben des Gesetzgebers und den Interessen des Unterneh-mens ergibt sich ein Biotop fur das unternehmerische Handeln.

Aufgabe des Managements ist es, das Unternehmen an den sich standig andernden Rahmenbedingungen neu auszurichten. Hierbei wird sich herausstellen, dass eine gute Strategie weniger aus einer ..eigenen" Idee des Unternehmens geboren wird, sondern auf einer Erkenntnis und Befolgung der Gesetze des Biotops beruht.

Die Analyse der strategischen Logik beschrankt sich in diesem Kontext auf die vertikale Integration. Im Mittelpunkt steht die Frage, wieso bestimmte Wertschopfungsstufen einer Wertkette zusammen oder getrennt gemanagt werden. Das Thema hat mich seit meiner fruheren Tatigkeit als Berater in einem McKinsey Spin-off und auch in meiner jetzigen Position im Bereich Strategie bei der BASF beschaftigt.

Bei meiner Frau Natallia Koch mochte ich mich fur die vielen kleinen und groRen Tipps und vor alien Dingen fiir die groBe Geduld an ungezahlten Abendstunden und Wochen-enden bedanken. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

Walter Koch

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort V

Fallbeispiele XI

Abbildungsverzeichnis XVII

Einleitung 1

Aufbau des Buches 3

Teill: 5

1. Charakterisierung der vertikalen Integration 7 1.1 Wertschopfungskette 7 1.2 Konzept vertikale Integration 8 1.3 Richtungen vertikaler Integration 9 1.4 Tiefe vertikaler Integration 10 1.5 Intensitat vertikaler Integration 10 1.6 Ausmali vertikaler Integration 11 1.7 Vertikale Diversifikation 11

2. Strategische Motive der vertikalen Integration 13 2.1 Gewinnsteigerung bei vertikaler Integration 13 2.2 Sicherung des Marktzuganges 14 2.3 Differenzierung gegenuber dem Wettbewerb 16 2.4 Geheimhaltung von speziflschen Kompetenzen 16 2.5 Aufbau von Eintrittshurden 17 2.6 Senkung der Erbringungskosten 19 2.7 Senkung der Koordinationskosten 21 2.8 Begrenzung von Unsicherheit und Risiko 22 2.9 Internalisierung von Lerneffekten 23 2.10 Realisierung von Wachstumsperspektiven 24

3. Treiber der vertikalen Integration 26 3.1 Veranderung der Kostenstrukturen in Industrien 26 3.2 Technologiesprung der ProduktIosung 26 3.3 Entstehung eines neuen Marktes 28 3.4 Anderung der wettbewerbsrechtlichen Bedingungen 29 3.5 Entwicklungszyklus der Industrie 30

Teilll: 33

1. Wertschopfungskette Computer 35 1.1 Darstellung der Wertschopfungskette 35 1.2 Entkopplung bzw. Desintegration von Hard- und Software 36 1.3 Entkopplung von Produktion und Marketing 39 1.4 Eigenvermarktung der Komponenten-Hersteller 41

VII

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1.5 Strategische Analyse der Desintegration der Computerherstellung 42 1.6 Bundelung von Betriebssystem und Anwendungssoftware 45 1.7 Vertikale Integration von Fertigung und Einzelhandel 47 1.7.1 Verringerung der Vertriebskosten 48 1.7.2 Umstellung auf ein built to order-System 49

1.8 Zusammenfassung 51

2. Wertschopfungskette Mobilfunk 53 2.1 Darstellung der Wertschopfungskette 53 2.2 Entkopplung von Produktion und Marketing Endgerate 57 2.3 Entkopplung von Netzbetrieb, Vermarktung und Vertrieb 58 2.4 Vorintegration der Mobilfunkanbieter in die Vermarktung von Inhalten 60 2.5 Vertikaler Wettbewerb um die Vermarktung der Endgerate 64 2.6 Vereinnahmung der Softwareentwicklung durch die Mobilfunkanbieter 67 2.7 Zusammenfassung 68

3. Wertschopfungskette Automobile 70 3.1 Darstellung der Wertschopfungskette 70 3.2 Ursachen der Devertikalisierung der Leistungserstellung 73 3.2.1 Interne Realisierung von Grofienvorteilen 74 3.2.2 Herstellerubergreifende Realisierung von Grofienvorteilen 77 3.2.3 Kooperation mit Zulieferern und Aufbau von Netzwerken 79

3.3 Horizontale Integration der Endmontage 81 3.4 Besetzung der Wertschopfungsstufe Marketing 82 3.5 Vertikale Integration von Produktion und Finanzierung 85 3.6 Vertikale Integration von Einzelhandel und Wartung / Reparatur 87 3.7 Vertikale Integration von Produktion und Ersatzteilhandel 89 3.8 Zusammenfassung 90

4. Wertschopfungskette Privatkundengeschaft 92 4.1 Darstellung der Wertschopfungskette 92 4.2 Vertikale Integration von Aniage- und Kreditgeschaft 94 4.3 Dekonstruktion der Wertschopfungskette 96 4.3.1 Horizontale Integration des Zahlungsverkehrs 97 4.3.2 Abrechnung im Kreditkartengeschaft 98 4.3.3 Horizontale Integration der Wertpapierabwicklung 99

4.4 Vertikale Oder horizontale Besetzung der Finanzberatung 100 4.5 Strukturwandel im Fondsgeschaft 102 4.6 Zusammenfassung 107

5. Wertschopfungskette Pharmazeutika 108 5.1 Darstellung der Wertschopfungskette 108 5.2 Erganzung eigener Forschungsaktivitaten 110 5.3 Entflechtung von Pharma und Chemie 113 5.4 Partielle Fremdvergabe der Wirkstoffproduktion 115 5.5 Vermarktung als Kemkompetenz eines Pharmaunternehmens 117 5.6 Einflussnahme auf die Wertschopfungsstufe Therapie 120 5.7 Zusammenfassung 122

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6. Wertschdpfungskette Textilien 124 6.1 Darstellung der Wertschopfungskette 124 6.2 Entkopplung von Produktion und Marketing 126 6.3 Eigenvermarktung von Komponenten mit hoher Differenzierung 130 6.4 Vertikalisierung in der Textilindustrie 130 6.4.1 Verringerung des Risikos der Uberproduktion 132 6.4.2 Senkung der Kapitalkosten 133

6.5 Aufbau eines markenexklusiven Einzelhandels 134 6.6 Zusammenfassung 136

7. Wertschopfungskette Tourismus 137 7.1 Darstellung der Wertschopfungskette 137 7.2 Vertikale Integration von Veranstaltung und Einzelhandel 140 7.3 Vorintegration der Leistungstrager in den Einzelhandel 141 7.3.1 Billigflieger und Charterflieger mit Direktvermarktung 142 7.3.2 Verstarkung der Eigenvermarktung durch die Hotelketten 144

7.4 Integration der GDS-Anbieter in den Einzelhandel 145 7.5 Vertikale Integration derTourismuskonzerne 147 7.5.1 Verbesserung des Qualitatsmanagements 149 7.5.2 Sicherung attraktiver Infrastrukturen bzw. Kapazitaten 151 7.5.3 Optlmierung der Auslastung 151 7.5.4 Senkung der Transaktionskosten im Einkauf 153

7.6 Zusammenfassung 154

8. Wertschopfungskette Konsumguter 155 8.1 Darstellung der Wertschopfungskette 155 8.2 Entstehung der Produktmarke 156 8.3 Vertikale Integration von Produktion und Marketing 157 8.4 Entkopplung von Produktion und Marketing 160 8.5 Partielle vertikale Integration von Produktion und Einzelhandel 162 8.5.1 Senkung der Vertriebs- Oder Koordinationskosten 163 8.5.2 Differenzierung vom Wettbewerb 164 8.5.3 Sicherstellung des Marktzuganges 166 8.5.4 Lerneffekte durch eigenen Kundenkontakt 169

8.6 Vertikale Integration von Produktion und Servicegeschaft 169 8.7 Zusammenfassung 170

9. Wertschdpfungskette Einzelhandel 172 9.1 Darstellung der Wertschopfungskette 172 9.2 Fokussierung auf reine Handelsfunktionen 174 9.3 Delegation einzelner Prozessschritte an den Kunden 174 9.4 Abkopplung der Vertriebslnfrastruktur 176 9.5 Konzept der Kampagnenvermarktung 177 9.6 Horlzontale Integration des Einkaufs 178 9.7 Vertikale Integration von Marketing und Einzelhandel 179 9.7.1 Senkung der Beschaffungskosten 183 9.7.2 Differenzierung gegenuber dem Wettbewerb 184

9.8 Vorintegration der Einzelhandels in das Servicegeschaft 186 9.9 Zusammenfassung 187

IX

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10. Wertschopfungskette Spielfilm 189 10.1 Darstellungder Wertschopfungskette 189 10.2 Vertikale Integration von Stoffentwicklung und Produktion 194 10.3 Organisation des Rechtehandels 195 10.4 Wertschopfungsstufe der Filmstudios bzw. Medienunternehmen 198 10.4.1 Time Warner 199 10.4.2 Walt Disney 200 10.4.3 Viacom 201 10.4.4 Sony 201 10.4.5 Vivendi 202 10.4.6 News Corporation 202

10.5 Vertikale Integration von Produktion und Verwertung 202 10.5.1 VenA/ertung durch Kinoausstrahlung 204 10.5.2 Ven /ertung als Fernsehausstrahlung 205 10.5.3 Verwertung als Medium 205 10.5.4 Verwertung im Internet 206

lO.eZusammenfassung 207

11. Wertschopfungskette Videospiele 209 11.1 Darstellungder Wertschopfungskette 209 11.2 Vertikale Integration von Spielentwicklung und Konsolengeschaft 212 11.3 Vorintegration der Entwickler in die Direktvermarktung 215 11.4 Kombination von Filmproduktion und Videospielen 215 11.5Zusammenfassung 217

12. Wertschopfungskette Musik 218 12.1 Darstellung der Wertschopfungskette 218 12.2 Kombination von Hardware- und Musikgeschaft 221 12.3 Vorintegration der Kunstler in die Finanzierung 222 12.4 Ubernahme der Promotion durch TV-Sender 224 12.5 Entgeltliche Delegation der Newcomer-Selektion 225 12.6 Besetzung derZweitverwertung durch die Fernsehsender 227 12.7 Vertikale Integration von Musikgeschaft und Einzelhandel 228 12.8 Vertikale Integration von Hardware und Einzelhandel 229 12.9 Online-Einzelhandel als Marketingtool 231 12.10 Zusammenfassung 233

Tell III: 235

1. Zusammenfassung der Ergebnisse 237 1.1 Bedeutung der Motive und Treibervertikaler Integration 237 1.2 Grolienvorteile bei horizontaler Integration 237 1.3 Vemachlassigbare Relevanz der Koordinatlonskosten 238 1.4 Geringe Bedeutung der Erbringungskosten durch vertikale Integration 238 1.5 Bindung der Motive an bestimmte Wertschopfungsstufen 239

Literatur 241

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Fallbeispieie

Acer: Inkompatibilitat von Eigen- und Lohnfertigung 40

Adidas/Reebok: USA-Strategie mit eigenem Vertrieb 166

Adidas/Reebok: Duale Vertriebsstrategie 168

AOL: Eintritt in den Markt fur Mobilfunk 63

Apple: Kombination von Hard- und Software 38

Automobilindustrie: Entwicklungspartnerschaft bei der Hybridtechnologie 80

Avon: Direktvertrieb von Kosmetika 168

Backereien: Konzentration der Produktion 174

Bayer: Vertriebskooperation mit Schering-Plough 119

Baubranche: Vertikale Integration von Bau und Betrieb 28

Beiersdorf: Marketing mit Shop in Shop-System 165

Benetton: Produzent mit Franchisevertriebssystem 135

BenQ: Vorintegration in die Endgeratevermarktung 58

Biotechnologische AK-Produktion: Darstellung des Anbieterfeldes 116

Bosch: Anwendung des Shop in Shop-Systems 176

Boss: Vertriebsstrategie mit eigenen Filial 135

Carphone Warehouse: Reseller mit Filialnetz und Serviceangebot 59

Cinemaxx/Cinestar: Verhandlungsposition der Kinobetreiber 204

Commerzbank: Offnung des Fondsvertriebs 105

DaimlerChrysler: Angleichung der Fahrzeuge 76

debitel: Vorintegration in den Vertrieb von Sportnachrichten 62

Dell: Direktvertrieb von Computern 47

Dell: Built to order-Produktion von Computern 50

Disney: Videogeschaft mit Zeichentrickfilmen 206

Disney: Einstieg in den Markt fur Videospiele 216

Druckermarkt: Kombination von Drucker- und Tonergeschaft 170

XI

Page 12: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

DWP Bank: Marktfuhrer fur Wertpapierabwicklung 100

Einsturzende Neubauten: Finanzierung der Aufnahme 224

Electronic Arts: Direktvermarktung im Internet 215

EM.TV: Integration von Koproduktion und Rechtehandel 197

E-plus: Differenzierung der Vertriebsaktivitaten 59

Esprit: Onlineverkauf als Marktforschung 169

ETB/XchangIng: Angebot fur Wertpapierabwicklung 100

Expedia: Erstes Internetrelseburo 141

Fiat: Extension der Marke in Llfestyle-Sortimente 84

Fidelity Investments: Vertrieb der Fonds durch Retail Banken 106

Ford: Serielle Endmontage 72

General Electric: Matsushita als Zulieferer fur Mikrowellen 162

General Motors: Steigerung der Auslastung im Presswerk 78

General Motors: Erhohung der Stuckmenge pro Plattform 76

Genossenschaftsbanken: Auslagerung des Zahlungsverkehrs 98

geobra Brandstatter: Verkauf von Playmobil in den USA 167

Grundig: Selbstverstandnis der Marke Grundig als Produzent 161

HD Net Films: VenA/ertung des Filmes Bubble 193

H&M: Markenanbieter ohne eigene Herstellung 128

HTC: Handy-Lohnherstellung fur Mobilfunkbetreiber 67

HypoVerelnsbank: Auslagerung der Wertpapierabwicklung 100

Infraserv: Standortmanagement Industriepark Hoechst 114

Intercontinental: Eigenvermarktung der Kapazitaten 145

Intel: Aufbau eines Ingredient Brand 41

JC Penney: Eigene ProduktentwIcklung 185

Karmann: Ubernahme der Endmontage 81

KarstadtQuelle: Auslagerung des Einkaufs 179

Kirch-Mediengruppe: Vorintegration in die Verwertung 196

XII

Page 13: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Lego: Ausgabe des Prinzips Made in Denmark 161

LidI: Expansion nach Schweden 181

L'Oreal: Ubernahme von The Body Shop 182

iVIagna Steyr: Ubernahme der Endmontage 81

Marvel: Vorintegration in die Filmproduktion 195

Medion: Einstieg in das Musikgeschaft 230

Medion: Horizontal orientierter Einkaufsdienstleister 178

Microsoft: Integration in die Spieleentwicklung 213

Microsoft: Werbung in Videospielen 214

Millennium Pharmaceuticals: Vorintegration in die Vermarktung 112

MLP: Etablierung als unabhangiger Finanzberater 102

Mobllfunk: Darstellung des Anbieterfeldes 57

Mobiltelefone: Darstellung des Anbieterfeldes 55

Monarchy/Regency: Beteiligung an Puma 194

Motorola: Selbstverstandnis als Dienstleister fur Mobilfunkanbieter 69

MySpace: Marktplatz fur Kunstler 232

Napster: Tauschborse fur MP3-Musikfiles 220

Netzindustrien: Vermeidung von Marktmacht durch Regulierung 29

New Balance: Vertragsbruch des Lohnproduzenten 129

No Angels: Musikband aus der Retorte 225

Nokia: Positionierung als Multimediaunternehmen 65

Norddeutsche Affinerie: Kontrolle des Materialflusses 25

Norddeutsche Affinerie: Eigene Energieversorgung 19

Nordsee: Einzelhandel und Gastronomieangebot 187

02: Kooperation imVertrieb mitTchibo 58

02: Vorintegration in den Musikvertrieb 61

Pharmabranche: Entflechtung von der chemischen Industrie 113

XIII

Page 14: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Photobranche: Restrukturierung durch Technologiesprung 27

Porsche: Ausbau des Brand-Lizenzgeschaftes 84

Porsche: Kooperation mit VW 77

Porsche: Verkauf des Spezialzulieferers CTS 77

Postbank: Kapitalertrage im Aniagegeschaft 94

Postbank: Anbieter von Zahlungsverkehrsdienstleistungen 97

Potato: Gestaffelte Vertriebsstrategie 233

Profifudball: Schutz der Entwicklungsleistung 30

Puma: Qualitatskontrolle der externen Produktion 129

Puma: Stores als Schaufenster der Marke 165

Real Networks: Einstieg in Promotion und Einzelhandel 229

Research in motion: Einfuhrung des Blackberry 56

RTL: Start der Sendereihe DSDS 226

SAIC: Vorlntegration in die Eigenvermarktung 82

SAP: Beratungs- und Serviceangebot 23

Sparkassen: Auslagerung des Zahlungsverkehrs 98

Sparkassen: Bundeiung des Fondsgeschaftes in der Deka 105

Spielfilme: Produktion in Deutschland 189

Spielfilme: Online-VenA^ertung 206

Soda-Club: Eintrittshurden in das Servicegeschaft 18

Stihl: Sicherstellung der Versorgung 23

Tchibo: Stehkaffeebetreiber und Universalhandler 177

Thomas Cook: Aufgabedes Modells der vertikalen Integration 153

Toshiba: Auslagerung der Produktion 39

Toten Hosen: Einstieg in die Eigenvermarktung 223

Toyota: Kooperation mit PSA und Citroen 77

TUI: Das Beispiel des vertikal integrierten Tourismuskonzerns 148

Tyson Foods: Vorintegration in die Veredelung 24

XIV

Page 15: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Ufa: Eintritt in den Markt fur mobile Fernsehserien 63

Villeroy & Boch: Neue Vertriebsstrategie 164

Volkswagen: Plattformstrategie zur Realisierung von Groftenvorteilen 75

Volkswagen: Vorintegration in die Finanzierung 85

VoHA/erk: Direktvertrieb von Staubsaugem 167

Whirlpool: Beteiligung an Absatzmittlern 15

W. L. Gore: Ingredient Branding der Gore-Text Technologie 130

WMF: Differenzierung durch elgene Geschafte 166

Zara: Markenanbleter mit eigener Herstellung 133

XV

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Wertschopfungskette nach M. Porter zur Analyse der Geschaftsaktivitaten eines Unternehmens 7

Abbildung 2: Abbildung der generischen Wertschopfungskette 8

Abbildung 3: Anbietermodelle bei einheitlich horizontaler oder vertikaler Integration 9

Abbildung 4: Gegenuberstellung eines teilweise vertikalen und horizontalen Integrationsmusters mit dem Modell der vertikalen Diversifikation 12

Abbildung 5: Bestinnmungsfaktoren des Gewinnes und Klassifikation derdirekten Motive vertikaler Integration 13

Abbildung 6: Exemplarische Wertschopfungskette der Kupfererzeu-gung- und Verarbeitung mit Abdeckung der Wert-schopfungsstufen durch die Norddeutsche Affinerie 25

Abbildung 7: Besetzung der Wertschopfungskette fur Photographie

bei klassischer Photographie und Digitalisierung 27

Abbildung 8: Abdeckung der Wertschopfungskette der Computerindustrie 35

Abbildung 9: Exemplarische Abdeckung der Wertschopfungskette der Computerindustrie durch fuhrende Anbieter 40

Abbildung 10:Verteilung von Umsatz und Gewinn in der Wert­schopfungskette fijr Computer in relativen Anteilen 44

Abbildung 11: Exemplarischer Vergleich der Gewinn und Vertustrechnung fur einen Computer-Produzenten mit Vertrieb uber den unabhangigen Einzelhandel (oben) und mit Direktvertrieb 49

Abbildung 12: Wertschopfungskette fur Mobilfunkdienstleistungen und Abdeckung durch dominante Anbietermodelle 54

Abbildung 13: Exemplarische Darstellung der Wertschopfungskette fur Mobilfunk und Abdeckung durch Netzbetreiber und Mobilfunkanbieter in Deutschland 60

Abbildung 14: Versuch der Vereinnahmung der Wertschopfungs-stufe Vermarktung der Endgerate durch verschiedene Teilnehmer im Mobilfunkmarkt 64

Abbildung 15: Wertschopfungskette und Anbietermodelle fur die Produk-ktion von Automobilen im Bereich der Leistungserstellung 70

Abbildung 16: Realisierung von Groflenvorteilen der Produktion durch modellubergreifende oderanbieterubergreifende Vereinheitlichung von Wertschopfungsstufen 74

XVII

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Abbildung 17: Abbildung 18: Entwicklung des Anteils an der Gesamtwertschopfung zwischen Automobilproduzent (OEM) und Zulieferer, 1980-2015 78

Abbildung 18: Darstellung der Wertschopfungskette der Automobil-industrie mit exemplarischer Abdeckung durch fuhrende Anbieter 83

Abbildung 19: Wertschopfungskette der Automobilindustrie mit Fokus auf die Leistungsverwertung und Abdeckung durch typische Anbietermodelle 88

Abbildung 20: Anteile der Wertschopfungsstufen am Gesamtumsatz und am Gesamtgewinn innerhalb der Automobilindustrie 90

Abbildung 21: Wertschopfungskette und Anbietermodelle im Privat-kundengeschaft 93

Abbildung 22: Versuch der Vereinnahmung der Wertschopfungsstufe Beratung 101

Abbildung 23: Wertschopfungskette und Anbietermodelle im Fondsgeschaft 103

Abbildung 24: Wertschopfungskette und exemplarische Anbieter­modelle im deutschen Privatkundengeschaft 104

Abbildung 25: Wertschopfungskette der Pharmabranche mit Abdeckung durch verschiedene Anbietermodelle 108

Abbildung 26: Exemplarische Darstellung der Wertschopfungs­kette der pharmazeutlschen Industrie mit Abdeckung dereinzelnen Stufen durch relevante Anbieter 118

Abbildung 27: Versuch der Vereinnahmung und EInflussnahme auf die Wertschopfungsstufe Therapie durch verschiedene Stakeholder 121

Abbildung 28: Wertschopfungskette und Anbietermodelle der Mode-bzw. der Textilbranche 124

Abbildung 29: Exemplarische Abdeckung der Wertschopfungskette der Textilindustrie durch fuhrende Anbieter 126

Abbildung 30: Wertschopfungskette der Reisebranche und Geschaftsmodellederverschiedenen Anbieterformen 137

Abbildung 31: Besetzung der Wertschopfungsstufe Einzelhandel durch Veranstalter, GDS-Anbieter, Leistungstrager und Branchenfremde 142

Abbildung 32: Wertschopfungskette der Reisebranche und Integrationsgrad derfuhrenden Tourismuskonzerne 148

XVIII

Page 18: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 33: Verteilung von Umsatz und Gewinn bei einer Pauschalreise bezogen auf die Wertschopfungskette furTourismus in relativen Anteilen 149

Abbildung 34: Wertschopfungskette der Produktion und des Einzelhandels von Konsumgutern mit Abdeckung durch relevante Anbietermodelle 155

Abbildung 35: Wertschopfungskette des Einzelhandels von Konsumgutern mit exemplarischer Abdeckung durch fuhrende Markenproduzenten 159

Abbildung 36: Wertschopfungskette des Einzelhandels von Konsumgutern mit Abdeckung durch relevante Anbietermodelle 172

Abbildung 37: Vergleich des Deckungsbeitrags des Einzelhandels bei Verkauf einer Hersteller- Oder einer Handelsmarke 184

Abbildung 38: Exemplarische Darstellung der Wertschopfungskette der Filmbranche und Abdeckung durch dominante Anbietermodelle 190

Abbildung 39: Wertschopfungskette der Filmbranche (Spielfilme) und Abdeckung durch fuhrende Filmstudios/ Medien-konzerne 199

Abbildung 40: Wertschopfungskette fur die Entwicklung und Ver-marktung von Spielekonsolen und die pragenden Anbietermodelle 210

Abbildung 41: Wertschopfungskette fur die Entwicklung und Vermarktung von Spielekonsolen und Abdeckung durch die fuhrenden Konsolenanbieter 213

Abbildung 42: Wertschopfungskette der Musikindustrie mit verschiedenen Anbietermodellen 218

Abbildung 43:Besetzung der Wertschopfungskette Einzelhandel durch verschiedenen Spieler der Wertschopfungskette und Branchenfremde 228

Abbildung 44: Kostenposition und Umsatzrendite im Musikeinzel-handel beim Verkauf von Tontragern (CD) und dem Download und Musikfiles 231

Abbildung 45: Bedeutung der Motive vertikaler Integration in Bezug auf die primaren Stufen der generischen Wertschop­fungskette 239

XIX

Page 19: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Einleitung Der Ablauf von der originaren Konzeption bis zum Verkauf eines Produktes an den priva-ten Endverbraucher wird durch das Modell der Wertschopfungskette vorgezeichnet, wel-che eine stufenweise Abfolge der Leistungsschritte darstellt. Die primaren Stufen der ge-nerischen Wertschopfungskette sind Forschung & Entwicklung, Produktion, Logistik, Mar­keting, Grofl- und Einzelhandel und abschlieHend der Kundendienst. Davon abgegrenzt sind die sekundaren oder unterstutzenden Wertschopfungsstufen bzw. Randfunktionen, wie z. B. die Infornnationsverarbeitung und Infrastrukturdienstleistungen. Eine vertikale Integration liegt vor, wenn mehrere primare Stufen der Wertschopfungsket­te von einem Unternehmen unter Umgehung des Marktes intern ausgefiihrt werden. Die Anzahl der besetzten Wertschopfungsstufen bestimmt die Wertschopfungstiefe eines Un-ternehmens. Der Schwerpunkt der strategischen Debatte zum Thema Wertschopfungstie­fe (Oursourcing, Offshoring) seit Beginn der 90er Jahre hat sich - mit Ausnahme der Pro­duktion - der zunehnfienden Auslagerung der sekundaren Wertschopfungsstufen zuge-wandt.

Die Erklarungsansatze fur die Auslagerung der sekundaren Stufen stellen die GroRen-bzw. Kostenvorteile bei Konsolidierung und horizontaler Integration einer Wertschop-fungsstufe in den Vordergrund. Groflenvorteile beschreiben u.a. die sinkenden Stuckkos-ten bei steigendem Volumen durch Verteilung der Fixkosten auf eine hohere Stuckmen-ge. Als zweite Erklarung wird auf die abnehmende Bedeutung der Transaktionskosten verwiesen. Transaktionskosten umschreiben den Aufwand, der fur die Abstimmung der intern erbrachten Wertschopfung mit den Leistungen des Marktes erforderlich ist: Je ge-ringer die Transaktionskosten ausfallen, desto hoher ist die Disposition eines Unterneh-mens, einzelne Aktivitaten durch den Markt erbringen zu lassen. Die Reduzierung der Transaktionskosten wird auf die Informationstechnologie zuruckgefuhrt, durch deren Ent­wicklung die Schnittstellen zwischen Markt und Hierarchie mit einem ungleich geringeren Aufwand gemanagt werden konnen. Bel Ubertragung der Erklarungsmuster fur die Restrukturierung der sekundaren Stufen wird auch die vertikale Integration der primaren Stufen in vielen Fallen als nicht mehr zeitgemali eingestuft und unter dem Schlagwort der Dekonstruktion eine weitergehende Devertikalisierung vorausgesagt. In diesem Buch werden in Abgrenzung zu den sekundaren Aktivitaten die Motive der ver-tikalen Integration fur die primaren Wertschopfungsstufen thematisiert. Die Methodik ba-siert auf einer empirischen Beschreibung der Entwicklung von Integrationsmustern. Das Integrationsmuster von zentralen Industrien bzw. Branchen wird analysiert und im Rtick-blick der letzten Jahrzehnte versucht, die Logik der Reorganisation der Wertschopfungs­kette zu rekonstruieren. Hierbei wird sich im Unterschied zu den sekundaren Wertschopfungsstufen herausstel-len, dass grundsatzlich nicht von einer einheitlichen Ursachenstruktur und dementspre-chend auch nicht von einem ubergreifenden Erklarungsmodell ausgegangen werden kann. Groflenvorteile bei horizontaler Integration haben in erster Linie im Berelch der

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Produktion zu einem vermehrten Aufbrechen vertikaler Anbietermodelle gefuhrt. In Bezug auf die nicht-produktionszentrierten primaren Wertschopfungsstufen wird die Entwicklung hingegen von anderen, prinnar strategischen Uberlegungen bestimmt. Die Bedeutung der Optimierung von Transaktionskosten erweist sich als begrenzt. Die Anwendung einer strategischen Logik favorisiert in vielen Fallen eine vertikale Kons-tellation: Durch die Verkettung zweier Wertschopfungsstufen kann der gezielte Aufbau kunstlicher Eintrittshijrden vorbereitet und der Wettbewerb begrenzt werden. Die Einbe-ziehung von Forschung, Entwicklung und Marketing verfolgt in vielen Fallen eine Diffe-renzierung vom Wettbewerb. Eine Vorintegration in den Einzelhandel bedingt die Sicher-stellung des Marktzuganges Oder die Starkung der Marke.

Hinsichtlich der Integration einiger Stufen hat sich zudem der Schwerpunkt der Integration von einer vollstandig vertikalen zu einer partiell vertikalen Integration verschoben, bei der ein Unternehmen einen Tell der Aktivitaten mit internen Kapazitaten, den anderen Teil unter Nutzung des Marktes ausfuhrt. Den internen und externen Aktivitaten konnen hler-bei unterschiedliche Funktionen zukommen, die uber eine reine Flexibilisierung der Struk-turen hinausgeht.

Page 21: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Aufbau des Buches Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werden die Motive und Treiber der verti-kalen Integration dargelegt. Hierbei wird zwischen direkten Motiven, die unmittelbar an den Bestimmungsfaktoren des Gewinnes ansetzen, und den indirekten Motiven differen-ziert. Die direkten Motive konnen wiederum in zwei Kategorien unterteilt werden. Der ers-te Teil der direkten Motive adressiert durch Referenz auf Menge oder Preis die Umsatz-seite und umfasst die Sicherung des Marktzuganges, die Differenzierung des Angebotes und den Aufbau von Elntrittshiirden. Der zweite Teil der direkten Motive bezieht sich auf die Kostenseite und adressiert die Erbringungs- und Koordinationskosten. Die indirekten Motive sind durch die Begrenzung von Unsicherheit und Risiko, die Internalisierung von Lerneffekten und die Realisierung von Wachstunnsperspektiven eingegrenzt. Die Motive werden von den Treibern der vertikalen Integration unterschieden, womit Rahmenbedingungen thematisiert sind, die von den Unternehmen nicht bzw. nur kaum beeinflusst werden konnen. Hierunter fallen die Veranderung der Kostenstruktur, ein Technologiesprung der Produktiosung, die Entstehung eines neuen Marktes, eine Ande-rung der wettbewerbsrechtlichen Bedingungen und der Entwicklungszyklus einer Indust­rie Oder Branche. Durch den ersten Teil werden die begriffllchen Kategorien zur Analyse der Wertschopfungsketten im zweiten Teil vorbereitet.

Der zweite und langste Teil des Buches leistet eine Analyse von exemplarischen Wert­schopfungsketten. Im Detail wird zunachst auf die technisch gepragten Wertschopfungs­ketten fur Computer, Mobllfunk und Automobile eingegangen. Die Finanz- und Gesund-heitsbranche sind durch das Privatkundengeschaft (Retail Banking) und pharmazeutische Produkte einbezogen. Nach Darlegung der Wertschopfungskette fur Textilien und Tou-rismus wird auf Konsumguter ubergeleitet. Der Einzelhandel stellt formal eine Stufe in der Wertschopfungskette fur Konsumguter dar, wird aufgrund seiner zentralen Mittlerrolle zwischen Angebot und Nachfrage jedoch gesondert thematisiert. Die Medienbranche ist mit der Analyse der Wertschopfungsketten fur Spielfilme, Videospiele und Musik repra-sentlert. Die Analyse der einzelnen Wertschopfungsketten folgt einem einheitlichen Schema. Nach Beschreibung der einzelnen Stufen wird das vertikale Integrationsmuster der beteiligten Unternehmen charakterislert. In diesem Schritt wird versucht, die strategische Logik der vertikalen Orientierung und die Ursachen der Integrationsmuster in der jeweiligen Wert­schopfungskette freizulegen. Durch eine an konkreten Fallbeispielen von Unternehmen orientierte Vorgehensweise wird versucht, die vertikale Integration aus einer rein theoreti-schen Thematisierung zu losen und dem Leser eine hohe Anschaulichkeit der Entwick-lung zu bieten. Im dritten Teil werden die Ergebnisse des zweiten Teils zusammengefasst. Hierbei wird versucht, zu einer ubergreifenden Beurteilung der Motive einer vertikalen Integration zu gelangen.

Page 22: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Teil I:

Das Konzept der vertikalen Integration

Page 23: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

1. Charakterisierung der vertikalen Integration

1.1 Wertschopfungskette

Die Wertschopfungskette beschreibt den Prozess der Schaffung von Mehrwert durch Be-

arbeitung. Durch Analyse der Kette werden die einzelnen Wertschopfungsstufen freige-

legt, mit denen qualltativ unterschiedliche Arten der Wertschopfung voneinander abge-

grenzt werden. Entgegen einer funktionellen oder struktureilen Betrachtung des Produkti-

onsprozesses liegt der Schwerpunkt der Wertschopfungskettenanalyse auf der Generie-

rung von Werten.

M. Porter nutzt die Stufen zur Charakterisierung des vertikalen Integrationsgrades von

Unternehmen und unterteilt in primare und unterstutzende Aktivitaten: Zu den primaren

Aktivitaten zahlen Eingangslogistik, Operationen, Ausgangslogistik, Marketing, Vertrieb

und Kundendienst; die unterstutzenden Aktivitaten sind Unternehmensstruktur, Perso-

nalwirtschaft, Technologleentwicklung und Beschaffung (Abbildung 1).

Unter­stutzende •{ Aktivitaten

Unternehmensstruktur

Personalwirtschaft

Technoiogieentwicklung

Beschaffung

Eingangs­logistik

Opera­tionen

Ausgangs­logistik

Marketing & Vertrieb

Primare Aktivitaten

Abbildung 1: Schematische Darstellung einer Wertschopfungskette nach M. Porter zur Analyse der Geschaftsaktivitaten eines Unternehmens

Bei Thematisierung der vertikalen Integration einer gesamten Wertschopfungskette, im

Gegensatz zur Analyse der Wertschopfungstiefe eines Unternehmens, bietet es sich an,

die Kette generisch fur jede Branche in Forschung & Entwicklung, Produktion Vorstufe

und Endprodukt, Logistik, Marketing, Grolihandel, Einzelhandel und Kundenservice ein-

zuteilen. Die Abfolge umfasst die strukturell erforderlichen Schritte bis zum abschlieRen-

M. Porter, Wettbewerbsvorteile, Frankfurt/Main 2000, S. 66fg. Vgl. auch G. MiJller-Stevens, C. Lechner, Strategisches Management, Stuttgart 2001, S. 287fg.

Page 24: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

den Verkauf eines Produktes: Am Anfang steht die Konzeption und Entwicklung neuer Produkte, fur deren Herstellung verschiedene Komponenten beschafft werden.^ Nach Produktion des Gutes erfolgt die Vermarktung und schlieBlich der Verkauf durch den Grod- und Einzelhandel. Zur Uberbruckung raumlicher Distanzen miissen verschiedene logistische Schritte unternommen werden (Abbildung 2).

Abbildung 2: Darstellung einer generischen Wertschopfungskette

Obergreifend werden die Wertschopfungsstufen von Forschung & Entwicklung bis ein-schlielilich der Logistik auch unter der Leistungserstellung, diejenigen von Marketing bis Kundendienst unter der Leistungsverwertung zusammengefasst.

Bezuglich der Darstellung der Wertschopfungskette sollte angemerkt werden, dass die Abfolge der Stufen nicht notwendigerweise der tatsachlichen zeitlichen Ausfuhrung ent-spricht. A. Suter verweist darauf, dass in einigen Industrien signifikante Prozessoptimle-rungen erreicht worden sind, indem schematisch „nachgelagerte" zeitlich vor Abarbeitung der fruheren Stufen ausgefuhrt werden. Zur entsprechenden Darstellung der zeitlichen Abfolge wird die lineare Darstellung der Wertschopfungskette mit einem ..Kaskadenmo-dell" kontrastiert, bei dem der zeitliche Ablauf von links nach rechts und die Wertschop-fungstiefe bzw. der Ablauf vertikal dargestellt ist.^

1.2 Konzept vertikale Integration Das Konzept der vertikalen Integration bezieht sich auf das Modell der Wertschopfungs­

kette und charakterisiert die betriebswirtschaftliche Organisation der Stufen. Eine vertika­

le Integration liegt vor, wenn zwei Oder mehrere Wertschopfungsstufen gemeinsam ge-

managt werden und insofern eine unternehmerische Einheit darstellen. Die vertikale In­

tegration ist von der horizontalen Integration zu unterscheiden, bei der es sich urn eine

Verbindung von Wertschopfungsstufen mit qualitativ identischer Wertschopfung handelt.

Eine Wertschopfungskette kann prinzipiell vertikal Oder horizontal integriert sein. Die

Auspragung der vertikalen Integration signalisiert, welcher Anteil der Unternehmen zwei

Oder mehr Wertschopfungsstufen besetzt und damit eine mittlere und hohe Wertschop-

fungstiefe aufweist. Das Ausmafi der horizontalen Integration beschreibt hingegen die

Konzentration der Unternehmen, deren Aktivitat auf eine Stufe der Wertschopfungskette

begrenzt ist. Bei Dominanz der vertikalen (horizontalen) Integration kann in bezug auf die

Die Detaillierung der Wertschopfungskette in einzelne Stufen kann je nach Zielsetzung der Analyse ange-passt werden. Hierbei wird entweder eine Stufe in Teilstufen zeriegt, weggelassen oder eine Erganzung vorgenommen. So kann es z. B. im Bereich der Leistungsverwertung sinnvoll sein, die Stufen Finanzierung und Gebrauchthandel einzubeziehen. ^ Vgl. A. Suter, Die Wertschopfungsmaschine, Zurich 2004, S. 141.

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ubergeordnete Perspektive von der vertikalen (horizontalen) Organisation einer Wert-

schopfungskette gesprochen werden (Abbildung 3).

Abblldung 3: Anbietermodelle bei einheitlich horizontaler oder vertikaler Integ­ration der Wertschopfungskette

Die in Reinkultur dargestellte Aufsteliung der horizontalen und vertikalen Organisation ei­ner Wertschopfungskette ist im Lehrbuch hilfreich, entspricht jedoch nur in seltenen Fal­len den realen Verhaltnissen. Auch wenn klare Trends der Integration vorherrschen, sind in den meisten Fallen beide Modelle vertreten. Entweder haben sich fiir die Leistungser-stellung und die Leistungsverwertung unterschiedliche Aufstellungen und Geschaftsmo-delle herauskristallisiert, Oder einzelne Wertschopfungsstufen werden sowohl durch hori­zontal, als auch vertikal orientierte Anbieter abgedeckt. Fijr eine weitere Definition des Begriffes der vertikalen Integration wird zwischen der Richtung (Abschnitt 1.3), derTiefe (Abschnitt 1.4), der Intensitat (Abschnitt 1.5) und dem Ausmad der vertikalen Integration unterschieden (Abschnitt 1.6). Ferner wird eine Ab-grenzung zur vertikalen Diversifikation vorgenommen (Abschnitt 1.7).

1.3 Richtungen vertikaler Integration Fur ein Unternehmen, das seine Geschaftsaktivitaten innerhalb einer Wertschopfungsket­

te ausdehnt, wird hinsichtlich der Richtung der Ausdehnung unterschieden: Im Falle der

Einbeziehung von Wertschopfungsstufen, die der bisherigen Wertschopfung nachgelagert

und damit „naher" am Endkunden liegen, handelt es sich um eine Vorintegration. Im Falle

der Einbeziehung von Wertschopfungsstufen, die der bisherigen Wertschopfung vorgela-

Page 26: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

gert und damit „weiter entfernt" vom Endkunden stehen, liegt eine Ruckintegration vor.'* In

beiden Fallen kann von der Vereinnahmung von Wertschdpfung gesprochen werden, da

eine bisher durch den Markt erbrachte Leistung internalisiert wird. Der Verzicht auf Eigen-

leistung bzw. die Externalisierung von Wertschopfung wird als Fremdvergabe (Outsour­

cing) bezeichnet.^

Hierbei konnen die integrierten Wertschopfungsstufen aneinander angrenzen Oder durch

eine oder mehrere Wertschopfungsstufen voneinander getrennt sein. Das gemeinsame

Management von angrenzenden Wertschopfungsstufen reprasentiert das Standardbei-

spiel einer vertikalen Integration. Das Geschaftsmodell eines Unternehmens mit Aktivita-

ten in Wertschopfungsstufen, die nicht unmittelbar aufeinander folgen, wird als „0r-

chestrator" bezelchnet und verweist auf die hohe Koordinationsleistung innerhalb der

Wertschdpfungskette. Mit der Fokussierung einiger Unternehmen auf Forschung, Ent-

wicklung und Marketing (nach Fremdvergabe der Produktion) hat diese Art der vertikalen

Integration in den 80er und 90er Jahren stark zugenommen.^

1.4 Tiefe vertikaler Integration

Die Wertschopfungstiefe der vertikalen Integration bezieht sich auf die Anzahl der Wert­schopfungsstufen, die von einem Unternehmen abgedeckt werden. Falls ein Unterneh­men zwel Stufen eigenstandig ausfiihrt, also z. B. ein Lohnproduzent auch die Wert-schopfungsstufe Forschung & Entwicklung abdeckt, kann von einer vertikalen Integration mit mittlerer Wertschopfungstiefe gesprochen werden. Entwickelt sich der Lohnproduzent hingegen zu einem Markenanbieter mit eigenem Logo und Vermarktungskonzept und baut einen eigenen Einzelhandel auf, liegt eine hohe Wertschopfungstiefe vor. Mit zu-nehmender Wertschopfungstiefe steigt pauschal die Planungssicherheit fur den gesam-ten Informations- und Materialfluss, da alle Systeme und SteuerungsgrdUen leichter ver-einheitlicht werden konnen. Aufgrund limitierter Flexibilitat und hoher Anfalligkeit gegen-ijber Veranderungen des Branchenumfeldes und des Marktes ist die Wertschopfungstiefe jedoch In den meisten Fallen auf zwel bis vier Stufen begrenzt.

1.5 intensitat vertikaler Integration

Vertikale Integration liegt vor, wenn zwei Oder mehrere Stufen innerhalb einer Wertschdp­

fungskette gemelnsam gemanagt werden. Im engeren Sinne wird das gemeinsame Ma­

nagement gesellschaftsrechtlich konkretisiert und so verstanden, dass die AktIvitaten bei-

der Stufen In einem Unternehmen ausgefuhrt werden. Eine weniger eng gefasste Defini­

tion orientiert sich an der eigentumsrechtlichen Verbindung der Wertschdpfungsstufen.

Demgemass ist es fur das Vorliegen einer vertikalen Integration hinreichend, wenn beide

^ Im Englischen wird im von „upstream" oder „downstream"-Aktivitaten gesprochen. Fur die Charal^terisie-rung einiger Wertschopfungsketten, wie z. B. der Mineralolindustrie, wird standardmaliig mit diesen Begrif-fen operiert. ^ Zum Thema Outsourcing vgl. M. F. Greaver, Strategic Outsourcing, New York 1999. ^ Vgl. D. Heuskel, Wettbewerb jenseits von Industriegrenzen, Frankfurt 1999, S. 64fg.

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Page 27: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Stufen - unabhangig von ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur - einer einheitlichen Ei-

gentumsstruktur unterliegen.

Die vertikale Integration bzw. interne Erbringung vor- und nachgelagerter Wertschop-

fungsstufen wird gegenuber der Fremderbringung durch den Markt abgegrenzt. Zwischen

den Optionen Eigenleistung und Fremderbringung gibt es eine Vielfalt von Ubergangszu-

standen bzw. Formen der kooperativen Zusammenarbeit, bei denen die einbezogenen

Wertschopfungsstufen von unterschiedlichen Unternehmen ausgefuhrt werden, die auf

Basis vertragiicher Vereinbarungen ein abgestimmtes Management anstreben. Beide Un­

ternehmen verfolgen hierbei noch ihre eigenen Gewinninteressen, haben ihr unternehme-

risches Handein jedoch bezuglich des Gegenstandes der Kooperation punktuell aufein-

ander abgestimmt, so dass sich beiden Parteien Vorteile bieten.

Im Rahmen dieses Buches werden die Formen der kooperativen Zusammenarbeit zwi­

schen Eigenleistung und Markt nicht thematisiert, sondern auf die vertikale Integration fo-

kussiert. Die zugrunde gelegte Definition der vertikalen Integration orientiert sich an der

eigentumsrechtlichen, nicht an der gesellschaftsrechtlichen Verbindung der Wertschop­

fungsstufen. Hierbei sind Falle einbezogen, in denen eine gemischte Eigentumsstruktur

vorliegt, z. B. als strategische Beteiligung.^ Fur das Vorliegen einer vertikalen Integration

ist letztlich entscheidend, dass der gemeinsame Gewinn der Stufen Ansatzpunkt der un-

ternehmerischen und strategischen Uberlegungen Ist und „Eigeninteressen" der Geschaf-

te zurucktreten. Dies erfordert eine einheitliche Eigentumsstruktur, setzt jedoch keine ge-

sellschaftsrechtliche Integration voraus.

1.6 Ausmad vertikaier Integration Das Ausmad vertikaier Integration beschreibt den Anteil der Wertschopfung einer Stufe, der von einem Unternehmen eigenstandig ausgefuhrt wird. Der Standardfall ist durch eine vollstandige Erbringung einer Stufe gegeben. Je nach strategischer Konzeption wird sich das Unternehmen dafur entscheiden, eine Stufe vollstandig intern zu leisten Oder auf dem Markt zu beziehen. Hiervon ist die partielle vertikale Integration zu differenzieren, bei der ein Unternehmen einen Teil einer Wertschopfungsstufe selbst abdeckt, den anderen Teil durch externe Zulieferer und Partner abwickelt. Ein Beispiel ist ein Produzent von Kon-sumgutern, der seinen Vertrieb teilweise uber seine Internetplattform mit direktem Ver-kauf an den privaten Endverbraucher abwickelt und parallel den unabhangigen Einzel-handel beliefert. Die partielle vertikale Integration kann einerseits eine Ubergangsphase darstellen oder im Kontext strategischer Zielsetzungen der Zielzustand sein.

1.7 Vertikale Diversifikation

Im Gegensatz zur vertikalen Integration liegt eine vertikale Diversifikation vor, wenn die

Kapazitat und Kompetenz einer Wertschopfungsstufe nicht nur fur den Ablauf des eige­

nen, vertikalen Geschaftsmodells eingesetzt, sondern auch unabhangigen Unternehmen

angeboten wird. Ein Beispiel fur eine vertikale Diversifikation ist ein Produzent, der eine

^ Die strategische Beteiligung grenzt sich gegenuber der Finanzbeteiligung ab, bei welcher der Investor nur als Kapitalgeber auftritt, sich jedoch am Management des Unternehmens nicht beteiligt.

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Page 28: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Komponente sowohl zur Eigenversorgung herstellt, parallel aber auch seine Wettbewer-ber beliefert. Die Brisanz dieser Konstellation besteht darin, dass ein Unternehmen mit Aktivitaten in einer Wertschopfungsstufe mit einem anderen Unternehmen in einen Zulie-ferer/Abnehmer-, mit einer direkt angrenzenden Wertschopfungsstufe jedoch gleichzeitig in einem Konkurrenzverhaltnis steht (Abbildung 4).

Abbildung 4: GegeniJberstellung eines teilweise vertikalen und horizontalen Integrationsmusters (linker Teil) mit dem Model! der vertikalen Diversifikation (rechter Teil)

Das Modell der vertikalen Diversifikation verleitet immer dazu, das Zulieferer/Abnehmer-Verhaltnis zu instrumentalisieren, urn sich in dem Konkurrenzverhaltnis der angrenzen­den Stufe einen Vorteil zu verschaffen. Insofern ist diese Konstellation bezogen auf das Integrationsmuster einer Wertschopfungskette stark unterreprasentiert.^

° Vgl. R. Mattmuller, R. Tunder, Strategisches Handelsmarketing, Miinchen 2004, S. 373.

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Page 29: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

2. Strategische Motive der vertikalen Integration

2.1 Gewinnsteigerung bei vertikaler Integration

Eine vertjkale Integration von Wertschopfungsstufen ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht

gerechtfertigt, wenn der kumulierte Gewinn beider Stufen durch das gemeinsame Mana­

gement gesteigert werden kann. Anhand der in den Wertschopfungsstufen erzielten Ren-

tabilitat und unter Einbeziehung strategischer Aspekte entscheidet das Unternehnnen, die

Aktivitat bzw. Wertschopfung dem Markt zu uberlassen oder in Eigenleistung zu erbrin-

gen. Die Ergebnisverbesserung kann bei Zugrundelegung der Gewinn- und Verlustrech-

nung entweder aus einer Steigerung des Umsatzes, einer Senkung der Kosten oder ggf.

aus einer Kombination von Effekten resultieren (Abbildung 5).

Abbildung 5: Bestimmungsfaktoren des Gewinnes und Klassifikation der direk-ten Motive vertikaler Integration

Auf der Umsatzseite kann die Steigerung durch eine Erhohung der Stuckmenge oder eine

Anhebung des Preisniveaus erreicht werden. Hinsichtlich der Kosten ist zwischen den

Erbringungskosten und den Koordinationskosten zu unterscheiden. Die Erbringungskos-

ten umfassen Aufwendungen innerhalb einer Wertschbpfungsstufe, die zur Erzielung des

Umsatzes erforderlich sind. Die Koordinationskosten stellen hingegen Kosten dar, die fur

die Abstimmung bzw. Koordination zwischen den unternehmerischen Aktivitaten bzw.

Wertschopfungsstufen aufgewendet werden und unterteilen sich in Management- und

Transaktionskosten: Im Falle der Vermittlung zwischen zwei intern ausgefuhrten Aktivita­

ten fallen Managementkosten an. Bei Abstimmung zwischen einer internen Aktivitat und

einer vom Markt erbrachten, externen Leistung fallen Transaktionskosten an. Bel Trans-

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aktionskosten handelt es sich primar um Aufwendungen, die bei der Ausarbeitung eines Vertragswerkes anfallen, das bei Nutzung des Marktes notwendig ist. Hierunter fallen z. B. Aufwendungen fur Marktforschung und die Bewertung von Anbietern. Bei interner Ab-wicklung ist aufgrund der disziplinarischen Fuhrung eine vertragliche Regelung nicht er-forderlich. Fur die Klassifikation von Motiven der vertikalen Integration wird zwischen direkten und indirekten Motiven unterschieden. Direkte Motive konnen anhand des Analyseschemas der Bestimmungsfaktoren (Abbildung 5) eingeteilt werden und zielen bei Adressierung der Umsatzseite auf eine Sicherung des Marktzuganges (Abschnitt 2.2) oder eine Anhe-bung des Preises durch Differenzierung vom Angebot des Wettbewerbs ab (Abschnitt 2.3). Zur Aufrechterhaltung oder dem Aufbau einer Differenzierung kann die Internalisie-rung einer Wertschopfungsstufe aus Griinden der Geheimhaltung gerechtfertigt sein (Ab­schnitt 2.4). Ferner kann das Preisniveau der eigenen Produkte bzw. Dienstleistungen durch Aufbau von Eintrittshurden geschutzt bzw. erhoht werden (Abschnitt 2.5). Durch den Aufbau von Eintrittshurden wird in der Regel eine Begrenzung des Wettbewerbs an-gestrebt.

Bei Adressierung der Kostenselte der Bestimmungsfaktoren zielt die vertikale Integration auf eine Senkung der Beschaffungskosten durch Umstellung auf Eigenleistung (Abschnitt 2.6) Oder eine Senkung der Koordinations- bzw. Transaktionskosten (Abschnitt 2.7). Die Bestrebungen konnen sich neben der Verbesserung der eigenen Kostenstruktur auch auf die Kosten der Wettbewerber richten, etwa indem durch die Patentierung eines Herstell-verfahrens eine mogliche Kostensenkung der Wettbewerber verhindert wird. Die indirekten Motive der vertikalen Integration lassen sich keinem der vier oben aufge-zeigten Ergebnishebel direkt zuordnen, sondern adressieren die allgemeine Wettbe-werbssituation und wirken vermittelt durch andere Faktoren eher mittel- bis langfristig. Hierunter fallen die Begrenzung von Unsicherheit und Risiko (Abschnitt 2.8), die Internali-sierung von Lerneffekten (Abschnitt 2.9) oder die Realisierung von Wachstumsperspekti-ven (Abschnitt 2.10).^ Die Einteilung der Motive in Faktoren, die direkt an einem Bestimmungsfaktor ansetzen und Faktoren, die sich indirekt auf die allgemeine Wettbewerbssituation beziehen, ist nicht dogmatlsch zu verstehen. Inwieweit ein direkter oder Indirekter Mechanismus oder ggf. eine Kombination vorliegt ist im Einzelfall zu entscheiden. Eine pauschale Gleichset-zung der Integrationsstrategie mit einem konkreten Motiv ist in der Regel nicht mbglich.

2.2 Sicherung des Marktzuganges

Die Sicherstellung des Marktzugangs stellt insbesondere ein strategisches Motiv fur eine

Vorlntegration dar, wenn ein Produzent nicht uber einen Direktvertrieb verfugt und auf

Absatzmlttler angewiesen ist, die aufgrund ihres Gewlnnkalkuls keine hinreichende Pro-

Zur Ubersicht der Motive der vertikalen Integration vgl. M. Porter, Wettbewerbsstrategie, Frankfurt/Main, New York, S. 382fg. und J.-C. Jarillo, Strategische Logik, Wiesbaden 2003, S. 131fg. Eine umfassende, theoretische Darstellung findet sich bei F. Schuler, Der Einfluss des Internets auf die Untemetimensgren-zen, Wiesbaden 2002, S. 18fg. und A. Picot, H. Dietl, E. Franck, Organisation, Stuttgart 1997, S. 37fg.

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Page 31: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

motion seiner Produkte gewahrleisten. Entsprechend ist der Produzent latent infimer in

der problematischen Situation, aufgrund der Renditelogik des Absatznriittiers eine Be-

nachteiligung zu erfahren.^° In solchen Fallen kann der Aufbau eines eigenen Einzelhan-

dels in Betracht gezogen oder die Neutralitat des Absatzmittlers durch die Erzeugung ei­

nes pull through-Effektes, wie z. B. gezielte Werbung fur ein Markenprodukt, kompensiert

werden. Eine andere Option besteht in der direkten Einflussnahme auf Absatzmittler im

Rahnnen einer partiellen, vertikalen Integration.

Fallbeispiel: Whirlpoors Beteiligung an Absatzmittlern Die Elektrogerate des amerikanischen Produzenten von Haushalts- und Elektrogeraten Whirlpool (Whirlpool und Bauknecht) stellen Im sogenannten „Blockgeschaft" eine Komponente der Kucha dar. Das Blockgeschaft im unteren Preissegment definiert ein Segment des Kuchenmarktes, bei dem die Kuche nicht nach den individuellen Bedurfnissen des Kunden und den jeweiligen Raum-maflen hergestellt (Built to order-Prinzip), sondem standardisiert als Block vorgefertigt wird (Built to forecast-Prlnzip). Hierbei entscheidet der Kuchenbauer uber die Auswahl und Marke der Elekt­rogerate und baut diese direkt in den Kuchenblock ein. Der Kunde nimmt auf die Auswahl der E-lektrogerate keinen Einfluss und ubernimmt den nach den Vorgaben des Kuchenbauers zusam-mengestellten Kuchenblock.

Zur Steigerung des Absatzes im Blockgeschaft hat Whirlpool 25% der Anteile an dem deutschen Kuchenbauer AIno en/vorben. Durch die Beteiligung kann Whirlpool den Einkauf des Kuchenbau­ers instruieren und eine Promotion seiner Produkte erzielen. Im Rahmen der strategischen Betei­ligung, die sich auf die Produktmarke Bauknecht bezieht, hat Whirlpool keinen exklusiven Liefe-rantenstatus, jedoch eine Mindestabnahme durch den Kuchenbauer garantiert. Der Anteil der Bauknecht Produkte an den von AIno verkauften Elektrogeraten konnte im Blockgeschaft auf 50% gesteigert werden. In 2002 hatten noch die Produkte des Konkurrenten Elektrolux/AEG dominiert. Mittelfristiges Ziel ist es, dass 90% der von AIno verkauften Kuchen im Blockgeschaft mit Elektro­geraten von Bauknecht ausgestattet werden. Im Segment der hochwertigen Kuchen ist der Hebel hingegen begrenzt, da die Elektrogerate durch den Kuchenhandler nach den Bedurfnissen des Kunden und ggf. dessen Markenvorstel-lungen ausgewahit werden. Der Kuchenbauer nimmt in diesem Marktsegment auf das Fabrikat der Elektrogerate nur einen begrenzten Einfluss.'"''

Die strateglsche Logik der Beteiligung an einem Absatzmittler ist jedoch nicht unmittelbar

schlijssig. Grundsatzlich ist zu fragen, ob die partielle vertikale Integration beider Wert-

schopfungsstufen, in diesem Fall die Produktion von Elektrogeraten und der Zusammen-

bau von Kuchenblocken, zu einer Steigerung des Gesamtgewinnes fiihrt. Der hohere Ab-

satz an Elektrogeraten resultiert nicht automatisch in einem hoheren Nettoergebnis beider

Wertschopfungsstufen, da der gestiegene Absatz bzw. Gewinn des Elektrogerateprodu-

zenten durch den ggf. niedrigeren Deckungsbeitrag des Kuchenbauers kompensiert wird.

Es ist davon auszugehen, dass der Kuchenbauer die Markenindifferenz des Kunden im

Dies trifft insbesondere auf Produzenten von Konsumgiitem zu. Die Hersteller von InvestitionsgiJtem ver-handeln in der Regel direkt mit ihren Kunden ohne VermittJung durch Dritte. Zur partiellen Vorintegration der Produzenten von Konsumgutern in den Einzelhandel vgl. auch Abschnitt 8.3 im zweiten Teil des Buches. ^ Parallel hat Electrolux mit dem Mobelhandler IKEA seit 2002 in Europa einen exklusiven Liefervertrag abgeschlossen. Vgl. „Alno rechnet fur 2004 mit ausgeglichenem Ergebnis", in: fkZ, 13.7.2004, ..GroUe Waschmaschinen bringen Bauknecht Freud und Leid", in; F>AZ, 3.11.2004, „Kuchenhersteller AIno sieht Wende", in: Handelsblatt, 11.6.2004, und „Alno bringt Bauknecht voran", in: FAZ, 15.6.2005.

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Blockgeschaft bereits vor Beteiligung des Elektrogeratehersteliers genutzt und seinen

Deckungsbeitrag maximiert hat. Bei Austausch der unabhangigen Lieferanten und Bevor-

zugung der Gerate von Whirlpool mtissen evti. auch Gerate mit fur den Kuchenbauer

niedrigeren Deckungsbeitragen verkauftwerden.

Die Inkompatibilitat eines Sortimentes zu herkommlichen Vertriebskanalen kann ebenfalls

ein Motiv einer Vorintegration in den Einzelhandel darstellen. Der Aufbau eigener Ver-

triebsinfrastrukturen verwehrt allerdings die im Einzelhandel ubiiche Realisierung von

Verbundvorteilen durch Bundelung mehrerer Sortimente.

2.3 Differenzierung gegenuber dem Wettbewerb

Durch Differenzierung des Angebotsspektrums wird in der Regel eine hohere Erfullung der Kundenbedurfnisse angestrebt, durch die sich ein Unternehmen dem direkten Prels-/Leistungsvergleich mit seinen Wettbewerbern entzieht. Ausgehend von der herausgeho-benen Position im Anbieterfeld wird eine Absatzsteigerung oder Anhebung des Preisni-veaus verfolgt, die sich schllelllich in einem hoheren Gewinn niederschlagt. Die Ausgestaltung der Differenzierung kann u.a. am Produktnutzen, dem Marketingkon-zept, dem Preis Oder dem Vertrieb ansetzen sowie auf einer zusatzlichen Serviceleistung beruhen. Eine typische Differenzierungsstrategie stellt die Markenpositionierung von Konsumgutern dar. Hierbei wird versucht, im Markt einen hoheren Preis durchzusetzen, indem durch Starkung der Produktmarke ein emotionaler, psychologischer oder techni-scher Zusatznutzen in Aussicht gestellt wird.

Die Differenzierung des Produktes bzw. des Angebotes kann auch durch eine Ruckinteg-ration erreicht werden. Charakteristisch ist die vertikale Integration der Stufen Forschung, Entwicklung und Produktion, die es einem Hersteller ermoglicht, sich durch Innovationen von seinen Wettbewerbern abzusetzen. Beispiele einer Differenzierung durch Riickinteg-ration sind z. B. der Nahrungsmittelproduzent H. J. Heinz (Heinz Tomaten Ketchup), der mit seiner Tochterfirma HeinzSeed uber eine eigene Position im Saatgutgeschaft fur To­maten verfugt, oder die Cafe-Kette Starbucks, die zur Verbesserung ihres Angebots ei­gene Rdstereien betreibt. Die Differenzierung im Rahmen einer Vorintegration setzt in der Regel am Vertrlebskonzept an.

2.4 Geheimhaltung von spezifischen Kompetenzen

Die Geheimhaltung kritischen Fachwissens oder einer Prozesskompetenz ist vomehmlich

in hochinnovatlven Branchen mit schneller, technologisch gepragter Produktabfolge er-

forderlich und kann die Aufrechterhaltung der vertikalen Integration nahelegen. Bei Bezug

von Vorstufen im Markt kann nicht vollstandig vermieden werden, dass der Zulleferer

Einblick in die internen Ablaufe und Verfahrenstechniken seines Kunden bekommt und

dieses Wissen ggf. an seine andere Abnehmer weitergibt. Eine umfassende Geheimhal­

tung ist insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden koordinativen und logisti-

schen Abstimmung zwischen Zulieferer und Abnehmer immer schwerer zu gewahrleisten.

Exemplarisch rekonstruiert A. D. Chandler die Oberlegungen von DuPont zu Anfang des

20. Jahrhunderts, sich in der chemischen Industrie als Zulleferer von Nitrocellulose fur die

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Page 33: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Produzenten von Pyroxylin zu positionieren. Das isolierte ZulieferergeschSft stellte nach damaliger Einschatzung keine realistische Option dar, weil die Abnehmerindustrie zu ei-ner Offenlegung von Prozesswissen gezwungen wurde. Aufgrund der Gefahr einer spate-ren Vorintegration des Zulieferers nach Aneignung des kritischen Fachwissens schien der Aufbau einer reinen Zuliefererposition nicht erfolgsversprechend. Der Einstieg in das Zu-lieferergeschaft hatte unweigerlich eine Vorintegration in die Herstellung des Endproduk-tes nach sich gezogen:

„The manufacturing firms would not buy from outsiders because they would sacrifice the perfect control and supervision of their product throughout its manufacture, which they now enjoy. As such information was among their most valuable secrets, they would hardly give it out to a potential competitor. In other words, by requiring such close coordination between supplier and manufacturer, this process made a policy of vertical integration a business necessity. If the du Pont Company was to develop cel­lulose on a large scale to make it profitable, it would have to move into the making and selling of the semifinished and, most probably, finished products". ^

2.5 Aufbau von Eintrittshurden Eine aus strategischer Sicht interessante Begrundung der vertikalen Integration besteht in der Schaffung von Eintrittshurden. Unter Eintrittshurden seien hierbei Marktgegebenhei-ten verstanden, die den Einstieg in einen bestimmten Markt fur verschiedene Anbieter se-lektiv erschweren. Die Ursachen erschwerten Marktzugangs konnen sehr verschieden sein. Eintrittshurden konnen u.a. durch eine gegenuber dem Kunden nachhaltige Diffe-renzierung des Angebots (z. B. durch Produkt- bzw. Herstellermarken in der Konsumgu-terindustrie), die Notwendigkeit einer hohen Investition (z. B. fur ein Leitungs- Oder Schie-nensystem in einer Netzindustrie), spezifische Konnpetenzen eines Unternehmens (z. B. eine hohe Prozesseffizienz) oder eine patentrechtliche Nutzungsuntersagung gegeben sein (z. B. fur ein innovatives Medikament In der Pharmabranche). Die strategische Zielsetzung beim Aufbau von Eintrittshurden besteht in der Verbinderung einer Margennivellierung durch Markteintritt zusatzlicher Anbieter und beruht auf der An-nahme, dass eine uberdurchschnittliche Rentabilitat nnittel- bis langfristig durch den po-tenziellen Markteintritt weiterer Anbieter begrenzt ist: Sobald ein Unternehmen eine uber­durchschnittliche Umsatz- Oder Kapitalrendite realisiert, werden weitere Anbieter in den Markt eindringen und versuchen, an dem Gewinnpotenzial zu partizipieren und ebenfalls eine uberdurchschnittliche Rendite zu erzielen. Der Neueintritt von Anbietern wird so lan-ge anhalten, bis die Rendite wieder auf ein durchschnittliches Niveau abgesunken ist. In-sofern ist eine Nivellierung der uberdurchschnittlichen Rentabilitat zu erwarten, es sei denn, der Markteintritt neuer Anbieter ist durch Eintrittshurden erschwert bzw. verhindert. Der Aufbau von Eintrittshurden im Rahmen einer vertikalen Integration bietet sich an, wenn ein Unternehmen durch eine dominante Position in einer Wertschopfungsstufe den Wettbewerb in einer anderen Wertschopfungsstufe begrenzen kann. Falls in der nachge-

^ Vgl. A. D. Chandler, Structure and Strategy, Cambridge (MA) 1962, 1990, S. 82.

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lagerten Wertschopfungsstufe eine uberdurchschnittliche Rendite realisierbar ist, wird der Anbieter die vorgelagerte Wertschopfungskette immer mehr als ..Zubringer" nutzen: Durch kunstliche Senkung des Preises fiir die erste Komponente und verkaufstechnischer Bun-delung der Angebote wird nachgelagertes Geschaftsvolumen der zweiten Komponente akquiriert, mit dessen hoher Rendite das Einstiegsgeschaft subventioniert wird.^^ Bei dem Aufbau von Eintrittshurden ist zwischen der Produktbundelung bzw. Kupplung und der vertikaien Integration zu differenzieren. Eine Bundelung liegt vor, wenn fur die Nutzung eines Produktes zwei Komponenten erforderlich sind. Hierbei handelt es sich in vielen Fallen urn eine Verbrauchskomponente, die nur zu einer bestimmten Produktaus-fuhrungen kompatibel Ist (z. B. Drucker und Toner, Rasierer und Raslerklingen, Polaroid-Kamera und Film).

Im Fall der vertikaien Integration besteht die zweite Komponente in einem Service- bzw. Wartungsgeschaft. Bei individuellen und komplexen technischen Systemen ist der Produ-zent aufgrund seiner hohen Fachexpertise und Ersatzteilverfugbarkeit in vielen Fallen auch der „pradestinierte" Anbieter fur die nachgelagerte Wertschopfungsstufe Wartung bzw. Reparatur, die ohne interne Systemkompetenz nur schwer zu erbringen ist. Ein un-abhangiger Anbieter hatte nahezu unvermeidllch einen hoheren Aufwand, der fur den Kunden zu hoheren Wartungskosten fuhrte.^"* Die Neuinstallation komplexer technischer Systeme kann insofern als Zugang bzw. als Akquisition des attraktiven Servicegeschaftes angesehen werden, welches die Anbieter tendenziell mit dem spateren Wartungsgeschaft subventionleren durften. Zur Aufrechterhaltung dieses Kuppelgeschaftes wird der Produ-zent mit Systemspezifikationen versuchen, diesen Vorteil gegenuber Wettbewerbern zu bewahren.

Die vertikale Integration von Produktion und Wartung ist aus strategischer Sicht nahelie-gend. Die naturgemali hohen Eintrittshurden unabhangiger Wartungsanbieter resultleren jedoch schnell auch in einem Quasi-Oligopol der Produzenten. Insgesamt darf der phvile-gierte Zugang zum nachgelagerten Service- und Wartungsgeschaft nicht mit zu hohen Preisen ausgereizt werden, da es ansonsten nur eine Frage der Zeit ist, bis der Mecha-nismus des Paketverkaufs durch alternative Anbieter bzw. den Kunden umgangen oder wettbewerbsrechtlich eingeschrankt wird.

Falibeispiel: Eintrittshurden im ServicegeschUft durch Soda-Club Das Unternehmen Soda-Club hat mit etwa 70% eine beherrschende Stellung im deutschen Markt fur Besprudelungsgerate, mit denen der private Endverbraucher Trinkwasser zu Mineralwasser aufbereiten kann. Die dabei venA/endeten Gaspatronen sind recyclingfahig. Zum Aufbau von Ein­trittshurden in den lukrativen Markt fiir die Nachfullung der Patronen hat Soda-Club seine Produk-te so konzipiert, dass die Patronen aus technischen Grunden von anderen Anbietern nicht aufge-laden werden konnen. Gegen diese Kopplung von Produktverkauf und anschlieUendem Kunden-dienst bzw. Nachfullservice mit gezielter Ausgrenzung des Wettbewerbs ist das Kartellamt 2006 vorgegangen und hat die Vertriebspraxis von Soda-Club untersagt. Das Unternehmen muss seine

^ Vgl. H. Simon, R. J. Dolan, Profit durch Power Pricing, Frankfurt/Main, New York 1997, S. 214-220, S. 241-243. ^ Vgl. M. A. Cohen, N. Agrawal, V. Agrawal, "Winning in the Aftermarket", in: Harvard Business Review, May 2006, S. 129-138.

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Patronen zukunftig so gestalten, dass der Nachfullservice auch von unabhangigen Anbietern ausgefuhrt werden kann. ^

2.6 Senkung der Erbringungskosten

Ein Lehrbuchbeispiel der Kostensenkung durch vertikale Integration ist die Herstellung und Weiterverarbeitung von Stahl, bei der auf die geringeren Produktionskosten verwie-sen wird, wenn der Stahl unmittelbar nach dem Guss noch in heifier Form weiterverarbei-tet wird. Ohne vertikale Integration, so die Argumentation, musste fur die Ubergabe des Materials ein Zwischenschritt vorgesehen werden, der unweigerlich zusatzliche Kosten verursachen wurde. Das Beispiel hat seine Plausibilitat allerdings eingebulit, da die tech-nologiebedingten Verbundvorteile bei direkter Weiterverarbeitung auch im Rahmen einer Kooperation realisiert werden konnen.

Eine andere Konstellation ist bei der Antizipation geringerer Beschaffungskosten durch Umstellung von Fremdbezug auf Eigenleistung als klassisches Motiv der Ruckintegration gegeben. Hierbei geht das Unternehmen davon aus, eine Komponente bei eigener Her­stellung kostengunstlger bereitzustellen zu konnen als durch Einkauf von einem unab­hangigen Anbieter. Eine Reduzierung der Beschaffungskosten scheint auf den ersten Blick realistisch zu sein, wenn die im Zulieferergeschaft erzielten Renditen uberdurch-schnittlich hoch sind. Die Attraktivitat der Ruckintegration wird jedoch in den meisten Fal­len uberschatzt. Zunachst sollte sichergestellt sein, das die Ursache der hohen Rendite des Zulieferes verstanden ist. Falls der Zulieferer Ciber ein Innovatives Herstellverfahren verfugt und als einziger Anbieter eine bestimmte Produktqualitat anbietet, die das Ab-nehmerunternehmen benotigt, kann in der Regel durch Umstellung auf Eigenleistung kein Vorteil erzielt werden. Die Kopie innovativer Herstellverfahren ist nur bedlngt moglich und in den uberwiegenden Fallen auch patentrechtlich stark eingeschrankt. Beruht die uberdurchschnittliche Rendite des Zulieferergeschaftes hingegen auf oligopol-oder monopolartigen Strukturen bzw. auf einer Marktmacht der Zuliefererbranche, ist eine Umstellung zur Eigenleistung dennoch nicht zwingend, da der Zulieferer von Grodenvor-teilen profitiert. Bei Selbstversorgung musste das Unternehmen mit einem geringeren Herstellvolumen operieren und wurde unweigerlich eine schlechtere Kostenposition als der heutige Zulieferer aufweisen, welche die uberhohten Preise ggf. kompensiert. Insge-samt nimmt die Attraktivitat der vertikalen Integration einer Wertschopfungsstufe ab, je grofier die Groftenvorteile bei deren horizontaler Integration ausfallen.

Fallbeispiel: Eigene Energieversorgung bei der Norddeutschen Affinerie Die Kupfererzeugung der Norddeutschen Affinerie beruht auf einem elektrolytischen Verfahren, fur das elektrische Energie als wesentlicher Produktionsfaktor benotigt wird. Das Unternehmen verfugt nicht uber eine eigene Stromproduktion, sondern bezieht Elektrizitat von einem Versorger. Die Stromkosten betragen ca. 20% der Gesamtkosten des Unternehmens. Das Management der Norddeutschen Affinerie geht nicht davon aus, das sich der Strompreis fur Industrielle Abnehmer -trotz Liberalisierung der Energiebranche - auf Basis von Angebot und Nachfrage ergibt, sondern auf Basis „unausgesprochener Stillhalteabkommen" durch die Gebietsoligopole der Anbieter fest-

^ Vgl. N. Kohnert, ..Kartellamt verbietet Soda-Club", in: Financial Times Deutschland, 22.2.2006.

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gelegt wird. Eine Versorgung durch alternative Rationale Oder auslandische Anbieter ist wegen des lokalen Netzmonopols der Anbieter und der vergleichsweise hohen Durchleitungskosten bei Transport uber langere Strecken stark erschwert. Entsprechend wurden von der Norddeutschen Affinerie verschiedene Optionen erwogen und schliedlich eine partielle Selbstversorgung bzw. eine Ruckintegration entschieden: Zusammen mit der Hamburger Stadtversorgung wird ein 100-Megawatt-Kraftwerk emchtet, das zur Energieer-zeugung Mull verbrennt. Parallel ist die Option gepruft worden, zusammen mit dem belgischen Elektrizitatsunternehmen Electrabel in Hamburg ein eigenes Kraftwerk zu bauen. Zuvor hatte auch der Energieproduzent Vattenfall mehreren Industrieunternehmen aus der Region Hamburg angeboten, sie an dem nachsten Kraftwerkprojekt zu beteiligen. Durch den Umstieg auf Selbst­versorgung sollen die Beschaffungskosten fiir elektrische Energie gesenkt und die Abhangigkeit von dem heutigen Zulieferer gebrochen werden: „Das Kraftwerk wird 2008/2009 in Betrieb gehen und die Standorte der Norddeutschen Affinerie Hamburg und Lunen mit Strom zu einem Preis versorgen, der bei weitem unter den heutigen Borsenprelsen llegt". ^

Falls das Unternehmen hingegen sowohl uber ein aquivalentes Herstellverfahren, als auch eine kritlsche Masse in der eigenen Produktion verfugt, ist nichts desto trotz die Si-cherstellung einer hinreichenden Auslastung zu prufen. Hierbei mag sich herausstellen, dass aufgrund der Schwankungen der eigenen Nachfrage parallel mit einem unabhangi-gen Zulieferer kooperiert werden muss, der bei Unterversorgung die erforderliche Menge liefert, bei Uberversorgung den Vertrieb an andere Verbraucher abwickelt. Von einer Be-schaffung fehlender bzw. einem Verkauf uberschussiger Menge auf Marktpreisniveau ist aufgrund des direkten Wettbewerbsverhaltnisses nicht auszugehen. Weiterhin ist die Er-hohung des unternehmerlschen Risikos durch Verlust der Flexibilitat und der Investitions-bedarf mit der Senkung der Herstellkosten abzuwagen. ^ Der Ubergang zur Eigenleistung bietet sich ebenso bei Marktversagen im Wettbewerbs-umfeld der Zulieferer an. Insbesondere Versicherungen leiden im Schadensfall einer Haftpflicht- Oder Sachversicherung unter Marktversagen der Zuliefererbranchen, da der Einkaufer - in der Regel der Versicherungsnehmer - die Kosten der Reparatur bzw. Sach-leistung nicht selbst targen muss. In Analogic zum Markt fiir Gesundheit neigt die Anbie-terseite sowohl zur Ausdehnung des Leistungs-, als auch zur Anhebung des Preisnl-veaus. So erzielt das Kfz-Gewerbe bei Unfallreparaturen nur etwa 10% seiner Umsatze, aber 50% der Gewinne. Folgerichtig versuchen die Versicherungen zusehends, die Er-mittlung der Schadensaufnahme zu bestimmen, etwa durch Einschaltung eigener Sach-verstandlger, und auf die Vergabe der Reparaturauftrage an Vertragswerkstatten hinzu-wirken.

In GroSbritannien wickelt der Marktfuhrer Norwich Union bereits drei Viertel der Scha-densfalle uber Vertragswerkstatten ab; in den Nlederlanden hat mit Achmea einer der fuhrenden Anbieter mit mehr als jedem zweiten seiner Kunden vereinbart, die Regulie-rung uber eine mit der Versicherung kooperlerende Werkstatte abwickein zu lassen. Die

Vgl. Norddeutsche Affinerie, Geschaftsbericht 2003/2004, S. 52; ..Die lachen sich ins Faustchen", in: Wirt-schaftswoche, 11.3.2004, S. 64-65, ..Industrie denkt uber eigene Stromversorgung nach", in: Handelsblatt, 20.12.2005, und „Norddeutsche Affinerie will Kraftwerk bauen", in: FAZ, 20.12.2005. ^ Vgl. M. Porter, Wettbewerbsstrategie, Frankfurt/Main, New York 1999, S. 389-396.

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Werkstattbindung als konstitutiver Bestandteil einer Versicherung ist jedoch nicht unum-

stritten. Im Idealfall wurde die Regulierung durch eine unabhangige Instanz koordiniert,

was allerdings bei limitierter Schadenshohe in keinem Verhaltnis zu den anfallenden Kos-

ten stunde. Eine vertikale Integration der Versicherung ware jedoch abwegig.^^

2.7 Senkung der Koordinationskosten

Der klassische Erklarungsansatz der vertikalen Integration geht auf R. H. Coase zurijck, der seine Argunnentation auf einem Vergleich der Kosten aufbaut, die bei der Koordinati-on und Abstimmung zwischen zwei Wertschopfungsstufen anfallen. Falls ein Unterneh-men die Vereinnahmung einer angrenzenden Wertschopfungsstufe erwagt, mussen die heutigen Kosten, die fur die Koordination der Nutzung des Marktes aufgewendet werden, mit denjenigen Kosten verglichen werden, die zur internen Abstimmung zwischen den beiden Wertschopfungsstufen aufgewendet werden mussten. Zur Thematisierung der Kosten, die bei Benutzung des Marktes anfallen, hat H. R. Coase den Begriff Transakti-onskosten eingefuhrt. Diese sind von den internen Managementkosten bei Umgehung des Marktes zu unterscheiden. Nach Coase wird ein Unternehmen eine Wertschopfungs­stufe intern erbringen bzw. vertikal integrieren, wenn die Transaktionskosten hoher als die Managementkosten ausfallen.^^ In Analogie zu dieser Theorie konnen Unternehmen als Institutionen zur Senkung von Transaktionskosten klasslfiziert werden. Die Weiterentwicklung dieses Erklarungsansatzes hat sich in erster Linie mit der Abhan-gigkeit und der Entwicklung der Management- und Transaktionskosten von den Parame-tern Spezifitat, H^ufigkeit und Veranderung beschaftigt.^° Demzufolge steigen die Trans­aktionskosten zur Nutzung des Marktes mit zunehmender Spezifitat der Wertschopfung, ihrer Umschlagshaufigkeit und der Schnelligkeit der Veranderung des Wettbewerbsum-feldes. Eine Spezifitat kann vorliegen, wenn im Extremfall nur ein Unternehmen einen In-putfaktor herstellt und hierfur ggf. in spezifische Maschinen und Personal investiert. Ein weiteres Beispiel einer Spezifitat liegt vor, wenn ein Inputfaktor, der von mehreren Unter­nehmen hergestellt wird, nur von einem Unternehmen nachgefragt wird. In belden Fallen wird eine der Seiten versuchen, die sich daraus ergebenden Abhangigkeiten fur sich zu nutzen, wodurch der Aufwand der Transaktion unweigerlich ansteigen durfte. Die Um­schlagshaufigkeit umschreibt die Frequenz einer Markttransaktion. Je geringer die Anzahl der Transaktionen, desto hoher konnen die Kosten einer einzelnen Transaktion ausfallen bzw. desto eher konnen die Transaktionskosten vernachlassigt werden. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Weiterentwicklung der Informationstechnologie und des Internets sind die Kosten fur die Beschaffung von Information und dementspre-chend die Vermeidung hoher Transaktionskosten als Begrundung einer vertikalen Integ-

^ Vgl. F. Stocker, Jrittauf die Kostenbremse", in: Die Welt, 15.2.2004. ^ Die Erklarung der Unternehmensgrenzen in Abhangigkeit der Transaktionskosten geht auf R. H. Coase zuriJck. Vgl. R. H. Coase, The Firm, the l\/larket and the Law, Chicago und London 1988. ° Vgl. G. J. Stigler, The Organization of Industry, Chicago 1968, und O. Williamson, The Economic Institu­

tions of Capitalism, New York 1985.

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ration in den Hintergrund getreten.^^ Insofem kann die Entwicklung und Konvergenz von

Medien als madgebiiche EinflussgroRe fiir die organisatorische Form von Unternehmen

verstanden werden:

Als Folge der beschriebenen Konvergenz der Kommunikationssysteme fuhren die be-schriebenen Effekte von Richness bis Convenience im Kontext von Marktveranderun-gen wie Globalisierung und Beschleunigung des Wirtschaftslebens dazu, dass die Kosten fur die Koordination an den Schnittstellen der Wertschopfungskette (Transakti-onskosten) sinken. Dies macht eine Aufspaltung der Organisation in kleinere Organi-sationseinheiten sinnvoll, da grode Organisationen mit ihren integrierten Wertschop-fungsketten einen Teil ihrer Koordinationsvorteile verlieren. Die Kosten eines groderen administrativen Apparates ubenA/iegen dessen Koordinationsvorteile. Kleine EInheiten wiegen durch ihre kostengunstigeren und flexibleren Strukturen den Koordinationsvor-teil auf, den grolie Organisationen bisher hatten. Organisationen werden daher weitere Telle ihrer nicht-zentralen und fur die Erschaffung und Erhaltung von Wettbewerbsvor-teilen zentralen Operationen outsourcen.^

Als Konsequenz hat die vertikale Integration teilweise eine Transformation von einer qua­si vorgegebenen Rahmenbedingung bzw. einer Notwendigkeit hin zu einem unternehme-rischen Freiheitsgrad erfahren: Eine Erhdhung der stufeniibergreifenden Prozesseffizienz und durchgreifenden Kontrolle der Wertschopfungskette setzt keine vertikale Integration mehr voraus, sondern kann auch im Rahmen eines Zulieferer-ZAbnehmerverhaltnisses realisiert werden. Die Festlegung der Unternehmensgrenze wurde zum Gegenstand stra-tegischer Uberlegungen, welche die vertikale Des- und Integration eines Unternehmens mit der Logik seiner Gewinnmaximierung in Beziehung setzt.

2.8 Begrenzung von Unsicherheit und Risiko

Die Begrenzung von Unsicherheit und Risiko stellt ein weiteres Motiv der vertikalen Integ­

ration dar. Hierunter fallen sowohl die Unwagbarkeiten von Inputfaktoren des Marktes,

wie Menge, Prels, Qualitat und Lieferzeitpunkt von Produktionsfaktoren, oder die unstetl-

ge Abnahme von Absatzmittlern bzw. Einzelhandlern, die ihr Angebot nach eigenen Ren-

ditegesichtspunkten zusammenstellen. Durch Internalisierung vor- oder nachgelagerter

Wertschopfung kann eine sichere Versorgung von Ausgangsstoffen und eine stetige Ab-

satzpromotion der Endprodukte sichergestellt werden. Der Aufwand fur die Reduzierung

von Unsicherheit und Risiko muss zu den Kosten einer Unterbrechung des Produktions-

prozesses in Relation gestellt werden.

Vgl. B. Wieland, Telekommunikation und vertikale Integration, Heidelberg 1995, und A. Picot, ..Zusam-menhange zwischen Innovation und Marktentwicklung durch Telekommunikation", S. 77-98, in: A. Picot, Telekommunikation im Spannungsfeld von Innovation, Wettbewerb und Regulierung, Heidelberg 1998. ^ Vgl. hierzu M. Karmasin, J. Freienstein, „Kommunikation und Schnittstellen: Neue Anforderungen durch technologische Konvergenz in Organisationen", S. 142, in: M. Karmasin, C. Winter (Hrsg.), Konvergenzma-nagement und Medienwirtschaft, Paderborn 2006, S. 131-149.

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Fallbeispiel: Sicherstellung der Versorgung bei Stihl Die deutsche Familienunternehmen Stihl ist Weltmarl tfuhrer fur Motorsagen. Die hoiie Ferti-gungstiefe wurde in den letzten Jahren gezielt ausgebaut bzw. beibehalten, urn das Risiko einer unregelmSRigen Versorgung mit Einzelteiien zu vermeiden. So bezog das Unternehmen die Zy-iinder der Motoren herl<6mmlich von einem Automobilzulieferer, der bei Anziehen der Nachfrage durch die Automobilproduzenten die Auftrage von Stihl stets hinten anstellte. Stihl war aufgrund seiner begrenzten Nachfrage nur B-Kunde und wurde dementsprechend in bestimmten Phasen nicht just in time versorgt. Das Unternehmen hat daraufhin seine Wertschopfungstiefe erhoht. Seit 1996 baut Stihl Zylinder selbst; seit 2000 auch Kolben. Durch enge Abstimmung zwischen Entwicklung und Herstellung konnen zusatzliche Synergien realisiert werden. Der Geschaftsfuhrer von Stihl, B. Kandziora, be-tont die hohe Fertigungstiefe von Stihl, sieht diese jedoch auch nicht als Selbstzweck an: „Stihl liebt Fertigungstiefe [...] Eigenfertigung muss immer gunstlger sein als der Bezug von auRen. Die harten betriebswirtschaftlichen Fakten mussen stimmen [...] Wir geben keine Rendite ab fur Wert­schopfungstiefe". ^

Eine spezielle Situation liegt vor, wenn das Unternehmen auf eine 100%ige Versorgungs-sicherheit angewiesen ist, jedoch kein Anbieter eine entsprechende Qualitat gewahrleis-ten kann. in den meisten Fallen behilft sich das Unternehmen In dieser Konstellation mit einer begrenzten Lagerhaltung, auf die nur bei einem akuten Versorgungsmangel zu-ruckgegriffen wird (z. B. ein Notstromaggregat).

2.9 Internalisierung von Lerneffekten

Ein Vorteil der vertikalen Integration kann in der Internalisierung und Realisierung von Lerneffekten bestehen. Da Lerneffekte unabhangig von dem Umschlagvolumen realisiert und schnell kopiert werden konnen, ist die Vorintegration in diesen Fallen auf einen ge-ringen Anteil begrenzt. Hierbei wIrd uberwiegend das Modell der partiellen vertikalen In­tegration gewahit, bei der ein Unternehmen eine Wertschopfungsstufe nur zu einem Teil in Eigenleistung erbringt, den anderen Teil dem Markt iiberlasst. Lerneffekte werden in erster Linie durch eine Vorintegration in Richtung des Endkunden erzielt, so dass deren BediJrfnisse ohne Vermittlung durch Absatzmittler aufgenommen werden konnen.^^

Fallbeispiel: Beratungs- und Serviceangebot von SAP Die deutsche Softwarefirma SAP entwickelt Software fur das Management von Unternehmens-prozessen. Die Kemprodukte SAP R/3 (1991), SAP.com (1999) und Netweaver (2003) sind die fuhrenden Programme im ERP-Markt (Enterprise Ressource Planning). Ein nicht unwesentlicher Teil des Umsatzes wird nicht mit Softwarelizenzen, sondern mit dem nachgelagerten Geschaft der Implementiemng und Softwareberatung erzielt. Der Beratungsmarkt wird sowohl von konkur-rierenden Softwarefirmen wie u.a. Microsoft und Oracle im Rahmen einer Vorintegration, als auch von unabhangigen IT-Beratungsfirmen bedient. Dem Beratungsgeschaft kommt neben der Wachstumsoption eine hohe Bedeutung fur die Pro-duktentwicklung zu. Bezuglich der strategischen Bedeutung der eigenen Aktivltaten im Bera­tungsmarkt fuhrt H. Kagermann, der Vorsitzende des Vorstandes von SAP, aus: „Wir bleiben un-

Vgl. M.-W. Buchenau, „\m Zweifellsfall lieber alles selbst machen", in: Handelsblatt, 26.6.2006. ^ Vgl. T. Osegowitsch, A. Madhok, ..Vertical integration is dead, or is it", in: Business Horizon, Vol. 89, 15.1.2003.8.25-34.

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ter der Marke von 20 Prozent des Dienstleistungsgeschaftes im SAP-Umfeld. Darauf konnen sich unsere Partner verlassen. Dieses Volumen brauchen wir, urn Feedback von den Kunden fur un-sere Produktentwicklung zu bekommen". ^ Hierdurch wird die Internalisierung von Lerneffekten sichergestellt ohne die Unterstutzung der reinen Implementierungspartner zu verlieren, deren Kerngeschaft bei starker Vorintegration von SAP gefShrdet wSre. Der Vorintegration bzw. dem Zusatzgeschaft kommt somit neben der Umsatzsteigerung auch eine entscheidende Bedeutung im Entwicklungskonzept von SAP zu.

2.10 Realisierung von Wachstumsperspektiven Die Vereinnahmung von Wertschopfungsstufen stellt schlieBlich auch eine Wachstums-option dar, die sowohl durch eine Ruck-, als auch eine Vorintegration realisiert werden kann. In den uberwiegenden Fallen wird die Wachstumsperspektive vorrangig in einer Vorintegration gesehen. Diesbeziiglich wird der Aufbau Oder die Akquisition einer Position in der Abnehmerindustrie von der Einschatzung geleitet, bei weiterer Internalisierung der Veredelung konne insgesamt eine hohere Rentabilitat als im heutigen Kerngeschaft er-zielt werden.

Die Annahme einer Steigerung der Rentabilitat beruht auf einer zu hoch empfundenen Differenz zwischen dem Abgabepreis der eigenen Vorprodukte und dem Abgabepreis der Kundenindustrie bzw. dem Endverbraucherpreis, so dass sich eine interne Weiterverede-lung aus strategischer Sicht geradezu aufdrangt. Hierbei werden die Komplexitat des nachgelagerten Geschaftes und dessen Kosten tendenziell unterschatzt, da der De-ckungsbeitrag mit dem Gewinn gleichgesetzt und in der strateglschen Planung davon ausgegangen wird, die heutige Kompetenz sei zum Verstandnis des nachgelagerten Ge­schaftes mehr oder weniger hinreichend und leicht ubertragbar. Ferner wird oft unterstellt, dass sich mit zunehmender Veredelung die Moglichkeit zur Differenzierung ergibt, auf de­ren Basis eine hohere Rendite als im uberwiegenden Commodity-Geschaft der vorgela-gerten Wertschopfungsstufen erzielt werden kann.

Fallbeispiel: Vorintegration von Tyson Foods in die Veredelung Das Unternehmen Tyson Foods produziert etwa ein Viertel der US amerikanischen Nachfrage an Rinder-, Schweine und Huhnchenfleisch. Im Segment Huhnchenfleisch, dem historischen Kern­geschaft, hat Tyson vorintegriert und einen immer groReren Anteil der Rohware durch u.a. Portio-nierung und Zubereitung welter veredelt. ® J. Tyson, der CEO von Tyson Foods, stellt die Wachs­tumsperspektive durch Vorintegration heraus: "Tyson is a company that has grown through acqui­sitions [...] Integrating the companies was more straightfon/vard than you might think, because everyone wanted to move away from providing commodity meats and toward creating value-added products. The common goal [...] was to enhance the meats - to cock them, slice them, or add sauces or flavors, for instance - before selling them. That's going to be a major source of growth for us In the coming years. If you can sell a pound of protein for a dollar instead of 50 cents because you've added convenience or value, you get both top- and bottom growth". ^

Vgl. H. Kagermann (Interview), S. 88, in: Wirtschaftswoche, 14.4.2005, S. 84-90. Vgl. auch G. Meissner, SAP. Die heimliche Software-Macht, 8. 189fg., Hamburg 1997. ® Vgl. "The Wal-Mart of Meat", in: BusinessWeek, 20.9.2004, 8. 69-70. ^ Vgl. „How CEO's manage growth agendas", 8. 129, in: Harvard Business Review, July-August 2004, 8. 125-132.

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Fallbeispiel: Kontroile des Materialflusses bei der Norddeutschen Affinerie Das Kerngeschaft der Norddeutschen Affinerie besteht in der elektrolytischen Kupferherstellung aus Konzentrat, das von Erzminen bezogen wird. Parallel wird Kupfer durch Aufarbeitung von Recycling material gewonnen. Das Recyclingvolumen wird sowohl durch die Huttenwerke Kayser, als auch die Cablo Metall-Recycling & Handelsgesellschaft generiert. Die elektrolytische Kupfer­herstellung als Primairproduktion und die Recydingaktivitaten definieren das Segment Kupferer-zeugung (Abbildung 6).

Abbildung 6: Kontroile des Materialflusses in der Kupfererzeugung und -verarbeitung bei der Norddeutschen Affinerie

Daran schlielit sich in der Wertschopfungskette die Sekundarproduktion bzw. die Veredelung an, wobel verschiedene Zwischenstufen durchlaufen werden. Das produzierte Kupfer wird zum uber-wiegenden Teil intern weiterverarbeitet; ein geringer Teil an die metallverarbeitende Industrie ver-kauft. ® In der internen Weiterverarbeitung werden die Kathoden entweder direkt zu Drahten wei­terverarbeitet Oder in Formate umgewandelt, die in Profildrahte Oder Vorwalzbander bzw. Bander umgearbeitet werden. Durch Akquisition der kupferverarbeitenden Firmen Prymetall (mit 50%iger Beteillgung an der Schwermetall) und Deutsche Giessdraht (60%) ist das Segment der Kupfer-veredelung verstarkt worden. Die Strategie der vertikalen Integration bedingt aus Sicht der Nord­deutschen Affinerie mehrere Vorteile. So sichert die eigene Kupfererzeugung die Versorgung des Segmentes Weiterverarbeitung und garantiert eine Lleferfahigkeit fur die Abnehmerindustrien. ® Der hohe Anteil interner Weiterverarbeitung bedingt eine Differenzierung vom Angebot des Wett-bewerbs und eroffnet eine Wachstumsoption mit Nahe zum Kerngeschaft.

° Vgl. Norddeutsche Affinerie. Geschaftsbericht 2002/2003 und 2003/2004. ^ Vgl. die Internetseiten der Norddeutschen Affinerie, aufgerufen am 27.4.2004: www.nord-deutsche-affinerie.de/NA/konzern/kupferverarbeitung.html.

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3. Treiber der vertikalen Integration Nach Charakterisierung der Motive wird an dieser Stelle auf die Treiber der vertikalen In­

tegration ubergeleitet. Die Treiber stellen externe Rahmenbedingungen dar und konnen

von den Unternehmen nicht beeinflusst werden. Eine Veranderung der unternehnneri-

schen Rahmenbedingungen kann horizontale Oder vertikale Integrationsformen favorisie-

ren oder benachteiligen und somit die Restrukturierung einer Wertschopfungskette auslo-

sen. Hierbei wird zwischen einer Veranderung der Kostenstruktur durch Verbesserung

des Herstellverfahrens (Abschnitt 3.1), einem Technologiesprung der Produktlosung (Ab-

schnitt 3.2), der Entstehung eines neuen Marktes (Abschnitt 3.3), einer Anderung der

wettbewerbsrechtlichen Bedingungen (Abschnitt 3.4) und dem Reifegrad einer Industrie

(Abschnitt 3.5) unterschieden.

3.1 Veranderung der Kostenstrukturen in Industrien Aus ubergreifender Perspektive stellt die Kostenstruktur einer Wertschopfungsstufe einen wesentlichen Faktor fiir die Organisation von Industrien dar. Die Veranderung der Kos­tenstruktur kann zunachst den Aufwand bzw. die Investition zur Besetzung einer Wert­schopfungsstufe betreffen. Mit der zunehmenden Verbreitung und kommerziellen Nut-zung des Internets hat sich z. B. fur die Produzenten von Konsumgutern die strategische Moglichkeit ergeben, ohne signifikante Investitionen und unter Umgehung von Absatzmitt-lern in den Einzelhandel vorzuintegrieren und Produkte uber die eigene Internetplattform anzubieten (Disintermediation).^° Hierbei kann sich eine Kombination aus Vertriebskana-len - mit parallelem Eigenvertrieb und Kooperation mit dem unabhangigen Einzelhandel -als erfolgreich herauskristallisieren, oder im Extremfall der Vertrieb uber den stationaren Einzelhandel komplett substituiert werden. Ferner kann die Zunahme an GroRenvorteilen in einer Wertschopfungsstufe eine Konso-lidlerung bzw. eine horizontale Organisation erzwingen. Dies hat in der Regel zur Folge, dass eine vertikale Integration der Wertschopfungsstufe aufgegeben werden muss.

3.2 Technologiesprung der Produktlosung Ein technologlscher Entwicklungssprung kann das Gefuge eIner etablierten Industrie

durcheinander wiirfeln und bezogen auf den horizontalen und vertikalen Integrationsgrad

Konstellationen favorisieren, die vorher nicht realistisch waren oder attraktiv erschienen.

Hierbei kann ein etablierter Anbleter mit seinen Kernkompetenzen in andere Industrien

eintreten und durch Verbundvorteile Wertschopfungsstufen besetzen, die ihm vorher auf-

grund von Eintrittshurden verwehrt waren. Ein Beispiel fur diesen Treiber ist die Digitali-

sierung der Produktlosung in technologisch gepragten Wertschbpfungsketten, z. B. in der

Photobranche oder der Musikindustrie (vgl. Abschnitt 12, Teil II).

Vgl. F. Schuler, Der Einfluss des Internets auf die Untemehmensgrenzen, Wiesbaden 2002. Unter Disin-termediation wird die "elimination of market intermediates, enabling direct trade with buyers and consumers without agents" verstanden. Vgl. R. T. Wigand, "Electronic Commerce: Definition, Theory and Content", S. 4, in: The Information Society, Vol. 13, Nr. 1, S. 1-16.

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Fallbeispiel: Restrukturierung der Photobranche durch Technologiesprung Die Wertschopfungskette fur Photographie setzt mit der Entwicklung und Herstellung von Kame-ras ein. Daran schlieHen sich die Entwicklung und die Produktion des Speichermediums an. In der klassischen Photographie stellt der Photofilm bzw. das Negativ das Speichermedium der Bilddaten dar. Die sich in der Wertschopfungskette anschlieHende Abzugstechnik umfasst das Photopapier und das Repertoire an Photochemikalien zur Fertlgstellung des Photos nach der Be-lichtung. Die Entwicklung und Produktion von Filmen, Photopapier und Chemikalien erfordert eine technische Abstimmung und 1st uberwiegend von den Systemanbietern Eastman Kodak, Fuji und Agfa-Geveart vereinnahmt worden. Die Speicherung der Bilddaten bzw. die Entwicklung erfolgt durch unabhangige Photolabore, die teilweise von den Systemanbietern kontrolliert wurden. Eine Bearbeitung der Bilddaten ist in der klassischen Photographie aufgrund technischer Limitationen nur begrenzt moglich. Die Erstellung der Abzijge bzw. der fertigen Photos wird in der Regel von Photolabors erbracht. Alternativ kann der Endverbraucher die Entwicklung und die Erstellung der Abzuge auch in Eigenleistung erbrin-gen (Abbildung 7).

Abbildung 7: Besetzung der Wertschopfungskette Photographie bei klassischen Photographie und Digitalisierung

Mit dem Ubergang zur digitalen Photographie haben sich die Anbietermodelle und die Abdeckung der Wertschopfungskette grundlegend verandert. Die Entwicklung und Herstellung des Speicher­mediums ist von Chipproduzenten und Softwarefirmen vereinnahmt worden, die heute auch eine Bearbeitung der Bilddaten ermoglicht. So sind u.a. Microsoft und Adobe in den Markt fur Photo-software zur Bildbearbeltung eingestiegen. Die klassischen Photolabore haben sich auf digitale Photographie eingestellt und bieten auch die Abzugerstellung fur digitale Aufnahmen an. Die Speicherung der Bilddaten ist als Prozessschritt quasi weggefallen, da mit der Aufnahme gleich-zeitig eine Speicherung der Bilddaten erfolgt und das klassische Negativ obsolet geworden ist. An dessen Stelle ist die Festplatte des eigenen Computers Oder der Photodienstleister getreten, der eine Speicherung privater Bilddaten uber das Internet anbietet.

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Der GroUteil der Abzuge wird heute durch den Kunden selbst auf eigenen Farbdruckern erstellt Oder mit Hilfe von Fotoautomaten des Einzelhandels generiert, an denen der Kunde nach Uber-tragung der Daten Abzuge erstellen kann. Anbieter wie Kodak und Fuji dominieren heute den Markt fur digitalen Photodruck und SB-Photodrucker. Mobilfunkanbieter wie z. B. T-Online bieten die Er- und Zusteilung von Abziigen an, nachdem der Kunde seine digitalen Bilddaten uber sein Mobiltelefon Oder per Email zugeschickt hat. Die frijheren Systemanbieter mit breiter Abdeckung der Wertschopfungskette werden zunehmend in die verbleibende Nische der klassischen Photographie abgedrangt und weichen in verwandte Markte aus. Wahrend die fruheren Systemanbieter Eastman Kodak und Fuji auch in der digitalen Photographie fur Endverbraucher FuB gefasst haben, ist Agfa-Geveart nach Ausgliederung seiner Endverbrauchergeschaftes (Consumer Imaging) in gewerbliche Markte (u.a. Druckindustrie, Ge-sundheitsmarkt) diversifiziert. ^

3.3 Entstehung eines neuen Marktes

Die Entstehung eines neuen Marktes bzw. die Herausbildung einer weiteren Stufe der Wertschopfungskette stellt fur diejenigen Unternehmen einen starken Treiber der vertika-len Integration dar, die in angrenzenden Wertschopfungsstufen bereits tiber eine domi-nante Position verfiigen. Die Besetzung eines wachsenden Marktes verspricht einerseits attraktive Renditen, andererseits sind fur branchefremde Unternehmen aufgrund fehlen-der Kompetenz in der Regel erhdhte Markteintrittsbarrieren gegeben. Ein Beispiel ist u.a. die Vorintegration der Mineralolkonzerne in die Produktion und den Vertrieb von Kraftstof-fen fur Autonfiobile. Die Tankstellennetze als stationare Infrastruktur fur den Einzelhandel von Kraftstoff sind in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts maBgeblich von den Mine-ralblkonzernen aufgebaut worden. Ferner ist das Angebot an Service- und Beratungs-dienstleistungen von ehemals reinen Software- und Technologiefirmen anzufuhren. Ex-emplarisch fur die Vorintegration in das Service- und Beratungsgeschaft ist der amerika-nische Produzent von GroSrechnern IBM, der mit seiner Sparte IBM Business Consulting erfolgreich in die Technologie- und Prozessberatung eingestiegen ist.^^ Auch wenn bei Dienstleistungen der Erfolg der vertikalen Integration primar auf dem Kompetenztransfer und Prozesssynergien mit dem vorgelagerten Produktgeschaft zu be-ruhen scheint, darf die Wachstumsoption in aufkommende Markte nicht unterschatzt wer­den.

Fallbeispiel: Vertikale Integration von Bau und Betrieb in der Baubranche Der operative Objektbetrieb ist in den letzten 30 Jahren zunehmend fremdvergeben und an exter-ne Dienstleister delegiert worden. Hierdurch ist ein neuer Markt fur Gebaudedienstleistungen ent-standen, da die operative Gebaudebewirtschaftung vorher zu einem Grofiteil innerhalb der Unter-nehmensgrenzen ausgefuhrt und in Eigenleistung der Objektnutzer erbracht wurde. Die Fremd-vergabe ermoglicht insgesamt eine Optimierung der Funktion, da durch Bundelung der Nachfrage Grofienvorteile bzw. Kosteneinsparungen und durch Spezialisierung auch qualitative Vorteile rea-lisiert werden.

Vgl. F. Eder, Toto-Pionier Agfa-Geveart kappt seine Wurzein", in: FTD, 20.8.2004, und H. Weiss, „Foto-araphie: Kodak plant den Wechsel ins Digltaizeitaiter", in: VDI Nachrichten, 19.12.2003.

Vgl. A. J. Slywotzky, Value Migration, Boston 1996, S. 229fg.

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Ein grofler Anteil des neu entstandenen Marktes fur Gebaudedienstleistungen wird durch die Baukonzerne vereinnahmt, die sich durch Vorintegration neben ihrem historischen Kerngeschaft ein zweites Standbein aufgebaut haben. Die Gebaudebewirtsciiaftung gehort heute zum Stan-dardangebot eines Bauuntemehmens. ^ Aus strategischer Sicht stelit sich die Frage, inwiefern die vertikale integration von Bau und Ob-jektbetrieb prozesstechnische Vorteile Oder Kosteneinsparungen offeriert, die fur einen reinen GebSudedienstleister nicht erzielbar sind. Diesbezuglich ist zu unterscheiden, ob das Bauunter-nehmen das Objekt selbst gebaut oder in fertigem Zustand ubemommen hat. Bei der Auftrags-vergabe des Objektbetriebs an den ausfuhrenden Baukonzern oder ein unabhangiges Dienstieis-tungsunternehmen mag zunachst der bestehende Kundenkontakt fur die Auftragsakquisition ent-scheidend sein. Die operativen Vorteile des Bauunternehmens gegenuber einem unabhangigen Objektbetreiber, der an dem Bau nicht beteiligt war, durften in der Praxis jedoch eher marginal sein. Eine besondere Kenntnis des Gebaudes oder eine Invoivierung wahrend des Baues oder der Inbetriebnahme ist allenfaiis wahrend der Ubergabephase ein Vorteil, der mittel- bis langfristig weitestgehend wegfallt. Insofern ist die Vorintegration der Bauunternehmen eine sinnvolie Wachs-tumsoption mit Nahe zum Kerngeschaft, die der Erbringung durch einen unabhangigen Objekt­betreiber jedoch nicht prinzipiell uberlegen ist. "*

3.4 Anderung der wettbewerbsrechtlichen Bedingungen Durch Anderung der wettbewerbsrechtlichen Bedingungen kann die vertikale Integration eingeschrankt oder im Extrennfall durch den Gesetzgeber untersagt werden. Ein GroSteil der Eingrlffe zlelt darauf ab, die Durchsetzung der ordnungspolitischen Zielsetzungen sl-cherzustellen. Hierunter fallt z. B. der freie Wettbewerb von Anbietern oder die Verhinde-rung von Monopolen oder Oligopolen. In den USA und Europa waren in den letzten 30 Jahren in erster Linie die ehemals staatlichen Infrastrukturdienstleistungen Telekommuni-kation, Schienenverkehr und Flugverkehr betroffen, die heute in Teilen privatisiert sind.

Fallbeispiel: Vermeidung von Marktmacht in Netzindustrien Eine Regulierung kommt haufig in ..Netzindustrien" zum Tragen, in denen eine vertikale Integrati­on von Netzbetrieb mit netzbasierten Leistungen vorgegeben ist. Das „Netz" stelit aufgrund seiner Einzigartigkeit formal einen Produktionsfaktor mit Monopolcharakter dar. dessen Allelnstellung in vielen Fallen aus technischen oder okonomischen Grijnden nur bedingt uberwinden werden kann. Hierzu zahlen z. B. Schienen-, Telefon-, Gas-, Wasser- und Stromnetze. Der Bau eines zweiten Netzes, welches die Allelnstellung des ersten Netzes relativieren wurde, stelit aufgrund der erfor-derlichen Investition eine hohe Elntrittshiirde dar und birgt zumeist die Gefahr von Uberkapazita-ten. Insofern verfiigt der Besitzer bzw. Betrelber des Netzes uber eine privilegierte Position fur die Besetzung der vor- und nachgelagerten Wertschopfungsstufen. Unabhangige Anbieter konkume-ren mit dem Netzmonopolisten potentiell in den Wertschopfungsstufen Betrieb, Marketing, Grod-und Einzelhandel und Nutzung. Der Netzmonopolist kann aufgrund seiner Marktmacht sein Mo-nopol in vor- und nachgelagerte Wertschopfungsstufen ausweiten, da Wettbewerber ausgegrenzt Oder durch Aufstellung unrealer Bedingungen abgeschreckt werden konnen. Mit der Regulierung von ehemals staatlichen Netzindustrien sollen potenzielle Wettbewerbsverzerrungen der privatl-sierten Netzmonopolisten vermieden werden. ^

Zur Vorintegration der Baukonzerne vgl. auch M. Psotta, „Bauwirtschaft", in: FAZ, 16.7.2005. ' Zur vertikalen Integration der Wertschopfungsstufen Bau und Wartung vgl. A. Suter, D/e V^ertschop-

fungsmaschine, Zurich 2004, S. 146-149. ^ Vgl. M. Fritsch, T,. Wein, H.-J. Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, Mijnchen 2006, S. 252.

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Der Gesetzgeber kann auch aus ordnungspolitischen Erwagungen mit entsprechenden Vorgaben sicherstellen, dass die unabhangige Ausfuhrung einer Leistung nicht durch ge-sellschafts- und eigentumsrechtliche Verknupfungen kompromittiert wird. Beispiele hierfur sind die Rahmenbedingungen bei u.a. der Privatisierung der Fiugsicherung oder die Un-abhangigkeit der Wirtschaftsprufung, die nicht von internem Personal ausgefuhrt bzw. at-testiert werden darf. Ferner kann einzelnen Akteuren der Wertschdpfungskette ein zu-satzlicher Handlungsspielraum eingeraumt werden, der sich aus arbeitsrechtlichen Erwa­gungen ergibt.

Fallbeispiel: Schutz der Entwickiungsleistung im Profifuftball Wahrend die europaischen FuBballvereine die Spieierentwicklung vor 30 Jahren noch weitestge-hend in Eigenleistung erbrachten, indem junge Talente im laufenden Liga- und Spielbetrieb ein-gesetzt und entwickelt wurden, erfordern die hohen Leistungsanforderungen des nationalen und internationalen Wettbewerbs zunehmend eine Entkopplung von Ausblldung und Spielbetrieb. Ent-sprechend sind die fuhrenden europaischen A-Verelne dazu ubergegangen, entwickelte Profispie-ler hauptsachlich auf dem Transfermarkt einzukaufen und die Ausbildung den B-Vereinen bzw. B-Ligen zu uberlassen. Die Attraktivitat der eigenen Ausbildung ist seit 1995 zusatzlich durch das „Bosman-Urteir relati-viert worden, welches die Moglichkeit des Vereins einschrankt, den Vereinswechsel der entwi-ckelten Spieler zu verhindern. Vor dem Bosman-Urteil war es in den europaischen Ligen ubiich, bei Wechsel auch nach Ablauf des Vertrages zur Kompensation der Ausbildungsleistung eine entsprechende Abldsesumme zu entrichten. Das Urteil spricht einem Spieler hingegen das Recht zu, nach Ablauf des Vertrages den neuen Arbeitgeber ohne Einflussnahme seines letzten Vereins frei wahlen zu konnen. Daraus folgt, dass die Profivereine beim Wechsel eines Spielers nach Ab­lauf des Vertrages kelne Ablosesumme mehr verlangen diirfen. Die Talententwicklung ist seitdem ein riskantes Geschaft geworden, da nach Ablauf des Vertrages die Gefahr besteht, die heranrei-fenden Stars an andere Vereine zu verlieren. Eine fruhzeitige, langfrlstlge Bindung von Talenten stent kelne generelle Option dar, well Talentforderung immer eine Mischkalkulation darstellt und sich nicht jeder Kandidat zum Leistungstrager entwickelt. ^ Die Vereine sind seitdem dazu ubergegangen, mit den entwickelten Spielern - insbesondere bei teuren NeuzugSngen - langfrlstlge Vertrage abzuschlieflen. Die Aufgabe der Flexibilitat bzw. Wechselfreiheit lassen sich die Spieler mit hohen Gehaltern kompensieren, wodurch die Perso-nalkosten der Vereine welter gestiegen sind. ^ Durch die Intensivierung des Wettbewerbs und die Verbesserung der arbeitsrechtlichen Bedingungen der Spieler ist die Attraktivitat der fruheren ver-tikalen Integration der Wertschopfungsstufen Entwicklung (Talententwicklung) und im ubertragen-den Sinne Produktion (Mannschaftsbildung bzw. Spiel) erheblich gemindert worden.

3.5 Entwicklungszyklus der Industrie

Der Umschlag von einer vertikalen zu einer horizontalen Integration einer Wertschop-

fungskette hangt oft mit dem Ablauf von Entwicklungsphasen zusammen: In der Grun-

dungsphase entstehen vornehmlich individuelle, vertikal aufgestellte Systemanbieter. Die

hohe Wertschdpfungstiefe resultiert aus dem Erfordernis eines koordinierten Infonnati-

onsflusses, dem Mangel an industrieweiten Standards und dem Fehlen eines entwickel­

ten Anbieterfeldes. Eine zuverlassige Versorgung in hinreichender Qualitat ist oft nur

Vgl. K. Schmeh, Titel, Tore, Transaktionen, S. 70-77. Heidelberg 2005. ^ Vgl. D. Diederichsen, J. Feddersen, „Die Ballkonige". in: McK Wissen, Vol. 7, Strategie, S. 92-97.

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durch interne Prozesse gewahrleist. Dies gilt neben der Produktion bzw. der Leistungser-stellung analog fur die Nutzung spezifischer Marketing- und Vertriebskapazitaten. Zudem ist ein wirkungsvoller Schutz geistigen Eigentums oft nur durch Ausschluss des Marktes sichergestellt. Entsprechend kann sich ein Feld unabhangiger, horizontal orientierter An-bieter nicht etablieren, wodurch eine vertikale Integration favorisiert wird. Bel zunehmender Reife einer Industrie und einer geringeren technologischen Dynamik erdffnen sich schliedlich GroBenvorteile, die im Rahmen einer Konsolidierung, als auch durch Auslagerung einzelner Prozessschritte an horizontal ausgerichtet Zulieferer er-schlossen werden konnen. Hierbei entsteht eine steigende Disposition zur Definition von Schnittstellen und Standards, wodurch eine weitergehende horizontal Integration des Anbieterfeldes vorbereitet wird.

K. R. Harrigan hat den Entwicklungszyklen als einen zentralen Bestimnnungsfaktor fur die Veranderung der vertikalen Integrationsmuster herausgearbeitet. Hierbei wird zwischen vier Phasen unterschieden: embryonale Entstehung (embryonic), Entwicklung (emer­ging), Reife (established) und die Endphase (endgame). Parallel sind Unsicherheit und Volatilitat des unternehmerischen Umfeldes einbezogen, wodurch sich insgesamt acht Falle ergeben, fur die ein typisches Integrationsmuster beschrieben wird. ^

° Vgl. K. R. Harrigan, Vertical Integration, Outsourcing and Corporate Strategy, S. 26fg., Washington 1983. Zur Berucksichtigung des Industriezyklus in strategischen Uberlegungen vgl. auch G. R. Deans, F. Kroger, S. Zeisel, Merger Endgames, Wiesbaden 2002.

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Teil II:

Trends der vertikalen Integration in exemplarischen Wertschopfungsketten

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1. Wertschopfungskette Computer

1.1 Darstellung der Wertschopfungskette

Die Abkurzung „PC" steht fur einen Rechner bzw. Computer, der von einer einzelnen

Person genutzt wird (personal computer) und grenzt den Computer vom GroBrechner ab,

der seit den 50er Jahren gewerblich zur Informationsverarbeitung genutzt wird. Die Com-

puterindustrie bzw. PC-Industrie ist in den 70er Jahren aus der Industrie fur GroBrechner

(mainframes) hervorgegangen. Fiir die Funktionsfahigkeit eines Computers ist neben der

Hardware bzw. den physischen Komponenten auch Software erforderlich, uber welche

die Operation und Bedienung des Rechners erfolgt. Hinsichtlich der Software wird zwi-

schen dem Betriebssystem zur Steuerung des Rechners und der Anwendungssoftware

unterschieden.

Fijr Forschung, Entwicklung und Produktion der einzelnen Komponenten, wie z. B. Mik-

roprozessor, Graphikkarte, Festplatte und Monitor, haben sich spezialisierte Anbieter

herausgebildet, welche die Computerproduzenten fiir den Zusammenbau mit einbaufahi-

gen Komponenten versorgen (Abbildung 8).

Abbildung 8: Abdeckung der Wertschopfungskette der Computerindustrie

Entwicklung und Programmierung von Software fur das Betriebssystem und die Anwen-

dungsprogramme wird uberwiegend durch reine Softwarefirmen geleistet Die heutigen

Computeranbieter weisen eine vergleichsweise geringe Wertschopfungstiefe auf und

konzentrieren sich auf die abgestimmte Konfiguration bzw. den Zusammenbau der Ein-

zelkomponenten. In den meisten Fallen haben die ehemaligen Produzenten den finalen

Vgl. G. MiJller-Stewens, C. Lechner, Strategisches Management, S. 390-391, Stuttgart 2001.

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Zusammenbau an unabhangige Lohnproduzenten bzw. EMC's (electronic manufacturing company) abgegeben und beschranken sich auf Entwicklung und Abstimmung der Kom-ponenten. Der ursprunglich hohe Anteil der Eigenversorgung mit Komponenten ist bis auf wenige Ausnahmen, z. B. das Festplattengeschaft bei Toshiba, durch ein Anbieterfeld ho­rizontal orientierter Zulieferer abgelost worden. Die Kernkompetenzen der Anbieter liegen im Einkauf und der nachfrageorientierten Konfiguration der Komponenten sowie der Ver-marktung der Computer.

Der Absatz erfolgt in erster Linie uber den unabhangigen Groli- und Einzelhandel. Ein begrenztes Segment, hauptsachlich gewerbliche Abnehmer, wird durch Direktbelieferung des Herstellers bedient. Zur Sicherstellung einer hinreichenden Vertriebspromotion hatten ursprunglich u.a. die Computerproduzenten Commodore, Digital Equipment und Texas Instruments in den 70er Jahren in den USA ein eigenes Retailgeschaft aufgebaut, dem heute allerdings keine Bedeutung mehrzukommt. IBM unterhielt bis 1981 eigene Filialen fur den Verkauf von Computern, die schlieRlich in Schulungszentren umgewandelt wur-den.'*° An den Einzelhandel schlielit sich das Reparatur- und Servicegeschaft an, das von den Anbietern oder von unabhangigen Dienstleistern erbracht wird. Bezuglich der Trends der vertikalen Integration innerhalb der Computerindustrie wird zu-nachst auf die Entkopplung von Hard- und Software (Abschnitt 1.2) und die Umwandlung des Produzenten zum Markenanbieter (Abschnitt 1.3) eingegangen. Die Entbundelung des Computers in standardisierte Module mit deflnierten Schnittstellen eroffnet den Zulie-ferern der zentralen Komponenten die Moglichkeit zur Eigenvermarktung ihrer Produkte (Abschnitt 1.4). Anschliefiend wird die Entwicklung zur horizontalen Organisation der Branche aus strategischer Sicht analysiert (Abschnitt 1.5). Im Bereich der Baslssoftware hat sich durch die herausragende Rolle von Microsoft eine weitgehende Bundelung von Betriebssystem und Anwendungssoftware ergeben (Abschnitt 1.6). Auf die vertlkale In­tegration von Zusammenbau und Einzelhandel wird am Beispiel von Dell eingegangen (Abschnitt 1.7).

1.2 Entkopplung bzw. Desintegration von Hard- und Software

Die Computerindustrie ist ein Standardbeispiel fur die Devertikalisierung einer Branche.

Fur die Herstellung von Grolirechnern hatten u.a. die Anbieter IBM, DEC, NCR, NEC und

Wang ihre systemspezifischen Hard- und Softwarekomponenten in den 70er Jahren noch

weitestgehend selbst entwickelt und produziert. Mit dem Aufkommen des Computers ist

hingegen eine Konzentration der Anbieter auf bestimmte Stufen der Wertschopfungskette

eingetreten. Die Entkopplung von Hard- und Software hangt eng mit der Geschichte von

IBM zusammen.

IBM, der damals fuhrende Hersteller von Grofirechnem, kontrollierte den Markt und hatte

das Potenzial von Computern bzw. von Rechnern fur den einzelnen Nutzer lange unter-

schatzt. Nachdem sich abzelchnete, dass der Computer zur operativen Unterstutzung

von Prozessen auch in Unternehmen eingesetzt wird und damit eine komplementare

Vgl. K. R. Harrigan, Vertical Integration, Outsourcing and Corporate Strategy, Washington 1983, 2003; S. 251-252.

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Komponente zum Kerngeschaft von IBM darstellt, wurde der Beschluss getroffen, forciert in das Connputermarktsegment einzusteigen. Angesichts des Entwicklungsvorsprunges der Wettbewerber entschloss sich IBM, das Betrlebssystem zur Steuerung der Funktio-nen nicht eigenstandig zu entwickein, sondern die eigene Wertschopfungstiefe im Ver-gleich zur Herstellung von Grodrechnern zu reduzieren/^ Die Fremdvergabe der Entwick-lung von Software durch IBM an einen spezialisierten Anbieter markiert einen Meilenstein fur die Entkopplung von Soft- und Hardware. Der fuhrende Hersteller von GroBrechnern stellte einem Zulieferer Produktspezifikationen zur Verfugung und gestaltete seine Com­puter als offenes System.

Als IBM einen Entwickler fur die Software der eigenen Computer suchte wurde zunachst mit Digital Research verhandelt. Die Firma hatte mit CP/M das Ende der 70er Jahre fuh­rende Betriebssystem entwickelt. Schliefllich wurde die damals noch unbekannte Firma Microsoft beauftragt, ein Betriebssystem fur die Computer von IBM zu entwickein. B. Ga­tes und P. Allen, die Grander von Microsoft, hatten ausgehend von BASIC eine Compu-tersprache fur den .Altair" geschrieben und sich unter den Programmierern einen Namen gemacht. Der Altair der Firma MITS stellte den ersten kommerzlellen Computer dar und arbeitete mit dem Intel-Chip 8080. Er besaB weder Computersprache, Laufwerk noch Tastatur. Microsoft lieferte die Computersprache und das Betriebssystem MS-DOS fiir die Computer von IBM. Den Vorlaufer von MS-DOS, Q-DOS, hatte Microsoft gekauft." ^ Hierbei bestand IBM nicht auf exklusiven Nutzungsrechten des Betriebsystems. Microsoft konnte das System anderen Computerherstellern anbieten und eine Nutzungs- bzw. Li-zenzgebuhr erheben. Zwischen 1981 und 1983 vereinbarte Microsoft mehr als 50 Lizenz-vertrage mit weiteren PC-Herstellern. B. Gates und P. Allen hatten aus fruheren Erfah-rungen gelernt, denn die Lizenz des Betriebssystems, dass sie fur den „Altair" entwickelt hatten, war exklusiv vergeben worden und Microsoft konnte von der weiteren Verbreitung nicht profltieren." ^ 1981 brachte Microsoft die erste Version von MS-DOS (Microsoft Disk Operating System) auf den Markt, mit der die Computer von IBM ausgestattet wurden. Der Marktanteil von IBM fiir Computer lag 1981 mit 40.000 installierten Systemen bei 3% und stieg bis 1983 auf A2%^^ Die hohe Verbreitung des Microsoft/IBM Systems basierte auf zwei Grunden: Zunachst profitierte MS-DOS von dem starken Markennamen von IBM, an dessen Aus-strahlung Microsoft in Form eines Co-Branding partizipierte. Zweitens, und dies ist aus strategischer Sicht der entscheidende Grund, entwickelte sich das Betriebssystem zu ei­nem Marktstandard, wodurch der Wert konkurrierender Systeme automatisch gesenkt wird. Der Wert eines Betriebssystems korreliert mit der Leistungsfahigkeit der technisch kompatiblen Anwendungsprogramme: Je mehr Anwendungsprogramme mit einem Be-

Zur Entstehung von Microsoft vgl. P. Carroll, Der Computerkrieg, Wien 1994. *^ Vgl. W. Hagen, „Bill Luhan und Marshall McGates", S. 32-39, in: A. Roesler, B. Stiegler (Hrsg.), Microsoft, Frankfurt/Main 2002, S. 24-47, und A. Stiller, „Fr6hliche Oldies. Der PC feiert seinen 20sten Geburtstag", in: c't 16/2001, S. 172-177. *^ Vgl. W. Hagen, „Bill Luhan und Marshall McGates", S. 38, in: A. Roesler, B. Stiegler (Hrsg.), Microsoft, Frankfurt/Main 2002. S. 24-47. ''''Vgl. K. R. Harrigan, Verticallntegration, Outsourcing and Corporate Strategy, Washington 1983, S. 243fg.

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triebssystem benutzt werden konnen, desto hoher ist dessen Leistungsfahigkeit. Die Wertsteigerung eines Betriebssystems in Abiiangigkeit der einsetzbaren Anwendungs-programme folgt wegen der Quervernetzung der Anwendungen einer Netzwerklogik: mit zunehmender Anzahl an Anwendungsprogrammen steigt die Verwendbarkeit bzw. der Wert eines Betriebssystems nicht proportional zur Anzahl der Anwendungen, sondern exponentlell an. Da eine limitierte Kompatibilitat mit dem Betriebssystem die Vermark-tungschancen einer Anwendungssoftware stark begrenzt, sind immer mehr Entwickler von Anwendungssoftware dazu ubergegangen, ihre Produkte kompatibel zu MS-DOS zu gestalten.

Microsoft erkannte die Hebelwirkung, den die zunehmende Verbreitung bzw. Standardi-sierung seines Betriebssystems versprach und unterstiitzte die Entwicklung von MS-DOS kompatiblen Anwendungsprogrammen. Die Kompatibilitat zum Microsoft/IBM System wurde schliefilich nicht nur fur Softwareprodukte, sondern auch fur Peripheriegerate zu einem Marktstandard. Entsprechend war es bis in die 90er Jahre ubiich, Komponenten eines Computers mit dem Hinweis JBM kompatibel" zu versehen. Hierdurch wurde impli-zit die Nutzung der Anwendungssoftware mit anderen Betriebssystemen erschwert, da ein Programm in den 80er Jahren nur mit einem verhaltnismaRig hohen Aufwand zu meh-reren Betriebssystemen kompatibel gemacht werden konnte. Fur die Anbieter konkurrie-renden Systeme wurde es auf der anderen Seite immer aufwendiger, innovative Entwick­ler zu rekrutieren, da sich kein Systemhaus Oder Programmierer durch Wahl des falschen Systems in seinem Marktpotenzial einschranken wollte.

Im Rahmen von Kooperationen mit den Computerproduzenten konnte Microsoft die Vor-installation seines Betriebssystems auf den Rechnern durchsetzen und somit die Compu-terhersteller als Vertriebskanal aufbauen. Ein Groliteil der Produzenten arbeitet bevorzugt mit Microsoft zusammen."^^ Die Wahlfreiheit des Kunden beim Einkauf wurde dadurch formal nicht aufgehoben, jedoch aufgrund der notwendigen Rekonfiguration einge-schrankt. In den 90er Jahren ist die Ausstattung des Rechners mit MS-DOS bzw. den Nachfolgeversionen selbstverstandlich geworden; das Betriebssystem von Microsoft wird heute von der uberwiegenden Anzahl der Nutzer als integraler Bestandteil angesehen, fur das es keine relevante Alternative gibt.

Fallbeispiel: Apple und die Kombination von Soft- und Hardware Die zunehmende Verbreitung des Betriebssystems MS-DOS und der Aufstieg zum Marktstandard ist nicht zuletzt durch eine strategische Fehleinschatzung von Apple begunstigt worden. Apple hatte 1981 bezogen auf die instailierten Systeme einen Marktanteil von 25%.'* Das Betriebssys­tem von Apple war MS-DOS in vielen Belangen uberlegen, insbesondere nach Einfuhrung des

Der amerikanische Computeranbieter Gateway, der analog zu Dell ein Direktvertriebssystem betreibt, hatte versucht, sich durch Vorinstallation von alternativen Betriebsystemen im Markt zu differenzieren. Hierbei ist Gateway in vielfaltiger Weise behindert worden und hat seine Plane schlieBlich aufgeben. Nach gerichtlicher Auseinandersetzung hat Microsoft 2005 zugesagt, Gateway eine Entschadigung von 150 Mio. US Dollar zu bezahlen. Vgl. "Gateway erhalt von Microsoft 150 Millionen Dollar aus Kartellklage", Handels-blatt, 12.4.2005. ® Vgl. K. R. Harrigan, Vertical Integration,Outsourcing and Corporate Strategy, Washington 2003; S. 253.

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Macintosh in 1984. Insofern war aus Sicht der Produktquaiitat die zunehmende Verbreitung von MS-DOS nicht abzusehen. Apple favorisierte jedoch die Vermarktung des Computers als System und sah nicht vor, sein Be-triebssystem entkoppelt von dem Computer bzw. der Hardware zu vermarkten. Anders als Micro­soft, das sein Betriebssystem alien Computerproduzenten fur eine Lizenzgebuhr anbot, war Apple nicht bereit, einen von der Apple-Hardware entkoppelten Verkauf der Software zuzulassen. Zu-dem verfolgte Apple auch eine andere Preispolitik und positioniert seine Computer im Hochpreis-segment. Ein Rechner kostete im Schnitt 500 US Dollar mehr als ein Produkt der Wettbewerber. Die technologische Uberlegenheit des Betriebssystems und der Anwendungssoftware von Apple konnte aber letztlich keinen hinreichenden pull through-Effekt bewirken, der ausgereicht hatte, urn den hohen Marktanteil zu halten. Ferner konnte ein Groliteil der IBM-kompatiblen Standardsoft-ware auf Applerechnern nur bedingt genutzt werden. Der Marktanteil fur Computer mit dem Mac OS Betriebssystem von Apple ist zu Anfang der 90er Jahre auf etwa 2% gesunken und hat sich in 2006 mit einem Anteil von etwa 4% verdoppelt. Der Absatz wird primar durch eine Fangemeinde aus Spezialisten mit hohen technischen Anforderun-gen, wie etwa Werbeagenturen und Publishing-Firmen, getragen. So hat der 1984 herausge-brachte Apple Macintosh zum ersten mal das einfache Gestalten von Druckschriften ermoglicht (Desktop Publishing). Die Entwicklung von Anwendungsprogrammen beschrankt sich auf speziel-le Multimedia-Programme (z. B. IPhoto, iDVD, iMovIe, Itunes). Durch die Einfuhrung einer neuen Version des Apple-Betriebssystems Mac OS X („Tiger") 2005 hat Apple versucht, Marktanteile zuruckzugewinnen. Die Ablosung von IBM und Freescale Semi­conductor (fruher Motorola) als Chipzulieferer durch Intel in 2006 soil eine grodere Verbreiterung des Betriebssystems OS X vorbereiten.'*' Zudem ist die Anwendbarkeit von Microsoft-Software auf den Rechnern von Apple stark vereinfacht worden.

1.3 Entkopplung von Produktion und Marketing Eine weitere Entkopplung in der Entwicklung der Computerindustrie betrifft die organisa-torische Trennung von Produktion und Marketing. Der Groliteil der fuhrenden Computer-anbieter hat die eigene Fertigung der Rechner an Lohnproduzenten bzw. EMC's abgege-ben und konzentriert sich auf Entwicklung, Marketing und Vertrieb.

Fallbeispiel: Toshiba und die Auslagerung der Produktion Toshiba war ein Vorreiter innovativer, mobiler Computer im High end-Segment (Laptops bzw. No­tebooks) und stellte seine Computer in Eigenleistung her. Mit zunehmendem Verlust der Sonder-stellung konnte sich Toshiba dem Preisverfall und dem resultierenden Kostendruck immer weni-ger entziehen und begann, die Herstellung auszulagern. In 2004 wurde beschlossen, die Halfte der Produktion an talwanesische Hersteller zu vergeben. In Taiwan werden inzwischen etwa zwei Drittel der globalen Nachfrage von Lohnfertigern hergestellt.'*®

Der Trend wurde durch die bedingte Kompatibilitat von Eigen- und Frenfidfertigung ver-

starkt. Das Modell eines vertikal diversifizierten Computerherstellers, der Kapazitaten so-

wohl fur die unter eigenem Namen vermarkteten Baureihen, als auch Auftrage anderer

Computeranbieter einsetzt, konnte sich im Markt nicht durchsetzen.

'''^ Vgl. C. Dernbach, ..Apples neuer Kem", S. 19-21, in: MACUP, 08/2005. ^^ Vgl. ..Toshiba announces major renovation of Personal Computer Business", Toshiba Pressemeldung, 16.9.2003, und ..Reboosting Toshiba", in: BusinessWeek, 31.5.2004, S. 32-33.

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Fallbeispiel: Inkompatibilitcit von Eigen- und Lohnfertigung bei Acer Das taiwanesische Unternehmen Acer hatte ursprunglich als reiner Lohnproduzent fur u.a. IBM Rechner zusammengebaut und schlieUlich auch fur eigene Markenrechner den Zusammenbau ausgefuhrt. IBM sah darin einen Interessenskonflikt und war schlielilich nicht mehr bereit, einem direkten Wettbewerber Einblick in die Produktion zu gewahren und vergab das Auftragsvolumen an eInen reinen Lohnproduzenten. Acer gliederte daraufhin seine Produktionsanlagen aus und beschrankte sich auf Entwicklung und Marketing. Die Herstellung wird nur noch zu einem Teil von der ausgegliederten Sparte ausgefuhrt; parallel werden unabhangige Lohnproduzenten einbezo-gen. Aus Sicht eines Finnensprechers von Acer bieten sich dadurch zwei Vorteile in der Produkt-entwicklung: „So konnen wir nicht nur gunstiger und in einer grofieren GerStevielfalt produzieren, sondern vor allem viel flexibler auf Nachfrageanderungen reagieren"."*

Parallel zur Entkopplung von Herstellung und Marketing hat sich eine Konzentration des

Anbieterfeldes ergeben, die durch die sinkenden Margen in der Wertschopfungsstufe

Produktion bzw. Zusamnfienbau noch forciert wurde. Nach Entkopplung von Hard- und

Softwaregeschaft bzw. Produktion und Marketing ergibt sich heute folgendes Bild der

Computerindustrie (Abbildung 9).

Abbildung 9: Exemplarische Abdeckung der Wertschopfungskette der Computerin­dustrie durch fijhrende Anbieter.

Intel fiir Mikroprozessoren und Microsoft fiir Software haben sich als die zentralen Kom-ponentenhersteller herausgebildet, die mit ihren Bestandteilen einen signifikanten Wert-anteil des Computers vereinnahmen und beide ein erfolgreiches Endverbraucher-

Vgl. „Extrem dynamisch", in: Wirtschaftswoche, 16.12.2004, S. 52-56, und A. Hennersdorf, T. Kuhn, ..Speziai: Mobile Computing", S. 116, in: Wirtschaftswoche, 11.3.2004, S. 114-118.

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Marketing aufgebaut haben. Bei zentralen Rechnereinheiten hat Intel einen Marktanteil

von 80%, bezogen auf den Wert von 90%. Der groSte Wettbewerber von Intel ist AMD.

Dell hat mit dem Direktvertriebsmodell seine fuhrende Position ausschliedlich durch or-

ganisches Wachstum erreicht. HewlettPackard hatte 2002 Compaq ubernommen. IBM

hatte 2002 seine Produktion an den Auftragsfertiger Sanmlna-SCI ausgelagert und 2004

80% seiner Computersparte an den chinesischen Produzenten Levono verkauft. Siemens

und Fujitsu hatten ihre Geschafte bereits in den 90er Jahren zusammengelegt.

Die Computeranbieter konzentrieren sich auf die Entwicklung und Vermarktung, wahrend

die reine Produktion zum GroRteil an unabhangige EMC's abgegeben worden ist. Eigene

Produktion (Zusammenbau) liegt noch bei Dell (vollstandig), Levono/IBM und Toshiba

(beide teilweise) vor. Dell und Gateway als reine Direktvertriebsunternehmen und zu el-

nem geringen Antell HewlettPackard - mit dualer Vertriebsstrategie - haben einen eige-

nen Einzelhandel aufgebaut. Apple stellt aufgrund der partiellen Kombination von Hard-

und Software eine Ausnahme dar und reprasentiert noch das ursprungliche Modell des

integrierten Produzenten.

1.4 Eigenvermarktung der Komponenten-Hersteller Mit der Umstellung des Computers von einer monolithischen Einheit auf ein offenes Sys­tem mit abgegrenzten Komponenten eroffnete sich fur die Hersteller der Komponenten eine neue Ausgangslage fur die Vermarktung. Bei hinrelchendem Wert des einzelnen Bauteils am Gesamtsystem stellt sich die Frage, inwieweit das Produktmarketing in Be-zug auf den Endverbraucher vollstandig dem Computerproduzenten bzw. Anbieter uber-lassen bleibt. Sowohl fiir den Komponentenhersteller, als auch fur den Produzenten bletet sich im vertikalen Wettbewerb ein Differenzierungsvorteil bei Besetzung der Wertschop-fungsstufe Produktmarketing. Mit den Ambitionen des Komponentenherstellers, sein Produkt gegenuber dem End­verbraucher als Marke zu positionieren, verwandelt sich der Zulieferer in der Wertschdp-fungsstufe Produktmarketing zu einem Konkurrenten, dessen Einfluss der Computerpro-duzent ggf. durch Auslistung zu begrenzen versucht. Hierbei ist der Produzent des zu-sammengesetzten Produktes in der Regel in der uberlegenen Position, da er durch Be-auftragung eines No Name-Produzenten den Markenhersteller umgehen kann. Bei ver-gleichbarer Qualitats- und Kostenposition im Vergleich zu seinen Wettbewerbern wird der Komponentenhersteller seinen Marktanteil nur dann halten konnen, wenn es ihm gelingt, einen pull through-Effekt durch den Endverbraucher zu generieren. Sowohl Intel im Bereich Mikroprozessoren als auch Microsoft im Segment Software (Be-triebssystem, Anwendungsprogramme) haben es geschafft, ihre Marke gegenuber dem privaten Endverbraucher nachhaltig zu positionieren, so dass ihrem Brand eine fast hdhe-re Bedeutung als dem Fabrikat einiger Hardwarehersteller zukommt.

Fallbeispiel: Aufbau eines Ingredient-Brand durch Intel Intel hat als zentraler Zulieferer von Mikroprozessoren eine Strategle des ingredient Branding ge-wahlt, obwohl Chips vorher ein reines Industriegut darstellten. Der amerikanische Chlpproduzent

41

Page 56: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

erzielte 1981 mit dem Chip 8086 in den Computern von IBM einen Durchbruch und hat die domi-nierende Rolle des Chipproduzenten bis heute nicht eingebuRt. Die Innovationsfuhrerschaft wur-de durch Erhohung der Leistungsfahigkeit und der Einfuhrung der Pentiumgeneration bzw. der Centrino-Reihe fur Laptops verteidigt. Das ursprungliche Kerngeschaft, die Hersteiiung von DRAM-Speicherchips, wurde nach Verlust der Wettbewerbsfahigkeit durch den Eintritt japani-scher Produzenten aufgegeben. In den 80er Jahren hatte Intel die an den Kunden gerichtete Werbekampagne Jntel Delivers" durchgefuhrt und in den 90er Jahren mit einem Grodteil der Computerhersteller vereinbart, dass jeder Rechner mit einem Prozessor von Intel den Jntel inside"-Aufkleber tragt. Parallel dazu star-teten die Produzenten eine Werbekampagne, mit der das Interesse des Endverbrauchers fur die Leistungsfahigkeit des verwendeten Mikroprozessors geweckt wurde. Die Hersteller koordinierten und finanzierten die Werbung und erhielten im Gegenzug von Intel eine Kompensation. Der Marktanteil der Prozessoren der Wettbewerber von Intel ist seit Beginn der Marketingstrategie 1989 bis 1998 von 44% auf 17% gesunken. °

Die Strategie von Intel zur Generierung des pull through-Effektes orientiert sich an der psychologischen Vertriebsstrategie einer Versicherung, bei der zunachst durch Aufzeigen einer Gefahr eine Unsicherheit hervorgerufen wird, die dann dem beruhigenden Versiche-rungsprodukt den Weg bereitet. Analog ist von Intel eine anfangliche Indifferenz des End­verbrauchers gegenuber einer vorerst unbekannten Konfiponente durch eine erhohte Aufmerksamkeit und Unsicherheit in der Beschaffungssituation verdrangt worden.^^ In der Werbung wurde die Botschaft vermittelt, dass man bei dem Kauf eines Computers in Be-zug auf den Prozessor „auch etwas falsch machen kann". Der Jntel inside"-Aufkleber konnte darauf aufbauend als Markenzeichen fur gesicherte Rechnerleistung positioniert werden. Da die uberwiegende Anzahl der Endverbraucher den Beitrag der Chipqualitat fur die Funktionsfahigkeit eines Rechners nur bedingt einschatzen kann, wurde eine rein technische Begrundung der Marketingstrategie zu kurz greifen. Trotz Initiierung gezielter Werbung durfte der Einkaufsentscheidung des Computerproduzenten vermutlich noch eine hohere Bedeutung zukommen als dem pull through-Effekt durch den Endverbrau­cher. Folgerichtig hat Intel versucht, auch direkt auf die Produzenten Einfluss zu nehmen. Einige Produzenten sind in den 90er Jahren dazu ubergegangen, ausschlieRlich Intel-Chips in ihren Rechnern zu verwenden.

1.5 Strategische Analyse der Desintegration der Computerhersteilung

Die vertikale Integration im Anbieterfeld fur Grollrechner der 70er Jahre ist vor dem Hln-

tergrund der Griindungsphase einer Industrie zu sehen, in der noch keine definierten

Schnittstellen oder Standards fur die Kombination der Komponenten etabliert waren. Eine

Fremdvergabe hatte die Ausgliederung der eigenen Kapazitaten erfordert, da unabhangi-

ge Produzenten noch nicht existierten. Zulieferer konnten sich nur bedingt entwickein und

wurden von den vertikal integrierten Systembesitzern unterdruckt. Die Geheimhaltung ei-

'" Vgl. ..Paaiiauf mit Tucken", S. 54, in: McK Wissen (2002). Volume 3. S. 52-59. ^ Zur Marketingpsychologie der Jntel inslde"-Strategie vgl. P. Erdmeier, Jntel inside - Okonomische Analy­se einer mehrstufigen Marketingstrategie", Diplomarbeit Freie Universitat Berlin, 1996/97.

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gener Kompetenzen wurde hoher eingeschatzt als der Verlust der WettbewerbsfShigkeit durch unterkrjtische Aktivitaten in der Entwicklung und Produktion von Komponenten. Grodenvorteile in der Entwicklung und Produktion von Komponenten, die sich durch die rasante Zunahme des Produktionsvolumens ergaben, sind die treibende Ursache der einsetzenden Devertikalisierung zu Anfang der 80er Jahre. Durch die exponentielle Er-weiterung des Nutzerspektrums ist ein Massenmarkt n iit hohen Stuckzahlen entstanden: War der Grollrechner in den 70er Jahren noch auf gewerbliche Kunden beschrankt, die den Rechner uberwiegend zentral nutzten, ist aus denri Computer ein personliches Ar-beitsgerat fur den privaten Endverbraucher sowie gewerbliche Nutzer mit multifunktiona-ler Anwendung geworden.

Insbesondere die anbieterubergreifende Entwicklung von Komponenten fuhrt gegenuber einer Selbstversorgung der Computerhersteller zu einem signifikanten Kostenvorteil, den ein differenzierter Anbieter mit seinem eigenen System nur kurzfristig kompensieren kann. ^ Die bei einem Entwicklungsprojekt entstehenden Kosten sind unabhangig von dem Marktanteil der Komponente. Bel sinkendem Marktanteil muss ein Produzent seinen Entwicklungsaufwand mehr und mehr senken. Dies fuhrt mittel- bis langfristig zu einem technischen Wettbewerbsnachteil, bis die Anbieter schliefilich ihre Selbstversorgung auf-geben mussen und von einem horizontal aufgestellten Anbieter beziehen. ^ Folgerichtig ist die Wertschopfungskette fur die Entwicklung und die Herstellung von Computem seit den 80er Jahren uberwiegend horizontal integriert. Die strategische Ent-scheidung von IBM, im Computergeschaft den Vorsprung der Wettbewerber durch einen Komponentenbezug - sowohl fur Software als auch den Mikroprozessor - zu egalisieren und eine „open architecture" des eigenen Computers zuzulassen, stellt somit nur den his-torlschen Aniass der Devertikalisierung dar. Die tiefer liegende Ursache, der Kostenvorteil bei horizontaler Integration, hatte fruher oder spater ohnehin ein Aufbrechen der vertika-len Systemanbietererzwungen. Mit der unternehmerischen Verselbstandigung der einzelnen Wertschdpfungsstufen hat sich die Wertverteilung Innerhalb der Wertschopfungskette neu gestaltet. Im vertikalen Anbieterfeld wurde die Rendite nur auf die Gesamtrendite der Wertschopfungskette bzw. eines Unternehmens bezogen werden; nach horizontaler Integration bezleht sich die Rendite auf einzelne Wertschdpfungsstufen. Der Vergleich des Umsatzanteils einer Wertschopfungsstufe mit dem Anteil am Gewinnpotential der gesamten Wertschopfungs­kette verdeutlicht, dass die Komponentenzulieferer fur Mikroprozessoren und Software -also vornehmlich Intel und Microsoft - etwa 60% des Gewinnpotentials fur sich verein-

Vgl. J. Farrell, P. J. Weiser, "Modularity, Vertical Integration, and Open Access Policies: Towards a Con­vergence of Antitrust and Regulation in the Internet Age", in: Institute of Business and Economic Research, Paper CPC02-035 (2003), S. 7-8, abgelegt unter http://repositories.cdlib.org/iber /cpc/CPC02-035, auf-gerufenam 4.12.2004. ^ Vgl. J. Peyrefitte und P. A. Golden, die fur Unternehmen der PC Hardware Industrie mit vertikaler Integra­

tion ein unterdurchschnittliches ROI ermittelt haben, in: J. Peyrefitte, P. A. Golden, "Vertical integration and performance in the United States Computer Hardware Industry", in: International Journal of Management, June 2004, Vol. 21, Nr. 2, S. 246-251.

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Page 58: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

nahmen. "* Demgegenuber treten die Computeranbieter in den Hintergrund, die zwar ei-nen Umsatzanteil von 40%, jedoch nur 5% des Gewinnpotentials erreichen (Abbildung 10).

Abbildung 10: Verteilung von Umsatz und Gewinn in der Wertschopfungsket-te fijr Computer in relativen Anteiien^^

Die Disproportionalitat von Umsatz- und Gewinnanteil hangt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Hinsichtlich des geringen Gewinnanteils der Computerhersteller (Zusam-menbau) sind in erster Linie die vergleichsweise geringe Differenzierung und die unzurei-chenden Einstiegshurden in dieses Marktsegment zu nennen. Bezogen auf den ersten Aspekt ist fur die Anbieter eine Situation eingetreten, die eine Abgrenzung vom Angebot des Wettbewerbs fast nur noch uber den Preis eriaubt. Die fur die Leistung relevanten Konfiponenten des Computers, an denen eine Differenzierung ansetzen konnte, sind fur alle Wettbewerber frei verfugbar. Ebenso sind kaum Eintrittshurden vorhanden, da ein Grollteii der Technologie inzwischen Standard ist und die Abhangigkeit der Herstellkosten vom Produktionsvolumen gering ist. Das verhaltnismaBig hohe Gewinnpotential des Komponentenzulieferers Intels basiert auf dem technologischen Vorsprung des Unternehmens kombiniert mit einem erfolgreichen Endverbrauchermarketing. Die Hochleistungschips sind patentgeschutzt und kbnnen nicht kopiert werden. Hinzu kommt, dass Intel im Innovationswettbewerb mit AMD seinen

Vgl. C. M. Christensen, M. Raynour, M. Verlinden, „Skate to where the money will be", in: Harvard Busi­ness Review, November 2001, S. 71-81. " Vgl. O. Gadiesh, J. L, Gilbert, „Profit Pools: A fresh look at strategy", S. 145, in: Harvard Business Re­view, Mai/Juni 1998, S. 139-147; C. A. Bartlett, C. A., S. Ghoshal, „Going global. Lessons from late mov­ers", S. 136, Harvard Business Review, Marz/April 2000, S. 132-142; C. Hoban, T. Byrne, S. Wolin, „Trans-fomiing ideas into results", S. 4, in: Mercer Management Journal, Vol. 13, 2001, S. 1-20, und A. J. Sly-wotzky, Value Migration, Boston 1996, S. 179-205.

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Page 59: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Vorsprung lange behaupten und sich dadurch immer im Hochpreissegment positionieren

konnte, wahrend die Produkte von AMD erst in der Phase des Preisverfalls einer Techno-

logiegeneration in den Markt kannen. Der technologische Vorsprung fuhrte zu einenfi do-

minanten Marktanteil, der wiederum eine Allokation der hohen Forschung & Entwick-

lungsaufwendungen auf eine grolie Anzahl verkaufter Einheiten zuJiell. ®

Bei Microsoft, dem neben Intel zweiten dominanten Zulieferer, ist das auf Lizenzen beru-

hende Geschaftsmodell als Erklarung des hohen Gewinnanteils zu nennen. Nach Ab-

schluss der Entwicklung eines Softwareproduktes konnen ohne weitere „Produktionskos-

ten" anhaltende Lizenzeinnahmen erzielt werden, mit denen sich betrachtliche De-

ckungsbeitrage erzielen lassen. Hierbei hat Microsoft enonn von der Etablierung seiner

Produkte zum Marktstandard profitiert. Die Konkurrenten sind in einer benachteiligten Po­

sition, da Ihre Produkte trotz guter Leistungskennzahlen nur schwer zu vermarkten sind.

Eine Umstellung der Software ist fur den Anwender in de Regel mit einem hohen Wech-

selaufwand verbunden. Die hohen Eintrittshurden im Wettbewerb fur Computer-

Betriebssysteme und Anwendungssoftware haben Microsoft de facto in eine Monopolstel-

lung manovriert und eriauben ein angehobenes Preisniveau.

1.6 Bundelung von Betriebssystem und Anwendungssoftware Die Verbreitung des Betriebssystems MS-DOS war die Grundlage fur die Vermarktung der Microsoft-Anwendungsprogramme Excel (Tabellenkalkulation), Word (Textverarbei-tung) und PowerPoint (Prasentation), die heute den Markt dominleren. In 1982 offerierte Microsoft mit Multiplan spreadsheet sein erstes Anwendungsprogramm, das aufgrund der Limitatlonen des 64k Memorychips von IBM nicht den vollen Entwicklungsstand reprasen-tierte. Microsoft war IBM In der Entwicklung entgegengekommen und hatte die Software so vereinfacht, dass sie mit dem 64k Chip betrieben werden konnte. Das Produkt Lotus 1-2-3 des Wettbewerbers Lotus konnte hingegen die Leistungsfahigkelt des neuen 256K Memorychip ausnutzen und war dem Produkt von Microsoft technisch uberlegen. Ent-sprechend erreichte das Programm Lotus 1-2-3 in den USA einen Marktanteil von 80%. Daraufhin begann Microsoft seine Anwendungsprogramme so zu gestalten, dass sowohl fur das IBM-System, als auch das Apple Macintosh-System eine kompatible Version zur Verfugung stand. Entsprechend waren die Folgeversionen von Multiplan in 1984 und Word in 1985 nicht an die Restriktionen eines bestimmten Systems gebunden. Das Text-verarbeitungsprogramm Word hatte schliefllich auf Apples Macintosh-Systemen einen hoheren Marktanteil als die eigenen Produkte von Apple. Gegen Ende der 80er Jahre nahm Microsoft bereits die zweite Position im Softwaremarkt fur Textverarbeltung (nach WordPerfect) und Tabellenkalkulation (nach Lotus) ein.

Die Etablierung der Anwendungsprogramme von Microsoft als Standard wurde schlieft-lich in der ersten Halfte der 90er Jahre erreicht und beruht auf mehreren Faktoren. In ers-ter Linie ist der Marktanteil des Betriebssystems von uber 95% kombiniert mit einer Pro-duktbundelung von Betriebssystem und Anwendungsprogramm zu nennen, die beide ei-

' Vgl. A. J. Slywotzky, D. J. Morrison, Jntel", in: Die Gewinnzone, S. 178-196, Landsberg/Lech 1998.

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ne Starke Promotion der Anwendungsprogramme bedingen. Mit der Einfiihrung von Win­dows 95, eine Nachfolgeversion von MS-DOS mit integrierten Anwendungsprogram-men, ^ hatte Microsoft bezuglich der graphischen Gestaltung der Benutzeroberflache mit Apple annahernd gleichgezogen. Apple war dem Microsoft/IBM System hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit lange uberlegen. Komplexe Befehlsnamen zur Bedienung des Systems, die umstandlich eingetippt werden mussen, hatte Apple sehr friih durch piktoria-le Felder ersetzt, die zusammen mit dem cursor und einer „Maus" ein- und ausgeschaltet werden konnen. Einen Groliteil seiner Innovationen konnte Apple jedoch nicht hinrei-chend schutzen und sie wurden von den Wettbewerbern ubernommen. Bereits 1988 hat­te Apple Microsoft und Hewlett Packard wegen Verletzung exklusiver Nutzungsrechte verklagt. ^

Durch Ubergang zum Verkauf der Software im Paket konnte der pull through-Effekt des Betriebssystems fur die Vermarktung der Anwendungsprogramme genutzt werden. Gleichzeitlg wurde eine nahtlose Kompatibilitat beider Systemkomponenten sicherge-stellt. Durch abgestimmte Entwicklung war die neue Version des Betriebsystems Oder ei­ner Anwendungssoftware immer mit der komplementaren Komponente kompatibel. Die Abstimmung der Softwarekomponenten ist fur die Wettbewerber ungleich schwerer zu erzielen, da sie die technlsche Spezifikation der aktuellen Version nur teilweise bzw. der neuen Version des Betriebsystems erst verspatet einsehen konnen. Microsoft ist vorge-worfen worden, durch technlsche Voreinstellungen der eigenen Software und gezielte Modifikation offener Standards die Kompatibilitat konkurrierender Softwareprodukte be-wusst zu verhindern und damit deren Marktzugang zu blockieren. ^ In Analogie zur Verbreitung des Betriebssystems ist die Vorinstallation der Software durch die Produzenten nicht zu unterschatzen. Durch Kooperation mit den Computerher-stellern hat Microsoft erreicht, dass Windows einschllelilich der integrierten Anwendungs­programme auf den Rechnern vorinstalliert wird. Fiir die meisten Nutzer war das Paket hinreichend und der Erwerb eIner alternativen Software wurde nicht in Betracht gezogen. Aufgrund der weiten Verbreitung von MS-DOS waren die Produkte der Wettbewerber zu-sehends in der benachteiligten Situation, die installierten Programme des Wettbewerbers verdrangen zu mussen, was fiir den Nutzer mit einem Umstellungsaufwand verbunden ist. Die fruheren Wettbewerber fiir Anwendungsprogramme sind aufgrund ihres sinkenden Marktanteils und finanzieller Engpasse ubernommen worden. WordPerfect wurde Ende der 80er Jahre von Novell ubernommen und 1995 an Corel weiterverkauft. Auch durch die Einfuhrung von WordPerfect 7.0 1996 konnte kein nennenswerter Marktanteil mehr erreicht werden. Corel ist heute mit dem Produkt WordPerfect Office Suite einer der letz-ten verbliebenen Wettbewerber fur Microsoft im Bereich Textverarbeitung. Lotus, der fru-

^ Zur Produktgeschichte von Microsoft vgl. M. Vogel, ..Oberflachlich freundlich", S. 236-237, in: A. Roesler, B. Stiegler (Hrsg.), Microsoft, Frankfurt/Main 2002, S. 212-238. ® Vgl. G. R. Jones, „Microsoft Corporation in 1996", S. C81-C83, in: C. W. L. Hill, G. R. Jones, Strategic Management, Boston New York, 2000. ^ Vgl. J. Pflijgler, P. Purgathofer, „FAQ Microsoft", S. 161-167, und S. KrempI, ..Microsoft als Wirtschafts-machf, S. 81-84. beide Artikel in: A. Roessler. B. Stiegler (Hrsg.). Microsoft, Frankfurt/Main 2002.

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here Hauptwettbewerber von Microsoft fur Tabellenkalkulationsprogramme, wurde 1993

von IBM akquiriert.

Eine analoge Strategie der Produktbundelung von Betriebssystem und Anwendungssoft-

ware hatte Microsoft auch Mitte der 90er Jahre bei der Vermarktung seines Browsers (In­

ternet Explorer) und zu Anfang des 21. Jahrhunderts des Media Players (Musik- und

DVD-Abspielgerat) eingeschlagen und letztlich erfolgreich umgesetzt: Die Anwendungs-

programme wurden standardmalilg in das Office-Paket integriert und im Preis nicht sepa-

rat ausgewiesen. Eine optionale Version des Office-Paketes ohne die einzelnen Anwen-

dungsprogramme wurde in der Regel nicht angeboten.

1.7 Vertikale Integration von Fertigung und Einzelhandel

Eine signifikante Effizienzsteigerung durch vertikale Integration von Produktion und Ein­

zelhandel kann sich im Einzelfall ergeben, wenn der Produzent durch Aufbau eigener

Einzelhandelsaktivitaten einen qualitativen Vorteil gegenijber dem ubrigen Wettbewerb

erreicht. Eine solche Konstellation war in der Computerindustrie durch den Markteintritt

des Unternehmens Dell und des Nachfolgers Gateway gegeben. Der Vertrieb von Com-

putern erfolgte herkbmmlich uber den unabhangigen Einzelhandel. Diesbezuglich kann

zwischen dem stationaren und dem nicht-stationaren Einzelhandel unterschieden wer-

den, der entweder uber das Telefon, per Fax oder uber das Internet abgewickelt wird. Mit

den Produzenten Dell und Gateway haben zwei Anbieter eine vertikale Integration von

Produktion (Zusammenbau), Produktmarketing und Einzelhandel vorgenommen und sich

auf den Internet-basierten Einzelhandel spezlalisiert.

Fallbeispiel: Direktvertrieb von Computern bei Dell Der amerikanische Computerproduzent Dell startete ursprunglich mit der Wiederverwertung ge-brauchter Einzelteile und konzentrierte sich erst spater auf das Neugeschaft. Die Konzeption des Direktvertriebs entstand nicht als geniale strategische Idee, sondern ist das Ergebnis eines per-manenten Anpassungsprozesses gewesen. Ausgangspunkt war die Erkenntnis der Ineffizienz der etablierten Einzelhandelsstrukturen. M. Dell, der CEO von Dell, rekapituliert die Entstehung sei­nes Geschaftsmodells vor dem Hintergrund der damaligen Struktur der Computerbranche: Jch habe als Teenager mit PC's gehandelt und gesehen, wie ineffizient diese Industrie arbeitet. Als ich 1984 startete, kostete ein PC rund 3.000 Dollar. Die Telle, aus denen der Rechner bestand, waren aber bestenfalls 700 Dollar wert. Die Handler hatten rieslge Spannen, ihr Service hingegen war lausig. Auderdem verkauften sie nicht die neueste Technologie, well sie auf ihren Lagerbe-standen saRen. Wir haben den Handel ausgeschaltet und sind direkt an den Kunden herange-gangen. Dadurch konnten wir Topprodukte zu gunstigeren Preisen und mit besserem Service an-bieten". ° Der Vertrieb wurde zuerst uber das Telefon abgewickelt, ab 1996 parallel uber die elgene Inter-netplattform. Dell hatte zwischen 1991 und 1994 den unabhangigen Einzelhandel einbezogen und kooperierte mit der Retailketten CompUSA, Staples, BestBuy, Sam's Club, Price Club/Costco, Business Depot und PC World. Da die Dualitat der Vertrlebskanale eine zunehmen-de Kompiexitat bedingte und eine individuelle Konfiguration bei Vermittlung uber den unabhangi-

®° Vgl. ..Schnell, schneller, Dell", in: manager magazin, April 1999, S. 120-133 und ..Computergeschaft lauft auf Hochtouren", in: Handelsblatt, 19.7.2004.

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gen Einzelhandel nicht realisiert werden konnte, hatte sich Dell wieder vollstandig auf den Direkt-vertrleb konzentriert. Dell ist Marktfuhrer in der Computerindustrie; der globale Marktanteil hat sich zwischen 1998 und 2004 verdoppelt. Damit rangiert Dell vor HewlettPackard, Levono/IBM, Fujitsu/Fujitsu Siemens, Acer und Toshiba.®^ Obwohl Dell im Computergeschaft nur eine Bruttomarge von knapp 20% er-zielt und damit hinter IBM und Hewlett-Packard liegt, betrSgt die Nettomarge nach Abzug aller Abwicklungs- und Overheadkosten 5% bis 7%.® Den GroUteil des Umsatzes erzielt Dell mit Unternehmen und Behorden, bei denen ein professio-neller Einkaufer die Bestellung abwickelt. In China hat sich Dell hingegen aus dem Vertrieb von Computern an private Endverbraucher weitestgehend zuriickgezogen. Die Wettbewerber wie et-wa der chinesische Hersteller Levono/IBM Oder Hewlett-Packard sind in China mit ihrem Handler-netzwerk besser aufgestellt. Der chinesische Endverbraucher hat einen vergleichsweisen hohen Beratungsbedarf im Einkauf von Computern.

Fur Kunden mit reduziertem Bedurfnis nach individueller Beratung und unmittelbarer phy-sischer Begutachtung des Produktes ist der Direktvertrieb ein adaquater Vertriebskanal. Die persdnliche und Hersteller-unabhSngige Beratung des unabhangigen Einzelhandels stellt allerdings auch eine substantielle Wertschopfung dar, die der Direktvertrieb des Produzenten in dieser Form nicht leisten kann.

Die Versuche der etablierten Computeranbieter, das Modell des Direktvertrlebs zu kopie-ren, erwiesen sich aufgrund der Beziehungen zum unabhangigen Einzelhandel als kom-pliziert. Einerseits weist die Parallelitat eines direkten und indirekten Systems eine un-gleich hohere Komplexitat als ein eingleisiges System auf. Weiterhin musste zur Vermei-dung eines Verlustes an Marktanteilen eine einvernehmliche Zusammenarbeit mit den bisherigen Vertriebspartnern sichergestellt werden, die durch den Aufbau eines direkten Systems jedoch erklartermaRen ausgeschaltet werden sollen.

Hewlett-Packard verfolgt mit geringem Erfolg eine duale Vertriebsstrategie uber den un­abhangigen Einzelhandel kombiniert mit eigenem Direktvertrieb. Bei Abwicklung als Di­rektvertrieb wird eine individuelle Konfiguration angeboten. Die Unterstutzung des unab­hangigen Einzelhandels darf hierbei zum Schutz des Drucker- und Patronengeschaftes nicht beeintrachtigt werden. Acer konzentriert sich hingegen vollstandig auf den indirekten Vertrieb uber den unabhangigen Einzelhandel."

Der Direktvertrieb weist zwei Vorteile gegenuber der Entkopplung von Fertigung und Ein­zelhandel zwei Vorteile auf: die Verringerung der Vertriebskosten (Abschnitt 1.7.1) und die Umstellung auf ein built to order-System (Abschnitt 1.7.2).

1.7.1 Verringerung der Vertriebskosten

Die Uberlegenheit des Direktvertrlebs fur bestimmte Kundengruppen Ist zum einen in den

geringeren vertriebsspezifischen Transaktionskosten im Vergleich zum stationaren Ein­

zelhandel begrundet, die sich durch Verzicht auf Verkaufspersonal und eine stationSre

Vgl. ..Schneli, schneller, Dell", S. 129-130, in: managermagazin, April 1999. ® Vgl. „The Education of Michael Dell", S. 58, in: Fortune, 7. Marz 2005, S. 55-60. ^ Vgl. „Carly*s Challenge", in: BusinessWeek, 13. Dezember 2004, S. 48-56; und "Ein bisschen schwanger geht nichf, in: Wirtschaftswoche, 17.2.2005, S. 44-45.

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Vertriebsinfrastruktur ergeben. Der Anteil der Vertriebskosten am Umsatz bzw. End-

verbraucherpreis fallt bei Abwicklung uber den unabhangigen Einzelhandel hoher aus als

beim Direktvertrieb, wobei ein Grodteil auf die Umsatzrendite des Handlers entfallt (Ab-

bildungH).^^

Abbildung 11: Exemplarischer Vergleich der Gewinn und Verlustrechnung fur einen Computer-Produzenten mit Vertrieb uber den unabhangigen Einzelhandel (oben) und mit Direktvertrieb (unten)

Durch die Ausschaltung einer vermittelnden Handelsstufe, der Senkung der Kapitalkosten und einem geringeren Wertverlust der Komponenten ergibt sich eine Differenz der Um-satzrenditen von etwa 5%. Im Direktvertriebsmodell wird eine Umsatzrendite von 6%, bei vermitteltem Vertrieb eine Umsatzrendite von nur 1% erzielt. Hierbei ist berucksichtigt, dass der Computerproduzent mit Direktvertrieb hohere Marketingausgaben und Over-headkosten aufweist.

1.7.2 Umstellung auf ein built to order-System

Ein weiterer Vorteil ergibt sich durch Etablierung eines built to order-Systems. Die Com-

puterindustrie hatte in den 80er Jahren nach einem Made to forecast-System produziert:

Die Computer wurden als standardisierte Produkte in Groliserien produziert, ausgeliefert

und auf Anfrage des Kunden beim Verkauf rekonfiguriert. Hierunter fallt z. B. der Einbau

' Vgl. H. Mendelson, „Dell Direct', S. 25, in: Graduate School of Business, Stanford University, 09/2000, Case number EC-17.

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eines zweiten Laufwerkes, der Austausch der Festplatte zur Erhdhung der Kapazitat oder das Aufspielen einer weiteren Software.

Bei Organisation des Absatzes als Direktvertrieb bietet sich durch unmittelbaren Kontakt zwischen Produzent und Kunden ein Wechsel auf das built to order-System an. Hierbei wird bei Aufnahme der Bestellung das technische Anforderungsprofil des Kunden aufge-nommen und der Computer gemali den individuellen Bedurfnissen gebaut.

Faiibeispiel: Built to order-Produktion bei Dell Dell wickelt seinen Vertrieb ausschlieBlich als Direktvertrieb ab und verzichtet auf den Verkauf uber den unabhangigen Einzelhandel und Grolihandel. Bei der Bestellung uber das Internet oder das Telefon kann der Kunde die Hauptkomponenten aus einer Vielzahl von Varianten auswahlen; bei Abwicklung uber das Internet priift ein virtueller Agent die Kompatibilitat der ausgewahlten Komponenten. Nach Festlegung der Komponenten wird der Preis angezelgt und die Bestellung kann ausgelost werden. Dell baut den Computer gemad der individuellen Spezifikation des Kun­den zusammen und versendet das Produkt zum Kunden. GroRere Komponenten wie z. B. der Bildschirm wird den Kunden direkt von dem Zulieferer zugestellt. Die Firma hat vier Produktions-standorte zur Bedienung der einzelnen Regionen: Round Rock in Texas, Limerick in Irland, Pe-nang in Malaysia und Xiamen in China. Durch enge Vernetzung mit seinen Zulieferern - etwa 30 Zulieferer decken 90% der Komponenten ab - hat Dell die Komplexitat seines Warenbestandes enorm reduziert. Bereits in 2000 konnte der durchschnittliche Lagerumschlag der Komponenten bis auf 6 Tage gesenkt werden. ^ Zur Erho-hung des Lagerumschlages werden kurzfristige Lieferengpasse In Kauf genommen, die durch Rabatt- oder Gratisangebote alternativer Komponenten ausgeglichen werden. Die Komponenten-zulieferer konnen simultan zur Auftragsannahme von Dell uber eine gemeinsame Internetplatt-form einsehen, welche Module in welcher Anzahl vorratig sind und nachgefragt werden, und kon­nen ihre Lieferung kommissionieren. Durch den Datenaustausch mit den Zulieferern ohne interne Prozessierung kann der Beschaffungsaufwand von Dell minimiert werden. Die Rechnungsstellung des Zulieferers an Dell bzw. von Dell an den Kunden erfolgt simultan zur Bestellung. ®

Das Built to order-System hat gegenuber dem Made to forecast-System zwei Vorteile. 1st

beim Made to forecast-System die Wahlfreiheit der Komponenten durch Standardisierung

der Produktion eingeschrankt, ermoglicht der Direktvertrieb die Kombination einer indivi­

duellen Fertlgung mit einem standardisierten Zusammenbau (Mass Customization).^''

Der zweite Vorteil des Built to order-Prlnzips resultiert aus der Reduzierung des Umlauf-

vermogens, wodurch sowohl die Kapitalkosten, als auch EinbuRen durch Wertminderung

der Komponenten gemindert werden. Die Hohe der Kapitalkosten ist in erster Naherung

proportional zur Dauer zwischen der Bezahlung der Komponenten durch den Computer-

hersteller und der Bezahlung des Computers durch den Kunden. Beim Direktvertrieb wird

eine Reduzierung der Kapitalkosten erreicht, da sich die zeitliche Abfolge von Produkti-

onsprozess und Bezahlung verschoben hat: Der Computer wird unmittelbar nach Auf-

" Vgl. „Deirs Big New Act". S. 84, in: Fortune, 6.12.1999, S. 82-89 und H. Mendelson, „Dell Direct", S. 8, in: Graduate School of Business, Stanford University, 09/2000, Case number EC-17. ^ Vgl. M. Clement, K. Peters und F. J. Preili, „Electronic Commerce", S. 56-60, in: Marketing mit interakti-ven Medien, Frankfurt 1998, S. 49-64. ^ Vgl. D. H. Fink, „Mass Customization", S. 143, in: S. Albers, M. Clement, K. Peters (Hrsg.), Marketing mit interaktiven Medien, Frankfurt 1998, S. 137-150, und P. Zipkin, ..Massenprodukte kundenspezifisch fertigen - rentabel nur in wenigen Branchen", in: Harvard Business Manager, 1/2002, S. 70-78.

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tragseingang produziert, in Rechnung gestellt und verschickt. Ein Lager mit Fertigproduk-ten wird nicht unterhalten. Im Made to forecast-System werden hingegen durch die Ver-mittlung uber Gross- und Einzelhandel Standzeiten verursacht. Zwischen der Rech-nungsstellung der Zulieferer und der Bezahlung des Computers durch den Kunden ver-geht eine nicht vernachlassigbare Dauer, in der sowohl Kapitalkosten anfallen als auch ein Wertverfall der Komponenten stattfindet.

Zur Abschatzung der Differenz der Umsatzrenditen beider Geschaftsmodelle wird unter-stellt, der Einkaufswert der Komponenten betrage 60% und die Produktionskosten betru-gen 81% des Endverkaufspreises. Hierbei werden Grodenvorteile und Effizienzkriterien egalisiert. Fur den Lagerumschlag werden 30 Tage im Made to forecast-System und 6 Tage im Built to order-System angenommen.

Bei Annahme von Kapitalkosten in Hohe von 10% wurde die Umsatzrendite im Made to forecast-System durch Kapitalkosten um 0,5% geschmalert. Bei Anwendung des Built to order-Systems betrugen die Kapitalkosten auf Basis dieser Annahmen aufgrund des ho-heren Lagerumschiages nur 0,1% des Umsatzes. Die Abschatzung der Kapitalkosten beider Systeme orientiert sich an der Dauer zwischen der Vergutung der Komponenten und des Computers durch den Endverbraucher. Die Begrenzung des Wertverfalls des Umlaufsvermogens hat einen grolieren Effekt auf die Umsatzrendite. Aufgrund der schnellen technologischen Entwicklung betragt der Wertverfall der Komponenten ca. 1% pro Woche bzw. 50% im Jahr. ® Analog zur Ab­schatzung der Kapitalkosten ergibt sich eine Wertminderung in Hohe von 2,5% des Um­satzes im Made to forecast-System, von 0,5% im Built to order-System (Abbildung 11).

1.8 Zusammenfassung Die Computerindustrie hat sich zu einem Standardbeispiel fur die Devertikalisierung einer Industrie herausgebildet. Entscheidend fur das Verstandnis dieser Restrukturierung ist aus strategischer Sicht, dass bei dem Umbruch eine Logik der Integration von Industrien wirkt, die sich auch unabhangig von der Taktik der beteiligen Untemehmen durchgesetzt hatte. Der Kostenvorteil bei horizontaler Organisation und Integration der Komponenten hat die vertikalen Anbietermodelle gesprengt. Entsprechend sind die hermetischen Sys­teme der vertikalen Produzenten mit hoher Wertschopfungstiefe durch Spezialisten mit Fokussierung auf einzelne Stufen abgelost worden. Die Konsolidierung der fijhrenden Komponentenzulieferer hat zu einer Verschiebung der Machtverhaltnisse innerhalb der Industrie gefuhrt, die den Herstellern der wertmaliig zentralen Komponenten eine Positionierung ihrer Marke gegenuber dem Endverbraucher eriaubt. Hierdurch wird den Fertigern bzw. Anbietern von Computern eine ausschlieRliche Besetzung der Wertschopfungsstufe Marketing verweigert.

In der zweiten Halfte der 90er Jahre betrugen die Kosten durch Wertverfall (component devaluation cost) bei HewlettPackard im PC-Geschaft ca. 1 % pro Woche. Vgl. G. Callioni, X. de Montgros, R. Slagmulder, L. N. Van Wassenhove und L. Wright, Jnventory-Driven Costs", S. 135, in: Harvard Business Review, Marz 2005, S. 135-141.

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Page 66: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Herstellung und Einzelhandel sind uberwiegend getrennt, da der Einzelhandel durch Bundelung verschiedener Sortimente Verbundvorteile erschliefit, die dem spezialisierten Computerhandler verwehrt bleiben. Eine Ausnahme bildet das Marktsegment mit gerin-gem Beratungsbedarf und hoher ProfessJonalitat der Nachfrageseite. Dieses Segment kann durch das Direktvertriebsmodell von Dell adaquater bedient werden. Das Direktver-triebsmodell verdankt seinen Erfolg der originaren Umsetzung durch einen Computerher-steller, der aufgrund seines spaten Markteintritts keine Rucksicht auf seine bisherigen stationaren Vertriebspartner nemen musste. Das Geschaftsmodell eriaubt durch die di-rekte Kommunikation zwischen Produzent und Kunden eine Senkung der Vertriebs- und Kapitalkosten und umgeht die aufwendige Rekonfiguration im Made to forecast-System.

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Page 67: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

2. Wertschopfungskette Mobilfunk

2.1 Darstellung der Wertschopfungskette

Telekommunikation beruht auf der technischen Ubermittlung von Sprache und Daten und

teilt sich anhand der Ubertragungstechnologien in die Marktsegnfiente Festnetz und Mo­

bilfunk ein. Wahrend Kommunikation im Festnetz uber ein irdisches Telefonkabelsystem

abgewickelt wird, erfolgt Mobilfunk uber Funkfrequenzen, die von einzelnen Sendemas-

ten zwischen Anrufer und Zlelkontakt weitergeleitet werden. Der Markt fur Mobilfunk hat

in den letzten 10 Jahren einen signifikanten Aufschwung erfahren. In Deutschland ist die

Durchdringung des Marktes zwischen 1995 und 2006 von ca. 5% auf 100% gestiegen.

Das phasenweise exponentlelle Wachstum ist im wesentlichen auf vier Ursachen zuriick-

zufuhren: Zunachst ist durch die Privatisierung der ehemals staatlichen Telefonunter-

nehmen Bewegung in einen vormals statischen Markt gekommen. Sowohl die Deutsche

Telekom, als auch British Telekom, France Telecom, Telecom Italia und die spanlsche

Telefonica sind aus staatlichen Institutionen hervorgegangen. Hierdurch wurde die ehe-

malige Versorgungsdienstleistung Telekommunikation In weiten Teilen marktwirtschaftli-

chen Prinzlpien untenA/orfen. Zweitens ist die Entstehung von Netzmonopolen wie beim

Festnetz unterbunden, indem mehreren Anbietern eine Lizenz fur den Betrieb eines Mo-

bilfunknetzes erteilt wurde. Den Besitzern der Mobilfunknetze ist zudem durch gesetzliche

Regelungen vorgeschrieben, neuen Anbietern Zugang zu ihren Netzen zu gewahren. Die

Wettbewerber kdnnen Netzkapazitaten von den Netzbesitzern erwerben und diese nach

eigenstandiger Bundelung mit Zusatzdienstleistungen an den Endverbraucher weiter ver-

kaufen. Viertens hat die Globalislerung des Telekommunikationsmarktes zu einer weite-

ren Intensivierung des ehemals nationalen Geschaftes gefuhrt.

Die Wertschopfungskette Mobilfunk setzt mit der Entwicklung und dem Aufbau der Funk-

netze und der Herstellung der Endgerate (Mobiltelefone) ein. In der fruhen und hochinno-

vativen Phase zu Beginn der 90er Jahre hat noch eine grode Anzahl der Anbieter beide

Geschaftsbereiche abgedeckt. Die Kombination hatte sich aufgrund ahnlicher Kompe-

tenzanforderungen und komplementarer Entwicklung der Berelche Funktechnik und Halb-

leitertechnologie ergeben. Mit zunehmender Reife der Branche ist teilweise eine Fokus-

sierung der Anbieter eingetreten, bei der einige der Netzwerkausruster, u.a. Siemens, Al­

catel Ihr Endgerategeschaft aufgegeben haben. Der heutige Markt fur Netzwerktechnolo-

gie wird von den Unternehmen Ericsson/Marconi, Nokia/Siemens, Alcatel/Lucent, Nortel

und Motorola dominiert (Abbildung 12).

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Page 68: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 12: Wertschopfungskette fur Mobilfunkdienstleistungen und Abde-ckung durch dominante Anbietermodelle

Von den Netzausrustern werden in der Regel sowohl Basis- und Vemiittiungsstationen fiir die technologischen Standards GSM, GPRS, EDGE und UMTS angeboten. Die Mobil-funkanbieter haben fiir den Aufbau ihrer Netze mit mehreren Ausriistern Liefervertrage abgeschlossen, urn eine Abhangigkeit zu vermeiden. ^ Einige der Netzausruster verfol-gen die Strategie einer VonA/artsintegration und positionieren sich gegenuber den Mobil-funkanbietern als Dienstleister. So hat z. B. der Netzwerkausruster Ericsson begonnen, fur die Mobilfunkanbieter die Wartung der Netze zu ubernehmen und versucht darauf aufbauend, auch den vollstandigen Netzbetrieb zu akquirieren. Ericsson hat fiir KPN in Belgien und den Mobilfunkanbieter 3 in Grolibritannien den Netzbetrieb ubernommen. Der Netzbetrieb erfolgt noch uberwiegend durch die Mobilfunkanbieter in Eigenleistung, deren Kernkompetenz in der Bundelung und Vermarktung der Netzkapazitaten bzw. der Mobilfunkdienstleistung besteht.

Forschung und Entwicklung fur Mobiltelefone erfolgt uberwiegend durch die Handy-Markenanbieter. Die Herstellung der Endgerate wird teilweise an Lohnproduzenten fremdvergeben; die Lohnproduzenten fokussieren sich zumeist auf die reine Serienher-stellung nach Vorgaben des Auftragsgebers. In Einzelfallen ubernehmen auch Lohnpro­duzenten definierte Aufgaben in Design und Entwicklung, wie z. B. Compal und Cellon7° Die wesentlichen Komponenten der Endgerate werden von Zulieferern bezogen, wie z. B. die Halbleiter und die Module fur nfiobile Stromversorgung.

Zu den Kooperationen zwischen Netzausruster und Netzbetreiber im deutschen Markt fiir Mobilfunk vgl. E. Gerum, I. Sjurts, N. Stieglitz, Der Mobilfunkmarktim Umbruch, Wiesbaden 2003, S. 160. ° Vgl. P. Engardio, B. Einhorn, ..Outsourcing Innovation", in: BusinessWeek, 21.3.2005, S. 46-53.

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Page 69: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Die Vermarktung einschliefllich dem Branding der Mobiltelefone leisten vornehmlich die

Anbieter. Der Verkauf der Mobiltelefone wird uberwiegend in den Filialen der Mobilfunk-

anbieter, die in vielen Fallen das Endgerat mit dem Mobilfunkdienst im Paket verkaufen

abgewickelt, Oder durch providerunabhangige Handler, die sich auf Mobilfunkhardware

spezialisiert haben. Parallel haben die Endgerateproduzenten, insbesondere Nokia, auf

Franchisebasis ein Netz von Partnershops aufgebaut, urn den Kunden einen besseren

Service zu bieten und ihre Marke unabhangig von den Mobilfunkanbietern zu positionie-

ren.

Exkurs: Darstellung des Anbieterfeldes fiir Mobiltelefone Der globale Markt fur Mobiltelefone wird von wenigen Anbietern dominiert. Das finnische Unter-nehmen Nokia ist klarer Marktfuhrer und vereinnahmt etwa ein Drittel des Marktes, gefolgt von Motorola und Samsung. BenQ, LG und SonyEricsson erreichen jeweils nur einstellige Anteile/^ Motorola hatte 1983 das erste Mobiltelefon entwickelt und 1996 mit „Startac" das erste zusam-menklappbare Mobiltelefon in den Markt eingefuhrt. Aufgrund einer hoheren Kundenorientierung und einer auf Trend, Design und Emotionalitat (..Connecting People") setzenden Marketlngstrate-gie hatte Nokia Mitte der 90er Jahre die Marktfuhrerschaft von Motorola ubernommen. Nokia hat­te 1992 mit den 100-Modellen die ersten digitalen Endgerate auf den Markt gebracht und sich durch eine hohe Innovationskraft ausgezeichnet. Das Unternehmen verfugt noch heute uber eine Starke Position im Geschaftsfeld Netzwerktechnologie. Die regionale Dominanz von Motorola in den USA und Nokia in Europa hangt teilweise mit den unterschiedlichen Mobilfunkstandards zusammen: Wahrend in den USA der CDMA-Standard (Code Division Multiple Access) angewendet wird, gilt in Europa der weltweit vorherrschende GSM-Standard. Der CDMA-Standard wurde von dem amerikanischen Unternehmen Qualcomm entwickelt, dessen Chipbauteile auch in den CDMA-kompatiblen Geraten vorherrschen. Nokia setzt hingegen auf sein eigenes System und verzichtet fur die Bedienung des amerikanischen Marktes bewusst auf den Einbau der lelstungsfahigeren Chips von Qualcomm. Die eigene Ent-wicklung und Herstellung von Endgeraten mit dem CDMA-Standard hat Nokia in 2006 eingestellt. Siemens hat sein Handygeschaft 2004 an BenQ verkauft. Der Ausstieg verdeutlicht die unter­schiedlichen Anforderungen eines Endverbrauchergeschaftes im Vergleich zu einem Industrlege-schaft. Wenn auch beide Stufen der Wertschopfungskette, Netzwerttechnologie und Endgerate, technisch gepragt sind, bestehen doch signifikante Unterschiede zwischen den gewerblichen Kunden der Netzzulieferer und den privaten Kunden der Anbieter von Mobiltelefonen. Nach dem Ausstieg von Siemens aus dem Handygeschaft 2005 fuhrte das Vorstandsmitglied fiir Finanzen H.-J. Neuburger aus: „Mobiltelefone richten sich an den Endverbraucher und passen nicht gut zum sonstigen Geschaft von Siemens". [Dem Management fehite] „die Erfahrung zur Vermark­tung von Unterhaltungselektronik".' ^ Ericsson hatte sein Handygeschaft 2001 mit Sony zusammengelegt (SonyEricsson) und sich auf die Netzwerktechnologie fokussiert. Philips und Lucent hatten ihre Mobilfunkgeschafte bereits 1997 gebundelt. Das Joint Venture wurde 1999 von Philips aufgeldst. Auch Alcatel verfugte ursprunglich neben seiner Netzwerktechnologiesparte uber ein Handyge­schaft, das 2004 mit dem chinesischen Anbieter TCL Communication in ein Gemeinschaftsunter-

Vgl. ..Maligeschneiderte Mobiltelefone suchen Besitzer", in: Handelsblatt, Marktdaten zitiert nach Gartner Dataquest, 11.3.2005. ^ Vgl. W. Hillebrand, „Abrupte Wende", S. 46-47, in: Capital, 12/2005, S. 40-47. Zur Entwicklung des An­bieterfeldes fijr Mobiltelefone vgl. auch A. Hennersdorf, "Rettungslos umzingelf, in: Wirtschaftswoche, 20.1.2005, S. 36-46.

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Page 70: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

nehmen eingebracht wurde. In 2005 wurde der verbliebene Anteil von Alcatel schlieRlich an den chinesJschen Partner verkauft und der Ausstieg abgeschlossen.

Die Endgerate lassen sich in drei Kategorien einteilen: einfache Standardgerate, Telefone nnit Zusatzfunktion (u.a. Kamera, Navigationssystem, TV, Videospiele, Musik) und hoch-wertige Smartphones. Das Smartphone eriaubt einen mobilen Datenzugriff auf Computer und Netzwerke und ermoglicht mobile Office-Applikationen (u.a. Emailing, Nutzung von Anwendungssoftware). Smartphones werden aufgrund der dominanten Email- und Ka-lenderfunktion teilweise auch als PDA (Personal Digital Organizer) bezeichnet. Der Markt fur Mobiltelefone hat in 2006 ein Volumen von etwa 1 Mrd. Cerate erreicht, von denen etwa 6% Smartphones darstellen. Der Anteil soil bis 2009 auf ein Viertel ansteigen. ^

Fallbeispiel: Research in motion (RIM) und die Einfuhrung des Blackberry Der Markt fur Smartphones wurde ursprunglich von dem kanadischen Anbieter RIM (Research in motion) dominiert, der eine Funktionalitat fiir das mobile Abrufen und Bearbeiten von Emails ent-wickelt hatte. RIM hatte den Blackberry, der damals noch als Synonym fur die Kategorie Smartphone stand, 1999 in den amerikanischen Markt und 2001 auch in Europa eingefuhrt. Der Erfolg beruhte zu einem GroBtell auf der proprietaren Email Push-Funktion, die erstmals das mo­bile Abrufen, Bearbeiten und Versenden von Emails ermoglichte. Die Gerate werden in Koopera-tion mit den Mobilfunkbetreibern angeboten; in Deutschland bieten Vodafone, T-Mobile und 02 Blackbenys an. Mit zunehmender Verbreitung analoger Gerate hatte RIM die Nutzung seiner Technologic auf Lizenzbasis auch in Geraten anderer Hersteller zugelassen. Inzwischen sind mit u.a. Motorola (Motorola Q), Nokia (Nokia E61) und Samsung (Samsung SGH) sowohl die ange-stammten Handyproduzenten, als auch mit Palm (Palm Treo) und i-Anywhere neue Anbieter in den Markt eingetreten. Seine attraktive Monopolstellung hat RIM inzwischen verloren. "*

Die Wertschopfungsstufen Produktion und Bundelung von Inhalten beziehen sich nicht auf die mobile Sprachtelefonie, sondern die mobile Nutzung von Informationsdiensten und Services. Hierzu zahlen u.a. das Abrufen von Verkehrs- und Wetternachrichten oder der Download von Musikfiles oder Klingeltonen. Die Erstellung der Inhalte erfolgt maB-geblich durch Medienunternehmen, die ausgehend von ihrem bestehenden Inhalten in der mobilen Applikation einen weiteren Vertriebskanal sehen. Die Bundelung von Inhalten umfasst die thematische und technologische Adaptierung von Inhalten fur mobile Applika-tionen und wird in erster Linie von den Mobilfunkanbietern geleistet. Zur Sicherstellung eines leistungsfahigen Vertriebs haben die Mobilfunkanbieter eigene Filialsysteme aufgebaut, in denen Mobilfunkdienstleistungen und Mobiltelefone verkauft sowie Kundenservice geboten wird. Einzelhandel, Kundenservice und Rechnungsstellung werden zu einem GroUteil durch die Mobilfunkanbieter ubernommen. Bezogen auf den Abrechnungsmodus ist der Nutzungsvertrag mit fester Laufzeit, einer Grundgebuhr und nachtraglicher Rechnungsstellung durch prepaid-Angebote erganzt worden, bei denen der Kunde die Gesprachsentgelte vorab bezahlt.

Vgl. A. Postinett, „Angriff auf Symbian und Microsoft", in: Handelsblatt, 15.7.2006. ^ Vgl. J. Galinowski, ..JVIobiies Mailen steigert Produktivitat", in: Handelsblatt, 3.5.2006.

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Exkurs: Darstellung des Anbieterfeld im Mobilfunk In Deutschland gibt es vier Netzbetreiber bzw. Mobilfunkanbieter mit eigenem Netz. Zu Beginn der 90er Jahre starteten die Deutsche Telekom mit der Sparte T-Mobile (D1 Netz) und der deut-sche Stahl- und Mischkonzem Mannesmann mit einer Sparte Mannesmann Mobilfunk (D2 Netz). Mannesmann Mobilfunk ist 2000 durch den britischen Anbieter Vodafone ubernommen worden und firmiert seitdem in Deutschland unter dem Namen der Muttergesellschaft. T-Mobile und Vo­dafone decken zusammen etwa drei Viertel des Marktes ab. Die beiden weiteren Netzbetreiber (E-Netze) und Mobilfunkanbieter sind E-Plus (E1-Netz) und 02 (E2-Netz), die erst 1994 bzw. 1998 in den Markt eingestiegen sind. ^ E-Plus ist ein 100%iges Tochterunternehmen des niederlandischen Telekommunikationskonzerns KPN, nachdem Bell South seine Minderheltsanteile an KPN verkauft hatte. 02 ist aus dem Joint Venture Viag Inter-kom hervorgangen. Nach dem Ruckzug von E.ON ubernahm British Telecom die vollstSndigen Anteile an Viag Interkom und spaltete seine Mobilfunksparte BT Wireless ab, die seit 2002 unter dem Namen 02 (zunachst MM02) firmiert. In 2005 ist 02 von der spanischen Telefongesellschaft Telefonica ubernommen worden.

Parallel kooperieren die Mobilfunkanbieter im Vertrieb nnit unabhangigen EInzelhandlern ohne eigenem Netz, den sogenannten „Resellern" oder „Wiederverkaufern", die von den Netzbetreibern Kapazitat beziehen und diese dann weiterverkaufen. Im Folgenden wird zunachst auf die Entkopplung von Produktion und Marketing von End-geraten eingegangen (Abschnitt 2.2) und die Kombination von Netzbetrieb, Vemiarktung und Vertrieb besprochen (Abschnitt 2.3). Nach Darlegung der Besetzung der Wertschbp-fungsstufe Inhaltvermarktung durch die Mobilfunkanbieter (Abschnitt 2.4) werden deren Versuche charakterisiert, auch die Wertschopfungsstufen Produktmarketing (Abschnitt 2.5) und Softwareentwicklung (Betriebssystem) fur Endgerate (Abschnitt 2.6) zu verein-nahmen.

2.2 Entkopplung von Produktion und Marketing Endgerate Die Endgerateproduzenten haben einen Teil ihrer Produktion an unabhangige Lohnpro-

duzenten abgegeben, die durch Bedienung mehrerer Anbieter GroRenvorteile erzielen.

Bei Verschiebung der Marktanteile ihrer Kunden kbnnen die Lohnproduzenten eine hohe-

re Auslastung erreichen als Produzenten mit exklusiv vermarkteten Kapazitaten. In 2002

wurde bereits knapp ein Drittel aller Mobiltelefone von Lohnproduzenten hergestellt; 2005

ist der Anteil auf etwa 40% gestiegen.^^ Die Lohnproduzenten sind vornehmlich in Billig-

lohnlandern angesiedelt, verfugen aber dennoch uber eine hohe technologische Ferti-

gungskompetenz und ein ausreichendes Reservoir an Fachspezialisten. Fur die Lohn­

produzenten bietet sich nach Aufbau eigener Kompetenzen und schleichendem Kompe-

tenzverlust der Anbieter die Option zur Vorintegration.

'' Zur Abdeckung aller Regionen bei gleichzeitiger Sicherstellung einer hohen Netzauslastung werden von den Netzbetreibern teilweise Kooperationen eingegangen. So nutzen T-Mobile und 0 2 in landlichen Regio­nen gemeinsam ihre UMTS-Netze. ® Vgl. The Economist, J h e fight for digital dominance", S. 69, 23.11.2002, S. 67-69; und A. Reinhardt, A. Bonnet, R. O. Crocket, "Can Nokia get the wow back?", S. 19, in: BusinessWeek, 31.5.2005, S. 18-21.

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Fallbeispiel: Vorintegration von BenQ in die Endgersltevermarktung Der taiwanesische Lohnproduzent BenQ war 1984 als Tochter des taiwanesischen Elektronikkon-zerns Acer gegrundet und 1996 an die Borse gebracht worden. Seit 2002 ist BenQ unabhangig. Acer hatte mit der Sparte BenQ Mobile ein Lohnfertigungsgeschaft fur Handyanbieter aufgebaut. Nachdem BenQ erstmais eigene Handys auf den iVIarkt gebracht hatte kundigten GroRkunden wie u.a. Nokia und Motorola ihre Auftragskontingente und vergaben diese an reine Lohnprodu-zenten. Daraufhin plante BenQ mit seinem Mobiltelefongeschaft vollstandig in die Vermarktung vorzuintegrieren und hatte 2005 das Endgerategeschaft von Siemens ubernommen. Nach Nut-zung der bekannten Marke in einer Ubergangsphase sollen die Produkte langfristig ausschlielilich unter dem eigenen Brand vermarktet werden. Die Akquisition des Geschaftes von Siemens dient nicht zuietzt der Ubernahme eines Patentportfolios, durch das BenQ gegenuber seinen fruheren Kunden eine groBere Unabhangigkeit en-eicht. Im Regelfall ist es den Lohnproduzenten vertrag-lich untersagt, wahrend der Lohnherstellung envorbene Kompetenzen zu patentieren und aulier-halb des Fertigungsauftrages kommerziell zu nutzen/'^

2.3 Entkopplung von Netzbetrieb, Vermarktung und Vertrieb

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sehen in den meisten LSndern zur Forderung des Wettbewerbs vor, dass die Mobilfunkanbieter auch unabhangigen Anbietern Ubertra-gungskapazitaten ihrer Netze entgeltlich zur Verfugung stellen. Daraus ergeben sich zwei Modelle des Mobilfunkanbieters: Der vertikal integrierte Netzbetreiber und Mobilfunkan­bieter auf der einen und der Wiederverkaufer bzw. im weitesten Sinne Handler ohne „ei-gene Produktion" auf der anderen Seite. Das Marktsegment der Wiederverkaufer unter-teilt sich wiederum in zwei Geschaftsarten: Der Wiederverkaufer des ersten Typs erstellt ohne Absprache mit dem Netzprovider eigene Mobilfunkprodukte. In diesem Falle tritt der Wiederverkaufer als „virtueller Mobilfunkanbieter" (Mobile Virtual Network Operator) im Markt auf. Der Kunde erhalt eine separate Vorwahlnummer und eine eigene Chipkarte des Anbieters. Bei Abschluss eines Nutzungsvertrages gehort der Kunde dem virtuellen Mobilfunkanbieter. Zu den Mobilfunkanbietern dieses Typs zahlen in Deutschland u.a. Debitel, Mobilcom, Talkline und Drillisch. Die Wiederverkaufer treten im Markt unter eige-nem Markennamen auf. Fur den Kunden ist dabei in der Regel nicht ersichtlich, uber wel­ches Mobilfunknetz seine Telefonate abgewickelt werden. Das zweite Modell des Wiederverkaufers stellt das eines reinen Vertriebspartners ohne eigene Produktentwicklung dar. Die Ubertragungskapazitat wird zu Grofihandelskonditio-nen bezogen und mit einem Aufschlag weiterverkauft. In Kombination mit der Mobilfunk-dienstleistung werden in vielen Fallen auch Endgerate angeboten. Bei Abschluss eines Nutzungsvertrages wird der Kundenkontakt in der Regel von dem Netzbetreiber kontrol-liert.

Fallbeispiel: Kooperation von 02 infi Vertrieb mit Tchibo Der Mobilfunkanbieter 02 ist 2004 eine Kooperation mit dem Kaffeehandler und Einzelhandler Tchibo eingegangen und beide Unternehmen haben Tchibo Mobilfunk als Joint Venture gegrun­det. In der ersten Phase bis 2005 hatte Tchibo in seinen Filialen ausschlielilich prepaid-Karten mit Oder ohne Moblltelefon angeboten, die auch unter dem Tchlbo-Brand (TCM) vermarktet werden.

^ Vgl. K. Hille. B. Dengel, K. Spiller, „Coup von BenQ", in: FTD, 8.6.2005.

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Die Endgerate werden von dem Handyproduzenten BenQ geliefert. Seit 2005 ist das Angebot urn Vertragsangebote erweitert worden. Die angebotenen Produkte werden von beiden Partnern zu-sammen konzipiert und umgesetzt. Tchibo organisiert den Verkauf von prepaid-Karten, Vertragen und Handys und erhalt von 02 eine Vertriebsprovision sowie eine Umsatzbeteiligung/®

Fallbeispiel: Carphone Warehouse als Reseller mit Serviceangebot Der britische Mobilfunkanbieter Carphone Warehouse hatte sich ursprunglich auf den Verkauf und den Einbau von Autotelefonen spezialisiert und davon ausgehend eine Kompetenz im Mobil-funkmarkt aufgebaut. Das Unternehmen vermarktet heute Festnetz- und l\/lobiifunkkapazitaten unter dem Namen „The Phone House" und hat in GroBbritannien, Frankreich und Belgien zwei-stellige Marktanteile ereicht. Zur Unterstutzung des Vertriebs wird ein eigenes Filialnetz mit etwa 1.700 Shops unterhalten, in dem auch Mobiltelefone, Ersatzteile / Zubehor, Beratung und Repara-turdienste angeboten werden. Carphone Warehouse ubernimmt als Dienstleister den Vertrieb fur iVIobilfunkunternehmen und erhalt eine Vertriebspramie und Umsatzbeteiligung. In Deutschland ist The Phone House Franchisepartner von T-Online und betreibt einen Teil der Filialen. ^

Seit 2005 ist das Anbieterfeld der Wiederverkaufer durch Billiganbieter bzw. Mobilfunk-Discounter erweitert worden, die reine Minutenkontingente zu Niedrigstpreisen ohne Endgeratesubventionierung oder weitere Services anbieten. Zur Begrenzung der Ver-triebskosten wird der Verkauf der prepaid-Karten uber eine Internetplattform abgewickelt; eigene Filialen werden nicht unterhalten.^°

Der Preisverfall reflektiert die Sattigung des Marktes und den zunehmenden Wettbewerb der Netzbetreiber, die versuchen, durch differenziertere Adressierung der Marktsegmente die Auslastung ihrer Netze zu erhohen. Ein Teil der Strategie sieht die Schaffung von Bil-lignnarken vor. Das Management der Billigmarken wird in Eigenregie von den Mobilfunk-anbietern geieistet oder unabhangigen Anbietern uberlassen.

Fallbeispiel: Differenzierung der Vertriebsaktivitaten von E-Plus Zur Verbessemng des Auslastung seines Netzes hat E-Plus seinen Vertrieb uber verschiedene Kanaie organisiert und operiert dabei verschiedenen Marken, die sich hinsichtlich ihrer Preisstra-tegie und Bundelung mit Zusatzdiensten voneinander unterscheiden. Unter der Marke E-Plus wird das Mobilfunkangebot primar in den eigenen Filialen vermarktet. Seit 2005 werden unter der Mar­ke „Aldi Talk" in Kooperation mit dem Discounter Aldi und Medion vorausbezahlte Handy-Karten (prepaid-Geschaft) angeboten. Der Minutentarif bel Markteinstieg liegt mit 15 Cents pro Minute deutlich unter den Preisen der Wettbewerber. Parallel sind von E-Plus u.a. die Marken Ay Yildiz (turkische Kunden), BASE (Handy-Flatrate) und simyo, simply und easymobile (Billigmarken) ge-startet worden.®''

Eine Ubersicht uber die Besetzung der einzelnen Wertschopfungsstufen durch die jewei-

ligen Produzenten und Anbieter gibt Abbildung 13:

Vgl. J. Berke, A. Hennersdorf, „Reif fur Aldi", S. 54, in: Wirtschaftswoche, 18.11.2004, S. 52-61. ^ Vgl. A. Hennersdorf, Jm Schlaf verdienen", in: Wirtschaftswoche, 22.1.2004, S. 51; D. Heilmann, „Der Dschungel-Konig", in: Handelsblatt, 10.4.2006, und V. MiJiier, „The Phone House betreibt T-Punkte", in: FTD, 26.5.2006. ° Vgl. J. Berke, A. Hennersdorf, „Reif fur Aldi", in: Wirtschaftswoche, 18.11.2004, S. 52-61

° Vgl. J. Berke, „Vom FlieBband", in: Wirtschaftswoche, 26.1.2006, S. 60-62. T-Online arbeitet im Mobilfunk mit dem Einzelhandler Rewe und der Drillisch-Tocher Simply zusammen, Vodafone mit der Drogeriekette Schlecker.

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Abbildung 13: Exemplarische Darstellung der Wertschopfungskette fur Mobil-funk und Abdeckung durch Netzbetreiber und Mobilfunkanbieter in Deutsch-land

Aus strategischer Sicht ist weder die integrierte noch die getrennte Organisation der Wertschopfungsstufen Netzbetrieb und Einzelhandel zu favorisieren. Die Management-kosten des Netzbetreibers zur Fuhrung seiner Vertriebs- und Einzelhandeisaktivitaten bei vertikaler Integration sollten sich von den Transaktionskosten bei Zusammenarbeit mit einem externen Partner nicht wesentlich unterscheiden. Allenfalls in einer sehr fruhen Phase des Marktes mit einem hohen AusmaS an Veranderung mag eine vertikale Integ­ration aufgrund zu hoher Transaktionskosten uberlegen gewesen sein. Vorteile der Entkopplung bieten sich bei Abwicklung des Vertriebs durch Einzelhandler mit vorhandenen Infrastrukturen, da deren Nutzung eine Senkung der Vertriebskosten verspricht. Dies ist insbesondere von Vorteil, wenn eine breite Marktabdeckung und eine grolie Marketingwirkung erzielt wird, etwa beim Vertrieb in Tankstellen Oder Filialsyste-men des Lebensmitteleinzelhandels. Aus Sicht der Netzbetreiber Ist die Erganzung der eigenen VertriebsaktIvitaten durch Wiederverkaufer geboten, da vor dem Hintergrund des hohen Fixkostenanteils der Mobilfunknetze jeder weitere Kunde mit positiven Deckungs-beitragen bed lent werden kann.

2.4 Vorintegration der Mobilfunkanbieter in die Vermarktung von Inhalten Durch die Erhohung der Ubertragungsgeschwindigkelten (u.a. die Umstellung von dem GPRS auf den UMTS-Mobilfunkstandard) und der dadurch moglichen Erweiterung der primaren Sprachanwendung um Inhalte ist seit 2000 die Vermarktung von Multimediapro-

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Page 75: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

dukten und Informationsdiensten in den Vordergrund getreten (Mobile Business). Hierbei sind Produkte und Applikationen moglich, die u.a. auf einer Ubertragung von Bilddaten, Musikfiles, Videos und TV/Fernsehen basieren. Die europaischen Mobilfunkbetreiber ha-ben insgesamt bis zu 100 Mrd. Euro - davon 50 Mrd. Euro alleine in Deutschland - in den neuen Standard investiert und sich eine Lizenz fur die kommerzielle Nutzung der UMTS-Technologie gesichert. Hierbei wurde unterstellt, dass die Kontrolle der Ubertragungs-technologie auch die Besetzung der Wertschopfungsstufen Bundelung und Vermarktung mobiler Inhalte bedingt. In Bezug auf die in den Medienbranche gebrauchliche, strategi-sche Unterscheidung zwischen Content and Channel wurde in Absetzung zu der generel-len Content is King-Hypothese angenommen, der Bereitsteller der Infrastruktur konne auch die Kontrolle der Inhalte ubernehmen.

Fur die Nutzung der Multimediadienste entwickein die Mobilfunkanbieter in Kooperation mit den Endgerateproduzenten entsprechende Funktionalitaten, so dass die Inhaltsange-bote und Dienstleistungen bequem ijber die Endgerate abgerufen und genutzt werden konnen. Die fur spezifische Dienste eingerichteten Endgerate enthalten zusatzlich ein Softwaremodul fur die Nutzung von Musikfiles, eine TV-Funktion, eIne Photokamera (Photohandy) Oder eine Email-Funktion (Smart Phone). Ferner ist Intensiv an der Chip-qualitat, der Miniaturisierung der einzelnen Module, der Kapazitat der mobilen Energie-versorgung und der Displayqualitat gearbeitet worden.

Als Vermarktungsplattform der Inhalte haben die Mobiifunkunternehmen Internetportale aufgebaut: Vodafone live (Vodafone), t-zones (T-Mobile/Deutsche Telekom), i-mode (E-plus) und 02 Active (02/Telef6nica).®^ Die Plattfonnen stellen Inhalte fur den Abruf per Mobiltelefon bereit, die entweder in Kooperation mit Inhaltanbietern (z. B. Medlenunter-nehmen, Muslkunternehmen) oder zu einem geringen Anteil eigenstandig entwickelt wor­den sind. In der uberwiegenden Anzahl der Falle werden von den Mobilfunkanbietern be-stehende Inhalte ubernommen und vermarktet, wie z. B. Nachrichten von Medienunter-nehmen, Videoclips von Filmstudios oder Musikclips von Muslkunternehmen.

Fallbeispiel: Vorintegration des Mobilfunkbetreibers 02 in den IVIusikvertrieb Durch die Digltalisierung des Produktes Musik ist der Verkauf nicht mehr an klassische Tontrager gebunden und das Mobiltelefon kann als Aufnahme- und Abspielgerat genutzt werden. Der Mobil­funkanbieter 02 hat 2004 in Kooperation mit den Musikunternehmen als erster Mobilfunkbetreiber in Deutschland komplette Musikstucke zum Herunterladen auf UMTS-fahige Mobiltelefone ange-boten, die in Kooperation mit den Endgerateproduzenten entwickelt wurden. Der Gewinn wird auf Basis der Vertriebskonditionen bzw. Lizenzgebuhren mit den Musikunternehmen aufgeteilt. Mu-siktitel von Sony Music sind bereits zwei Wochen vor dem offiziellen Erscheinen uber das Handy abrufbar. 02 verspricht sich von dem Angebot neben dem Zusatzgeschaft eine insgesamt starke-re Nachfrage nach UMTS-basierten Multimediadlensten.

Fallbeispiel: Vorintegration von debitel in den Vertrieb von Sportinformationen Der Wiederverkaufer von Mobilfunkkapazitaten debitel hat in 2006 ein Informationsangebot auf den Markt gebracht, mit dem uber Mobilfunk mobile Sportnachrichten aufgerufen werden konnen.

Nach Fokussierung auf standardisierte Sprachtelefonie hat E-plus seinen Intemetdienst i-mode in 2006 wieder eingestellt.

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Das Informationsangebot umfasst sowohl Ergebnisse und Spielberichte als auch Bilder. Die Be-sonderheit des Modells besteht darin, nicht auf Standardendgerate zuruckzugreifen. In Kooperati-on mit Nokia wurde gezielt das Handy Nokia 6230 mit entsprechender Funktionalitat entwickeit. Die Inhalte bzw. Sportnachrichten werden von dem Sportfernsehkanal DSF bezogen, dessen Lo­go auf dem Endgerat vennerkt ist.®

Insgesamt haben sich die Erwartungen der Mobilfunkunternehmen in die Vermarktung mobiler Inhalte bzw. die neue UMTS-Technologie jedoch nicht erfullt. Dies ist neben der schleppenden Entwicklung von UMTS-fahigen Endgeraten auch auf den vergleichsweise geringen Zusatznutzen mobiler Applikationen begrundet. So konnen Musikfiles auch uber das stationare Internet geladen und fur die mobile Nutzung auf Abspielgeraten gespei-chert werden. Analog konnen Photos auf Basis des herkommlichen, stationaren Internet-zugriffes verschickt werden und die unmittelbare just-in-time Weiterleitung der mobilen Applikation (Photohandy) bietet keinen entscheidenden Vorteil. EIne Ausnahme stellen diejenigen Anwendungen dar, bei denen der Nutzen an der raumlichen Lokalisation des Nutzes ansetzt, den sogenannten Jocation-based services".

Die Besetzung der Wertschopfungsstufen Biindelung und Vermarktung von Inhalten durch die Mobilfunkanbieter hat verschiedene Grunde. Zunachst einmal waren die Mobil-funkanbieter durch die Kontrolle der Netze fur den Aufbau des neuen Geschaftsfeldes in der besten Startposition und konnten von first mover-Vorteilen profitieren. Ferner errei-chen die Mobilfunkanbieter durch das Geschaft mit mobiler Dateniibertragung eine hohe-re Auslastung ihrer Netze und generieren mit der Bereitstellung eines mobilen Internetzu-ganges und der Ubertragung von Daten und Inhalten zusatzliche Umsatze. DrIttens posi-tioniert sich das Mobilfunkunternehmen fur die Ubernahme weiterer Folgegeschafte, wie u.a. im Photogeschaft die Bearbeitung und Speicherung der Bilddaten, dem Erstellen und Zusenden von Abzugen oder dem Aufbau einer Plattform fur Internet-Photoalben. Das Mobile Business erhoht auch die Frequenz der eigenen Internetportale zur Entwicklung von Folgegeschaften, wie etwa die Vermarktung von Werbeflachen oder die Generierung von Vermittlungsprovisionen. Das Angebot von Multimediadiensten und Inhalten bietet fur die Mobilfunkanbieter nicht zuletzt die Chance zu einer Differenzierung vom Wettbewerb, wodurch dem anhaltenden Preisverfall der Branche partiell ausgewichen werden kann. Aus strateglscher Sicht ist zu fragen, welche Spieler langfrlstig - evti. aus anderen Bran-chen und Industrien - fur die Besetzung des neuen Geschaftsfeldes in einer uberlegenen Position sind. Da sich fur die Mobilfunkanbieter keine nennenswerten Synergien durch Integration mit dem Kerngeschaft mobiler Sprach- und Dateniibertragung ergeben, ist da-von auszugehen, dass Medienunternehmen (Content is King) und Intemetplattformen (Frequenz, Netzeffekte) dieses Geschaft vereinnahmen werden. " Fur Medienunterneh­men bietet sich ausgehend von ihrem bestehenden Inhalte- und Themenfundus die Opti­on, eigenstandig mobile Daten- und Informationsdienste aufzubauen und diese in Ab-stimmung mit den Endgerateproduzenten zu vermarkten. Die Mobilfunkanbieter konnten

Vgl. K. Spiller, „Mobilfunker gehen gezielter auf Kunden zu", in: Handelsblatt, 21.6.2006. ^ Zur Strategie der deutschen Mobilfunkanbieter im Geschaft fur mobile Kommunikations- und MuJtimedia-dienste vgl. E. Gerum, I. Sjurts, N. Stieglitz, Der Mobilfunkmarkt im Umbruch, Wiesbaden 2003, S. 167fg.

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hierbei in die Rolle des reinen Netzdienstleisters zuruckgedrangt werden. Mit ihrer Kon-

trolle der Inhalte bei austauschbaren Netzinfrastrukturen der Mobilfunkanbieter scheinen

die Medienunternehmen fiirdie Besetzung des Inhaltgeschaftes pradestiniert.

Eine nachhaltige Differenzierung von den Angeboten der Wettbewerber konnte von den

Mobilfunkanbietern vermutlich auch nur in Einzelfallen erreicht werden. Die Medienunter­

nehmen binden sich in der Regel nicht exklusiv an einen einzelnen Anbieter, sondern li-

zensieren Inhalte an mehrere Mobilfunkanbieter, da In einer exklusiven Konstellation das

mobile Umsatzpotenzial nicht voll realisiert werden konnte. Medienprodukte zeichnen sich

durch eine Nicht-Rivalitat bzw. Nichtabnutzung im Konsum aus und die Medienunterneh­

men versuchen entsprechend, Ihrer Produkte uber moglichst viele Vertrlebskan^le bzw.

Anbieter zu vermarkten.

Langfristig ist auch zu fragen, welche Rolle Internetportale (u.a. Yahoo, MSN), Internet-

Serviceprovider (u.a. AOL) und Suchmaschinen (u.a. Google) in der Bundelung und Ver-

marktung von Inhalten fur mobile DIenste spielen werden. Die Portale und Suchmaschi­

nen verfugen mit ihren Plattformen uber eine ungleich groBere Frequenz, die fur den Auf-

bau mobiler Zusatzdienste genutzt werden kann. So bietet der Suchmaschinenanbieter

Google Handynutzern bereits einen mobilen Zugang zu seinem Internetsuchdienst

„GoogleMaps" an. T-Mobile will bei einigen seiner Internetangebote Google als Startseite

einrichten. Yahoo hat in Kooperation mit Nokia und dem Telekom-Ausruster SBC Com­

munication ein Handy auf den Markt gebracht, mit dem herkommlich stationare Yahoo-

Services auch mobil angesteuert werden kbnnen.

Falibeispiel: Eintritt von AOL in den Markt fur Mobilfunk Das Unternehmen AOL (America Online) hatte sich in den 90er Jahren zu dem fiihrenden Inter-netprovider der USA entwickelt, seine Internationalisierung vorangetrieben und auf dieser Basis eine Intemetplattform bzw. ein Portal entwickelt. In 2006 wurde der Einstieg in den Mobilfunk-markt eingeleitet, nachdem bereits das Geschaftsfeld Internettelefonie aufgebaut worden war. AOL will bei einem Netzbetreiber auf GroHhandelsbasis Kapazitaten anmieten und sich gegen-uber dem Endverbraucher als virtueller Netzbetreiber mit eigenem Markenauftritt und eigener Vorwahl positionieren. Hierbei kann das Unternehmen in erster Linie von seiner bestehenden Plattfonn profitieren und Inhalte und mobile Emailfunktionen anbieten, als auch durch Abwicklung der Telefonate uber die VolP-Technologie einen Vertriebskanal fur seine Internettelefonie auf-bauen.

Falibeispiel: Eintritt der Ufa in den Markt fur mobile Fernsehserien Der deutsche Produzent von Fernsehspielfilmen und Serien (Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Ver-botene Liebe), eine Tochtergesellschaft von Bertelsmann, ist 2006 in den Markt fur mobile Spiel-filmserien eingetreten. Unter dem Titel Kill your Darling sollen 30 Telle einer Thrillerserle herge-stellt werden, die in Kooperation mit T-Mobile Oder Vodafone uber Mobilfunk gesendet werden sollen. Entgegen dem herkommlichen Zuliefererstatus bei Produktionen fur Fernsehsender sleht Ufa in dem mobilen Markt die Chance, direkt an der Vermarktung fur den Endverbraucher beteiligt zu sein: „Zum ersten mal steigen wir in das Endkundengeschaft ein". Insgesamt fehit es jedoch

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noch an Inhalten fur mobile Fernsehserien und die technologischen Moglichkeiten eilen dem me-dialen Angebot voraus. ^

2.5 Vertikaler Wettbewerb urn die Vermarktung der Endgerate Die Vermarktung der Endgerate einschliefilich dem Branding war traditionell durch die

Produzenten bzw. die Anbieter vereinnahmt worden. Diese Aufteilung der Wertschbp-

fungskette wird von den Mobilfunkanbietern zunehmend in Frage gestellt und es hat ein

vertikaler Wettbewerb um die Besetzung der Wertschopfungskette Marketing eingesetzt.

In Deutschland hatten insbesondere T-Mobile und Vodafone darauf gedrangt, die in ihren

Filialen abgesetzten Gerate unter eigener Marke zu verkaufen. Die Endgerateproduzen-

ten sollten exklusive Produkte mit Markenzeichen des Providers herstellen, auf denen

das Label des Produzenten bzw. des Endgerateanbieters in den Hintergrund tritt, Auf-

grund der strategischen Bedeutung der Vermarktung der Endgerate versuchen mehrere

Spieler der Wertschopfungskette das Feld zu besetzen (Abbildung 14).

Abblldung 14: Versuch der Verelnnahmung der Wertschopfungsstufe Vermark­tung der Endgerate durch verschiedene Teilnehmer im Mobilfunkmarkt

Der Versuch der Mobilfunkanbieter, auch die Wertschopfungsstufe der Vermarktung der Endgerate zu kontrollieren, reflektiert deren Strategie im Bereich mobiler Informations-und Onlinedienste. Mit dem Ausbau der UMTS-basierten Multimediaangebote nehmen die Mobilfunkbetreiber verstarkt auf die Gerateentwicklung Einfluss, da die Anpassung von Tastatur und Funktionalitat konsequenterweise im Hinblick auf die Bedienungsfreund-lichkeit bei der Nutzung von Multimediadiensten erfolgt. Voreingestellte Tasten fuhren

H.-P. Slebenhaar, „Ufa steigt ins Handy-TV ein", in: Handelsblatt, 12.4.2006.

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den Nutzer 2. B. direkt in das Internetportal des Mobilfunkanbieters. Die technische Basis-forschung der Endgerateanbieter bzw. Produzenten ist stark von der anwenderorientier-ten Entwicklung von Funktionalitaten uberlagert worden, so dass aus Sicht der Mobil-funkanbieter eine Grundlage fur den Anspruch der Markenhoheit vorliegt. Die Endgerateanbieter sind jedoch nicht bereit, freiwillig auf ihr Markenzeichen zu ver-zichten und sich damit in die Rolle eines leicht austauschbaren No Name-Produzenten zu begeben. Aus ihrer Sicht ist der private Endverbraucher ihr primSrer Kunde, nicht der Mobilfunkanbieter.

Fallbeispiel: Nokia's Positionierung als Multimediaunternehmen Nokia hatte sich lange geweigert, seine Produkte strikt nach den Vorgaben der Mobilfunkanbieter zu fertigen und sein Logo dabei in den Hintergrund zu stellen bzw. vollstandig wegzulassen. Die Mobilfunkanbieter hatten daraufhin vermehrt die Promotion von Nokiageraten in ihren Filialen un-terlassen und der Marktanteil von Nokia ging entsprechend zuruck: Erstmals seit 2001 war im ers-ten Quartal 2004 der Marktanteil unter die 30%-Marke gerutscht. Der Ruckgang war teilweise auch durch das unzureichende Angebot im Segment der Kiapp- und Photohandys, jedoch haupt-sachlich In der Marketingstrategie begrundet. Die anfangliche Ven/veigerung von Nokia ist vor dem Hintergrund der soliden Ausgangsposition des Marktfuhrers mit starker Marke und den eigenen Geschaftsplanen zu sehen, sich mittel- bis langfristig auch als Multimediaanbieter zu etablieren, der neben der Hardware- auch die Content-Komponente abdeckt. Nokia hat z. B. Spiele fur Mobiltelefone entwickelt (N-gage), ein Musikstu-dio aufgebaut, ein mobiles Bezahlfernsehgeschaft mit dem neuen DVB-H Standard getestet und in Kooperation mit Partnern Software entwickelt, um Mobiltelefone als universelle Instrumente fiir Unterhaltungselektronik zu entwickeln. So fuhrt der Multimediachef von Nokia, A. Vanjoki, aus: „Bis Ende 2004 wollen wir ein profitables Multimediageschaft betreiben. Wir sind dann kein traditioneller Mobiltelefonhersteller mehr. Wie sind Kamerahersteller, Soft- und Spieleentwickler und mobiler IT-Dienstleister. Wir haben bereits unsere eigenen Spiele entwickelt, ein vollig neues Geschaft. Vielleicht grunden wir ja auch unser eigenes Musiklabel Oder einen Talentschuppen fur neue Stars. Nokia ist eine Hip-Brand fur Ju-gendliche".®^ Zur Starkung der Email-Funktion in seinen Produkten und Absicherung gegen den Vormarsch der konkun-ierenden Smart Phones (mit Email-Funktion) hat Nokia 2005 den amerika-nischen Anbieter fiir mobile Email-Systeme Intellisync ubernommen. Die Strategie steht in direktem Wettbewerb zu den Geschaftsplanen der Netzbetreiber und Mobil­funkanbieter, die selbst die Wertschopfungsstufe Inhaltvermarktung besetzen wollen. Aufgrund dem dominanten Vertrieb der Endgerate durch die Mobilfunkanbieter, bei dem durch gezielten Paketverkauf ein starker Einfluss auf die Absatzzahlen genommen werden kann, ist der Endgera-teproduzent allerdings in einer benachteiligten Situation. Diese Erfahrung musste auch Nokia ma-chen: „Die Mobilfunkgesellschaften sind unsere wichtigsten Kunden - da gibt es nichts dran zu rutteln. Wir sind keine Wettbewerber der Mobilfunkbetreiber. Uns gehort keine Funkinfrastruktur -nirgendwo auf der Welt".®^ Nokia hat die Strategie der vertikalen Integration von Endgerate- und Multimediaanbieter inzwischen zuruckgestutzt und produziert einer Teil seiner Produkte nach den Vorgaben der Mobilfunkanbieter.®^

®® interview mit A. Vanjoki, dem Multimediachef von Nokia, in: A. Hennersdorf, "Bange machen gilt nicht", S. 45, in: Wirtschaftswoche, 8.1.2004, S. 38-45. ® Interview mit A. Vanjoki, a.a.O., S. 44. °° Vgl. hierzu auch The Economist, "The giant in the palm of your hand", 12.2.2005, S. 59-61; R. O. Crock­ett, A. Reinhardt, M. Ihlwan, „Cell Phones: Who's calling the shots?", in: BusinessWeek, 26.4.2004, S. 46;

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Fallbeispiel: Motorolas SelbstversUlndnis als Dienstleister der Mobilfunkanbieter Im Gegensatz zu Nokia versteht sich der amerikanische Handyproduzent Motorola in erster Linie als Dienstleister der Mobilfunkanbieter. Ed Zander, der CEO von Motorola, geht von einer klaren Auftellung der Wertschdpfungskette aus: „Fur uns bedeutet das, dass wir nicht nur alle Funktech-nologlen anbieten, sondern auch die Anforderungen der Netzbetreiber erfullen. Ob Vodafone oder T-Mobile, jeder hat andere Wunsche fur das Design des Handys, die Software, die Technik und die jeweiligen Inhalte, die auf dem Handy laufen sollen - von E-Mail, uber Videotelefonie bis zu mobilen Spielen [...] Wir bieten selbst keine Inhalte an wie es andere in der Branche tun. Wir tre-ten als Mittler zwischen den Mobilfunkunternehmen auf und den Unternehmen, die mobile Inhalte anbieten. So bringen wir ITunes-Musik-Software von Apple in unser Handy, aber steigen nicht selbst ins Musikgeschaft ein".®^ In 2006 hat Motorola eine Kooperation mit Google angekundigt, mit der Google eine mobile Vermarktung seiner Suchmaschine emioglicht wird. Die Google-Internet-Suchmaschine soil per voreingestellter Taste uber die Endgerate von Motorola ansteuer-bar sein.

Aus Sicht der Endgerateanbieter 1st die Besetzung der Wertschopfungsstufe Produktmar-keting von essentieller Bedeutung, da sis ohne Differenzierung gegeniiber dem End-verbraucher vollstandig in die Rolle eines No Name-Produzenten gedrangt und von deren Vertriebspromotion abhangen wiirden. Bel Bevorzugung der Endgerate alternativer Her-steller durch die Mobilfunkanbieter kann durch Werbung der Endgerateanbieter nur schwerlich ein kompensierender pull through-Effekt uber den Endverbraucher erzeugt werden. Hierbei ist zu berucksichtigen, dass Endgerat und Mobilfunkvertrag von den Mo-bilfunkanbietern vornehmlich als Paket mit Subventionierung der Endgerate verkauft wer­den.^° Aufgrund der hohen Einkaufs- und Nachfragemacht der Mobilfunkanbieter und ih-rem Einfluss auf die Absatzzahlen der Endgerateanbieter sind die Produzenten nur be-dingt in der Position, die Wertschopfungsstufe Produktmarketing nachhaltig zu verteidi-gen.

Fur die Mobilfunkanbieter hat die Marketinghoheit der Endgerate ebenfalls eine hohe strategische Bedeutung, da die reine Mobilfunkdienstleistung der Anbieter bei technisch aquivalenten Netzen weitestgehend austauschbar ist und die Preisinstrumentalisierung als Absetzungskriterium unmittelbar zu einem Verfall der Margen fuhrt. Folglich muss die Differenzierung an technischen Funktionalitaten und Zusatzdienstleistungen ansetzen. Diese kann bei anger Abstimmung und paralleler Entwicklung von Endgerat, Multimedia-dienst und Internetplattform erreicht werden.

Die Inkompatiblen Vorstellungen beider Selten werden durch abgegrenzte Einzelprojekte teilweise ausgeglichen. Auf Projektbasis werden von den Gerateanbietern exklusive Ce­rate angeboten und der Ansatz einer gemeinsamen Vermarktung der Gerate mit zwei

A. Relnhardt, A. Bonnet, R. 0 . Crocket, "Can Nokia get the wow back?", in: BusinessWeek, 31.5.2005, S. 18-21; und A. Hennersdorf, ..Letzter Weckruf, in: Wirtschaftswoche, 15.4.2004, S. 54-55. ° Vgl. A. Hennersdorf, ..Rettungsios umzingelt", in: Wirtschaftswoche, S. 46, 20.1.2005, S. 36-46. ®° Viag Interkom, der Vorlaufer von 0 2 , hatte bei seinem Markteintritt in 1998 versucht, die Subventionie­rung der Endgerate deutlich zuruckzufijhren und dafijr Vertrage zu kijrzeren Laufzeiten von bis zu drei Mo-naten anzubieten. Der dadurch „hohe" Kaufpreis der Endgerate wurde von den Kunden jedoch nicht akzep-tiert und die Angebote schliefllich zuriickgenommen.

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Markenzeichen auf dem Endgerat gewahlt. Weiterhin versuchen Endgerateproduzenten

mit schwacher Marke in den Markt einzudringen, die naturgemafi eine groliere Offenheit

fur eine dominante Oder ausschlieRliche Markenpositionierung der Mobilfunkanbieter ha-

ben. Hierzu zahlen z. B. die japanische Elektronikfirma Sharp, die Vodafone mit einer

Produktserie fur die Ansteuerung und Nutzung des Portals „Vodafone live!" versorgt hat.

Der innovative Handyproduzent LG Electronics, der eine fuhrende Position bei UMTS-

Geraten innehat, stellt z. B. seine Produktmodelle in Deutschiand exklusiv fur einzelne

Mobilfunkbetreiber her und vermeidet dadurch auch einen unmittelbaren Preisdruck.

Fallbeispiel: Handy>Lohnherstellung von HTC fur Mobilfunkbetreiber Der taiwanesische Lohnhersteller fur Endgerate HTC hatte seine Vertriebsaktivitaten zunachst rein auf die etablierten Produzenten bzw. Endgerateanbieter ausgerichtet. Auf die zunehmende Nachfrage der Mobilfunkanbieter nach eigenen Geraten mit ihrem Logo hat sich HTC dann fur einen Wechsel des Kundenfokus entschieden und sich als Lohnproduzent der Mobilfunkanbieter positioniert. Inzwischen gehoren u.a. Verizon, Orange, NTT und die vier deutschen Netzbetreiber zu den festen Auftraggebern. Der Marketingchef von HTC eriautert das Erfolgsgeheimnis des Zu-lieferers: „T-Mobile und wir sind naturliche Partner, weil wir Ihnen das geben, was sle brauchen: Gerate, die ihren Umsatz pro Nutzer in die Hohe treiben [...] Motorola, Nokia, Samsung und ande-re hingegen sind vordringlich daran interessiert, ihre eigene Marke zu kultivieren und so schnell wie moglich immer neue Modelle abzusetzen". ^

2.6 Vereinnahmung der Softwareentwickiung durch die Mobilfunkanbieter Die Software fur Endgerate wird von den meisten Handyproduzenten intern entwickelt und entsprechend nur in den eigenen Geraten eingesetzt. Die hauseigenen Betriebssys-teme sind mit den Standards und Modulen anderer Anbieter in der Regel nicht kompati-bel. Mit zunehmenden Entwicklungskosten im High End-Bereich und hohen Fixkosten ist die Branche bei Smartphones dazu ubergegangen, die vertikale Integration von Betriebs-system und Hardware teilweise aufzugeben und hat eine horizontale Konsolidlerung der Systeme eingeleitet. Da die Endgerateproduzenten das Potenzial der Software fur die Dif-ferenzierung ihrer Produkte jedoch nicht vollstandig aufgeben wollen, hat sich noch kein branchenijbergreifender Standard durchgesetzt, sondern es dominieren multilaterale Ko-operationen. Fur die aufwendigere Systementwicklung fur Smartphones und Handys mit Multlmedia-funktion wurde 1998 von mehreren Endgerateanbletern das Symbian-Konsortium ge-grundet, das Betriebssysteme fur hoherwertige Handys entwickelt. Das System hat in seinen ersten Versionen auf der Software des britischen Organizerherstellers Psion auf-gesetzt. An Symbian sind maligeblich Nokia, SonyEricsson, Panasonic, Siemens und Samsung beteiligt. Motorola hatte sich jedoch 2003 entschlossen, dass Konsortium zu verlassen und stattdessen das Betriebssystem Windows Mobile von Microsoft zu benut-zen.^^ Nokia hat auch begonnen, Wettbewerbern Lizenzen fiir eigene Systeme zu ertei-

Vgl. K. Hille, „Gewinner ohne eigenes Gesichf, in: FTD, 19.5.2006. ^ Vgl. T. Kuhn, A. Hennersdorf, K. Gutowski, M. Kroker, S. Range, ..Uberlebenswichtig", in: Wirtschaftswo-che, 20.2.2003, S. 53-59.

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len. So ist die Software Serie 60 auch von Siemens, Samsung und Matsushita genutzt worden. Parallel bietet der Open Source-Anbieter Linux ein Produkt an. Die Mobile Linux Platform Foundation wird von Panasonic und Motorola getrieben und wird zusatzlich von Samsung und NEC unterstutzt. Aus dem Lager der Netzbetreiber wurden Vodafone und NTT Do-como, der fuhrende japanische Mobilfunkbetreiber, fur eine Zusammenarbeit gewon-nen. Ebenso versuchen auch die Mobilfunkanbieter, den Aufbau eines proprietaren Software-Standards fur Endgerate zu forcieren. Zur Unterstutzung der Vermarktung ihrer Multime-diaprodukte und der Sicherung eines groBeren Einflusses auf die Funktionalitaten der Endgerate investieren Vodafone und Orange in das Softwaresystem der amerikanischen Firma SavaJe. Ferner haben die Mobilfunkanbieter die Allianz OMTP (Open Mobile Ter­minal Platform) zur Gestaltung der Endgerate gegrundet, die eine offene Plattform fur zu-satzliche Applikationen und Funktionalitaten sicherstellen soil. Hierdurch soil die Vorherr-schaft der Endgerateproduzenten in der Entwicklung weiter zuruckgedrangt werden. An OMTP sind Vodafone, T-Mobile, MM02, Smart Communications, NTT Docomo, Orange, Telefonica und Telecom Italia Mobile beteiligt. Die Endgeratehersteller durfen in den Ar-beitsgruppen mitarbeiten, haben jedoch keine Vollmitgliedschaft bzw. Entscheidungsrech-te. ^

Langfristig durfte sich eine horizontale Integration der Betriebssysteme fur Mobilfunkgera-te durchsetzen; teilweise werden auch Funktionen von Systemen anderer Applikationen (u.a. Computer) ubemommen werden. Die branchenubergreifenden Systeme sind offene Betriebssysteme und eriauben die Kombination von Funktionen verschiedener Hersteller. Angesichts der Modularisierung von Funktionen und der hohen Abfolge von Produktgene-rationen bietet ein offenes System eine hohere Flexibilitat und reduzierte Entwicklungs-kosten, da es den selektiven Zukauf von Funktionen und Modulen eriaubt und die techno-logische Komplexitat fur die Produzenten begrenzt. Trotz der hohen Bedeutung des Be-triebssystems fur die Differenzierung der Endgerate wird es sich langfristig kein Anbieter leisten konnen, ausschlieSlich auf Interne Systeme zu setzen. Zur Besetzung dieser Stufe sind die Mobilfunkanbieter Oder Softwareunternehmen gegenuber den Anbietern von Endgeraten langfristig in der besseren Position.

2.7 Zusamnfienfassung

Der Mobilfunk reprasentiert insgesamt eine noch relativ junge Branche, in der sich die dauerhaften Konstellationen und Anbietermodelle noch nicht gefunden haben. Bezogen auf die Motive der vertikalen Integration scheinen GroRenvorteile bei der Netzwartung, dem Netzbetrieb als auch der Fertigung der Endgerate eine tragende Rolle zu spielen. Hierbel bleibt abzuwarten, inwieweit sich das Anbieterfeld der Endgeratehersteller und Mobilfunkanbieter noch konsolidiert und die Verwirklichung von Grofienvoreteilen auch

Vgl. A. Postinett, „Angriff auf Symbian und Microsoft", in: Handelsblatt, 15.6.2006. * Vgl. „Neue Allianz der Mobilfunkbetreiber, in: FAZ, 5.7.2004.

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intern erfolgen kann. Im anderen Fall wurde sich mittel- bis langfristig eine horizontale Organisation durchsetzen.

In anderen WertschSpfungsstufen donninieren strategische Uberlegungen. Hierbei ist ins-besondere der vertikale Wettbewerb urn die Kontrolle der Wertschopfungsstufe Endgera-temarketing zu nennen, der von den Produzenten auf der einen und den Netzbetreibern bzw. Mobilfunkanbietern auf der anderen Seite ausgetragen wird. Beide Parteien versu-chen durch Vereinnahmung dieser Stufe ihre Differenzierung gegenuber dem Endver-baucherzu verbessern und einem reinen Commodlty-Wettbewerb auszuweichen. Ebenso ist noch nicht entschieden, wer langfristig die Softwareentwicklung fur mobile Ap-plikationen beherrschen wird. In beiden Fallen wird die damit verbundene Vor- Oder Ruck-integration der Anbieter nicht von reinen Kosten- oder Effizienzmotiven getrieben sein, sondern erfolgt unter der Pramisse, einen moglichst grolien Anteil der Wertschopfungs-kette zu kontrollieren.

Im Geschaftsfeld der Datenubertragung ist die entscheidende Fragestellung durch die Unterscheidung von Channel und Content angerissen. Die Erstellung und Vennarktung mobiler Inhalte und Informationsdienste stellt fur die Mobilfunkanbieter eine passende Wachstumsoption dar, insbesondere vor dem Hintergrund des ausgepragten Commodity-Charakters des Kerngeschaftes. Insofern hat sich eine Verlockung herausgebildet, durch Einkauf und Packaging von Daten die eigene Infrastruktur besser asuzulasen, die Kun-denbindung zu erhohen und zusatzllches Umsatzpotenzial zu realisieren. Aus Sicht der Medienunternehmen ist das Handy hingegen ein weiterer Vertriebskanal fur bestehende Inhalte, deren Vermarktung, Packaging und rechtliche Lizensierung (Content syndication) man ungern anderen tiberlasst. Der unter primar strategischen Vorzeichen ausgetragene vertikale Wettbewerb eriaubt keine pauschale Aussage tiber die Nachhal-tigkeit und Tragfahigkeit der verschiedenen Geschaftsmodelle. Aufgrund ihrer Kontrolle uber die Inhalte ist jedoch davon auszugehen, dass die Medienunternehmen Content nur bei geringer Attraktivitat des damit verbundenen Mobile Business pauschal an die Mobil­funkanbieter lizensieren.

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3. Wertschopfungskette Automobile

3.1 Darstellung der Wertschopfungskette Das stetige Wachstum der AutomobilindustrJe erklart sich durch den Quantensprung in der technologischen Entwicklung im Markt fur individuelle Mobilitat. Dabei haben die Au-tomobilproduzenten hinsichtlich der Prozessentwicklung oft eine Vorreiterrolle fur andere Industrien ubernommen, etwa durch die Einfuhrung des FlieRbandes, dem Konzept der Lean production oder der Einfuhrung der Just in time-Logistik.

Bei der Analyse der vertikalen Integration innerhalb der Wertschopfungskette fur Auto­mobile werden die Leistungserstellung (Abschnitt 3.2-3.4) und die Leistungsverwertung (Abschnitt 3.5-3.7) nacheinander behandelt. Die Leistungserstellung setzt sich aus meh-reren Teilschritten zusammen. Das Fahrzeug besteht aus einer Plattform und den aufge-setzten Modulen, die sich wiederum aus Bauteilen und Systemen zusammensetzen (Ab-bildung 15).

Abbildung 15: Wertschopfungskette und Anbietermodelle fiir die Produktion von Automobilen im Bereich der Leistungserstellung

Hinsichtlich Forschung, Entwicklung und der Produktion von Bauteilen, Systemen und Modulen hat sich zwischen den Automobilproduzenten und den Zulieferern eine Arbeits-teilung etabliert. Zur Kennzeichnung der Lieferbeziehungen bzw. der Staffelung der Zulie-ferer werden in der Terminologie der Automobilindustrie iiblicherweise die Kurzel „Tier 1" bis „Tier 3" ven/vendet: Die Tier 1-Zulieferer beliefern direkt die Automobilproduzenten, wohingegen die Tier 3-Zulieferer die Tier 2- und die Tier 2- die Tier 1-Zulieferer bedienen. Auf die einzelnen Wertschdpfungsstufen der Produktion wird separat eingegangen. Hier-

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bei wird neben einer Beschreibung der einzelnen Stufen im Gesamtablauf auch deren Abdeckung durch Zulieferer bzw. Automobilproduzenten charakterisiert. Die Produktion eines Bauteils besteht in der Fertigung einer einzelnen Komponente bzw. eines physischen Einzelteils unter weitgehender Abstraktion von dessen Zusammenwir-ken mit anderen Bauteilen. Das System auf der nachst hoheren Ebene ist als funktions-fahiges Aggregat von Bauteilen zu verstehen (z. B. das Bremssystem). Auf der Ebene des Moduls wird schliefilich auf die Kombination mehrerer Systeme rekurriert. Beispiele fur Module sind die Karosserie, der Motor, das Cockpit sowie die Heck- und Frontpartie. In Abh^ngigkeit des Zusammenhanges der beteiligten Systeme und Bauteile wird zwi-schen raumlichen Modulen (z. B. das Modul Autotur) und funktionalen Modulen (z. B. das Modul Motorsteuerung) unterschieden.

Die Module werden auf die Plattform des Fahrzeugs aufgesetzt, worunter die Zusammen-fassung der Elemente verstanden wird, die innerhalb verwandter Modellreihen standardi-siert und vereinheitlicht werden konnen. Zur Plattform zahlen insbesondere die Boden-gruppe, der Antriebsstrang und die Achsen. ^ Hiervon abgegrenzt sind periphere Module (insbesondere Ausstattung und Karosserie) Oder kombinatorische Module (z. B. ver-schiedene Motorenmodule mit gestaffelter Leistung und Art des Kraftstoffes), die je nach Nachfrage individuell eingesetzt werden konnen. Ferner zahit die Produktionsstrasse zur Plattform, die fur eine Baureihe eingesetzt wird. Die System- und Modulintegration umschreibt das Zusammenspiel verschiedener Syste­me und Module unter realen Nutzungsbedingungen und stellt insofern eine Abstimmungs-und Integrationsleistung dar, die eine systemubergreifende Kompetenz erfordert. Die In­tegration eines Aggregats in seine technische Umgebung ist zu einem Groliteil von den Tier 1-Zulieferern vereinnahmt worden. Ein Beispiel ist der Fahrwerkzulieferer Continen­tal, der sich ausgehend von seinem historischen Kerngeschaft der Reifenproduktion eine Kompetenz fur die Entwicklung und Produktion des gesamten Fahrwerks aufgebaut hat. ® Die Serienentwicklung kann im wesentlichen nur am ganzen Fahrzeug durchgefuhrt wer­den. Dabei wird sowohl das nahtlose Zusammenwirken der Systeme getestet, der stan-dardisierte Herstellprozess im Detail geplant und schlielilich auch das finale Zulieferer-portfolio festgelegt. Die sich anschliefiende Endmontage beschreibt die eigentliche Pro­duktion des Automobils und ahnelt einem FlieUbandprozess, fur den die verschiedenen Modul- und Systemlieferanten ihre vormontierten Systeme zeit- und mengengerecht zu-steuern. Die Serienentwicklung des Prototyps und die Endmontage stellen Kemkompe-tenzen der Automobilproduzenten dar. Beide Schritte erfordern das Vorliegen aller Kom-ponenten im funktionalen Kontext und konnen von einem spezialisierten Zulieferer nur bedingt geleistet werden.

Zur Veranschaulichung seien die begrifflichen Abgrenzungen von Bautell, System und Modul bzw. Modulintegration am Beispiel des Vordersitzes eriautert: Die einzelnen Bau-

Die Darstellung der Produktionsebenen orientiert sich an O. Tietze, Strategische Positionierung in der Automobilindustrie, Wiesbaden 2003, S. 89-90. ^ Vgl. R. Kalmbach, J. Danneberg, Automobiltechnologie 2010. Technologische Veranderungen im Auto-mobil und ihre Konsequenzen fur Hersteller, Zulieferer und Ausruster, Studie der HypoVereinsbank und Mercer l\^anagement Consulting, August 2001.

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telle sind u.a. durch das Metallgerust, die Federn, die Bezuge und die Fullstoffe gegeben. Mit der Systemebene sind die montierten Teile des Sitzes umrlssen, also z. B. die Kopf-stijtze, die Ruckenlehne, das Sitzkissen und ggf. die SItzhelzung. Der fertig zusammen-gebaute bzw. montierte Sitz stellt ein Modul dar. Die Modulintegratlon steht fur das Ein-justieren aller Systeme zur Baueinheit Vordersitz, also u.a. die Abstimmung zwischen der Leistung der SItzheizung oder der Federung mit der Beschaffenheit der eingesetzten Ma-terialien. Im Rahmen der Serienprufung wird der Sitz hinsichtlich seiner Eigenschaften im Fahrzeug gepruft, wie z. B. die Raumauftellung im Cockpit, das Verhalten im Crashtest im Zusammenwirken mit Airbag und Anschnallgurt oder die Passung zur Innenraumverklei-dung der Fahrzeugtur. Das Modul wIrd bel der finalen Endmontage in die Fahrzeugplatt-form eingebaut.

Fallbeispiel: Serielle Endmontage bei Ford Der amerikanische Automobilproduzent Ford ist bezuglich der Organisation seiner Produktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Lehrbuchbeispiel fur ein Unternehmen mit nahezu maximaler Wertschopfungstiefe. Durch Umstellung von einer am Einzelstuck orientierten, primar manuellen Herstellung zum Fliessband, bei welcher der jeweilige Arbeitstand automatisch durch die as­sembly line von Maschine zu Maschine weitergereicht wIrd, revolutionierte Henry Ford die Her­stellung von Automobllen. ^ Wahrend in der Manufaktur die Automobile bzw. Prototypen noch eine hohe Variabilltat und quali­tative Unelnheitlichkeit aufwiesen, die erst durch individuelle Nacharbeiten dem Standard ange-passt wurde, bedlngt eine hohe Serlenqualitat extreme Anforderungen an die Passgenauigkeit der Einzelkomponenten. Nach Ausfiihrung eines maschinellen Arbeitsschrittes wird der jeweilige Arbeitsstand unverzuglich zum nachsten Prozessschritt weitergeleitet. Die Arbeiter sind hochspe-zialisiert auf wenige Arbeitsschritte und mussen bei Wechsel zum nachsten Fahrzeug keinen Zeit-und Wegeaufwand in Kauf nehmen. Ein aufwendiges Nacharbeiten wurde den Prozess nachhal-tlg verzogern. Die gesamte Planung des Unternehmens war auf die Serienproduktion des Model T ausgerichtet. HIerbei uberliefl Ford fast keinen Teilschritt der Wertschopfung externen Zulieferern. Das Work produzierte seinen eigenen Strom, sowie die damals zentralen Komponenten Glas und Stahl-blech. Die Stahlversorgung basierte auf eigenen Kohle- und Erzbergwerken, der Transport wurde mit eigenen Schiffen und einer eigenen Eisenbahngesellschaft abgewickelt. Zur Reifenproduktion verfugte das Werk uber eigene Gummiplantagen In Brasllien und Reifenfabriken In den USA. Die Fahrgestelle und die Motoren wurden von dem Zulieferer Dodge gekauft. Als sich ein Technolo-giesprung von naturlichem zu synthetischem Gumml abzuzelchnen begann, initiierte Ford For-schungsaktivitaten auf dem Gebiet der Materialforschung. ® Die industrielle Serienfertigung hat sIch maRgeblich in der Automobilindustrie durchgesetzt und wird seitdem „Fordismus" genannt. Da die Umsetzung des Fordismus bei dem damaligen Stand der Infonnationstechnik und der begrenzten Moglichkeit des Datenaustausches kaum uber meh-rere Unternehmensgrenzen hinweg bewerkstelligt werden konnte, stellte die vertlkale Integration der Produktionsstufen eine adaquate Organisationsform der Wertschopfungskette dar.

^ Seit Ford werden Automobile zum Grofiteil nach dem Made to forecast-Prinzip produziert, wohingegen in der Manufaktur noch das Built to order-Prinzip angewendet wurde. Dadurch konnten die Herstellkosten und Preise signifikant gesenkt und ein Massenmarkt erschlossen werden. ® H. Bennett, Ford: We never called him Henry, New York 1987, S. 27, 55fg. und S. 260.

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Nach Aufzeigen der Ursache der zuruckgehenden vertikalen Integration innerhalb der

Leistungserstellung (Abschnitt 3.2) wird separat auf die horizontale Integration der End-

montage eingegangen (Abschnitt 3.3). Anschliefiend wird auf die Leistungsverwertung

ubergeleitet und die Besetzung der Wertschopfungsstufe Marketing bzw. Branding vor

denri Hintergrund der sinkenden Wertschopfungstiefe der Produzenten diskutiert (Ab­

schnitt 3.4). Abschlieliend wird die vertikale Integration von Produktion und Finanzierung

(Abschnitt 3.5), Einzelhandel und Wartung/ Reparatur (Abschnitt 3.6) und Produktion und

Ersatzteilhandel (Abschnitt 3.7) thematisiert.

3.2 Ursachen der Devertikalisierung der Leistungserstellung

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich das Verhaltnis zwischen Automobilproduzent und Zulieferer grundlegend geandert. Wertschopfung im Bereich von Entwicklung und Pro­duktion ist zunehmend an die Zulieferer abgegeben worden; die Produzenten sind nur noch teilweise an der Herstellung von Einzelteilen und Systemen beteiligt und beschran-ken sich zusehends auf die nachgelagerten Wertschopfungsstufen Zusannmenbau und die Vermarktung der Fahrzeuge.

Ein wesentlicher Treiber der Fremdvergabe und der Ausgliederung von internen Abtei-lungen besteht in der zunehmenden Modelldifferenzierung, die sich sowohl auf verschie-dene Fahrzeugtypen, u.a. Kleinwagen, Limousine, Sportwagen, Kombi und Minlvan, als auch eine hohe Anzahl von Ausfiihrungen und Komblnationsmdglichkeiten bezieht Die Komplexitat kann Inerhalb der Wertschopfungskette durch Aufteilung auf mehere Zuliefe­rer besser gemanagt werden.^^

Der zentrale Vorteil einer horizontalen Integration der Entwicklung und Produktion von Bauteilen, Systemen und Modulen besteht in der Senkung der Herstellkosten. Kostenein-sparungen ergeben sich indem Komponenten standardisiert werden und nicht jeder Pro-duzent - im Extremfail fur jede seiner einzeinen Baureihen - die entsprechenden Module und Systeme parallel entwickelt und produziert. Die spezialisierten Tier 1- bis Tier 3-Zulieferer konnen durch Erhohung des Volumens in Entwicklung und Produktion deutliche Groften- und Verbundvorteile gegenuber einem einzeinen Produzenten mit Selbstversor-gung erzielen. Insbesondere im Bereich der Entwicklung mit einem hohen Fixkostenanteil fijhrt die herstellerijbergreifende und gebundelte Organisation zu einer Reduzierung der Aufwendungen. Mittelfristig fdrdert die Entwicklung eines herstellerunabhangigen Zuliefe-rerfeldes die Etablierung einheitllcher Schnittstellen und Standards, die einen weiterge-henden bzw. einen voUstandigen Austausch von Modulen und Systemen verschiedener Modelle eriaubt Die Senkung der Entwicklungs- und Herstellkosten beruht somit auf ei­ner Steigerung des Produktionsvolumens und kann prinzipiell durch eine interne Standar-disierung von Baureihen und Modellen, als auch eine Fremdvergabe an unabhangige Zu­lieferer erreicht werden (Abbildung 16).

D. Sliwka fuhrt am Beispiei von Delphi durch General Motors aus, dass durch eine Ausgliederung auch die Motivation und damit die Qualitat der Wertschopfung erhoht wird. Vgl. D. Sliwka, ..Management Incenti­ves, Signaling Effects and the Costs of Vertical Integration", in: Zeitschrift fur Betriebswirtschaft, 74. Jg. (2004), S. 27-52.

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Page 88: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 16: Realisierung von GrolJenvorteilen der Produktion durch modell-ijbergreifende (Module der Baureihen C und D oder Integrationsleistungen der Baureihen A und B) oder anbieteriibergreifende Vereinheitlichung von Wert-schopfungsstufen (Bauteile und Systeme beider Produzenten)

In beiden Fallen - der unternehmensinternen und der unternehmensubergreifenden Rea­lisierung von Grofienvorteilen - erfolgt eine zunehmende Standardisierung von Bauteilen, Systemen und Modulen, durch die eine Erhohung der Stuckmenge in Aussicht gestellt wird. Beide Trends konnen in der Automobilindustrie beobachtet werden. Die Vorgabe der internen Erhohung der Serienkontingente wird von den Produzenten durch Verein­heitlichung, als auch durch Fusionen und Akquisitionen adressiert (Abschnitt 3.2.1). Die Limitation der internen Realisierung von GroRenvorteilen erzwingt schlieSlich eine Be-grenzung der Wertschopfungstiefe der Produzenten und die Verlagerung von Wertschop-fung an die Zulieferer (Abschnitt 3.2.2). Die Arbeitsteilung zwischen Zulieferern und Pro­duzenten hat schlleSlich zu neuen Kooperationsformen gefiihrt Abschnitt 3.2.3).

3.2.1 Interne Realisierung von GroHenvorteilen

Die Produzenten unternehmen starke Anstrengungen, urn die Auslastung ihrer Plattfor-men zu erhohen. Die Zielsetzung der Kostensenkung durch Vereinheitlichung von Fahr-zeugkomponenten wird in der Automobilindustrie als „Plattformstrategie" bezeichnet. Grundsatzlich fallen bei Aufbau und Weiterentwicklung jeder Plattform hohe Fixkosten an, die auf die einzelnen Fahrzeuge einer Plattform abgewalzt werden mussen. Insofern sin-ken die Kosten pro Einheit bei steigender Auslastung der Plattform. Fur 2006 wird davon ausgegangen, dass von den fiihrenden Produzenten noch etwa 87 Plattfomnen vorgehal-ten werden, und die durchschnlttliche Produktionsmenge je Plattform auf 175.000 Einhei-

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Page 89: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

ten gesteigert wird. Zum Vergleich, in 2000 betrug die durchschnittliche Produktionsmen-

ge je Plattform erst 130.000 Einheiten.''°°

Auf die Plattform werden die Module aufgesetzt und montiert, die aufgrund standardisier-

ter Schnittstellen zu der Plattform weitestgehend unabhangig von der Plattform und ande-

ren Modulen entwickelt und produziert werden konnen. Die Vereinheitllchung von Schnitt­

stellen eroffnet die plattformubergreifende Verwendung der Module, als auch in organisa-

torischer Perspektive die Vergabe der Modulfertigung an Zulieferer.

Eine Erhdhung der Plattfonn kann zunachst durch Steigerung des Absatzvolumens er-

reicht werden. Weiterhin resultiert eine Senkung der anteiligen Fixkosten, wenn neue

Baureihen und Nischenmodelle - ggf. eines Kooperationspartners - auf einer bestehen-

den Plattform produziert Oder Modelle mit bislang getrennten Herstellprozessen teilweise

vereinheitlicht werden. Da eine Plattform fur die Herstellung verschiedener Marken einge-

setzt werden kann, muss die Reduzierung der Plattformen nicht zwangslaufig zu einer

Einschrankung der Markendifferenzierung fuhren. Voraussetzung hierfur ist jedoch eine

Begrenzung der Vereinheitlichung auf die konstitutiven Basiselemente bei Abbildung der

Markenwelten uber variierbare bzw. nicht konstitutive Elemente. Dies betrlfft in erster Li-

nie die markenpragenden Module Karosserie, Cockpit, Heck- und Frontpartie. Grundsatz-

lich wird jedoch mit zunehmender Standardisierung und Vereinheitlichung die Basis der

technologischen Differenzierung eingeschrankt.

Fallbeispiel: Plattformstrategie bei Volkswagen und Audi Volkswagen hatte unter dam Vorstandsvorsitzenden F. Piech im Vergleich zu anderen Produzen-ten die Plattformstrategie am starksten forciert, bis schliefllich die technische Angleichung der Fahrzeuge eine preisliche Differenzierung nicht mehr rechtfertigte (insbesondere zwischen der VW Baureihe Golf und der Konzernmarke ^koda). Nach Ubernahme der Verantwortung durch B. Pischetsrieder wurde die Plattfonnstrategie deswegen teilweise ruckgangig gemacht, die Verein­heitlichung jedoch auf Ebene des Moduls (insbesondere Achsen, Cockpit, Bremsen und Klimaan-lage) weiter vorangetrieben. Die Golf-Plattform (Code PQ35) wird heute nur noch fur die Produk-tion der Modelle Seat Altea, Seat Leon, VW Touran, Skoda Octavia den Audi A3 und den TT ein-gesetzt. "" Oberhalb der Golfklasse wird es hingegen keine ubergreifenden Plattformen mehr ge-ben. Die markenubergreifende Vereinheitlichung der Module wird organisatorisch durch die Ein-fijhrung von Modulmanagern umgesetzt, die konzernweit fur den Aufbau, die Weiterentwicklung und der Einsatz von Modulen verantwortlich sind. Entsprechend fuhrt der Vorsitzende des Vor-standes, B. Pischetsrieder, aus: „Wir haben heute schon den Vorteil, dass wir konzernubergrei-fend effektiver als viele Konkurrenten Gleichteiie in verschiedenen Autos einsetzen. Dieses Sys­tem treiben wir jetzt voran, indem wir unsere Marken und Fahrzeugklassen hinweg konsequent vereinheitlichen".^°^ Die Konzernmarke Audi ven/vendet seine Plattform fur die Baureihen A4 und A6 exklusiv und strebt eine hohe Standardisierung der Modelle an. Der Leiter von Audi, Martin WInterkorn, fiihrt aus: „Die Kunst besteht darin, mit einer Plattfonn, die bei Radstand und Spunveite variabel ist.

Vgl. 0 . Tietze, Strategische Positionierung in der Automobilindustrie, Wiesbaden 2003, S. 90. ° Vgl. ..Fighting back", S. 11, in: Perpetual Motion. A survey of the car industry. The Economist, 4.9.2004.

und D. Potsch. "Wir brauchen noch Zeit", in: Wirtschaftswoche, 19.2.2004, S. 52-56. ° Vgl. J. Rees, ..Wettbewerb. Aufregendes Styling ist alles", S. 76, in: Spezial Auto + Verkehr, Wirtschafts­

woche, 19.2.2004. S. 74-80, B. Pischetsrieder, ,.Der Phaeton hat noch viele Jahre vor sich", S. 65, in: ma­nager magazin, 1/2004, S. 64-66, und ..Endlich handein", in: Capital, 22/2004, S. 44-49.

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Page 90: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

verschiedenste Modelle und Varianten der Baureihen A4, A6 und A8 produzieren zu konnen. Teu-re Module wie Achsen, Motoren, Lenkungen, Klimaanlagen Oder die gesamte Elektronik bestehen ebenfalls aus Einzelteilen, die sich geschickt kombinieren lassen".''°^ Im Rahmen der anhaltenden Ertragsschwache der Marke VW ist jedoch die technische UnabhSngigkeit von Audi und damit die weitgehende Parallelitat in Entwicklung und Produktion in Frage gestellt worden.''°'*

Fallbeispiel: Angleichung der Fahrzeuge bei DaimlerChrysler Die ursprunglich nach der Fusion von Daimler und Chrysler getroffene Festlegung, eine Verein-heitlichung beider Marken zu unterlassen, urn deren Identitat und den Premiumstatus von Daimler nicht zu verwassern, wurde inzwischen stark aufgeweicht. So nutzt der Chrysler 300C FahnA/erk-teile, Getriebe und Dieselmotoren von Daimler; ebenso weisen der Chrysler Crossfire und der Mercedes SLK auSer der Karosserie groBe Ahnlichkeiten auf. Zukunftig soil auch im Segment der Gelandemarken starker kooperiert werden. Der Vereinheitlichung werden zur Aufrechterhaltung und Abgrenzung der Markenidentitat jedoch von D. Zetsche, dem Vorsitzenden des Vorstands, noch enge Grenzen gesetzt: „Naturlich wissen wir, dass der oberste Wert der eigenstandige Charakter der einzelnen Marken ist. Unter dieser Pramisse wollen wir die Potenziale fur eine Zusammenarbeit starker nutzen. Dies umfasst auch die Entwicklung von Teilen, solange diese nicht charakterbildend und bestimmend fur die Eigen-schaften der Autos sind".''°^

Fallbeispiel: Erhdhung der Stuckmenge pro Plattform bei General Motors General Motors hat damit begonnen, die in den USA und Europa regional unterschiedlichen Grundkonstruktionen der Fahrzeuge zu vereinheitlichen. Fur die ehemals unabhangige Konzern-marke Saab wird verstSrkt auf Bauteile der GM-Marken zuruckgriffen, etwa durch Ubernahme der Elektroniksysteme vom Opel Vectra. °^

Der Konsolidierungsdruck zur Vereinheitlichung der Produktion bzw. der Erhohung der Serienkontingente wird auch durch die Konzentration des Anbieterfeldes reflektiert. Das Anbieterfeld der Automobilproduzenten ist durch eine starke Konzentration charakteri-siert. Zur Jahrtausendwende gab es noch 15 unabhangige Automobilhersteller: BMW, DaimlerChrysler/Mitsubishi, Fiat, Ford, General Motors, Honda, Hyundai/Kia, Mitsubishi, Porsche, Proton, PSA (Peugeot/Citroen), Renault/Nissan, Suzuki, Toyota und Volkswa­gen. Damit hat sich das Anbieterfeld seit 1964 mit 52 bzw. 1992 mit 22 Produzenten kon-solidiert. Fur das Jahr 2010 wird nnit einer weiteren Abnahme auf schlielilich 8 Produzen­ten gerechnet.''°^

° Vgl. hierzu M. Winterkorn, in: „Weiter Tempo machen", S. 52, in: Capital, 5/2006, S. 50-51. "' Vgl. K. Spiller, ..Dossier VWstellt Audis Eigenstandigkeit in Frage", in: FTD, 24.4.2006. ° Vgl. D. Zetsche (Interview), „VJelleicht ging es uns zu gut', in: Handelsblatt, 27.2.2006.

^^ Zur Standardisierung der Fahrzeuge bei General Motors vgl. auch R. Wagoner, in: „Die Rabatte lohnen sich", 8. 54, in: manager magazin, 09/2003, S. 50-55. Fiat plant, seine Modell-Plattfonnen von 15 auf 10 zu reduzieren. wobei auch deutiich an der hohen Zahl modellspezifischer Komponenten gearbeitet werden soil.

° Vgl. Tietze, C , Strategische Positionierung in der Automobilindustrie, Wiesbaden 2003 Tietze, S. 71 , und P. Radtke, E. Abele, A. E. Zieike, Die smarte Revolution in der Automobilindustrie, Frankfurt/Main 2004, S. 19. Die letzten Schritte der Konsolidierung sind durch die Fusion von Daimler und Chrysler, die gesellschaftsrechtliche Kreuzverbindung von Renault und Nissan, den Verlust der Unabhangigkeit von Saab und Rover sowie die Beteiligungen von General Motors an Daewoo (45% in 2002 bzw. 50% in 2005) und Porsche an Volkswagen gegeben (20% in 2005). Die Verbindung zwischen DaimlerChrysler und Mi­tsubishi wurde 2005 wieder aufgelost.

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Page 91: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Bei Ubernahme von Produzenten werden die Modelle und Marken der ehemals eigen-

standigen Firmen in der Regel fortgefuhrt und eine Vereinheitlichung der technischen

Ausstattung initiiert. Beispiele der organisatorischen Weiterfiihrung von Marken sind Audi,

Bentley, Seat und ^koda (Volkswagen) oder Volvo und Jaguar (Ford).

3.2.2 Herstellerubergreifende Realisierung von GroRenvorteilen Neben der internen Realisierung von GroBenvorteilen in Entwicklung und Produktion bie-

tet sich eine partielle Zusammenlegung der Entwicklung und Produktion auf Basis von

Kooperationen oder die vollstandige Fremdvergabe an unabhangige Zulieferer an. Die

Kooperationen beschranken sich in der Regel auf einzelne Modelle und Baureihen, kon-

nen im Grenzfall aber auch das gesamte Produktportfolio umfassen.

Fallbeispiel: Kooperation zwischen Volkswagen und Porsche Porsche hatte 1976 als einer der ersten Produzenten mit dem Model! 924 herstellerubergreifende Synergien in Entwicklung und Produktion genutzt: das Fahrzeug war nach dem Modulsystem konstruiert und basierte auf Systemen von Volkswagen und Audi. Diese Strategic wurde bei spa-teren Modellen fortgesetzt: Der Cayenne von Porsche und der Touareg von VW setzen auf einer einheitlichen Plattfomi auf und werden beide in dem VW-Werk in Bratislava vorproduziert. Die zusammengeschweiftte und lackierte Karosserie wird in Leipzig endmontiert. Beide Hersteller profitieren in ihrer Entwicklung von geteilten Entwicklungskosten. Fur die Ferti-gung des vierturigen Sport-Coupes, dem Panamera, ist ebenfalls eine Zusammenarbelt mit Volkswagen angedacht: Die iackierten Rohkarosserien sollen aus einem VW-Werk geliefert und in dem Porsche-Werk in Leipzig endmontiert werden. So kann in dem Werk in Lepizig auf die In-vestition in eine Schweillanlage und eine Lackiererei verzichtet werden. °®

Fallbeispiel: Kooperation von Toyota, PSA und Citroen Fiir die Entwicklung und Produktion von Kleinwagen sind Toyota, PSA (Peugeot/Citroen) und Cit­roen eine Kooperation eingegangen. In der gemeinsamen Produktionsanlage in tschechischen Kolin werden der Toyota Aygo, der Peugeot 107 und der Citroen CI entwickelt und hergestellt. Rund 92% der Einzelteile sind identisch; die Technik in alien drei Modellen ist sehr einheitlich. Zur Ermoglichung einer Differenzierung wird iogischerweise auf ein unterschiedliches Design bzw. eine individuelle Karosserie gesetzt. Auch bei schwankenden Marktanteilen ist eine gleichformige Auslastung der Herstellungskapazitat sichergestellt.^°^

Die Option der vertikalen Diversifikation zur Beibehaltung eigener Kompetenzen bei pa-

ralleler Realisierung von GroSenvorteilen durch Angebot im Markt stellt in der Regel keine

realistische Option dar. Der Wettbewerber wird nicht gleichzeitig als Zulieferer akzeptiert.

Fallbeispiel: Verkauf des Spezialzulieferers GTS durch Porsche CTS produziert Spezialdacher und war von Porsche 1996 zusammen mit DaimlerChrysler ge-grundet und schliedllch in 2003 voiistandig ubernommen worden. Abnehmer der Spezialdacher waren neben Porsche und DaimlerChrysler auch Peugeot und General Motors. Mit zunehmender Uberwindung der Nische fur Sportfahrzeuge wurde CTS bzw. Porsche von seinen Kunden zu-

° Vgl. „Ein Porsche-Werk in Leipzig fur den Aufbau West", in: F^Z, 20.5.2006. ° J. Hofmann, S. Menzel, „Autoindustrie sucht ihr Heil in neuen Kooperationen", in: Handelsblatt,

24.9.2005.

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Page 92: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

nehmend als potenzieller Wettbewerber gesehen und die Konstellation der vertikalen Diversifika-tion erwies sich als nicht mehr tragbar. Entsprechend fuhrt ein Firmensprecher von Porsche aus: „Wir haben als Autohersteller an Bedeutung gewonnen. Da pass! ein Zulieferergeschaft wie CTS nicht mehr ins Portfolio". "" Porsche hatte CTS 2005 an den Zulieferer Magna verkauft.

Falibeispiel: Steigerung der Auslastung im Presswerk von General Motors General Motors versucht die Produktionskapazitaten seiner europaischen Tochterfirma Opel bes-ser auszulasten. in Bezug auf ein Presswerk in Kaiserslautern wird die Option der Ausgliederung ervjogen, urn auch Auftrage anderer Hersteller zu akquirieren. Entsprechend fuhrt der Carl-Peter Forster, der Europa-Chef von General Motors, aus: „Das spannendste Teil ist aus unserer Sicht das Presswerk. Erstens gibt es dort nicht ausgelastete Kapazitaten. Wenn ein Zulieferer die uber-nimmt, kann er sofort damit beginnen, andere Hersteller mit Teilen zu beliefern".'' ^

Eine vollstandige Fremdvergabe an unabhangige Zulieferer verspricht gegenuber der In-ternen Realisierung von Grdlienvortellen eine groBere Einsparung, da die Bedienung mehrerer Produzenten einen ungleich grofieren Hebel zur Erhdhung des Volumens dar-stellt. Ubergreifend wird davon ausgegangen, dass sich der Anteil der Produzenten an der Gesamtwertschdpfung von 35% in 2002 auf 25% in 2015 reduziert (Abbildung 17).

Abbildung 17: Entwicklung des Anteils an der Gesamtwertschopfung zwi-schen Automobilproduzent und Zulieferer, 1980-2015^^^

Hierbei kann zwischen verschiedenen Bereichen des Fahrzeugs unterschieden werden:

In der Ausstattung sinkt der Anteil der Produzenten von 17% auf 12%, beim Antrieb von

Vgl. 0 . Wihofszki, G. Reinking, ..Porsche verkauft Cabrio-Tochter". in: Handelsblatt, 2.12.2005. ^^ Vgl. T. Katzensteiner, „Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns", S. 117, in: Wirtschaftswoche, 8.5.2006. S. 114-117. ^ ^ Vgl. P. Radtke, E. Abele, A. E. Zieike, Die smarte Revolution in der Automobilindustrie, Frankfurt/Main 2004, S. 116, und J. Sydow, Strategische Netzwerke: Evolution und Organisation, S. 20, Wiesbaden 1993.

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Page 93: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

24% auf 9%, beim Fahrwerk von 31% auf 13% und bei der Karosserie von 72% auf

66%.^^^

Entsprechend der strategischen Logik zur Realisierung von GroBenvorteilen spezialisie-

ren sich die Zulieferer auf abgegrenzte Systeme und Module. So hat sich z. B. Beru fur

Kaltstarttechnologien bei Dieselfahrzeugen, Brose fur Turen und Sitze, Continental fur

Reifenaufhangung und Bremssysteme, Gustav Wahler fur elektrische Thermostate und

Abgasruckfuhrung, WET fur Sitzheizungen und Webasto fur Dachsysteme und Standhei-

zungen eine Nischenposition erarbeitet.

Die Staffelung der Zulieferer reflektiert einerseits die Abfolge von Wertschopfungsstufen

von der Herstellung der Einzelkomponenten bis zum Zusammenbau eines fertigen Mo-

duls, andererseits die Bereinigung des Lieferantenportfolios durch die Automobilprodu-

zenten. Diese hatten seit Ende der 80er Jahre begonnen, ihre Komplexitat im Einkauf zu

begrenzen und damit indirekt ihre Zulieferer gezwungen, die Vormontage einzelner Mo­

dule und Systeme eigenstandig zu organisieren. Die Entwicklung hat mit dazu beigetra-

gen, dass die Anzahl der Zulieferer weltweit von ca. 30.000 in 1988 auf ca. 5.600 in 2000

abgenommen hat. Bis 2015 wird mit einer weiteren Konsolidierung bis auf 2.800 Zuliefe-

rern gerechnet.^^"*

3.2.3 Kooperation mit Zulieferern und Aufbau von Netzwerken Mit zunehmender Delegation von Wertschopfung hat sich auch die Art der Zusammenar-beit mit den Zulieferern verandert. Bei den nordamerikanischen und europaischen Produ-zenten war die Bezlehung zu den Zulieferern urspriinglich rein kompetitiv orientiert. Die Produzenten haben gezielt versucht, die Machtposition ihrer Zulieferer zu begrenzen. Dies wurde u.a. durch Vermeidung der Fremdvergabe eines kompletten Moduls Oder Systems, eher kurzfristige Einkaufsvertrage mit der Offenhaltung der Wechseloption zu konkurrierenden Anbietern und einem rigiden Preisdruck sichergestellt. Die gesamte Pla-nung erfolgte durch den Produzenten, der die fertigen Konstruktionsplane an seine Zulie­ferer ubergab und parallel mehrere Angebote einholte. Das System der kompetitiven Zusammenarbeit fuhrte zu hohen Kosten innerhalb der Wertschdpfungskette, da von den Produzenten ein hoher Koordinationsaufwand betrie-ben werden musste. Nur wenige der Einzelteile wurden als funktionsfahiges Modul oder System geliefert, so dass jeder Produzent die Systementwicklung und Integration noch eigenstandig fur jede seiner Baureihen durchfuhrte. Weiterhin konnten Verbesserungen in dem System nur bedingt umgesetzt werden, da die Zulieferer nur einen geringen Anreiz

^ ^ Vgl. p. Radtke, (2004), a.a.O., S. 116. R. Kalmbach und C. Kleinhans gehen davon aus, dass der Wert-schopfungsanteil der Zulieferer von 2002 bis 2015 fur das Fahrwerk von 77% auf 85%, fur den Antriebs-strang von 63% auf 80%, fur IVIotor und Aggregate von 50% auf 64%, fiir die Karosseriestruktur von 4% auf 4 1 % , fur den Body (Exterieur) von 45% auf 7 1 % und fiir das Interieur von 84% auf 86% ansteigt. Vgl. R. Kalmbach, C. Keinhans, „Zulieferer auf der Gewinnerseite", S. 4-8, in: FAST 2015: Eine Branche im Um-bruch, Studie von Mercer Management Consulting und der Fraunhofer Gesellschaft. Sonderausgabe von Automobil-Produktion, April 2004. ^ ^ Vgl. P. Radtke, E. Abele, A. E. Zieike, Die smarte Revolution in der Automobilindustrie, FrankfurtAA/ien 2004, S. 18 und Mercer Management Consulting, Fraunhofer-lnstitut, "Die neue Arbeitsteilung in der Auto­mobilindustrie" (Studie), 2003.

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hatten, die Produzenten an ihren Innovationen teilhaben zu lassen. Die Kosteneinspa-rung bzw. der Mehrwert ware unweigerlich von den iibermachtigen Produzenten verein-nahmt worden.

Das sich immer mehr durchsetzende, auf Kooperation angelegte Model! ermdglicht hin-gegen deutliche Kostensenkungen innerhalb der Wertschopfungskette. Hierbei ist den japanischen Produzenten durch ihren Netzwerkansatz mit geringer Kapitalbeteiligung ei-ne Pionierrolle zugekommen. Anstatt die Zulieferer gegeneinander auszuspielen und die Ineffizienzen innerhalb der Wertschopfungskette zu perpetuieren, eriaubt das Modell des strategischen Netzwerkes eine stetige und gemeinsame Weiterentwicklung des Produkti-onsprozesses, von dem durch Aufteilung der Kostensenkung bzw. der Zusatzwertes bei-de Seiten profitieren. Die Zulieferer werden in die Planung eines neuen Modells Oder ei-ner neuen Baureihe friih einbezogen und entwickein und produzieren vollstandige Sys-teme und Module, wodurch eine redundante Entwicklung paralleler Systeme verhindert wird. Ferner sind die Beziehungen zu den Zulleferern langfristig angelegt, so dass sich eine hohe Prozessqualitat der Lieferantenbeziehung einstellen kann.^^^ Das Netzwerkkonzept eriaubt auch einen verbesserten Zugang zu Innovationen, da ein Produzent mit begrenzten eigenen Entwicklungs- und Produktionskapazitaten nicht als Wettbewerber gesehen wird und in der Regel leichter von jedem Zulieferer Komponenten und Technologien beziehen kann. Bei interner Entwicklung ist hingegen aufgrund der breiten technologischen Entwicklung und Ausstattung der Fahrzeuge nicht mehr davon auszugehen, dass ein Produzent in alien Bereichen mit der technologischen Entwicklung Schritt halt. Zusatzlich ist Im Falle von Entwicklungskooperationen eine Risikoallokation auf mehrere Partner moglich. Bei Konkurrenz verschiedener Technologien mit schwer einschatzbarer Anwendungsbreite ist die Entwicklungspartnerschaft gegenuber einem Alleingang zu favorisieren.

Fallbeispiel: Entwicklungspartnerschaften bei Entwicklung der Hybridtechnik Eine grundlegende Innovation scheint sich bei der Antriebstechnik abzuzeichnen, nachdem Toyo­ta mit seinem Hybridmodell Rhus auf eine positive Resonanz Im Markt gestoden Ist und hohe Ab-satzzahlen vermeldet. Durch den Markterfolg der proprletaren Toyota-Technologie sahen sich die anderen Produzenten unter Zugzwang, analoge Motoren anzubieten, um nicht durch einen un-vorhergesehen Trend Marktanteile zu verlieren. Fur die Entwicklung der innovativen Hybridtech-nologle, bei der neben dem klasslschen Verbrennungsmotor auch ein Elektromotor zum Einsatz kommt, haben sich weitestgehend herstellerubergreifende Kooperationen durchgesetzt, well eine rein Interne Umsetzung der Hybridstrategie mit hohen Fixkosten und Risiken verbunden ist: Por­sche arbeitet mit Audi und VW zusammen, DaimlerChrysler kooperiert mit General Motors und BMW. Der VW Touran Hybrid wird gemeinschaftlich mit der Shanghai Automotive Industry Corpo­ration (SAIC) entwickelt. Der japanische Anbieter Nissan hat sich fur die strategische Option einer LIzenznahme von Toyota entschieden.'' ^

Vgl. J. K. Liker, T. Y. Choi, „Fordernde Liebe", in: Harvard Business Manager, Marz 2005, S. 60-72, J.-C. Jarillo, Strategic Networks, S. 89fg., 117fg., Oxford/Wobum (MA), 1993, und „Die Kunstder Beharrlichkeit", in: FAZ, 2.9.2004. ^^ Vgl. A. Taylor, „The Birth of the Prius", in: Fortune, 6.3.2006, S. 65-72, und F. Rother, M. Pfannmuller, A. Kohler, "Mit Doppelherz", in: Wirtschaftswoche, 17.7.2006, S. 68-75.

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Page 95: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

3.3 Horizontale Integration der Endmontage

Die Serienentwicklung und der finale Zusammenbau erfolgen noch uberwiegend durch

die Produzenten, die durch Beibehaltung der finalen Schritte auch die Prozesskontrolle

intern halten. Ausschlielilich fur die Ubernahme von Auftragen, die von den Produzenten

mit ihren eigenen Kapazitaten nicht rechtzeitig abgearbeitet werden kdnnen, haben sich

auch fur die abschlieBende Wertschopfungsstufe der Endmontage mit Bertone, Karmann,

Magna Steyr, Pininfarina und Valmet fokussierte Anbieter herausgebildet, die fur die Pro­

duzenten die Endmontage von Nischenfahrzeugen ubernehmen (Peak shaving).

Fur die Produzenten lohnt es sich erst bei Uberschreiten einer kritischen Masse, fur ein

Volumenmodell eine zweite bzw. fur ein Nischenmodell eine neue ProduktionsstraSe auf-

zubauen. Ferner konnen die Produzenten ihre Komplexitat reduzieren, indem die Effi-

zienz der Produktionsstrasse nicht durch Sonderausstattungen geschmalert wird. Bei

Fremdvergabe der Endmontage werden die Fahrzeuge unter dem Brand des Auftragge-

bers vermarktet und verkauft; insofern stellt der Lohnproduzent eine Ausnahme der ubli-

chen vertikalen Integration der Wertschopfungsstufen Endmontage und Marketing dar.

Aufgrund von Uberkapazitaten in der Produktion haben einige Hersteller ihre Nischenmo-

delle jedoch auch teilweise wieder internalisiert.

Fallbeispiel: Ubernahme der Endmontage durch Magna Steyr Magna Steyr ist ein Tochterunternehmen des kanadischen Magna-Konzerns und gehort zu den fuhrenden Auftragsproduzenten. Magna Steyr produziert spezielle Ausfuhrungen einer Modelle, u.a. den BMW Offroader X3, die Mercedes Benz E-Klasse (Allradantrieb), das Saab 9-3 Cabrio, den Chrysler Voyager und den Chrysler Jeep Grand Cherokee. Die Tochterfirmen des Konzerns stellen Tier 2-Zulieferer dar und haben sich auf einzelne Systeme spezialisiert: Tesma (Motor-komponenten, Getriebesysteme), Decoma (Stoddampfer, Schweller, Kunststoffverkleidung), Intier (Interieur-Teile), Cosma (Pressteile) und Magna Donnelly (Autospiegel). Parallel hat sich Magna Steyr eine hohe Kompetenz fur Allradsysteme aufgebaut. In 2006 wurde von Porsche der Ver-deckhersteller CTS ubemommen. ''

Fallbeispiel: Ubernahme der Endmontage durch Karmann Der deutsche Zulieferer und Lohnproduzent Karmann hat sich im Segment der Cabriolets bzw. fur spezielle Dachsysteme eine Nischenkompetenz erworben und produziert u.a. den Chrysler Crossfire (Coupe und Roadster), den Mercedes Benz CLK Cabriolet, das A4 Cabriolet von Audi, das Dach fur den Renault Megane CC sowie das Softtop fur das New Beetle Cabriolet von VW. ''®

Der Verzicht auf eine eigene Endmontage birgt allerdings auch die Gefahr, den Markt mit-

tel- bis langfristig an seine Zulieferer zu verlieren. Bei der Auslagerung der Endstufe der

Produktion und dem Aufbau von Lohnfertigern ist ein Verlust von Herstellungskompeten-

zen nahezu unvermeidlich. Bei entsprechender Reife ist es dann nur noch eine Frage der

Vgl. W. Kretschmer, „Die neuen Starken", S. 84, in: brand eins, 04/2005, S. 80-86, und H. Willenbrock, „Opus Magna", in: McK Wissen, Mobilitat, Vol. 06, September 2003, S. 112-117, und IVI. W. Buchenau, „Magna Steyr sucht weitere Standorte", in: Handelsblatt, 9.11.2004, sowie ..Unsere Prioritatenliste ist Ost-Europa, Nordamerika und China", in: FAZ, 2.9.2004. Zur historischen Entwicklung von Magna Steyr vgl. H.-R. Zitka, „Statt Pucherl baut man in Graz heute X3, 9-3 Oder 4matic", in: FAZ, 10.1.2004. ^ ^ Der finnische Lohnproduzent Valmet produziert fur Porsche den Boxster. Der italienische Anbieter Pinin­farina bedient u.a. die Produzenten Jaguar, Peugeot und Renault.

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Page 96: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Zeit, bis der ehemalige Lohnproduzent versucht, sich mit eigenen Produkten im Markt zu

behaupten.

Fallbeispiel: Vorintegration von SAIC in die eigene Vermarktung Die Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) war ursprunglich gegrundet worden, urn Volkswagen und General Motors die Produktion von Fahrzeugen in China zu ermoglichen. Dies ist aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen nur als Joint Venture mit chinesischer Beteiligung eriaubt. SAIC besitzt jeweils 50% der Anteile von Shanghai Volkswagen und General Motors Shanghai und produzierte in 2004 und 2005 ca. 600.000 bzw. 1 Mio. Fahrzeuge fur beide Part-nerunternehmen. Zukunftig will der heutige Lohnproduzent auch eigene Fahrzeuge produzieren und in einem ers-ten Schritt nach GroBbritannien und Spanien exportieren. Fur die Modelle wurden Technolo-gierechte von dem britischen Produzenten Rover ubernommen. Formal wurde sich dadurch ein ehemaliger Lohnproduzent in einen direkten Konkurrenten bzw. einen Automobllproduzenten mit elgenem Marketing verwandeln. ^^

3.4 Besetzung der Wertschopfungsstufe IVIarketing Autonfiobile sind grundsatzlich Markenprodukte. Die Automobllproduzenten haben eigene Markenprofile aufgebaut und ihre Produkte komplementar zur Ermbglichung individueller Mobilitat mit emotionalen Zusatzkomponenten positioniert. Entsprechend betont Dieter Zetsche: „Es Ist sicherlich ein Ziel, dass unsere Fahrzeuge neben der Solidltat und einem gewissen Status auch Emotionen ausdriicken. Am Ende des Tages wollen wir nicht Stahl, Gummi und Glas verkaufen, sondern Traume und Emotionen - und die mussen wir auch visualisieren".''^° Das Markenprofil orientiert sich an der strukturellen Zusammensetzung der Zielmarkte, die nach soziologischen, psychologischen und monetaren Kriterien defi-niert sind. Die Profllierung der Marke wird durch aufwendige WerbemaBnahmen sicher-gestellt und schlagt sich im hohen Werbebudget der Produzenten nieder. Die Automobil-industrie ist mit 18 Mrd. US Dollar die Branche mit dem hochsten Werbebudget.''^^ Zur Gewahrleistung eines einheitllchen Markenauftrlttes werden gegenuber den Vertrags-handlern strenge Vorschriften fur die Ausgestaltung der Vertrlebsinfrastruktur eriassen, wodurch eine Kompatibilitat der Markenwahrnehmung wahrend der Einkaufssituation mit dem Gesamtkonzept der Marke gewahrleistet ist.

Die steigende Bedeutung der Markenpositionierung der Fahrzeuge ist in erster LInie in der abnehmenden Wertschopfungstiefe der Automobllproduzenten und dem daraus re-sultierenden Ruckgang der technologischen Differenzierung begrundet. Innovative Tech-nologien werden immer mehr von unabhangigen Zulleferern Oder in strategischen Ent-wicklungspartnerschaften mit anderen Anbietern vorangetrieben, so dass dem einzelnen Produzenten neue Technologien nicht exkluslv zur Verfugung stehen. Daraus resultiert eine technologische Angleichung der Fahrzeuge, die bei der hohen Transparenz des Prels-/Leistungsverhaltnisses die Produzenten zwingt, das technische Differenzierungs-

Vgl. M. Kiihl, „Vom Partner zum Konkurrenten", in: FTD, 27.5.2005; und A. Yeh. K. Spiller, „VW-Partner greift in Europe an", in: FTD, 11.4.2006. ^° D. Zetsche (Interview), „Vielleicht ging es uns zu gut", in: Handelsblatt, 27.2.2006.

^^ Vgl. „Return on Advertising", in: absatzwirtschaft, 09/2004, S. 36.

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Page 97: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

defizit durch Intensivierung ihrer individuellen Markenpositionierung auszugleichen (Ab-bildung 18).

Abbildung 18: Darstellung der Wertschopfungskette der Automobilindustrie mit exemplarischer Abdeckung durch fuhrende Anbieter. Graduelle Unterschiede in der Wertschopfungstiefe der einzelnen Anbieter sind nicht beriicksichtigt.

Insgesamt zeigt sich eine weitgehende Einheitlichkeit der Produzenten hinsichtlich der strategischen Positionierung in der Leistungserstellung. Die Wertschopfungsstufen Se-rienentwicklung, Endmontage und Marketing sind in der Automobilindustrie nahezu durchgangig vertikal integriert. Aus strategischer Sicht wird die Eigenleistung bei den fina-len Schritten der Produktion und die ubergreifende Prozesskontrolle weiter an Bedeutung gewinnen. Eine vollstandige Entkopplung von Produktion und Marketing analog zu anderen Bran-chen ist in der Automobilindustrie (noch) nicht denkbar, da diese Stufen eine mallgebli-che Differenzierung bedingen. Ferner wurde die Aufgabe der Produktion und die Meta­morphose zum Anbieter unweigerlich eine „Aush6hlung" der Marke nach sich Ziehen und ihre Emotionalitat stark beeintrachtigen. In der Automobilbranche beruht die Differenzie­rung noch zu einem Grofitell auf der individuellen, technischen Ausstattung und Qualitat. Zur Starkung des Markenprofils werden die Produzenten zukunftig verschiedene MaU-nahmen ergreifen. Einerseits wird die Fremdvergabe von Wertschdpfung zunehmend se-lektiver erfolgen, wobei insbesondere versucht werden wird, die fur die Marke und Diffe­renzierung der Fahrzeuge relevanten Technologien zu kontrollieren. Im Falle von Ent-wicklungspartnerschaften wird zunehmend eine Belieferung des gesamten Anbieterfeldes unterbunden, so dass dem direkten Wettbewerb bestimmte Technologien nicht zur Verfu-

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Page 98: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

gung stehen.^^^ Hierbei bleibt abzuwarten, inwieweit auch die Zulieferer mit zunehmen-

dem Anteil an der Gesamtwertschopfung versuchen, sich durch Ingredient Branding ei-

genstandig gegenuber dem Endverbraucher zu positionieren. So starkt der Elektronikzu-

lieferer Bose die Endkundenbindung u.a. durch Platzierung seiner Marke in der S-Klasse

von Mercedes-Benz.^^^ Ein „vertikaler" Wettbewerb urn die Besetzung der Wertschop-

fungsstufe Marketing wijrde die Markenposition des Produzenten relativieren.^^^

Parallel zum Ausbau exklusiver Elemente der Produktion ist eine Steigerung der Marke-

tingaktivitaten zu beobachten, u.a. durch Intensivierung der Werbung und dem Aufbau

von Brandlands. Hierzu zahlen die Autostadt und die glaserne Fabrik von VW in Wolfs-

burg bzw. in Dresden, das Audi-Museum in Ingolstadt, das Kundenzentrum von BMW In

Munchen oder das Mercedes Benz-Museum in Unterturkheim. D. Zetsche betont ange-

sichts der Aufwendungen fur das Museum von 150 Mio. Euro, man habe „das Geld nicht

ausgegeben, sondern investiert".^^^

Zur Generierung von Lizenzeinnahmen und der Erhohung der Markenprasenz wird die

Marke in industriefremde Bereiche transferiert. Fur Luxusmarken wie z. B. Maybach,

Rolls-Royce, Bentley, und Bugatti wird zukunftig der Aufbau von Luxusmarkenkonzernen

enA/artet, die auBer dem Automobil noch Chauffeur-Services, Reisen, Edelsportaktivitaten

und Accessoires anbieten.^^^

Fallbeispiel: Ausbau des Brand-Lizenzgesch3ft bei Porsche Fur die Entwlcklung der Marke Porsche in industriefremden Bereichen und das Management der Lizenzvergabe wurde von Porsche bereits in 1972 eine eigenstandige Finna gegrundet. Mitte der 70er Jahre wurde mit einer Uhr des Produzenten IWC die Marke „Porsche Design" eingefiihrt. Inzwischen ist die ursprungliche Automobilmarke mit diversen Sortimenten im Luxusmarkt etab-liert: In Kooperation mit angestammten Produzenten gibt es Armbanduhren (Eterna), Brillen (Ro-denstock), Ledenwaren (Muller&Meirer), Raucher-Acces-soires (Gubbels), Golfbesteck (Enter-brands), Schuhe (Rossi Moda), Taschenmesser (Wenger) und Schreibgerate (Faber-Castell), die unter dem Porsche-Brand vermarktet werden. Produktion und Vertrieb erfolgt durch die jeweiligen Kooperationspartner weitestgehend in Eigenregie. Porsche erhalt ca. 10% bis 15% vom Umsatz der Einzelhandelsumsatzes als Lizenzgebtihr. Die Produkte werden in exklusiven Porsche De­sign-Shops und den Fachhandel verkauft.

Fallbeispiel: Fiat und die Extension der Marke in Lifestyie-Sortimente Der italienlsche Automobilproduzent Fiat versucht sein Markenimage durch Lizenzvergabe an Produzenten fur Lifestyle-Sortimente (u.a. Fiat Sweatshirts und Schuhe) aufzubessern. Die Pro-

Vgl. Mercer Management Consulting, "Die neue Arbeitsteilung in der Automobilindustrie", 2003. ^ ^ Vgl. die Markenpositionierung des Zulieferers Bosch in W. Chur, ..Bosch - Innovation mit Tradition. Die Marke Bosch im Wandel derZeif , S. 247-267, in: Markenmanagement in der Automobilindustrie, B. Gott-schalk, R. Kalmbach (Hrsg.), Wiesbaden 2003. ^ ^ Vgl. Mercer Management Consulting, „Automotive Branding: Verlieren sich die Automobilhersteller im eigenen Marken-Dschungel?" (2001), unter: de.news.yahoo.com/010313/27/1fhca.html, aufgerufen am 20.3.2001, und O. Tietze, Strategisctie Positionierung in der Automobilindustrie, Wiesbaden 2003, S. 227. ^ ^ Vgl. D. Zetsche (Interview), „Mercedes Museum", in: FAZ, 22.5.2006. ^® Vgl. Mercer Management Consulting, ..Automotive Branding: Verlieren sich die Automobilhersteller im eigenen Marken-Dschungel", 2001. Zur Ubersicht von Kooperation zwischen Automobilproduzenten mit gehobenen Produzenten von Armbanduhren vgl. G. G. Feth, „Feine Chronometer adein Autos und umge-kehrt", in: F>^Z, 27.11.2004.

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dukte werden nur in limitierten Auflagen hergestellt und sind teilweise zu Kultobjekten geworden. Zusatzlich sind in Itaiien Cafes eroffnet worden, welche das Firmenlogo von Fiat fur ihre Namens-gebung ubernommen haben. ^^

3.5 Vertikaie Integration von Produktion und Finanzierung

Die Automobilproduzenten haben zur Vereinnahmung des wachsenden Finanzierungs-marktes ihre Geschaftstatigkeiten in den downstream-Bereich der Wertschopfungskette ausgedehnt. Hierfur wurden eigene Kreditinstitute gegrundet und das Fahrzeugangebot nnit der Absatzfinanzierung erweitert. Zu den fuhrenden Autobanken zahlen u.a. VW Fi­nancial Services, die DaimlerChrysler Bank, BMW Financial Services sowie die Finanz-tochter der amerikanischen Unternehmen Ford und General Motors und des japanischen Produzenten Honda. Die Banken bieten neben der Finanzierung von Fahrzeugen, denfi ursprunglichen Geschaftszweck, teilweise auch ein Einlagengeschaft an. So haben in Deutschland VW Financial Services, BMW Financial Services und die DaimlerChrysler Bank zusatzlich ein Einlagengeschaft aufgebaut; die Finanzsparten der anderen Herstel-ler fokussieren sich auf die Absatzfinanzierung.^^^

Durch die Entwicklung vom Absatzflnanzierer zur Vollbank mit eigenem Einlagengeschaft kann die Refinanzierung der Kredite verbilligt werden, da die auf Tagegeldkonten gewahr-ten Zinsen gerlnger ausfallen als die z. B. uber Anieihen am Kapitalmarkt geforderten Zinsen. Das Tagegeldkonto als Hauptprodukt des Bankengeschaftes wird uber das Inter­net in Form einer Direktbank vermarktet und ist insofern von der Automobilfinanzierung bezijglich Vertriebskanal und Kundenstamm weitestgehend entkoppelt. Die Finanzspar­ten der Automobilkonzerne erzielen in der Regel sehr attraktive Kapitalrenditen und tra-gen damit nicht unerheblich zum Gesamtergebnis der Automobilkonzerne bei.

Falibeispiei: Vorintegration in die Finanzierung bei Volkswagen VWFS (Volkswagen Financial Services) hatte 1990 als erster herstellerabhangiger Finanz-dienstleister eine Vollbanklizenz erhalten. Bezogen auf den Gesamtabsatz wird jedes dritte Fahr-zeug des VW Konzerns durch VWFS finanziert, bei Privatkunden betragt der Anteil 60%. In 2004 wurde zur Promotion des Vertriebs von Fahrzeugfinanzierungen eine Kooperation mit dem ADAC eingegangen. Es Ist angedacht, zukunftig auch anderen Banken die Bearbeitung und VenA/altung von Kfz-Versicherungen anzubieten. Zur Verbesserung des Ratings und der Refinanzierungskos-ten der Kredite wurde zwischenzeitlich envogen, die Finanzsparte vom VW Konzern abzuspalten und in eine eigenstandlge Gesellschaft zu uberfijhren. Hierdurch soil erreicht werden, dass der VW Konzern und VWFS ein Individuelles Rating bekommen. ^^

Parallel werden von den Vertragshandlern auch Kfz-Versicherungen angeboten. Hierbei

handelt es sich allerdings um ein relnes Vermittlungsgeschaft; die Produkte werden von

Vgl. K. Kort, „Von der Fiat-Bar zum Fiat-Strand", in: Handelsblatt, 15.7.2005. ^ ° Zur Ubersicht uber das Anbieterfeld und das Produktportfolio der Autobanken vgl. auch „Die Banken-Jager", in: Euro, Juni 2004, S. 56-58, und ..Autobanken konnen sich nicht auf ihrem Erfolg ausruhen", in: FAZ, 13.4.2004. ^ ^ Vgl. „VW plant Fabrik fur Autokredite", in: Handelsblatt, 4.6.2005; R. Lebert, ..WV-Finanztochter trotzt der Auto-Flaute, FTD, 4.3.2005, und R. Lebert, .,VW-Finanzsparte wachst in neue Dimension", in: FTD, 23.7.2004.

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Page 100: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

etablierten Versicherungen ubernommen und teilweise auch unter deren Namen vertrie-ben. Die Produzenten sind mit einzelnen Versicherungen Kooperationen eingegangen: BMW kooperiert mit der Victoria-Versicherung, DaimlerChrysler mit dem HDI, Ford mit der Nurnberger-Gruppe und Volkswagen mit der Allianz. Zur verstarkten Einflussnahme auf die Produktgestaltung und die Entwicklung eigener Tarife hat VW Financial Services 2005 damit begonnen, ein Ruckversicherungsgeschaft aufzubauen. Die Vorintegration der Produzenten in die Wertschopfungsstufe Finanzierung bietet meh-rere Vorteile. ZunSchst einmal stellt die Finanzierung fur die Produzenten ein potenzielles Wachstumsfeld dar. Der Anteil der finanzierten Fahrzeuge auf Basis eines Kredites bzw. eines Leasingmodells steigt bei gleichzeitigem Ruckgang der Barzahlung seit Anfang der 90er Jahre stetig an. Dies gilt sowohl fiir den privaten Endverbraucher, als auch die Fahr-zeugflotten grower Unternehmen, die aus steuerlichen Grunden in der Regel fast aus-schiiel lich mit Leasingmodellen operieren. ^°

Die Absatzfinanzierung stellt zudem ein attraktives Segment des Kreditmarktes dar, bei dem die durchschnittliche Ausfallquote nur bei ca. 0,5% liegt. ^ Im Falle der unvollstandi-gen Bedienung des Kredits durfte das zuruckgegebene Fahrzeug in der Regel fur die Au-tobank einen leicht hoheren Wert darstellen als fiir eine ubiiche Retailbank: Die Autobank kann das Fahrzeug uber den Vertragshandler ihres angeschlossenen Produzenten zum Handlerabgabepreis verkaufen, wahrend eine Retailbank der Verkauf abdelegieren wird und nur den Handlerannahmepreis erzielt. Die Autobanken sind mit ihrem Kreditvolumen gegenuber den herstellerunabhangigen Retailbanken nicht unterkritisch. Das Geschaft der Autobanken wird vollstandig In den vorhandenen Vertriebsinfrastrukturen der Vertragshandler des Automobilproduzenten ab-gewlckelt und erfordert kein eigenes Filialnetz Oder Vertriebspersonal. Entscheidend fur die vertikale Integration ist jedoch letztlich der bestehende Kundenkontakt bei Anfall des Bedarfs, der sich unmittelbar aus dem Neugeschaft ergibt. Hierdurch ist ein klarer Vorteil in der Kundenakquisition gegenuber der unabhangigen Retailbank gegeben, den die Produzenten zur Verelnnahmung des Gewinnpotenzials nutzen. Ein weiterer Aspekt der vertikalen Integration besteht in der Moglichkeit einer preislichen Kombination von Neuverkauf und Finanzierung, mit der die Preistransparenz des Listen-preises teilweise kaschiert wird. Der Verkaufswert der Finanzierung orientiert sich in vie-len Fallen an dem Listenpreis, der ggf. vom tatsachlichen Marktwert signifikant abweicht. Bei Verkauf eines Fahrzeuges, dessen realistischer Marktwert aufgrund von einem Ange-botsiJberhang und der baldigen Einfuhrung eines neuen Modells signifikant unter dem of-fiziellen Listenpreis liegt, braucht der Handler zur Promotion des Absatzes nicht mit einem

In Deutschland waren in 2004 27% der etwa 3,3 Mio. Neufahrzeuge geleast. Hierbei liegt der Anteil der gewerblichen Zulassungen bei 48%; bei Fahrzeugen der Oberklasse liegt der Anteil sogar bei fast 70%. Vgl. „Der Neuwagenmarkt wird mehr und mehr gewerblich dominiert", in: FAZ, 15.5.2004, und „Die Spar-kassen machen den Autobanken Konkurrenz", in: FAZ, 17.11.2004, und ..Oberklasseautos sind zur Halfte aeleast". in: FAZ, 28.5.2005. ^ Die Kapitalrenditen der Autobanken von BMW, DaimlerChrysler, Ford, General Motors und VW wurden

von der Unternehmensberatung Arthur D. Little abgeschatzt und rangieren zwischen 30% und 100%. Vgl. „ln voller Fahrt", in: Capital, 12/2004, S. 78-83. Vgl. auch .,ln voller Fahrt', in: Capital, 12/2004, S. 78-83.

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Page 101: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

reduzierten Listenpreis zu werben, sondem kann den gunstigen Kredit herausstellen. In

vielen Fallen ist der Kredit nicht so attraktiv wie der niedrige Zinssatz suggeriert, da der

angesetzte Verkaufspreis denn aktuellen Marktwert nicht entspricht.

3.6 Vertikale Integration von Einzelhandel und Wartung / Reparatur

Der Einzelhandel mit Automobilen erfolgt uberwiegend durch die Vertragshandler der

Produzenten und ist gesellschafts- und eigentumsrechtlich von den Herstellern getrennt.

Entgegen der vollstandigen Arbeitsteilung wie z. B. in den USA unterhalten die deutschen

Hersteller im eigenen Land eine begrenzte Anzahl an eigenen Vertriebsniederlassungen.

Die Vertragshandler spezialisieren ihren Marktauftritt auf den Vertrieb von Automobilen

eines Herstellers, wobei die Produzenten Vorschriften fur die Art der Produktprasentation

und die Preisgestaltung eriassen, urn einen markenkonformen Vertrieb der Fahrzeuge

sicherzustellen, Im Gegenzug garantiert der Produzent, keine weiteren Handler in einer

bestimmten Region zu beliefern und gewahrt seinem Vertragshandler somit ein Gebiets-

monopol.^^^

Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Kooperation zwischen Produzent und Vertrags­

handler sind In Europa durch die Gruppenfreistellungsverordnung vorgegeben. Ab 2005

Ist es den Handlern grundsatzlich eriaubt, die Fahrzeuge mehrerer Produzenten anzubie-

ten und sich als unabhangiger Handler zu positionieren. Daraufhin haben die Produzen­

ten teilweise die Anforderungen an die Vertriebsinfrastrukturen, in denen Fahrzeuge ihres

Fabrikats verkauft werden sollen, deutlich erhbht. Es ist dennoch davon auszugehen,

dass sich unabhangige Mehrmarkenhandler vermehrt Marktanteile erkampfen und inso-

fern ein Trend zum Mehrmarkenvertrieb einsetzt.^^^ Der DIrektvertrieb der Produzenten

mit Verkaufsanbahnung und Abschluss im Internet kann noch vernachlassigt werden.

Das nachgelagerte Wartungs- und Reparaturgeschaft wird zu einem Tell durch die ange-

schlossenen Vertragswerkstatten der Einzelhandler abgedeckt. Insofern sind die Wert-

schdpfungsstufen Einzelhandel und Wartung im Marktsegment der angeschlossenen Ver­

tragswerkstatten vertikal integriert. Das Wartungs- und Reparaturangebot wird sowohl fur

die Fahrzeuge der direkten Kunden, als auch fur Fahrzeuge angeboten, die von anderen

Einzelhandlern stammen. Die Werkstatten der Vertragshandler liegen in einem direkten

Wettbewerb mit den sogenannten „freien" Werkstatten, die nicht in Beziehung zu einem

Produzenten stehen, keine EInzelhandelsaktivitaten betreiben und sich vollstandig auf

das Wartungs- und Reparaturgeschaft fokussieren. Diese bieten ihre Dienstleistung fur

eine Anzahl von Fabrikaten an und sind nicht auf die Wartung und Reparatur von Fahr-

zeugen einer bestimmten Marke spezialisiert. Das herstelleriibergreifende Serviceange-

bot ist durch die zunehmende Modularisierung der Fahrzeugproduktion mit steigender

^ ^ Zur Zusammenarbeit zwischen Produzent und Handler vgl. auch Capgemini, ..Lahmen hohe Transakti-onskosten den Handel?", 06/2004. ^ ^ U.a. BMW und General Motors hatten in Europa in 2006 die Standardvertrage mit ihren Vertriebspart-nern angepasst und die unzulassige Behinderung des Mehrmarkenhandels eingestellt. Diese bestand z. B. in dem Vorschreiben von einheitlichen Designvorschriften der Verkaufsraume oder der Nutzung einer be­stimmten Software. Vgl. „BMW und General Motors offnen Vertrage", in: FAZ, 14.2.2006.

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Page 102: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

WertschopfungstiefederZulieferererleichtertworden. Eine Ubersicht der vertikalen Integ­

ration fur die Leistungsverwertung gibt Abbildung 19.

Abbildung 19: Wertschopfungskette der Automobilindustrie mit Fokus auf die Leistungsverwertung und Abdeckung durch typische Anbietermodelle^^^

Die vertikale Integration von Einzelhandel und Wartung/Reparatur beruht auf der strategi-schen Logik, die Besetzung der vorhergehenden Stufe fur die Vereinnahnnung der attrak-tiven, sich anschlielienden Wertschopfungsstufe zu nutzen. Die Rendite der Vertrags-handler im Wartungs- und Reparaturgeschaft ist deutlich hoher als in ihrem Kerngeschaft, dem Einzelhandel von Automobilen, so dass der Verkauf zum Teil auch als Akquisition des lukrativen Folgegeschaftes eingestuft werden kann. Fur einen Grosstell der Auto-handler kann inzwischen davon ausgegangen werden, dass vor dem Hintergrund der U-berkapazitaten und der hohen Rabatte allein aus dem Einzelhandel kein hinreichender Gewinn mehr erzielt werden kann. Das Servicegeschaft wird von den Produzenten und angeschossenen Handlern mit verschiedenen MaSnahmen geschutzt. HIerunter fallt die Kopplung der Garantle an die regelmaliige Inspektion durch Vertragswerkstatten^^^ sowie die limitierte Belieferung der freien Werkstatten mit Ersatzteilen und Spezialwerkzeugen.

Die wertmafSig nicht unterkritische Versorgung mit Kraft- und Schmierstoffen, Gebrauchthandel und Ver-schrottung / Recycling sind nicht berijcksichtigt. Zur Darstellung der durchgehenden Wertschopfungskette der Automobilbranche vgl. auch 0 . Tietze, Strategische Positionierung in der Automobilindustrie, Wiesba­den 2003, S. 18, und W. Diez, Automobilmarl<eting: Erfolgreiche Strategien, praxisorientierte Konzepte, ef-fef<tive Instmmente, Landsberg/Lech 2001, S. 26. ^ ^ Nach wettbewerbsrechtlicher Untersagung einer strikten Abhangigkeit der Garantieleistungen von der AusfiJhrung der Wartung bzw. Reparatur durch eine Vertragswerkstatte sind einige Produzenten dazu u-bergegangen, zusatzlich eine Mobilitatsgarantie anzubieten, die den Verlust der Kundenbindung kompen-sieren soil.

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Durch den Aufbau kunstlicher Eintrittshurden gegenuber den freien Werkstatten entzie-

hen sich die Vertragswerkstatten partiell dem Wettbewerbsdruck und konnen fur ihre

Dienstleistung eine uberdurchschnittliche Kompensation in Rechnung stellen.

Die Produzenten wiederum versuchen in Kooperation mit ihren Vertragshandlern eine

hohe Rendite im Wartungs- und Reparaturgeschaft zu ermoglichen, von welcher der Ver-

tragshandler direkt und der Automobilproduzent indirekt profitiert, indem seine Verhand-

lungsposition beim Herstellerabgabepreis verbessert wird.

3.7 Vertikale Integration von Produktion und Ersatzteilhandei Bin Teilsegment des Wartungs- und Reparaturgeschaftes stellt der Handel mit Ersatztei-len dar. Bis zur Liberalisierung des europaischen Automobilhandels in 2002 durften die Automobilproduzenten Ersatzteile ihres Fabrikats exklusiv vertreiben. Entsprechend wur-den vornehnniich die angeschlossenen Vertragswerkstatten beliefert und die Kontrolle des Ersatzteilhandels zum Aufbau einer Einstiegshurde in den Marktfur Wartung und Repara-tur instrumentalisiert. Der exklusive Einzelhandel mit Ersatzteilen stutzt das hohe Preisni-veau der Vertragswerkstatten im Wartungs- und Reparaturgeschaft. Nach der Liberalisierung ist den Automobilproduzenten der exklusive Handel bzw. die de facto Monopolstellung der Vertragswerkstatten untersagt worden. Hierdurch ist die fruhe-re Behinderung der freien Werkstatten beseitigt worden, die seitdem Marktanteile gewin-nen. Die freien Werkstatten beziehen die Ersatzteile zu einem GroRteil nicht uber den Au­tomobilproduzenten, sondern direkt von den Herstellern bzw. den Zulieferern. Die Ersatz­teile sind in diesem Fall nicht mit dem Markenzeichen des Automobilproduzenten verse-hen, ansonsten jedoch identisch. Einige der groBen Zulieferer wie z. B. Bosch sind mit ihren Komponenten selbst in das Einzelhandelsgeschaft eingestiegen. In Antizipation der Liberalisierung haben die Automobilproduzenten seit Ende der 90er Jahre damit begonnen, ihre von aul^en sichtbaren Karosserieteile (z. B. Kotflugel, Scheinwerfer) mit Hilfe des Designschutzes zu patentieren, wodurch das Monopol auf Er­satzteile zumindest fur ein Teilsortiment erhalten werden soil. Bei rechtlicher Gewahrung des Designschutzes wurden die Produzenten ein exklusives Produktionsrecht fur Ersatz­teile der Karosserie behalten, und der Markt ausschlielilich fur die inneren Teile geoffnet. Die strategische Logik der vertikalen Integration von Produktion und Finanzierung sowie die Limitation des Wettbewerbs in der Wertschopfungsstufe Wartung/Reparatur und Er­satzteilhandei manifestiert sich in der Umsatz- und Gewinnverteilung der Wertschop-fungsstufen. Bezogen auf das Gewinnpotenzial der Automobil-Wertschopfungskette ent-fallen inzwischen fast 50% des Gewinnes, der im Lebenszyklus eines Fahrzeuges reali-siert wird, auf Finanzierung und Versicherung; auf Reparatur und Ersatzteile entfallen 30%. Mit dem Verkauf des Neufahrzeugs werden nur noch 8% des Gewinnes erzielt (Ab-bildung 20).

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Abbildung 20: Anteile der Wertschopfungsstufen am Gesamtumsatz und am Gesamtgewinn innerhalb der Automobilindustrie^^®

3.8 Zusammenfassung In der Automobilindustrie herrschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ein hoher Grad

der Selbstversorgung der Produzenten mit Bauteilen, Systemen und Modulen vor. Die

ursprungliche dominante vertikale Integration ist einerseits vor dem Hintergrund des 0-

bergangs von der Manufaktur zur industriellen Produktion, andererseits der unzureichen-

den informationstechnologischen Moglichkeiten zur Organisation des Warenstromes zu

sehen. Weiterhin erschwerte eine mangelnde Standardisierung der Schnittstellen und das

begrenzte Anbieterfeld an potenziellen Zulieferern einen Wechsel von Eigenleistung auf

Fremdbezug.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat in der Industrie ein langfristiger Prozess der Deverti-

kalisierung mit vermehrter horizontaler Integration von Forschung, Entwicklung und Pro­

duktion eingesetzt, der den Anteil der Zulieferer an der Wertschopfung bis auf 75% in

2015 ansteigen lasst. Treiber der Verlagerung von Wertschopfung sind die signifikanten

Kostenvorteile in Entwicklung und Produktion, die durch Allokation der Fixkosten auf ein

ungleich hoheres Volumen erzielt werden. Diesem Kostendruck der horizontalen Systeme

konnen sich die Produzenten trotz des zunehmenden Verlustes ihrer technologischen Dif-

ferenzierung langfristig nicht entziehen. Der Strukturwandel folgt nicht einem strategi-

Vgl. "Am gesamten Autoleben beteiligt", in: FAZ, 23.3.2004, Daten zitiert nach DaimlerChrysler. Die An-gaben variieren teilweise nach Quellenangabe. Vgl. auch V\NFS, "Where we are and what we do", Prasen-tation der Volkswagen Financial Services AG, 2005, S. 5; und R. Kalmbach, „Von der Technik zum Kun-den", S. 43, in: B. Gottschalk, R. Kalmbach (Hrsg.), Markenmanagement in der Automobilindustrie, S. 35-60, Wiesbaden 2003. Vgl. auch A. Joas, M. Bentenrieder, P. Bosch, Systemvertrieb Automobilvertrieb 2015, S. 4-5, Studie von Mercer Management Consulting, 2005.

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schen Kalkul der Produzenten, sondern stellt eine Reaktion auf die zugrunde liegende Kostenlogik dar. Die abnehmende Wertschopfungstiefe in der Produktion forciert die zunehmende Bedeu-tung der Vermarktung zur Kompensation des schleichenden Verlustes der technologi-schen Individualitat. Die langfristig immer mehr zu Anbietern mutierenden Produzenten werden die Kontrolle der Wertschopfungskette Automobil unnso starker behaupten, je starker sie denn Kunden mit ihren Markenwelten einen emotionalen Zusatznutzen bieten, der ijber die reine Mobilitatsfunktion hinausgeht. Entsprechend versuchen die Produzen­ten, eine Fremdvergabe der markenkritischen Wertschopfungsstufen bzw. Module mbg-lichst lange herauszuzogern. Weiterhin wird die Emotionalisierung der Fahrzeuge die Herausstellung technischer Details in der Inszenierung der Markenwelt immer mehr ver-drangen.

Produktion und Einzelhandel definieren unterschiedliche Kompetenzen und sind in der Wertschopfungskette fur Automobile gesellschafts- und eigentumsrechtlich getrennt. Der Verzicht der Produzenten auf die eigene Besetzung der Wertschopfungsstufe Einzelhan­del ermoglicht ein hohes unternehmerisches Element der eher mittelstandisch gepragten Handler und vermeidet hohe Investitionen in Vertriebsinfrastrukturen. Das Konzept eines Mehrmarkenhandlers, der hinschtlich Infrastruktur, Vertriebspersonal und Verwaltung nicht unbetrachtliche Verbundvorteile verwirklichen kann, ist von den Herstellern nicht ge-fordert worden, da es ihrer Markenstrategie zuwiderlauft. Entsprechend haben sich die Produzenten durch Vorgabe strenger Anforderungen an die Vertriebsinfrastrukturen einen markenexklusiven Einzelhandel aufgebaut. Durch Regulierung des Automobilhandels auf EU-Ebene ist diese Praxis untersagt worden und unabhangigen Handlern kann - bei Kompatibilitat des Vertriebskonzeptes zum Markenprofil - eine Belieferung nicht mehr ge-nerell verweigert werden. Die Integration der nachgelagerten Wertschopfungsstufen im downstream-Bereich wird nicht von GroBenvorteilen der horizontaien Integration, sondern strategischen Uberlegun-gen dominiert. Durch Kooperation zwischen Produzent und Handler ist die Wertschop­fungskette im Bereich der Leistungsverwertung mehr und mehr zu einem Systemgeschaft ausgebaut worden: die Produzenten sind in das Finanzierungsgeschaft vorintegriert und verkaufen ihre Finanzierungs- und Leasingangebote uber angeschlossene Vertragshand-ler, die durch unmittelbaren Kundenkontakt gegenijber den unabhangigen Retailbanken in einer uberlegenen Position sind. Die Vertragshandler wiederum sichern sich das War-tungs- und Reparaturgeschaft, indem die Garantieleistung vertraglich an die Beauftra-gung der Markenwerkstatten geknupft wird und die Produzenten ihr partielles Vertriebs-monopol fur Ersatzteile nutzten, um die Entstehung unabhangiger Werkstatten zu behin-dern. Dem Verkauf des Neufahrzeugs kommt mehr und mehr die Rolie zu, das downstream-Geschaft fur das eigene System bzw. Fabrikat zu vereinnahmen und den Markteintritt unabhangiger Anbieter in der Markt der nachgelagerten Ven/vertungsstufen zu erschweren.

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4. Wertschopfungskette Privatkundengeschaft

4.1 Darstellung der Wertschopfungskette Das Privatkundengeschaft umschreibt das Geschaft der Finanzanbieter mit dem privaten Endverbraucher und umfasst das Aniage- und Kreditgeschaft. Davon ist das Geschaft mit vermogenden Privatkunden ausgenommen und bildet ein eigenes Segment. Das Privat­kundengeschaft zeichnet sich durch eine hohe Standardisierung bei groSem Volumen aus, wohingegen das Geschaft mit vermogenden Privatkunden eine exklusivere Abwick-lung sowie eine hohe Individualitat der Beratung erfordert.

Die deutsche Bankenlandschaft im Privatkundengeschaft ist im Vergleich zu anderen eu-ropaischen Landern durch eine starke Fragmentierung und hohe Filialdichte charakteri-siert. Dies ist zu einem Grossteil auf die historisch bedingte Dreisaulenstruktur des deut-schen Bankwesens zuruckzufiihren, in der gesellschafts- und eigentumsrechtlich zwi-schen den offentlich-rechtlichen Sparkassen, den genossenschaftlichen Volks- und Raif-feisenbanken und den privaten Finanzinstituten zu unterscheiden ist. Die Halfte des Marktes wird durch etwa 450 Sparkassen abgedeckt; ein weiteres Drittel wird durch etwa 1.300 Volks- und Raiffeisenbanken bedient. Die iibrigen Banken, u.a. die Grolibanken Deutsche Bank, die Commerzbank, die Postbank und die Dresdner Bank, bilden die dritte Saule und decken den verbleidenden Anteil des Marktes ab. Einer Konsoiidierung des Anbieterfeldes stehen neben den unterschiedlichen Strategien teilweise auch rechtliche und politische Grunde im Wege.

Die deutschen Retail Banken sind teilweise internationalisiert, jedoch noch stark auf den deutschen Markt konzentriert. Grenzuberschreitende Verschiebungen im Privatkunden­geschaft ergeben sich in erster Linie durch den Eintritt auslandischer Anbieter, z. B. der amerikanischen Citibank, der italienischen Unicredit durch Ubernahme der HypoVereins-bank, der niederlandischen ING-Gruppe mit der Direktbank ING-Diba, der amerikani­schen GE Money Bank, der turkischen DHB Bank Oder der spanischen CC-Bank. Fur die Analyse der Wertschopfungskette wird eine exemplarische Stufenfolge mit den zentralen Finanzdienstleistungen zugrunde gelegt. Die Wertschopfungskette im Privat­kundengeschaft beginnt mit der Produktentwicklung, die in erster Linie die Konzeption von Aniage- und Kreditprodukten umfasst. Die Produktentwicklung wird im Aniage- und Kreditgeschaft hauptsachlich durch die Retail Banken und fur Fonds- und Versicherungs-produkte durch die jeweiligen Anbieter geleistet (Abbildung 21).

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Abbildung 21: Wertschopfungskette und Anbietermodelle im Privatkundengeschaft

Der Zahlungsverkehr umfasst die Abwicklung von bargeldlosen Zahlungen, die u.a. im Rahmen einer Uberweisung oder eines Lastschrift-Verfahrens abgewickelt werden. Das Angebot von Dienstleistungen im Bereich Zahlungsverkehr gehort zu den unverzichtba-ren Komponenten im Privatkundengeschaft. Nach Initiierung einer Zahlung durch den Kunden erfolgt die Ausfuhrung einschlieSiich Clearing und Buchung. Die Abrechnung er-folgt ijber ein Girokonto, das die Bank ihren Kunden bereitstellt und fijhrt. Zur Abwicklung beleghafter Uberweisungen wird zunehmend mit externen Partnern bzw. Zahlungsver-kehrsanbietern kooperiert. Bei Kreditkarten erfolgt die Abwicklung bzw. der Zahlungsver­kehr uber die sogenannten Abwickler bzw. Acquirer; die Kreditkartengesellschaften fo-kussieren sich auf Produktentwicklung und Marketing. Zu den Kernaktivitaten einer Retailbank zahit neben dem Zahlungsverkehr auch das An-lage- und das Kreditgeschaft. In beiden Geschaften wird Kapital als Produktionsfaktor eingesetzt. Neben der verzinsten Aufbewahrung von Zahlungsmittel bieten die Banken ihren Kunden auch den Kauf von Aniageprodukten an, die teilweise selbst entwickelt und produziert Oder von unabhangigen Anbietern stammen (z. B. einer Fonds- bzw. Invest-mentgesellschaft oder einer Versicherung). Die Fondsgesellschaften vertreiben ihre Pro-dukte primar uber kooperierende Retail Banken und haben parallel ein eigenes Marketing aufgebaut; Versicherungen werden in erster Linie durch den eigenen Auliendienst und unabhangige Agenturen vertrieben.

Bedingt durch die teilweise hohe Komplexitat von Finanzprodukten und der steuerrechtli-chen Rahmenbedingungen einer Finanzanlage definiert die Beratung eine eigene Wert-schopfungsstufe. Finanzberatung wird vom Anspruch her auch von den Retailbanken ab-gedeckt. Diese Wertschopfung geht jedoch immer mehr an unabhangige Beratungsanbie-

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ter uber oder wird von den Kunden unter Nutzung unabhangiger Informationsquellen in Eigenleistung erbracht. Die unabhangigen Anbieter haben in den letzten 30 Jahren ein starkes Wachstum erfahren und die Banken bezuglich der Kontrolle des Kundenkontak-tes partiell zuruckgedrangt.

Fur die Retail Banken stellt Marketing einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar, weil die Loyalitat der Kunden stark abgenommen hat und die Anbieter mit ihren Produkten bzw. Finanzdienstleistungen keine entscheidende Differenzierung mehrerreichen. Im Falle der Fremdvergabe einzelner Back-Office Aktivitaten behalt sich die Retail Bank deshalb in der Regel auch die uneingeschrankte Positionierung des eigenen Brands vor, d.h. ge-genuber dem Kunden werden nach wie vor „eigene" Dienstleistungen angeboten. Das Angebot eines Dlenstleisters, einen Service so auszufiihren, dass die Mandantenbank nach wie vor „eigene" Produkte anbieten kann, wird als „White-Labeling" bezeichnet. Der Vertrieb von Bankprodukten findet primar uber die Filialen der Retail Banken und in zweiter Linie uber mobile Berater und das Internet statt. Die Vertriebskanale Filiale und Internet sind mit Ausnahme von speziellen Anbietern in erster Linie komplementar zu se-hen. Das noch gegen Ende der 90er Jahre konzipierte Modell einer breit aufgestellten Online-Bank bzw. Direktbank konnte sich bisher nur in Teilgebieten durchsetzen (z. B. Aktienhandel, Tagegeld).

Fur die Analyse der Wertschopfungstiefe im Retail Banking wird nach Thematisierung der vertlkalen Integration von Aniage- und Kreditgeschaft (Abschnitt 4.2) zunachst allgemein auf die abnehmende Wertschopfungstiefe der Retail-Banken im Bereich von Back Office-Funktionen eingegangen (Abschnitt 4.3). Nach Darstellung der Vereinnahmung der Fi-nanzberatung durch Retailbanken und unabhangige Anbieter (Abschnitt 4.4) wird die De-konstruktion der Wertschopfungskette ausfuhrlicher am Fondsgeschaftes dargestellt (Ab­schnitt 4.5).

4.2 Vertikale Integration von Aniage- und Kreditgeschaft Zum Aufbau einer hinrelchenden Dispositionsmasse an Zahlungsmittel wird das Kredit­

geschaft herkommlich mit dem Aniagegeschaft kombiniert: Die der Bank zur Aufbewah-

rung und Verzinsung uberlassenen Finanzmittel (Aktivgeschaft) werden anderen Kunden

als Kredit zur Verfugung gestellt (Passivgeschaft). Hierbei dient das komplementare An­

iagegeschaft nicht zuletzt der kostengiinstigen Refinanzierung des Kreditgeschaftes. Das

klassische Modell einer Retailbank sieht insofern eine Rucklntegration zur Beschaffung

von Zahlungsmittel vor, auch wenn es nicht ubiich ist, in diesem Kontext von einer verti-

kalen Integration von Kredit- und Aniagegeschaft zu sprechen.

Fallbelspiel: KapitalertrSge im Aniagegeschaft der Postbank Die deutsche Postbank ist 1990 durch Teilung der Deutschen Bundespost in die drei unabhangi­gen Unternehmen Telekom, Post und Postbank entstanden. ZunSchst wurde mit dem Postspar-buch ein reines Aniagegeschaft betrieben. Ab 1995 wurde nach Genehmigung von den zustandi-gen Aufsichtsbehorden mit dem Kreditgeschaft gestartet. 2005 war die Postbank bezogen auf die AnzahJ der Girokonten Marktfuhrer Im deutschen Privatkundengeschaft mit einem Anteil von 6%.

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Aufgrund der historisch bedingten Entkopplung von Aniage- und Kreditgeschaft weist die Post-bank einen Einlageuberhang von ca. 30 Mrd. Euro aus. Hierdurch resultiert u.a. eine im Vergleich zu anderen Retailbanken geringere Verzinsung des Eigenkapitals von nur etwa 8%, da der Zins-ertrag, den die Postbank mit dem Uberhang am Kapitalmarkt erzielt, in der Regel geringer ausfallt als die Verzinsung bzw. Rendite der Wettbewerber im Kreditgeschaft. ^ Entsprechend versucht die Postbank, auf Basis ihres groRen Kundenstammes das Kreditvolumen zu erhohen. Zur Balan­ce der Zahlungsstrome wurde 2004 durch Ubernahme der Londoner Filiale der BHF-Bank und 2005 der Bausparkasse BHW weiteres Kreditvolumen hinzu gewonnen.

Ein interessantes Modell der Vermittlung von Kapitalangebot- und Nachfrage scheint sich zur Zeit in GroBbritannien und den USA zu entwickeln. Betreiber von internetplattformen wis u.a. Zopa.com und Prosper.conn organisieren nach dem Peer-to-Peer Geschaftsmo-dell die Vermittlung von Krediten zwischen Privatpersonen. Auf Basis eines Auktionsmo-dells wird dem Kreditnehmer ein Kreditvolumen vermittelt, dass von Privatpersonen auf der Plattform angeboten wird. Die Plattformbetreiber erhalten eine Jahresgebiihr von 0,5% der Kreditsumme.

Die Kreditwurdigkeit der potenziellen Schuldner wird von Organisationen analog der deutschen Schufa bewertet; etwa die Halfte der Kreditsuchenden scheidet hierbei aus. Das Kreditvolumen ist begrenzt und darf in GroBbritannien 25.000 Pfund pro Schuldner nicht uberschreiten. Das Kreditvolumen wird zur Minimierung des Ausfallrisikos auf etwa 50 Kapitalanbieter verteilt. Der Zinssatz setzt sich aus den geforderten Zinssatzen der einzelnen Kapitalgeber zusammen. ^^ Der prinzipielle Unterschied zum traditionellen Geschaftsmodell der Retailbank besteht darin, dass der originare Kapitalaufbau und das Kreditangebot aus einer Hand erfolgen, also der Sparer nach Aniage seiner Finanzmittel in Form eines gewahrten Kredits auch die Rolle des Glaubigers ubernimmt. Die klassische Retail Bank sammelt hingegen finan-zielle MIttel von den Aniegern, transformiert deren Einlagen in Aniageprodukte und uber­nimmt dann als Mittler die Rolle des Kapitalanbieters und Glaubigers: „Zopa is for people who are looking for a better rate of return. Zopa's interest rates aren't squeezed by mid­dleman (the banks), because there are no middleman - that's Zopa idea"."* ^ Die Tragfahigkelt des Modells der Disintermediation im Retail Banking ist jedoch fraglich, da der Sparer bzw. der Kapitalgeber auch das Ausfallrisiko ubernimmt, dieses jedoch nur mit einem unverhaltnismassig hohem Aufwand durch Management eines gestreuten Kre-ditportfolio minimieren kann. Analog zur Logik einer Versicherung ist das Ausfallrisiko nur begrenzt bzw. marginalisiert, wenn die Aufwendungen bei Eintreten eines Schadensfalls bzw. bei Ausfall eines Kredits gegenuber der Gesamtheit der Pramieneinnahmen bzw. Zinszahlungen vernachlassigbar sind. Insofem ist zu vermuten, dass das Kapitalangebot der Peer-to-Peer Plattform sehr begrenzt bleibt.

Vgl. hierzu W. von Schimmelmann, „Die Postbank im europaischen Bankenmarkf, infonnatlonsunterla-ae der Deutschen Postbank zum Borsengang, 12.2.2004, S. 5.

Vgl. V. Diethelm. "internetanbieter greifen Banken an", in: FTD, 20.6.2006. ^^ Vgl. zopa.com/zopaWeb/public/how/idea.shtml, aufgerufen am 30.7.2006.

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4.3 Dekonstruktion der Wertschopfungskette In Analogie zur Dekonstruktion der Wertschopfungskette in anderen Industrien zeichnet

sich auch in der Bankenlandschaft eine zunehmende horizontale Integration von Wert-

schdpfungsstufen mit hoher Spezialisierung der Anbieter ab. Das Model! der vertikal in-

tegrierten Retail Bank, die von Produktentwicklung bis zum Vertrieb alle Dienstleistungen

operativ abwickelt und anbietet, tritt zusehends in den Hintergrund. Die Entwicklung geht

parallel zur Etablierung einer Zuliefererindustrie fur Finanzdienstleistungen. Inn Flucht-

punkt der Entwicklung kristallisieren sich die Geschaftsmodelle eines Produktentwicklers,

eines operativen Abwicklungsspezialisten und einer Vertriebsbank heraus. Hierbei ist der

Produktentwickler vornehmlich durch Innovation, der Abwicklungsspezialist durch Grb-

Uenvorteile und IT-Kompetenz und die Vertriebsbank durch Beratung, Kundenorientie-

rung und Unabhanglgkeit charakterisiert. Das operativ gepragte Abwicklungsgeschaft

bzw. das sogenannte ..Transaction Banking" umfasst u.a. den Zahlungsverkehr und be-

zogen auf das Aniagegeschaft die Wertpapierabwicklung. Analog haben sich auch Anbie­

ter fur die Abwicklung des Kreditgeschaftes einschlieRlich der Refinanzierung etabliert.

Beim Verlauf des Outsourcing kann zwischen zwei Phasen unterschieden werden: In der

ersten Welle der 90er Jahre wurden die Arbeitspakete uben/viegend von banknahen An-

bietern bzw. Banken ubernommen. Fur die zweite Phase ist davon auszugehen, dass

banknahe Anbieter vermehrt mit IT- und Softwarefirmen konkurrieren und neben den Ab-

wicklungskosten auch Servicequalitat, Innovation und Transformationsmanagennent im

Vordergrund stehen.^^°

Die Ursachen der Entbundelung des Bankgeschaftes sind vielschichtig. Aufgrund einer

hoheren Transparenz des Angebots, einer gestiegenen Erwartungshaltung des Kunden

und dem Markteintritt spezialisierter Nischenanbieter sehen sich die Retail Banken einem

verscharften Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Zudem wird ein groRerer Anteil des Kredit­

geschaftes iJber produktzentrierte Anbieter vermittelt (z. B. Autobanken, Baufinanzierer),

wahrend die klassischen Retailbanken Auftragsvolunnen verlieren. Da im Marketing und

im Vertrieb kaum Einsparungen zu erzielen sind, kommt die interne Abwicklung in das

Blickfeld, die durch steigende IT- und Softwareanforderungen mit kurzer Produktgenerati-

on einen nicht unbetrachtlichen Teil der Kosten ausmachen.^^^ Vom strategischen Stand-

punkt aus betrachtet kommt dem Transaction Banking aufgrund des nicht vorhandenen

direkten Kundenkontaktes nur eine sekundare Bedeutung zu, so dass sich bei Kostenvor-

tellen eine Ausgliederung anbietet.^^^

Im Folgenden wird der Ruckgang vertikaler Integration am Beispiel des Zahlungsverkehrs

(Abschnitt 4.3.1), der Kreditkartenabrechnung (Abschnitt 4.3.2.) und der Wertpapierab­

wicklung (Abschnitt 4.3.3) dargestellt.

Vgl. G. Freudenstein, C. Rockemann, „Dienstleister ijbernehmen Routinearbeif, in: Handelsblatt, 15.7.2005. ^^ Vgl. T. Graband, K. Wild, „Outsourcingstrategien im Retail Banking", S. 55-73, in: B. Kaib (Hrsg.), Out­sourcing in Banken, Wiesbaden 2003. Vgl. R. Lahusen, „Bankerfolg in Europa: Grolie Fortschritte durch Konsolidierung - mit Ausnahme in Deutschland", S. 15, in: EU-Monitor, Finanzmarkt Spezial, Deutsche Bank Research, 29. April 2004, S. 1-16. ^^^ Vgl. I. Kipker, M. Veil (Hrsg.), Transaction Banl<ing, Wiesbaden 2003.

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4.3.1 Horizontale Integration des Zahlungsverkehrs

Der Zahlungsverkehr gait lange als Kernprozess eines Kreditunternehmens und wurde

von den Banken in Eigenleistung erbracht. GrofJen- bzw. Kostenvorteile bei horizontaler

Integration pradestinieren eine Ausgliederung und Transfomriation des fruheren Teilpro-

zesses In eine separate Dienstlelstung. Mit zunehmender Digitalisierung des Datentrans-

fers sind die Grolienvorteile gegenuber der herkommlich manuellen und personalintensi-

ven Abwicklung angestiegen, wodurch die Konsolidierung verbunden mit einer horizonta-

len Integration der Wertschopfungsstufe betrachtliche Kostenvorteile bietet. Ebenfalls zu

berucksichtigen sind die steigenden Anforderungen durch die europaische Standardisie-

rung und die damit verbundene Angleichung von Inlands- und Auslandszahlungsverkehr,

die von spezialisierten Anbietern besser bewaltigt werden konnen. "*^

Die Kostenvorteile durch Zentralisierung der Bearbeitungskapazitaten im Back-Office Be-

reich werden hierbei gewichtiger als die anfallenden Transaktionskosten zwischen der

Retail Bank und ihrem Dienstleister eingestuft:

„Dabei zeigt sich das glelche Muster wis bisher fast immer. Die zunehmende Automa-tisierung fuhrt zu hohen Investitionen in Hardware und Software. Aufgrund der Mdg-lichkeit, Computer per Telekommunikation zu vernetzen, wird diese Rechnerkapazitat mobil. Dies bedeutet wiederum, dass mehr Nachfrager diese Rechnerkapazitat nutzen und deshalb auf den Aufbau eines eigenen Rechenzentrums verzichten konnen [...] Dadurch wird es moglich, Economies of Scale auszunutzen und spezielle Dienstleis-tungsfirmen konnen entstehen. Ganz im Sinne [...] des Zusammenhangs von Trans-portkosten und Arbeitsteilung konnen wir deshalb enwarten, dass auch der Back-Office Bereich durch eine immer starkere vertikale Desintegration gekennzelchnet sein wird. Da hier relativ bekannte und standardisierbare Vorgange ablaufen, ist auch nicht zu envarten, dass hohe Transaktionskosten diesem Trend entgegenwirken." '*^

Entsprechend hat sich ein Anbieterfeld etabliert und auf die Ubernahme von Zahlungs-verkehrskontingenten spezialisiert. Die horizontal orientierten Anbieter versuchen, von den noch vertikal integrierten Kreditinstituten Abwicklungsvolumen zu akquirieren.

Falibeispiel: Die Postbank als Anbieter von Zahlungsverkehrsdienstieistungen Die deutsche Postbank hat die Abwicklung des eigenen Zahlungsverkehrs mit Investitionen in die IT-lnfrastruktur in Kooperation mit SAP professionalisiert und bietet den Prozess anderen Kredit­instituten als Dienstlelstung an. 2004 haben die Deutsche Bank und die Dresdner Bank ihren Zah­lungsverkehr an die Postbank iibertragen; 2006 wurde noch das Auftragsvolumen der Unicre-dit/HypoVereinsbank akquiriert. Um eine Relativierung des Kundenkontaktes ihrer Mandanten-banken zu vermeiden verzichtet die Postbank auf jegliches Branding der eigenen Dienstlelstung. Der Kunde geht in der Regel davon aus, dass alle Prozessschritte von seiner Bank intern ausge-fijhrt werden. Wenn mit einer hohen Prozesseffizienz Im Zahlungsverkehr eine entscheidende

Vgl. H.-P. Wendt, ..Zahlungsverkehr", S. 89-101, in: B. Kaib (Hrsg.), Outsourcing in Banken, Wiesbaden 2003, und M. Steinbach, M. Birkelbach, ..Zahlungsverkehr - Vom nationalen Nischendasein zum europal-schen Geschaftsfeld", S. 275-286, in: D. Bartmann, Die Industrialisiemng des Bankbetriebs, Weinheim

''' Vgl. B. Wieland, Telekommunikation und vertikale Integration, Heidelberg 1995, S. 156.

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Differenzierung gegenuber dem Wettbewerb erreicht werden konnte, wurde die Postbank ihre Kompetenzen vermutlich ausschliedlich zum Ausbau des eigenen Geschafts einsetzen.'"'

Fallbeispiel: Auslagerung des Zahlungsverkehrs bei den Sparkassen Ein Groliteil der Sparkassen lasst den Zahlungsverkehr seit 2005 zentral uber die Sparkassen-Informatik (SI) abwickein, die insgesamt auf ca. 300 Kunden im Sparkassensektor kommt. Die Anbieter Finanz-IT, IZB Soft und die ZVS (Zahlungsverkehrs- und Transaktionsservicegesell-schaft) sind weitere Ausgrundungen der Sparkassen. Die ZVS wurde 2000 von der Sparkasse Hamburg und der Sparkasse Bremen zur Abwicklung des gemeinsamen Zahlungsverkehrs ge-grundet. Das Institut hat inzwischen fur uber 30 Banken in Norddeutschland den Zahlungsverkehr ubernommen und durch Zerlegung des Gesamtvorgangs in einzelne Prozessschritte eine indus-trielle Abarbeitung der Auftrage erreicht.""*®

Fallbeispiel: Auslagerung des Zahlungsverkehrs bei den Genossenschaftsbanken Die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken haben ihren Zahlungsverkehr in dem Transaktionsinstitut (TAI) zusammengelegt, das 2003 von der DZ Bank, dem Zentralinstitut der Genossenschaftsbanken, gegrundet worden ist. 2005 hat das TAI von der Citibank den Zah­lungsverkehr im Finnenkundengeschaft ubernommen. Zum weiteren Ausbau des Geschaftes Ist 2006 der Zusammenschluss mit dem niederlandischen Zahlungsverkehrsanbieter Interpay ver-einbart worden.

4.3.2 Abrechnung im Kreditkartengeschaft Der Markt fur Kreditkarten ist in den 50er Jahren in den USA entstanden und hat erstmals die Moglichkeit geboten, fur Dienstleistungen und im Einzelhandel bargeldlos zu bezah-len. Ursprunglich ein Produkt fur Jetsetter und Geschaftsreisende setzte in den 70er Jah­ren die Demokratisierung bzw. die Durchdringung der Mittelschicht ein. Mastercard, VISA und American Express sind die drei fuhrenden Anbieter von Kreditkarten. Die Kreditkar-tengesellschaften stellen in erster Linie Dachgesellschaften dar, die sich aus den Teilha-bern ihrer Emittentenbanken rekrutieren. Die Emittentenbanken sind Retail Banken, wel-che den Vertrieb und die Kartenausgabe abwickein. Hierbel wird in der Regel mit einem Co-Branding gearbeitet, bei dem sowohl der Name der Kreditkartengesellschaft, als auch der Name der Retail Bank auf der Kreditkarte vermerkt sind. Produktentwicklung und Vermarktung erfolgen nach wie vor durch die Kreditkartengesellschaften, die durch Wer-bung gegenuber dem privaten Endverbraucher eine Marke aufgebaut haben. Das Prinzip der Kreditkarte sieht vor, dass die Zahlung an den Handler zunachst durch den Zahlungsabwickler der Kreditkartengesellschaft bzw. den Acquirer ubernommen und dem Karteninhaber somit ein Kredit gewahrt wird. Hierdurch unterscheidet sich die Kre­ditkarte von einer Geld- bzw. ec-Karte, bei der sofort eine Belastung des Kontos des Kar-teninhabers erfolgt. Die Zahlung an den Handler wird als Acquiring bezeichnet und be-rucksichtigt eine Disagiogebuhr von ca. 2%, die dem Handler von seinem Verkaufsan-spruch abgezogen wird. Die Hohe der Gebuhr richtet sich in der Regel nach dem Zeit-

Vgl. hierzu „Ein ungehobener Schatz", in: Euro, Jul! 2004, S. 16-30; ..Postbank baut Zahlungsverkehr aus", in: Handelsblatt, 29.10.2004 und ..Deutsche Postbank AG", Unterlage zur Bilanzpressekonferenz am 24. Marz 2004, 8. 9. ^ ^ Vgl. „Sparkassen biindein Zahlungsverkehr", in: Handelsblatt, 18.8.2005.

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punktderZahlung und vergutetdie Erstattungssicherheit des Einzelhandels. Der Acquirer

ist auch fur die Zahlungsinfrastruktur des Einzelhandels, die Anwerbung neuer Akzep-

tanzstellen sowie teilweise die Bonitatsprijfung zustandig.

In einem zweiten Schritt wird der Kredit von dem Kunden durch eine Ruckzahlung in H6-

he des Einkaufswertes an die Kreditkartengesellschaft egalisiert. Der Abwickler vergutet

die emittierende Bank, welche die Kreditkarte herausgegeben hat, mit einer Interchange-

gebuhr von ca. 1,5%, wodurch deren Marketing- und Vertriebsleistung kompensiert wird.

Hierdurch wird ein Wettbewerb zwischen den Emittentenbanken unn neue Kreditkarten-

kunden ermoglicht, obwohl Marketing, Werbung und Abrechnung zentral erfolgen.

Die Abrechnung erforderte in den 60er Jahren noch einen hohen manuellen Aufwand, bei

dem kaunn GroRenvorteile erzielt werden konnten. Seit der elektronischen und digitalen

Verarbeitung der Daten mit Computern in den 70er Jahren konnten die Kosten durch

Verminderung des Personalaufwands gesenkt werden, wodurch sich bei Konsolldierung

bzw. horizontaler Integration der Wertschopfungsstufe weitere Potentiate zur Kostensen-

kung boten. Zur Realisierung der moglichen Grofienvorteile haben sich fur die Zahlungs-

abwicklung horizontal orientierte Anbietermodelle durchgesetzt. Folgerichtig wird die Ab­

rechnung heute zum Grodteil durch unabhangige Acquirer durchgefuhrt, die Dienstleis-

tungen fur mehrere Kreditkartengesellschaften anbleten.

Der Weltmarkt fur Kreditkartenabrechnung wird von First Data, Total Systems und Barc­

lays dominiert, die zusammen mehr als 200 Mio. Karten vereinnahmen. First Data ist

1992 als Ausgliederung aus der intemen Abwicklungsabteilung von American Express

hervorgegangen. In Deutschland sind ca. 20 Mio. Kreditkarten im Umlauf; der Abrech-

nungsmarkt wird zu zwei Drittein durch First Data Deutschland (die fruhere Gesellschaft

fur Zahlungssysteme GZS), einem Tochterunternehmen von First Data, und der franzosi-

4.3.3 Horizontale Integration der Wertpapierabwicklung Die Wertpapierabwicklung stellt einen Prozessschritt im Aniagegeschaft mit Aktien,

Fondsanteilen und Optlonsscheinen dar. Die Abwicklung umfasst bei Erwerb die Weiter-

leitung der Kauforder an die Wertpapierborse, die Abrechnung des Kaufs sowie die Ver-

wahrung derWertpapiere. Entsprechend wird bei Auslosung der Verkaufsorder durch den

Besitzer der Verkauf des Wertpapiers an der Borse initiiert und eine Gutschrift vorge-

nommen. Bei Abwicklung von Aktiengeschaften ist teilweise die Einladung fur die Haupt-

versammlung sowie die Gutschrift der Dividenden einbezogen.

Die Wertpapierabwicklung wird zu einem Groliteil noch in Eigenleistung der Retail Ban-

ken erbracht und entwickelt sich - in Analogie zum Zahlungsverkehr - zu einer horizontal

Integrierten Dienstlelstung. Bei Etablierung eines standardisierbaren Softwaresystems

kann ein unabhangiger Dienstleister durch GroBenvorteile die Wertpapierabwicklung in

der Regel zu niedrigeren Kosten anbieten. Zu den Kernkompetenzen einer Wertpapier-

Vgl. M. Gottfredson, R. Puryear, S. Phillips, „Die richtigen Fahigkeiten beschaffen", in: Harvard Business manager, Juni 2005, S. 59-69, K. Brooker, Just one word: Plastic", in: Fortune, 23.2.2004, S. 69-78, und ..Kreditkartenabwickler GZS fiJhrt exklusive Verkaufsgesprache mit First Data", in: FAZ, 7.10.2005.

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Abwicklungsbank gehort deshalb insbesondere die Informationstechnologie fur Finanz-

applikationen.

Fallbeispiei: DWP Bank als Marktfuhrerftir Wertpapierabwicklung In der deutschen Bankenlandschaft hatten sich die ersten auf Wertpapiere spezialisierten Trans-aktionsbanken 1998 mit Grundung der BWS im genossenschaftlichen Sektor und der WBS im Sparkassenlager formiert. Die DWP (Deutsche Wertpapierservice Bank) war 2003 durch Zusam-menschluss der WBS mit der BWS hervorgegangen und ist in Deutschland Marktfuhrer fur Wert­papierabwicklung. Das Dienstleistungsangebot umfasst neben dem einfachen Aktienhandel die Abwicklung von Derivaten, Sparplanen und Aniagekonten. Das Kundenportfolio der DWP umfasst Landesbanken, Sparkassen, Volksbanken, Raiffeisenban-ken, Geschaftsbanken, Privatbanken, Kreditkarten, Hypothesenbanken, Autobanken, Online-Brokern und Fondsgesellschaften. Die DWP wickelt auch die Wertpapierabwicklung fur die Dresdner Bank, die Postbank und einen Teil der Sparkassen ab. Den neuen Kunden, wie z. B. der Dresdner Bank seit 2004, wird eine Beteiligung an der DWP angeboten.""*®

Fallbeispiei: ETB/Xchanging als Anbieter fur Wertpapierabwicklung Die ETB (European Transaction Bank) war 1999 von der Deutschen Bank ausgegliedert worden und hat sich auf die Wertpapierabwicklung fokussiert. Parallel werden verwaltungsnahe Prozesse wie u.a. die Buchhaltung angeboten. Neben der Deutschen Bank stellen die Citibank, die Sparda-Banken und die Privatbank Sal. Oppenheim weitere Kunden dar. In 2004 hat die Deutsche Bank die Mehrheit der Anteile der ETB an den britischen Dienstleister fur Finanzunternehmen Xchan-ging verkauft und damit einer welteren horizontalen Ausrichtung den Weg bereitet. "*

Fallbeispiei: Auslagerung der Wertpapierabwicklung bei der HypoVereinsbank Die HypoVereinsbank hat ihre Kontingente der Wertpapierabwicklung an die International Tran­saction Services (ITS) ausgelagert, ein Gemelnschaftsunternehmen der Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt und T-Systems. ITS hat auch das Auftragsvolumen der HypoVereinsbank-Tochter DAB ubernommen. T-Systems als Tochterunternehmen der Deutschen Telekom steht reprasentativ fur Anbieter von Transaction Banking, die nicht originar aus der Finanzbranche stammen, sondern uber ihre IT-Kompetenz in verwandte Markte vorstoBen. In 2008 kann T-Systems aufgrund einer verelnbarten Option die Mehrheit an ITS ubernehmen.^^

4.4 Vertikale oder horizontale Besetzung der Finanzberatung

Das Angebot der Finanzberatung ist bei Retail Banken weit verbreitet. Die scheinbare

Objektivitat der Beratung durch die Retail Bank profitierte bis in die 90er Jahre von einem

hohen Vertrauen des Kunden gegenuber seiner „Hausbank". Entsprechend konnte sich

die Retail Bank partiell denn Wettbewerbsdruck entziehen und vornehmlich ihre eigenen

Produkte verkaufen, etwa einen Fonds der eigenen Fondsgesellschaft, eine eigene Fest-

geldanlage oder eine Versicherung der angeschlossenen Assekuranz im Falle eines Allfi-

nanzanbieters.

Aus Sicht des Kunden sollte die Wertschopfungsstufe Beratung allerdings neutral und ob-

jektiv erbracht werden. Die Produzenten der Finanzprodukte - Retail Bank, Versicherung

'^' Vgl. DWP Bank, Geschaftsbericht 2003. ^ ^ Vgl. C. Potthoff, „Abwickler Xchanging schafft Jobs in Indien", in: Handelsblatt, 29.6.2006. ^ ° Vgl. R. Honighaus, G. Hegmann, M. Ottomeier, „HVB gibt Wertpapierabwicklung ab", in: FTD, 31.1.2006.

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und Fondsgesellschaft - bringen naturgemali ein Eigeninteresse ein, das mit dem An-spruch der Neutralitat in der Regel nicht kompatibel ist. Eine Abkopplung und horizontale Integration der Beratung stoRt jedoch aufgrund der geringen Zahlungsdisposition schnell an Grenzen, da nur wenige Kunden bereit sind, fur eine unabhangige Finanzberatung ein Honorar zu bezahlen. Dadurch wird indirekt das vertikale Modell gefdrdert, demgemass die Retail Bank die Beratung leistet und kein separates Honorar fur die Beratung erhebt, sondern die Vergutung indirekt bzw. versteckt auf Basis von Vertriebsprovisionen erfolgt. Seit einigen hat sich dennoch ein grundlegender Wandel vollzogen, in dem die vermeint-liche Neutralitat der Retail Bank zunehmend in Frage gestellt wird (Abbildung 22).

Abbildung 22: Versuch der Vereinnahmung der Wertschopfungsstufe Beratung

Die abnehmende Bedeutung der Retail Banken in der Wertschopfungsstufe Beratung re-sultiert einerseits aus der veranderten Einsteliung des privaten Endverbrauchers, der die vermeintlich neutrale Aniageberatung als Verkaufsgesprach entlarvt. Das entstehende Vakuum ist seitdem verstarkt von verschiedenen Anbietern von Finanzprodukten und un-abhangigen Finanzberatern vereinnahmt worden. Die Vergutung der unabhangigen Fi-nanzberater erfolgt entweder uber ein separat ausgewiesenes Honorar oder eine Vermitt-lungsprovisionen. Der Kunde ist heute eher bereit, seine Eigenleistung bei der Auswahl und Entscheidung iiber Aniageprodukte zu erhohen und unabhangige Finanzberater und Steuerberater einzubeziehen. Die Rahmenbedingungen beim Verkauf von Finanzdienst-leistungen werden von dem Gesetzgeber zunehmend reglementiert.

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Fallbeispiel: Die Entwicklung von MLP als unabhsingiger Finanzberater Der Finanzdienstleister MLP positioniert sich als unabhangiger Berater und hat durch Fokussie-rung und GroBe eine hohe Professionalisierung der Finanzberatung erreicht. Das Unternehmen hat sich auf junge Akademiker (insbesondere Mediziner und Juristen) mit mittel- bis langfristig u-berdurchschnittlichem Gehalt speziaiisiert. Dieses Kundensegment wird von den Retail Banken nicht zu den vermogenden Privatkunden gezahit und in deren Beratungsangebot nicht individuell adressiert. Das Beratungskonzept von MLP sieht eine lebenslange Betreuung des Kunden vor, der von dem Berater wahrend seiner Berufsentwicklung begleitet werden soil. Die Akquisition der Kunden er-folgt proaktiv durch die MLP Berater, der den Hochschulabsolventen am Abschluss ihrer Studien-zeit Informationsveranstaltungen anbieten, an deren Ende Einzelgesprache vereinbart werden. Fur die Schulung und Weiterbildung der Berater werden gezielte Fortbildungsprogramme durch-gefuhrt. Die Vergiitung der MLP Berater erfolgt durch Vertriebsprovisionen auf Basis der vermit-teiten Finanzprodukte. Das Vermittlungsgeschaft wurde durch Entwicklung eigener Produkte unter Berijcksichtigung der Bedurfnisse der Zielkunden erweitert. Hierbei hat MLP die Standardangebote verschiedener An-bieter gezielt gebundelt und ggf. in Kooperation mit den Anbietern angepasst. Der Anteil der fur bestimmte Zielgruppen zusammen gestellten Produkte an den insgesamt vermittelten Produkten betragt ca. 90%. Zu Beginn der 90er Jahre wurde eine eigene Lebensversicherung, eine Bank und eine Sachversicherung gegrundet, deren Angebot maflgeblich in aufbereiteten und ange-passten Produkten unabhangiger Anbieter bestand. ^^ Da die eigenen Finanzprodukte langfristig zu einer Relativierung des Status eines unabhangigen Beratungsunternehmens fiihren, hat MLP 2005 die eigene Lebens- und Sachversicherung an die Gothaer (Sachversicherung) bzw. die bri-tische Clerical Medical Versicherung (Lebensversicherung) verkauft. ^^

4.5 Strukturwandel im Fondsgeschaft Fonds stellen eine Aniageform dar, die sich aus vielen Einzelinvestments bzw. Aktienpo-

sitlonen zusammensetzt und insofern eine groUe Streuung des RIsikos eriaubt. Der Anle-

ger iiberlasst die Individuelle Zusammenstellung des Aktienportfollos der Fondsgesell-

schaft bzw. dem Fondsmanager, der seine Auswahl permanent den Marktverhaltnissen

anpasst. In Deutschland erlebte das Fondsgeschaft seinen Durchbruch erst Ende der

60er Jahre. Von den Retail Banken wurde es zunachst nicht gefordert, da es der Zielset-

zung einer kostengunstigen Beschaffung von finanziellen Mittein zur Bedienung des Kre-

ditgeschaftes zuwiderlief. Die Fondseinlagen des Aniegers kbnnen im Gegensatz zu einer

Festgeldanlage nicht zur Refinanzierung eingesetzt werden.

Die Produktentwicklung und die Aktienanalyse erfolgt durch die Fondsgesellschaft. Fur

die Aktienanalyse werden teilweise auch unabhangige Analysten einbezogen, die zur

Kompensation ihrer Leistung in der Regel keine direkte Vergiitung in Rechnung stellen,

sondern auf Provisionsbasis Handelsauftrage ihrer Klienten ausfuhren (Abbildung 23).

Vgl. A. D. Slywotzky, D. J. Morrison, Die Gewinnzone, Landsberg/Lech 1998, S. 167-177. ^ ^ Vgl. „MLP steht vor Strategiewechsei", in: Handelsblatt, 24.11.2004, und „MLP steht vor strategischer Kehrtwende", in: FTD, 24.11.2004.

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Page 117: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 23: Wertschopfungskette und Anbietermodelle im Fondsgeschaft

In der Zusammenstellung des Portfolios ist der Schlusselprozess einer Fondsgesellschaft zu sehen. Nur in Ausnahmefallen wird die Portfoliostruktur durch Dienstleister erbracht (Sub-Advisory). Der elgentliche Wertpapierhandel wird durch die Bdrse ausgefuhrt. Der Grofiteil des Handels erfolgt tiber das elektronische Handelssystem Xetra, ein geringer Tell uber den traditionellen, maklergestiitzten Prasenzhandel. Die borseninterne Wertpa-pierabwicklung im Sinne der schuldrechtlichen Abwicklung zwischen Verkaufer und Kau-fer (Clearing) wird in Deutschland von einer exklusiven Tochterfirma der Deutschen Borse abgewickelt. Die Aufbewahrung (Settlement) der Wertpapiere ist streng reglementiert und darf in Deutschland nur von Clearstream Banking bzw. der Deutschen Borse erbracht werden.^" Die Abwicklung des Aktienhandels aul erhalb der Borse wird von den Fonds-gesellschaften, unabhangigen Wertpapierabwicklern oder den Analystenhausern geleis-tet. Im Fondsgeschaft charakterlsierte die vertikale Integration fur lange Zeit das dominante Anbietermodell: Herkommlich vertrieben die fuhrenden Retail Banken ausschlielilich die Produkte ihrer hauseigenen Fonds- bzw. Investmentgesellschaft. Produktentwicklung, Ak-tienanalyse, Ableitung der Portfoliostruktur und der operative Aktienhandel wurden durch die angeschlossene Fondsgesellschaft geleistet. Produktion und Vertrieb waren insofern gesellschaftsrechtlich getrennt, jedoch aufgrund der einheitlichen Eigentumerstruktur der Fondsgesellschaft und der Retail Bank ubergreifend koordiniert bzw. vertikal integriert. Der Vertrieb durch unabhangige Retail Banken oder Versicherungen machte im traditio-

^" Zum Konzept der europaischen „Silob6rsen" mit vertikal integrierter Verrechnung und borsenintemer Abwicklung im Vergleich zum amerikanischen Zentralsystem siehe W. Moschel, „Europas Borsen in Bewe-gung", in: FAZ, 1.4.2006, und ..Londoner City dringt auf paneuropaische Wertpapiersysteme", in: FAZ, 9.3.2006.

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nellen Geschaftsmodell nur einen geringen Anteil aus; ein Direktvertrieb der Fondsgesell-schaft an den Kunden war kaum aufgebaut. In den letzten Jahren hat sich ein struktureller Umbruch abgezeichnet, in dem die vertika-le Organisation immer mehr durch eine partielle vertikale Integration bzw. eine horizontale Organisation des Fondsgeschaftes abgelost wird. Mehrere Retail Banken mit eigenen Fondsgesellschaften haben in Deutschland begonnen, eine „neutrale" Aniageberatung anzubieten und verkaufen Fonds anderer Anbieter ohne die eigenen Produkte zu bevor-zugen (open architecture).^^ Eine Ubersicht der vertikalen und horizontalen Integration fur Zahlungsverkehr, Wertpapierabwicklung und AnIagegeschaft (speziell Fonds) gibt Ab-bildung 24.

Abbildung 24: Wertschopfungskette und exemplarische Anbietermodelle im deut-schen Privatkundengeschaft

Die Citibank, ein Tochterunternehmen der amerikanischen Citigroup, nimmt hinsichtlich der Offnung ihrer Vertriebskanale in Deutschland eine Vorreiterrolle ein, da sie als erste Retail Bank seit 2000 auch Fondsprodukte der Wettbewerber anbietet. Das Konzept einer unabhangigen Fondsberatung, die sIch ausschlieBlich an den Leistungskennzahlen der Fondsprodukte orientiert, wird unter dem Namen „CitiChoice" vermarktet. Der Anteil der eigenen Fonds am Gesamtabsatz ist 2004 auf unter 10% gesunken. In 2005 hat die Ci-

Vgl. hierzu F. Stocker, „Banken offnen sich starker fur Drittfonds", in: Welt am Sonntag, 15.4.2004, und D. Jochims, D. Wohleb, „Neue Vielfalt, in: Capital, 21/2005. S. 138-150.

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tigroup ihre Fondssparte an die amerikanjsche Fondsgesellschaft Legg Mason ver-

kauft.^^^

Die Sparkassen (Deka), die Volks- und Raiffeisenbanken (Union Investment), die Dresd-

ner Bank (AGI, fruher Deutscher Investment Trust bzw. dit), die Deutsche Bank (DWS),

die Unicredit/HypoVereinsbank (Activest) und die Commerzbank (Cominvest) verfugen

noch ijber eine eigene Fondsgesellschaft. Hierbei haben die Commerzbank und die

Sparkassen ihren Vertrieb fur Produkte des Wettbewerbs geoffnet und bieten eine neutra-

le Beratung an. Die Deutsche Bank hat eine begrenzte Anzahl von unabhangigen Fonds-

produkten in ihr Angebot aufgenommen, vertreibt jedoch primar die Produkte ihrer ange-

schlossenen Fondsgesellschaft DWS.

Die ubrigen Retail Banken haben sich nicht fur die Produkte des Wettbewerbs geoffnet:

Die Dresdner Bank, eine Tochter des Versicherungskonzerns Allianz, vertreibt aus-

schlieRlich Produkte der Allianz-Dresdner Fondsgesellschaft AGI, die Unicredit/Hypo­

Vereinsbank Produkte von Activest, die Volks- und Raiffeisenbanken Produkte der Union

Investment.

Fallbeispiel: 5ffnung des Fondsvertriebs durch die Commerzbank Die Commerzbank hat die strlkte vertikale Integration von Produktion und Vertrieb aufgegeben. Nach Umstellung der Vertriebspraxis ist der Anteil der Produkte der eigenen Fondsgesellschaft Cominvest (fruher Adig) bezogen auf den Gesamtabsatz an Fondsprodukten auf etwa die Halfte gesunken. Die Strategic der neutralen Fondsberatung hat zu einem Mittelabfluss gefuhrt. Zum glaubwurdigen Ausweis der Objektivitat der eigenen Fondsberatung hat die Commerzbank 2004 ihre Beratungspraxis vom TUV (Technischer Uberwachungsverein) uberprufen lassen.^^

Fallbeispiel: Bundelung des Fondsgeschaftes bei den Sparkassen Die Deka Ist 1999 durch Fusion der Dekabank mit der Deutschen GIrozentrale entstanden und gehort mit Jewells 50% den offentlich-rechtlichen Landesbanken und den Sparkassen. Der fast ausschliefiliche Vertrieb von Deka-Fonds uber die Sparkassen ist durch die Einbezlehung weite-rer Fondsprodukte partiell aufgegeben worden. Der Anteil der Deka-Produkte an den in den Spar­kassen verkauften Fonds ist von 2002 bis 2006 von uber 90 auf unter 70% gefallen. ^^

Parallel zu der Entwicklung sind mit Fidelity Investment, Threadneedle, Franklin Temple-

ton u.a. vermehrt auslandische Fondsgesellschaften ohne eigenen Retail Bank Vertriebs-

kanal in den deutschen Markt eingetreten, die durch gezieltes Marketing potenzielle In-

vestoren und Anieger ansprechen und einen pull through-Effekt erzeugen. Die zunachst

fur den Vertrieb von Fonds unabhangiger Investmentgesellschaften blockierten Vertriebs-

kanale der Retail Banken werden zunehmend durch Bestands- und Vertriebsprovisionen

erschlossen. Entsprechend erzielen die auslandischen Fondsanbieter hohe Zuwachse,

wahrend die deutschen Investmentgesellschaften Marktanteile verlieren. Die Fondsge-

^^ Vgl. „Citigroup tauscht Fonds gegen Berater, in: Handelsblatt, 27.6.2005. ^^ Vgl. R. Honighaus, ..Commerzbank will Halfte ihrer Fonds schlielien", in: FTD, 4.3.2005, und ..Vom Dampfkesselrevisionsverein zum Fonds-TOV", in: FAZ, 3.9.2004. ^" Vgl. hierzu U. Reitz, ..Sprijche geklopft", in: Capital, 16/2006, S. 46-47.

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Page 120: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

sellschaften der deutschen Retail Banken verwalteten 2004 nur noch etwa drei Viertel

des gesamten Aniagenvolumens in Publikums- und Spezialfonds.

Fallbeispiel: Vertrieb der Fonds von Fidelity Investments durch Retail Banken Das amerikanische Unternehmen Fidelity Investments ist die grollte Fondsgesellschaft der Welt. In den 80er Jahren erfolgte durch Eroffnung des ersten Buros in GroHbritannien der Eintritt in den europaischen Markt. Inzwischen hat Fidelity Investments mit jahrlichen Mittelzuflussen von ca. 9 Mrd. Euro eine Spitzenposition im europaischen Fondsmarkt erreicht, obwohl die Gesellschaft ijber keine eigene Retail Bank verfiigt. Der Absatz wird durch eine Vertriebskooperation mit der Deutschen Bank unterstutzt; zusStzlich werden die Produkte iiber unabhangige Retail Banken und FundsNetwork, einem Internet-Marktplatz fur Kapitalanlagen, vertrieben. Etwa zwei Drittel der Produkte werden uber unabhangige Retail Banken verkauft. Durch unabhangige Performancebe-urteilungen mit herausragenden Ergebnissen haben die Produkte der Fondsgesellschaft eine ho-he Nachfrage geweckt. Produktentwicklung und Marketing sind auf wenige Produkte fokussiert. Das Kernprodukt, der Fidelity European Growth Fund hat in den unabhangigen Fondsbewertun-gen eine fuhrende Rolle und ist mit einem Aniagevolumen von etwa 15 Mrd. einer der groliten Fonds weltweit."* ^

Die vertikale Integration von Fondsgeschaft und Vertrieb entspricht dem KalkOI der Retail Bank, die bestehenden Kundenkontakte zur Promotion eines eigenen Fondsgeschaftes zu nutzen. Fur eine unabhangige Fondsgesellschaft ohne anbieterneutralen Vertriebska-nal ist es ungleich schwerer, einen entsprechenden Marktanteil zu erreichen. Bin wesent-licher Grund fiir das Aufbrechen vertikalen Strukturen liegt in der abnehmenden Wahr-nehmung der Bank als neutraler Beratungspartner bzw. in der Etablierung einer unab­hangigen FInanzberatung. Entgegen den Trends bei der Wertpapierabwicklung und des Zahlungsverkehrs sind GroBen- bzw. Kostenvorteile nicht die Ursache der zunehmenden horizontalen Organisa­tion des Fondsgeschaftes. Die fuhrenden Anbieter hatten in den wesentlichen Funktionen bereits eine hinreichende GroRe erreicht. HIerbei ist in Betracht zu Ziehen, dass die Kern-prozesse einer Fondsgesellschaft, Produktentwicklung und strategisches Fondsmanage-ment, stark personengetrieben sind und insofern keine signifikanten GroSenvorteile bie-ten, wahrend die operativen Arbeitsschritte teilweise von externen Anbietern erbracht werden und wenig personaiintensiv sind.

Die Konsequenzen der strukturellen Veranderung fuhren in erster Linie bei den Fondsge-sellschaften zu einer Beeintrachtigung des Geschafts. Der Umsatz der Fondsgesellschaft ergibt sich aus der Verwaltungsvergutung bzw. der Managementgebuhr von etwa 1-2%, die auf die Anteilsbestande der Anieger erhoben wird. Ein Teil der Gebuhr wird an den Vertriebspartner iiberwiesen, der den Fonds verkauft hat. Die Einnahmen der Fondsge­sellschaft sind somit proportional zum Marktanteil. Da die Kostenstruktur der Fondsge­sellschaft in erster NSherung unabhangig von dem Marktanteil ihrer Produkte ist, wurde sich die Rentabilitat des Fondsgeschaftes verschlechtern, falls durch Wegfall der Ver-triebspromotion Marktanteile eingebulit werden.

^® Vgl. ..Fidelity grundet deutsche KAG", in: F/A2, 11.2.2005, und „Templeton Growth Fund erfullt die Erwar-tungen", in: Handelsblatt, 6.9.2004.

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Fur die Rentabilitat der Retail Bank ist die Dekomposition vertikaler Integration im Fonds-

geschaft hingegen in erster Linie neutral. Der Ausgabeaufschlag, den der Vertrieb bzw.

die Retailbank zur Kompensation ihres Aufwandes einbehalt, wird in vielen Fallen von der

Retailbank festgelegt und ist unabhangig von der Art oder dem Anbieter des verkauften

Fonds. Fur die Retail Bank ist es innerhalb einer bestimmten Fondskategorie somit uner-

heblich, von welchenn Anbieter ein Fondsprodukt verkauft wird.

4.6 Zusammenfassung Im Privatkundengeschaft vollzieht sich eine Dekonstruktion der Wertschopfungskette, bei der die vertikal aufgestellte Retail Bank durch spezialisierte, horizontal integrierte Anbie-termodelle verdrangt wird. Die hierbei treibenden Krafte sind einerseits die Jndustrialisie-rung" bzw. Grolienvorteile im Transaction Banking, die sich mit zunehmender Digitalisie-rung und Entpersonalisierung der Abwicklung ergeben. Zusatzlich verspricht das Out­sourcing im Transaction Banking eine Variabilislerung der Fixkosten, eine Vemneidung hoher IT-lnvestitionen, eine schnellere Abarbeitung der Auftrage sowie eine hdhere Ser-vicequalitat.

Ein anderer Grund liegt auf der Kundenseite. Das ehemalige Hausbank-Prinzip, nach dem ein Kunde alle wesentlichen Leistungen von einem Anbieter bzw. seiner Hausbank bezieht, ist durch eine selektive Nachfrage und Beschaffung von FInanzdienstleistungen abgelost worden. Weiterhin ist durch das Aufkommen unabhangiger Finanzberatung die Rolle der Retail Banken zuruckgedrangt und deren Glaubwurdigkeit nicht mehr in vollem Umfang anerkannt. Das Finanzgeschaft basiert somit nicht mehr auf einem Vertrauens-verhaltnis zwischen Kunde und Bank, sondern stellt eine Einkaufssituation dar, in welcher der Kunde gezielt mehrere Anbieter vergleicht und schlieRllch anhand bestimmter Krite-rien eine Entscheidung trifft. Entsprechend ist jeder Anbieter darauf angewiesen, in sei-nen Kernprozessen eine Best in class-Performance zu erreichen und Wettbewerbs-nachteile durch hohe Prozesskosten zu vermeiden. Diese Bedingungen sind im Rahmen des traditionellen Gemischtwarenmodells der Retail Bank nicht mehr zu erfullen. Speziell bezogen auf das Fondsgeschaft reflektiert der partielle Riickgang der vertikalen Integration von Fondsmanagement und Vertrieb das gewandelte Verhaltnis des Kunden zu seiner Bank und ist weniger das Ergebnis einer aktiven Vertriebsstrategie der Anbie­ter. Aufgrund der zunehmenden Markttransparenz und dem Aufkommen unabhangiger Fondsbewertungen ist der Kunde immer weniger bereit, nur aufgrund der Bindung an sei­ne Hausbank auf das komplette Fondsangebot des Marktes zu verzichten. Die Kaufent-scheidung wird zusehends unabhangigen Finanzberatern iibertragen bzw. in Eigenleis-tung erbracht. Hierbei hat sich durchgesetzt, eine objektive Bewertung von Fonds ma(i-geblich in die Kaufentscheidung mit einzubeziehen. Der Trend zur unabhangigen Bera-tung erzwingt mehr und mehr eine Transformation des von Anbieterinteressen geleiteten Geschaftsmodells in eine sich an den Kundenbedurfnissen orientierende Spezialisierung.

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Page 122: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

5. Wertschopfungskette Pharmazeutika

5.1 Darstellung der Wertschopfungskette Die pharmazeutische Industrie hat sich auf die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung

von Medikamenten spezialisiert. In den letzten 30 Jahren hat aufgrund der Erhohung der

Wettbewerbsintensitat eine verstarkte Konsolidierung eingesetzt, die zu einer deutlichen

Reduzierung des Anbieterfeldes gefuhrt hat, so dass die zehn umsatzstarksten Pharma-

unternehmen bereits einen Marktanteil von etwa 50% abdecken. Durch Akquisitionen und

Fusionen verfolgen die Unternehmen die Zielsetzung, Kostensynergien zu erschlieBen

und die Anzahl der sich noch in Forschung und Entwicklung befindlichen Produkte bzw.

ihre ..Pipeline" zu erweitern. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Forschungs- und Ent-

wicklungskosten von bis zu 1 Mrd. US Dollar fur ein neues Medikament fokussieren die

Unternehmen auf bestimmte Indikationsfelder und die Herausbildung umsatzstarker Pro­

dukte, die sogenannten ..Blockbuster". Forschung, Entwicklung und Marketing stellen die

Kernkompetenzen eines Pharmaunternehmens dar (Abbildung 25).

Abbildung 25: Wertschopfungskette der Pharmabranche mit Abdeckung durch ver-schiedene Anbietermodelle

Pharmazeutische Praparate sind bis zu 20 Jahre nach Anmeldung patentrechtlich ge-schijtzt und ermoglichen den Pharmaunternehmen die Abschopfung von Monopolrendi-ten. Der Anbieter von Generika (Nachahmermedikamente) vermarktet hingegen etablierte Praparate nach Ablauf des Patentschutzes und verzichtet weitgehend auf eigene For­schungs- und Entwicklungsaktivitaten. Die uberwiegende Anzahl der Pharmafirmen kon-zentriert sich entweder auf das Geschaft mit patentgeschutzten Praparaten oder das Ge-

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nerikageschaft; insofern stellen Merck KGaA (Merck Dura) und Novartis (Sandoz, Eon Labs, Hexal) mit parallelen Pharma- und Generikasparten Ausnahmen dar. Bei Auslaufen des Patentschutzes eigener Praparate, fiir deren Herstellung eigene Kapazitaten vor-gehalten werden, wird die Vermarktung von den Pharmaunternehmen allerdings in vielen Fallen auch weitergefuhrt.

Die aufwendige Zulassung bestehend aus praklinischen und klinischen Anwendungstests - in der Abbildung nicht separat berucksichtigt - wird vornehmlich durch die Pharmaunter­nehmen gemanagt und koordiniert, welche die Tests in Kooperation mit spezialisierten Labors und Kliniken durchfuhren. Nur in Einzelfallen wird die Zulassung vollstandig an externe Kooperationspartner vergeben. Entwicklung und die Vorbereitung der Zulassung erfolgen parallel, um nach Erteilung der Zulassung unmittelbar die Vermarktung initiieren zu konnen. Die Produktion erfolgt noch uberwiegend durch die Pharmaunternehmen mit eigenen Kapazitaten. Der seit den 90er Jahren anhaltende Trend weist in Richtung einer weitergehenden Auslagerung an Lohnproduzenten.

Nach Zulassung eines Praparates durch die Zulassungsbehorden erfolgt die Vermark­tung. Der Absatz wird vornehmlich durch den Aufiendienst der Pharmaunternehmen un-terstijtzt, der die Arzte uber die Leistungen und Anwendungsmoglichkeiten des neuen Medikamentes informiert und ggf. wahrend der Markteinfuhrung eine Anwendungsbeo-bachtung durchfuhrt. Die Indikation nimmt in der Regel der Hausarzt vor, der in vielen Fallen die Therapie einschlieBlich der Auswahl und Verschreibung des pharmazeutischen Praparats an einen Facharzt delegiert. Wahrend die verschreibungspflichtigen Praparate nur gegen Vorlage eines Rezeptes verkauft werden durfen und somit eine Verschreibung der Arztes erfordern, konnen die nicht verschreibungspflichtigen Praparate bzw. OTC-Praparate (over the counter) ohne Reglementierung von den Apotheken abgegeben wer­den. Hinsichtlich der Verschreibungskompetenz zeichnet sich eine Einschrankung der Ent-scheidung des Arztes durch den Gesetzgeber, die Krankenversicherung und nicht zuletzt auch des Patienten ab, die eine zunehmende Kostensensitivitat entwickein und Regle-mentierungen installieren. Der Gesetzgeber versucht eine Verschreibung der teuren ethi-schen Praparate zu unterbinden, falls aquivalente Generikapraparate vorliegen und kein substantieller Mehrwert gegenuber dem Generikum vorliegt (z. B. aut idem-Substitution, Negativ-ZPositivlisten).'' ^ Der Handel mit pharmazeutischen Praparaten erfolgt durch Pharmagrolihandler und Apo­theken. Der europaische Handel zwischen Pharmaunternehmen und Apotheke wird groB-tenteils uber spezialisierte PharmagroRhandler abgewickelt; ein geringer Anteil durch Dl-rektbelieferung der Apotheken abgedeckt. ^°

Zur Regulierung vgl. A. Jacker, „Deregulierung der Preisbildung fiir Arzneimitter, in: Die Pharmazeuti-sche Industrie (2004), Vol. 66, Nr. 11, S. 1306-1309. ®° Zur Verringerung der Ausnutzung internationaler Preisdifferenzen und der Kontrolle von Plagiatware hat-

te Pfizer 2005 in Deutschland versucht, in den Grofihandel vorzuintegrieren. Die Plane wurden aufgrund der begrenzten Kooperationsbereitschaft der Grofihandler wieder aufgegeben. Vgl. H. Martens, „Kontrolle ijberjede Pille", in: Der Spiegel, 33/2005, S. 71.

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Seit den 80er Jahren hat im europaischen GroBhandel eine zunehmende Konsolidierung

eingesetzt. Inzwischen kontrollieren die Grofihandler Celesio (Gehe), Alliance UniChem

und Phoenix uber 50% des Marktes. Parallel ist der GroBhandel durch die Akquisition und

die Eroffnung von Apotheken in den Einzelhandel vorintegriert.^^^ Die Apotheke bzw. der

Einzelhandel ist - auBer im OTC-Markt der nicht verschreibungspflichtigen Praparate - nur

begrenzt in die Kaufentscheidung der Patienten einbezogen und primar als Ausgabestelle

mit hoher raumlicher und zeitlicher Versorgungsdichte einzustufen. Die historische Funk-

tion der Wirkstoffformulierung und Zubereitung haben die Apotheken eingebulit. Beide

Aktivitaten werden heute von den Pharmaunternehmen abgedeckt.

In Bezug auf die vertikale Integration wird auf die Erganzung eigener Forschungs- und

Entwicklungsaktivitaten (Abschnitt 5.2), die Entflechtung von Pharma und Chemie im Be-

reich der Standortbewirtschaftung (Abschnitt 5.3) und die partielle Fremdvergabe der

Produktion (Abschnitt 5.4) eingegangen. Im Bereich der Leistungsverwertung werden die

intensive Abdeckung der Wertschopfungsstufe Marketing durch die Pharmaunternehmen

(Abschnitt 5.5) und die Bestrebungen der Stakeholder im Gesundheitssystem themati-

siert, auf die Therapie bzw. den Trager der Kaufentscheidung Einfluss zu nehmen (Ab­

schnitt 5.6).

5.2 Erganzung eigener Forschungsaktivitaten Forschung und Entwicklung gehoren neben der Vermarktung zu den Kernkompetenzen eines Phamiaunternehmens. Die hohe Bedeutung dieser Wertschopfungsstufen wird durch den im Vergleich mit anderen Branchen uberdurchschnittlich hohen Umsatzanteil von etwa 15% signalisiert.^®^ Auf Basis der eigenen Forschungsergebnisse kann die kommerzielle Anwendung durch Patentierung geschutzt werden. Ein exklusives Nut-zungsrecht verschafft dem Anbieter ein Vermarktungsmonopol fur seine Praparate, wo-durch wirkungsvolle Eintrittshurden aufgebaut und attraktive Deckungsbeitrage erzielt werden konnen. Bei Auslaufen des Patentes setzt entsprechend ein schneller Preisverfall ein und Generikaanbieter drangen in den Markt.^^^ Das Gewinnpotenzial patentgeschutz-ter Medikamente wird durch die Differenz der Umsatzrenditen von Pharmaunternehmen gegenuber den Anbietern von Generika deutlich: Die durchschnittliche Umsatzrendite ei­nes Pharmaunternehmens betragt ca. 15% und weist das Pharmageschaft als eine der rentabelsten Industrien aus. Im Jahr 2004 hat die Pharmaindustrie mit 18% die hochste

^^ Vgl. M. Bruckner, D. Schiirbuscher, M. Barwig, „DJe Zukunft der Europaischen Arzneimitteldistribution", in: Die Pharmazeutische Industrie (2002), Vol. 64, Nr. 8, S. 727-732, und „Richtig aniocken", in: Wirt-schaftswoche, S. 39-46. ® Vgl. S. Hofmann, „Pharmabranche hofft auf ein Ende des Wettlaufs Im Aufiendienst", in: Handelsblatt,

14.2.2005, und vom selben Autor „Pharmakonzern miissen ihre Kostenstruktur iiberprufen", in: Handels­blatt, 12.1.2004. ^" Vgl. D. Buchberger, A. Jacker, „Zur Funktion und Bedeutung des Generika-Wettbewerbs", in: Die Phar­mazeutische Industrie (2004), Vol. 66, Nr. 5, S. 516-521.

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Durchschnittsrendite aller Branchen erzielt. Fur die Produzenten von Generika ergibt sich hingegen eine durchschnittliche Umsatzrendite von ca. 10%. " Vor dem Hintergrund der unzureichenden Ergebnisse der eigenen Forschung und Ent-wicklung und der groRen Anzahl potenzieller externer Forschungspartner sind die Phar-maunternehmen dazu ubergegangen, ihre internen Aktivitaten mehr und mehr durch Ko-operationen zu erganzen, so dass formal von einer partiellen vertikalen Integration ge-sprochen werden kann. Aus Sicht der Pharmaunternehmen ist eine Kooperation mit inno-vativen Biotechnologiefirmen unerlasslich, da diese in vielen Fallen iiber Technologien verfugen, die langfristig das Kerngeschaft der etablierten Pharmaunternehmen bedro-hen. ® Im Bereich der biotechnologischen Praparate machen die einlizenslerten Projekte bereits etwa zwei Drittel des gesamten Projektportfolios der Phannaunternehmen aus. Die Erganzung der eigenen Aktivitaten kann entweder in Form einer Akquisition des ge­samten Unternehmens, eines Produktbereiches Oder einer punktuellen Kooperation erfol-gen. Ein kleiner Teil der Unternehmen ist von den Pharmaunternehmen akquiriert wor-den, wie z. B. Genentech durch Roche Oder Warner-Lambert durch Pfizer. Insgesamt u-berwiegt das Model! der Kooperation in der Zusammenarbeit zwischen Pharmaunter­nehmen und Forschungspartner.

Bei einer Kooperation erhalt das Pharmaunternehmen in der Regel die exkluslven Ver-marktungsrechte und ubernlmmt die Entwicklung und die Zulassung. In den uberwiegen-den Fallen werden heute Modelle gewahit, bei denen sowohl das Pharmaunternehmen, als auch der Forschungspartner an den Eriosen und den Entwicklungsrisiken des Produk-tes beteiligt sind. Die Biotechnologiefirma beschrankt sIch auf ihre Kernkompetenz im Be­reich der Forschung und bekommt am Anfang und bei Erreichen definierter Entwick-lungsstufen Zahlungen und einen Anteil an den Umsatzen bzw. am Gewinn nach Markt-einfuhrung des Produktes. ^^ Die Schaffung von Quasimonopolen fur bestimmte Medikamente bzw. Therapien auf Grundlage einer starken Patentposition stellt den wesentlichen Grund der Beibehaltung eigener Forschungs- und Entwicklungskapazitaten dar. Potenzielle Kostenvorteile oder Synergien durch Kombination von Forschung, Entwicklung und Produktion konnen ver-nachlassigt werden. Beide Stufen konnen in der Regel durch Pharmaunternehmen im Vergleich zu unabhangigen Anbietern nicht kostengunstiger erbracht werden; im Ver-gleich zur universitaren bzw. offentlichen Forschung ist die industrielle Forschung auf-grund der anderen Personalkostenstruktur sogar mit hoheren Aufwendungen verbunden. Eine vollstandige Umstellung auf die Einlizensierung extern entwickelter Forschungs- und Entwicklungsergebnisse wird nur in Ausnahmefallen angestrebt, da die Aufgabe eigener Forschung einen hohen Kompetenzverlust bedeuten und die Verhandlungsposition beim

Vgl. C. A. Bartlett, S. Ghoshal, ..Going global. Lessons from late movers", S. 135, Harvard Business Re­view, Marz/April 2000, S. 132-142; S. Hofmann, „Pfizer setzt die Branche unter Zugzwang", in: Handels-blatt, 13.4.2005; und den Branchenvergleich in Fortune, 5.4.2004, F-44 sowie Fortune, 15.7.2005, F-24. ^" Vgl. H. Pad, R. Mohr, M. Hartmann, „Das forschende Pharmaunternehmen der Zukunft als wertorientier-tes Netzwerk", in: Pharmazeutisclie Industrie, Vol. 67. Nr. 9, S. 1003-1007, 2005. ^^ Vgl. M. G. Edwards, F. Murray und R. Yu, „Value creation and sharing among universities, biotechnology and pharma", in: Nature Biotechnology, Vol. 21, June 2003, S. 618-624.

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Erwerb von Lizenzen schwachen wijrde. Der Markt fur Entwicklungsprojekte bzw. Pro-

duktkandidaten ist seit dem Aufkommen der reinen Entwicklungsfirmen, den sogenannten

NRDO's (no research, development only), auch stark umkSmpft, so dass die Abhangig-

keit vom Markt bei Einstellung der eigenen Forschung deutlich anstiege.^®''

Das Anbieterfeld an Kooperationspartnern hat sich fur die groRen Pharmaunternehmen in

den 90er Jahren durch die Neugrundung innovativer Forschungsunternehmen stark er-

weitert. Die jungen Forschungsunternehmen sind in vielen Fallen Ausgrundungen von U-

niversitaten oder offentlichen Forschungsinstituten, die ihre Technologien im Bereich der

Gentechnik und Biotechnologie vermarkten. Die ..Startups" finanzieren sich durch Auf-

tragsforschung fur die etablierten Pharmaunternehmen, Private Equity oder beschaffen

sich durch einen Borsengang Liquiditat.^^^

Die Blotechnologiefirmen sind an einer Lizenzierung ihrer Produktkandidaten an groBe

Pharmaunternehmen interessiert bzw. angewiesen, da die Vorintegration in die eigene

Vermarktung eine hohe Kompetenz und erhebliche finanzielle Mittel voraussetzt. Beide

Anforderungen konnen von einer Vielzahl der jungen Blotechnologiefirmen nicht aus ei-

gener Kraft bewaltigt werden. Eine Vorintegration bzw. die Transformation in ein vertikal

integriertes Phannaunternehmen wird nur von einem kleinen Tell der Unternehmen in Be-

tracht gezogen.""^^

Failbeispiel: Vorintegration in die Vermarktung von IVIillennium Pharmaceuticals Das amerikanische Forschungsunternehmen Millennium Pharmaceuticals war in 1993 gegrundet worden und hatte sich auf die genomische Analyse von Erbgut zur Identifikation innovativer pharmazeutischer Produkte speziallsiert. Neben Forschungsauftragen von u.a. Ell Lilly, Monsanto und Bayer hat das Unternehmen auch eigene diagnostische Tests und Produkte vermarktet. Die langfrlstige Strategie sieht vor, die Einnahmen aus dem Pharmageschaft und die Gewinne aus dem Dienstleistungsgeschaft in den Aufbau einer eigenen Patentposition bzw. eines eigenen Produktportfolios zu Investleren und sich zu eInem vertikal integrierten Pharmaunternehmen zu entwickeln. M. Levin, der Grunder und CEO von Millennium Phamriaceuticals, fuhrt aus: "At first, we were more or less contract researchers: in return for investment in our R&D, we gave away ownership of any targets we identified, retaining only a royalty Interest [...] But as we've begun to move down the value chain, we've changed the nature of these partnerships, retaining more control over the products of our research. Many of our partnerships now are 50-50 alliances, and instead of just equity investment and R&D support, we're getting an ownership stake in products. At the same

^ ^ Vgl. K. A. Thiel, "Goodbye Columbus! New NFDOs forego discovery", in: Nature Biotechnology, Vol. 22, S. 1087-1092. ^ ° Zur Option der Einlizensierung von Wirkstoffen bzw. von Kandidaten in bestimmten Entwicklungsstufen aus Sicht der Pharmaindustrie vgl. M. Aitken, S. Baskaran, E. Lamarre, M. Silber, S. Waters, „A license to cure", In: McKinsey Quarterly, 2000, Nr. 1, S.80-99. ^ ^ Vgl. M. Bhandar, R. Garg, R. Glassman, P. C. Ma, R. W. Zemmel, "A genetic revolution in health care", in: McKinsey Quaterly, 199, Vol. 4, S. 58-67; T. Abate, The Biotech Investor, New York 2003; D. Rasnick, "The biotechnology bubble", in: Nature Biotechnology, Vol. 21, S. 355-356, und B. O'Reilly, "There's still gold in them thar pills", in: Fortune, 9.7.2001.

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time, we're also involved in downstream development and marketing [...] Our long term strategy, however, is to move beyond having a 50% stake in our products to owning them 100%." °

5.3 Entfiechtung von Pharma und Chemie

Die Restrukturierung der pharmazeutischen Industrie hat neben der Konsolidierung des

Anbieterfeldes in den letzten 30 Jahren zu einer Auflosung der historisch gewachsenen,

horizontalen Integration mit der chemischen Industrie gefuhrt: Ein GroBteil der traditionel-

len Pharma- und Chenniekonglomerate hatte verschiedene industrielle Markte bedient, die

durch Synergien in der Produktion verbunden waren, im Hinblick auf Abnehmerlndustrie

und Anwendung jedoch groRe Unterschiede aufwiesen. Im Rahmen der Restrukturierung

zeichnet sich eine zunehmende Spezialisierung der Unternehmen auf das Pharma- Oder

das Chemiegeschaft ab.

Fallbeispiel: Entfiechtung von Pharma und Chemie Seit den 90er Jahren hat bei den Pharma- und Chemiekonzernen eIne Entwicklung eingesetzt, den zunehmend unterschiedlichen GeschSftsanforderungen auch gesellschafts- und eigentums-rechtlich Rechnung zu tragen. Der Trend zeigt sich bei nahezu alien fruheren Pharma- und Che-miekonglomeraten: Das britische Unternehmen ICI spaltete 1993 mit Zeneca seine Spezlalche-mle, Pharma- und Agrosparte ab, die wiederum nach Frelsetzung der Spezialchemie unter dem Namen Avecia mit dem schwedischen Pharmaunternehmen Astra zu AstraZeneca fusionierte. In der Schweiz wurden Ciby-Geigy und Sandoz 1996 zu dem Pharmakonzem Novartis zusammen-gelegt. Die Pflanzenschutzsparte von Novartis wurde spater mit der Pflanzenschutzsparte von AstraZeneca zu Syngenta fusioniert. Das amerikanlsche Untemehmen DuPont hat sein Pharma-geschaft an Bristol Myers Squibb abgegeben. BASF hat seine Pharmaaktivitaten 2001 an Abbott Laboratories verkauft. ' ^ Das Schweizer Unternehmen Roche hat sich durch den Verkauf des Vi-tamingeschaftes an DSM, der OTC-Produkte an Bayer und der Abspaltung der Aromachemikalien (Givaudan) auf das Pharmageschaft konzentriert. Hoechst hatte seine Geschafte in den 90er Jah­ren u.a. in Aventis Pharma, Aventis Crop Science und mehrere Chemiefimrien aufgeteilt. Bayer hatte mit der Abspaltung von Lanxess einen Teil seiner Chemieaktivitaten abgegeben, halt jedoch an seiner Holdlng-Strategie mit Chemie- und Pharmaaktivitaten fest. Durch die Obernah-me von Sobering 2006 ist das Pharmageschaft weiter gestarkt worden. Auch Altana, Merck KGaA und die belgischen Untemehmen Akzo und Solvay verfugen noch uber Chemie- und Pharmaakti­vitaten, die jedoch organisatorisch voneinander getrennt sind.

Die Dekomposition der horizontalen Integration von Pharma- und Chemieaktivitaten hat

verschiedene Ursachen. Beide Geschafte weisen unterschiedliche Rahmenbedlngungen

auf: Das Pharmageschaft beruht auf patentgeschutzten Produkten mit hohen Margen, mit

denen die aufwendige und risikoreiche Erforschung und Entwicklung von Medikamenten

refinanziert wird, und erfordert fur den Vertrieb eine spezifische Marketingkompetenz.

Das Chemiegeschaft - mit Ausnahme der Spezialchemie - ist hingegen durch eher mittle-

re Margen und eine geringe Differenzierung der Anbieter charakterisiert. Der Wettbewerb

Vgl. D. Champion, ..Mastering the value chain", Interview mit M. Levin, in: Harvard Business Review, June 2001, S. 108-115. T. Abate, The Biotech Investor, New York 2003, S. 54-55, und L. Clifford, B. O'Keefe, D. Stires, .,A new prescription for your portfolio", in: Fortune, 9.7.2001. ^ ^ Vgl. W. Abelshauser. ..Die BASF seit der NeugriJndung von 1952", S. 611fg., in: W. Abelshauser (Hrsg.), Die BASF. Eine Untemehmensgeschichte, Munchen 2002.

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Page 128: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

innerhalb der chemjschen Industrie ist zu einem ungleich grolieren Anteil durch die Kos-tenposition der Anbieter in der Herstellung charakterisiert, die in der pharmazeutischen Industrie nur eine untergeordnete Bedeutung spielt. Weiterhin sind die integrierten Phar-ma- und Chemiekonglomerate wegen ihrer unterschiedlichen Renditen von Seiten des Kapitalmarktes in die Kritik geraten. Mit der Ausrichtung der Unternehmensziele an dem angelsachsischen Shareholder Value-Konzept In den 90er Jahren wurden die Chemieak-tivitaten zunehmend als Verwasserung des attraktiven Phamiageschaftes angesehen. Bei der Entflechtung der Konglomerate auf gesellschaftsrechtlicher Ebene und der Fo-kussierung des Managements wird ein Verlust der Produktionssynergien vermieden, in-dem die ehemals im Konzernverbund integrierten Chemiestandorte gesellschaftsrechtlich ausgegliedert und in offene Chemieparks umgewandelt werden.""^^ Die I nfrastruktu ran la-gen des Standortes werden in eine neue Gesellschaft uberfuhrt, an der die ehemaligen Konzernunternehmen und heutigen Hauptnutzer bzw. Kunden des Standortes in der Re-gel die Mehrheitsanteile halten.

Im Industriepark sind gegenuber dem ruckintegrierten Pharmaunternehmen die Finanzie-rung, die Bereitstellung und das Management der Standortinfrastruktur von der Nutzung bzw. der Produktion entkoppelt. Die Standortgesellschaft ubernimmt als Dienstleister den Betrieb der Aniagen und den Einkauf der Basisrohstoffe und vermarktet diese gegenuber den am Standort ansassigen Unternehmen.

Die Unternehmen am Standort kdnnen sich bei umfassender Versorgung durch den Standortdienstleister voll auf ihre Kernkompetenzen fokussieren, wobei die GrdSen- und Verb und vorteile der gemelnsam genutzten Standortanlagen erhalten bleiben. Gegenuber einem konzerneigenen Standort ist der Verkauf und die Neuansiedlung von Unterneh­men, die fur den langfristigen Erhalt der Produktionsstandorte unerlasslich sind, deutlich erieichtert. Im integrierten Chemie- und Pharmaverbundstandort Ist hingegen eine hohe Auslastung vor dem Hintergrund der haufigen Des- und Investitionen kaum noch zu be-werkstelligen.

Fallbeispiel: Standortmanagement der Infraserv / Industriepark Frankfurt-Hdchst Der Frankfurter Pharma- und Chemiekonzern Hoechst hatte 1994 die Reorganisation des integ­rierten Konzerns in eine Managementholding mit rechtlich selbstandigen Geschaftseinheiten be-schlossen. Die Entbundelung reflektierte primar die zunehmende Differenzierung der einzelnen Geschafte. Bei der Reorganisation 1998 wurde zum Erhalt der Produktionssynergien die Infraserv als Standortgesellschaft gegrundet, die fur die ausgegliederten Pharma- und Chemiefimien (u.a. Aventis CropSclence, Aventis Pharma, Celanese, Clariant, DyStar, Ticona) die Standort- und Inf-rastrukturdlenstleistungen ubernommen hat. Das Leistungsspektrum umfasst Energie-, Wanne-und Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, logistische und technische Dienstleistungen und Facility Management.

Das Konzept eines Chemieparks war auch fiir die ehemaligen Chemie-Kombinate Bitterfeld-Wolfen, Bu­na und Leuna entworfen worden. Zielsetzung war die Schaffung eines wettbewerbsfahigen Angebots an Infrastruktur- und Servicedienstleistungen und die Weiterentwicklung der Standorte durch Ansiedlung neuer Unternehmen. Vgl. H. Derlien, T. Faupel und C. Nieters, Jndustriestandort mit Vorbildfunktion? Das ost-deutsche Chemiedreieck" (Diskussionspapier), Wissenschaftszentrum Berlin fur Sozialforschung, For-schungsschwerpunkt Marktprozess und Unternehmensentwicklung, November 1999.

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Page 129: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Im Rahmen der Offnung des Industrieparks fur unabhangige Dritte bzw. Neuansiedlungen wird heute ein Komplett-Service angeboten. Nach dem Modell des Equity Lease werden Neugrundun-gen unentgeltlich Labor- und Buroraum zur Verfugung gestellt und zusatzliche Standortdienstleis-tungen angeboten. Zur Kompensation ubernimmt die Infraserv Anteile an dem neuen Unterneh-men und tragt einen Teil des unternehmerischen Risikos. Fur die Bewirtschaftung des ehemali-gen Hoechst Konzernbetriebes in Knapsack bei Koln wurde die Infraserv Knapsack gegrundet.'' ^ Analog hatte die fruhere Degussa-Huls in den 90er Jahren das Standortmanagement fur die Standorte Marl und Wolfgang bei Frankfurt in Form der Infracor gesellschaftsrechtlich ausgeglle-dert. Ebenso hat die BASF auf ihren Standorten in Ludwigshafen und Schwarzheide andere Un-ternehmen angesiedelt, um die Infrastruktur besser auszulasten. ''''

5.4 Partielle Fremdvergabe der Wirkstoffproduktion Die Einbeziehung externer Partner fur die Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe war durch regulatorische Vorgaben der amerikanischen Zulassungsbehorde FDA bis Mitte der 90er Jahre stark eingeschrankt. Fur die Durchfuhrung der Zulassungstests musste das Klinikmuster aus der Aniage stammen, die auch fur die spatere kommerzielle Produktion vorgesehen war. Dies zwang die Unternehmen nicht nur, trotz des hohen Ausfallrisikos bereits eine Aniage mit dem vollen Produktionsmafistab zu bauen, sondern erschwerte auch die Einbeziehung von Lohnproduzenten. Die Zulassung des Medikamentes war in den meisten Fallen an eine bestimmte Aniage gebunden. Die initiate Zusammenarbeit mit einem externem Partner zu einem sehrfruhen Zeitpunkt wurde von den meisten Pharma-unternehmen abgelehnt, da diese eine hohe Abhangigkeit, als auch die Weitergabe kriti-schen WIssens bedeutet hatte.

Erst eine Richtlinie der FDA eriaubte ab 1995 eine Abkopplung der Herstellung klinischer Praparate von der spateren Herstellung in der kommerziellen Aniage.'"' ^ Seitdem werden von den Pharmaunternehmen fur die Produktion der pharmazeutischen Wirkstoffe teil-weise externe Dienstleister einbezogen. Es hat sich ein spezialisiertes Anbieterfeld bzw. eine Zuliefererindustrie herausgebildet, die primar durch Ausgliederung aus den groRen Pharma- und Chemiekonzernen entstanden ist und durch Ubernahme ausgegliederter Kapazitaten der Pharmaunternehmen Kompetenzen und Auftragsvolumen akquirlert.''^^ Hierbei kann zwischen Anbietern unterschieden werden, die sich auf Zwischenprodukte Oder den finalen Wirkstoff spezialisiert haben. Mit der Fremdvergabe wird von den Pharmaunternehmen eine Senkung der Herstellkos-ten angestrebt, die von den unabhangigen Lohnproduzenten durch eine hohere durch-

^ ^ Vgl. S. Seurjng, H. Max, ..Standortdienstieistungen in der chemischen Industrie", in: Nachrichten aus der Chemie, Vol. 49, Juli/August2001, S. 928-929; „Ein Standort mit Komplett-Service", in: FAZ, 9.6.2004. Eine Oberslcht ijber die Standortmodelle in Deutschland gibt H. G. Hauthal, „Der Park - Raum fur Dynamik und Wettbewerb", in: Nachrichten aus der Chemie, Vol. 49, Oktober 2001, S. 1201-1203. ^ ^ Vgl. A. Alperowicz, „BASF. Building a stronger Brand in Chemicals", S. 19, in: chemweel<, 2.2.2005, S. 17-20. ^ ^ Vgl. H. Allgeier, "Rote Biotechnologie im 21. Jahrhundert", S. 160, 163, in: Pharmazeutische Industrie, Vol. 68 (2006), Nr. 2, S. 157-169. ^ ^ Vgl. A. M. Rouhi, „Custom Chemicals", in: C&EN, 19.1.2004, S. 25-50. Eine Darstellung der Pharmazu-lieferer und der Produktionsstrategien der fijhrenden Pharmaunternehmen in der fruhen Phase des Out­sourcing-Trends in den 90er Jahren findet sich in E. Polastro, „Pharmaceuticals", in: Performance Chemi­cals Europe (PCE), Vol. 15. May/June 2000, S. 19-23.

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Page 130: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

schnittliche Auslastung der Kapazitaten realisiert werden kann.^^^ Wahrend die Kapazita-ten eines Pharmaunternehmens in der Regel nur fiir die eigenen Wirkstoffe eingesetzt werden, eriaubt die unabhangige Positionierung der Aniagen eine breitere Verwendung. Eine Sicherstellung der Auslastung ist insbesondere vor dem Hintergrund des wachsen-den Wirkstoffbedarfs wahrend der Entwicklungsphase zu sehen, wie auch denfi hohen Ausfallrisiko im Forschungs- und Entwicklungsprozess: Die Entwicklung der meisten Wirkstoffkandidaten wird nicht abgeschlossen, entweder weil sich verwandte Substanzen als effizienter erweisen oder in Tierversuchen bzw. klinischen Tests Nebenwirkungen auf-treten. Entsprechend haben die Lohnproduzenten bei Neuinvestition fast ausschlielilich auf flexible Mehrzweckanlagen umgestellt, die fur die Herstellung eines breiten Spekt-rums an Wirkstoffen einsetzbar sind. Zudem ist es aufgrund der Technologieentwicklung im Bereich der Produktion nicht mehr realistisch, fur die verschiedenen Herstellverfahren eine kritische Masse zu erreichen, so dass sich je nach den individuellen Herstellungsan-forderungen eines Wirkstoffes die Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Funktionsspezia-listen anbietet.

Exkurs: Anbieterfeid fur die biotechnologische Produktion von Wirkstoffen Die Pharmaunternehmen Genentech, Biogen, Wyeth und Boehringer Ingelheim sowie die Phar-mazulieferer DSM und Diosynth (Akzo Nobel) haben sich auf die biotechnologische Herstellung von Wirkstoffen (Antikorper) spezialisiert. Boehringer Ingelheim kontrolliert etwa die Halfte der Bioreaktorkapazitat unter den Auftragsfertigern. Das deutsche Phannaunternehmen verfugt uber eine hohe Kompetenz fiir die Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe in Bioreaktoren, die sowohl fur die eigenen Praparate, als auch in Form einer Dienstleistung fiir Produktionen anderer Phar-maanbieter eingesetzt werden. Aufgrund der intemen Nutzung und des parallelen externen An-gebots der Kapazitaten kann von einer vertikalen Diversifikation gesprochen werden. In den Bio­reaktoren erfolgt die Synthese der Wirkstoffe durch Fennentation bzw. Zellkulturen gentechnisch veranderter Bakterien oder Saugetierzellen, die sich von der klassischen chemischen Synthese gmndsatzlich unterscheldet. Fur Pharmaunternehmen ohne eigene Kompetenz in biotechnologi-schen Herstellungsverfahren, die einen Wirkstoff in Form eines Antikorpers vermarkten wollen, kann die Fremdvergabe der Produktion eine Notwendigkelt darstellen. ^®

Insgesamt handelt es sich um einen uneinheltlichen Trend, da einige Pharmaunterneh­

men ihre Herstellungskapazitaten gezielt ausgebaut haben. Ein GroRteil der fuhrenden

Pharmaunternehmen ist je nach Auslastung und spezifischer Herstellkompetenz zugleich

Anbieter und Nachfrager von Lohnherstellung. Der Immer noch hohe Anteil an Eigenlels-

tung reflektiert die Risiken einer vollstandigen Fremdvergabe der letztlich erfolgskritischen

Wertschopfungsstufe: Zunachst bedingt eine Fremdvergabe der Produktion auch die par-

tielle Offenlegung von vertraulicher Information, die ggf. in den Patenten nicht vollstandig

enthalten ist. Auf Basis der Struktur des Wirkstoffes lasst sich in der Regel auch der Wir-

kungsmechanismus und die therapeutische Strategie abschatzen. Falls der Auftragspro-

Vgl. K. L. Carson, ..Flexibility - the guiding principle for antibody production", in: Nature Biotechnology, Vol. 23, Nr. 9, September 2005. S. 1054-1058. ^ ° A. Scott, ^Biologies. Speeding up Production", in: ChemicalWeek, May 25/June 1, 2005, S. 20-26; und A. Bohne, "Auftragsfertiger setzen auf Biotechnik", in: Handelsblatt, 11.3.2004.

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Page 131: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

duzent zudem eigene Patente auf wesentliche Schritte des Syntheseweges anmeldet,

droht dem Pharmaunternehmen die Abhangigkeit von einem Zulieferer. In ihrer Analyse

der amerikanischen Pharmaindustrie der 80er Jahre fuhrt K.-R. Harrigan aus:

Active ingredients could often be purchased on the open market or from oversea pro­ducers, and local dosage-formulation firms could prepare tablets, capsules, or other pharmaceutical forms for a manufacturer that was short of its own tableting capacity. Vertical control of outsiders' production facilities was practical and made economic sense where secrecy was not a concern. But sometimes fimis would not sell their ex­cess bulk capacity to competitors when patents had expired because the knowledge of how to synthesize their active Ingredients effectively and the experience-curve econo­mies they enjoyed in making them were the only significant entry barriers that existed in this portion of the industry. ^®

Als weiteres RIsiko sind die Liefersicherheit und das Qualitatsmanagement des Anbieters zu nennen. Bei unzureichender Versorgung durch den Lohnproduzenten oder nicht ein-gehaltener Qualitatsstandards droht eine Verschiebung der Markteinfuhrung und damit eine Verkurzung des Zeitraunnes, in dem das Produkt patentgeschutzt vermarktet werden kann. Hierbei ist zu beruckslchtigen, dass die Zulassung in der Regel an ein bestlmmtes Herstellverfahren gebunden ist. Bei Lieferproblemen des Lohnproduzenten kann vor Nachweis der Aquivalenz kein alternatives Herstellverfahren genutzt werden. Die Aufrechterhaltung oder der Ausbau der Produktionskapazitaten kann auf eine Strate­gic der vertlkalen Diversifikation hinauslaufen, wenn die Kapazitaten sowohl fur die Her-stellung der eigenen Praparate, als auch zur Bedienung externer Auftrage eingesetzt werden. Die Entscheidung einer Fremdvergabe wird insofern von den Pharmaunterneh­men auf Einzelfallbasis getroffen und berucksichtigt neben der Differenz der Herstellkos-ten die Relevanz spezieller Kompetenzen bzw. Eintrittshurden.''^° Diesbezuglich liegt fur die Anbieter von Generika eine andere Ausgangslage vor. Der Markt fur Generika unterliegt aufgrund fehlender patentrechtlicher Eintritthurden einem deutlich starkeren Preiswettbewerb und eriaubt keine benachteiligte Kostenposition bei eigener Herstellung. Insofern tendleren Anbieter von Generika zu einem hoheren Aus-mafi zur Fremdvergabe.

5.5 Vermarktung als Kernkompetenz eines Pharmaunternehmens In Anpassung an die Regulierung des Einzelhandels mit pharmazeutischen Praparaten

haben sich unterschiedliche Marketingstrategien herausgebildet. Rezeptpflichtige Medi-

kamente werden von dem Auliendlenst der Pharmaunternehmen bei den Arzten einge-

fuhrt und vermarktet. Die Vermarktung rezeptpflichtiger phamnazeutischer Produkte orien-

tiert sich an den fachlichen Vorgaben der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung

^ ^ Vgl. K. R. Harrigan, Vertical Integration, Outsourcing, and Corporate Strategy, Washington 1983. 2003, S .201 . °° S. Spachowski, ..Lohnfertigung zur Nutzung von Uberkapazitaten in der Pharmaproduktion", in: Phar-

mazeutische Industrie, Vol. 67, Nr. 10, S. 1131-1137; und M. E. Kamarck, ..Building biomanufacturing ca­pacity- tiie chapter and verse", in: Nature Biotechnology, Vol. 24, Nr. 5, May 2005, S. 503-505.

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(„Med./Wiss."), welche die inhaltliche Betreuung der Praparate ubernimmt und das ent-sprechende Indikationsgebiet und die alternativen Therapien bzw. Praparate beobachtet. Zur Betreuung der deutschen Arzteschaft werden von den Pharmaunternehmen etwa 16.000 Pharmavertreter vorgehalten, die im Jahr bis zu 25 Mio. Beratungstermine mit den Arzten wahrnehmen. ^^ Die fur die pharmazeutische Industrie typische vertikale Organi­sation der Vermarktungskapazitaten dient zunachst der Sicherstellung einer medizinisch adaquaten Applikation der Praparate durch unmittelbare Beratung des Arztes. Bei limitier-ter Produktkenntnis wiirde der Arzt vermehrt auf Praparate der Konkurrenz zuruckgreifen. Weitere Aufgaben bestehen in der Koordination von Anwendungsbeobachtungen, der unvermittelten Aufnahme von Markttrends sowie der gezielten Beeinflussung der Ver-schreibungspraferenzen des Arztes.

Praparate der Selbstmedikation sind hingegen Ansatzpunkt einer gezielten Endkunden-werbung; die Strategie ihrer Vermarktung basiert auf einer pull through-Logik analog zu einem Markenprodukt der Konsumgijterindustrie. Die Kaufentscheidung wird in erster Li-nie durch den Endverbraucher, wenn auch nach Beratung durch den Apotheker, getrof-fen. Entsprechend wird der AuBendienst von den Pharmaunternehmen nur begrenzt zur Promotion der OTC-Produkte eingesetzt. Ab einem bestimmten Umsatzpotential wird in den USA zum Teil Endverbraucherwerbung betrieben, um eine Nachfrage zu erzeugen. In Europa ist die Endverbraucherwerbung noch stark eingeschrankt (Abbildung 26).

Abbildung 26: Exemplarische Darstellung der Wertschopfungskette der phar-mazeutischen Industrie mit Abdeckung der einzelnen Stufen durch relevante Anbieter (verschreibungspfiichtige Praparate)

N. Luttmer, „Deutsche Arzte verschwenden Milliarden", in: FTD, 21.6.2006.

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Page 133: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Die Fremdvergabe des Auliendienstes an ein anderes Pharmaunternehmen oder einen

unabh^ngigen Kooperationspartner stellt die Ausnahme dar, obwohl bei einer horizonta-

len Integration des Vertriebs signifikante Synergien innerhalb der Pharmaindustrie zu er-

warten waren.

Mit anderen Pharmaunternehmen wird in der Regel im Marketing bzw. im Auliendienst

nur kooperiert, wenn das eigene Produktportfolio fur die Vermarktung in einer bestimmten

Region Oder Indikation unterkritisch ist. In diesen Fallen wird einem Vertriebspartner eine

Gebietslizenz erteilt; die Produktrechte verbleiben bei dem Pharmaunternehmen bzw. Li-

zenzgeber. Zur Sicherstellung der Produktpromotion erhalt der Vertriebspartner eine Ge-

winnbeteiligung.^^^ Alternativ konnen unabhangige Vertriebspartner eingeschaltet wer-

den. Vornehmllch in den USA sind Rent a Sales Force-Anbieter entstanden, die fur ein

Pharmaunternehmen je nach Vorgabe Marketing- und Vertriebsaufgaben ubernehmen.

Fallbeispiel: Bayer's Vertriebskooperation mit Schering-Plough Der deutsche Pharma- und Agrokonzern Bayer ist 2004 mit dem amerikanischen Pharmaunter­nehmen Schering-Plough eine Vertriebskooperation eingegangen, die in den USA eine Vermark­tung der Allgemeinarztprodukte von Bayer durch den Audendienst von Schering-Plough vorsieht. Bayers Produktportfolio fur den Allgemeinarzt hatte sich in den USA als unterkritisch fur die Auf-rechterhaltung eines eigenen AuHendienstes herausgestellt. Bayer behalt die Produktrechte und die Medikamente werden weiterhin unter dem Bayer-Markennamen verkauft. Schering-Plough bekommt fur die Vermarktung eine umsatzabhangige Vergutung. Die Starke des AuBendienstes, der die Allgemeinarztprodukte von Bayer in den USA vertreibt, wird dadurch von etwa 1.800 auf 4.000 ansteigen. Der Vertrieb der Facharztprodukte von Bayer in den USA wird weiterhin durch den eigenen Audendienst durchgefuhrt.''®^

Der entscheidende Grund zur Beibehaltung der Kontrolle uber die Vermarktung hangt mit der Logik der Kaufentscheidung zusammen: Obwohl der Patient der eigentllche Kunde pharmazeutischer Praparate ist, wird die Kaufentscheidung im wesentlichen durch den Arzt getroffen. Der Arzt verfugt uber die alleinige Beurteilungskompetenz und legt in den meisten Fallen nach Indikation auch die Therapie einschlieBlich der Praparate fest. Dem-entsprechend delegiert der Patient seine Kaufentscheidung an den Arzt ab und erwartet einen Behandlungsvorschlag. Das Zustandekommen der Kaufentscheidung reflektiert den uberwiegenden Versor-gungscharakter der Gesundheitssysteme, sowohl begrundet aus der Erwartungshaltung des Patienten als auch dem Selbstverstandnis des Arztes. Der Kunde ist in erster Linie der bevormundete Patient und weniger der souverane Konsument von Gesundheits-dienstleistungen; das Medlkament hat aus seiner Sicht nicht den gleichen Status wie ein herkommlicher Bedarfsartikel, dessen Auswahl seinen privaten Vorstellungen unterliegt. Insofern ist der Arzt bei verschreibungspflichtigen Medikamenten der eigentliche Kunde der Pharmaunternehmen, die zur UnterstiJtzung der Kaufentscheidung in Ihrem Sinne

Vgl. „Vertriebsabkommen zwischen Bayer und Schering-Plough", in; FAZ, 14.9.2004 und „Bayer schlielit strategische Pharma-Allianz mit Schering-Plough", Bayer Presseinformation vom 13.9.2004. ^" Vgl. "Vertriebsabkommen zwischen Bayer und Schering-Plough", in: F>AZ, 14.9.2004.

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Page 134: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

bzw. der Auswahl des Praparates gezielte MarketingmaBnahmen ergreifen.^^"^

Langfristig ist nichts desto trotz eine starkere horizontale Integration des AuRendienstes

zu erwarten, da dieser betrachtliche Kosten verursacht: So betragt der Anteil der Ver-

triebskosten bezogen auf den Umsatz der Pharmaindustrie durchschnittlich 32%, wah-

rend auf Forschung & Entwicklung nur 15% und auf die Produktion nur 26% entfallen.

Zum Vergleich, die durchschnittlichen Aufwendungen aller Industrien fur den Vertrieb be-

laufen sich auf nur 16%.''^^ Unter Kostengesichtspunkten sollte die Beratung des Arztes

durch einen herstellerunabhangigen AuBendienst geleistet werden, der die Praparate

mehrerer Pharmaunternehmen abdeckt. Bei einer Vermarktung der Praparate durch un-

abhangige Anbieter lieften sich erhebliche Einsparungen erzielen. Ein anbieterubergrei-

fender Auliendienst wurde teilweise auch eine hohere Objektivitat der Beratung gewahr-

leisten. So gibt der CEO von GlaxoSmithKline zu verstehen, dass sich die Personalstarke

im AuBendienst nicht primar am Beratungsbedarf der Arzte orientiert, sondern den Mar-

ketingaufwand der Wettbewerber kompensiert:

„What I need to do is cut the sales force and the promotion and reinvest it all in R&D. But I can't withdraw from the marketing battle -1 have to protect my sales force [...] If they [Pfizer, Einfiigung des Autors] cut their domestic sales force by 30%, then we are in a new era, because lots of companies will follow suit".''®®

Die Aufrechterhaltung der vertikalen Integration der Vermarktung hangt mit dem Zug-zwang zusammen, den ein einzelnes Unternehmen aufgrund der Aufstellung seiner Wettbewerber erfahrt. Eine horizontale Integration der Vermarktung ist aus Sicht der In­dustrie naheliegend, aber fur ein einzelnes Unternehmen als First mover mit hohen Risi-ken verbunden. Ohne gezielte Promotion der eigenen Praparate droht der Marktanteil des First mover zum Vorteil der Wettbewerber zu sinken.

5.6 Einflussnahme auf die Wertschdpfungsstufe Therapie

Die Therapie ist herkommlich eine Domane des Arztes, der nach Vornahme der Indikati-

on Art und Marke der verschriebenen Praparate festlegt. In Bezug auf die Auswahl der

Medikamente vollzieht sich derzeitig ein grundsatzlicher Wandel, in dem die anderen

Spieler der Wertschopfungskette zunehmend Mitspracherechte beanspruchen. Deren

Motive spiegein insgesamt den hohen Kostendruck des Gesamtsystems wieder, sind a-

ber auch von individuellen Interessen geleitet. In erster Linie wandelt sich das Selbstver-

standnis des Patienten, der die herkommliche Bevormundung und geringe Transparenz

der Gesundheitsversorgung nicht langer hinnehmen, sondern enger in die Entscheidung

einbezogen sein will. Die hohere Souver^nltat des Patienten bzw. des „Kunden" beruht

Vgl. S. Machate und I. Hundt, „Website-Controlling mit der Balanced Scorecard als operativem Kenn-zahlensystem", in: CM controller magazin, 4/04, S. 354-361.

° Vgl. hierzu S. Hofmann, ..Pharmakonzeme miissen ihre Kostenstruktur ijberprufen", in: Handelsblatt, 12.1.2004; S. Hofmann, „Pharmabranche hofft auf Ende des Wettlaufs im Auliendiensf, in: Handelsblatt, 14.2.2005, und S. Hofmann, „Pfizer nimmt harte Einschnitte vor, Handelsblatt, 12.7.2005. ^^ Vgl. "Wisdom from big Pharma's Dr. Gloom", in: Fortune, 21.3.2005, S. 20. Vgl. auch „Feindliche Stim-mung", in: Wirtschaftswoche, 24.3.2005, S. 42-48.

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auf einer deutlich verbesserten, unabhangigen Informationsbasis und der teilweisen Her-auslosung der Medikamente aus den Versicherungsleistungen. Der zukunftige Patient bereitet seinen „Einkauf von Gesundheitsdienstleistungen gezjelt vor und will bei der op-tionalen Auswahl der Therapie und der Festlegung der Praparate mitreden.''®^ Ein zweiter Beteiligter der Wertschopfungskette, der Mitbestimmungsanspruch auf Telle der therapeutischen Strategie anmeldet, ist die Krankenversicherung, die Kompetenzen fur bestimmte Indikationen und Therapien entwickelt und zunehmend ihre Versicherungs-kunden bzw. den Patienten dazu anieltet, die Gesundheitsdienstleistung mit dem besten Preis-ZLeistungsverhaltnisse einzukaufen. Der Gesetzgeber stellt einen weiteren Stake­holder dar, der nicht unmittelbar betroffen ist, aber aufgrund der Kopplung der Kranken­versicherung an die Lohnnebenkosten Interesse an einer Begrenzung der Kosten des Gesundheitssystems hat (Abbildung 27).

Abbildung 27: Versuch der Vereinnahmung und Einflussnahme auf die Wertschop-fungsstufe Therapie durch verschiedene Stakeholder

In den USA wird die Auswahl der Medikamente zunehmend durch Managed Care Orga-nisationen bestimmt. Tellweise nehmen PBM's (Pharmaceutical Benefit Management Companies) eine Vermittlerrolle zwischen Pharmaindustrie und Grodabnehmern ein und organisieren den Einkauf unter Preis-ZLeistungsgesichtspunkten. Die Pharmavertriebsor-ganisatlonen Wellpoint und UnitedHealth verfugen zusammen uber 50 Millionen Abneh-mer, darunter Krankenhauser, Arztpraxen und Patienten.

® Vgl. F. Harms, D. Ganshirt, M. Lonsert, „Zukunftsperspel^tiven fur pharmazeutisches Marketing", S. 867, in: Pharmazeutische Industrie, Vol. 67, Nr. 8, 2005, S. 865-870, und M. Lonsert, F. Harms, Jnnovative The-rapiekonzepte erfordern Paradigmenwechsel im IVIarketing", in: absatzwirtschaft, Vol. 1/2005, S. 26-30.

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Bei Umwandlung des regulierten Versorgungssystems in eine marktwirtschaftlich gema-

nagte Dienstleistung werden zunehmend diejenigen Parteien mitentscheiden wollen, die

am Ende auch die Rechnung bezahlen. Hinsichtlich ihrer Ausgangssituation sind dabei

der Patient und die Krankenversicherungen gegenuber den Pharmaunternehmen in einer

uberlegenen Position, so dass davon auszugehen ist, dass der Einfluss der Pharmaun­

ternehmen - vermittelt durch den Arzt - auf die Auswahl der verschriebenen Medikamente

abnehmen wird.

Hierbei bleibt abzuwarten, inwiefern die Pharmaunternehmen versuchen, ihre traditionelle

push-Strategie bei Markteinfuhrung neuer Praparate durch eine pull through-Strategie zu

erganzen. Bislang spielt Endverbraucherwerbung in der Pharmavermarktung nur eine

unbedeutende Rolle. Mit der zunehmenden Entscheidungskompetenz und Emanzipation

des Patienten zum Kunden konnte sich die direkte Ansprache des Patienten fur die

Pharmaunternehmen als lohnend herausstellen. Hierfur mussen jedoch in vielen nationa-

len Markten noch die regulatorischen Bedingungen angepasst werden.^^^

5.7 Zusammenfassung

Die pharmazeutische Industrie ist insgesamt immer noch durch einen hohen Grad der vertikalen Integration charakterisiert. In den einzelnen Wertschopfungsstufen zeichnen sich allerdings Entwicklungen ab, die mittel- bis langfristig zu einer starkeren horizontalen Integration fuhren werden. Hierbei wird die vertikale durch eine partielle vertikale Integra­tion der Pharmaunternehmen abgelost.

In den Stufen Forschung und Entwicklung wird zunehmend mit externen Anbietern ko-operiert und der Anteil der Eigenleistung zuruckgefahren. Treiber der Entwicklung sind in diesem Fall nicht GrdBenvorteile, sondern die groUe Anzahl neugegrundeter Biotechno-logiefirmen, die mit ihren innovativen Technologien eine gute Erganzung der internen Forschungsaktivitaten darstellen. Die Entwicklung der Praparate einschlieRlich der Zulas-sung wird nach wie vor von den Pharmaunternehmen kontrolliert und selbstandig durch-gefuhrt; klelnere Arbeitspakete an externe Dienstleister vergeben. In der Wertschopfungsstufe Produktion ergibt sich ein heterogenes Bild ohne einheitli-chen Trend. Die Synthese pharmazeutischer Produkte ist vor dem Hintergrund des hohen Ausfallrisikos von Kandidaten und der geringen Planbarkeit der benotigten Kapazitat ei-nerseits stark von Kostenerwagungen getrieben. Die Sicherstellung einer hohen Auslas-tung der Kapazitaten favorisiert eine horizontale Ausrichtung, bei der von mehreren Pharmaunternehmen Auftrage ubernommen werden. Auf der anderen Seite bedingt die Produktion in vielen Fallen auch spezifisches Prozesswissen und damit eine Differenzie-rung vom Wettbewerb. Durch vollstandige Aufgabe der Produktion wurden die Pharmaun­ternehmen einen nicht unerheblichen Tell der Kontrolle uber die Wertschdpfungskette verlieren. Die Entscheidung fur Eigenleistung Oder Markt wird je nach Wirkstoff und An-bieter unterschiedlich ausfallen. Abhangig von der aktuellen Pipeline und der Ausfallquote

Vgl. A. Katsnelson, „Big biotech embraces direct-to-customer advertising", in: Nature Biotechnology, Vol. 23. Nr. 10. October 2005. S. 1193.

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der Kandidaten tritt die uberwiegende Anzahl der Pharmaunternehmen im Markt sowohl als Anbieter, als auch als Nachfrager von Produktionskapazitaten auf. Im Marketing dominiert nach wie vor eine vertikale Integration, da die Pharmaunterneh­men eine hohe Anzahl eigener AuRendienstmitarbeiter vorhalten, die bei den Arzten eine Promotion der eigenen Praparate gewahrleisten. Bei horizontaler Ausrichtung konnte die Pharmabranche einen signifikanten positiven Ergebniseffekt erzielen. In diesem Prozess wurden jedoch diejenigen Praparate Marktanteile verlieren, die uberwiegend von dem push-Effekt des Aufiendienstes profitiert haben.

Indikation und Therapie werden auch in Zukunft die Domane des Arztes bleiben. Hinsicht-lich der Auswahl der verschriebenen und verabreichten Praparate werden allerdings die Beteiligten der Pharma-Wertschopfungskette zunehmend eine Entscheidungstransparenz und Mitspracherechte einfordern, insbesondere mit zunehmender Herausl5sung der Me-dikamente aus einer pauschalen Verslcherungsleistung.

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6. Wertschopfungskette Textilien

6.1 Darstellung der Wertschopfungskette Der Markt fur textile Bekleidung unterteilt sich in die Segmente Kollektion und Maliklei-dung, die sich durch unterschiedliche Modelle der Koordination zwischen Angebot und Nachfrage voneinander abgrenzen. Fur die Kollektion werden Textilien auf Basis von Markteinschatzungen bzw. Planzahlen mit standardisierten und gestaffelten GroRen pro-duziert (Made to forecast-Prinzip). Davon zu unterscheiden ist die individuelle MaBklei-dung einer Schneiderei, bei der erst nach Bestellung und Aufnahme der individuellen MaBe mit der Herstellung begonnen wird (Built to order-Prinzip). Im Rahmen der Analyse wird auf das Marktsegment der vorgefertlgten Konfektionsware fokussiert. Dem erstem Schritt der generlschen Wertschopfungskette, Forschung und Entwicklung, entspricht in der Textilindustrle das Design bzw. der Entwurf der Kollektion (Abbildung 28).

Abbildung 28: Wertschopfungskette und Anbietermodelle der Mode- bzw. der Textil-branche^ ^

Die fuhrenden Textilanbieter setzen fiir den Sortimentsentwurf eigene Designabteilungen

ein und arbeiten parallel mit unabhangigen Trendscouts. Nach interner Auswahl wird die

neue Kollektion zusammengestellt und die entsprechenden Auftrage an die Lohnprodu-

zenten bzw. die eigene Produktion weitergeleitet. Forschung und Entwicklung fur Faser

und Gewebe sind in ihrer Bedeutung fur die gesamte Wertschopfungskette begrenzt und

konnen vernachlassigt werden.

Zur Wertschopfungskette Textilien vgl. G. Muller-Stewens, C. Lechner, Strategisches Management, Stuttgart 2001, S. 294, und S. Seuring, Supply Chain Costing, Miinchen 2001, S. 9fg.

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Die Herstellung von Faser und Gewebe erfolgt in Spinnereien und Webereien. Hinsicht-lich des Fasertyps kann zwischen Natur- und Kunstfasern unterschieden werden, die in den Spinnereien aus Baumwoile bzw. Polyester hergestellt werden. Die Herstellung von Faser und Gewebe durch Spinne- und Webereien gilt in ihrer Entwicklung als Standard-beispiel der industriellen Revolution. Durch die Umstellung von manueller auf mechani-sche Herstellung wurde im 19. Jahrhundert eine signifikante Reduzierung der Herstellkos-ten erreicht und dadurch ein anhaltendes Wachstum des Marktes vorbereitet. Die Bran-chen sind insgesamt durch eine geringe bis mittlere Konsolidierung und die Lokalisation in Billiglohnlandern gekennzeichnet.

Fur die sich anschlleliende Produktion des Textils (Zuschnitt und Zusammennahen) mit einem hohen Anteil manueller Fertigung werden von den Textilanbietern unabhangige Lohnproduzenten und Schneidereien oder eigene Produktionsbetriebe eingesetzt, wobei der Anteil der Fremdvergabe uberwiegt. Outsourcing der Produktion charakterisiert den zentralen Trend der Textilindustrie in den letzten 30 Jahren. Allenfalls fur die flexible An-fertigung von Mustern und Sonderkollektionen sind begrenzte Kapazltaten beibehalten worden. Die fuhrenden Textilanbieter sind heute global ausgerichtet und bedienen mit ih-ren Produkten die europaischen, nordamerikanischen und asiatischen Kernmarkte, womit die ursprungllche Abhangigkeit vom jeweiligen Heimatmarkt uberwunden wurde. Textilien werden als Markenware verkauft. Markenlose Produkte sind im Gesamtmarkt unterreprasentiert und in begrenztem Umfang nur im unteren Preissegment vertreten. Marketing und Markenfuhrung stellen neben dem Entwurf der Kollektion die Kernkompe-tenzen eines Textilunternehmens dar, insbesondere vor dem Hintergrund der geringen Wertschopfungstiefe in der Produktion und der limitierten Differenzierung durch techni-sche Produkteigenschaften. GroRhandel im engeren Sinne mit eigenem Warenlager und Eigentumsubergang sowie der Ubernahme des Geschaftsrisikos spielt nur noch im unte­ren und mittleren Preisniveau eine Rolle. Bei den fuhrenden Markenanbietem ist der Grolihandel nahezu ausgeschaltet worden. Die Filialen werden nach Bundelung der Sor-timente in den Logistikstutzpunkten in Eigenregie beliefert. Die Gewahrleistung einer ho­hen Prozesseffizienz erfordert die Kontrolle den Waren- und Informationsflusses, was bei Einschaltung eines traditionellen Grolihandlers erschwert wurde. Im Einzelhandel hat sich eine starke Konzentration ergeben, bei der die global operieren-den Einzelhandler die unabhangigen, inhabergefuhrten Geschafte immer mehr verdrangt haben. Parallel dazu hat eine weitgehende Filialisierung Platz gegriffen: Im mittleren und oberen Preissegment erfolgt der Absatz zu einem wachsenden Anteil uber Geschafte, die ausschliel lich die Markenprodukte eines Anbieters verkaufen, wahrend der Absatz uber den unabhangigen Einzelhandel mit einem anbieterubergreifenden Sortiment zuruckgeht. Der Aufbau eines exkiusiven Einzelhandels erfolgt entweder durch die Eroffnung eigener Geschafte oder den Aufbau eines Franchisesystems durch den Textilanbieter. Im Folgenden wird auf die Entkopplung von Produktion und Marketing (Abschnitt 6.2), die Eigenvermarktung von Komponenten mit hoher Differenzierung (Abschnitt 6.3) und die Vertikalisierung der Textilindustrie eingegangen (Abschnitt 6.4). Nach Darlegung der Vermeidung der Nachteile des Built to forecast-Systems durch die Verringerung des Risi-

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kos einer Oberproduktion (Abschnitt 6.4.1) und die Senkung der Kapitalkosten (Abschnitt

6.4.2) im Rahmen der Vertikalisierung wird auf den Aufbau eines markenexklusiven Ein-

zelhandels (Abschnitt 6.5) eingegangen.

6.2 Entkopplung von Produktion und Marketing Das dominierende Geschaftsmodell der Textilindustrie 1st in Abgrenzung zum Marken-

produzenten der Markenanbieter, der die Wertschopfungsstufen Design, Marketing und

Vertrieb bzw. Vertriebssteuerung abdeckt. Die historische Kernkompetenz der Textilun-

ternehmen, die Herstellung, ist durch Outsourcing an Lohnproduzenten stark zuruckge-

gangen (Abbildung 29).

Abbildung 29: Exemplarische Abdeckung der Wertschopfungskette der Textil­industrie durch fijhrende Anbieter. Forschung und Entwicklung fijr die Herstel­lung von Faser und Gewebe sind nicht separat beriicksichtigt

H&M, C&A und P&C sind Einzelhandelsunternehmen, die sich durch Aufbau eines teil-

weise exklusiven Lieferantenportfolios eine weitgehende Kontrolle uber die Wertschop-

fungsstufe Produktion verschafft haben. Wahrend H&M nur Eigenmarken verkauft, ope-

rieren C&A und P&C ubenft/iegend mit Herstellermarken, aber auch mit Eigenmarken.^^°

Benetton (Benetton, Sisley), Esprit und Inditex (Zara, Massimo Dutti) sind Textilanbieter

und arbeiten im Vertrieb in unterschiedlichem AusmaR mit Franchisepartnem: Wahrend

Benetton den Einzelhandel seiner Produkte vollstandig ais Franchisesystem organisiert

hat, verfugen Esprit und Zara mit eigenen Filialen, Franchisepartnem und unabhangigen

P&C hat mit McNeal und Review Eigenmarken aufgebaut, die auch an andere Einzelhandler verkauft werden. Vgl. M. Bruck, „P&C: Das Textilunternehmen unter der Lupe", in: Wirtschaftswoche, 31.8.2005, aufgerufen unter wiwo.de am 7.9.2005, und J. Bergmann, „Die Unmodernen", in: brand eins, 01/2004, S. 18-24.

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Einzelhandlern iiber ein differenziertes Vertriebssystem. Boss und Gerry Weber sind ur-spriinglich reine Textilhersteller gewesen, die auch einen markenexklusiven Einzelhandel fur ihre Produkte aufgebaut haben. Beide verkaufen primar uber den unabhSngigen Ein­zelhandel, verfugen uber eigene Filialen und arbeiten teilweise mit Franchisepartnern zu-sammen.

Bei Analyse der Trennung von Produktion und Vermarktung muss zwischen der Herstel-lung von Faser, Gewebe und Textil unterschieden werden. Die Herstellung von Faser und Stoff ist traditionell nur zu einem geringen Anteil vertikal integriert gewesen und war un-abhangig von den Textilproduzenten organisiert. Die Produktion wurde mehr und mehr in Billiglohnlander verlagert. Hierbei hat sich eine Spezialisierung ergeben: Indien hat sich auf Baumwolltextilien fokussiert; China hat eine hohe Kompetenz fur Kunstfasern. Bei Stoffen ist eine nachhaltige qualitative Absetzung vom Wettbewerb durch Verwen-dung hoherwertiger Materialien Oder durch Anwendung einer hoherwertigen Produkti-onsmethode innerhalb einer Preisklasse kaum zu erreichen. Die exklusiven Textilprodu­zenten ArnnanI, Brioni, Chanel und Hugo Boss werden z. B. alle von dem italienlschen Stoffproduzenten Luciano Barbera beliefert, so dass eine materialbedingte Differenzie-rung nicht gegeben ist. Bei Vorliegen der Option, sich nachhaltig von den Konkurrenten abzusetzen, wurden die Anbieter im High end-Segment die Umstellung auf Eigenleistung in Betracht Ziehen. ^^

Ausloser des strukturellen Umbruchs in der Produktion des fertigen Textils (Zuschnitt und Zusammennahen) war der zunehmende Lohnkostennachteil der ursprunglichen Produkti-onsstandorte der Textilunternehmen. Diese hatten ihre Herstellung zunachst in ihren Heimatmarkten bzw. Hohnlohnlandern aufgebaut. Die erforderliche Verlagerung in Billig­lohnlander wurde dann zum Aniass genommen, urn von interner Produktion auf Lohnher-stellung zu wechseln. Entsprechend ist der Anteil eigener bzw. Inlandischer Produktion in den europaischen Landern mit geringeren Lohnkosten (insbesondere Spanien und Ita-lien) noch hoher ausgepragt. Die fruheren Markenproduzenten verfugten auch nicht uber innovative Herstellverfahren, mit denen sich eine nachhaltige Absetzung vom Wettbewerb erreichen liefie. Differenzierung erfolgt in der Textilindustrie fast ausschlielllich anhand der Kriterien Marke und Entsprechung zum aktuellen Modetrend. Die gegenlaufige Entwicklung der Herstellkosten in Niedrig- (z. B. China und Indien) und Hochlohnlandern (Westeuropa) und der damit einhergehende Niedergang der Produzen-ten fuhrte zur Einfuhrung eines Quotensystems durch die Industrielander zum Schutz ih-rer Markte. Mit dem Multi Fiber Agreement (MFA) in 1974 bzw. dem Agreement on Texti­les and Clothing (ATC) in 1994 wurde die Importquote insbesondere fiir die USA, Kanada und Westeuropa festgesetzt und auf bestlmmte Billiglohnlander verteilt. Seit 2005 ist das Quotensystem eingeschrankt worden, worauf die Importe aus den Billiglohnlandem stark zugenommen haben. ^^

^ ^ Vgl. K. R. Harrigan, Vertical Integration, Outsourcing and Corporate Strategy, Washington 1983, 2003, S. 167-171. Vgl. K. Kort, „Juwelen aus S tor , in: Handelsblatt, 24.5.2005. ^ ^ Vgl. P. Rivali, Reiseberictit eines T-Shirts", S. 171fg., Berlin 2006; „The textile industry", in: Economist, 13.11.2004, S. 77-79, und Freier Flachs", in: Wirtsctiaftswoche, 11.11.2004, S. 70-71.

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Fur die Auswahl der Lohnproduzenten ist neben der Kostenposition auch die Zustel-lungsdauer relevant. Zur Sicherstellung einer schnellen Versorgung mit Trendware wird nicht ausschlieBlich mit den weiter entfernt angesledelten, asiatischen Lohnproduzenten kooperiert. Der schnelle Wechsel von Kollektionen begrenzt wegen hoherer Logistikkos-ten und langerer Lieferzeiten den Anteil asiatischer Lohnproduktion und favorisiert turki-sche und sud- und osteuropaische Hersteller. Die Dekomposition der vertikalen Integration von Produktion und Marketing Ist nicht mit einer nennenswerten horizontalen Integration bzw. Konsolidierung der Textilhersteller einhergegangen. GroBenvorteile konnen bel der Produktion des Textils (Zuschnitt und Zusammennahen) aufgrund des hohen manuellen Antells in erster Naherung vernachlas-sigt werden. Allgemein spielen in der Textilindustrie Grolienvorteile fast nur im Einkauf und im Marketing (Werbung) eine Rolle.

Die Vorteile einer eigenen Produktion, insbesondere der schnelle Zugriff auf Kapazitaten und der nahtlose Informationsfluss mit den Stufen Design und Marketing, kdnnen bei Ko-operation mit Lohnproduzenten im GroSteil erhalten werden. Oft arbeiten die Lohnprodu­zenten exklusiv fur einen Markenanbieter und richten sich entsprechend individuell auf das Geschaftssystem ihrer Kunden aus. Zusatzlich ist aus Sicht der Textilanbieter eine Variabilisierung der Kosten gegenuber einer festen Kapazitat mit entsprechenden Fixkos-ten der Produktion zu favorisieren. Ein unabhangiger Produzent kann durch flexible U-bernahme von Auftragen eine hohere Auslastung der Kapazitaten erreichen und somit zu geringeren Herstellkosten produzieren. Die horizontale Organisation der Produktion, bei der das Nachfragevolumen mehrerer Anbieter alquiriert werden kann, ist insbesondere vor dem Hintergrund der starken Schwankungen durch Trends und Markenimage zu sehen. Bis in die 90er Jahre setzte sich das Sortiment noch industrieubergreifend aus einer Winter- und einer SommerkoHek-tion zusammen. In Anpassung an die hohe Schwankung der Nachfrage und zur besseren Bedienung kurzlebiger Trends hat sich inzwischen in breiten Teilen ein Umstellungs-rhythmus auf Monatsbasis durchgesetzt.

Fallbeispiel: H&M ais Markenanbieter ohne eigene Herstellung Der schwedische Modekonzern H&M gilt neben Inditex als der groBte Bekleidungsanbieter in Eu-ropa. H&M hat sein Geschaft von Beginn auf die Entwicklung und Vermarktung modischer Texti-lien ausgerichtet und keine eigenen Herstellungskapazitaten aufgebaut. Die Produktion erfolgt uben/viegend durch 800 unabhangige Textilfabriken In China, Indien, Bangladesh und der Turkei, die exklusiv fur H&M arbeiten. Die Logistik wird uber ein Transitlager in Hamburg und 17 nationa-le Lager abgewickelt, von denen aus die eigenen Filialen beliefert werden. H&M betreibt ca. 1.200 Filialen weltweit. Zwischenhandler werden nicht eingeschaltet. ^

Die Sportartikelindustrie stellt bezogen auf die textilen Sortimente ein spezielles Markt-segment der Textilindustrie dar. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung von

Vgl. „Schnell raus, schnell raus", S. 76-77, in: brand eins, Oktober 2002, S. 74-78, „Mode zum Anfas-sen", S. 77, in: manager magazin, Vol. 1, 2004, S. 74-81, und „Die Audienz des Sonnenkonigs bei H&M", \n:FAZ, 13.11.2004.

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Sporttextilien im Freizeitsektor kann von einer partiellen Konvergenz der Markte gespro-

chen werden. Im Vergleich zur Textilindustrie hat die Sportartikelbranche eine analoge

Entwicklung durchlaufen. Da sich eine Differenzierung der Produkte primar aus dem De­

sign der Kollektion und dem Markenimage des Anbieters ergibt und ein schneller Wech-

sel von Produktzyklen vorherrscht, haben die global fuhrenden Sportartikelunternehmen

ihre Produktion eingestellt und anstelle dessen Lohnproduzenten in Billiglohnlandern auf-

gebaut. Weder Adidas/Reebok, Puma oder Nike verfugen heute noch uber nennenswerte

eigene Produktionskapazitaten. Beruhmt geworden sind die pragnanten Worte von Phil

Knight, dem Grunder von Nike: „There is no value in making things any more. The value

is added by careful research, by innovation and by marketing".^^"^

Als Kernkompetenzen werden von den Sportartikelanbietern nur noch die Wertschop-

fungsstufen Forschung, Entwicklung und Marketing angesehen.^^^ Die Auslagerung der

Produktion bringt jedoch auch das Risiko des schleichenden Kompetenzverlustes mit sich

und bedarf einer sorgfaltigen Steuerung.

Fallbeispiel: Qualitdtskontrolle der externen Produktion bei Puma Der deutsche Sportartikelproduzent Puma hat die eigene Herstellung vollstandig aufgegeben und an etwa 140 Lohnproduzenten ausgelagert, die uben /iegend in China und Vietnam (Schuhe), Osteuropa sowie in Fernost angesiedelt sind (Textilien). Die Qualitatskontrolle in den Fabriken der Lohnproduzenten wird jedoch noch von Puma selbst durchgefuhrt. Inspektoren der eigenen regi-onalen Tochterfirma World Cat uberprufen die Qualitat der versandfertigen Ware. Zusatzlich wird intern ein Team von 70 technischen Spezialisten zum Erhalt der Produktkompetenz vorgehalten, die bei ihren Besuchen den Produktionsprozess der Fabriken begutachten und Verbesserungs-vorschlage einbringen.''^

Fallbeispiel: Vertragsbuch des Lohnproduzenten von New Balance Der amerikanische Turnschuhproduzent New Balance hatte bereits in den 80er Jahren begonnen, seine Herstellung auszulagern und an asiatlsche Lohnproduzenten zu vergeben. Etwa drel Viertel der Produktion erfolgt in China und Vietnam; das verbleibende Viertel wird noch durch eigene Fabriken in den USA abgewickelt. Einer der Lohnhersteller war der taiwanesische Lohnproduzent Horace Chang, der nach Verlagerung seiner Fabriken auf das chinesische Festland auch die Ver-triebslizenz von New Balance zur Bedienung des chinesischen Marktes erhalten hatte. Nachdem Horace Chang die Absatzzahlen fur den chinesischen Markt nicht mehr mit New Balance ab-stimmte und mehr und mehr eigenstandig agierte, hatte ihm New Balance 1999 die Produktions-und Vertriebslizenz entzogen. Horace Chang war daraufhin aber nicht bereit, der fur diesen Fall vertraglich vereinbarten Ruck-gabe aller Produktunterlagen, Lagerbestande und Labels Folge zu leisten und setzte den Verkauf auf eigene Rechnung fort. SchlieRlich fuhrte er mit Henkees eine eigene Marke ein, deren Logo von demjenigen von New Balance kaum zu unterscheiden ist. Die Verselbstandigung hat fur New

^ ' D. Katz, Just Do It, Holbrook 1994, S. 204. ^ ^ Zur Neuaufstellung von Adidas unter R. Louis-Dreyfus vgi. "adidas", in: A. D. Slywotzky, D. J. Morrison, Die Gewinnzone, S. 107-119, Landsberg/Lech 1998, und H. Hainer, „Satelliten umkreisen Herzogenau-rach", in: Handelsblatt, 15.7.2005. Eine Darstellung der IVIarketingstrategie von Nike findet sich bei N. Klein, No Logo, S. 50-56, London 2001. ^^ Vgi. „Fabrik-Verkauf', in: managermagazin, 11/2001, S. 294-304.

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Balance jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich gezogen, die nicht zuletzt auch die Funktionsfahigkeit bzw. Ineffizienz des chinesischen Rechtssystems verdeutlicht.^ ''

6.3 Eigenvermarktung von Komponenten mit hoher Differenzierung Im Falle einer innovativen Textilkomponente mit dem Potenzial zur Differenzierung vom

Angebot des Wettbewerbs stellt sich analog zur Computerindustrie die Frage, inwieweit

die Wertschopfungsstufe Marketing vollstandig von dem Produzenten bzw. dem Anbieter

des fertigen Produktes vereinnahmt wird, Oder der Zulieferer eine gesonderte Vermark-

tung seiner Komponente aufbaut (vgl. Abschnitt 1.4, Teil II). Ubiicherweise verweist der

Textilanbieter in seiner Vermarktungsstrategie auf die Verwendung hochwertiger Kompo­

nenten Oder Materialen, etwa durch Kennzeichnung des Materials (z. B. Merino-Wolle

Oder Cashmere) Oder des Herstellverfahrens (z. B. Handarbelt). Hierbei wird jedoch das

Markenlabel des Zulieferers nicht enA/ahnt und die Differenzierung basiert keinesfalls auf

der Herausstellung eines bestimmten Komponenten- bzw. Materlalherstellers. Nur in we-

nigen Fallen haben die Zulieferer gezielt eine eigene Marke fur ihre Komponente aufge-

baut, um durch direkte Ansprache des Endverbrauchers einen pull through-Effekt zu er-

zeugen. Beispiele hierfursind die Lycra-Faser des amerikanischen Chemieunternehmens

DuPont Oder die spezielle Gewebetechnologie von W. L. Gore.

Fallbeispiel: Aufbau eines Ingredient Brand durch W. L Gore Die Marke Gore-Tex des amerikanischen Technologieunternehmens W. L. Gore steht fur ein spe-zielles Kunststoffgewebe mit der fiir Outdoor- und Sportkleidung Idealen Eigenschaft, Wasser in Tropfenfomn abzuweisen, Wasserdampf jedoch durchzulassen. Der Effekt beruht auf einer Be-schichtung der Textilfaser mit Tetrafluorethylen. Die innovative Gewebetechnologie wurde gegen-uber dem Endverbraucher von Beginn an als Ingredient Brand aufgebaut. Da die Textilproduzen-ten ursprunglich kein Interesse an dem Material hatten, war der Technologienentwickler dazu ge-zwungen, durch eigenes Marketing eine Nachfrage des Endverbrauchers zu erzeugen. Entspre-chend wurden die ersten Produkte gegenuber Outdoor- und Trendsportvereinen positioniert. Mit zunehmender Nachfrage durch den Endverbraucher konnte W. L. Gore nach und nach eine Ver-handlungsposition gegenuber den Textilanbietern aufbauen und durchsetzen, dass auf jedem Kleidungsstijck, welches eine Gore-Tex Faser enthalt, auch das Markenzeichen von W. L. Gore angebracht wird. W. L. Gore garantiert dem Endverbraucher die Funktion der Komponente; die Gefahr einer hohen Rijcklaufquote wird durch ein rigides Qualltatsmanagement gegenuber den Textilproduzenten vermieden. Das Unternehmen beschrankt sich vollstandig auf die Wertschopfungsstufe Entwick-lung. Nach Erteilung einer Lizenz werden den Textilproduzenten bzw. Anbietern die Anwen-dungsprotokolle der Technologie zur Verfugung gestellt.''®®

6.4 Vertikaiisierung in der Textilindustrie

Die enge prozesstechnische Abstimmung von Wertschopfungsstufen wird als „Vertikali-

sierung" bezeichnet, worunter die Jnstitutionalisierte Koordination von Beschaffung, Lo-

glstik und Absatzmarketing zwischen Industrie und Handel auf kooperativer oder kapital-

Vgl. R. Parloff, „Not Exactyly Counterfeit". S. 64-70, in: Fortune, 15.5.2006. ' Vgl. ..Paarlauf mitTiJcken". S. 58-59, in: McK Wissen 03 (2002), S. 52-59.

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gestijtzter Grundlage" verstanden wird. ^ Der Begriff wird vorwiegend in Bezug auf die Textilindustrie verwendet und betont die Vorteile einer koordinierten Wertschopfungskette bei Produkten mit kurzem Lebenszyklus und hoher Rotation: ..Innovations- und wachs-tumshemmend wirkt [...] daruber hinaus die in Deutschland uber Jahrzehnte gewachsene, arbeitsteilige Struktur zwischen Industrie und Handel. Die strikte Aufgabentrennung zwi-schen der Vorstufe, den Produzenten, Zulieferern, Dienstleistern, und dem Groli- und Einzelhandel erscheint vor dem Hintergrund der Erfolge vertikaler Ketten und Discounter veraltet zu sein und augenscheinlich den Konsumentenanforderungen nach aktuellem Angebot zu gunstigen Preisen, bei allzeit hoher Warenverfugbarkeit und mit wechselnder Inszenierung nicht mehr gerecht zu werden". °°

Hierbei wird zwischen einem kooperativen und einem integrativen Model! unterschieden: Das kooperative Modell ist im Falle einer freiwilligen, auf Dauer angelegten Zusammen-arbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich unabhangigen Unternehmen in Industrie und Handel gegeben. Beim weitergehenden integrativen Modell bilden die kooperierenden Unternehmen uber die gesamte Wertschopfungskette eine operative Oder gesellschafts-bzw. eigentumsrechtliche Einheit. °

In der Textilindustrie uberwiegt insgesamt das kooperative Modell. Die fuhrenden Textil-anbieter wie z. B. H&M, Inditex oder Benetton sind hingegen adaquater durch das inte­grative Modell - ohne Kapitalbetelllgung - charakterisiert. Insofern kann nIcht von einer vertikalen Integration im engeren Sinne gesprochen werden, auch wenn der Begriff Verti-kalisierung eine weitergehende Integration suggeriert. Ausgehend von der historischen Kernkompetenz des Unternehmens kann in Analogie zur Vor- oder Ruckintegration von einer „Front-End-Driven" oder einer „Back-End-Driven" Vertikalisierung unterschieden werden. Das Front-End-Driven Konzept wird durch Anbieter reprasentiert, die eine Verti­kalisierung in historischer Perspektive ausgehend vom Einzelhandel aufgebaut haben (z. B. H&M Oder C&A), wahrend das Back-End-Driven Konzept durch Produzenten um-schrieben ist, die einen markenexklusiven Einzelhandel etabliert haben (z. B. Zara Oder Mango). °^ Durch die vertikalen Anbietermodelle wird die klassische Aufteilung der Wertschopfungs­kette in Produktion und Einzelhandel uberwunden; ein Grolihandel im engeren Sinne mit eigenem Absatzrisiko und Logistikinfrastrukturen ist hierbei nicht mehr erforderlich. Die Loglk der Vertikalisierung mit Aufbau exklusiver Einzelhandelsinfrastrukturen zielt maS-geblich auf die Ausrichtung der Produktion auf den finalen Verkaufspunkt und erschlielit

^ ^ Vgl. R. P. Lademann, „Betriebstypeninnovationen in stagnierenden Markten unter Globalisierungsdruck", S. 91 , in: Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 71-96. Der Begriff wird teilweise auch direkt uber die Kontrolle von Wertschopfungsstufen, anstatt deren organisatorischer Einbindung definiert. Vgl. C. Schaudwet, ..Kundenorientierung", in: Wirtschaftswoche, 7.4.2005, S. 66-69. ^^ Vgl. F. Pietersen, „Handel in Deutschland - Status quo, Strategien, Perspektiven", S. 36, in: H.-C. Riek-hof. Retail, Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 31-69. ° Vgl. M. Kunkei, „Vertikales Prozessmanagement im Retail-Loop - Schnellere, flexiblere und kostengilns-

tigere Wertschopfung uber die gesamte Prozesskette am Beispiel des Fashionhandels, S. 360, in: C.-H. Riekhof, Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 357-387. ^°^ Vgl. W. Merkle, „Mango und Zara - Besonderheiten der neuen vertikalen Anbieter im deutschen Textil-einzelhandel", S. 432-433, in: Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 429-448.

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sich bei Analyse des Produktionssystems bzw. des Informations- und Materialflusses in-

nerhalb der Wertschopfungskette. Aufgrund des herkommlichen Produktionssystems der

Textilbranche verspricht eine enge Abstimmung von Produktion und Einzelhandel ein ho-

hes Verbesserungspotenzial:^°^ Die Bekleidungsbranche hat aufgrund gerlngerer Her-

stellkosten im 19. Jahrhundert - mit Ausnahme der exklusiven Schneidereien - von indivi-

dueller EInzelfertigung auf Konfektion umgestellt und operiert seitdem mit vorgefertigten

Produkten. Um die individuelle Aufnahme der MaBe des Kunden zu umgehen (Built to or-

der-Prinzip), wurden fur die Herstellung EinheitsgroBen mit standardisierter Feinskalle-

rung eingefuhrt. Mit der Einfuhrung standardisierter Grolien wurde impllzit dazu uberge-

gangen, das Herstellvolumen auf Basis von Markteinschatzungen und Planzahlen festzu-

legen (Made to forecast-Prinzip).^°'^

Die Einfuhrung der Konfektion bedingt naturgemaB zwel Nachteile: das Risiko der Uber-

produktion (Abschnitt 6.4.1) und das Anfallen von zusatzlichen Kapitalkosten (Abschnitt

6.4.2). Beide Nachteile werden durch die Senkung der Herstellkosten im Konfektionssys-

tem mehr als kompensiert, stellen aber nichts desto trotz ein betrachtliches Verbesse-

rungspotenzial dar.

6.4.1 Verringerung des Risikos der Uberproduktion Da bei Anwendung des Made to forecast-Prinzips eine direkte Abstimmung zwischen An-gebot und Nachfrage nicht moglich ist, hat sich die Textilindustrie seit der Umstellung auf Konfektion mit dem Risiko der Uberproduktion auseinander zu setzen. Der Nachteil ist insbesondere vor dem HIntergrund der hohen Varlanz der Kundenbedurfnisse zu sehen. Die Nachfrage nach Textilien in Bezug auf Stoff, Farbe und Schnitt unterliegt aufgrund ihres Modecharakters starken Schwankungen. Der Absatz eines Textilunternehmens hangt deshalb maUgeblich davon ab, inwieweit das Sortiment den aktuellen Modetrends entspricht. Restposten konnen einerseits durch eine falsche Einschatzung der Nachfra-gestruktur oder eine zu spate Belieferung des Einzelhandels bedingt sein. Falls sich der Modetrend zum Zeitpunkt der Auslage in den Filialen bereits wieder abschwacht, ist der Wert der Kollektion bezuglich Absatz und Preis gemindert. Durch Senkung des Preises konnen Restposten noch im Markt untergebracht werden, was jedoch in den meisten Fal­len mit dem Markeninhalt nicht kompatibel ist und mittel- bis langfristig zu einer Preisero-sion fuhrt. Zur Nachhaltung des Preisniveaus wird in der Textilbranche eine spezielle Kennzahl erhoben, die den tatsachllch erzielten Preis zum ersten Ticketpreis in Bezle-hung setzt. Die Industrie realisiert im Durchschnitt nur etwa zwei Drittel des ersten Ticket-preises.^°^

Das Risiko der Uberproduktion konnte bei organisatorischer Aufteilung der Wertschop­fungskette nur bedingt ausgeschlossen werden, da sowohl die Designabteilungen der

Vgl. C. Henschel. ..Konzepte im Wettbewerb", S. 48. in: absatzwirtschaft, Nr. 44, 4.11.1999, und J.-C. Jarillo, Strategische Logik, Wiesbaden 2003, S. 159. ° Die Umstellung der Textilindustrie auf ein Konfektionssystem ist mit der Geschichte von C&A verkniipft.

Vgl. B. Weiguny, Die geheimnisvoHen Herren von C&A, Frankfurt 2005, S, 21-32. ° Zara erzielt hierbei mit 85% eine herausragende Quote. Vgl. K. Ferdows, M. A. Lewis, J. Machuca,

"Rapid-Fire Fulfillment", S. 106, in: Han/ard Business Review, November 2004, S. 104-110.

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Textilunternehmen als auch die angeschlossenen Lohnhersteller uber kein aktuelles Kor-

rektiv bzw. keine direkten Abverkaufszahlen verfugten, um eine Einschatzung des Mark-

tes zu verifizieren. Beide operierten mit indirekten Verkaufszahlen, die erst nach einigen

Wochen Oder Monaten aktualisiert werden.

Auf dieses Defizit ist in der Textilindustrie mit einer zunehmenden Vertikalisierung und

einer Optimierung des Informationsflusses reagiert worden. Die fuhrenden Textilanbieter

kontrollieren den Absatz der Geschafte durch Barcodesysteme und korrigieren ihre

Markteinschatzung auf Basis tagesaktueller Verkaufszahlen. Zusatzlich sind Testvolumi-

na eingefuhrt worden. Hierbei wird das neue Sortiment zunachst in einer seiir kleinen

Stuckzahl produziert und an die Filialen ausgeliefert. Erst bei hinreichender Nachfrage

wird dann die Serienfertigung initiiert. Im anderen Fall werden die Entwurfe verworfen.

6.4.2 Senkung der Kapitalkosten

Der zweite Nachteil des Konfektionssystems besteht in den zusatzlichen Kapitalkosten, da die Ware ab Einkauf der Stoffe bis zum Verkauf vorfinanziert werden muss. Die Kapi­talkosten sind in erster Naherung proportional zur Dauer zwischen dem Einkauf der Stoffe und dem Verkauf der fertigen Kleidung. Bei organisatorischer Trennung von Produktion und Einzelhandel besteht eine Tendenz zur Verlangerung dieses Zeitraumes. Insofern wurde ein Nachteil des Konfektionssystems durch die in der Textilbranche lange Zeit vor-herrschende gesellschafts- und eigentumsrechtllche Entkopplung von Produktion und Einzelhandel, eventuell noch unter Einbezlehung eines Grodhandlers, verstarkt. Die Ver­tikalisierung von Produktentwicklung, Marketing und Einzelhandel erieichtert hingegen eine signifikante Verkurzung der Dauer zwischen Sortimentsentwurf und Verkauf.

Fallbeispiel: Zara als Markenanbieter mit eigener Herstellung Der spanische Inditex-Konzern waist bezogen auf Produktion, Loglstik und Einzelhandel einen hohen Grad der vertikalen Integration auf: Die Kollektion wird von Internen Deslgnern unter Ein­bezlehung von Trendscouts entworfen. Nach interner Prasentatlon entscheidet das Produktma-nagement in Abstimmung mit den Filialen uber die nachste Kollektion, die von 20 Naherinnen Im eigenen Musteratelier in Prototypen angefertigt wird. Ein Tell der Produktion erfolgt durch 18 ei-gene, am Standort bei La Coruna angesiedelte Produktionsbetrlebe. Insofern stellt Zara eine Ausnahme innerhalb der Textilbranche dar: Stoffe werden teilweise ungefarbt eingekauft, um durch eigene Farbung schnell auf Farbtrends reagieren zu konnen. Der verbleibende Anteil mit einem hohen Anteil manueller Fertigung erfolgt durch lokale Anbieter. Ein Tell der Produkte wird von Lohnproduzenten aus Portugal, China und der Turkei bezogen. Die Belieferung des Einzel-handels erfolgt durch das eigene Logistikzentrum. 40% des Umsatzes wird durch den unabhangl-gen Einzelhandel, 35% uber Franchise-Systeme und 25% in eigenen Laden erzielt. *^ Das erste Produktionsvolumen dient primar als Testware der neuen Kollektion; die Filialen erhal-ten von den Artikein zu Anfang nur zwei bis drei Exemplare. Nur wenn sich ein Artikel auf Basis der Nachbestellung der Filialen als trendgerecht en /eist wird ein groderes Volumen produziert. Die Gefahr von Uberschussware wird durch einen informationstechnischen Abgleich zwischen Produktionsplanung und Absatz in den Filialen minimiert. °^

°® Vgl. W. Michael, „Zusammen sind wir Zara", S. 40, in: Textilwirtschaft, Nr. 19, 9.5.2002. ° Vgl. „Mode zum Anfassen", S. 78, in: manager magazin, Vol. 1, 2004, S. 74-81.

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Das Unternehmen operiert mit einem Umlaufverm6gen von 10% des Umsatzes. Die Wettbewer-ber Benetton, H&M und Gap arbeiten hingegen mit einem Umlaufvermogen von 14%-15% des Umsatzes. Bei Unterstellung von Kapitalkosten in Hohe von 10% ergibt sich allein durch Reduzie-rung des Umlaufvermogens eine Differenz der Umsatzrendite von 0,5%. °® Das vergleichsweise geringe Umlaufvermdgen von Zara wird durch den hohen Grad der vertikalen Integration errelcht: Die Produktion erfordert 8 Tage, die Belieferung des Einzelhandels durch das eigene Logistik-zentrum nimmt 1 bis 2 Tage in Anspruch. Einschiiefllich Design kann Zara ein neues Produkt in-nerhalb von 15 Tagen auf den Markt bringen. Nach interner Vorgabe soil jeder Artlkel nach maxi­mal 3 Tagen verkauft sein. Innerhalb von zwei Wochen werden 70% der Artlkel umgeschlagen. °^ Zum Vergleich, bei H&M betragt die Zeitspanne zwischen Produktentwicklung und Verkauf noch

Neben der besseren Abstimmung zwischen Produktion und Verkauf konnen im Rahman einer Vertlkalisierung gegenuber dem herkbmmllchen, entkoppelten Modell welters Vor-teile realisiert werden. Stucke bzw. Sortimente mit hoher Einzelnachfrage konnen zugig nachproduziert und angeboten werden. Dadurch kann ein vertikaler Anbieter gegenuber einem herkommllchen Anbieter auch einen hoheren Umsatz erzielen, da die Nachfrage zu einem hoheren Antell durch eIne verbesserte Versorgung der Filialen bedlent werden kann. Weiterhin konnen auf Anbleterseite die Logistik- und Lagerkosten optimlert werden. Der entscheidende Schritt liegt jedoch in der besseren Abstimmung zwischen Produktion und Vertrieb, da das Sortiment auf Basis tagesaktueller Abverkaufszahlen sehr genau gesteuert werden kann und das Risiko einer Uberproduktion reduziert wird. Insgesamt ist davon auszugehen, dass ein vertikaler Textilanbieter eine um bis zu 10% hdhere Umsatz­rendite als ein herkdmmlicher Anbieter erzielt.^^^

6.5 Aufbau eines markenexklusiven Einzelhandels Im Kontext der Vertlkalisierung ist auch der Aufbau von Einzelhandelsaktivltaten unter ei-genem Namen durch die Textilanbieter zu sehen. Hierbei kommen den markenexklusiven Einzelhandelsaktivltaten unterschiedliche Funktionen zu. Einerselts wird eine nachhaltige Positionierung der Marke bzw. eine Differenzierung errelcht, durch den auch der Absatz des unabhanglgen Einzelhandels unterstutzt wird (vgl. hierzu Abschnitt 8.5.2, Tell 11). ^ Weiterhin konnen bereits mit einer geringen Anzahl eigener Filialen generelle Lerneffekte

^°* Vgl. K. Ferdows, M. A. Lewis, J. Machuca, "Rapid-Fire Fulfillmenf, S. 110, in: Harvard Business Review, November 2004, S. 104-110. °® Vgl. „Zaras Zeif, in: Textilwirtschaft, Nr. 11, 18.3.1999, S. 42fg. F. Pietersen geht davon aus, dass bei

voller Vertikalisierung im Gegensatz zur organisatorisch getrennten Wertschopfungskette die Durchlaufzeit der Ware von 60-90 Tagen auf 12-15 Tage gesenkt werden kann. Vgl. F. Pietersen, „Handel in Deutschiand - Status quo, Strategien, Perspektiven", S. 43, in: Retail Business in Deutschiand, S. 31-69. ^ ° Vgl. „Schnell raus, schnell raus", S. 76-77, in: brand eins, Oktober 2002, S. 74-78, „Mode zum Anfas-sen", S. 77, in: manager magazin, Vol. 1, 2004, S. 74-81, „Die Audienz des Sonnenkonigs bei H&M", in: FAZ, 13.11.2004, und Economist, „The future of fast fashion", S. 55-56, 18.6.2005. ^" Im Ergebnis ergibt sich eine Umsatzrendite von 1,9% fur den traditionellen und 11,5% fur den vertikalen Anbieter. Vgl. M. Kunkel, „Vertikales Prozessmanagement im Retail-Loop - Schnellere, flexiblere und kos-tengijnstigere Wertschopfung uber die gesamte Prozesskette am Beispiel des Fashionhandeis, S. 367, in: C.-H. Riekhof, Retail Business in Deutschiand, Wiesbaden 2004, S. 357-387. ^ ^ Vgl. J. Hintz, „Modeladen zwischen Showcase und Profitcenter", S. 10, in: Textilwirtschaft, Nr. 22, 28.5.1998, und T. Kewes, „Die Mode ziehtes in die Strafie", in: Handelsblatt, 23.5.2005.

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internalisiert werden, sowie die Planung unmittelbar auf Basis von Testsortimenten ange-passt werden (vgl. hierzu Abschnitt 8.5.4, Teil II).

Fallbeispiel: Benetton als Produzent mit Franchisevertriebssystem Das italienische Textilunternehmen Benetton hat sich historisch von einem Produzenten modi-scher Strickpullover zu einem globalen Modeunternehmen mit markenexkJusivem Vertrieb entwi-ckelt. Die Produktion erfolgt zum Groftteii durch unabhangige kleine Fabriken in Italien; auf die Verlagemng der Produktion in Billiglohnlander wurde weitestgehend verzichtet. Ausschlieliiich den Prozessschritt Farbung erbringt Benetton mit eigenen Kapazitaten, was die hohe Bedeutung der Farbauswahl der fur Benetton ursprunglich charakteristischen Strickwaren reflektiert. Neben Schnitt und Marke hat sich Benetton insbesondere durch seine ausgefallene und grelle Farbpalet-te hervorgetan. Entgegen dem Standard der Industrie ist ein GroUtell der Strickwaren hierbei aus ungefarbtem Stoff produziert worden; erst nach Identifikation der modischen Trends wird eine Farbung vorgenommen. ^^ Der Einzelhandel ist durch ein spezielles Franchisingsystem organisiert: Die Vertriebspartner ver-pflichten sich ausschliedlich bei Benetton einzukaufen und haben kein Ruckgaberecht fur nicht abgesetzte Ware, mussen andererseits aber auch keine Lizenzgebuhren fur den Gebrauch des Markennamens entrichten. Die Franchisenehmer arbeiten auf eigene Rechnung und Risiko; es wird keine Gewinnbeteiligung an Benetton abgefuhrt. Zur Vermeidung einer Oberproduktion und einer schnellen Anpassung des Produktionspianes auf Basis von Abverkaufszahlen werden die Franchisepartner fruh in die Planung der Kollektion ein-gebunden. Die Vorstellung der Kollektion fiir die Franchisenehmer erfolgt Im Rahmen einer inter-nen Modenschau, die von Filialbesitzern und Handelsvertretern besucht wird. Die Handelsvertre-ter prasentieren den Ladenbesltzern anschlieflend in den einzelnen Regionen die neue Kollekti­on, die auf Basis eigener Absatzeinschatzung ihre Bestellung vornehmen. Nach Eingang aller Bestellungen wird von Benetton mit der Produktion begonnen. Die Abverkaufszahlen der einzel­nen Filialen werden datentechnisch in Echtzeit an die Zentrale ubermittelt, so dass die Produktion genau gesteuert werden kann. "*

Fallbeispiel: Vertriebsstrategie mit eigenen Filialen von Boss Ursprunglich hatte Boss seinen Vertrieb uber den unabhangigen Einzelhandel organisiert. Seit den 90er Jahren werden verstarkt auch Filialen unter eigenem Namen erbffnet, die entweder in Eigenregie gefuhrt Oder von unabhangigen Vertriebspartnern gemanagt werden. Nahe dem Pro-duktionsstandort ist ein Factory Outlet in Metzlngen eroffnet worden, in dem Mangelware und ge-plante Produktion abgesetzt wird. In etwa 800 Hugo Boss Filialen werden ein Drittel des gesam-ten Umsatzes erzlelt. Davon werden etwa 150 Filialen in Eigenregie betrieben und die restlichen Filialen durch Franchisenehmer gemanagt. Der Filialbetrieb unter eigenem Namen wird als gleichwertig zum Einzelhandel uber unabhangige Partner angesehen und ist integraler Bestand-teil der Strategie. Mit einem Weltmarktanteil von uber 10% fur hochwertige Herrenmode ist ein hinreichendes Absatzvolumen fur den Ausbau des eigenen Vertriebssystems erreicht. Perspekti-

.-C. Jarillo, Stra­tegic Networks. Creating ttie borderless organization, Oxford und Woburn (MA), S. 97-117, und J.-C. Jarillo, J. I. Martinez, "Benetton S.p.A.", Harvard Business Case (1988), #9-389-074. ^^^ Vgl. J. Mantle, Benetton. Vom Familienbetrieb zum Weltuntemehmen, Mijnchen 2000, und J.-C. Jarillo, Strategic Networl<s, Creating the borderless organization, Oxford und Woburn (MA) 1993, S. 97-117.

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Page 150: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

visch soil der Umsatzanteil der in Eigenregie gefiihrten Hugo Boss Filialen von etwa 10% in 2006 welter ausgebaut werden. ^^

Bel textilen Luxusmarken liegt teilweise sine Dreiteilung der Distribution vor: Die In Eigen­

regie gefijhrten Stores werden von den Herstellern selbst betrleben, vermittein das ge-

samte Markenunlversum in den internationalen Metropolen und definleren fur die Marke

einen Standard. Die franchlsegefuhrten Markenshops konzentrieren sich bereits auf eine

breitere Zielgruppe und verfolgen auch eine direkte Vertriebsfunktion. Der Fachhandel,

bezogen auf den Umsatz der dominierende Vertrlebskanal, verfugt nur uber ein llmitiertes

Sortiment eines Produzenten und prasentiert die Ware im direkten Wettbewerbsum-

feld.^^^

6.6 Zusammenfassung In der Textilindustrie stellen der Entwurf der Kollektion und die Vermarktung die entschei-

denden Kompetenzen eines Anbieters dar. Die horizontal Organisation der Produktion

mit mittlerem Konzentrationsgrad (Faser und Gewebe) reflektiert die gegebenen GroUen-

vorteile und die vergleichswelse limitierte Moglichkeit eines Anbieters, sich innerhalb sei­

ner Preisklasse durch prozesstechnlsche Innovationen vom Angebot des Wettbewerbs zu

differenzieren. Fur die Wertschopfungsstufen Produktion (Zuschnitt und Zusammenna-

hen) und Marketing hat sich eine weltgehende eigentunnsrechtllche Entkopplung durch-

gesetzt. Nur In Ausnahmefallen werden einzelne Herstellungsprozesse von den Anbletern

noch unter eigener Regie erbracht. Die Restrukturierung ist durch die geringeren Herstel-

lungskosten der Billiglohnlander initiert worden; GroBenvortelle spielen bel der horizonta-

len Integration von Zuschnitt und Zusammennahen keine treibende Rolle.

Die Organisationsform der Vertikallsierung ohne eigentumsrechtliche Verblndung konfi-

pensiert die intrlnsischen Nachteile des Built to order-Systems. Diesbezuglich sind in ers-

ter LInie das RIsiko einer Uberproduktion als auch die hohen Kapitalkosten anzufuhren.

Beide Nachteile konnen durch eine kooperative Zusammenarbeit mit efflzientem Daten-

austausch zwischen Produktion und Handel Vertikallsierung grdUtenteils vermleden wer­

den.

Der Einzelhandel wird uber eine MIschung aus eigenen Filialen, Franchising und der Zu­

sammenarbeit mit unabhangigen Handlem abgewickelt. Hierbei bieten eigene Filialen

und Franchising die Moglichkeit zum Aufbau markenexklusiver Einzelhandelsaktivitaten.

Weiterhin hat die Uberwachung des Warenstromes zur effizienten Optimierung von An­

gebot und Nachfrage an Bedeutung gewonnen. Insgesamt ist der Anteil an vertikaler In­

tegration zwischen Marketing und Einzelhandel jedoch begrenzt, da die strategischen In-

teressen auch im Rahmen einer Kooperation verwirklicht werden konnen.

wieder mehr bei Boss", in: FfiiZ, 31.3.2004, P. Wolff (Interview), Handelsblatt, 20.8.2005, und 0. Wihofszki, Hugo Boss investiert in eigene Laden", FTD, 24.3.2006. ^ Vgl. B. Hake, K. Gronefeld, "Die Anwendung der Conjoint-Analyse fiir eine partnerschaftllche Sorti-

mentsgestaltung in der Bekleidung", S. 399, in: C.-H. Riekhof, Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 389-403.

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Page 151: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

7. Wertschopfungskette Tourismus

7.1 Darsteilung der Wertschopfungskette

Der Reisemarkt unterteilt sich in die Segmente Geschafts- und Privatreise. Wahrend die

Geschaftsreise einen gewerblichen Bedarf reprasentiert und zu einem Grodteil durch eine

professionelle Abteilung des Unternehmens abgewickelt wird, pragt der private End-

verbraucher nach wie vor die Nachfragestruktur bei Privatreisen. Im Kontext dieser Ana­

lyse wird auf das Segment der Privatreise fokussiert. Die Wertschopfungskette beginnt

mit der Planung der Reise und der abgestimmten Bundelung der einzelne Module, die

entweder durch einen Reiseveranstalter, einen Tourismuskonzern oder den Kunden in

Eigenleistung erbrachtwird (Abbildung 30).

Abbildung 30: Wertschopfungskette der Reisebranche und Geschaftsmodelle der verschiedenen Anbieterformen^^^

Planung bzw. Bundelung als eigene Wertschopfungsstufe stellen die Kompabilitat der einzelnen Reisemodule sicher und vermittein zwischen dem Angebot der Leistungstrager und den Qualitatsanspruchen des Reisenden. Zu den Leistungstragern zahlen Hotelket-ten, Transportunternehmen und mit gerlngerer wirtschaftlicher Bedeutung Zielgebiets-agenturen. Da bei einer Privatreise mehrere Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, von deren Qualitat sich der Kunde wegen regionaler und sprachlicher Barrieren nicht unmittelbar uberzeugen kann, und das Anbieterfeld der Leistungsanbieter mit Aus-

^ ^ Zur Darsteilung der Wertschopfungskette Tourismus vgl. H. Dettmer, Tourismus 3, Stuttgart 2001, S. 15fg, und H. Bastian, „Die touristischen Kernprozesse des Reiseveranstalters", in: H. Bastian, K. Born (Hrsg.), Derintegrierte Tourismuskonzern, Munchen 2004, S. 33-68.

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nahme der Fluggesellschaften zudem durch eine starke Zersplitterung charakterisiert ist, kommt dieser Stufe im Segment der Pauschalreise eine besondere Bedeutung zu. Ferner erfordert die Durchfuhrung der Reise eine zeitliche und raumliche Koordination verschie-dener Komponenten, die von dem Kunden - insbesondere vor Verbreitung des Internets -zum Teil nicht professionell geleistet werden konnte. Entsprechend hat sich ein Anbieterfeld von Reiseveranstaltern herausgebildet, urn zwi-schen dem im Quellmarkt anfallenden Bedarf und den Leistungstragern der Zielreglon zu vermitteln. Der Reiseveranstalter stellt in Aniehnung an die generische Wertschopfungs-kette den „Produzenten" dar. Die Veranstalter kaufen die Reisemodule von den Leis­tungstragern, nehmen fur den Kunden eine Bundelung vor und garantieren ein definiertes Qualitatsniveau. Im Einkauf erzielen die Tourismuskonzerne Grolienvorteile. Der Ab-gleich von Angebot und Nachfrage ermoglicht aus Sicht des Kunden eine drastische Senkung derTransaktionskosten.

Das Standardprodukt der Reiseveranstalter ist die Pauschalreise, bei der die Komponen­ten von dem Anbieter ausgesucht und im Paket verkauft werden. Von der Pauschalreise grenzt sich die privat organisierte Reise ab, bei welcher der private Endverbraucher die Planung und Bundelung in Eigenleistung vornimmt, unabhangig voneinander bei den je-weiligen Leistungstragern die Reisemodule einkauft und bucht.

Die Reiseveranstalter verkaufen ihre Reisen uber autorisierte Reisemittler und uber ihre Internetplattfonn direkt an den Kunden. Bei Vorhandensein eigener Vertriebsinfrastruktu-ren wird adaquater nicht mehr von einem Veranstalter, sondern einem Tourismuskonzern gesprochen. Als Reisemittler fungieren Reiseburos, die als Handelsvertreter sowohl mit den Leistungstragern, als auch mit den Reiseveranstaltern Agenturvertrage und Llzenz-vereinbarungen treffen. ^^ Abhangig von der Anzahl der Veranstalterlizenzen wird zwi-schen dem klassischen Reiseburo mit einer oder zwei Veranstalterlizenzen und dem tou-ristischen Reiseburo unterschieden, das uber mindestens zwei oder mehrere Veranstal­terlizenzen verfugt. In Deutschland gibt es ca. 15.000 stationare Reiseburos. ^® Das Reiseburo ist entweder Teil eines Tourismuskonzerns und verkauft Reisen des elge-nen VeranstaIters, oder vermittelt Reiseprodukte Dritter und tritt unabhangig im Markt auf. Die Wertschopfung der Reiseburos besteht in der Beratung des Kunden uber das verfug-bare Angebotsspektrum, dem Verkauf und der Durchfuhrung der Buchung. Reiseburos fur Geschaftsreisen stellen eine weltestgehend abgetrennte Branche dar; die fuhrenden Anbieter sind TQ3, DER/Derpart (Rewe-Gruppe), Lufthansa City Center, Carlson Wagon-lit Travel und American Express.

Die Reisebranche hat in den letzten 30 Jahren eine starke Konsolidlerung erfahren, in der sich die ehemals mittelstandisch und ubenrt/iegend national strukturierten Veranstalter bzw. Tourismuskonzerne zusehends konsolidiert und internationalisiert haben. Der Markt fur Tourismus in Deutschland wird von TUI, Thomas Cook, Rewe Touristik und Alltours

Seit 2004 arbeiten die Reiseburos in Deutschland bei Flugtickets als Handelsmakler und sind l<eine Handelsvertreter mehr. Beim Verkauf wird eine separat ausgewiesene Service- und Agenturpauschale er-hoben. Beim fruheren Konzept der Handelsvertretung hatten die Reiseburos keine Agenturpauschale erho-ben und von der Fluggesellschaft eine Vermittlungsprovision bekommen. ^ ^ Vgl. E. Krummheuer, "Furcht vor dem Dumping-Wettbewerb", in: Handelsblatt, 31.8.2004.

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Page 153: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

dominiert. Die kleineren unabhangigen Anbieter, wie z. B. Oger Tours (Tiirkei), Studio-sus/Marco Polo (Studienreisen) und Seetours (Kreuzfahrten) sind auf Marktnischen spe-zialisiert.

Hiervon haben sich TUI und Thomas Cook durch Akquisition von Leistungstragem zu in-tegrierten Konzernen herausgebildet, die zusatzlich zur Reiseveranstaltung und dem Ein-zelhandel auch eigene Transport- und Unterkunftsdienstleistungen unterhalten. Die Idee des integrierten Reisekonzerns ist Mitte der 90er Jahre in GroHbritannien von David Crossland, dem damaligen Leiter von Airtours, entwickelt worden, der das Konzept der managed capacities eingefuhrt hatte.

Fur die Planung und Bundelung nutzen die Reisevertriebsstellen hauseigene Buchungs-systeme, die mit branchenweiten Computer-Reservierungssystemen bzw. Global Distri­bution Systems (CDS) verbunden sind. Die GDS-Systeme verwalten verfugbare Hotel-, Plug- und Unterkunftskapazitaten auf zentralen Rechnern und sind ursprunglich von den Fluggesellschaften als interne Systeme konzipiert worden. Die global fuhrenden Reser-vierungssysteme sind Amadeus, Galileo, Sabre und Worldspan. Nach erfolgter Buchung konnen andere Vertriebsstellen bei entsprechender Anfrage unmittelbar die veranderte Verfugbarkeit berucksichtigen und Doppelbuchungen werden vermieden. Die Systeme verwalten ebenfalls die Ticketausstellung fur Fluge und sind nach internationalen Rege-lungen fiir jeden Anbieter offen, d.h. eine Fluggesellschaft darf nicht aus einem bestimm-ten System ausgeschlossen werden und muss reziprok jedem GDS-System seine Kapa-zitatsdaten und Buchungsbestande zur Verfugung stellen. ° Die Buchung erfolgt als Ser­vice der Reiseburos Oder durch den Kunden in Eigenleistung. Die Wertschopfungsstufe Zielgebietskoordlnation steht fur die Vermittlung zwischen den Reisenden und den touristischen Leistungstragem am Zielort. Die fuhrenden Tourismus-unternehmen verfugen uber eigene Agenturen im Zielgebiet Oder kooperieren mit ansas-sigen Anbietern. Im Fall der Individualreise ubernimmt der Kunde die Zielgebietskoordlna­tion in Eigenleistung, sofern nicht die Leistungstrager Dienste anbieten. Bezuglich der vertikalen Integrationsmuster in der Reisebranche werden verschiedene Veranderungen thematisiert. Zunachst wird die herkommiiche partielle vertikale Integrati­on von Reiseveranstaltung und Einzelhandel angesprochen (Abschnitt 7.2). In einem zweiten Schritt wird die Integration der Leistungstrager in den Einzelhandel thematisiert. Wurde traditionell ein GroBteil des Marktes uber die Reisevertriebsstellen der Veranstal-ter und unabhangige stationare Reiseburos bedient, wird der Kunde heute von den Leis-tungsanbieten (Abschnitt 7.3) und den GDS-Anbietern auch direkt angesprochen (Ab­schnitt 7.4). Nach Charakterisierung der Besetzung der Wertschopfungsstufe Einzelhan­del wird auf die zeitweilige Entwicklung der Reiseanbieter zum integrierten Tourismus-konzern eingegangen (Abschnitt 7.5).

Tourismus 3, Stuttgart 2001, S. 173fg. In Deutschland wird das GDS-System Amadeus vorwiegend mit dem START-System kombiniert, welches dem Reisebiiro Zugriff auf das Reser-vierungssystem der Veranstalter ermoglicht.

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7.2 Vertikale Integration von Veranstaitung und Einzelhandel Die Reiseveranstalter hatten aus verschiedenen Grunden parallel zum Absatz uber un-

abhangige Vertriebsstellen auch einen eigenen Einzelhandel aufgebaut. Zunachst war

das Angebot an unabhangigen, leistungsfahlgen Vertriebsinfrastrukturen fur Reiseproduk-

te mit groRer Beratungskompetenz begrenzt. Ferner wird durch ein eigenes Oder mar-

kenexklusives Filialnetz ein nicht unbetrachtlicher Marketingeffekt erzielt und unverzicht-

bare Lerneffekte durch unmittelbaren Kundenkontakt und Marktnahe internallsiert. Die

vertikale Integration von Veranstaitung und Einzelhandel ist dabei fast ausschliel^lich als

partieile vertikale Integration angelegt; parallel werden unabhangige Reiseburos genutzt

Oder Franchiseorganisationen aufgebaut. Bezogen auf die gesanfite Branche kann davon

ausgegangen werden, dass etwa drei Viertel der Reisen uber unabhangige Vertriebsstel­

len vermarktet werden.^^^

Zum Ausweis einer hohen Produktkompetenz bieten die eigenen Reiseburos stets auch

Produkte des Wettbewerbs an. Entsprechend charakterisiert Hans Lerch, der CEO von

Kuoni Reisen, die eigenen Reiseburos: „Die eigenen Reiseburos sind ganz klar Profit

Centers und mussen ihre Ertrage abliefern. Sie verkaufen idealerweise ca. 70 Prozent

Kuoni-Produkte und 30 Prozent Fremdprodukte. Aber diese Fremdprodukte sind absolut

notwendig, urn als Retailer die notwendige Produktkompetenz im Markt zu haben. Der

Anteil Eigenabsatz ist bonusrelevant fur die Geschaftsfuhrer, und so kann man den Ab­

satz von Restkapazitaten nicht durch Anordnung, sondern uber den Preis steuern".^^^

Die Struktur des Einzelhandels hat sich seit den 90er Jahren stark differenziert. Das stati-

onare Reiseburo ist durch den Vertrieb von Reisen durch spezialisierte TV-Sender, die

Kampagnenvermarktung im stationaren Einzelhandel und den Online-Einzelhandel erwei-

tert worden. Das Internet-Reiseburo hat sich als attraktive Vertriebsalternative zum klas-

sischen, stationaren Reiseburo etabliert und verzeichnet wachsenden Zulauf, da der

Wegfall der Filiate und des Personals geringe Vertriebskosten und somit gunstige Preise

verspricht. Der Wegfall der Beratung wird von den Nutzern durch eine eigene Sichtung

des Marktes kompensiert. In 2005 ist in Europa bereits 10% des Reisemarktes uber das

Internet als Buchungsplattform abgewickelt worden.

Die ErschlieRung des Internets fur den Vertrieb von Reisen bzw. als Marketingplattform

durch „Branchenfremde" resultiert zu einem GroBteil aus der strategischen Zwickmuhle

der etablierten Reiseveranstalter, welche die Chancen des neuen Mediums durchaus sa-

hen, Ihre angestammten Vertriebspartner jedoch nicht einfach ubergehen konnten. Die

abnehmende Bedeutung einer vorhandenen Ressource kann sich insofern als Hindernis

en/veisen, der Quereinsteigern zumindest einen gewissen Zeitvorsprung verschafft. Inzwi-

schen haben die etablierten Reiseveranstalter auch eigene Online-Vertriebsplattformen

aufgebaut.^^^

Vgl. W. Freyer, Tourismus, MiJnchen 2006, S. 230-231. ^ ^ Vgl. H. Lerch, „Der besondere Weg zur Vertikalisierung und Internationalisierung", S 123, in: H. Bastian, K. Born (Hrsg.), Der integrierte Tourismuskonzem, Munchen 2004, S. 121-126. ^ ^ Die problematische Kombination von eigenen und unabhangigen Vertriebsaktivitaten hat TUI bei Anpas-sung seines Provisionssystems erfahren: Nach Kiirzung der Vertriebsprovisionen fur unabhangige Online-Reisevermittier gegenijber stationaren Reiseburos hatten die Online-Reisevermittler die Reiseprodukte von

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Wahrend sich die Internet-Reiseburos der ersten Stunde ausschlie(ilich auf den Vertrieb

von Reisen unabhangiger Veranstalter konzentrierten, erfolgt zunehmend der Aufbau ei-

nes Reisegeschaftes mit eigenen Angeboten. Der ehemalige Vertriebskanal tritt bezogen

auf das Marktsegment der Pauschalreise in direkten Wettbewerb mit den traditionellen

Reiseveranstaltern. Durch die vertikale Integration von Veranstaltung und Vertrieb wird

eine Differenzierung vom Wettbewerb und eine groRere Unabhangigkeit gegenuber den

Reiseveranstaltern gewonnen. Zusatzlich wird die Nutzungsfrequenz der Plattform er-

hoht. Im Vergleich zum stationaren Reisehandel kann eine hohere Umsatzrendite erreicht

werden. Es ist davon auszugehen, dass die Plattformen keine vollstandige vertikale Integ­

ration anstreben, d.h. den Vertrieb von Reiseprodukten unabhangiger Reiseanbieter nicht

aufgeben.

Fallbeispiei: Expedia als erstes Internetreiseburo Expedia, eines der ersten Internet-Reiseburos, war ursprunglich von Microsoft gegrundet worden; heute gehort die Firma zu dem amerikanischen Medienunternehmen interactivecorp. Das Online-Reiseborse ist unabhangig von Reiseveranstaltern und Leistungstragern und hatte sich zunachst auf die Vermittlung von Angebot und Nachfrage auf Basis von Umsatzprovisionen konzentriert. In einem zweiten Schritt wurde ein eigenes Veranstaltergeschaft aufgebaut. In GroRbritannien wird der Umsatz bereits fast vollstandig aus individuellen, selbst zusammengestellten Reisen bestrit-

7.3 Vorintegration der Leistungstrager in den Einzelhandel Die Veranderungen der vertikalen Integrationsmuster in der Tourismusbranche hangen teilweise mit dem Internet und der dadurch bewirkten Senkung der Eintrittshurden in den Einzelhandel von Reisen und Reisemodulen zusammen. Das Eindringen neuer Wettbe-werber in der Wertschopfungsstufe Einzelhandel hat zu einer Steigerung der Marktinten-sitat gefuhrt und das Aufbrechen der Pauschalreise in die Einzelmodule gefordert (Abbil-dung 31).

TUI aus ihrem Angebot genommen hatten. Vgl. „Reiseportale nehmen TUI-Angebote aus dem Netz", in: Handelsblatt, B.^^.2006. ^^^ Vgl. Jm Online-Reisemarkt tobt ein harter Verdrangungswettbewerb", in: FAZ, 26.7.2004.

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Abbildung 31: Besetzung der Wertschopfungsstufe Einzelhandel durch Veran-stalter, GDS-Anbieter, Leistungstrager und Branchenfremde

Aus Kundensicht erieichtert die Vohntegration der Leistungstrager in den Einzelhandel eine individuelle Kombination von Modulen und damit eine starkere Orientierung an den individuellen Bedurfnissen in Abgrenzung zum Standardangebot aus dem Katalog des VeranstaIters. Der Kunde gewinnt eine voile Preistransparenz im Vergleich zum undiffe-renzierten Pauschalpreis. Der Transaktionsaufwand des privaten Endverbrauchers bei eigener Planung ist durch diverse Internetforen und Reisefuhrer erheblich gesunken und das Reiseburo hat seine datentechnisch bedingte Monopolstellung eingebuflt. Die traditionellen Reiseveranstalter haben auf den Trend reagiert und bieten komplemen-tar zu ihrem Hauptprodukt, der Pauschalreise, auch einzelne Module der Leistungstrager an (Dynamic Packaging). In Deutschland wurden 2002 etwa 55% der Privatreisen ab 5 Tagen Dauer als Individualreise von dem Kunden selbst geplant und organlsiert, nur 45% als Pauschalreise uber einen Veranstalter gekauft. Zukunftig wird von einem noch hdhe-ren Anteil der privat organisierten Reise ausgegangen.^^^

Bei den Leistungstragern wird nacheinander auf die Fluggesellschaften (Abschnitt 7.3.1) und die Hotelketten (Abschnitt 7.3.2) eingegangen.

7.3.1 Billigflieger und Charterfiieger mit Direktvermarktung

In den 80er Jahren konnte die europaische Flugbranche fur Passagierbefdrderung noch vereinfacht in die Segmente Linien- und Charterflug eingeteilt werden. Die Segmente sind aus verkehrsrechtlichen Bestimmungen abgeleitet, gemafi denen zwischen einem Linien-rechtluftverkehr und einem Gelegenheitsluftverkehr unterschieden wird. Das Geschafts-

Vgl. E. Heymann, „Tourismus in Zeiten von Terror und Konsumschwache", in: Deutsche Bank Research, 26.8.2003, Nr. 281, S. 9.

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modell der Charterfluggesellschaften wie z. B. Condor und LTD sah zunachst vor, das gesamte Kontingent zu einem Festpreis an einen Reiseveranstalter zu verkaufen, der dann auf eigenes Risiko die Vermarktung und den Vertrieb der Kapazitat bzw. der Sitz-platze ubernommen hat. Die Kontingente der Charterfluggesellschaften durften von den Veranstaltern ursprunglich nur im Paket einer Pauschalreise mit Zielgebietsarrangennent verkauft werden.

Die heutigen Charterflieger werden adaquater als Ferienfluggesellschaften charakterisiert und sind insofern uber die Zielsetzung der Flugreise definiert. Die meisten Ferienflugge­sellschaften fliegen inzwischen unter dem Linienflugrecht und bieten auch Einzelsitzplat-ze an. Eine ubiiche Verteilung der Ferienflieger sieht vor, dass zwei Drittel der Kapazitat pauschal an einen Reiseveranstalter und ein Drittel als Einzelsitzplatze direkt an den pri-vaten Endverbraucher verkauft werden. Durch die Kombination von zwei Vermarktungs-strategien wird sowohl eine hinrelchende Mindestauslastung erreicht, als auch die Option offen gehalten, an der tiberdurchschnittlichen Rendite im attraktiven Segment der Einzel-sitzplatzvermarktung zu partizipieren. Der Gewinn bei Vermarktung einzelner Sitzplatze ist wesentlich hoher als beim Verkauf einer Kapazitat im Paket; allerdings muss der Fe­rienflieger im ersten Fall auch das unternehmerische Risiko tragen. ^® In den 90er Jahren sind schlieRlich noch mit u.a. Ryan Air, Air Berlin und Germanwings die „Billigflieger" Oder Low-Cost Carrier in den Markt eingetreten. Die Billigflieger haben den Prozess der Flugreise sowohl in der Bodenabfertigung, im Bordservice als auch im Vertrieb radikal verelnfacht. Vornehmlich werden Randflugplatze mit gunstigen Start- und Landegebuhren und freien Kapazitaten genutzt, die in ihrem Aufbau von offentlichen For-derungen profitieren. Verpflegung an Bord ist kein im Preis enthaltener Service, sondern ein zusatzliches Geschaft. Die Billigflieger vermarkten ihre Kontingente durch verschie-dene Kanale: uber Reiseveranstalter, denen im Paket Kapazitaten verkauft werden, und auf Basis von Einzelsitzplatzen, die sowohl durch unabhangige Reiseburos Oder Internet-plattformen, als auch direkt im Internet angeboten werden. Die Billigflieger setzen etwa 60 - 90% ihrer Tickets uber die eigene Homepage ab. '' Fur das Segment der Einzelsitzplatzvermarktung sieht die Preisstrategie der Billigflieger vor, die ersten Platze zu sehr niedrigen Preisen anzubieten um eine Mindestauslastung der Maschine zu erreichen, um danach die Preise immer mehr anzuheben. Die hochsten Deckungsbeitrage werden mit den zuletzt verkauften Tickets erzielt. Die Kopplung der Preise an die jeweilige Auslastung ist insbesondere bei der Vermarktung von Einzelsitz­platzen von Bedeutung. Charterflug und Direktvermarktung stehen aufgrund der unterschiedlichen RIsikostruktur -der Charterflieger delegiert einen Grolitell des unternehmerischen Risikos an den Reise­veranstalter - fur prinzipiell unterschiedliche Geschaftsmodelle. Die Direktvermarktung

^® Zur Charakterisierung der Ferienflieger vgl. W. Kurth, R. A. Herzog, ..Ferienfluggesellschaften im Wan-del: Auf dem Weg zu einer Europaischen Airline-Plattform", in: H. Bastian, K. Born, Der integrierte Touris-tikkonzem, Miinchen 2004, S. 165-184. ^ ^ Vgl. „Zahl der Online-Reisebuchungen nimmt stetig zu", in: FAZ, 27.8.2005. Air Berlin generiert etwa 40% des Umsatzes mit Reisevenanstaltern, 60% durch Vermarktung von Einzelsitzplatzen. Vgl. J. Hunold (Interview), ,.Man muss Krieger sein", S. 64, in: manager magazin, 09/04, S. 64-71.

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eriaubt aufgrund der kurzen Abstimmungswege ein Real Time-Management, bei dem die Preisbildung einer maximalen Variabilisierung unterworfen und in Abhangigkeit der Aus-lastung und des Flugzeitpunktes permanent angepasst wird. Die Fluggesellschaft operiert hierbei nahezu vollstandig uber ihre eigene Online-Reservierungs- und Buchungsplatt-form. Bei Vermittlung uber einen Reiseveranstalter diirfte eine hohe Reaktionsschnellig-keit nur ungleich schwerer zu erreichen sein, da eine weitere Partei in die Abstimmung einbezogen werden muss und die Reservierung uber eine unabhangige GDS-Plattform abgewickelt wird. ^® Die Vertriebspromotion des Reiseburos und die Abwicklungsgebuhr der GDS-Anbieter entfallen.

7.3.2 Verstarkung der Eigenvermarktung durch die Hotelketten

Fur die Vermarktung von Hotelkapazitaten haben sich im Markt fur Privat- und Geschafts-

reisen unterschiedliche Modelle herausgebildet. Die fur Badeorte typischen Strandhotels

und Ressorts verfugen in der Regel nur uber begrenzte eigene Marketing- und Vertriebs-

aktivitaten und haben ihren Vertrieb an unabhangige Reiseburos Oder internationale Tou-

ristikkonzerne delegiert. Wegen der Atomisierung des Anbieterfeldes und der sprachli-

chen und raumlichen Barrieren sind die Hotels auf Vertriebsmultiplikatoren angewiesen.

Das Reiseburo ermoglicht dem privaten Endverbraucher eine signifikante Begrenzung

seiner Transaktionskosten zur Sichtung des Angebots und zum Einkauf der Unterkunfts-

dienstleistung. Hierbei vergeben die Hotels ihre Kontingente zu GroBhandelspreisen und

ubertragen das unternehmerische Risiko auf den Handel Oder es wird auf Basis von Ver-

mittlungsprovisionen gearbeitet. Im letzteren Fall verbleibt das Risiko einer unterkritischen

Auslastung bei den Hotelgesellschaften. Die Unterkunft wird von den Veranstaltern durch

Bundelung mit anderen Modulen zu einer Pauschalreise kombiniert oder einzein verkauft.

Die Entstehung der grolien, internationalen Business-Hotelketten geht auf die Diversifika-

tion der Fluggesellschaften in der Mitte des 20. Jahrhunderts zurijck. So ist u.a. die heuti-

ge Kette Interconti von der ehemaligen amerikanischen Airline PanAm, Hilton von TWA

und Sheraton von SAS gegrundet worden. Hierbei wurde von den Fluggesellschaften die

Zielsetzung verfolgt, ihre bestehenden Kundenbeziehungen zu nutzen und versucht, ne-

ben dem Flugticket auch eine Unterkunft zu verkaufen. Beide Geschafte - Flugpassage

und Unterkunft - sind inzwischen wieder getrennt worden.^^^

Business- bzw. Cityhotels adressieren den gewerblichen Markt fur Geschaftsreisende,

aber auch den privaten Endverbraucher. Die globalen Hotelketten haben ihre Marketing-

und Vertriebsaktivitaten in den letzten Jahren deutllch gestarkt. Hierunter fallt einerseits

die Starkung der Marke durch Werbung und die Beteiligung an Bonusprogrammen von

Fluggesellschaften und Kredltkartengesellschaftern, als auch der Aufbau eines eigenen

Online-Einzelhandels. In fast alien Fallen liegt eine partielle vertikale Integration vor, da

erganzend auch unabhangige Vertriebsplattformen als Absatzkanal genutzt werden.

Hierunter fallen unabhangige Online-Reiseburos und stationare Reisevertriebsagenturen

Vgl. H. Dettmer (Hrsg.). Tourismus 3, Stuttgart 2001, S. 306fg., und 0 . Fichtner, B. Boeffgen, „Tagesak-tuelles Pricing nur unter scharfsten Sicherheitsvorkehrungen", in: absatzwirtschaft, 8/2004, S. 28-31. ^ ^ Vgl. W. Freyer, Tourismus, S. 154fg., MiJnchen 2006.

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Page 159: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

(u.a. TQ3, Carlson Wagonlit). Zusatzlich wird der Absatz durch Online-Vermittlungs-

plattformen (u.a. Hotel Reservation Service, hotel.de) unterstutzt, die durch Bundelung

des Angebots transparent den Markt abbilden.

Fallbeispiel: Eigenvermarktung der KapazitHten bei Intercontinental Die gezielte Nutzung unabhangiger Vertriebsplattformen fur den last mInute-Absatz verbleibender Kapazitaten hat bei Intercontinental zu einer schleichenden Preiserosion gefuhrt. Die offizlellen Preise wurden angesichts der groRen Differenz zu den gunstigeren last minute-Angeboten immer weniger akzeptiert. Die Hotelkette ist dem Preisverfall durch Starkung der eigenen Vertriebsaktivi-taten begegnet: Den unabhSngigen Vertriebsplattfomnen sollen nur noch geringe Kapazitaten im Niedrigpreissegment angeboten und deren Anteil am Gesamtabsatz dadurch gesenkt werden. Zusatzlich wird die Einfiihrung einer „Bestpreis-Garantie" fur den eigenen Vertrieb erwogen, bei der ein Kunde bei Nachweis eines geringeren Prelses tiber unabhangige Anbieter einen entspre-chenden Nachlass bekommt. ^°

Durch die partielle vertikale Integration der Wertschopfungsstufen Unterkunft und Einzel-handel wird aus Sicht der Hotelkette keine Senkung der Koordinationskosten erreicht: Die Managementkosten bei Eigenleistung fallen in der Regel nicht geringer aus als die Transaktionskosten bei Abstimmung mit dem unabhangigen Einzelhandel. Das Hauptmo-tiv durfte in den hdheren Deckungsbeitragen bestehen, die bei Umgehung einer Vermitt-lungsebene erzielt werden. Die Eigenregie im Einzelhandel eriaubt auch bei kurzfristigen Kapazitaten eine hohe Flexibilitat der Preisstrategie zur Maximierung der Auslastung. Ei-ne in perspektivischer Hinsicht denkbare, vollstandige vertikale Integration ist allerdings unrealistisch, da eine hohe Auslastung allein durch hierarchisch organisierte Vertriebs-stellen nur bedingt erreicht werden kann. Die Vorintegration der Hotels kann aber eine Verschiebung der Anteile bewirken.

Zusatzlich ist zu berucksichtigen, dass die Einstiegshurden in den Einzelhandel durch das Internet gesenkt worden sind. Wahrend es Anfang der 90er Jahre fur den Vertrieb von Reisemodulen noch erforderlich war, stationare Infrastrukturen einzubeziehen Oder ein Call Center zu beauftragen, kann heute mit einer vergleichsweise geringen Investition ein Onlinegeschaft gestartet werden.

7.4 Integration der GDS-Anbieter in den Einzelhandel Die Vermittlung und der Verkauf von Reisemodulen oder einer Pauschalreise erfordert

eine enge datentechnische Vernetzung zwischen dem Reisebiiro und den Leistungstra-

gern. Einerseits mussen die verfugbaren Kapazitaten und tagesaktuellen Preise effizient

aufrufbar sein, andererseits muss die Kapazitat unmittelbar nach Buchung aus dem An-

gebot genommen werden, um eine Doppelbuchung zu verhindern. Aufgrund der enormen

Grolienvorteile fur die Erbringung dieser Dienstleistung haben sich spezialisierte GDS-

Anbieter herausgebildet, die den Reiseburos ihre Datennetze gegen Entrichtung einer

Nutzungsgebuhr zur Verfugung stellen.

Vgl. H.-C. Noack, Jntercontinental will wieder die Hoheit uber die Hotelpreise", in: FAZ, 28.7.2004.

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Page 160: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Hierzu zahlen Amadeus, Galileo, Sabre und Worldspan, die den Weltmarkt fur Reiseda-ten kontrollieren. Hinsichtlich ihrer Entstehung stellen die fuhrenden GDS-Anbieter Aus-gliederungen von Fluggesellschaften dar, die sich zu Konsortien zusammengeschlossen hatten, unn an dem Geschaftsfeld der Reservierungssysteme zu partizipieren: Amadeus (Lufthansa, Air France, Iberia und SAS) und Galileo (British Airways, KLM und Swissair) sind von europaischen Fluggesellschaften gegriindet worden; Sabre und Worldspan sind aus den internen Buchungssystemen der Fluggesellschaften American Airlines, TWA, Delta und Northwest hervorgegangen. Nach und nach wurden dann die Daten von weite-ren Leistungstragern mitaufgenommen. Die historische Herkunft bedingt den regionalen Schwerpunkt der Anbieter. ^^ Seit einigen Jahren sind mit u.a. G2 Switchworks, ITA Software und Lufthansa Systems neue Anbieter in den Markt eingetreten, die den fuhrenden Anbietern mit gunstlgen Kon-ditionen Buchungsvolumen streitig machen, allerdings noch kelne nennenswerten Markt-anteile erreicht haben. Zur Vermeidung von Verzerrungen bei eigentumsrechtlicher Verbindung von Transport und GDS-Angebot war in dem Code of Conduct festgelegt, dass eine Fluggesellschaft ihr eigenes GDS-System hinsichtlich der ausgehandelten Konditionen gegenuber anderen Anbietern nicht bevorzugen darf. Nachdem die amerikanischen Airlines ihre Anteile an den GDS-Systemen verkauft hatten sind diese Regein in den USA aufgehoben worden. In Europa gilt noch der Code of Conduct, da u.a. mehrere Fluggesellschaften noch Antei­le an Amadeus halten. ^^ Traditionell wurde in dieser Wertschopfungsstufe mit einer Umsatzrendite im zweistelligen Bereich die hochste Rentabilitat im Reisegeschaft erreicht. Die Attraktivitat erklart sich aus den hohen Eintrittshiirden und dem Verhaltnis von FIxkosten zu variablen Kosten: Mit zunehmender Auslastung des Systems bleiben die fixen Kosten relativ konstant, wahrend die variablen Kosten vemachlassigt werden konnen. Mit dem Direktverkauf von Reisemodulen durch die Leistungstrager haben sich die Wachstumsaussichten der GDS-Anbieter verdustert. Bel direktem Onllneverkauf des Leistungstragers ist dieser nicht auf die Dienstleistung eines GDS-Anbieters angewiesen, da bei der Buchung unmittelbar auf die offentlichen Telle der Datenbank des jeweiligen Anbieters zugegriffen wird. Hierdurch umgeht der Leistungstrager die hohen GebCihren der GDS-Anbieter und internalisiert die Prozesskontrolle: Zwischen 2001 und 2006 Ist der Anteil der uber GDS-Systeme abgewickelten Buchungen bei Flugzeugen bzw. Hotels von 70% auf 51 % bzw. von 44% auf 34% gesunken. ^^ Auf die schleichende Substitution des Geschaftes haben die GDS-Anbieter mit dem Auf-bau zusatzllcher Angebote und Dienstleistungen reagiert. So hat Amadeus Softwarepro-dukte fur den Preisvergleich von Verkehrstragem und das Management von Reisedaten

Die Fluggesellschaften haben ihren Anteil an Amadeus inzwischen reduziert, Galileo ist an die amerika-nische Hotelkette Cendant verkauft und Worldspan von Citigroup Venture Capital ubernommen worden. Eine Charakterisierung der Entwicklung der Anbieter findet sich bei R. Kiani-Kress, H.-J. Kleese, „Wie Hula-Hoop", in: Wirtschaftswoche, 4.11.2004, S. 60-61, und W. Freyer, Tourismus, Miinchen 2006, S. 273fg. ^ ^ Vgl. N. Kohnert, „Rivalen fijrchten Amadeus-Monopol", in: FTD, 8.5.2006. ^ ^ Vgl. M. Eberle, „Fluglinien wehren sich gegen System-Gebuhr", in: Handelsblatt, 5.5.2006.

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Page 161: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

entwickelt; Galileo hat eine Datenbank fur Hotelkapazitaten und Preise aufgebaut. Ferner

entwickein die GDS-Anbieter Softwareprodukte und Beratung fiir Internetreiseburos und

Firmenkunden.

Unter dem Blickwinkel der Integration der Wertschdpfungskette ist die Vorintegration der

GDS-Anbieter in den Einzelhandel interessant. So hat Amadeus die Mehrhelt an dem On-

lineportal opodo ubernommen und die Ubernahme von Traveltainment eingeleitet, dem in

Deutschland fuhrenden Softwareanbieter fur Online-Reiseburos. Sabre betreibt das Por­

tal travelocity und hat 2005 den britischen Onlinepionier lastminute.com akquiriert. Galileo

nutzt das Onlineportal der Muttergesellschaft Cendant. ^"^

Die gute Ausgangsposition fur die Besetzung eines wachsenden Marktes kann als der

Treiber der vertikalen Integration angesehen werden. Die Managementkosten fur die Ko-

ordination zwischen Reisebiiro und GDS-Service fallen ggf. auch geringer aus als die

Transaktionskosten bei Nutzung eines externen Anbieters. Ferner konnen im Einzelhan­

del erzielbare Lerneffekte fur die Weiterentwicklung des Systems internalislert werden.

7.5 Vertikale Integration der Tourismuskonzerne Das Vermittlungs- bzw. Handelsgeschaft des ReiseveranstaIters ist in den 90er Jahren durch Akquisition und den Aufbau eigener Transport- und Unterkunftsinfrastrukturen wei-terentwickelt worden. Wahrend sich der klassische Tourismuskonzern auf Planung, Koor-dination und den Verkauf der Reise beschrankt, deckt der integrierte Reisekonzern teil-weise auch die Wertschbpfungsstufen Transport und Unterkunft ab. Sowohl TUI als auch Thomas Cook hatten die Strategie eines integrierten Tourismuskon-zerns verfolgt. Die Reisesparte der deutschen Rewe-Gruppe konzentriert sich hingegen fast ausschlieBlich auf das klassische Vermittlungsgeschaft (Abbildung 32).

Vgl. „Buchungsfirma Amadeus plant Ubernahme", in: FTD, 31.5.2006, und T. Kroder, „US-Reisevermittler kaufen sich in Europa ein", in: FTD, 13.5.2005.

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Page 162: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 32: Wertschopfungskette der Reisebranche und Integrationsgrad der fuhrenden Tourismuskonzeme

Failbeispiel: TUi's als integrierter Touristikkonzern Die Transformation der frijheren Preussag zur heutigen TUI kann als reprasentativ fur die strate-gische Neuorientierung der Tourismuskonzeme angesehen werden. Parallel zu dem Anfang der 90er Jahre eingeleiteten Ausstleg aus dem Geschaftsfeld der Schwerindustrie (Stahl, Kohle) hatte die damallge Preussag u.a. durch Akquisition der Hapag-Lloyd, der TUI, der Reiseburokette FIRST, der britischen Thomson Travel Group, der franzosischen Nouvelles Frontieres und diver-ser Hotelketten ein umfangreiches Reisegeschaft mit integrierten Leistungstragern aufgebaut. Hapag-Lloyd hatte neben dem Containergeschaft fur gewerbliche Kunden auch Relseburos, eine Ferienfluglinie und eine Kreuzfahrtreederei eingebracht. Die Neuausrichtung wurde 2002 mit der Umbenennung zu TUI konsequent abgeschlossen. TUI verfijgte 2005 uber ca. 100 Charterflugzeuge, 4 Kreuzfahrtschiffe, eine Beteiligung an 280 Hotels mit insgesamt ca. 170.000 Betten und 3.000 Reiseburos, die Reisen von insgesamt 80 Veranstal-tern (u.a. Alrtours, Wolters Reisen, 1-2-fly) vermitteln. ^^ Entsprechend fiihrt der Vorsitzende des Vorstandes, M. Frenzel, aus: „Wir sind kein Handler, sondern ein Produzent [...] Die 20 Millionen Kunden im Konzern, die bei uns im Reiseburo oder Im Internet buchen, wollen wir nicht nur in un-serer Elgenschaft als Handler nutzen. Wie verdienen wesentlich mehr, wenn wir moglichst viele in unsere eigenen Flugzeuge und Hotels leiten". ^^

Durch die vertikale Integration vereinnahmen die Tourismuskonzeme einen grofieren An-

teil am Gesamtgewinn der in den einzelnen Wertschopfungsstufen erzielten Gewinnbei-

trage einer Pauschalreise (Abbildung 33).

^ ^ Vgl. auch „Hapag-Lloyd beschert die Mutter TUI", in: FAZ, 16.4.2004 und „Dringende Partnersuche", in: CBjp\ta\, 9/2004, S. 52-55. ^^ Vgl. M. Machatschke, „Sch6n wie im Katalog", S. 60, in: manager magazin, 09/03, S. 56-60; und R. Kia-ni-Kress, H.-J. Klesse, „Mehr vorgenommen". Interview mit M. Frenzel, S. 108, in: Wirtschaftswoche, 8.5.2006, S. 105-108.

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Page 163: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 33: Verteilung von Umsatz und Gewinn bei einer Pauschal-reise bezogen auf die Wertschopfungskette fur Tourismus in relativen Anteilen^^^

Die vertikale Integration von Reiseveranstaltung und Leistungserbringung basiert auf der Annahme, die Vermittlung eigener sei gegenuber der Vermittlung unabhangiger Kapazita-ten zu favorisieren. Neben der Vereinnahmung des zusatzlichen Gewinnpotenzials lassen sich weitere Begrundungen anfuhren, die an der Verbesserung des Qualitatsmanage-ments (Abschnitt 7.5.1), der Sicherung attraktiver Kapazitaten (Abschnitt 7.5.2), der Op-timierung der Auslastung (Abschnitt 7.5.3) und der Senkung der Transaktionskosten im Einkauf (Abschnitt 7.5.4) ansetzen.

7.5.1 Verbesserung des Qualitatsmanagements Eine hohe Qualitat des Produktes Pauschalreise erhoht die Quote der Wiederkaufer und

verbessert die Markenausstrahlung des VeranstaIters. Die Marke hat eine steigende Be-

deutung fur die Veranstalter zur Differenzierung vom Wettbewerb, da der Preis seine

Funktion als Qualitatsindikator weitestgehend eingebulit hat. Der TUI-Konzern gibt auf

seiner Homepage an: "Der Erfolg der TUI AG ergibt sich maHgeblich aus dem Aufbau ei­

ner integrierten Wertschopfungskette [...]. Durch unsere ubergreifenden Aktivitaten in den

Bereichen Vertrieb, Veranstalter, Plug, Zielgebletsagenturen und Hotel konnen wir einen

Vgl. „Strategiewechsel am Beispiel der Preussag AG", in: FvAZ, 24.11.2001; M. Muller-Dofel, „Leiden in der Touristenklasse", S. 23, in: Euro, 05/06, S. 22-25, und W. Freyer, Tourismus, JVIiinchen 2006, S. 218.

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Page 164: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

durchgangig hohen und gleichbleibenden Qualitatsstandard gewahrleisten [...] Fur unse-re Kunden bedeutet das rational: Sie bekommen alie Dienstleistungen aus ejner Hand". ^^ Der Besitz von Leistungstragern kann in mehrerer Hinsicht genutzt werden, urn das Qua-litatsmanagement zu steigern. Die Moglichkeit des disziplinarischen Zugriffes auf die be-teiligten Leistungstrager tragt zu einer Erhdhung der Qualitat und der Kundenorientierung bei und starkt damit auch langfristig die Marke des Reiseanbieters. Durch gezielte Aus-wahl und intensive Schulung des Personals kann ein deflniertes Leistungsniveau leichter durchgesetzt werden als bei Ruckgriff auf Person a Iressou roe n unabhangiger Dienstleister.

Ferner ermoglicht die vertikale Integration die Schaffung eines einheitlichen Markenauf-tritts, so dass die ganze Reise, und nicht nur die Vemiittlung, als Dienstleistung eines Un-ternehmens begriffen wird. ^^ Zur Erreichung einer hohen Homogenitat der Marke treten die Veranstalter mit prelslich und qualitativ abgestuften Marken auf. So fuhrt der TUI-Konzern u.a. die Marken TUI, airtours, Robinson, Dr. Tigges, Wolters Relsen, Fox-Tours und 1-2-fly; Thomas Cook operiert u.a. mit den Veranstaltermarken Thomas Cook, Ne-ckermann, Aldiana, Bucher und air marin.

Von entscheidender Bedeutung fur die Wahrnehmung des Reiseanbieters ist nicht zuletzt auch dessen Verhalten und Service bei schlechter Qualitat. Der Einsatz eigener Reiselel-ter und Zielgebietsagenturen verspricht eine hohe Profession a I itat Im Beschwerdemana-gement und dadurch auch eine weitgehende Kundenzufriedenheit bei einvernehmlicher Regelung der aufgebrachten Kritikpunkte. Ein unabhangiger Dienstleister durfte in vielen Fallen primar versuchen, zur Vermeidung von Regressforderungen die Vorwurfe zu bestreiten. ^° Die Verbesserung des Qualitatsmanagements als Begrundung einer vertikalen Integrati­on kann allerdings in Frage gestellt werden. Auch wenn die vertikale Integration fur die Gewahrleistung einer hohen und durchgehenden Kundenzufriedenheit sicherlich zutrag-lich ist, scheint ein prinzlpieller Vorteil gegenuber der Zusammenarbeit mit unabhangigen Leistungstragern nur schwerlich nachvollziehbar. Die Devertikalisierung von Wertschop-fungsketten in anderen Branchen und Industrien hat demonstriert, dass eine hohe Pro-zesskontrolle und Dienstleistungsqualitat auch iiber Unternehmensgrenzen hinweg ge-wahrleistet werden kann. Der Besitz von Leistungstragern an sich ist keine Bedingung fur die Durchsetzung eines hohen Qualitatsstandards. Bei anhaltend mangelnder Qualitat kann der Vermittler sogar im Vorteil sein, da er eine ungleich hohere Flexibilitat hat, den mangelhaften Zulieferer auszutauschen.

Vgl. tui.com/cle/konzern/welt_tui_ag/entwicklung/inciex.html, aufgerufen am 23.8.2004. ^ ^ Vgl. hierzu M. Lambertz, "World of TUI - Der Weg zu einer neuen Marke", in: H. Bastian, K. Born (Hrsg.), Derintegrierte Tourismuskonzem, Munchen 2004, S. 139-151. ^ ° Vgl. J. de Vries, „Durchgangige Qualitatspolitik in einem integrierten Tourismuskonzem", in: H. Bastian, K. Born (Hrsg.), Der integrierte Tourismusl<onzem, Munchen 2004, S. 327-346.

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Page 165: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

7.5.2 Sicherung attraktiver Infrastrukturen bzw. Kapazitaten

Als zweitens Argument fur das Konzept des integrierten Reisekonzerns wird auf den

Zugriff auf beliebte, aber limitierte Hotelkapazitaten verwiesen. "^^ Solche Konstellationen

nfibgen in bestimmten Markten fur wenige Regionen und Mikrolagen gegeben sein, sind

jedoch fur sich genommen unzureichend, urn eine vertikale Integration zu rechtfertigen.

Bei konstanter Nachfrage kann das Angebot entsprechend angepasst werden; ein dauer-

hafter Versorgungsengpass hochwertiger Leistungstrager ist in der Regel nicht gegeben.

Ferner kann ein solcher Vorteil nur bedingt in einen Marketingvorteil umgesetzt werden,

da lokale Qualitatsunterschiede bei der Darstellung der Ressorts im Katalog in der Regel

nivelliert bzw. kaschiert werden.

Attraktive Hotellagen kbnnen in der Regel auch durch Kontraktierung von Kapazitaten fur

die eigenen Veranstaltermarken besetzt werden. Im Tourismusmarkt wird beim Einkauf

von Hotelkapazitaten mit im wesentlichen drei Vertragstypen gearbeitet: Dem Reservie-

rungs-, dem Beherbergungs- und dem On-Requestvertrag. Beim ersten Vertragstyp si-

chert sich der Veranstalter bestimmte Kapazitaten und kann innerhalb einer Ruckfallfrist

auch Kapazitaten zurijckgeben, beim zweiten wird eine garantierte Abnahme ohne Ruck-

gabeoption vereinbart. Der On-Requestvertrag sieht lediglich vor, dass eine Kapazitat von

dem Veranstalter angeboten wird. 90% der Hotelvertrage der Veranstalter stellen Reser-

vierungsvertrage dar. " ^

In einigen Zielmarkten mit unterkritischem Volumen an freien Kapazitaten kann es aller-

dings erforderlich sein, Leistungstrager hierarchisch zu kontrollieren. So ist z. B. der An-

teil eigener Fluggesellschaften in Grolibritannien traditionell sehr hoch; bei Vermittlung

von Hotelkontingenten kann sich die Nutzung des unabhangigen Flugmarktes zur Kom-

plettierung der Pauschalreise als problematisch erweisen.^"^^

7.5.3 Optimierung der Auslastung Drittens ist die Auswirkung der vertikalen Integration auf die Auslastung der Kapazitaten zu prijfen, die den Dreh- und Angelpunkt der strategischen Uberlegungen in der Touris-musbranche darstellt. Stefan Pichler, der frijhere Vorsitzende des Vorstandes von Tho­mas Cook, geht davon aus, dass der integrierte Reisekonzern dem unabhangigen Anbie-ter gegenuber bevorteilt sei, da er „auf Grund seiner Grbfte die Kapazitaten besser aus-laste[t]" und deshalb auch „Kostenfuhrer" sei. " " Aufgrund des im Vergleich zu den variablen Kosten hohen Fixkostenanteils und dem Ver-fallsdatum der Kapazitaten wird das Geschaftsergebnis eines Veranstalters bei Unteraus-lastung von Flug- Oder Hotelkapazitaten empfindlich geschmalert. Die Fixkosten des in-

'^^^ Vgl. J. Genger, „TUI-Chef verteidigt Konzernstrategie", in: FTD, 9.3.2006. ^ ^ Vgl. H. Bastian, Die touristischen Kemprozesse, S. 44, in: H. Bastian, K. Bom (Hrsg.), Der integrierte Touristikkonzem, Munchen 2004, S. 33-68. ^ ^ Vgl. C. Gusing, „Das System des Yield Managements im integrierten Touristikkonzem", S. 244, in: H. Bastian, K. Born (Hrsg.), Der integrierte Touristikkonzem, Munchen 2004, S. 233-246. ^^^ Vgl. S. Pichler, „Wir mussen alle was tun", S. 52, in: Wirtsctiaftswoctie, 6.3.2003, S. 50-52.

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Page 166: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

tegrierten Touristikkonzerns betragen etwa 80% der Gesamtkosten. ' ^ Zur Kompensation von Stornierungen und anders bedingtem Fembleiben der Gaste (No-shows) wird ubli-cherweise mit einer Buchungsquote von uber 100% geplant. Die Optimierung der Auslas-tung stent den Veranstalter vor eine besondere Herausforderung, da je nach Vertriebska-nal, Kundensegment und Buchungszeitpunkt mit anderen Preisen kalkuliert wird und fur die Abbildung des Produktes Pauschalreise unterschiedliche Leistungstrager - Tochter-firmen und Kooperationspartner - aufeinander abgestimmt werden mussen. "* Zur Optimierung der Auslastung haben die Veranstalter systemgestutzte Yield-Management Systeme entwickelt. Die Preisgestaltung folgt einer Mischkalkulation, die so konzipiert ist, dass mit einer durchschnittlichen Auslastung von ca. 90% noch eine hinrei-chende Marge erzielt wird. Eine hohe Auslastung wird durch einen fruhen Buchungsbe-ginn unterstutzt, der teilweise mit Fruhbucherrabatten Initiiert wird. Die verbleibenden Ka-pazitaten werden mit immerweiter reduzierten Preisen verkauft und schlieRlich vor Verfall bzw. Leerstand als sogenannte Jast minute"-Angebote im Markt untergebracht. Bei ei-nem unenA/arteten Nachfrageuberhang werden die Niedrigprelskontingente zuruckge-nommen, um ein hoheres Ergebnis zu erzlelen. Die Erzielung einer hohen Auslastung hangt bei gegebener Nachfrage im wesentlichen von drei Parametern ab: Der Vertriebspromotion fur eine bestimmte Kapazitat, der Mar-kenausstrahlung des Veranstalters und der Preisgestaltung. Da eine hohe Auslastung nicht durch einen im Vergleich zum Marktniveau niedrigen Preis erkauft werden soil, stellt sich fur den integrierten Reisekonzern die Frage, inwieweit die belden anderen Parameter durch den Besitz von Leistungstragern beeinflusst werden. Eine positive Markenausstrah-lung kann sich im Segment der Wiederkaufer als starker Vorteil herausstellen, muss je-doch uber Jahre hinweg hart erarbeitet werden. Bezogen auf die Vertriebspromotion scheint der integrlerte Reisekonzern im Vergleich zum Reisevermittler eher benachteiligt zu sein, da der Vertrieb auf die eigenen Vertriebsstellen begrenzt ist. Die Einbeziehung unabhangiger Vertriebskanale widersprache der Logik der vertikalen Integration. Bei Ein­beziehung unabhangiger Vertriebsstellen wiirde zudem der Vorteil der Differenzierung und die Einheitlichkeit des Markenaustritts stark eingeschrankt. Bezogen auf das Verhaltnis von eigenen und verkauften Kapazitaten ist jedoch festzustel-len, dass bei einem integrierten Tourlsmuskonzern in der Regel eine partielle vertikale Integration vorliegt; nur ein Tell der verkauften Kapazitaten wird von den hierarchisch kontrollierten Leistungstragern gestellt. Bei TUI werden z. B. nur 60 - 70% des Flugbe-darfs bzw. 15% der abgesetzten Hotelzimmer durch eigene Kapazitaten abgedeckt. ^^ Bei Promotion der eigenen Reiseprodukte und dem obigen Verhaltnis zwischen Eigen-und Fremdprodukten sollte zumindest in Saisons mit normaler Nachfrage eine hinrei-chende Auslastung erreichbar sein.

^^^ Vgl. K. Born, „Die besondere Bedeutung des operativen Geschafts im Touristikkonzern", S. 198, in: H. Bastian, K. Bom, Derintegrierte Touristikkonzern, Miinchen 2004, S. 195-212. ^ ^ Vgl. H. Hohmeister, Jntegrierte Kapazitatsplanung und -steuerung im Touristikkonzern", in: Der integrier­te Touristikkonzern, Miinchen 2004, S. 247-267. ^^^ Vgl. R. Kiani-Kress, H.-J. Klesse, "Ganz schon schwummerig", in: Wirtsctiaftswoche, 3.3.2005, S. 32-40.

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Da der integrierte Tourismuskonzern nicht als „Sch6nwettermodeH" verstanden werden

soil, kann der angemessene Betrachtungszeitraum in diesem Kontext allerdings nicht das

einzelne Jahr, sondern nur eine funf- oder zehnjahrige Periode sein. Die Ubernahme des

zusStzlichen unternehmehschen Risikos durch Ubernahme von Leistungstragern macht

sich nur bei Einbruch des Marktes (u.a. durch Naturkatastrophen, terroristische Anschla-

ge) bemerkbar. Das im Vergleich zum reinen Handelsgeschaft zusatzliche Gewinnpoten-

zial einer Periode kann ggf. durch ein Jahr mit hoher Unterauslastung wieder nivelliert

werden.

7.5.4 Senkung der Transaktionskosten im Einkauf

Die Senkung der Transaktionskosten im Einkauf von Kapazitaten kann ein weiteres Motiv fur die Akquisition von Leistungstragern darstellen. Die Beschaffungs- bzw. Transaktions­kosten des Veranstalters sind aus verschiedenen Grunden uberdurchschnlttlich hoch. Im Reisemarkt muss aus einer Vielzahl von Anbietern und Zielregionen ausgewahit und da-bei die Nachfragestruktur der verschiedenen Quellmarkte beruckslchtigt werden. Zudem ist der Einkauf durch eine hohe Unsicherheit und Frequenz gekennzeichnet, da die Nach-frage bei lokalen politischen und klimatischen Ereignissen Im Zielland schnell einbrechen kann und sich die Praferenzen der Kunden je nach Saison verandern. Insofern sollte der Besitz von Leistungstragern auch zu einer Reduzierung der Transaktionskosten fuhren. Sicherlich mussen auch mit den hierarchisch untergeordneten Leistungstragern Vereinba-rungen getroffen werden, die jedoch in Bezug auf Preisgestaltung und Abnahmeverpflich-tungen weniger Aufwand erfordern sollten.

AbschlieBend kann das Konzept des integrierten Reisekonzerns bei begrenzter, partieller vertikaler Integration als durchaus sinnvoll eingestuft werden. Durch ein verbessertes Qualltatsmanagement, den Zugriff auf limitierte Ressourcen in bestimmten Teilmarkten und eine Senkung der Transaktionskosten kann zumindest punktuell gegenuber einem reinen Veranstalter eine Differenzierung bzw. eine hohere Umsatzrendite erreicht werden. Hierbel darf jedoch der Anteil der eigenen Kapazitaten an den insgesamt abgesetzten Kapazitaten nicht uberschritten werden. "^^ Das Modell konnte sich im Markt allerdings nicht voll durchsetzen. Thomas Cook hat hin-sichtlich seiner strateglschen Ausrichtung wieder eine Kehrtwende vorgenommen.

Fallbeispiel: Aufgabe des vertikalen Modells durch Thomas Cook Eine zur TUI ahnliche strategische Ausrichtung hatte gegen Ende der 90er Jahre der Reisekon-zern Thomas Cook vorgenommen. Durch Zusammenschluss der Reisetochter der Lufthansa und Karstadt (heute KarstadtQuelle) entstand 1997 die C&N Touristic, die nach Akquisition des brlti-schen Reiseanbieters Thomas Cook 2001 auch dessen Namen ubernahm. Insgesamt wurden 2006 uber 30 Reiseveranstalter und eine Flotte von 80 Flugzeugen, zum GroBteil der ehemalige Ferienflieger Condor, und 4.000 Reiseburos unter dem Konzemdach vereint. Zu den Hauptveran-staltermarken zahlen Thomas Cook, Neckermann und der Ferienclub Aldiana. An dem last minu-te-Anbieter LTurwird eine Beteiligung gehalten.

^^^ Zur Bewertung des integrierten Touristikkonzerns vgl. auch K. Born, ..Strategische Vorgaben zur Kon-zernsteuerung", S. 81-99, in: H. Bastian, K. Born (Hrsg.), Der integrierte Tourismuskonzern, MiJnchen 2004.

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Page 168: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Nach Ubernahme der Fuhrung durch Thomas Holtrop ist eine Abkehr von der Strategie des integ-rierten Tourismuskonzems eingeleitet worden. In diesem Sinne fiihrt der Leiter des Unterneh-mens aus: „Die integrierte Strategie entspricht nicht mehr den Notwendigkeit einer Zeit, die von Uberkapazitaten und sinkenden Preisen bei Airlines und Hotels geprSgt ist. [Das] „Ausfallrisiko fester Kapazitaten [sei] hoher als die damit verbundenen Ertragschancen". ^^

7.6 Zusammenfassung Die Anbieter in den verschiedenen Wertschopfungsstufen in der Tourismusbranche ha-ben eine kritische GroBe erreicht bzw. uberschritten, so dass GrdUenvorteile bei horizon-taler Ausrichtung in Bezug auf das Integrationsmuster keinen Vorteil bieten. Die partielle vertikale integration von Veranstaltung und Einzelhandel stellt zur Abpufferung der Aus-lastungsrisiken bei festem Einkauf von Kapazitaten eine Notwendigkeit dar. Die verstarkte Vorintegration der Leistungstrager in den Einzelhandel wird durch die Mdgllchkeit des On-line-Vertriebs getrieben. Hierdurch wird aus Anbietersicht eine hohere Marge erreicht und aus Kundensicht die Planung einer Individualreise erieichtert. Die Mittlerfunktion der Ver-anstalter und klassischen Reiseburos wird langfristig durch die Direktansprache des Kun-den in Frage gestellt und auf das Convenience-Segment zuruckgedrangt. Das Konzept eines integrierten Tourismuskonzems kann dem reinen Veranstalterge-schaft uberlegen sein, wenn der Anteil eigener Kapazitaten begrenzt wird und die Poten-ziale - Starkung der Qualitat und Marke, Senkung der Einkaufskosten und Sicherung att-raktiver Kapazitaten - in der Umsetzung voll realisiert werden. Das ideale Verhaltnis zwi-schen eigenen und unabhangigen Kapazitaten muss hierbei je nach Leistungstrager und Zielregion empirisch ermittelt werden.

" M. Muller-Dofel, ..Leiden in der Touristenklasse", S. 23, in: Euro, 05/06, S. 22-25, und W. ZradI, „Poker urn die Tochter, in: Capital, 10/2006, S. 40-44.

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8. Wertschopfungskette Konsumguter

8.1 Darstellung der Wertschopfungskette

Die Wertschopfungskette fur Konsumguter definiert sich in Abgrenzung zur Investitions-

guterindustrie. Konsumguter adressieren die Bedurfnisse des privaten Endverbrauchers

und reduzieren in vielen Fallen die Eigenleistung des Konsumenten bei deren Befriedi-

gung. Aufgrund der Heterogenitat der Produkte und Sortlmente hinsichtlich Nutzenkate-

gorie, Qualitat, Preis und Branding sind die Anbietermodelle fur Konsumguter durch eine

hohe Vielfalt charakterisiert. Eine wesentliche Unterscheidung ist mit der Segmentierung

in Food und Non Food gegeben, wovon das letztere Segment in die Teilsegmente

schnell- (fast moving) und langlebige (slow moving) Konsumguter eingeteilt wird.

Entsprechend den globalen Trends hat sich auch in der Konsumguterindustrie eine zu-

nehmende Konzentration und Intemationalisierung der Produzenten bzw. Anbieter voll-

zogen. Die zentralen Produktmarken derfuhrenden Unternehmen werden bel Beriicksich-

tigung regionaler Praferenzen global vermarktet. Die Wertschopfungsstufen Produktent-

wicklung, Produktion und Marketing sind in der Regel unter Einbeziehung von Zulieferern

fur Vorstufen vertikal Integrlert und erfolgen durch den Produzenten (Abbildung 34).

Abbildung 34: Wertschopfungskette der Produktion und des Einzelhandels von Kon-sumgutern mit Abdeckung durch relevante Anbietermodelle^^°

Je nach Produkt werden von den Konsumguterproduzenten Zulieferer mit unterschiedli-

cher Wertschopfungstiefe einbezogen, die ggf. auch eigene Forschungs- und Entwick-

^ ° Vgl. R. MattmiJIIer, R. Tunder, Strategisches Handelsmarketing, Munchen 2004, S. 171, Abbildung in Aniehnung an O. Pabst, Vertikales Marketing in schnelllebigen Markten, St. Gallen 1993, S. 146.

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Page 170: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

lungsaktivitaten verfolgen. Die Produktentwicklung wird zum uberwiegenden Anteil von

den Produzenten in Eigenleistung erbracht. Der Produzent ubernimmt ebenfalls die Ver-

marktung seiner Produkte gegeniiber dem privaten Endverbraucher einschliel^lich dem

Branding, mit Ausnahme der Handelsmarken.^^^ Grofihandel und Logistik, soweit nicht

durch Produzent Oder Einzelhandler ausgefuhrt, werden von unabhangigen Spezialisten

erbracht, auf die in diesem Kontext nicht naher eingegangen wird. Der abschiiedende

Verkauf von Konsumgiitern erfolgt in erster Linie durch den horizontal integrierten Einzel-

handel; Direktvertrieb durch den Produzenten stellt die Ausnahme dar. ^^

Nach Darlegung der Entstehung der Produktmarke (Abschnitt 8.2) wird der Einfluss einer

vertikalen Integration von Produktion und Marketing auf das Renditepotenzial des Her-

stellers aufgezeigt (Abschnitt 8.3). GrdBenvorteile und eine hohere Flexibilitat bei horizon-

taler Integration favorisieren auch In Teilen der Konsumguterindustrie die Transformation

vom Markenproduzenten zum Markenanbieter (Abschnitt 8.4). Nach Aufzeigen der her-

kdmmlichen organisatorischen und gesellschaftsrechtlichen Trennung von Produktion

und Einzelhandel (Abschnitt 8.5) wird auf den Trend in der Konsumguterindustrie iiberge-

leitet, eigene EInzelhandelsaktivitaten aufzubauen (Abschnitt 8.6) und durch Vereinnah-

mung des Servicegeschaftes das Gewinnpotenzial auf den gesamten Produktlebenszyk-

lus auszudehnen (Abschnitt 8.7).

8.2 Entstehung der Produktmarke Marketing hat sich im Zuge des Wandels vom Kaufer- zum Verkaufermarkt zusehends als eigene Wertschopfung in den Vordergrund geschoben. Nachdem der Absatz nicht mehr durch eine strukturelle Unterversorgung gesichert war, mussten die Produzenten ihre Marktanteile ab den 60er Jahren zusehends durch Intensivierung ihrer Marketingaktivita-ten verteidigen. Die vertikale Integration der Wertschopfungsstufen Produktion und Mar­keting hangt mit dem Bestreben des Herstellers zusammen, seine Erzeugnisse von dem Angebot des Wettbewerbs abzugrenzen und ihre Vermarktung zu unterstutzen. Der Pro­duzent erreicht durch Aufbau einer Produktmarke bzw. eines emotionalen oder prakti-schen Zusatznutzens eine Differenzierung gegenuber dem Wettbewerb, die sich in der Regel in eine uberdurchschnittliche Rentabilitat ubersetzt. Bei Vernachlassigung seiner Marke wurde der Produzent in der Wahrnehmung des Endverbrauchers ein reines Mas-senprodukt bzw. eine Commodity anbieten und mit seinen Wettbewerbern und Lohnpro-duzenten in einen direkten Preiswettbewerb treten.

Das Markenprodukt hat im 19. Jahrhundert gegenuber dem No name-Produkt, das kei-nen Ausweis des Herstellers aufweist, eine grofie Verbreitung gefunden. Der urspriingli-che Grund der Einfijhrung von Marken hing mit der Expansion der Markte zusammen, die sich durch verbesserte Mdglichkeiten des Transports ergab: Nach Entstehung nationaler und internationaler Markte ging der lokale Bezug des Produktes verloren und die Qualitat

Insofem liegt bei vielen Konsumgiitern ein hohes Ausnfiali vertikaler Integration von Forschung, Entwick-lung, Produktion und Marketing vor, wodurch empirischen Studien zufolge die Innovationseffizienz gestei-gert werden kann. Vgl. S. Salomo, M. Cratzius, "Innovation und Marketing und Fertigung als Erfolgsfaktoren der Neuproduktentwicklung", in: Zeitschrift fur Betriebswirtschaft, 75. Jg. (2005), S. 71-95. ^" Auf die Handelsmarke wird in Kapitel 9 detailliert eingegangen.

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Page 171: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

konnte aus Sicht des Kaufers nur noch bedingt durch Ruckverfolgung der Herkunft abge-

schatzt werden. Mit der Anonymitat des Produzenten wurde der Aufbau eines Vertrau-

ensverhaltnisses erschwert. Der Kunde musste sich bei jedem Einkauf erneut von der

Produktqualitat uberzeugen und war auf eine vermeintlich neutrale Beratung des Einzel-

handlers angewiesen.

Die „Markierung" der Produkte bot dem Kunden eine Orientierung beinfi Kauf und redu-

zierte dessen Beschaffungsaufwand. Der Kunde konnte das Preis-/Leistungsverhaltnis

allein aufgrund seiner Markenkenntnis einschatzen und die unmittelbare physische Pru-

fung bzw. die Beratung durch den Einzelhandler wurde schrittweise durch den Marken-

ausweis des Produktes ersetzt. Das ausgedruckte Leistungsversprechen wurde von den

Produzenten gezielt aufgebaut und durch gesteigerte Kontrolle der Qualitat aufrechterhal-

ten. Zwischen Produzent und Kaufer konnte sich trotz fehlenden direkten Bezuges wieder

ein Treueverhaltnis einstellen.^" Aus Sicht des Herstellers wurde durch Einfiihrung der

Produktnnarke eine Differenzierung vom Wettbewerb erreicht.

Das technische Anbringen des Markenzeichens wurde durch die Umstellung der Trans-

portform ermbglicht, die sich mit der Expansion der Markte ergab. Fur die Belieferung der

urbanen Zentren wurden die Produkte von den Herstellern mehr und mehr konserviert,

portioniert und verpackt, wodurch Beschadigungen wahrend des Transports Oder der La-

gerung vorgebeugt werden konnte. Erst dadurch ergab sich fur den Produzenten die

Mdglichkeit, sein Produkt mit einem Markenzeichen zu versehen, das durch den Einzel­

handler nicht entfernt wurde. Die Durchsetzung der eigenen Herstellermarke als Pro-

duktmarke kann in Einzeifallen die Kontrolle uber die Wertschopfungsstufe Verpackung

voraussetzen. So ist z. B. Schokolade vor Einfuhrung der Produktmarke aus Fassern ver-

kauft und durch den Einzelhandler portioniert und eingepackt worden.

Die Funktion der Produktmarke ist schliefllich einem Wandel unterlegen, da sich der In-

halt der Marke immer mehr von rationalen bzw. funktionalen zu psychologischen Aspek-

ten verschoben hat. In der Werbung hat sich die Adressierung emotionaler und psycholo-

gischer Aspekte neben der Heraushebung der rein technischen Produkteigenschaften

deutlich verstarkt. Je nach Sortiment haben sich hierbei Schwerpunkte von Sekundarbe-

durfnissen herauskristallisiert, die mit bestimmten Produkten adaquat transponiert werden

konnen: Luxusartikel dienen parallel dem Statusausweis und der sozialen Abgrenzung,

Konsum- und Hygieneartikel verheilien eine Erhohung der Lebensqualitat, Kosmetikarti-

kel begegnen der Hoffnung auf unvergangliche Schbnheit und vermittein ein Wellness-

Gefuhl, Nahrungs- und Waschmittel zielen auf Convenience und erschlielien Freizeitka-

pazitaten.

8.3 Vertikale Integration von Produktion und Marketing Die Logik der Besetzung bzw. Schaffung der Wertschopfungsstufe Marketing durch den

Produzenten basiert auf dem Umstand, dass beim Verkauf eines Markenproduktes in der

Regel eine wesentlich hbhere Rendite erzielt werden kann als beim Verkauf eines No

^" Vgl. C. M. Christensen und R. S. Tedlow in: ..Patterns of Disruption in Retailing", in: Harvard Business Review, January-February 2000, S. 42-45.

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Page 172: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

name-Produktes. Im ..vertikalen" Wettbewerb zwischen Hersteller und Einzelhandler geht es fur den Produzenten urn die Vereinnahmung dieses Gewinnpotenzials, das sich neben dem bloden Objektverkauf durch Aufbau eines Produktimages bzw. der Produktmarke erzielen lasst. Die Aufwendungen fur Marketing und Werbung werden in der Regel durch den Premi-umpreis des Markenproduktes mehr als kompensiert. Zusatzlich wird das Absatzvolumen geschijtzt bzw. kann ausgebaut werden. Die Eigenleistung im Bereich Marketing wird durch den Umstand gefordert, dass hierzu im Gegensatz zu anderen Wertschopfungsstu-fen keine nennenswerten physischen Aniagen bzw. Investitionen erforderlich sind. Fur einen Groliteil der Module im Produktmarketing haben sich spezialisierte Marketing- und Werbeagenturen im Markt etabliert, so dass ohne den Aufbau von signifikanten Fixkosten eine hohe Effizienz und Professionalitat bei der Umsetzung der Marketingstrategie ge-wahrleistet ist.

Der Produzent verfolgt durch die inhaltliche Erganzung der Markenidentitat die Strategie, mit dem Produkt nicht nur einen physischen Bedarf, sondern auch emotionale und psy-chologische Bedurfnisse zu befriedigen. Beim Verkauf eines Markenkonsumgutes handelt es sich letztlich um einen Paketverkauf von Produkt und psychologischen bzw. emotiona-len Surrogat: Jenseits des reinen Funktionsnutzens lassen sich (Store-)Konzepte mit psychologischen Eriebnisqualitaten aufladen (erst dann lasst sich im strengen Sinne von Markenbildung sprechen) [...] Marlboro unterscheidet sich nicht (funktional) durch Ge-schmack, sondern (emotional) durch eine Welt von Freiheit und Abenteuer, Nivea weni-ger (funktional) durch Pflege, als (emotional) durch Liebe und Geborgenheit, Milka weni-ger (funktional) durch Zartheit, als (emotional) durch heile (Alpen-) Welt". " Entgegen der Entwicklung In anderen Industrien hat sich in der Konsumguterindustrie ein hoher Grad vertikaler Integration der Wertschopfungsstufen Produktion und Marketing aufrecht erhalten. Eine Vielzahl der heutigen starken Marken verdankt seine Entste-hungsgeschichte einer Weiterentwicklung des Produktionsprozesses. So geht z. B. das Pampers-Sortiment von Procter & Gamble auf die Entwicklung und Einlagerung von Su-perabsorbern zuruck. Eine Transformation der Produzenten in Anbieter ist bisher nicht eingetreten (Abbildung 35).

Vgl. O. Hermes, S. 278-279. In: O. Hermes, „Survival of the Fittest: Was Retail-Marken von der Evolu­tion lernen konnen", in: B. Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 269-292.

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Page 173: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Abbildung 35: Wertschopfungskette des Einzelhandels von Konsumgutem mit exemplarischer Abdeckung durch fiihrende Markenproduzenten

Der Limonadenkonzern Coca-Cola hat nach aktiver Konsolidierung in den 90er Jahren die Herstellung des Endproduktes und die Distribution weitestgehend an seine Abfuller bzw. Konzessionare abgegeben und fokussiert sich auf die Produktion der Vorstufe (Kon-zentrat) und Marketing. Die Abfuller erganzen dann das Konzentrat mit Glucosesirup bzw. Zucker und Wasser und ubernehmen die Abfullung in Flaschen. In einzelnen Regionen ist Coca-Cola durch Aufbau des Automatengeschaftes auch in den Einzelhandel vorinteg-rlert. ^ Der Kosmetik- und Klebebandhersteller Beiersdorf definiert sich uber ausgepragte Ent-wicklungsaktivitaten, Produktinnovationen und Marketing und kontrolliert mit eigenen Fab-riken weite Telle der Produktion. Die Kernmarke Nivea basiert ursprunglich auf der Ent-wicklung einer besonderen Wasser-in-OI-Emulsion und ist dann nach und nach in weitere Sortimente ausgedehnt worden. Das Schweizer Nahrungsmittelunternehmen Nestle versteht sich in erster Linie als Pro-duzent, auch wenn einige Vorstufen durch Zulieferer abgedeckt werden. Nestle verdankt seinen Aufstieg u.a. dem erfolgreichen Nescafe-Sortiment, dass auf einer speziellen Trocknungstechnik mit einer hohen Konservierung des Geschmacks beruht. Bei Ausgliederung der eigenen Fabriken durch die Produzenten wurde ein betrachtlicher Tell des heutigen Fertigungswissens verloren gehen und die sich dann etablierenden Lohnproduzenten kdnnten - bei Umstellung auf Eigenvermarktung - zu Konkurrenten her-anreifen. Die Differenzlerung und Individualitat von Konsumgutern basiert immer noch zu

In den USA hat Coca-Cola seine Abfuller weitestgehend konsolidiert und als CCE an die Borse ge-bracht. Vgl. A. J. Slywotzky, D. J. Morrison, Die Gewinnzone, Landsberg/Lech 1998, S. 148-166.

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Page 174: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

einem GroBteil auf der Produktion. Ferner kommt der Produkthaftung, insbesondere bei

Lebensmittein, eine signifikante Bedeutung zu, die eine Delegation der Produktion prob-

lematisch erscheinen lasst. Der hohen Sensibllltat des Verbrauchers und von Verbrau-

cherorganisationen konnte bei Verlust der direkten Kontrolle uber die Produktion nicht

glaubhaft begegnet werden und das Markenversprechen wurde in der offentlichen Wahr-

nehmung ggf. relativiert. Unter reinen Kostengesichtspunkten ergeben sich allerdings

durch die vertikale Integration von Produktion und Marketing auch keine nennenswerten

Vorteile.

Der Verzicht auf eigene Produktionskompetenzen konnte nur bedingt durch andere Aktivi-

taten kompensiert werden. Da der Forschung in der Konsumgiiterindustrie im Vergleich

zu anderen Branchen nur eine mittlere Bedeutung zukommt, kann mit dieser Wertschop-

fungsstufe bei Aufgabe der Produktion nur bedingt eine nachhaltige Differenzierung auf-

recht erhalten werden.

8.4 Entkopplung von Produktion und Marketing Eine Entkopplung von Produktion und Marketing hat in vielen Industrien erst eingesetzt,

als die moglichen GroRenvortelle der Wertschopfungsstufe Produktion von den Produ-

zenten intern nicht mehr hinreichend verwirklicht werden konnten. Bel dieser Konstellati-

on ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer der Markenproduzenten seine Produktion auf-

gibt, seine Herstellkosten bzw. Beschaffungskosten durch Umstellung auf Fremdbezug

senkt und seine Wettbewerber Im Prels unterbietet. Die Unternehmen sind in diesem Fall

mittel- bis langfristig gezwungen, ihre nicht mehr wettbewerbsfahige Kostenposltion durch

Ausgliederung der Produktion zu ubenA inden. Bei Fortfuhrung eIner Selbstversorgung im

vertikalen Modell konnte aufgrund der Fixkostendegresslon eines unabhangigen Zullefe-

rers kein wettbewerbsfahlges Produkt mehr angeboten werden. Die „Kraft" dieser Ursa-

che wird schliefillch so groU, dass die Anbieter sich auf einzelne Wertschopfungsstufen

fokussleren mussen, auch wenn dadurch die Gefahr eIner mangelnden Differenzierung

resultiert.^^

Die Produktion wIrd dann von Lohnproduzenten verelnnahmt, die auf ein eigenes Marke­

ting und auf ein eigenes Brand mit Endkundenorlentierung verzlchten. Die GroRenvorteile

bei horizontaler Integration betreffen zunachst Vorstufen und Ausgangsstoffe des finalen

Produktes, so dass zunachst nur eine Reduzierung der Wertschbpfungstiefe einsetzt, die

nach und nach auch das Endprodukt umfasst. Die ehemaligen Produzenten mutieren

schleichend zu Anbietern.

Die Geschwindigkeit der Devertlkalisierung hSngt in der Regel vom Verhaltnis der Gro-

Benvortelle bei horizontaler Integration gegenuber den Vorteilen durch Differenzierung

und Marktmacht bei vertikaler Integration ab: mit steigenden Kostenvorteilen bei horizon­

taler Integration stelgt auch der Hang einer Industrie, die entsprechenden Stufen der Pro-

Die Begrijndung der Dekomposition der vertikalen Integration von Produktion und Marketing folgt bei Handelsmarken einer anderen Begrundung. Vgl. hierzu Abschnitt 9.7, Teil 2.

160

Page 175: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

duktion horizontal zu organisieren.^^^ Hierbei ubt die Konzentration der Produzenten bzw.

die Zunahme der Marktanteile zumeist einen retardierenden Effekt auf die Devertikalisie-

rung aus: Je hoher der Anteil der eigenen Herstellmenge bezogen auf den Gesamtnfiarkt

ausfallt, desto grower die Chance des Unternehmens, die moglichen GroRenvorteile

durch eine interne Organisation der Ablaufe zu erreichen.

Die Desintegration von Produktion und Marketing kann jedoch aufgrund der Erfordernisse

einer glaubwurdigen Markeidentitat an Grenzen stofien. Das Markenprofil hat traditionell

zu einem hohen Anteil auf technische Produkteigenschaften rekurriert, auf die der Produ-

zent in seiner Markenposltionierung verweisen konnte. Mit der zunehmenden Auslage-

rung der Produktion mutieren die traditionellen Herstellermarken immer mehr zu virtuellen

Brands, die primar ein emotionales Eigenschaftsbundel ohne unmittelbaren physischen

Bezug umfassen.

Insgesannt hat sich allerdings die Glaubwurdigkeit der Marke als resistent gegenuber der

Abkopplung von der Produktion erwiesen. Eine Herstellermarke ist nicht prinzipiell starker

als eine Anbieter- oder Handelsmarke. Insofern scheint die Authentizitat des Markenkerns

keine vertikale Integration von Produktion und Marketing zu bedingen. ^® Die Einordnung

der eigenen Produktion als mdgliche Variante, nicht jedoch als konstitutive Vorausset-

zung zunn Aufbau des Markenkerns ist nicht selbstverstandlich. In dieser Hinsicht hat in

den letzten 50 Jahren ein grundlegendes Umdenken stattgefunden.

Fallbeispiel: Das Selbstverstdndnis der Marke Grundig Max Grundig, der Grunder des ehemaligen deutschen Elektronikuntemehmens Grundig, hatte billigere Komponenten chinesischer Hersteller noch als „trojanische Pferde" bezeichnet und eine Verringerung der eigenen Wertschopfungstiefe fur die eigenen Fernsehgerate abgelehnt. Der Verzicht auf kostengiinstigere Komponenten hat schlieRlich mit zum Konkurs von Grundig beige-tragen. Nicht zuletzt das Verstandnis der Marke als Ausweis der eigenen Herstellung ist dem Un-ternehmen zum Verhangnis geworden. ^^

Fallbeispiel: Lego und die Aufgabe von „Made in Denmark" Das danische Spielzeugunternehmen Lego hat 2006 entschieden, die eigene Produktion in Da-nemark weitgehend aufzugeben und die Herstellung an den Lohnproduzenten Flextronics mit Produktionsstatten in Mexiko und Tschechien zu vergeben. Die hohen Arbeitskosten in Danemark waren nicht mehr konkurrenzfahig und die eigene Fertigung konnte nicht aufrecht erhalten wer-den. Die Verzogerung der Verlagerung der Produktion an Lohnproduzenten in Biliiglohnlandern hangt mit der Annahme zusammen, dass die Ausstrahlung der Marke Lego u.a. auch auf der eigenen Produktion in Danemark basiert. Der Vorstandschef fuhrt aus: „Dies ist der letzte groRe Schritt der

D. Farrell geht hierbei von einer einheitlichen Entwicklung von Industrien aus, die im Zuge der Globali-sierung ein Phasenmodell durchlaufen. In der dritten Phase erfolgt eine Dekomposition der Wertschop-fungskette im Bereich der Produktion, in welcher der Produktionsstandort und die Herstellkosten fur jede Einzeikomponente optimiert werden. Vgl. D. Farrell, „Beyond Offshoring. Assess your company's global potential, in: Harvard Business Review, December 2004, S. 82-90. Vgl. hierzu auch N. Klein, No Logo, London 2001, S. 195fg. " ° Vgl. H. Riesenbeck, J. Perrey, Mega-Macht Marke, Wien 2005, S. 66fg, 295fg; und G. Weindl, Der sctione Schein, Frankfurt 2003, S. 35fg. Die Autoren gehen davon aus, dass eine starke Marke nicht not-wendigerweise auf einer eigenen bzw. exklusiven Produktion basieren muss.

161

Page 176: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Restrukturierung der Lieferkette unserer Gruppe [...] Wir sehen nun die Konturen eines neuen Geschaftsmodells, bei dem wir von einem traditionellen, integrierten Modell zu einer Partnerschaft gehen".26o

Die ehemaligen Produzenten bzw. heutjgen Anbieter haben erfolgreiche Strategien ent-

wickelt, urn das Fehlen einer eigenen Herstellung zu kaschieren bzw. zu kompensieren.

Hierzu zahit zunachst die zuruckhaltende Kommunikation der reduzierten Wertschop-

fungstiefe, als auch die gezielte Kombination von Forschung, Entwicklung und Marketing.

Ferner wird durch Vereinnahmung der abschlielienden Produktionsschritte das Endpro-

dukt (Zusammenbau) vollstandig fiir die eigene Marke vereinnahmt.

Die Auslagerung der Produktion kann mit einem Verlust der Kontrolle uber die Wert-

schopfungskette einhergehen. Wie auch in anderen Industrien haben die Markenprodu-

zenten die Erfahrung machen mussen, dass sich ihre ehemaligen Dienstleister teilweise

zu Wettbewerbern entwickeln.

Fallbeispiel: General Electric Im GeschMft mit Mikrowellen Sowohl das technische Grundprinzip, die effiziente Erhitzung von Gegenstanden durch Mikrowel­len, als auch das Produktkonzept der Mikrowelle ist ursprunglich in den USA entwickelt worden. General Electric hatte 1980 noch einen Marktanteil von ca. 15%. Zur Kompensation der benach-teiligten Kostenproduktion entschloss sich das Unternehmen, die Herstellung der Ger^te im Nied-rigpreisbereich an den japanischen Konkun^enten Matsushita und einen koreanischen Lohnprodu-zenten zu vergeben. Zur Sicherstellung einer hinreichenden Qualitat wurde das koreanische Un­ternehmen mit technischen Fachleuten von General Electric unterstutzt und geschult. Nach Un-terschreiten der kritischen Masse musste die eigene Produktionsanlage von General Electric in Maryland 1985 geschlossen und die Fertigung vollstandig an Lohnproduzenten vergeben werden. SchlieRlich ist General Electric aus dem Geschaft ausgestiegen. "*

8.5 Partielle vertikale Integration von Produktion und Einzelhandel

Die verbreitete Aufteilung der Wertschopfungskette zwischen Produzent und Einzelhand-

ler reflektiert die geringen Synergien und die spezifischen Erfolgsfaktoren beider Wert-

schopfungsstufen. Fur eine Trennung beider Aktivitaten sprechen mehrere Griinde: Da

der Abnehmerkreis fiir Konsumguter stark atomisiert ist und von dem Produzenten nur

mit einem unverhaltnismaSigen Aufwand bedient werden kdnnte, ist fur den Vertrieb al-

lein aufgrund der Struktur des Abnehmerfeldes die Einschaltung von Multiplikatoren zu

favorisieren. Ferner ist zu beriicksichtigen, dass der Einzelhandel eigene Kompetenzen

fur die Gestaltung und Inszenierung der Vertriebsinfrastruktur erfordert, uber die der Pro­

duzent in der Regel nicht verfugt. Aus Sicht des Konsumenten sind neben dem Preis-

/Leistungsverhaltnis des Produktes auch die Emotionalitat und Convenience der Ein-

kaufssituation ausschlaggebend. Entsprechend hat sich fur Konsumguter ein unabhangi-

ger Einzelhandel mit einer ein- Oder zweistufigen Vertriebsstruktur herausgebildet: Der

Warenstrom zwischen Produzent und Verbraucher wird direkt iiber den Einzelhandel or-

Vgl. C. Bomsdorf, „Lego schlieUt Groliteil der Produktion in Danemark", in: FTD, 21.6.2006. ^ Vgl. J. C. Jarillo, Strategic Networks, Oxford/Woburn (MA) 1993, S. 84-86.

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Page 177: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

ganisiert, Oder es hat sich zusatzlich zwischen Produzent und Einzelhandel noch ein Zwi-

schen- bzw. GroBhandel konstituiert.

Auf Basis der obigen Uberlegungen ist die teilweise zu beobachtende vertikale Integration

von Produktion und stationarem Einzelhandel wenig plausibel. Die Zunahme an Vorinteg-

ration der Produzenten von Konsumgiitern In den Einzelhandel ist allerdings zu relativie-

ren, da es sich in den meisten Fallen lediglich urn eine partielle vertikale Integration han-

delt: Die Produzenten wickein den Groflteil ihres Absatzes immer noch uber den unab-

hanglgen Einzelhandel ab. Ein Grolitell des markenexkluslven Einzelhandels wird zudem

durch unabhangige Partner oder Franchisenehmer abgedeckt.

Im folgenden werden verschiedene Motive fur eine vertikale Integration von Produktion

und Einzelhandel analysiert und anhand von Beispielen illustriert.^^^ Hierbei wird im ein-

zelnen auf die Senkung der Vertriebs- oder Koordinationskosten (Abschnitt 8.5.1), die Dif-

ferenzierung vom Wettbewerb (Abschnitt 8.5.2), die Sicherstellung des Marktzuganges

(Abschnitt 8.5.3) sowie Lerneffekte durch direkten Kundenkontakt (Abschnitt 8.5.4) ein-

gegangen. Die Analyse wird ergeben, dass die Vorintegration in den Einzelhandel im we-

sentlichen nicht auf die Senkung von Kosten oder den Aufbau von Vertriebskapazitat ab-

zielt, sondern den Absatz uber den unabhangigen Einzelhandel unterstutzt. Hierbei sind

die indivlduelle Ausgangssituatlon des Produzenten sowie das Marktumfeld in Betracht zu

Ziehen.

8.5.1 Senkung der Vertriebs- oder Koordinationskosten

Die strategische Logik der Vorintegration beruht nicht auf einer Reduzierung von Kosten.

Hierbei ist zwischen den Vertriebskosten im Einzelhandel und den Koordinationskosten

zwischen Produktion und Einzelhandel zu unterscheiden. Eine Senkung der Vertriebskos­

ten bei vertikaler Integration im Vergleich zum unabhangigen Einzelhandel ist nicht offen-

sichtlich. Von einer Optimierung der Vertriebskosten ist bereits durch den unabhangigen

Einzelhandel auszugehen, der den Betrieb stationarer Geschafte als Kerngeschaft aus-

fuhrt. Bezogen auf die Flachenproduktivitat ist der unabhangige Einzelhandel dem Produ­

zenten mit eigenem stationaren Einzelhandel in der Regel eher uberlegen. Durch Bunde-

lung produzentenubergreifender Sortimente kann der unabhangige Einzelhandel in sei-

nen Vertriebsinfrastrukturen eine hohe Frequenz generleren und - bezogen auf den stati­

onaren Einzelhandel - in der Regel eine hohere Flachenproduktivitat erzielen als ein ein-

zelner Hersteller mit seinen eigenen Produkten. Der Produzent hingegen verfugt mit sei-

nen Sortimenten in der Regel nicht uber eine kritische Masse, um eine stationare Ver-

triebsinfrastruktur rentabel zu betreiben.

Eine etwaige Senkung der Koordinationskosten zwischen Produktion und Einzelhandel ist

ebenso wenig plausibel. Durch die Umstellung der Strategie auf einen eigenen Vertrieb

werden die Transaktionskosten fur das Management des unabhangigen Einzelhandels in

interne Managementkosten umgewandelt. Allein der Umstand, dass eng kooperierende

Oder eigene Filialen beliefert werden, bedlngt an sich jedoch keine Reduzierung der

Vgl. hierzu auch The Boston Consulting Group, Die vertikale Verlockung, Report 2005.

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Komplexitat. Koordinationskosten kbnnen in der Regel auch durch Kooperation mit dem Einzelhandel optimiert werden, ein hinreichendes Umsatzvolumen vorausgesetzt. Inso-fern scheint der Kostensenkung als Motiv der partiellen Vorintegration keine Bedeutung zuzukommen.

8.5.2 Differenzierung vom Wettbewerb Der partiellen vertikalen Integration von Produktion und Einzelhandel, bei der ein Produ-

zent nur einen geringen Teil seiner Produkte ijber den eigenen Einzelhandel absetzt,

kommt in vielen Fallen eine Differenzierungs- bzw. Marketingfunktion zu. Eine Alternative

zur Vertriebsfunktion besteht in der Nutzung der eigenen Geschafte als Marketinginstru-

ment. Filialen eriauben eine Alleinstellung der Marke ohne relativierende Vermengung mit

den Produkten der Konkurrenz. Ohne unterstutzende Differenzierung inn Einzelhandel

wijrden einige Produkte einen Verlust an MarKtanteilen hinnehmen, da sie im direkten

Preisvergleich mit einem No Name-Produkt Oder einer Handelsmarke benachteiligt sind

und ihr Markenversprechen nicht uberzeugend projektieren kbnnen.

Die glaubhafte Kommunikation einer Markenbotschaft setzt die Inszenierung einer Erleb-

niswelt voraus: „Der zunehmende Wunsch der Verbraucher nach realen, authentischen

Eriebnissen verleiht dem Markenauftritt im Handel innerhalb der Eriebniskette wachsende

Bedeutung. Da der Kunde vom unmittelbaren Umfeld, in dem er die Marke wahrnimmt,

auf deren wahre Identitat schlielit, geraten die Hersteller immer mehr unter Zugzwang,

auch Im Handel wertadaquate Umfelder fur ihre Markenfuhrer durchzusetzen um diese zu

starken, anstatt sie zu verwassern".^^^

Bei begrenztem Aufbau eigener Einhandelsaktivitaten kann die Vertriebsstrategie auch

einen dualen Ansatz vorsehen: Der Vertrieb in den eigenen Filialen dient neben der Pro­

motion des Verkaufs uber den unabhangigen Einzelhandel auch dem direkten Absatz.^^"*

Fallbeispiei: Neue Vertriebsstrategie bei Villeroy & Boch Das Porzellan- und Keramikunternehmen Villeroy & Boch hat sich seit Ende der 90er Jahre von einem produktionsorientierten Hersteller zu einem Lifestyle-Anbieter hochwertiger Keramikpro-dukte gewandelt. Vier Werke der Fliesensparte und der franzosische Fliesengrolihandler Boch Freres wurden verkauft. Hierdurch wurde u.a. dem direkten Preiswettbewerb auf Basis der Pro-duktionskosten ausgewichen, in dem Villeroy & Boch teilweise nicht mehr konkurrenzfahig war. Parallel dazu wurde das Sortiment fur den Bereich Tischkultur gegenuber der Sparte Bad/Wellness durch Innovationen gezielt weiterentwickelt. In Zusammenhang der strategischen Repositionierung und der Abkehr von der reinen Kostenzentrierung ist auch ein eigener Einzel­handel unter dem Label „House of Villeroy & Boch" aufgebaut worden, durch den neben dem Ver­trieb die Marke Villeroy & Boch gegenuber dem privaten Endverbraucher starker positioniert wer­den soil. Der iiberwiegende Anteil der etwa 30 Geschafte in Deutschland wird von Franchisepart-nern betrieben.

Vgl. R. Binder, A. Heim, „Erfoigsfaktoren identitatsorientierter Markenfiihrung im Handel", S. 296-297, in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 293-307. ^ ^ Eine Zusammenstellung an Optionen zur veranderten Nutzung von VertriebskanaJen findet sich bei S. A. de Miroschedji, S. Schick, R. Schumann, P. Soliman, „Hersteller organisieren ihren Vertrieb um", in: Har­vard Business Manager, 4/2001, S. 24-33.

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Fallbeispiel: Puma-Stores als Schaufenster der Marke Puma hat den Vertrieb uber den unabhangigen Einzelhandel durch eigene Retailaktivitaten er-ganzt und betreibt inzwischen uber 80 eigene Filialen (Concept Stores), denen primar eine Mar-ketingfunktion zugeschrieben wird. Die Concept Stores eriauben die direkte Ansprache des Verbrauchers in erstklassigen Einkaufslagen, die mit Sportartikein kaum noch rentabel bewirt-schaftet werden konnen, und werden als Unterstutzung des unabhangigen Einzelhandels einge-schatzt. Entsprechend fuhrt J. Zeitz, der Vorsitzende des Vorstandes, aus: „Das ist kein zusatzlicher Wettbewerb fur die Einzelhandler, sondern unterstutzt sie sogar. Oft konnten sich die Handler die Mieten in den Lagen, in denen wir sind, gar nicht mehr leisten" [...] „The stores are a great sales generator because they allow you to really portray Puma as a brand".^^ Neben dem Werbeeffekt und dem direkten Absatz wird dadurch auch der Verkauf uber den unabhangigen Einzelhandel gestarkt: „Wir schaffen ein Schaufenster fur die Marke und starken die Nachfrage im Handel ins-gesamt". ®® Mittel- bis langfristig sieht die Strategie von Puma vor, mit den Filialen auch positive Wertbeitrage zu erzielen. Die abnehmende Flexibilitat des Marketing budgets wird aufgrund des begrenzten Risikos hingenommen. Langfristig soil das eigene Retail-GeschSft einen Umsatzanteil von 10%erreichen.^^^

Die Auseinandersetzung zwischen Einzelhandel und Produzent um die Besetzung der Wertschopfungsstufe Marketing eroffnet einen weiteren Erklarungsansatz fur die partielle vertikale Integration von Produktion und Einzelhandel: Mit zunehmender Zuruckdrangung des Produzenten in die Rolle des austauschbaren Lohnproduzenten muss dieser versu-chen, seine Marke aufzuwerten und einen pull through-Effekt von Seiten des privaten End verbrauchers aufzubauen. Hierdurch wird wiederum der Einzelhandel gezwungen, die Markensortimente des Produzenten gezielt anzubieten, anstatt forciert eigene Handels-marken zu entwickeln.

Fallbeispiel: Shop in Shop-Konzept von Beiersdorf Die Kernmarke Nivea des Hamburger Korperpflege- und Klebebandkonzerns Beiersdorf (Labello, 8x4, Tesa, Hansaplast) wurde bisher ausschlieHlich uber den unabhangigen Einzelhandel ver-kauft. Ab 2004 ist der Vertrieb In markenexkluslven Abteilungen von Kaufhausern nach dem Shop in Shop-Konzept erganzt worden. In den Shops sind etwa 500 Einzelprodukte der Dachmarke Nivea sortimentsubergrelfend ausgestellt und es wird eine individuelle Beratung angeboten. Durch die markenexklusive Positionierung der Produkte in raumlicher Nahe hochwertiger Kosme-tikmarken soil der Absatz der Produkte unterstutzt werden. Weiterhin wird dem direkten Wettbe­werb mit den Handelsmarken des Einzelhandels durch eine gesonderte Prasentation der Produk­te ausgewichen. In 2006 ist schlleUlich in Hamburg das erste Nivea-Haus eroffnet worden, In dem neben Beratung und Anwendung auch ein direkter Kauf moglich ist.^^

Ferner ist bei Kooperation mit dem unabhangigen Einzelhandel die Moglichkeit der Kon-

trolle der eigenen Marketingstrategie zu berucksichtigen. Fur Markenprodukte im oberen

^ ^ Vgl. J. Zeitz (Interview), "Wir verkaufen keine Billigprodukte", in: Handelsblatt, 6.6.2006, und J. Zeitz (In­terview), „The Cat that Came Back", 8. 63, in: Fortune, 22. Marz 2004, S. 60-63. ^^ Vgl. J. Hofer, C. Biaiek, ..Sportkonzerne starken Markenmacht", in: Handelsblatt, 1.6.2006. ^ ^ Vgl. die Angaben auf der Homepage von Puma, aufgerufen am 22.5.2005. ®® Vgl. T.-B. Quaas, „Muhsam, aber erfolgreich", in: Wirtschaftswoctie, 16.2.2006, S. 60-64; und M. C. Schneider. „Blaues Wunder, in: Capital, 11/2006, S. 48-52.

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Page 180: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Preissegment stellt die Kontrolle der Preispolitik und die Pflege des Markeninhalts einen

zentralen Aspekt der Vertriebsstrategie dar. Nur bei glaubhafter Aufrechterhaltung von

Markeninhalt und Exklusivitat konnen Markenprodukte dauerhaft mit dem fur ihre Han-

delsmarge erforderlichen Hochpreis abgesetzt werden.

Beim Vertrieb uber den unabhangigen Einzelhandel besteht bei unzureichender Nachfra-

ge hingegen die Gefahr, dass ein Markenprodukt unter der Preisempfehlung des Herstel-

lers verkauft und das Preisniveau im Gesamtmarkt in Mitleidenschaft gezogen wird. Die

eigenen Einzelhandelsaktivitaten konnen bei Vorliegen einer solchen Konstellation die

Funktion haben, nachhaltig die eigene Marketingstrategie durchzusetzen.

Fallbeispiei: Differenzierung von WMF durch eigene Geschsifte Der Produzent hochwertiger Hausratgerate WiVIF vermarktet seine Produkte unter verschiedenen Marken, urn den Premiumcharakter der Kernmarke nicht durch die qualitative Differenzierung des Sortimentes zu gefahrden. Das Standardsortiment wird iiber Tochtergesellschaften an Discounter Oder andere Einzelhandier vertrieben. Das hochwertige Sortiment wird hingegen ausschliefllich unter eigenem Namen mit rigider Preiskontrolle in WMF-Filialen, in Fachgeschaften Oder Waren-hausern angeboten, soweit eine entsprechende Positionierung gewahrleistet ist. Die etwa 180 eigenen Filialen in Deutschiand haben neben der Kontrolle der Marke zusatzlich noch eine direkte Vertriebsfunktion, durch die der Ruckgang des unabhangigen, gehobenen Fachhandels kompen-siert wlrd. ^^

Zwischen den Filialen der Produzenten mit primarer Marketingfunktion besteht ein flie-Render Ubergang zum Brandland, wie z. B. Legoland oder Nike Town. Im Brandland steht ausschlieGlich die Inszenierung der Marke im Vordergrund, wahrend der Verkauf nur eine nebensachliche Rolle spielt. Der Erfolg eines Brandlands setzt allerdings eine sehr hohe Markenausstrahlung voraus, die nur von wenigen Anbietern bzw. Brands er-

8.5.3 Sicherstellung des Marktzuganges Die Vorlntegration des Produzenten In den Einzelhandel mag sich anbieten bzw. Im Ein-

zelfall erforderlich sein, wenn der Absatz des Produktes durch die Struktur der bestehen-

den Vertriebskanale limitiert ist. Eine Limitation kann z. B. vorliegen, wenn das Produkt im

direkten Preis-/Leistungsvergleich, wie ihn der Kunde bei unabhangigen Handlern durch-

fuhren kann, benachteiligt ist.

Fallbeispiei: USA Strategie von Adidas/Reebok Zur Erhohung des Absatzes der Marke Adidas In den USA hat Adidas/Reebok eigene Filialen er-offnet, In denen das Produkt auf bis zu 1.000 qm prasentlert werden soil. Ausldser der partiellen Vorintegration war u.a. die zunehmende Benachteiligung durch den Fachhandel, nachdem die

Vgl. „WMF baut das Filialnetz in Deutschiand und China aus", in: FAZ, 11.2.2005, und „Best Brands 2004", in: Wirtschaftswoche, 5.2.2004, S. 68-75. ^ ° Vgl. F. Pietersen, ..Handei in Deutschiand - Status quo, Strategien, Perspektiven", S. 38, in: H.-C. Riek-hof. Retail Business in Deutschiand. Perspektiven, Strategien, Erfolgsmuster, Wiesbaden 2004, S. 31-69, und C. Thunig, ..Marken-Eriebnis - warum sich Themenparks rechnen", in: absatzwirtschaft, 3/2004, S. 26-33.

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Marke an Scharfe eingebudt hatte. ' ^ Die fuhrenden Einzelhandler fur Sportartikel Foot Locker, Finish Line und Foot Action, die zusammen mehr als die Halfte der Vertriebsflache abdecken, gewahrten den Adidas-Produkten nur noch unzureichenden Regalplatz. Der geringe iVIarktanteil in den USA stand in einem Missverhaltnis zu der zweiten Position der Marke im globalen Ranking hinter Nike. In 2004 hat Adidas bereits ein Zehntel des Umsatzes in den uber 400 eigenen Filialen und Factory-Outlets erzielt und 2005 schliefllich durch die Ubernahme von Reebok seine Ver-handlungsposition gegenuber dem Einzelhandel weiter ausgebaut. ^^

Fallbeispiel: Direktvertrieb von Vorwerk Vonverk hat einen Direktvertrieb aufgebaut, well der in den 20er Jahren entwickelte, fur seine Zeit eher klein wirkende Handstaubsauger „Kobolt" uber den herkommlichen stationaren Einzelhandel nur begrenzt verkauft werden konnte. Die sehr hohe Leistungsfahigkeit des Staubsaugers kann dem Kunden am besten durch unmittelbare Anwendung in seiner eigenen Wohnung demonstriert werden. In Deutschland werden fur den Verkauf des „Kobolt" etwa 4.700 Vertreter eingesetzt. Heute ist Von/verk Marktfuhrer im deutschen Markt fur Staubsauger, obwohl auf den Verkauf durch unabhangige, stationare Handler vollstandig verzichtet wird. Bei Handstaubsaugern hat Vorwerk in Deutschland einen Marktanteil von uber 50% erreicht. Auf die produktspezifischen Nachteile des stationaren Einzelhandels als Vertriebskanal wurde mit einer adsiquaten Vertriebs-strategie begegnet. ^^

Ein weiterer potenzieller Grund fur die Vorintegratlon in den Einzelhandel kann in einer

Inkompatibilitat des Produktkonzeptes mit dem klassischen Vertrieb uber den unabhangl-

gen Einzelhandel liegen.

Fallbeispiel: „Playmobir' Verkauf von geobra Brandstatter in den USA Das Hauptprodukt des Spielzeugproduzenten geobra Brandstatter ist das Systemspielzeug Play-mobil, das sich mit seiner Erweiterbarkeit durch den Zukauf von Figuren auszeichnet. Viele der Kunden haben uber einen langeren Zeitraum eine groflere Anzahl von Figuren erworben und ihre kleine PlaymobilANeW aufgebaut. Zur Steigerung des Absatzes der Splelflgurenserie werden in den USA eigene Filialen eroffnet. Als Grund wird angefuhrt, dass ein Systemspielzeug auf eine Vertriebsstruktur bzw. einen Fachhandel angewiesen ist, der das Produkt uber einen langeren Zeitraum anbietet, so dass der Kunde sein Sortiment nach und nach enveitern kann. Da eine sei­che Struktur in den USA nicht vorhanden ist und anstelle dessen eine schnelle Sortimentsrotation dominiert, wird eine Vorintegratlon in den Einzelhandel in Betracht gezogen. "*

Falls der Aufbau von Vertriebsaktivitaten unter eigenem Namen, sei es durch eigene Ak-tivitaten oder im Rahmen einer Kooperation, auf eine duale Vertriebsstrategie hinauslauft, ist die Gefahr des gegenseitigen Wettbewerbs der Vertriebskanale zu berucksichtigen. Der unabhangige Einzelhandel wird das Sortiment des Produzenten unter Umstanden nicht mehr voll unterstutzen und den Verkauf von Konkurrenzprodukten fordern. Eine Net-toabsatzsteigerung bezogen auf die eigenen und unabhangigen Vertriebsinfrastrukturen

„ ,3. 55, in: Capital, Vol. 5, 2004, S. 54-57. ^^ Vgl. „Adidas Salomon profitiert vom Aufbau eigener Laden", in: Handelsblatt, 28.1.2005. ^^ Vgl. W. Becker, Marketing-Konzeption, Munchen 2002, S. 350; „Gro(ier Spalifaktor, S. 43, in: Capital, 18/2004,8.42-45. ^^ Vgl. „Playmobil versucht es in Amerika mit Ladengeschaften", in: FAZ, 6.2.2004; D. Ziems, U. Krakau, „Die Kaufreviere des Verbrauchers: Ableitungen fur das Retail Business", S. 113, in: H.-C. Riekhof (Hrsg.), Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 99-114.

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setzt voraus, dass der zusatzliche Absatz durch die eigenen Aktivitaten den potenziellen

Ruckgang bei den unabhangigen Handlern ubersteigt. Dies durfte in den meisten Fallen

nur erreichbar sein, wenn zumindest der GroSteil der unabhangigen Handler das Produkt

weiterhin vol! unterstutzt und die Effizienz der etablierten Vertriebsstruktur erhalten bleibt.

Fallbeispiel: Duale Vertriebsstrategie bei Adidas/Reebok Der zunehmenden Angleichung von Sport- und Freizeitbekleidung ist Adidas durch gesonderte Modesortimente begegnet und hat seine Marke in drei Bereiche aufgeteilt: Sport Performance, Sport Heritage und Sport Style. ^^ Der Vertrieb der Modesortimente soil ausschliedlich uber eige-ne Filialen und die Modeabteilungen der groden Warenhauser abgewickelt werden. ^® Der Deut­sche Sportfachhandel hat daraufhin mit der Auslistung der gesamten Produktpalette gedroht, falls die unabhangigen Vertriebspartner und Sportfachgeschafte nicht die gleichen Sortimente wie die Adidas-Filialen bekommen. ' ^

Fallbeispiel: Direktvertrieb von Kosmetika bei Avon Avon betreibt eine der groBten Direktvertriebsorganisationen der Welt. Die Vertriebsstrategie er-moglicht eine individuelle und personliche Beratung des Kunden fur die Anwendung von Kosmeti­ka, die in dieser Form im stationaren Einzelhandel nur bedingt durchgefuhrt werden konnte. Bera­tung und Verkauf finden ubIichenA/eise in der Wohnung des Kunden statt. Auch wenn Avon kein Produzent, sondern ein Handelsunternehmen ist, kann die strategische Ausgangslage fur die Er-schlieliung von Vertriebskanalen im Vergleich zu einem Produzenten als aquivalent angesehen werden. In 2001 wurde beschlossen, den Direktvertrieb von weltweit ca. 3,5 Mio. Beraterinnen durch den unabhangigen Einzelhandel zu erganzen. Zur Umsetzung der dualen Vertriebsstrategie wurden Kooperationen mit den amerikanischen Einzelhandelsunternehmen Sears und J.C. Penney ein-gegangen. Nach enttauschenden Absatzen und Einbruchen im Direktvertrieb wurde der Absatz uber den stationaren Einzelhandel schlielilich wieder aufgegeben. ^®

Eine durchgehende vertlkale Organisation einer Branche, in der die Produzenten ihre

Vertriebskanale kontrollieren und keine alternativen, unabhangigen Absatzwege zur Ver-

fugung stehen, kann die strategische Option eines einzelnen Anbieters, sich aus dem

Einzelhandel zuruckzuziehen, stark einschranken. Bei Aufgabe des eigenen Vertriebs

und Wegfall der Absatzpromotion kann das eigene Produktionsvolumen nur noch bedingt

im Markt untergebracht werden.

Der strategische „Zwang" zum eigenen Vertrieb ist in erster Linle von der Vertriebslogik

bzw. dem Verhaltnis der einwirkenden push and pull-Krafte abhangig: Je grower die Mdg-

lichkelt der Vertriebsinfrastruktur, auf den Absatz der Produkte Einfluss zu nehmen, und

je geringer die Markttransparenz und Souveranitat des Kunden, desto ausgepragter die

strategische Implikatlon fur den Produzenten, sich die Kontrolle uber hinreichende Ab-

satzkapazitaten zu verschaffen.

^ ^ „Schneller. Weiter, Hoher, in: Globalisierung", S. 78. Wirtschaftswoche, 18.3.2004. ^® „Adidas hat Probleme im IVIode-Geschaft', in: Handelsblatt, 11.3.2004. ^ ^ Vgl. Wemer Heinzmann, den Prasidenten des Verbands Deutscher Sportfachhandel: „Diese Anbieter mijssen das Risiko in Kauf nehmen, dass ihre jetzt praktizierte Auslistung unserer Geschafte zur Auslistung ihrer Produktpalette fuhrt", in: „Sporthandel legt sich mit der Industrie an", in: Handelsblatt, 2.2.2004. ^ ° Vgl. ..Begehrte Schonheitskonigin", in: FAZ, 1.4.2004, und „Gro(ler Spafifaktor, in: Capital, 18/2004, S. 42-45.

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Page 183: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

8.5.4 Lerneffekte durch eigenen Kundenkontakt

Lerneffekte konnen ais Grund der Vorintegration bei einigen Produzenten eine wesentli-

che Rolle einnehmen. Nur durch unmittelbaren Kundenkontakt ist der Produzent in der

Lage, die Annahmen der internen Marktforschung und Strategie zu bestatigen und ggf.

neue Trends aufzunehmen, die allein durch interne Analysen nicht erfasst werden. Die

Lerneffekte konnen sich sowohl auf die Kundenbedurfnisse Oder auch die Erfordernisse

eines effizienten Vertriebssystems beziehen.^^^ Hierbei bietet sich insbesondere eine par-

tielle vertikale Integration an, da bereits mit einem begrenzten Investment und einer ge-

ringen Zahl an eigenen Filialen ein hinreichender, qualitativer Lerneffekt erzielt werden

kann.

Fallbeispiel: Online-Verkauf bei Esprit Esprit hat seinen Einzelhandel uber ein System unabhangiger Franchisepartner und den unab-hangigen Einzelhandel organisiert. Ein begrenzter Anteil des Einzelhandels wird uber die eigene Internetplattform erzielt. Der Online-Verkauf wird nicht als zusatzlicher Vertriebskanal gesehen, sondern in erster Linie als Instrument der Marktforschung angesehen, da das Marktpotenzial der neuen Kollektion mit geringem Aufwand und hoher Effizienz getestet werden kann. Bei geringer Nachfrage wird eine Produktreihe direkt eingestellt und nicht fur den stationaren Einzelhandel produziert. ®°

8.6 Vertikale Integration von Produktion und Servicegeschaft Die Produzenten von Konsumgutern versuchen, auf Basis ihres Produktwissens und des Primarverkaufs ihr Gewinnpotenzial auf groBere Telle der Wertschopfungskette bzw. des Produktiebenszyklus auszudehnen. Dies geschieht vor dem Hintergrund des hohen Prelsdruckes im primaren Verkaufsgeschaft, der Erwartung des Kunden, auch nach dem Kauf von dem Hersteller unterstutzt zu werden und der Markenstrategie des Herstellers. Bei schlechter Wartung und einem unzureichenden Service resultiert eine kurze Produkt-lebensdauer und eine latente Unzufriedenheit des Kunden, die schlieBlich auch das Ver­kaufsgeschaft einer drohenden Erosion aussetzt.

Ein weiterer Grund besteht In der Moglichkelt, durch Kombination beider Wertschcip-fungsstufen den Wettbewerb in dem nachgelagerten Servicegeschaft zu reduzieren. Hierbei werden subtil Eintrittshurden aufgebaut, die sich in der Kommunikation an technl-schen Notwendigkeiten orientieren, da facto aber auch auf einen Marktausschluss des Wettbewerbs abzielen. Konkret wird das Produkt technisch so ausgestattet, dass allein der Produzent das technische WIssen und die Ersatzteilspezifikationen verfugt, um das spatere Servicegeschaft zu bedienen.

Vgl. Osegowitsch, T., Madhok, A., S. 32-33, in: „Vertical integration is dead, or is it?", in: Business Hori­zons, Vol. 89, Marz/April 2003, S. 25-34, Indiana University Kelley School of Business, 2003, und B. M. Mi­chael, "Retail Business: Grenzen der'Geiz-ist-geii'-Strategien", S. 168, In: H.-C. Riekhof, Retail Business in Deutsctiland, Wiesbaden 2004, S. 141-171. ^°° Vgl. C. Henschel, „Konzepte im Wettbewerb", 8. 48, in: absatzwirtsctiaft, Nr. 44. 4.11.1999; ..Esprit tritt in Amerika die Flucht nach vorn an", in: FAZ, 25.9.2004 und „Mode fiir die neue Mitte", S. 28, in: brand eins, Mai 2004, S. 20-29.

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Page 184: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Falibeispiei: Der Markt fur Drucker und Druckerpatronen Die Hersteller von Druckern stellen herkommlich auch Druckerpatronen her, von denen der erste Satz im Paket mit dem Drucker abgegeben wird, bei weiterem Bedarf jedoch von dem Kunden nachgekauft werden muss. Hierbei sind Drucker und Patrone teilweise individuell aufeinander ab-gestimmt, so dass die Markenpatronen des Herstellers nur in den Druckern desselben Fabrikats benutzt werden konnen. Ein Nachfiillen der Patronen ist in der Regel technisch nicht moglich bzw. erschwert. Ferner wird den Lieferanten der Tinte, u.a. Jet Tec, Geha und Pelikan, ein Nachbau der kompietten Patronen mit verschiedenen Mittein erschwert, so dass diese mit ihren Produkten nicht direkt den Endverbraucher bedienen konnen. Bezuglich der Preispoiitik hat sich zwischen beiden Kategorien eine unterschiedliche Entwicklung vollzogen: wahrend das Druckergeschaft einen starken Preisverfall eriitten hat, sind die Patronen vergleichsweise teuer geworden. Von den Markenanbietern wird das Druckergeschaft immer mehr als Zugang zum attraktiven Patronengeschaft angesehen. Ein Standarddrucker hat inzwi-schen nur noch einen Wert, der demjenigen von etwa zwei Patronen entspricht. Als Reaktion auf die hohen Patronenpreise haben sich Serviceanbieter auf das Umfullen von Tinte in wieder auf-ladbare Standardpatronen spezialisiert, um die hohen Preise der Markenpatronen zu umgehen. Zusatzlich sind Druckerpatronen vermehrt als Plagiatware im Umlauf gebracht worden und das Geschaftssystem ist in wettbewerbspolitischer Hinsicht aufgefallen. Die Systemkopplung von Drucker- und Patronengeschaft ist in der EU durch Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedin-gungen erschwert, etwa durch Vorgabe einer prinzlpiellen Nachfullbarkeit der Patronen. ®^

8.7 Zusammenfassung Entwicklung, Produktion und Marketing sind in der Konsumguterindustrie noch uberwie-gend vertikal integriert. Die Fertigung der Produkte erfordert eine spezifische Kompetenz, die bei Ausgliederung der Produktion verloren gehen wurde, und die heutigen Marken-produzenten kdnnten die technischen und qualltativen Komponenten ihres Markenver-sprechens nur noch bedingt aufrecht erhalten. Als weiterer Grund ist anzufuhren, dass der Wegfall der produktionsbasierten DIfferenzierung in der Konsumguterindustrie nicht in dem Umfang durch Forschung und Entwicklung kompensiert werden konnte wie in ande-ren Industrien. Nur ein gehnger Anteil des Marktes wird durch grundlegende Innovationen bestimmt und die Ergebnisse der eigenen Forschung gewahren nur in Teilberelchen eine nachhaltige Abgrenzung vom Wettbewerb, etwa Im Gegensatz zur pharmazeutischen In­dustrie, der Computer- oder der Automobilindustrle.

Hinslchtlich der vertikalen Integration von Wertschopfungsstufen ist die Konsumguterin­dustrie von einem wesentlichen Trend der Veranderung charakterisiert: Eine Vielzahl der Produzenten von Konsumgutern hat begonnen, eigene oder Einzelhandelsaktivitaten un-ter eigenem Namen aufzubauen. Hierbei fallt die strategische Zielsetzung der Konsumgu-terproduzenten sehr unterschiedlich aus und kann nur auf Basis des jeweiligen Sortimen-tes und der bestehenden Struktur des Einzel- bzw. des Fachhandels abschlieSend beur-teilt werden. Dennoch konnen generelle Aussagen iiber die Motivation zur Vorintegration getroffen werden: Die Vorinteg ration zielt in den meisten Fallen nicht auf eine Kostensen-kung Oder den Aufbau eines zusatzlichen Vertriebskanals ab, sondern soil den Absatz ijber den unabhangigen EInzelhandel unterstutzen. Hierbei ist in erster LInie auf eine Dif-

° Vgl. „Can anyone save HP", in: BusinessWeek, 21.2.2005, S. 37-43, "Tinte und Tonerstaub", in: Der Sp/ege/(2004), Nr. 4. S. 57-58, und "FliJssiges Gold", in: Der Spiegel {2004), Nr. 45, S. 115.

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ferenzierung vom Wettbewerb und die Sicherstellung des Marktzuganges bzw. die Ver-besserung der Verhandlungsposition gegenuber dem unabhangigen Einzelhandel zu verweisen. Die Unterstellung der Leitmotive Differenzierung und Sicherstellung des Marktzugangs steht in Einklang zu der Beobachtung, dass der Grossteil der Produzenten nur einen Teil des Absatzes iiber eigene Geschafte erzielt und den Verkauf tiber den unabhangigen Einzelhandel nicht aufgibt (partielle vertikale Integration). Bereits durch eine limitierte An-zahl eigener Filialen Oder markenexklusiver Geschafte auf Lizenzbasis kann eine Star-kung der Marke erreicht werden, die den Absatz uber den unabhangigen Einzelhandel unterstutzt.

Bezogen auf die Sicherstellung des Marktzuganges ergibt sich eine analoge Argumenta­tion. Bei unzureichender Kooperation und Unterstutzung durch den unabhangigen Ein­zelhandel kann bereits durch Aufbau eines eigenen Absatzkanals die Verhandlungsposi­tion der Konsumguterproduzenten nachhaltig verbessert werden. Da der unabhangige Einzelhandel in den uben^ iegenden Fallen, insbesondere bei hochwertigen Markenpro-dukten, einen kompletten Verlust des Sortimentes bzw. einen Ausschluss vermeiden will, kann der Konsumguterproduzent durch eine indirekte Androhung der Eigenvermarktung eine starkere Promotion seiner Produkte erreichen. Die partielle Besetzung der Einzelhandelsstufe kann zu gewissen Teilen auch als Reakti-on des Produzenten verstanden werden, das Kraftegleichgewicht innerhalb der Wert-schopfungskette wieder ausbalancieren, nachdem die Herstellermarke ihr Monopol auf das Markenprodukt immer mehr verliert.

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Page 186: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

9. Wertschopfungskette Einzelhandel

9.1 Darstellung der Wertschopfungskette Aus einer ubergreifenden Perspektive betrachtet verdankt der Einzelhandel seine Exis-

tenz den hohen Transaktionskosten, die fiir den privaten Endverbraucher bei direktem

Bezug von den Produzenten anfielen. Der Einzelhandel stellt diejenige Stufe der Wert­

schopfungskette dar, die den Verkauf und die Ubergabe der Ware an den privaten End­

verbraucher abwickelt. Hierbei kann hinsichtlich Vertriebsinfrastruktur und Anbahnung

des Geschaftskontaktes zwischen dem stationaren Einzelhandel, dem Direktvertrieb, dem

Versandhandel und dem Onlinehandel unterschieden werden. In diesem Kontext steht

der stationare Einzelhandel im Mittelpunkt, der immer noch die dominante Vertriebsform

des Einzelhandels darstellt und sich anhand der Kriterien Vertriebstyp (u.a. Supennarkt,

Discounter), Sortiment (u.a. Fachhandel, Kaufhaus) und Organisation (u.a. Einzelge-

schaft, Filialsystem) differenzieren lalit.

In der Wertschopfungskette steht zu Anfang der Einkauf, dem im Gesamtprozess eine

herausragende Bedeutung zukommt, da durch Festlegung des Sortimentes hinsichtlich

Breite und Tiefe entscheidende Weichenstellungen fur die strategische Positionierung

des Handelskonzeptes vorgenommen werden (Abbildung 36).

Abbildung 36: Wertschopfungskette des Einzelhandels von Konsumgiitern mit Abde-ckung durch relevante Anbietennodelle

In der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts hat eine Konzentration und Globalisierung des Einzelhandels eingesetzt. GroBenvorteile im Einkauf und im Marketing haben eine weit-relchende Konsolidierung der Branche verursacht, in der inhabergefiihrte Geschafte kaum noch eine Bedeutung haben. Die uberwiegende Anzahl der Geschafte stellen Able-

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Page 187: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

ger der groRen Handelsunternehmen dar, die mit parallelen Filialsystemen ein breites Marktsegment mit verschiedenen Preiskategorien abdecken. Dabei haben die fuhrenden Anbieter ihre Marktanteile ausgebaut und durch Akquisition Oder organisches Wachstum signifikante Marktanteile erreicht. In 2002 erreichten die vier grofiten Einzelhandler in Deutschland - Metro, Rewe, Aldi und Edeka - einen Marktanteil von uber 90%. ^^ Der GroShandel hat sich als Zulieferer auf kleine inhabergefuhrte Geschafte speziaiisiert, die mit ihrer GroRe fur ein internes Management des Einkaufs unterkritisch sind. Das Kundenportfolio besteht vornehmlich aus Kiosken und Tankstellenshops, die eine Nah-versorgung gewahrleisten und durch ein angehobenes Preisniveau ihre hoheren Beschaf-fungskosten kompensieren. Die Logistik als nachste Stufe der Wertschdpfungskette er-folgt ubenrt iegend durch den Einzelhandel und im Falle spezieller Transport- Oder Lager-bedingungen durch unabhangige Transportunternehmen. Die Einzelhandelskonzerne ver-fugen in der Regel uber eigene Distributionszentren, die von den Produzenten beliefert werden. Der Einzelhandel ennittelt anhand der Abverkaufszahlen und Bestandsmengen den Bedarf fur seine Filialen und organisiert die Lieferung.

Fur Finanzierung, Management und Betrieb der Vertriebsinfrastruktur haben sich in eini-gen Segmenten unabhangige, horizontal orientierte Anbieter entwickelt. Wahrend im klassischen Kaufhaus und im herkommlichen Super- und SB-Markt Betrieb und Nutzung der Verkaufsinfrastruktur aus einer Hand erfolgen, 1st das Einkaufszentrum bzw. die ame-rikanische mall durch eine gesellschafts- und eigentumsrechtliche Trennung beider Stu-fen charakterisiert. Eine ahnliche Spezialisierung auf das Einzelhandelsgeschaft ist beim Store in Store oder dem Shop in Shop-System gegeben. Portionierung und Verpackung der Ware sind heute zunehmend durch eine Verkleinerung der VerpackungsgroRe als Prozessschritt substituiert worden. Die Kommissionierung ist in eine Eigenleistung des Kunden uberfuhrt worden, seitdem sich das Prinzip des Selbst-bedienungsmarktes nahezu flachendeckend durchgesetzt hat. Der Verkaufsprozess ist mit dem Bezahlvorgang abgeschlossen, der beim stationaren Handel in Eigenleistung, beim Internethandel in vielen Fallen von unabhangigen Zahlungsabwicklern bzw. Platt-formen unterstutztwird. Nach Diskussion der Fokussierung des Einzelhandels auf reine Handelsfunktionen (Ab-schnitt 9.2) und der Delegation einzelner Prozessschritte an den Kunden (Abschnitt 9.3) wird zu weiteren Schichten der Wertkette ubergeleitet, in denen eine Spezialisierung ein-setzt. Hierunter fallen die Abkopplung des Managements der Vertriebsinfrastruktur (Ab­schnitt 9.4), das Konzept der Kampagnevermarktung (Abschnitt 9.5) und die horizontale Integration des Einkaufs (Abschnitt 9.6). Ausfuhrlich wird die vertikale Integration von Produktmarketing und Einzelhandel (Abschnitt 9.7) diskutiert. Eine weitere strategische Option besteht fur den Einzelhandel darin, das nachgelagerte Service- und Gastronomie-geschaft zu besetzen (Abschnitt 9.8).

Wgl. R. Mattmuller, R. Tunder, Strategisches Handelsmarketing, Munchen 2004, S. 122-123.

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9.2 Fokussierung auf reine Handelsfunktionen Der Einzelhandel im Bereich Lebensmittel hat teilweise auch Produktionsstufen abge-deckt. Dies trifft insbesondere fiir die Sortimente Teig- und Backwaren sowie Fleisch- und Wurstwaren zu. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Wertschopfungstiefe der Backe-reien und Metzgereien jedoch deutlich reduziert. So haben z. B. die Metzgereien die ei-gene Schlachtung, Raucherung und Wurstproduktion weitestgehend aufgegeben. Backe-reien sind heute in erster Linie spezialisierte Einzelhandelsbetriebe. Der Strukturwandel ermoglicht eine Zentralisierung einiger Prozessschritte und die Realisierung von Grof^en-vorteilen. Aufgrund hoherer Hygiene- und Sicherheitsvorschriften ist das Absatzvolumen einzelner Anbieterzudem unterkritisch geworden. Entsprechend hat das Anbieterfeld eine grundlegende Restrukturierung erfahren und wird heute nicht mehr von unabhangigen Familienunternehmen, sondern filialisierten Anbieterketten dominiert.

Fallbeispiel: Backereien und die Konzentration der Produktion Im Backerhandwerk herrschte bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine vertikale Integration von Pro­duktion und Einzelhandel vor. Der Markt war von kleinen Familienbetrieben gepragt, die Backwa­ren produzierten und diese direkt an den Endverbraucher verkauften. Durch Veranderung der Kostenstrukturen hat sich die Wertschopfungstiefe der Backereien seitdem stark verringert. Ei-nerseits sind die Kosten fiir einen entscheidenden Produktionsfaktor, namlich den Backermeister bzw. das Personal, stark angestiegen, da der Backerberuf aufgrund der Arbeitszeiten immer mehr an AttraktIvitSt verloren hat. Weiterhin hat sich durch die technische Entwicklung eine Zentralisie­rung und Industrialisierung der Teigzubereitung und des Backens durchgesetzt. Das Geschafts-modell einer GroRbackerei, die zentral fur eine Grofizahl eigener Oder unabhangiger Filialen pro-duziert, bietet zudem Vortelle im Einkauf und gewahrt fur die zunehmende Produktdifferenzlerung die Erreichung einer kritischen Masse, die ein kleiner Backereibetrieb nicht mehr abdecken kann. Heute stellen die „Backereien" zum GroRteil nur noch reine Verkaufspunkte dar und werden u-berwiegend von unabhangigen Oder im Falle einer Filialkette vertikal integrierten Groflbackereien beliefert. Die Produkte sind teilweise erst halb fertig und werden in der Verkaufsstelle zur Sugge-rierung einer elgenen Produktion und hoheren Frische noch kurz aufgebacken. Fur die Grodba-ckereien und die verbliebenen kleinen Backstuben hat sich eine spezialisierte Zuliefererindustrie entwickelt, welche auch die Wertschopfungsstufe Produktentwicklung weitestgehend vereinnahmt hat. Die schleichende Aufgabe der Ruckintegration hat den „Backereien" die Moglichkeit einer produktionsveraniagten Differenzierung weitestgehend genommen und der Vereinnahmung der Grundversorgung mit Backwaren durch den Lebensmitteleinzelhandel Vorschub geleistet. Die traditionellen Backereien haben sich Immer mehr auf das Imbissgeschaft in den Innenstadten und FuBgangerzonen verlegt.

9.3 Delegation einzelner Prozessschritte an den Kunden

Der Einzelhandel hat im Lauf der Entwicklung seiner Vertriebsfornnen Prozessschritte an den Produzenten Oder den Kunden delegiert. Die Veranderung der Schnittstelle zu den vor- und nachgelagerten Partnern in der Wertschopfungskette wird paradigmatisch an den Anbietermodellen Kaufladen, SB-Markt und Online-Einzelhandel illustriert. Im Kaufladen waren Verkaufsraum und Warenlager bzw. Sortimentsauslage durch eine Theke abgetrennt. Der Kunde wurde noch personlich durch den selbstandlgen „Kauf-mann" beraten und bedient. Eine fur den Kunden geeignete und gestijckelte Verpackung der Ware wurde von dem Produzenten nicht vorgenommen. Die Verpackungsform orien-

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tierte sich an den logistischen Erfordernissen des Transports, njcht an denjenigen der La-gerung und Konsumierung durch den Endverbraucher. Entsprechend portionierte der Einzelhandler gemali den individuellen Vorgaben des Kunden, ermittelte den Preis und verpackte die Ware.

Im SB-Markt hat sich das Verkaufspersonal hingegen auf die Funktion des Kassierens zuruckgezogen. Das Warenlager ist fur den Kunden frei zug^nglich und ladt bei unter-schwelliger Musik zum entspannten Verweilen ein. Die Delegation der Kommissionierung an den Kunden wurde durch die Umstellung der Belieferungsform des Einzelhandels auf kleinere Packungen ermoglicht, wodurch die Variabilitat des nachgefragten Volumens anhand von gestaffelten Verpackungsgrolien abgebildet wird. In den USA hatte sich das zuerst von den Piggley Wiggly Stores eingefiihrte Prinzip bereits in den 20er Jahren durchgesetzt. In Deutschland fiihrten die Konsumgenossenschaften den SB-Markt erst in den 50er Jahren ein, der bereits in den 60er Jahren den traditionellen Verkaufsablauf verdrangte. Die eigenhandige Kommissionierung der Ware ist heute selbstverstandlich und eriaubt dem Kunden zudem eine ungestorte Begutachtung der Produkte. Individuelle Bedienung hat sich nur in den Kase- und Fleischabteilungen der Supermarkte sowie klei-neren Backereien und Metzgereien erhalten. ^^

Der reduzierte Vertriebsaufwand des Einzelhandels im Vergleich zum Kaufladen konnte uber den Preis an den Kunden weitergegeben werden und bedingte die rasche Verbrei-tung des SB-Marktes als Vertriebsform. Durch Ubertragung der Wertschopfung bzw. von Prozessschritten an den Kunden kann vornehmlich Personalaufwand eingespart werden, von dem die Kunden in Form geringerer Preise profitieren. Die Ubertragung von Prozess­schritten reflektiert die fruhere Kopplung von Angebotskomponenten, oft einer reinen Produkt- und einer Servicekomponente, die der Kunde aufgrund fehlender technlscher Moglichkeiten zur Automation im Paket „mitkaufen" musste. Bei optionaler Auswahl zwi-schen dem gebundelten Verkauf von Produkt und Service gegenuber dem Erwerb des „reinen" Produktes mit begrenzter Eigenleistung hat sich der Grossteil der Kunden fur den kostengunstigeren Produktbezug miteigenem Beschaffungsaufwand entschieden. Fur die Umstellung auf Selbstbedienung bzw. die Delegation von Prozessschritten Oder Teilwertschopfung an den Kunden finden sich in vielen Branchen Beispiele. So wurde im Vertrieb von Mineralol von der personlichen Bedienung auf SB-Zapfanlagen umgestellt. Teilweise kann auch der Bezahlvorgang vollstandig in Eigenleistung abgewickelt werden. In der Mobelindustrie sind durch Ubernahme des Zusammenbaus durch den Kunden sig-nifikante Einsparungen in der Hersteliung und der Logistik erzielt worden. Insbesondere bei rein informationsbasierten Prozessschritten wie etwa im Privatkundengeschaft (u.a. Geldautomaten, Online-Banking, Online-Broking) haben sich groUe Personaleinsparun-gen ergeben. Die unentgeltliche Ubernahme der Kommissionierung durch den Kunden im SB-Markt stent eine wesentliche Herausforderung fur das Geschaftsmodell des Online-Einzelhandels dar. Nach Bestellung der Waren im Internet wird der Auftrag durch den

^ Vgl. D. Berghoff, Moderne Untemehmensgeschichte, Paderbom 2004, S. 344fg.

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Einzelhandler ggf. portioniert, zusammengestellt und geliefert. Der Wegfall des eigenen Mobilitatsaufwandes bzw. des Besuchs eines stationaren Geschaftes bedingt die Uber-nahme der Zustellung durch den Einzelhandler, die im Preis abgebildet werden muss. Das Modell hat sich bis heute nicht in breitem Umfang durchsetzt, da der zusatzliche Preis fur die entgeltliche Eigenleistung des EinzelhSndlers aus Sicht des Kunden in kei-nem Verhaltnis zu der hdheren Bequemlichkeit beim Einkaufen steht.^^^

9.4 Abkopplung der Vertriebsinfrastruktur

Bezogen auf die Vertriebsinfrastruktur hat der stationare Einzelhandel teilweise Wert-

schopfung abgegeben und eine Abkopplung der Bereitstellung der Vertriebsinfrastruktur

von dem eigentllchen Verkaufsgesch^ft eingeleitet. War es fur den Einzelhandler bzw. ein

Kaufhaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch selbstverstandlich, uber eine eigene und

exklusiv genutzte Infrastruktur zu verfugen, wird die Bereitstellung und Nutzung der Infra-

struktur inn heutigen Einzelhandel zunehnnend nur noch als eine Option, jedoch nicht

mehr als Selbstverstandlichkeit angesehen.

Gemafi dem Shop in Shop-Konzept uberlasst der Einzelhandler dem Produzenten eine

definierte Flache der Vertriebsinfrastruktur, die dieser nach eigenen Vorgaben zur ada-

quaten Positionierung seiner Produkte einrichten kann. Der Verkauf verbleibt in der Regel

beim Einzelhandler; das Bestandsmanagement wird teilweise von dem Shopbetreiber in

Eigenregie ausgefuhrt. Das Shop in Shop-Konzept bietet Vorteile fur beide Selten: Dem

Produzenten wird eine partielle Alleinstellung seiner Produkte, eine enge Kontrolle der

Markenpositionierung sowie ein kapitalschonender Zugang zu Vertriebsflachen mit hoher

Frequenz gewahrt. Im Gegenzug erhoht der Einzelhandler die Attraktivitat seiner Ver­

triebsinfrastruktur und reaiisiert eine hohere Flachenproduktivitat. Beim Store in Store-

Konzept ubernimmt der Storebetreiber auch den Verkauf.

Fallbeispiel: Shop in Shop-Konzept von Bosch Der Automobilzulieferer und Produzent von Elektrogeraten Bosch sieht sich in seinem Angebot fur den privaten Endverbraucher einer zunehmenden Konkurrenz von Billiganbietern ausgesetzt. Zur Starkung des Markenprofils sind in uber 100 Baumarkten der Baumarkte Hornbach, Bauhaus, Hellwig, Max Bahr und Baumax abgegrenzte Verkaufsraume eingerichtet worden. Die Shops werden von einem Bosch-Fachberater betreut, der die Kunden uber die Bedienung und Anwen-dungsmoglichkeiten der Boschgerate berat. Bosch en/vartet von den Shops kelnen positiven De-ckungsbeitrag, sondern ordnet sie in weitestem Sinne als Marketlngmaflnahme ein. ®

In einem Einkaufszentrum Oder der amerikanischen mall hat sich schlielilich eine voll-

standige Entkopplung von Bereitstellung und Nutzung der Infrastruktur vollzogen. Die Inf­

rastruktur wird von einem unanhangigen Investor finanziert und einer Betreibergesell-

schaft gefijhrt, die an den Einzelhandelsgeschaften nicht beteiligt ist. ^® Der Einzelhandler

Vgl. J. Magretta, „Why Business Models matter, S. 90, in: Harvard Business Review, May 2002, S. 86-92. ° Vgl. C. Thunig, „Mit Shop-in-Shop aus der Beliebigkeit", in: absatzwirtschaft, 10/2004, S. 136-137. °® Die fijhrenden Betreiber von Einkaufszentren sind u.a. ECE (Europa), die Simon Property Group (USA)

und Westfield (Australien, Grossbritannien, USA).

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ist reiner Mieter der Betreibergesellschaft und somjt in das Management der Infrastruktur

nicht involviert. Hierdurch ist eine zunehmende Spezialisierung der Anbieter und eine hb-

here Auslastung der Vertriebsinfrastrukturen erreicht worden. In einem Einkaufszentrum

Oder einer mall kann perspektivisch durch Parzellierung der FlSche ein flexiblerer Aus-

tausch der Ladenmieter und somit eine ungleich hohere Flachenproduktivitat sicherge-

stellt werden als in einer vertikal eingebundenen Kaufhausinfrastruktur.

Von einem einheitlichen Trend kann allerdings nicht gesprochen werden. Einige Kauf-

hauskonzerne haben gezielt in moderne Vertriebsinfrastrukturen in bester Innenstadtlage

investiert, z. B. der Douglas-Konzern fur seine diversen Filialkonzepte, der Kaufhof-

Konzern nach Umstellung auf das Galeriakonzept und Peek & Cloppenburg mit der Er-

richtung von ..Weltstadthausern".

9.5 Konzept der Kampagnenvermarktung Die Spezialisierung des Einzelhandels auf bestimmte Produktgruppen ist insgesamt ruck-laufig und der Fachhandel wird zunehmend durch einen Einzelhandel mit hoher Sorti-mentsbreite und begrenzter Sortimentstiefe verdrangt. Die hohe Sortimentsbreite der „U-niversalhandler" wird durch eine permanente Rotation des Angebots mit hohem Um-schlag erreicht. Hierbei wird eine thematisch eng definierte Produktgruppe - ggf. nur ein einzelnes Produkt - gezielt beworben und im Rahmen einer Kampagnenvermarktung in-nerhalb von einer bis zwei Wochen verkauft. In dieser Periode wird im Vergleich zum Fachhandel ein deutlich hoherer Absatz erzielt. Die hierzu erforderliche Frequenz ist ei-nerseits durch die Grundfrequenz der Vertriebsinfrastruktur gegeben und wird durch ge-zielte WerbemaUnahmen erhoht. Der Verzicht auf eine durchgehende Reservierung von Vertriebsinfrastruktur fuhrt zu einer signifikanten Senkung der anteiligen Vertriebskosten, da im Phasenverkauf nicht tiber ein ganzes Jahr eine permanente sortimentsspezifische Kapazitat aufrecht erhalten wird. Das System der Rotation ermdglicht sowohl eine Rendi-testeigerung fur den Einzelhandel, als auch einen Preisvorteil fur den Kunden.

Fallbeispiel: Tchibo als UniversalhSndler Tchibo hat sich zusehends von einem Kaffeegeschaft mit Kombination von Kaffeeausschank und Kaffeepulververkauf zu einem Handler von Gebrauchsartikein entwickelt. Das Angebot von Gebrauchsartikein umfasst je nach Saison Kuchenzubehor, Heimtextilien, Bekleidung, Mode-schmuck und andere Konsumguter des Fachhandels. Die Entwicklung hat sich historisch aus ei­nem Paketverkauf ergeben: Als Kaffee in den 50er Jahren noch ein limitiertes Luxusgut darstellte, begann Tchibo Kaffee in praktischen Nebenprodukten wie Geschirr oder Blechdosen anzubieten. In den 70er Jahren wurden die Kopplungsangebote in Deutschland schlieftlich per Gerichtsbe-schluss untersagt und Tchibo organisierte den Handel von Gebrauchtwaren als eigenstandige Produktsparte. Das Konzept der Kampagnenvermarktung wurde in den 80er Jahren gestartet. Ein Artikel wird nach erfolgreichem Test im Markt exklusiv fur Tchibo produziert, beworben und fur 14 Tage uber die Filialen komplett abverkauft. Von einem permanenten Angebot wird konsequent abgesehen. Die Sortimentstiefe ist minimal: es wird jeweils nur ein Artikel einer Kategorie verkauft. Durch permanente Rotation mutiert Tchibo im Zweiwochen-Rhythmus von Fachhandler in Sparte A zum Fachhandler in Sparte B.

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Die Integration von Vertriebsaktivitaten reflektiert das ungenutzte Potenzial des dichten Filialnet-zes in Innenstadtiagen mit hoher MarkterschlieSung. Durch den eng getakteten Kaffeekonsum ist eine sehr hohe Frequentierung der Filialen gegeben, die fur den Absatz anderer Sortimente eine „kostenlose" Ressource darstellt. Taglich werden in den 860 deutschen Filialen insgesamt uber 4 Mio. Tassen Kaffee ausgeschenkt. Unter Einbeziehung der Shop in Shop-Kooperationen verfugt Tchibo in Deutschland uber 50.000 Verkaufspunkte. Durch die hohe Konzentration der Kaffee-Systemgastronomie - Tchibo hat durch die Integration von Eduscho in Deutschland einen domi-nanten Marktantell erreicht - liegt eine Nachfragemacht vor, die mit derjenigen des Wettbewerbs vergleichbar ist. Nach eigenen Angaben setzt Tchibo vom Hauptartikel der Woche vierundvierzigmal mehr als der jeweiiige deutsche Fachhandel ab! Wahrend der Fachhandel ein Produkt uber 52 Wochen im Jahr anbietet und dabei einen Jahresabsatz von (hypothetischen) 12 Einheiten erreicht, bietet Tchibo das selbe Produkt (den Hauptartikel der Woche) bis zum kompletten Abverkauf fur insge­samt 4 Wochen an und setzte In diesem Zeitraum insgesamt 20 Einheiten ab (der Faktor 44 wird nur in einer Woche erreicht). Die Vertriebskosten betragen dann in erster Abschatzung nur 5% derjenigen des Fachhandels. Machen die Vertriebskosten etwa 10% des Umsatzes aus, wiirde perspektivisch gegenuber dem Fachhandel eine um bis zu 10% hohere Umsatzmarge erzielt. ®^

9.6 Horizontale Integration des Einkaufs Die Einkaufsfunktion stellt herkommlich neben der Bewirtschaftung der Vertriebsinfra-struktur eine Kernkompetenz des Einzelhandels dar. Den Einkaufern kommt eine wesent-liche Rolle in den Handelsunternehmen zu, da sle durch Auswahl und Festlegung des Sortiments die strategische Ausrichtung des Handelskonzeptes maBgeblich mitbestim-men. Aufgrund von GroSenvorteilen zeichnet sich allerdings auch in dieser Schicht der Wertschdpfungskette eine starkere horizontale Ausrichtung ab. Die Einkaufsdienstleister ubernehmen die Sichtung des Marktes, die Abwicklung des Einkaufs und organisieren die Belieferung der Filialen ihrer Kunden. Hierbei Ist interessant, dass die Beschaffungspart-ner auch parallel fur mehr oder weniger konkurrierende Einzelhandler arbeiten konnen.

Fallbeispiei: Medion als horizontal orientierter Dienstleister fur den Einkauf Medion hat mit einem innovativen Geschaftsmodell eine weitere Segmentierung der Wertschdp­fungskette vorgenommen. Das Unternehmen entspricht einer unabhangigen, horizontal integrier-ten Einkaufsabteilung, die sich unabhangig im Markt positioniert und ihre Dienstleistung mehreren Einzelhandelsunternehmen anbietet. Die Abwicklung des Einkaufs ist durch die Wertschdpfungs-stufen Produktdesign, Qualitats- und Logistikmanagement, Produktmarketing und Kundendienst erganzt. Das Unternehmen erzlelt Grdflenvortelle in der Bewertung von Produzenten und der Konzeption komplexer Produkte und Ist dadurch in dem hochinnovatlven Elektronikmarkt gegen­uber den internen Abteilungen der Einzelhandler in einer bevorteilten Situation. Der Ablauf des Geschaftes gestaltet sich wie folgt: Die Komponenten werden von etabllerten Markenlieferanten bezogen und deren direkte Belieferung an die Lohnproduzenten veranlasst. Der Lohnproduzent wie u.a. die thuringische Firma Legatee erstellt die Waren in der vorgegebe-nen Spezifikation. Die Belieferung der Filialen des Einzelhandelsunternehmens wird von Medion koordiniert. Die Produkte werden uberwiegend unter dem Markenlabel von Medion vermarktet. In Eigenleistung betreibt Medion Call Center fiir Beratung und Kundendienst. So kontrolliert Medion

Vgl. „GebrauchsartJkel unterstiitzen Tchibos Geschaft", in: PAZ, 29.1.2004 und „Tchibo wachst in Um-satz und Ertrag welter zweistellig", in: FAZ, 14.5.2004; „Das grolie Puzzle", in: brand eins, Oktober2004, S. 84-88.

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den Groflteil des Informations- und Materialflusses der Wertschopfungskette. Das Geschaftsmo-dell wird nicht nur fur den Vertrieb von Computern, sondern verschiedene Produkte der Unterhal-tungselektronik angewandt. Medion arbeitet als unabhangiger Elektronikeinkaufer in erster Linie fur die deutsche Discounterkette Aldi. Weitere Kunden sind u.a. Metro und Tchibo, das britische Handelsunternehmen Tesco, der franzosische Einzelhandler Carrefour sowie die amerikanische Elektronikkette Best Buy. ®

Fallbeispiel: Auslagerung des Einkaufes bei KarstadtQuelle Das Versandhandels- und Kaufhauskonzern KarstadtQuelle plant selnen Auslandseinkauf voll-standig auszulagern und an den in Hongkong ansassigen Einkaufer Li & Fung zu vergeben. In diesem Zusammenhang soil auch die bisherige Einkaufsabteilung fur Importkontingente, gebun-delt in der Karstadt-Quelle International Services AG, verkauft werden. Mit einem Umsatz von u-ber 7 Mrd. US Dollar stellt Li & Fung das grofite Beschaffungsunternehmen der Welt dar. Kar­stadtQuelle verspricht sich von der Auslagerung eine Senkung der Einkaufskosten von bis zu 10%. Von Branchenexperten wird dieser Schritt allerdings eher als Notiosung, weniger als Teil einer iangfristig vorteilhaften Strategie eingeschatzt. ®^

9.7 Vertikale integration von IVIarloting und Einzeihiandei

Mit der Einfuhrung von Handelsmarken hat zwischen Produzent und Einzelhandler eine Auseinandersetzung unn die Vereinnahmung der Wertschopfungsstufe IVIarketing einge-setzt, die in Abgrenzung zum herkommlichen Wettbewerb in derselben Wertschopfungs­stufe als „vertikaler Wettbewerb" bezeichnet wird. Hierdurch ergibt sich insofern eine kompetitive Konstellation, da die Konsumguterproduzenten in der Regel ihre Produktmar-ken nicht aufgeben wollen, sich aufgrund der starken Verhandlungsposition des Einzel-handels jedoch gezwungen sehen, einen immer hoheren Anteil ihrer Kapazitaten fur die Produktion von Handelsmarken einzusetzen.^^° Der Begriff „Handelsmarke" definiert sich in Absetzung zur Herstellermarke und hat die implizite Aquivalenz der Marke mit der Herstellermarke aufgebrochen. Hersteller- und Handelsmarken stellen zwei Arten der Markenware dar, die beide den definitorischen Kri-terien des Markenartikels entsprechen.^^^ Die seit den 70er Jahren zunehmende Verbrei-tung der Handelsmarke bzw. die Funktion des Handelsunternehmens als Markeninhaber stellt eine bemerkenswerte Entwicklung dar, durch die der Einzelhandel seine Kernpro-zesse weit uber das l\/lanagement der Vertriebsinfrastruktur ausdehnt und sich gegenuber dem Produzenten emanzipiert. Die Konzentration des Einzelhandels ist eine zentrale Vor-aussetzung dieser Entwicklung, da die Besetzung der Wertschopfungsstufe Produktmar-keting eine kritische GroRe erfordert.

Vgl. Medion, Geschaftsbericht 2003; „Partner Aldi wird fur Medion zum Problem", in: Financial Times Deutschland, 20.8.2004, und C. Reischauer, ..Medion. Kehraus", in: Capital, 22.3.2006, capital.de/pu/ 100003091.html, aufgerufen am 29.3.2006. ^°^ Vgl. F. Sieren, „Ein wenig verwohnt". in: Wirtschaftswoche, 26.6.2006, S. 66-70, und C. Schlautmann, B. Frondhoff, „Neue Lander, neue Quellen". in: Handelsblatt, 18.6.2006. ^ ° Vgl. F. Pietersen, „Handel in Deutschland - Staus quo, Strategien, Perspektiven, S. 65, in: H.-C. Riekhof, Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 31-69. ^ ^ Zur Abgrenzung von Hersteller- und Handelsmarke vgl. R. Mattmuller, R. Tunder, Strategisches Han-delsmarketing, Munchen 2004, S. 216fg.

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Historisch ist die Einfuhrung der Handelsmarke in Deutschland ein Mittel des Einzelhan-dels gewesen, sich uber den Preis vom Wettbewerb zu differenzieren. Da bis 1974 eine rechtliche Vorgabe der Preisbindung fur Markenprodukte bestand, die dem Handel einen einheitlichen Preis von Herstellermarken vorschrieb, konnte der zunehmend konsolidierte Einzelhandel seine Einkaufsvorteile und Mengenrabatte nicht direkt mit niedrigeren Prei-sen ausnutzen. Durch die rechtlichen Rahmenbedingungen sollten die kleinen Anbieter bzw. der „Tante Ennma"-Laden ohne vergleichbare Einkaufsmacht geschutzt werden. Entsprechend bestand fur den Einzelhandel ein wesentliches Motiv fur die Einfuhrung der Handelsmarke darin, die wettbewerbsrechtliche Preisbindung zu unterlaufen und den ge-stalterischen Spielraum der eigenen Preispolitik zu erhohen. Die Handelsnfiarke wurde zuerst von den Discountern eingesetzt und zog als Reaktion die Einfuhrung von Han-delsmarken bei den ubrigen Handelsunternehmen nach sich.

Die Handelsmarke hat im europaischen Einzelhandel wertmaBig einen Anteil von ca. 30% erreicht; in Grolibritannien haben die Einzelhandelsunternehmen Tesco und Sainsbury bereits einen Anteil von uber 55% erreicht. Handelsmarken haben insbesondere bei Le-bensmitteln eine weite Verbreitung gefunden. ^^ Die Sortimentsbreite einer Handelsmarke kann analog zu einer Herstellermarke unterschiedlich weit gestaltet sein. Entsprechend kann die Handelsmarke als Produktmarke, als Warengruppenmarke, als Sortimentsmarke Oder als Retail Brand gefuhrt werden. Im letzten Fall ist eine hinreichende Bekanntheit Voraussetzung, so dass der Kunde das Preis-/Leistungsverhaltnis der Retail Brand auf die einzelnen Produkte ubertragt. Etwa 80% des Umsatzes mit Handelsmarken entfallen auf das stark gewachsene Seg­ment der Discounter, in dem die Herstellermarke teilweise nur eine geringe Bedeutung hat. Teilweise werden von den Discountern ab 2005 aber auch wieder gezielt einzelne Markenprodukte ins Sortiment aufgenommen. ^^ Entsprechend hat die Handelsmarke im unteren und mittleren Preisniveau einen deutlich hoheren Stellenwert als im Hochpreis-segment. " Der Endverbraucherpreis kann bis zu 40% unter dem Preis des aquivalenten Herstellermarkenproduktes liegen. ^^ Zunehmend wird vom Einzelhandel versucht, die Handelsmarke in den oberen Preisbe-reich auszudehnen. Der verstarkte Aufbau von A-Marken wird mittel- bis langfristig ver-mutlich mit einer zunehmenden Verdrangung von B- und C-Herstellermarken einherge-hen.^^ Hierzu ist anzumerken, dass Handelsmarken in der Regel im Vergleich zur Her-

Vgl. F. Pietersen et. a!., „Status Quo und Perspektiven im Deutschen Lebensmitteleinzelhandel 2004", Marktanalyse von KPMG und EHI, S. 46, und B. M. Michael, "Retail Business: Grenzen der 'Geiz-ist-geil'-Strategien", S. 149, in: H.-C. Riekhof, Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 141-171. ^ ^ R. Berndt, M. Ueberhart, ..Herstelier und Handler kampfen auf dem gleichen Terrain", S. 45-49, in: io new management, Nr. 5, 2004; und C. Reischauer, M. C. Schneider, „Mehr Marken in die TiJte", in: Capital, 22/2005, S. 52-63.

^ ^ Vgl. P. Winkelmann, „Die Markte zeigen - in Verbindung mit Herstellermarken und Handelsmarken - eine Polarisierung von Premium-Preislagen einerseits und Discounter-Preislagen andererseits", in: ..Marketing und Vertrieb", Munchen 2004, S. 247. ^ ^ Vgl. „Status Quo und Perspektiven im Deutschen Lebensmitteleinzelhandel 2004", Marktanalyse von KPMG und EHI, S. 29 (Primarquelle A. C. Nielsen Global Services 2003). ^^ Vgl. F. Pietersen et. al., ..Status Quo und Perspektiven im Deutschen Lebensmitteleinzelhandel 2004", Marktanalyse von KPMG und EHI, S. 46. H. Meffert unterscheidet zwischen vier Generationen der Han-

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stellermarke eine aquivalente Qualitat haben. Die Produkte werden sowohl durch den

Produzenten, ais auch den Einzelhandel strengen Kontrollen unterworfen.

Viele der fuhrenden Handelskonzerne verlangen fur ihre Eigenmarken von den Herstel-

lern eine Zertifizierung nach definierten Standards. Der Grossteil der Produzenten ver-

marktet seine Produkte sowohl als Herstellermarke, ais auch in Lohnproduktion fur die

Eigenmarkenprogramme des Elnzelhandels.^^'^ In Einzelfallen wird von den Markenpro-

duzenten eine parallele Herstellung von Produkten ftir Handelsmarken bewusst ausge-

schlossen. Beiersdorf stellt seine Produktionskapazitat ausschliedlich fur die eigenen

Markenprodukte zur Verfiigung, urn die Glaubwiirdigkeit und Differenzierung der Eigen­

marken nicht zu unterminieren: „Wir arbeiten mit den Discountern zusannmen, beliefern

sie aber nicht mit deren Eigenmarken, denn das wiirde unsere Marken beschadigen".^^^

Nach der starken Konzentration im Einzelhandel und der veranderten Machtverhaltnisse

innerhalb der Wertschopfungskette ist der Einzelhandel zunehmend In der Lage, den

Produzenten aus der Wertschopfungsstufe Marketing zu verdrangen. Der Einzelhandler

ubt eine hohe Nachfragemacht aus und kontrolliert den Vertriebskanal. Bel Aufbau einer

Eigenmarkte in Kooperation mit Lohnproduzenten kann eine Herstellermarke direkt durch

Auslistung substituiert werden.

Fallbeispiel: Expansion von LidI in Schweden Bel Zusammenstellung des Lieferantenportfolios fur seine Filialen in Schweden hatte die deut-sche Lidl-Gruppe von dem schwedisch-danlschen Lebensmittelproduzenten Aria-Foods verlangt, bei Milchprodukten auf das eigene Markenzeichen bzw. Logo zu verzichten. LidI wollte seine Pro­dukte als reine Eigenmarken positionleren. Da der potenzielle Zulieferer die Besetzung der Wert­schopfungsstufe Produktmarketing jedoch nicht aufgeben wollte und auf dem Anbringen des Mar-kenzeichens bestand, hat sich LidI schlielllich fur einen anderen Zulieferer aus Norddeutschland entschieden. ^^

Eintrittshurden in das Produktmarketing sind fur den Einzelhandel kaum vorhanden, da der GroHteil der Produkte nicht hinreichend durch Innovationen oder Patente geschutzt sind. Entsprechend versuchen die Markenproduzenten durch Entwicklung neuer Produk­te, die eine aufwendige Zulassung durchlaufen haben, ihre Position zu verbessern. Der Leiter von Nestle, P. Brabeck, fuhrt aus: „Es geht in der Tat darum, sich von den Han­delsmarken abzusetzen. Der Bereich Convenience bletet da kaum noch eine Differenzie-rungsmoglichkeit [...] aber bei Lebensmittel[n], die einen komplexen gesundheitlichen Zu-satznutzen versprechen [...] braucht man lelcht vier bis sechs Jahre Entwicklungsarbeit,

delsmarke. Die ..segmentierte Handelsmarke" bzw. „Gestaltmarke" definiert innovative Produkte, deren Kaufmotivation nicht auf dem Preis, sondern auf der hohen Produktqualitat beruht, S. 870, in: H. Meffert, Marketing, 9. Auflage, Wiesbaden 2000. ^ ^ Vgl. D. Brandes, Konsequent einfach", Frankfurt 1999, S. 194; M. Schneider, Welche Marke steckt da-hinter?, Munchen 2005; und R. Binder, A. Heim, „Erfolgsfaktoren identitatsorientierter Markenfuhrung im Handel", S. 298, in: „Erfolgsfaktoren identitatsorientierter Markenfuhrung im Handel", in: Riekhof, H.-C. (Hrsg.), Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 293-307. ^^Wgl. T.-B. Quaas, „Muhsam, abererfolgreich", S. 62, in: Wirtscfiaftswoche, 16.2.2006, S. 60-64. ^® Vgl. „Lidl: Probleme bei der Expansion", Kurzbericht vom 29.12.2003, Intemet-Homepage der Wirt-schaftswoche (wiwo.de), aufgerufen am 5.1.2004.

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um solch einen Health Claim vorbringen zu konnen. Das wird fiir Handelsmarken schwie-rig. Denen fehit der notige Forschungsapparat".^°° Zusammenfassend ist aus der klassischen Beziehung zwischen Produzent und Einzel-handel mehr und mehr eine kompetitive Rivalitat um die Kaufkraft des privaten End-verbrauchers geworden. Im Bereich der Lebensmittel hat der Einzelhandel in Teilen be-reits die Marketingfuhrerschaft ubernommen und sich bezogen auf die Krafteverhaltnisse Innerhalb der Wertschopfungskette vom „Erfullungsgehilfen" zum „Gatekeeper" gewan-delt. Aus Sicht des Produzenten scheinen die Mittel zur Verteidigung der Wertschop­fungskette Marketing begrenzt zu sein. Bei weiterer Erhohung des pull through-Effektes durch Intensivierung der Werbung besteht die Gefahr, dass die Produkte ihre Wettbe-werbsfahigkeit verlieren, da die Preisspanne zwischen Hersteller- und Handelsmarke zu grofi wurde. Zur Starkung ihrer Kernmarken haben die Konsumgutereproduzenten ihr Markenportfolio bereits stark konsolidiert und ihre Grolienvorteile im Markenmanagement durch Ausdehnung von Brands ausgebaut. So hat z. B. Unilever die Anzahl seiner Mar-ken von 1.600 auf 400 gesenkt, um u.a. die Werbeaufwendungen pro Marke erhohen und eine starkere Nachfrage des Endverbrauchers erzeugen zu konnen.^°^ Fur den Aufbau eigener Einzelhandelsaktivitaten sind die Sortimente der Produzenten in der Regel unter-kritisch.

Die Ergebniszusammenfassung einer Umfrage unter Marketing- und Vertriebsmanagern der Zeitschrift absatzwirtschaft bringt die geanderten Machtverhaltnisse innerhalb der Wertschopfungskette pointiert zum Ausdruck: ,Als Herrscher uber derart eindrucksvolle Vertriebsplattformen bringen sie [die Handler] ihre Lieferanten auch in eine gefahrliche Abhangigkeit. Selbst Brandleader wie Procter & Gamble, Nestle oder Unilever sind heute ihren GroSkunden ausgeliefert und fiigen sich ihrem Schicksal. Vor zehn Jahren hatten sie noch einen distributionspolitischen Befreiungsschlag wagen konnen, doch jetzt macht es kaum noch Sinn, uber eigene Vertriebskanale nachzudenken".^°^ In Einzelfallen kann es aber durchaus zu einer partiellen Vorintegration in den Einzelhandel kommen.

Fallbeispiel: Ubernahme von The Body Shop durch L'Oreal L'Oreal hat 2006 The Body Shop, ein britisches Einzelhandelsunternehmen fur Kosmetika auf Basis von Naturstoffen, ubernommen. Das Unternehmen war 1976 von Anita Roddick in Grolibri-tannien gegrundet worden und verfolgte ein grundsatzlich anderes Vermarktungskonzept als die herkommlichen Anbieter von Kosmetika. Die ausschliedlich eigenen Produkte werden in einfa-chen Plastikverpackungen ohne Werbung vermarktet. Das Markenimage versucht nicht den Glauben an unvergangliche Schonheit zu en/vecken. Die Produktion basiert auf ethisch einwand-frei hergestellten Kosmetika auf Basis naturlicher Rohstoffe. Nach geschaftlichen Problemen In den 90er Jahren wurden die eigenen Produktionskapazitaten aufgegeben und eine ausschliedliche Fokussierung auf den Einzelhandel eingeleitet. Auch wenn L'Oreal vorerst nicht beabsichtigt, das Geschaftskonzept von The Body Shop zu verandern, ist

Vgl. p. Brabeck (Interview), „Abschied vom Glutamaf, S. 145-146, in: manager magazin, 6/2006, S. 142-149. ^°^ Zur Begrenzung des i\^arkenportfolios und der Fokussierung auf die starksten Marken vgl. N. Kumar, "Kill a Brand, Keep a Customer", in: Harvard Business Review, December 2003, S. 86-95. ° Vgl. absatzwirtschaft, 9/2004, S. 24.

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langfristig davon auszugehen, dass das Vertriebssystem auch fur den Absatz der eigenen Pro-dukte eingesetzt werden wird. Zusatzlich durfte sich fur L'Oreal die Verhandlungsposition gegen-uber dem unabhangigen Einzelhandel verbessern. °^

Die Herstellermarke wird voraussichtlich umso mehr an Boden verlieren, je starker es

dem Einzelhandel gelingt, fur seine Marken Vertrauen beim Kunden aufzubauen. Da viele

der Hersteller auf den Preisdruck mit Absenkung der Aufwendungen fur Produktentwick-

lung und Werbung reagieren mussen, neigt der einmal in Gang gesetzte Trend zur

Selbstverstarkung.^°^

Im Folgenden werden zwei Motive der Ruckintegration des Einzelhandels in das Pro-

duktmarketing diskutiert: Die Senkung der Beschaffungskosten (Abschnitt 9.7.1) und die

Differenzierung vom Wettbewerb (Abschnitt 9.7.2). Wahrend sich eine Senkung der Be­

schaffungskosten direkt im Gewinn niederschlagt, wirkt sich eine Differenzierung indirekt

uber eine Erhohung der Frequenz und der Absatzzahlen aus. Teilweise wird neben den

obigen Aspekten auch die Unabhangigkeit gegenuber den Markenherstellern und die re-

duzierte Preistransparenz angefuhrt.^°^

9.7.1 Senkung der Beschaffungskosten Fur den Vergleich der Beschaffungskosten bei Substitution einer Hersteller- durch eine Handelsmarke wird eine annahernde qualitative Aquivalenz der Produkte unterstellt, da ansonsten keine direkte Vergleichsbasis gegeben ware. Fur die uberwiegende Anzahl der Handelsmarken kann davon ausgegangen werden, dass der Einzelhandler mit „seinen" Produkten einen hoheren Deckungsbeitrag erzielt. °® Der hohere Deckungsbeitrag des Einzelhandlers wird in erster Linie durch die deutlich verringerten bzw. den Wegfall der Marketingaufwendungen des Produzenten ermoglicht: Die Marketingkosten des Einzel­handlers sind deutlich geringer als diejenigen des Herstellers, da dieser ubiicherweise mit einem hohen Werbeaufwand einen emotionalen Zusatznutzen aufbaut und einen pull through-Effekt initiiert. Der Werbeaufwand des Einzelhandels fur seine Handelsmarken ist in den meisten Fallen begrenzt und geht uber die Positionierung in der Filiate nicht hin-aus, da gegenuber den Herstellermarken bereits durch eine gezielte Preissetzung eine Differenzierung erreicht wird. Die Handelsmarken der Nicht-Discounter sind zudem uber-wiegend als Gattungs- (Sortiment) bzw. Dachmarken (Retail-Konzept) konzipiert, deren Werbungskosten auf das gesamte Sortiment verteilt werden (Abildung 37).^°^

"' Vgl. D. Heilmann, "Kampferin fiir das Gute", in: Handelsblatt, 20.3.2006, S. 15. ° Vgl. die von Winkelmann beschriebene „Konditionenspirale", gemali der ein Produzent seine Zuge-

standnisse gegenuber seinen Key accounts mit reduzierten Werbeaufwendungen erkauft und dadurch letztendlich zu weiteren Preisnachlassen gezwungen wird. In: P. Winkelmann, Marketing und Vertrieb, MiJnchen 2004, S. 268. ^°^ Vgl. die Retail Studie „Preis- und Sortimentsmanagement als Erfolgshebel im Einzelhandel" (2003) von Mercer Management Consulting und dem Lehrstuhl fur Marketing und Handel der Universitat Essen, S. 6, und R. MattmiJller, R. Tunder, Strategisches Handelsmarketing, Miinchen 2004, S. 135fg. ° Vgl. D. Brandes, Konsequent einfach, Frankfurt 1999, S. 194. Vgl. auch M. Brijck, S. Biskamp, in: „Blaue

Flecken", S. 59, in: Wirtschaftswoche, 1.12.2005, S. 54-59. ° Beispiele fiir Handelsmarken, die als Sortimentsmarken gefiihrt werden, sind z. B. die Marke „Ja!" der

Rewe-Gruppe Oder „A&P" von Tengelmann. Beispiele fur Retail Brands sind „Aldi" „IKEA", und „H&M". Zur

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Abbildung 37: Vergleich des Deckungsbeitrags des Einzelhandels bei Verkauf einer Hersteller- oder einer Handelsmarke. Die Verhaltnisse in der Abbildung entsprichen nicht den realen Grof^enverhaltnissen

9.7.2 Differenzierung gegenuber dem Wettbewerb Handelsmarken werden in der Regel ausschlieSlich in den Filialen des entsprechenden Handelunternehmens verkauft, nicht jedoch konkurrierenden Handelsunternehmen ange-boten. Mit der Einfuhrung von Handelsmarken setzt sich der Einzelhandel sowohl gegen­uber den Markenproduzenten, als auch anderen Handelsunternehmen ab: Reprasentiert der Einzelhandel fur den Kunden bei einem Angebot von Herstellermarken nur eine von vielen Moglichkeiten, ein bestimmtes Produkt zu beschaffen, gewinnt er mit eigenen Pro-dukten den Status eines exklusiven Anbieters. So hat z. B. der Einzelhandler Rewe mit seinen Handelsmarken Erienhof, Fullhorn, Today und Ja bewusst ein eigenes Profil ge­genuber anderen Einzelhandlern aufgebaut und eine Differenzierung erreicht. Bezijglich der Abgrenzung zur Herstellermarke kann zwischen verschiedenen Positionie-rungen der Handelsmarke differenziert werden. Bei der Auswahl des Namens der Han­delsmarke wird entweder auf eine Me too-Strategie, bei der sich die Handelsmarke an eine etablierte Produktmarke aniehnt (z. B. Balea von dem Drogeriefilialisten dm in An-lehnung an Nivea von Beiersdorf), eine Programm-Strategie, gemaB der die Marke eine bestimmte Programmatik ausdruckt (z. B. Gut und Billig von Marktkauf) oder eine Identi-tats-Strategie verfolgt, bei der die Handelsmarke als Identitatstrager des Handels fungiert und keine Ahnlichkeit zu Herstellermarken aufweist (z. B. TCM bei Tchibo). Sowohl die

Kompetenzbreite von Handelsmarken vgl. auch R. MattmiJller, R. Tunder, Strategisches Handelsmarketing, Munchen 2004, S. 226.

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Me too-StrategJe als auch die Programmstrategie grenzen das Produkt indjrekt von den Produkten des Herstellers ab: „Die Programmstrategie [No Name-Strategie] zielt ganz explizit auf eine Niedrigpreis-Positionierung, die Me too-Strategie tut dies indirekt auch, indem sie zum Vergleich mit der Herstellermarke animiert und diesbezuglich meist durch einen niedrigeren Preis zu uberzeugen versucht".^°^

Der Mechanismus der Differenzierung ist jedoch mit demjenigen einer Herstellermarke nicht vergleichbar. Die Markenausstrahlung einer Handelsmarke basiert ubiicherweise nicht auf einem emotionalen oder technischen Zusatznutzen und begrundet in der Regel keine hohere Prelsbereitschaft des Kunden wie bei einer Produktmarke. Fur Handelsmar-ken wird in der Regel keine EndverbrauchenA/erbung betrieben und nur wenige Handels-marken weisen eine beim privaten Endverbraucher relevante psychologische Veranke-rung auf. Der wesentliche Punkt scheint bei vielen Handelsmarken aus Sicht des Kunden gerade darin zu bestehen, dass es sich bei einer Handelsmarke um eine Marke handelt, die den Wegfall des Preisaufschlages des Markenproduzenten auswelst und somit ein besseres Preis-/Leistungsverhaltniss signalisiert.

Hierbei ist die Relation der in vielen Fallen unbekannten Handelsmarke zur dominanten Gattungs- bzw. Dachmarke des Einzelhandlers zu berucksichtigen. Fur die Auswahl des Anbieters kann aus Sicht des Kunden primar die Dachmarke bzw. das Retail Brand rele­vant sein, mit welcher der private Endverbraucher ein definiertes Qualitatsprofil assoziiert. So kann der private Endverbraucher z. B. bei dem Discounter Aid! davon ausgehen, dass er hier ein nahezu optimales Preis-/Leistungsverhaltnis geboten bekommt: „Eine Ursache hierfur ist erneut das schon uber Jahre hinweg konsequent und glaubhaft gefuhrte Mar-kendach. Aldi steht fur unschlagbare Preise bei ausgezelchneter Qualitat".^°^ Insofern kann die Funktion der Handelsmarke in Teilbereichen als Abgrenzung zur Her­stellermarke gedeutet werden, bei der die Dachmarke des Einzelhandlers die inhaltliche Bestimmung ubernimmt. So trifft der ijberzeugte Kunde von H&M seine Kaufentschei-dung In der Regel bereits auf der Ebene des Anbieters. Fur die indivlduelle Produktaus-wahl ist dann weniger die jeweilige Handelsmarke leitend, als das ubergreifende Konzept der Dachmarke: „Die Konsumenten beziehen sich immer mehr auf den Handel wie auf eine Sicherheit spendende Instanz. Zum Beispiel besteht das Wissen, bei H&M gekauft zu haben, fiir die Sicherheit, auf jeden Fall besonders modisch zu sein. Fur die Konsu­menten wird also zunehmend bedeutsam, wo man kauft, nicht, was man kauft".^^°

Exkurs: Eigene Produktentwicklung durch JC Penney Der amerikanische Kaufhauskonzern JC Penney stellt mit seiner partiellen Ruckintegration in For-schung, Entwicklung und Qualitatskontrolle eine Ausnahme im Einzelhandel dar. In den Labors von JC Penney werden Einzelstucke der Lieferanten verschiedenen Tests (Belastbarkeit, Reini-

°® Vgl. B. M. Samland, Jm Namen der Handelsmarke - Handelsmarken versus Markenartikel im Einzel­handel unter dem Aspekt der Wahl ihrer Markennamen", S. 313, in: H.-C. Riekhof (Hrsg.), Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 309-318. °® Vgl. 8. Gomann, M.-M. Munchow: S. 193, in: H.-C. Riekhof (Hrsg.), „Der Handel im Wandel - Vom Tar­

get zum Attraction Marketing", in: Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 173-195. Vgl. D. Ziems, U. Krakau, „Die Kaufreviere des Verbrauchers: Ableitungen fiir das Retail Business", S.

109, in: H.-C. Riekhof, Retail Business in Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 99-114.

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gung und Abnutzung von Textilien etc.) unterzogen, bevor sie in den Filialen angeboten werden. Parallel dazu wird eine eigene Produktentwicklung betrieben. JC Penney hat z. B. einen maschi-nenwaschbaren Anzug und in Kooperation mit dem amerikanischen Technologieunternehmen 3M knitterfreie und fleckenabweisende Hemden entwickelt. Die strategische Logik dieser partiellen Ruckintegration bedingt sicherlich eine gewisse Differen-zierung, ist jedoch insgesamt fraglich. Eine hohe Produktqualitat kann auch durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit den Lieferanten sichergestellt werden, wie es der Einzelhandel auch ubiichenveise praktiziert. Durch die vertikale Integration von Entwicklung und Einzelhandel ergeben sich bei Konsumgutern keine nennenswerten Kosten- bzw. Prozesssynergien. Durch das Angebot der eigenen Produkte mag durchaus eine Erhohung der Frequenz der eigenen Filialen errelcht werden. Grundsatzlich ist bei Entwicklung eines Produktes mit hoher DIfferenzierung und zusatzlichem Kundennutzen jedoch zu prufen, ob zur vollen Abschopfung des Marktpotentials nicht ggf. auch der unabhSngige Einzelhandel einbezogen werden sollte. Die vertikale Integration der Wertschopfungsstufen Forschung & Entwicklung und Einzelhandel ist nur gerechtfertigt, wenn das Produkt eine zusatzliche Frequenz und damit auch einen zusStzlichen Deckungsbeitrag ge-neriert und in den eigenen exklusiven Vertriebsinfrastrukturen kelne Absatzlimitation erfahrt.

Insgesamt ist die strategische Logik der Handeismarke jedoch erst unzureichend charak-terisiert. Dies ist einerseits darauf zuruckzufiihren, dass die Handeismarke in Deutsch-land insbesondere bei den Discountern Aldi und LidI eine herausragende Bedeutung spielt, beide jedoch nur sehr begrenzt (iber Ihre Geschaftstatigkeit publlzieren. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Beweggrunde der Handelsunternehmen stark divergie-ren, da sich in Abhangigkeit des Vertriebstyps und des Sortimentes unterschiedliche In-teressenslagen ergeben. Ungeachtet der verschiedenen Konstellationen muss jedoch un-terstellt werden, dass durch die Einfuhrung eine Steigerung der Rentabilitat angestrebt

9.8 Vorintegration der Einzelhandels in das Servicegeschaft

Der Einstieg In das Imbiss- und Servicegeschaft stellt eine weitere Option fur den Einzel­

handel dar, mit der auf die steigende Convenience-Orientierung und den sinkenden Anteil

an Eigenleistung in der privaten Nahrungszubereitung reagiert wird. Die Erganzung des

Angebotes kann sich zunachst thematisch aus den bestehenden Sortimenten ergeben

und Insofern eine vertikale Integration darstellen. So hat sich ein GroBtell der Backereien

zu Stehcafes gewandelt und ist damit in einen direkten Wettbewerb mit Fast Food-

Anbietern und Restaurants getreten. Eine analoge Entwicklung hat sich bei Tchibo voll-

zogen, indem der Verkauf von Pulverkaffee durch das Angebot des direkten Konsums

erweitert wurde.

Bei Non Food-Einzelhandelskonzepten wird durch die Erdffnung von Restaurants formal

eine Diversifikation eingeleltet. Die Synergien aus beiden Geschaften ergeben sich aus

der hohen Frequenz der bestehenden Einzelhandelsinfrastruktur, der zentralen Lage und

einer langeren Verweildauer der Kunden in den Geschaften. Die Restaurants der fuhren-

GemaS einer Studie von AT Kearney wird bei Premium-Handelsmarken eine hohere Umsatzrendite er-zielt. Als Belspiele werden die britischen Handelsunternehmen Marks&Spencer, Tesco und Sainsbury an-gefuhrt. Vgl. AT. Kearney, Handelsmarken, Prasentation Oktober2004, S. 18.

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den Einzelhandler, wie. z. B. IKEA und Kaufhof, nehmen in der Regel auch eine dominan-

te Rolle im Gastronomiemarkt ein. Die Tankstellen haben mit der Entwicklung des Im-

bissgeschaftes eine vergleichbare Entwicklung genommen.

Fallbeispiel: Einzeihandel und Gastronomieangebot der Nordsee Die Nordsee gehorte fruher zu Unilever und stellte u.a. einen Vertriebskanal fur Tiefkijhlprodukte (z. B. Iglo-Fischstabchen) dar. Nach Verkauf des Einzelhandelsgeschaftes durch Unilever in den 70er Jahren spezialisierte sich die Nordsee auf Frischfisch und konservierte Fischprodukte. Die Herausbildung eines spezialisierten Einzelhandels fiir Frischfisch resultiert historisch aus dem Erfordernis eines schnellen Warenumschlages und spezifischer logistischer Anforderungen. In-zwischen wird Frischfisch auch von den meisten groHen Lebensmitteleinzelhandlern angeboten, so dass sich die ehemalige Marktnische zusehends schliedt. Der schleichende Verlust der Allein-stellung im Einzeihandel seit den 80er Jahren mag mit dazu beigetragen haben, das sich die Nordsee zusehends zu einem Restaurant mit Fischgerichten entwickelt hat, das entweder in einer Filiate parallel zum Einzelhandelsgeschaft oder separat betrieben wird. Zusatzlich wird In Analo-gie zu den groden Lebensmitteleinzelhandlern auch die Entwicklung von Eigenmarken fiir kon­servierte Fischprodukte vorangetrieben. Der wesentliche Vorteil der vertikalen Integration liegt in der Differenzierung gegenuber anderen Restaurants und ergibt sich aus der hdheren Frische des Produktes. Da Fischgerichte in vielen Restaurants ein Randsortiment mit unterkritischer Nachfrage darstellen, wird der Fisch zur Lage-rung meistens eingefroren und bei individueller Bestellung aufgetaut und zubereitet, Durch Bun-delung des Einkaufsvolumens fiir den Einzeihandel und das Restaurantgeschaft erreicht die Nordsee hingegen einen ungleich hoheren Warenumsatz, bei dem die Frische verbessert werden kann. Die Vorintegration in den Restaurantbetrieb stellt eine passende Wachstumsoption mit NS-he zum Kerngeschaft dar.

9.9 Zusammenfassung Der Einzeihandel organisiert den finalen Verkauf der Ware und besitzt eine breite Schnitt-stelle zum privaten Endverbraucher. Mit Entwicklung der Vertriebsformen hat sich eine zunehmende Delegation von unterstutzenden Prozessschritten an den Endverbraucher durchgesetzt, die der Einzeihandel vorher mitausgefuhrt und entsprechend im Preis ab-gebildet hat. Durch unentgeltliche Ubernahme dieser Prozessschritte reduziert der Kunde seine Einstandskosten. Neben dem branchenubergreifenden Siegeszug des SB-Prinzips hat sich im stationaren Einzeihandel die Nutzung der Infrastruktur intensiviert, entweder auf Ebene des Sortimentes durch Einfuhrung des Phasenverkaufs oder der Entkopplung von Infrastruktur und Einzeihandel im Einkaufszentrum bzw. in der mall. Hierdurch wird eine hohere Flachenauslastung gewahrleistet.

Die Starke Konzentration des Einzelhandels hat die Machtverhaltnisse innerhalb der Wertschopfungskette verschoben, so dass zwischen Produktion und Handel ein „vertika-ler" Wettbewerb um die Besetzung der Wertschopfungskette Marketing entbrannt ist. Die Vereinnahmung des Produktmarketing durch Einfuhrung von Handelsmarken ermoglicht dem Einzeihandel eine Steigerung des Gewinnes, sei es durch Senkung der Beschaf-fungskosten oder einer Differenzierung gegenuber anderen Handelskonzepten. Der Ein­zeihandel ist hierbei in der uberlegenen Position, da dieser Markenprodukte der Hersteller auslisten bzw. durch Auslage und Preisgestaltung in ihrem Absatz stark benachteiligen

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kann. Als Reaktion fokussieren die Produzenten von Konsumgutern ihr Markenportfolio und lenken ihre Aufmerksamkeit verstarkt auf den Aufbau und den Schutz der A-Marken; B- und C-Marken verljeren an Bedeutung. Durch Ausbau der Dachmarkenstrategie kon-nen die hohen Fixkosten der Endverbraucherwerbung auf ein groderes Umsatzpotenzial verteilt werden.

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10. Wertschopfungskette Spielfilm

10.1 Darstellung der Wertschopfungskette

Die Filmbranche konzipiert, produziert und vermarktet Spielfilme. Ein Spielfilm bzw. ein

szenisches Format besteht aus einer Aneinanderreihung von gestellten Szenen in einer

Lange von etwa 90 Minuten und unterscheidet sich damit prinzipiell von der kurzeren Re­

portage Oder der Ubertragung, bei denen uberwiegend ungestellte bzw. natiirliche Motive

und Ablaufe gezeigt werden. Pro Jahr werden ca. 50-100 Kinofilme mit globalen Vermark-

tungspotenzial produziert. Der Markt wird von wenigen Filmstudios dominiert: Disney

Studio Entertainment/Miramax (Walt Disney Company), Warner Brothers (Time Warner),

Columbia Pictures/Metro-Goldwyn-Mayer (Sony), Universal (Vivendi/General Electric),

Twentieth Century Fox Film (News Corporation) und Paramount (Viacom).^^^ Die fuhren-

den sechs Filmstudios vereinnahmen einen Marktanteil von ca. 95%. Die verbleidenden

5% der Spielfilme werden von kleineren Filmstudios, als auch Fernsehsendern produziert.

Die Filmstudios haben sich mit ihrem Schwerpunkt auf eher aufwendige Filme speziali-

siert, die in erster Linie fur die VenA/ertung im Kino vorgesehen sind, wohingegen die Pro-

duktionen der Fernsehsender hauptsachlich der Eigenversorgung mit Sendematerial die-

nen.

Exkurs: Produktion von Spielfilmen in Deutschland Ein Grodteil der Spielfilme wird von den offentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalten und privaten Fernsehsendern produziert, wobei der Fokus eindeutig auf Fernsehproduktionen liegt, die nur bei groHem Erfolg auch im Kino vermarktet werden. Die Ausfuhrung erfolgt durch die Rundfunkan­stalten Oder ijber Tochterfirmen (z. B. Bavaria Film und Studio Hamburg bei den offentlich-rechtlichen Sendern). Bei den privaten Sendern dominieren die zu Bertelsmann gehorende RTL Group (RTL, RTL2, Super RTL, n-tv, VOX) und ProSiebenSatI (Sat1, Pro7, N24, KabeM), die sowohl im Verbund ihrer Mutterkonzeme eine Eigenproduktion betreiben (u.a. Ufa-Gruppe/ Teamworx bei RTL), als auch Auftragsproduktionen vergeben. Weitere kleinere, unabhangige Filmproduzenten slnd u.a. Constantin Film, Senator und Kinowelt.

Die Filmproduktion hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich weiterentwickelt.

Fur die Simulation von Spezialeffekten wurde lange Zeit mit miniaturisierten Modellen ge-

arbeitet, bis diese seit den 90er Jahren zunehmend durch Computersimulationen ersetzt

worden sind. Zu den ersten Computeranimationen zahlen u.a. die Dinosaurier in Steven

Spielbergs Jurassic Pare und der Flussigmetallroboter In Arnold Schwarzeneggers Ter­

minator II. Mit der Umstellung zur Aufnahme und Speicherung der Bilddaten in digitaler

Form wird eine hohere Bildqualitat bzw. Aufldsung und damit eine deutlich verbesserte

Realitatsnahe erreicht. Der Wechsel zu einer hdherwertigen Technologie hat das Aufgrei-

fen alterer, filmisch bereits umgesetzter Themen ausgelbst. Erfolgreiche Inhalte werden

Vgl. ..Traumwelten.", In: FAZ, 23.4.2004, Die Angaben beziehen sich auf den US amerlkanischen Markt 2003, zitiert nach AC NIelson. Hierbei wird Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) aufgrund der 20%-Beteiligung von Sony zu den integrierten Filmstudios gezahlt.

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vermehrt in aktualisierte Drehbucher und ProduktJonen ubersetzt. '' Am Anfang der Wertschopfungskette steht in der Filmbranche die Stoffentwicklung, die sich nach filmtechnischer Ubersetzung der einzelnen Szenen im Drehbuch niederschlagt. Die Drehbucher werden von spezialisierten Autoren verfasst, die von den Filmstudios be-auftragt werden (Abbildung 38).

Abbildung 38: Exemplarische Darstellung der Wertschopfungskette der Filmbranche und Abdeckung durch dominante Anbietermodelle

Die Produktion eines Filmproduktes hat grundsatzlich Projektcharakter und bringt Unikate hervor, bei der die wesentlichen Schritte und der zeitliche Ablauf individuell geplant wer­den. Entsprechend mussen die Produktionsmittel - insbesondere Schauspieler, Regie und Kameramann - jedes Mai neu zusammengestellt werden. Nur in der Anfangsphase der Industrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Schauspieler und das Produkti-onspersonal grolitenteils bei den Filmstudios fest angestellt. ^^ Ferner ist zwischen den Interessen der Beteiligten zu vermitteln. Von Seiten der Schauspieler als auch des Kame-ramannes und der Regie wird in vielen Fallen ein kunstlerischer Mindestanspruch an das Filmprojekt herangetragen, der einer relnen Industrialisierung der Dreharbeiten im Wege steht. Folgerichtig stellt die Disposition bzw. zeitliche Koordinatlon eine separate Wert-schopfungsstufe dar, die in der Regel von den Filmstudios ubernommen wird. Die Koproduktion besteht im wesentlichen in einer finanziellen Beteiligung an den Pro-duktionskosten wie auch einer Beteiligung an den Vermarktungs- bzw. Merchandi-

Z. B. J. R. Tolkiens Herr der Ringe und B. Stokers Dracula. Der erste rein digital aufgenommene Film ist Stars Wars Episode II und wurde in 2002 von G. Lucas produziert. ^ * J. Stewart war einer der ersten Schauspieler, der mit seinem Filmstudio eine separate Erfolgsbeteiligung aushandein konnte. A. Hitchcock hatte sich nach Trennung von seinem Produzenten als Produzent und Regisseur selbstandig gemacht. Vgl. A. Gronemeyer, Film, Koln 2004, S. 124-127.

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singrechten und bedingt damit eine partielle Ubernahme des unternehmerischen Risikos. Die dominante Finanzierung uber Medienfonds reflektiert das hohe unternehmerische Ri-siko der Spielfilmproduktion. Fur die Kompensation der Bereitstellung von Kapital uber-lasst das Filmstudio dem Investmentfonds fur einen bestimmten Zeitraum der Verwertung einen Anteil der Gewinne. Hinsichtlich der Finanzierung herrschen wesentliche regionale Unterschiede vor: Wahrend der amerikanische Spielfilm (Hollywood) primar rein geschaft-lichen Interessen folgt, wird der europaische Filnn als kulturelle Einrichtung offentlich ge-fordert.

Die Kosten fiir die Produktion eines Spielfilmes sind inzwischen auf bis zu 50 Mio. US Dollar angestiegen. Der Umsatz bzw. Einspielerfolg eines Films kann jedoch nicht ver-lasslich prognostiziert werden und korreliert auch nicht mit den Herstellkosten. Bin nicht unbetrachtlicher Teil der Produktionen spielt seine Kosten nicht ein. Pauschal kann aus Sicht des Filmstudios davon ausgegangen werden, dass 50% der Produktionen Flops sind und Verluste einfahren, 30% sich reflnanzieren und nur 20% Gewinne einspielen. ^^ Die Produzenten haben eine Strategie der Risikominimierung entwickelt, die vorsieht, ei­ne mbglichst breite Verwertung ihrer Produkte in mehreren Vertriebskanalen sicherzustel-len. Dies erklart die Angleichung der Genres zur Ansprechung eines breiten Publikums und die Beachtung eines interkulturellen Einheitsstandards. Ein typischer James Bond-Spielfilm bedient z. B. die Genres Krimi, Science Fiction und Komodie und ist fur eine globale Verwertung konziplert. Erfolgreiche Konzepte bzw. Ensembles werden unverzug-lich zu Serienprodukten ausgebaut, wie z. B. die Filmthemen Star Wars, Herr der Ringe, Matrix oder Kill Bill: „Hier wird versucht, ein okonomisches Gut, das eigentllch ein Unikat, eine Einzelfertigung ist, zu einer Art Modulsystem zu machen, ihm eine Variationsfahig-keit zu verschaffen, die seinen moglichst unbeschrankten Einsatz eriaubt. Produziert wird nicht unter dem Primat Vielfalt, sondern vielfaltige VenA/ertungsmoglichkeit". ^^ Nach Disposition und Vergabe der Koproduzentenrolle erfolgt die Aufnahme bzw. Pro­duktion. Im Gegensatz zu den Fernsehsendern arbeiten die Filmstudios nur in wenigen Fallen mit Auftragsproduzenten. Der Auftragsproduzent wird In der Regel an den Rechten der spateren Vermarktung nicht beteiligt. Die Post-Produktion wird je nach Arbeitsschritt intern oder extern abgewickelt. Hierzu zahlen Schnitt, Vertonung und Untertitel und Im weiteren Sinne auch Digitalisierung und Vervielfaltigung. Die Wertschdpfungstiefe der Filmstudios in der Post-Produktion ist limitiert, da durch diese Stufe keine maflgebliche Differenzierung resultiert und der ungleichformige Arbeitsanfall die Auslastung der eige-nen Infrastrukturerschwert. Obwohl Medienprodukte Erfahrungs- bzw. Vertrauensguter darstellen, die der Konsument erst nach Konsum beurteilen kann, sind Spielfilme keine Markenprodukte. Hierin unter-scheidet sich die Filmbranche grundsatzlich von den anderen Gebieten der Medienindust-rie, in der Inhalte in der Regel als Markenprodukte verkauft werden (z. B. Printmedien,

^ ^ Vgl. R. Grover, ..What's next. Free Popcorn?", in: BusinessWeek, 3.5.2005. S. 48, und P. Lau, "Keiner weifi irgendwas", in: Brand eins, 10/2003. S. 100-106. ^® Vgl. IVI. L. Kiefer, ..Wettbewerb im dualen Rundfunksystem?", S. 436. in: Media Perspektiven, 4/1994, S. 430-438.

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Nachrichtensender). Der Zuschauer kennt den Produzenten in der Regel nicht; die Filme werden primar auf Basis der Darsteller und ggf. des Regisseurs beworben. Dies trifft ins-besondere fur die Spielfilme der Star-Regisseure zu, wie z. B. Lothar Emmerich, Stanley Kubrick, George Lukas, David Lynch, Roman PolanskI, Steven Spielberg und Wim Wen-ders. Die Werbung unterstutzt die Verwertung und wird durch die Filmstudios und die Ki-nobetreiber ausgefuhrt bzw. koordiniert; die Kosten betragen je nach Erfolgsaussichten des Films bis zu 50 Mio. US Dollar und liegen damit in derselben Hohe wie die Produkti-onskosten. Bei breiter Vermarktung eines Themas in verschiedenen Medien ergibt sich eine Degression der Werbungskosten, da ein Filmthema unabhangig von seiner Verwer-tungsart beworben werden kann. Eine hohe Medienprasenz z. B. der Filmfigur Harry Pot­ter durfte sowohl zu einer hohen Kinofrequenz beitragen, den Buchverkauf fordern als auch die Nebenverwertung (z. B. Videospiele, Spielzeugverkauf) ankurbeln. Der Rechtehandel wird maRgeblich durch die Film- und Fernsehstudios bzw. Tochterge-sellschaften der zugehorigen Medienkonzerne in Eigenleistung ausgefuhrt. Der Besitzer der Vermarktungs- bzw. Filmrechte verkauft Ausstrahlungsrechte an Verwerter und koor­diniert die zeitliche Staffelung der Nutzung. Nach Kino und Inflight Entertainment folgen Home Entertainment (Video und DVD), Fernsehen (Free und Pay-TV), Internet und mobi­le Applikationen. Hierbei wird das Medium mit dem hochsten Eriospotenzial zuerst be-dlent und bei den folgenden Vertriebskanalen soweit moglich eine Kannibalisierung ver-mieden. ^^ Kassenschlager Im Kino erzielen gewohnlich auch bei spaterer Ausstrahlung im Fernsehen eine hohe Einschaltungsquote und generieren uberdurchschnittliche Ein-nahmen im Verkaufs- und Verleihgeschaft mit DVD's.

Abschliefiend erfolgt die Verwertung des Spielfilms, die in der Bedienung von Vertriebs­kanalen auf Basis von Verwertungslizenzen besteht. Das Kino stellt historisch den ersten Vertriebskanal fur Spielfilme dar. Ab den 50er Jahren hat das Fernsehen weite Verbrei-tung gefunden. Als Massenmedium mit audiovisueller Datenwiedergabe eroffnete das Fernsehen durch seine groSe Reichwelte einerseits einen welteren Vertriebskanal fur die Filmproduzenten, stellte andererseits aber auch ein zum Kino im Wettbewerb stehendes Medium dar. Thematisch haben sich die grofien Studios daraufhin auf opulente Produkti-onen verlegt, welche den Vorteil der groBen Leinwand nutzen und von kleinen Fernseh-sendern nicht finanziert werden konnen.

In den 70er Jahren setzte sich das Videosystem als weiteres Trager- und Verwertungs-medium durch, welches es dem privaten Endverbraucher ermdglicht, sich einen Spielfilm unabhangig von vorgegebenen Sendezeiten zuhause anzuschauen. Die Videokassette ist in den 90er Jahren weitgehend durch die DVD als Speicher- und Abspielmedium ab-gelost worden. Hierbei hat sich die Video- bzw. DVD-Vermarktung schwerpunktmaliig von einem Verleih- zu einem Verkaufsgeschaft gewandelt.

Der vor dem HIntergrund der Einfuhrung von privat verwendbaren Tragermedien befiirch-tete „Tod des Kinos" ist bis heute nicht eingetreten. Die Kinos haben auf die zunehmende Substitutionsgefahr reagiert und sich vom ursprunglichen „Lichtspielhaus" mit einem Ki-

Vgl. Deutsche Bank, New Media Mechanics - Value of Content Online, Deutsche Bank, London, 6. Ok-tober 2000

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nosaal zu filialisierten Multiplexkinos mit mehreren Spielsalen und eigenem Gastronomie-

angebot gewandelt. Durch Konzentration des Anbieterfeldes haben sich GroRenvorteile

im Einkauf von Abspielungsrechten und im Marketing ergeben.

Weil die Vermarktung von Filmprodukten als Video, DVD oder digital im Internet forciert

und bezogen auf den Kinostart zeitlich immer mehr vorgezogen wurde, hat das Kinoge-

schaft fur die Filmproduzenten stark an Bedeutung verloren. 2004 stammten bereits drei

Viertel der Umsatze der Filmstudios aus dem DVD-Geschaft; nur noch ein Viertel kommt

aus der Kinoausstrahlung. Hierbei muss berucksichtigt werden, dass sich die Beteiligung

an den Kinoeinnahmen immer nur auf die aktuellen Filme bezieht, die Video- und DVD-

Umsatze dagegen auf das gesamte Fllmportfolio.^^^ Es zeichnet sich ab, dass das Kino

sein Primat der Erstverwertung einbufit und die Zeitspanne zwischen Kinostart und DVD-

bzw. TV-Verwertung immer mehr zusammenschmilzt. Wahrend ein Spielfilm in den 90er

Jahren erst 6 Monate bzw. 2 Jahre nach der Erstausstrahlung im Kino auch als DVD bzw.

im Free-TV verwertet wurde, bedienen die Filmstudios die verschiedenen Vertriebskanale

heute in Einzelfallen simultan.

Fallbeispiei: HD-Net Films und die Verwertung des Filmes Bubble Der Spielfilm Bubble des kleinen Filmstudios HD-Net Films mit dem Regisseur Steven Soder-bergh wurde 2006 kontrar zur friiheren zeitlichen Staffelung fast zeitgleich im Kino und im Bezahl-fernsehen ausgestrahit und als DVD vermarktet. Durch den Simultanstart in verschiedenen Ver-triebskanalen werden Synergien in der Werbung realisiert und der Verbreitung von Raubkopien im Internet begegnet. Die ungewohnliche Markteinfuhrung ist allerdings vor dem vertikalen Ge-schaftsmodell von HD Net Films zu sehen, die sowohl uber Kapazitaten im amerikanischen Ka-belfernsehen, im DVD-Geschaft (Magnolia Home Entertainment) und im Kinomarkt (Landmark Theaters) verfugen und so ihre eigenen Vermarktungsamie bevorzugt mit Sendematerial versor-gen konnen. ^^

Der CEO der Fox Studios (News Corporation), Peter Chernin, bringt die hohe Vielfalt an Verwertungsoptionen im digitalen Zeitalter auf den Punkt: ..Storytelling in two-hour forms has existed since the Greeks [...] Movies are merely a way to distribute stories. Yesterday Oedipus Rex in an amphitheater. Tomorrow Dude. Where's my car? on an ipod [...] We are standing on the precipice of the most exiting time in the history of the media business. We now have infinitely more ways to tell our stories and connect them to the audience".^^° Die VenA^ertung von Nebenrechten umfasst u.a. die Verwertung von Filmthemen, Filmfi-guren und der Filmmusik und steht in der Regel nicht in direktem Wettbewerb mit der Primarverwertung, sondern stellt ein komplementares Marktsegment dar. Durch gezielte Koordination von Marketingmalinahmen besteht im Einzelfall auch die Moglichkeit der Promotion der Primarverwertung. Entsprechend rekapituliert M. D. Eisner, der langjahrige CEO von Disney, die Vermarktung des Spielfilms Who framed Roger Rabbit: „Bei seiner Premiere verfugten wir uber Lizenzvereinbarungen fur uber 500 Produkte, die von Jessi-

^ ^ Vgl. C. Kapalschinski, H.-P. Siebenhaar, ..Filmkonzerne setzen Kinos unter Druck", in: Handelsblatt, 2.6.2005. ^ ^ Vgl. D. Leonard, „Scary Movie", in: Fortune, 6.2.2006, S. 22-23. ^ ° Vgl. M. Gunther, S. 52, in: "Fox. The Day After Tomon-ow", in: Fortune, 29.5.2006, 3. 51-65.

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ca-Rabbit-Schmuck uber sprechende Roger-Rabbit-Figuren bis zu Computerspielen reichten. Diese Produkte stellten ein eigenes Geschaft dar, waren aber auch ein Weg, urn das Filmerlebnis fur das Publikum auszuweiten. McDonald's und Coca-Cola starteten massive, aufeinander abgestimmte Werbekampagnen".^^^

Zur Vermarktung der Nebenrechte kann im weitesten auch der Verkauf von „Werbefla-che" in den Filmen eingestuft werden. Die Produzenten kooperieren zunehmend mit Mar-kenproduzenten von Konsumgiitern, die ihre Produkte in den Spielfilmen subtil positionie-ren wollen (Ambient Advertising). Die Vereinbarung zwischen den Automobilproduzenten (Aston Martin, BMW) und der Produktionsfirma MGM der James Bond-FWme gilt Inzwi-schen als Klassikerdieser Anspracheform.

Fallbeispiel: Beteiiigung von Monarchy/Regency an Puma Ein Filmproduzent kann sich auch an einem Markenproduzenten beteiligen, um seine Werbeka-pazitaten gezielt fur die Wiederbelebung der Marke einzusetzen. Der amerikanische Produzent Monarchy/Regency produziert Hollywoodfllme (u.a. Pretty Woman, JFK, LA. Confidential) und Fernsehshows und hatte sich 1993 mit 75 Mio. US Dollar an dem Sportartikelanbieter Puma be-teiligt. Der Anteil betrug 1996 12,5% und wurde spater auf 40% aufgestockt. Nach erfolgreicher Starkung von Puma wurden die Anteile 2003 wieder abgestoBen. Die Finanzbeteiligung stellte fur den Fllmproduzenten eine Investition dar, die durch die Aufnahme von Puma-Produkten in den eigenen Produktionen eine attraktive Kapitalverzinsung versprach. Fur Puma eroffnete die Betei­iigung den exklusiven Zugriff auf eine effektive Marketingplattform. ^^

In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Muster der Integration innerhalb der Wertschopfungskette fur Spielfilme diskutiert. Zunachst wird auf die vertikale Integration von Stoffentwicklung und Produktion (Abschnitt 10.2) und die Organisation des Rechte-handels (Abschnitt 10.3) eingegangen. Nach Darstellung der Wertschopfungstiefe der heutigen Medienkonzerne (Abschnitt 10.4) erfolgt eine ubergreifende Thematisierung der vertikalen Integration von Produktion, Rechtehandel und Ven^/ertung (Abschnitt 10.5). Hierbei wird sowohl eine allgemeine Einschatzung der Vorteile gegeben, als auch zwi­schen den verschiedenen Verwertungsarten differenziert.

10.2 Vertikale Integration von Stoffentwicklung und Produktion

Stoffentwicklung ist ein Kreativthema. Der uben/viegende Tell der Themen wird nicht unter

der Maligabe einer spateren filmischen Verwertung entwickelt, sondern als literarischer

Text bzw. Buch erstellt, die erst Im nachhinein in Drehbucher ubersetzt werden. In vielen

Fallen erfolgt eine Verfilmung nur nach erfolgreicher Vermarktung als Buch. Insofern wird

die Stoffentwicklung naturgemali von unabhangigen Autoren erbracht, und aus Sicht des

Produzenten ist eine Ruckintegration nur in begrenztem Umfang sinnvoll. Zur Sicherstel-

lung eines hinrelchenden und attraktiven Fundus von Stoffen erscheint eine intensive Be-

obachtung und Sichtung der Literatur mit punktuellem Lizenzerwerb weitaus angebrach-

Vgl. M. D. Eisner, Disney ist jeden Tag ein Abenteuer, Miinchen 1994, S. 214. ^^ Vgl. „Machtige Freunde", in: Wirtschaftswociie, 21.11.2002, S. 78-84, und „The Cat that Came Back", in: Fortune, 22.3.2004, S. 60-63.

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ter.^^^ Fur die Umwandlung des Ausgangsstoffes in eine Filmvoriage arbeiten die Film-

produzenten mit eigenen und unabhangigen Drehbuchautoren zusammen.

Eine andere Ausgangslage mit der Option zur Vorintegration liegt vor, wenn ein Unter-

nehmen durch sein angestammtes Kerngeschaft uber ein umfangreiches Stoffarchiv mit

hohem Differenzierungspotenzial verfiigt, dieses aber bisher nicht zur Produktion von

Spielfilmen eingesetzt hat.

Fallbeispiel: Vorintegration des Comicverlages Marvel in die Filmprodulition Der amerikanische Verlag iVIarvel hatte sich ursprungiich auf die Produktion und Vermarktung von Comics spezialisiert. Die Comics wurden herkommlich ausschliefilich in der Printform vemriarktet, bis der Wert etablierter Comicfiguren immer mehr von den Filmstudios entdeckt wurde. Nach der mehrmaligen Vergabe von Venwertungslizenzen an Filmstudios, die Comicfiguren von Marvel er-folgreich in Ihren Filmproduktionen genutzt haben (z. B. SpiderMan), hat sich das Untemehmen 2005 dazu entschlossen, eine eigene Filmproduktion aufzubauen. Zur spateren Vennarktung und dem Vertrieb der Filme wurde eine Kooperation mit dem Paramount-Filmstudio (Viacom-Konzem) eingegangen. Durch die Vorintegration beabsichtigt Marvel, einen grolieren Anteil an der Wert-schopfung fur sich zu erschlieden. Fur die Lizenz der SpiderMan-F\gur an Sony hatte Marvel nur 5% der Kinoeinnahmen bzw. 1% der DVD-Umsatze erhalten.

Die strategische Logik dieses Geschaftsmodells kann jedoch in Frage gestellt werden. Eine Senkung der Kosten durch Integration beider Wertschopfungsstufen ist nicht unmit-telbar einsichtig. Etwaige Synergien durch Abstimmung zwischen beiden Stufen sollten auch im Rahmen einer Kooperation erschlieRbar sein. Die Vorintegration kann strategisch gerechtfertigt sein und nicht nur eine Wachstumsoption darstellen, wenn die hohere Li-zenzeinnahme in der Wertschopfungsstufe Stoffentwicklung nicht durch ein limitiertes Er-gebnis der eigenen Filmproduktion geschmalert wird. Die Attraktivitat der Vorintegration verhalt sich in erster Naherung umgekehrt proportional zur Starke der Verhandlungsposi-tion bei der Lizenzvergabe: Je weniger die Lizenzgebuhr bei Auslizenzierung das Ge-winnpotenzial des Filmproduktes abbildet, desto hoher die Attraktivitat der Option Vorin­tegration.

Eine abschlieflende Beurteilung erfordert eine Kosten-ZNutzenanalyse beider Optionen inklusive des Risikos der Investition in ein Filmprodukt. Aufgrund der hohen Unwagbarkei-ten der Filmproduktion, der geringen eigenen Erfahrung und der ggf. anfallenden Investi­tion in Infrastrukturen ist die Vorintegration insgesamt eher skeptisch zu beurteilen. Bei geringen Eriosen im Lizenzgeschaft sollte zunachst versucht werden, in Zusammenarbeit mit anderen Filmstudios einen hoheren Anteil an den Verwertungserlosen zu erzielen.

10.3 Organisation des Rechtehandels Der Rechtehandel definiert zunachst einmal eine eigene Wertschopfungsstufe und erfor­

dert eine spezifische Kompetenz mit hoher Marktkenntnis und langfristigen Netzwerken

^ ^ Allenfalls fur die Entwicklung und Konzeption von Femsehshows oder Nachrichtensendungen sollte ein Femsehsender ein Team spezialisierter Redakteure an sich binden, da in diesem Bereich - in Abgrenzung zur Stoffentwicklung fur Spielfilme - mit einer gewissen Routine planmaliig und gezielt Konzepte entwickelt werden konnen.

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innerhalb der Branche. Ein spezialisierter Rechtehandler wird das Vermarktungspotenzial eines Filmes in der Regel besser als der Produzent oder ein einzelner Verwerter ein-schatzen konnen. Durch Bundelung der Filmprodukte mehrerer Produzenten kann ein unabhangiger Rechtehandler zudem gezielt Verwertungspakete schnuren und A-Movies nutzen, urn auch B- und C-Movies in den zentralen Vertriebskanalen zu platzieren. Bei vertikaler Integration von Produktion und Rechtehandel erhoht der Produzent seine Marktnahe und verbessert seine Absatzsicherung, wobei die Promotionsmoglichkeiten des Rechtehandlers durch die Qualitat des Filmproduktes begrenzt sind. In enger Ab-stimmung mit dem Produzenten wird dem Lizenzhandler zudem eine fruhe Einflussnah-nfie auf die Ausgestaltung eines Medienfornriats ermoglicht, wodurch der Wert eines Film­produktes fur die sp^tere Verwertung optimiert werden kann.

Im Falle einer vertikalen Integration von Rechtehandel und Ven^^ertung kann insbesonde-re ein TV-Sender seine Versorgungssicherheit erhohen. Dies ist fur die Aufrechterhaltung der Attraktivitat der Sendeplatze bzw. Werbekapazitat erforderllch, die nicht Jagerbar" ist und bei Relativierung verminderte Werbeeinnahmen nach sich zieht. Durch die Eigenver-sorgung darf die Attraktivitat der Verwertungskapazitaten allerdings nicht beeintrachtigt werden, indem der interne Rechtehandel mindenA/ertige Filmprodukte in den eigenen Sendeplatzen unterbringt, deren Attraktivitat fur Werbepartner dadurch geschmalert wer­den konnte. Auf der anderen Seite kann nur ein ungebundener Rechtehandler unabhan-gig von den Interessen eigener Verwertungskapazitaten die ideale Abfolge der Ven^/er-tungsinstanzen festlegen und mit verschiedenen Fllmverleihern bzw. Kinoketten, Fern-sehsendern und DVD-Anbietern die Hohe der Lizenzeinnahmen aushandeln. In Ubereinstimmung mit den obigen Uberlegungen ist die Wertschopfungsstufe Rechte­handel tatsachlich uberwiegend vertikal integriert, sei es mit der Wertschopfungsstufe Produktion oder der Ven^^ertung (TV-Sender, TV-Kabelkanal).^^'* Hierbei handelt es sich jedoch fast immer urn eine partielle vertikale Integration, da es fur einen Produzenten und insbesondere fur einen Verwerter unrealistisch ist, sein gesamtes Kontingent ausschlieB-lich miteinem Rechtehandler abzuwickeln.

Eine interessante Konstellation ist bei dem ehemaligen Filmrechtehandler Leo Kirch ge-geben, dessen Medienimperium 2002 u.a. aufgrund einer erfolglosen Vorintegration in die Verwertung zusammengebrochen ist.

Failbeispiel: Vorintegration in die Verwertung der Kirch-IVIediumgruppe Der Munchner Medienunternehmer Leo Kirch hatte seit den 60er Jahren ein Filmarchiv bestehend aus etwa 15.000 Spielfilmen (Kino und TV) aufgebaut. Das angestammte Kerngeschaft bestand im Erwerb und dem Handel von Filmrechten, die von Internationalen Produzenten und Filmstudios Oder anderen Rechteh^ndlern bezogen und an offentlich-rechtliche oder private Fernsehsender in Deutschland und auslandische Sender weiterveri auft wurden. In den Anfangsjahren war das neugegrundete ZDF („Zweite Deutsche Fernsehen") der zentrale Abnehmer. Hierbei wurden in der Regel nicht die vollstandigen Filmrechte, sondern nur einzelne Ausstrahlungslizenzen verge-ben.

^ ^ Vgl. C. Kramer, Chancer) und Risiken der vertikalen Integration in der Medienbranche, Arbeitspapier zur Schriftenreihe Schwerpunkt Marketing, Bd. 73, hrsg. von P.W. Meyer und A. Meyer, Miinchen 1996.

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Mit dem Aufkommen des Privat- und Bezahlfernsehens in Deutschland verfolgte Leo Kirch die Strategic eines integrierten Medienkonzerns, der neben dem Rechtehandel auch uber eigene Vertriebskanale bzw. Sender verfugt. Hierzu wurde 1991 in Zusammenarbeit mit den Partnern UFA, einer Tochter des Bertelsmann-Konzerns, und Canal+ der Bezahlsender Premiere aufge-baut, der nur auf Basis eines Abonnements und mit einem speziellen Decoder empfangen werden konnte. 1999 stieg Bertelsmann aus dem Bezahlsender aus und Kirch fusionierte Premiere mit dem anderen Bezahlsender seines Medienimperiums, dem Sender DPI. Nach Schaffung einer eigenen Verwertungskapazitat wurden die Filmlizenzen nicht nur externen Sendeanstalten und Kanalen, sondern bevorzugt auch den eigenen Sendern angeboten. Der optionale Lizenzhandei mit internen und externen Kunden garantierte eine hinreichende Auslastung des Filmarchivs. Das Bezahlfernsehen entwickelte sich jedoch in Deutschland aufgrund des bereits gebuhren-pflichtigen offentlich-rechtlichen Fernsehens anfangs nur zogerlich. 2000 sah sich Kirch schlieR-lich gezwungen, zur nachhaltigen Differenzierung seines Bezahlsenders die teuren Ubertragungs-rechte der Fuliball-Bundesliga zu erwerben und hohe Verbindlichkeiten einzugehen, die schlieB-lich nach Ven/veigerung weiterer Kredlte durch die Glaubigerbanken 2002 zum Zusammenbruch des gesamten Medienimperiums fuhrten. Der Nachfolger des Senders Premiere wurde 2005 an die Borse gebracht. ^^

Auf eine partielle vertikale Integration von Koproduktion und Handel mit Nebenrechten

setzte das ursprungliche Geschaftsmodell von EM.TV. Hierbei wurde gezielt versucht,

den Wert der Nebenrechte durch fruhe Einflussnahme auf die Produktion im Rahmen der

Koproduzentenrolle zu erhohen und zu optimieren.

Falibeispiel: Integration von Koproduktion und Rechtehandel bei EM.TV Das Unternehmen EM.TV war 1989 gegrundet worden und notierte 1997 als eines der ersten Un-ternehmen im Borsensegment „Neuer Markf. Das damalige Kerngeschaft von EM.TV umfasste u.a. die Koproduktion von Fernsehfilmen und den Handel mit Filmrechten. In 1990 hatte EM.TV die Merchandising-Rechte von dem Spielhersteller Nintendo und dem Deutschen Sportbund ak-quiriert. Zusatzlich wurden Zeichentrickrechte fur erfolgreiche Kinderbucher (Michael Ende's Jim Knopf und Die unendiiche Geschichte) erworben. Spater folgten ein Koproduktionsvertrag an ei­ner Zeichentrickserie (B//n/cy Bill) und der Erwerb der internationalen TV- und Merchandising-Rechte. Nach dem Borsengang wurden noch u.a. die Merchandising-Rechte an Kinderfilmen {Biene Maja, Heidi), die Jim Henderson Company {Muppet Show) und schlieRlich 50% an der Formel 1 erworben. Das Geschaftsmodell sah vor, Rechte an Film- und Fernsehfiguren zu erwerben und diese dann in anderen Medlen weiter zu vermarkten, Oder Rechte an Figuren ohne fruhere TV-Nutzung zu erwerben, urn diese dann gezielt zur Produktion und Promotion von Fernsehfilmen einzusetzen. Die partielle vertikale Integration von Koproduktion und Handel mit Nebenrechten nutzte EM.TV fur den gezielten Aufbau bzw. die Wertsteigerung seiner Lizenzen an Filmthemen. So fuhren M. Kempkes und F. Haffa, der fruhere Finanzvorstand von EM.TV aus: „Um von den erheblichen Synergieeffekten zwischen TV und Merchandising zu profitieren, hat sich EM in den letzten Jah-ren verstarkt auf die Produktion bzw. Koproduktion von Zeichentrickfilmen konzentriert. Schon bei der Konzeption von Filmen wird EinfuU auf den Charakter ihrer Hauptdarsteller genommen. So konnen madgeschneiderte Lizenzthemen entwickelt werden, die von vornherein auf die spezifi-

^ ^ Vgl. I. Sjurts, „Strategien der Medienbranche. Grundlagen und Fallbeispiele", S. 339-342, Wiesbaden 2005; „Ein Erbe feiert Borsengang", in: Handelsblatt, 9.3.2005, und H. Reimer, ..Hiibsch gemacht", in: Wirt-schaftswoche, 17.2.2005, S. 86-90.

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schen Bedurfnisse von Industrie und Handel zugeschnitten sind".^^ Einer Drachenfigur in der Verfilmung des Michael Ende-Buches Die unendliche Geschichte wurde z. B. durch gezielte Aus-sagen ein emotionaler Charakter zugewiesen, der sie als Spielzeug prajudlzierte und den spate-ren Verkauf als Stofftier vorbereitete. Ein weiteres Beispiel der Vermarktung einer Filmfigur ist ein envorbenes Konzeptalbum beste-hend aus TontrSger mit Begleitbuch (Tabaluga). Nach En/verb der weltweiten TV- und Merchandi-sing-Rechte wurde gezielt in die Aufwertung der Figur investiert und in Koproduktion wurden mit Partnern halbstundige Episoden mit der Filmfigur produziert, die im gemeinsamen Kinderkanal von ARD und ZDF ausgestrahit wurden. Fur die kommerzielle Verwertung wurden verschiedene Partner je nach Medium einbezogen: Bertelsmann erhielt die Musikrechte, der Weltbild und Franz Schneider Verlag die Verlagsrechte, der Spielwarenhandler Vedes die exklusiven Merchandising-Rechte fur Spielwaren, das Versandhaus Neckermann entsprechende Rechte im Versandge-schSft und der Gong-Verlag die Printrechte.

10.4 Wertschopfungsstufe der Filmstudios bzw. Medienunternehmen Insgesamt kann in der Filmbranche eine signifikante partielle vertikale Integration von Produktion, Rechtehandel und Verwertung und insofern ein einheitliches strategisches Muster festgestellt werden, wobei immer auch die individuelle Konstellation und histori-sche Entwicklung der Unternehmen berucksichtigt werden muss: „Obwohl es eine starke Drift zum vertikal integrierten Medienkonzern gibt, der den »content stream« iiber mog-lichst viele Vertriebswege und Vermittlungsformen global zu kontrollieren und auszubeu-ten sucht, findet wir bei den Unternehmen doch immer noch sehr differenzierte Binnen-mentalitaten und Auliendarstellungen".^^^ Die fuhrenden Medienkonzerne verfiigen nach Akquisitionen und organischem Wachstum durchweg uber eigene Abteilungen fur Rech­tehandel, als auch eigene Verwertungskapazitaten (Abbildung 39).^^^

Vgl. in: M. Kempkes, F. Haffa, „Der Neue Markt als Chance fur junge Wachstumsuntemehmen - das IPO der EM.TV & Merchandising AG". S. 182-183, in: G. Volk (Hrsg.). Going public, Stuttgart 1998. S. 177-189. ^^ Vgl. L. Hachmeister, ..Einleitung: Die Kulturen der Medienkonzerne". S. 23. in: L. Hachmeister, G. Rager, Wer beherrsciit die Medien?, Miinchen 2005, S. 7-30. ^ ° Vgl. I. Sjurts, Strategien in der Medienbranche. Gmndlagen und Fallbeispiele, S. 444-478, Wiesbaden 2005.

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Abbildung 39: Wertschopfungskette der Filmbranche (Spielfilme) und Abdeckung durch fiJhrende Filmstudios/Medienkonzerne. Fokussierung auf wesentliche Akti-vitaten

10.4.1 Time Warner Der Timer Warner Konzern ist 1990 aus der Fusion des Filmstudios Warner Brothers mit

dem Time-Verlag hervorgegangen. Erst nach seiner Entstehung ist der Begriff des Jnteg-

rierten Medienkonzerns" popular geworden. In 2000 fusionierte Time Warner mit dem In-

ternetanbieter AOL und erschloss in der Verbindung von old economy und new economy

einen weiteren Vermarktungskanal fur seine Inhalte. Der zwischenzeitliche Name AOL

Time Warner wurde in 2003 wieder aufgegeben. Time Warner verfiigt neben den Film-

studios Warner Brothers, New Line und Castle Rock uber eine eigene Kinokette, Aktivita-

ten im Fernsehbereich (u.a. CNN, HBO) und mit Warner Cable einen fuhrenden TV-

Kabelnetzbetreiber. Die Publishing-Sparte Time Inc. hat eine fuhrende Rolle im US ame-

rikanischen Markt (u.a. Time, People, Fortune, Sports Illustrated). Ferner bestehen Rah-

menvertrage mit den Produktionsfirmen einzeiner Hollywood-Stars (u.a. Clint Eastwood,

Tom Cruise).

Den Nutzen der vertikalen Integration von Produktion und Ven/vertung kann exemplarisch

an dem Film Many Potter und der Stein der Weisen verdeutlicht werden: Der Film war in

den Warner Studios gedreht worden, der Soundtrack von Warner Music Group WMG

aufgenommen worden. Der Film erhielt eine TItelstory in der Zeitschrift Entertainment

Weekly, die zu dem Time-Verlag gehort, und die Internetplattform AOL unterstutzte die

Verwertung durch gezielte Positionierung von links, sneak previews und Videospielen.

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Page 214: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

10.4.2 Walt Disney Der Walt Disney Konzern mit Spezialisierung auf das Marktsegment Kinder und Familien

verfugt neben den Disney Studios noch uber die Filmproduzenten Touchstone Pictures,

Miramax und Pixar, die organisatorisch als eigenstandige Einheiten agieren. Die uber-

wiegende Anzahl der erfolgreichen Disney-Filme der letzten Jahre stanfimt nicht aus den

angestammten eigenen Studios Touchstone Pictures und Miramax bzw. der herkommli-

chen Zeichentrickproduktion, sondern von dem Trickfilmproduzenten Pixar {Toy Story,

Findet Nemo, Die Unglaublichen, Cars). Pixar war urspriinglich von dem Regisseur

George Lucas aufgebaut und spater von dem Grunder des Computerherstellers Apple,

Steve Jobs, gekauft worden. Disney hatte von Beginn an die Vermarktung, den Kinover-

leih und den DVD- und Videovertrieb fur Pixar ubernommen und den innovativen Produ-

zenten 2006 ubernommen.^^^

Fur die TV-Vermarktung kann Disney auf die 1997 akquirierte Capital Cities/ABC-Gruppe

zuruckgreifen, wozu auch das ABC Network und der Sport-Kabelsender ESPN gehdren.

Das Radiogeschaft wurde 2006 an Citadel Broadcasting verkauft. In Deutschland ist Dis­

ney zu 50% an dem Kinderkanal Super RTL beteiligt, der entsprechend viele Disney-

Filme ausstrahlt. Die Vermarktung der eigenen Produktionen ubernehmen die Tochterfir-

men Buena Vista International und Buena Vista Home Entertainment. Fur den Aufbau ei-

nes Geschaftes mit Videospielen und eine Nutzung der Zeichentrickfiguren in Videosple-

len wurde mit Buena Vista Games eine Tochtergesellschaft gegrundet. Ferner werden die

Filmfiguren in den Themenparks, (Disneyland, Magic Kingdom, Euro-Disney) und den

Disney-Kreuzfahrten vermarktet. Disney hatte zwischen 1987 und 2004 ein eigenes Ein-

zelhandelsgeschaft betrieben. Die Disney-Stores wurden jedoch nach unbefriedigenden

Ergebnissen abgestoBen und Disney beschrankt sich heute auf das reine Merchandl-

singgeschaft bzw. die Vergabe von Lizenzen.^^°

Das breite Spektrum an Verwertungsmdglichkeiten wird von Disney konsequent genutzt:

Als sich 1998 der grofie Erfolg des Spielfilms The Lion King abzeichnete entwickelte Dis­

ney ijber 150 Merchandisingprodukte, vermarktete die Filmmusik mit dem Titel Rtiytm of

the Pride Lands in einem Musical, produzierte mit Simba's Pride ein Video und nahm E-

lemente des Films in seinen Themenparks auf. Bel Disney Ist insgesamt die Wandlung

der Hollywood-Studios vom Filmproduzenten zu Unterhaltungsunternehmen am pr^gnan-

testen ausgebildet.^^^ Mit dem in 2006 erschienenen Film Cars soil der groBe Erfolg im

Merchandisinggeschaft wiederholt werden, wobei nicht nur Lizenzen vergeben, sondern

^® Vgl. C. Tkaczyk, „Pixar's Magic Man", in: Fortune, 29.5.2006, S. 67-75. Vgl. M. D. Eisner, Disney ist jeden Tag ein Abenteuer, Miinchen 1999, S. 287-298. Zur Verwertung der

Filmthemen und der Markenausstrahlung von Disney in anderen Geschaften vgl. auch M. Baghai, S. C. Coley, D. White, C. Conn und R. J. McLean, „Staircases to Growth", in: Ttie McKinsey Quarterly, Nr. 4, 1996 ,5 .39-61 .

Vgl. hierzu den Artikel Marketing Myopia von T. Levitt, in dem u.a. am Beispiel eines Filmstudios die De­finition der Zielmarkte auf Basis von Produktgruppen der Orientierung an KundenbediJrfnissen gegenijber gestellt, T. Levitt, „Marketing-Kurzsichtigkeif, S. 107, in: Han/ard Business manager, Oktober2004, S. 105-129.

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perspektivisch bis zu 80% der Umsatze mit intern entwickelten Produkten erzielt werden sollen. In 2005 wurden fur mehr als 20 Mrd. US Dollar Disney-Produkte verkauft.^^^

10.4.3 Viacom

Das Hollywood Studio Paramount Pictures gehort zum Viacom-Konzern. Etwa zwei Drittel

der Umsatze von Viacom werden mit Kabelgesellschaften erzielt, ein Drittel durch Unter-

haltungsangebote (Fernsehshows, Filmproduktion). Zusatzlich betreibt Viacom Vergnu-

gungsparks und hat 2004 die Mehrheit an dem Entwickler von Videospielen Midway Ga­

mes ubernommen. Exemplarisch fur die tiefgreifende Kontrolle der Verwertung ist der er-

folgreiche Spielfilm Forrest Gump, der zuerst durch den eigenen Filmverleiher Paramount

Theatrical Distribution an Kinobetreiber vertrieben, teilweise durch eigene Videotheken

vermarktet (Blockbuster) und uber Paramount Pictures im Pay-TV und schlieBlich in den

zur Unternehmensgruppe gehorenden Free TV-Sendern ausgestrahit wurde.^^^

Die Videothekenkette Blockbuster wurde 2004 wieder abgestoflen. 2005 hat Viacom zur

Starkung des Filmgeschaftes das Filmstudio Dreamworks gekauft; die Filmrechte wurden

2006 unter Auflagen an den Investor George Soros weiterverkauft. Ein GroBteil der Fern-

sehsparte wurde 2006 unter dem Namen CBS abgespalten (CBS und UPN Fernsehstati-

onen, Radiosender). Mit dem intemationalen Musiksender MTV Networks verfugt Viacom

uber eine starke Position im TV-Unterhaltungsmarkt.

10.4.4 Sony Ein interessantes Portfolio an Geschaftsaktivitaten ist bei dem japanischen Unterhal-tungselektronikkonzern Sony gegeben, der neben den Filmstudios Columbia und TriStar auch ijber einen 20%-Anteil an dem Filmstudio MGM verfugt. Die ubrigen 80% der Antei-le an MGM halten die Finanzfirma Providence und der Kabelkonzern Comcast. Die Funk-tionen Lizenz- und DVD-Handel von Sony und MGM wurden zusammengelegt. MGM ver­fugt mit uber 4.000 Spielfilmen iiber ein umfangreiches Portfolio an Filmrechten und be­treibt weltweit ca. 120 Spielfilmkanale. Die zukunftige Strategic sieht primar eine Intensi-vierung der Vermarktung des Filmstockes vor; das Risiko neuer Produktion soil reduziert werden.^^"^ Durch Aktivitaten in der Video/DVD-Verwertung (Sony Pictures Entertain­ment), im TV-Bereich (Sony Pictures Television Group) und bei Videospielen (Sony Computer Entertainment, PlayStation) verfugt Sony iiber nennenswerte Verwertungska-pazitaten fur seine Filmprodukte. Da Sony auch Hardware fur die Konsumierung seiner Medienprodukte verkauft (u.a. den Walkman, Videorecorder, Fernseher und die Spielekonsole PlayStation), nimmt der japa-nische Konzern eine Sonderrolle in der Medienbranche ein. Bei der Markteinfuhrung sei­nes innovativen Blu-ray Standards fur DVD-Filme kann Sony von seiner Position im Film-geschaft profitieren, da die Vermarktung einzelner Spielfilme in dem neuen Format si-

Vgl. L. Meier, „Walt Disney baut Merchandising aus", in: FTD, 29.5.2006. "^ Vgl. B Fauser, Horizontale und vertikale Integration im Bereicti der Leistungsverwertung, Miinchen und Mering2004, S. 271. ""* Vgl. H.-P. Siebenhaar, „MGM drangt in die Mattscheiben der Welt", in: Handelsblatt, 21.10.2005; und L. Meier, I. Hulsen, „MGM gibt eigene Filmproduktion auf, in: FTD, 6.4.2006.

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chergestellt ist und ggf. sogar ausschlieftlich in dem eigenen Standard erfolgen kann. Der

konkurrierende HD-DVD Standard wjrd von Toshiba protegiert. Bei Einfiihrung der ersten

Spielfilmprodukte in dem neuen Fomiat 2006 konnte jedoch kein simultanes Angebot der

Hardwaresparte von Sony Blu-ray DVD-Spielern sichergestellt werden.^^^

10.4.5 Vivendi Die Universal Studios gehoren zu dem franzosischen Medien- und Telekommunikations-

konzern Vivendi Universal, der in den Verwertungsstufen Kino, Video / DVD, TV (Canal+)

und Themenparks (Universal Studios) uber eigene Kapazitaten verfugt. Mit Vivendi Uni­

versal Games wurde eine eigenstandige Spielesparte des Konzerns gegrundet. 2004

wurde Vivendi Universal mit der General-Electric-Tochter NBC zusammengelegt.

10.4.6 News Corporation Die Twentieth Century Fox Film Corporation ist Teil der amerikanischen News Corporati­

on. Ferner gehoren die Filmstudios Fox Searchlight Pictures und Fox Television Studios,

Kinoketten und ein Satelliten TV-Sender zur News Corporation. Der Konzern hat seinem

Schwerpunkt im Bereich der Printmedien.^^^

Insgesamt fallt auf, dass die fuhrenden Hollywood-Studios ihre Unabhangigkeit verloren haben und von den globalen Medienkonzernen vereinnahmt worden sind. Aufgrund un-terschiedlicher Unternehmenskulturen und uberschatzter Synergien haben sich jedoch teilweise interne Friktionen ergeben und bei Time Warner und Viacom wird iiber eine Auf-teilung der Konglomerate nachgedacht.

10.5 Vertikale Integration von Produktion und Verwertung Die vertikale Integration der Wertschopfungsstufen Produktion und Ven^/ertung bzw. die

Thematik von content and channel adressiert eine der zentralen strategischen Fragen der

Medienbranche. Diese kann im Rahmen einer Vorintegration eines Produzenten Oder der

Ruckintegration eines Verwerters erfolgen. Begrundungen zur Vereinnahmung von Ver-

wertungskapazitat rekurrieren in erster Linie auf die Maximierung der Verwertungsmog-

lichkeiten eines Filmproduktes. Die treibende MaSgabe der Maximierung der Verwer-

tungsmoglichkeiten resultiert aus der unbegrenzten Nutzbarkeit eines Medienproduktes,

das durch den Konsum keine Abnutzung Oder Kapazitatsgrenze erfahrt: Der Wert eines

Medienproduktes kann mit zunehmender Verwertung eher noch gestelgert werden. Die

Attraktivitat eines Spielfilms oder eines Buches wird fiir einen potenziellen Konsumenten

in der Regel umso grdSer sein, je mehr den Film gesehen bzw. das Buch gelesen haben.

Hinzu kommen die hohen Kosten der//rsf copy bei nahezu vernachlassigbaren Grenzkos-

ten der weiteren Vervielfaltigung. Folgerichtig ist der Filmproduzent daran interessiert,

sein Produkt moglichst in vielen VertriebskanSlen zu vermarkten.

"^ Vgl. T. Clark. „Sony patzt mit neuem DVD-Formaf, in: FTD, 20.6.2006. ^^ Zur Charakterisierung der l\ edienkonzerne vgl. auch L. Hachmeister und G. Rager, Wer beherrscht die Medien? Die 50 groliten Medienkonzeme der Welt, MiJnchen 2005.

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Hierbei ist die Ausgangslage des Marktes in die Analyse mit einzubeziehen, da der Ver-einnahmung von Verwertungskapazitaten insbesondere dann eine hohe strategische Att-raktivitat bekommt, wenn diese Stufe bereits stark konsolidiert ist und zu einem groHen Teil von Wettbewerbern kontrolliert wird. Durch den Kauf eines Tells der restlichen Kapa-zitaten wird einerseits die Abhangigkeit gegenuber den Wettbewerbern reduziert und eine Mindestabnahme sichergestellt. Ferner bietet sich die Option zur Limitation der verblei-denden Vermarktungsoptionen. Falls der Verwertungsmarkt jedoch stark fragmentiert ist und vollig unabhangig von den Produzenten operiert, ist die Attraktivitat der vertikalen In­tegration geringer einzuschatzen, well die Sicherstellung und der Zugang zu attraktiven Vernnarktungskapazitaten in diesem Fall - bei Annahme eines homogenen Filmangebotes - vorausgesetzt werden kann.

Aus Sicht des Betreibers einer Ven/vertungsinfrastruktur ist die Planungs- und Versor-gungsslcherhelt mit Spielfllmen sowie teilweise eine Differenzierung vom Wettbewerb durch bevorzugte Versorgung anzufuhren. Durch Ausstrahlung attraktiver Blockbuster kann die Zuschauer- bzw. Nutzerfrequenz eines Vertriebskanals erhoht und damit der Wert der angebotenen Werbekapazitaten gesteigert werden. In der Medienbranche wird insgesamt von einer Kontrolle der Vertriebskanale durch die Anbieter von Inhalten aus-gegangen (Content is King). Hierbei wird unterstellt, dass sich ein Medium langfristig nur durchsetzen kann, wenn es auf attraktive Inhalte zuruckgreifen kann. Der Betreiber einer Ven/vertungskapazitat tragt in der Regel einen hohen Fixkostenblock und ist deshalb in der problematischen Position befangen, wegen seiner Abhangigkeit in den Lizenzver-handlungen von den Fllmstudios benachteiligt zu werden.

Ein weiteres Argument fur die vertikale Integration - unabhangig von ihrer Richtung als Vor- Oder als Ruckintegration - ist durch die Hohe der Transaktionskosten gegeben. Da es sich bel Fllmprodukten um individuelle Einzelprodukte handelt, deren Wertermittlung vor erfolgter Verwertung nur bedingt standardisiert werden kann, ist insgesamt von ver-gleichsweise hohen Transaktionskosten zwischen Produzent und Rechtehandler bzw. Verwerter auszugehen. Operative Prozesserleichterungen zwischen Produktion und Ver­wertung stehen hingegen nur in Ausnahmefallen im Vordergrund, da sie in der Regel auch im Rahmen einer Kooperation erreicht werden kbnnen. Die drei Argumente - die Maximierung der Verwertungsbreite aus SIcht des Filmstudios, die Versorgungssicherheit aus Sicht des Verwerters und die Reduzierung der Koordinationskosten (durch Ersetzung der externen Transaktionskosten durch interne Managementkosten) - rechtfertigen eine vertikale Integration von Produktion und VenA ertung.

Hierbei muss berijcksichtigt werden, dass eine vertikale Integration in der Medienbranche in den meisten Fallen nicht als vollstandige, sondern als partielle Integration konzipiert ist. Ein Filmproduzent durfte bel einer Vorintegration in die Verwertung nicht davon ausge-hen, seine Produkte exklusiv uber seine eigenen Kapazitaten zu vermarkten. Der voll­standige Verzicht eines Fllmproduzenten auf die Nutzung unabhangiger Verwertungska-pazitat setzte eine voile Abdeckung des Marktes bzw. Erreichung des Marktpotenzials mit eigenen Mittein voraus, die im Einzelfall gegeben sein mag, in der Praxis jedoch unrealis-tisch ist. Eine dominante Marktstellung wurde aus kartellrechtlichen und politischen Grun-

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den auch verhindert. Genauso wenig kann ein DVD-Verleiher oder eine TV-Kabelgesellschaft davon ausgehen, das vollstandige Filmangebot aus den eigenen Stu­dios zu beziehen.

Die generellen Uberlegungen sollten jedoch nicht dariiber hinwegtauschen, dass sich die Vor- und Nachteile einer vertikalen Integration von Produktion/Rechtehandel und Verwer-tung stark von dem jeweiligen Verwertungsmedium bzw. Vertriebskanal unterscheiden. Aus methodischen Grunden werden deshalb vor einer abschlieSenden Einschatzung die einzelnen Ven/vertungsarten Kinoausstrahlung (Abschnitt 10.5.1), Fernsehausstrahlung (Abschnitt 10.5.2), Video-/DVD-Nutzung (Abschnitt 10.5.3) und Internet (Abschnitt 10.5.4) getrennt voneinander besprochen.^^^

10.5.1 Verwertung durch Kinoausstrahlung

Sicherlich ware es fur einen Filmproduzenten abwegig, eine eigene Kinokette aufzubau-en. Eine kompetitive Auslastung der entsprechenden Infrastruktur erfordert die Ausstrah-lung eines Filmportfolios, das durch einen einzelnen Produzenten nicht erstellt und abge-deckt werden kann. Ein vertikal aufgestellter Filmproduzent und Kinobetreiber mijsste auch Filme seiner Wettbewerber ausstrahlen und ware in dieser Konstellation bei der Aushandlung der Verleihmieten mit anderen Produzenten in einer benachteiligten Positi­on: Die konkurrierenden Filmproduzenten wurden die Abhangigkeit ihres Wettbewerbers zur Auslastung seiner Verwertungskapazitaten in den Vertragsverhandlungen ausnutzen. Folgerichtig sind Filmproduktion und Verwertung in Form der Ausstrahlung im Kino fast ausschlieUlich eigentumsrechtlich und organisatorisch getrennt. Der Betrieb eigener Ki-noketten u.a. durch den Time Warner Konzern (Warner Theaters) bzw. Viacom (National Amusements) kann bezogen auf den Gesamtmarktvernachlassigt werden. Angesichts des sich durch die Digitalisierung von Medienprodukten und der Weiterent-wicklung von Fernsehgeraten abzeichnenden Bedeutungsverlustes des Kinos als Verwer­tungsmedium, dessen Besitz zudem eine hohe Kapitalbindung nach sich zieht, diirfte das Interesse der Medienunternehmen an einem Betrieb von Kinoketten auch begrenzt sein. Die Verhandlungsposition der Produzenten hat sich aufgrund der zunehmenden Konzent-ration der Kinobetreiber allerdings verschlechtert.

Fallbeispiel: Verhandlungsposition der Kinobetreiber Cinemaxx und Cinestar Disney betreibt mit Buena Vista einen eigenen Rechtehandel bzw. Filmverleih fiir seine Filmpro-dukte. Fur die Ausstrahlung des Filmes Die Kuhe sind los konnte in Deutschland mit den Kino-betreibern Cinemaxx, Kieft&Kieft/Cinestar und UCI uber die Hohe der Filmmiete zunachst keine Einigung erzielt werden, so dass der urspriinglich vorgesehene Ausstrahlungsbeginn nicht ein-gehalten werden konnte. UbIichenA/eise erhalten die Filmstudios etwa 50% der Umsatze als Film­miete aus den Ticketverkaufen der ersten 6 Wochen. Fiir die Ausstrahlung von Die Kuhe sind los konnten die Kinobetreiber durch Bundelung ihrer Nachfragemacht eine Anpassung der Wertauf-teilung zu ihren Gunsten erreichen.

Die mobile Verwertung von Spielfilmen kann noch vernachlassigt werden und ist nicht berucksichtigt.

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10.5.2 Verwertung als Fernsehausstrahiung

Die partielle vertikale Integration von Filmproduktion und Betrieb eines Femsehkanals er-folgt aus Sicht des Produzenten unter der Zielsetzung der Vertriebspromotion, der Wachstumsperspektive Oder der Realisierung von Lerneffekten. Hierbei kann iiber den strategischen Sinn einer Integration nur im Einzelfall bei Abwagen aller Vor- und Nachtei-le entschieden werden. Die Verwertung von Filmprodukten, insbesondere im Fernsehen, kann jedoch nicht einseitig als Dienstleistung des Vertriebspartners fiir den Filmproduzen-ten angesehen werden, da die Kabel- bzw. Bezahlfernsehsender in erster Linie als Ver-kaufer von Werbekapazitat bzw. Konsumentenaufmerksamkeit einzustufen sind, die auf die Filmproduzenten als zentrale Lieferanten angewiesen sind: „The first and most seri­ous mistake an analyst of the television industry can make is to assume that advertising supported television broadcasters are in business to broadcast programs. They are not. Broadcasters are in the business of producing audiences. These audiences, or means, of access to them are sold to advertisers".^^®

Fur die Haupteinnahmequelle eines Fernsehsenders, den Verkauf von Werbekapazitat, ist es essentiell, die Programmqualitat und damit die Zuschauerfrequenz auf einem hohen Niveau zu halten. Insofern kann der gesicherte Zugriff auf attraktive Fllmproduktionen zur Sicherung der Attraktivitat der elgenen Werbungskapazltaten eine partielle vertikale Integ­ration rechtfertigen.

10.5.3 Verwertung als Medium Die Ven/vertung in den Medien Video und DVD bedient in erster Linie das Segment Heimunterhaltung. In Bezug auf die Bedienung dieses Marktsegmentes istzwischen dem Verleih und dem Verkauf von Medientragern zu unterscheiden, die in der Regel nicht ausschlief^lich, sondern erganzend genutzt werden. In den USA haben sich Anbieterwie z. B. die Videothekenkette Blockbuster und Netflix auf das Verleihgesch^ft spezialisiert. Wahrend sich Blockbuster mit einem stationaren Vertrieb auf den Video- und DVD-Verleih fur Selbstabholer konzentriert, operiert Netflix uber eine Internetplattform, uber die nach Bestellung das Medium per Post zugestellt wird. Durch die Ubernahme von Block­buster 1994 hatte sich Viacom (Paramount Pictures) zwischenzeitlich einen sicheren Ab-satzkanal fur seine Fllmprodukte gesichert und konnte eine Promotion bzw. Bevorzugung seiner Produkte sicherstellen. Das Verleihgeschaft erfordert eine kritlsche Masse und setzt die Bundelung der Fllmprodukte mehrerer Studios voraus. Bei Ubernahme durch einen Medienkonzern muss der Betreiber einer Videothekenkette bzw. eines DVD-Verleihgeschaftes jedoch nicht automatisch befiirchten, die Produkte anderer Filmprodu­zenten nicht mehr angeboten zu bekommen, da diese ihre Produkte ebenfalls moglichst breit und umfassend vermarkten wollen.

Das Verkaufsgeschaft von Videokassetten oder DVD's kann hingegen auch auf Basis einzelner Filme als Kampagnengeschaft betrieben werden. Bei Kooperation mit Lohnpro-duzenten, welche das Medium herstellen und besplelen, kann mit verhaltnismaliig gerin-

^ Vgl. B. Owen und S. Wildman, Video economics, Cambridge und London 1992, S. 3.

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gem Risiko ein Verkaufsgeschaft mit dem Einzelhandel aufgebaut werden. Folgerichtig

haben einige Filmproduzenten durch den DVD-Verkauf eine eigene Position im Verwer-

tungsgeschaft aufgebaut.

Fallbeispiei: Disney und das Videogeschdft mit Zeichentrickfilmen Disney hatte seine Zeichentrickfilme ursprunglich uber das Kino und das Fernsehen vermarktet. Hierbei wurde eine neue Produktion zunachst im Kino ausgestrahit und erst spater im Femsehen gezeigt. Die Ubertragung wurde nach einigen Jahren im Femsehen wiederholt und damit auch mit der WiedervenA/ertung Einnahmen erzielt. Von dem Verkaufsgeschaft mit Videokassetten wurde zunachst abgesehen, da das Management mit der Freigabe des Filmproduktes als konservierba-res Medium eine Limitierung des langfristigen Wertpotenzials befurchtete. Nach Berucksichtigung des fruheren zeitlichen Anfalls der Umsatze wurde schliedlich in den 80er Jahren auch ein Video-verkaufsgeschaft aufgebaut. Die Absatzzahlen stiegen sprunghaft an: Wahrend das Video Pinoc-chio 1985 zunachst nur mit einer Auflage von 600.000 Exemplaren verkauft werden konnte, wur-den 1986 von DornrOschen und der Prinz {Sleepinq Beauty) und 1991 von Schneewittchen und die sieben Zwerge {Snow White and the Seven Dwarfs) 1,3 bzw. 50 Mio. Exemplare (weltweit) verkauft. Nach anfangiicher Einschaltung von Zwischenhandlern ist dazu ubergegangen worden, die Videokassetten direkt an die fuhrenden Einzelhandelsketten zu verkaufen. ^^ Die hohen Verkaufszahlen belegen die Langlebigkeit von Filmprodukten mit geringer Abnutzung. Die Erstausstrahlung der Zeichentrickfilme von Pinocchio (1940), Sleeping Beauty (1959) und Schneewittchen (1938) lag teilweise mehr als 40 Jahre zuruck. Bei anhaltender VenA/ertung und Aufmerksamkeit in anderen Medien steigt der Wert des Filmproduktes welter an. Bei Erreichen eines Klassikerstatus hat das Produkt kein Verfallsdatum mehr.^°

10.5.4 Verwertung Im Internet Die Verwertung im Internet bletet den Filmstudios bzw. den Produzenten erstmals die breite Moglichkeit einer Eigenvermarktung ihrer Produkte, bei der die klassischen Ver-trlebspartner, wie z. B. Kinobetreiber, DVD-Verleiher/Einzelhandler und Fernsehkanale umgangen werden. Eine Intemetplattform ist mit vergleichsweise geringen Aniaufkosten verbunden, so dass ein Filmstudio seine Einstiegskosten limitieren und die Chance zur direkten Bedienung seiner Kunden auf Basis von einzelnen Spielfilmen testen kann. Auf-grund der teilweise illegalen Internetplattfomnen ist ferner das Vorhandensein legaler On-llnestores fur die Filmproduzenten von hoher Bedeutung, da ansonsten das Internet voll-standig dem Illegalen ..Darknet" uberlassen wurde. Hierbei ist im Gegensatz zu Musik-tauschbdrsen davon auszugehen, dass eine Plattform nicht unbedingt ein vollstandiges Angebot aller aktuellen Spielfilme aufweisen muss, um eine kritische Masse zu erreichen. Insofern ist aus strategischen Grunden nachvollziehbar, dass die Filmstudios eigene In-ternetplattformen aufgebaut bzw. sich an Konsortien beteiligt haben.

Fallbeispiei: Online-Verwertung von Spielfilmen Fur die Bedienung des amerikanischen Marktes hatten die groHen Filmstudios 2000 mit Ausnah-me von Disney und Twentieth Century Fox (News Corporation) die Plattform MovleLInk freige-schaltet. Die Filmstudios starten den Vertrieb ihrer Spielfilme teilweise simultan zum Beginn des

Vgl. M. D. Eisner, Disney ist jeden Tag ein Abenteuer, Munchen 1999, S. 220fg. ' Vgl. M. D. Eisner, Disney ist jeden Tag ein Abenteuer, Munchen 1999, S. 206-209.

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DVD-Verkaufs und vereinnahmten einen groBeren Antell des VerwertungsgeschSftes. In Zukunft soil es auch moglich sein, Filme herunterzuladen und anschliedend auf DVD zu brennen. Eine unautorisierte Vervielfaltigung der DVD soil dabei durch eine spezielle DRM-Schutztechnik unter-bunden werden. '' Die Intemetsuchmaschine Google hat den Aufbau eines offenen Marktplatzes fur Spielfilme und Videos (Google Video Store) angekundigt, auf dem die Anbieter die Preise fur ihre Produkte ei-genstandig festlegen konnen. Google positioniert sich als reiner Betreiber des Marktplatzes und erhalt eine Umsatzbeteiligung. Zu den Kooperationspartnern gehoren u.a. der amerikanische Fernsehsender CBS, die amerikanische Basketballliga NBA, Sony BMG und der Nachrichtenka-nal ITN. Das Videoangebot soil mit einer Suchfunktion kombiniert werden, so dass durch die Ein-gabe einzelner Suchwfirter gezielt nach Videoprodukten gesucht werden kann.^^ Bel dem Onlineangebot in Deutschland kann zwischen der temporSren Nutzung und dem Verkauf digitaler Kopien unterschieden werden. Im ersten Fall, dem sogenannten Video-on-Demand, ladt der Benutzer einen Film auf seinen Rechner und kann sich den Film bei hinreichender Leitungs-kapazitat bereits wahrend des Downloads ansehen. Die Videodatel 1st mit einer zeitlichen Lizenz versehen und wird nach einer bestimmten Zeit unbrauchbar. Das Online-Filmangebot von Arcor, Hansenet und T-Online (Deutsche Telekom) arbeitet nach dem Video-on-Demand Prinzlp. Im anderen Fall des Download-to-own fallen in der Regel hohere Kosten fur den Download an, der dafur aber eine zeltlich unbegrenzte Nutzung ermoglicht. Beim Herunterladen greift der Kunde auf den Rechner anderer Nutzer der Plattform zu, die dem Netzwerk vorher ausgewahlte Dateien ihrer Festplatte zur Verfugung gestellt haben. Hierdurch konnen Transaktions- und Speicherkos-ten eingespart werden, da nicht auf einem zentralen Server eine entsprechende Datenbank und DownloadkapazitSt vorgehalten werden muss. Der Onlinedienst in2movies, ein Gemeinschaftsun-ternehmen des Filmstudios Warner Brothers und der Bertelsmann-Tochtergesellschaft Arvato, arbeitet nach diesem Prinzip.

10.6 Zusammenfassung

Innerhalb der Medienbranche liegt hinsichtlich der Wertschopfungskette fur Spielfilme ein

hohes AusmaB partieller vertikaler Integration vor: Die fijhrenden Filmstudios sind Tell der

globalen Medienkonzerne, die iiber nennenswerte Kapazitaten in den verschledenen

Verwertungsstufen verfugen, insbesondere im Bereich Fernsehen und DVD-Geschaft.

Ebenso verfugen die Medienkonzerne uber eigene Abteilungen fiir Rechtehandel und Li-

zenzen.

Die partielle vertikale Integration reflektiert die nahezu unbegrenzte Nutzbarkeit eines

Spielfilmproduktes (Nicht-Rivalitat im Konsum), die Sicherstellung einer Mindestauslas-

tung der eigenen Verwertungskapazitaten (TV-Werbung) und die vergleichsweise hohen

Transaktionskosten im nur schwerlich standardisierbaren Filmgeschaft. Insgesamt ist die

vertikale Ausdehnung der Konzerne somit von strateglschen Uberlegungen gepragt. As-

pekte der technischen Abstimmung zwischen Produkt und Verwertungsmedium stellen

kelnen nennenswerten Treiber fur die hohe Wertschopfungstiefe der Medienunternehmen

dar.

Vgl. J. Chaffin, A. Ohier, „FilmstudJos bieten DVD-Altemative", in: FTD, 4.4.2006, und A. Maier, ..Film-download furs Wohnzimmer hiJbsch gemachf, in: FTD, 17.7.2006. '* Vgl. ..Google greift Ebay mit neuem Bezahlsystem an", in: FAZ, 7.1.2006, 8. 17, und ..Warner und Ber­

telsmann kooperieren bei internet-Flrmen", in: FTD, 30.1.2006, ftd.de/tm/me/42125.html, aufgerufen am 31.1.2006.

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Ferner haben die oligolpolartigen Marktstrukturen der Medienbranche das Feld unabhan-giger Anbieter fiir Produktion und Verwertung stark eingeschrankt. Dadurch ist eine effi-ziente Verwertung fureinen unabhangigen Produzenten, der vollstandig auf downstream-Kooperationen angewiesen ist, sowie die Versorgung fur den Betreiber einer unabhangi­gen Verwertungskapazitat, der nicht auf Eigenproduktionen zuruckgreifen kann, mit ho-hen Unwagbarkeiten verbunden. Die durchgehende, partielle vertikale Integration zwingt in Ruckkopplung die Anbieter, ihre hohe WertschGpfungstiefe aufrecht zu erhalten und erschwert den Markteintritt unabhSngiger Anbieter.

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11. Wertschopfungskette Videospiele

11.1 Darstellung der Wertschopfungskette

Das Prinzip der heutigen Videospiele geht auf das Spiel Pong, erne Art elektronisches

Tischtennis, zuruck, das Ende der 50er Jahre erfunden und 1972 von Atari vermarktet

wurde. Der Markt fur Videospiele hat sich in den 70er Jahren herausgebildet, als die ra-

sante Entwicklung der Programmierfunktionen und die Leistungsfahigkeit von Software

die Moglichkeit bot, den traditionellen Spielemarkt mit einer vollig neuen Technologie zu

besetzen. Das Aufkommen von Spielhallen mit munzbetriebenen Spielautomaten reflek-

tierte die noch unzureichende Verbreitung des Computers. In 1979 revolutionlerte Atari

das Geschaft durch die Einfuhrung einer Heimkonsole. Die Spiele erreichten noch hohe

zweistellige Marktanteile; Space Invaders von Taito und Pac-Man von Atari dominlerten in

den 70er Jahren den elektronischen Spielemarkt.

Aufgrund der permanenten Erhdhung der Rechnerkapazitat hat der Computer die Heim­

konsole in den 80er Jahren zunachst teilweise verdrangt, bis sich schlielilich in den 90er

Jahren die Konsole aufgrund ihrer realitatsnahen und dreidimensionalen Abbildung als

dominante Hardware durchsetzt hat. Ein Pionier der dreidimensionalen Spiele war das

Unternehmen id Software mit Doom. Die Spiele haben synchron zur Entwicklung der

Chip- und Rechnerkapazitat eine permanente Entwicklung erfahren, so dass die popula-

ren Spiele der 80er Jahre heute wie ein Anachronismus wirken: Der verelnfachte Hinter-

grund ist gegen einen dreidimensionalen Spielfilmbackground ausgetauscht worden und

die Figuren nahern sich photorealistischen Gestalten bzw. virtuellen Schauspielem an,

die sich von Ebene zu Ebene bei immer anspruchsvolleren Anforderungen bewahren

mussen.

Nach Einfuhrung der mobllen Konsole, der Erganzung der Spielekonsole mit Multimedia-

funktionen und der Verbreitung von Handyspielen kann von der Fokussierung auf eine

bestimmte Hardware allerdings nicht mehr die Rede sein. Entsprechend hat sich der Beg-

riff „Vldeospiele" durchgesetzt, der die Software nicht mehr zu einer bestimmten Nut-

zungshardware in Beziehung setzt. Parallel haben Onlinespiele, bei denen mehrere Spie­

ler parallel in eine Spielszene eingreifen konnen, Marktanteile hinzugewonnen. Thema-

tisch teilt sich der Markt in die Segmente Action-, Sport- und Rollenspiele ein.

Die Wertschopfungskette setzt mit der Stoffentwicklung ein, auf deren Basis in einem

zweiten Schritt Videospiele konzipiert und programmiert werden. Der Stoff kann sich an

einen Spielfllm, eine fiktive Medien- Oder Comicfigur Oder eine alltagliche Begebenheit

aniehnen.

Zur Abgrenzung vom Wettbewerb werden von den Splelentwicklern teilweise Lizenzen fiir

Themen bzw. Stoffe anderer Medlenprodukte erworben. Die Entwickler Electronic Arts

und Activision haben z. B. exklusiv die Rechte fur die Verwertung der James Bond-Figur

in Videospielen von dem Filmstudio MOM erworben, Ubisoft eine Lizenz zur Vermarktung

der Filmfigur King Kong. THQ hat sich die Videospielrechte an dem Pixar-Film Cars gesi-

chert.

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Analog zur Filmbranche und vor dem Hintergrund des hohen unternehmerischen Risikos kommt der Finanzierung eine gesonderte Bedeutung zu. Diese kann entweder durch den Spieleentwickler Oder Medlenfonds ubernommen werden, die Entwickler als Dienstleister mit der Projektierung und Entwicklung eines Spiels beauftragen (Abbildung 40). ^^

Abbildung 40: Wertschopfungskette fijr die Entwicklung und Vermarktung von Spie-lekonsolen und die pragenden Anbietermodelle

Zu den Spleleentwicklern mit einem hohen Grad der Drittfinanzierung zahlen u.a. Asca-ron, CLIMAX, Phenomic, Sunflowers und lOtacle. Die Art der Finanzierung und damit auch die Ubernahme der unternehmerischen Risikos variiert jedoch je nach Projekt; na-hezu alle Entwickler praktizieren sowohl das Dienstleister-, als auch das Studio-Modell mit groUerer Betelligung an dem unternehmerischen Risiko. Die fuhrenden Anbieter elekt-ronischer Spiele, die nach dem Studio-Modell arbeiten, sind Electronic Arts und mit deut-lichem Abstand u.a. Activision, THQ, Ubisoft und Take2. Die Entwicklung bzw. Programmierung der Spiele erfolgt durch die Spieleentwickler bzw. Spielehersteller, die sich auf diesen engen Bereich der Softwareentwicklung spezialisiert haben und vom sonstigen Softwaremarkt abgrenzen. Das Kerngeschaft besteht in der projektspezifischen Koordination der eigenen Programmierer. An der Entwicklung eines Spiels arbeiten bis zu 100 Spezialisten fiir etwa zwei Jahre. Das Anbieterfeld der Entwick­ler durchlauft seit einigen Jahren eine Konsolidierung; in Einzelfallen werden Unterneh-men von grolien Medienunternehmen bzw. Filmstudios oder den Anbietern von Konsolen aufgekauft. Zur Starkung der Aktivitaten im Marksegment Handyspiele hat EA 2005 den

Zu den Geschaftsmodellen der Entwickler vgl. auch den Wertpapierprospekt des Unternehmens lOtacle vom 8.6.2006, Darmstadt 2006, S. 66fg und S. 100fg.

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Anbieter Jamdat (u.a. Tetris, Bejeweled) erworben, das Videospiele speziell fur Mobil-funkendgerate entwickelt.

Die Vermarktung der Spiele erfolgt zu einem geringen Teil durch die Entwickler, uberwie-gend durch die Anbieter von Spielekonsolen. Die Spielekonsole stellt eine Kombination von Hard- und Software dar. Bei Erstauslieferung der Konsole sind in der Regel einige Spiele bereits auf der Konsole installiert; der uberwiegende Teil wird von den Kunden nachtraglich gekauft und geladen. Die Spiele sind zu mehreren Konsolen kompatibel, so dass das Anwendungsspektrum der Konsole nicht durch das Spieleportfolio des Anbie-ters begrenzt ist. Insbesondere die PlayStation 2 von Sony hat von ihrer hohen Kompati-bilitat profitiert. Teilweise laufen Videospiele jedoch nur auf einer Konsole und dienen der Differenzlerung der Hardware vom Angebot des Wettbewerbs. Parallel verfugen die Spielanbieter uber ein nennenswertes Werbebudget, das gezielt fur die Generierung von Nachfrage eingesetzt wird.

Die Zahlungsstrome und die Preisgestaltung ist vor dem Hintergrund des Zusammen-spiels von Hard- und Software zu sehen: Die Konsolenanbieter verdienen in der Rege! nicht an dem Verkauf der Hardware. Sowohl fur die Xbox von Microsoft, als auch fur die PlayStation 3 von Sony wird davon ausgegangen, dass die Herstellkosten den Verkaufs-preis deutlich ubersteigen. " ^ Einnahmen erzielen die Hardwareanbieter durch den Verkauf eigener Spiele und Lizenz-einnahmen unabhanglger Spielanbieter, deren Spiele auf der Konsole gespielt werden, und ggf. aus Werbeinnahmen. Die Spielentwickler erhalten etwa 20% von dem Umsatz eines im Einzelhandel verkauften Spieles als Lizenzgebuhr. Hierbei sind die Vereinba-rungen zwischen Konsolenanbieter und Spieleanbieter nicht einheitlich. Je nachdem, ob der Splelehersteller die Kompatibilitat zu einer bestimmten Konsole erreichen Oder der Konsolenanbieter seine Konsole fur ein bestimmtes Spiel offnen will, ergeben sich unter-schiedliche Absprachen. " ^ Der Markt fur Spielekonsolen wird von Sony, Nintendo und Microsoft dominiert. Bandai und Sega, Pioniere im Markt fur Computerspiele, sind Inzwischen wegen des hohen Wettbewerbsdruckes aus dem Konsolengeschaft ausgestiegen und beschranken sich auf die Entwicklung. "* Vornehmlich Microsoft und Sony haben die Konsole zu einem Multi-mediagerat aufgerustet, die auch zum Musikhoren, dem Schauen von Spielfilmen und der Nutzung des Internets genutzt werden kann. Nintendo setzt eher auf die klassische Kon­sole ohne Multimediaapplikationen. Das Geschaft verlauft zyklisch, da die Einfuhrung einer neuen Produktgeneration in der Regel einen Absatzpeak bedingt. Mit zunehmender Lebensdauer nimmt die Nachfrage stark ab und die Spieler halten sich mit Kaufen bis zur Einfuhrung einer neuen Produkt­generation zuruck. Marktfuhrer ist Sony mit der Playstation mit einem deutlichen Abstand

Vgl. M. Fischer, Jagd nach dem digitalen Schatz", in: Euro 07/2006, S. 46-49. "^ Vgl. "Console Wars", in: The Economist 20.6.2002; und "Sony muss Markteinfiihrung der neuen PlayStation verschieben", in: FAZ, 16.3.2006. ^^^ Vgl. H. Schmidt, ,.Das Spiel mit Milliarden". in; FAZ, 1.8.2005.

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vor Microsoft und Nintendo. Von der PlayStation wurden weltweit mehr als 200 Millionen verkauft.

Die Produktion der Hardware wurde von Nintendo und Sony zu Anfang weitestgehend in Eigenleistung erbracht. Zunehmend werden zur Optimierung der Kostenposition unab-hangige Lohnhersteller eingesetzt. Die PlayStation Portable (PSP) wird von dem taiwa-nesischen Dienstleister Hon Hai Precision hergestellt, der schon Telle der PlayStation 2 produziert hat. Fur den zentralen Graphikchip der PlayStation 2 hat Sony mit Toshiba ko-operiert. Microsoft als reine Softwarefirma hatte die Produktion von Beginn an externen Dienstleistern uberlassen. Der Zusamnfienbau der Xbox erfolgt durch Flextronics, der Prozessor wird von IBM Oder Qimonda geliefert. Neben den Prozessoren stellt die Grafik-karte eine wichtige Differenzierungskomponente dar; Anbieter wie u.a. ATI Technologies und Nvidia haben sich als Zulieferer fur Konsolenhersteller herausgebildet. Der Vertrieb der Konsolen erfolgt in der Regel durch den unabhangigen Einzelhandel. Teilweise haben thematisch nahe Fachhandler eigene Abteilungen fiir Videospiele auf-gemacht, z. B. Musikgeschafte Oder die Videothekenkette Blockbuster in den USA. Spiele werden entweder verkauft oder verliehen.

Nach der Verwertung im Konsolengeschaft folgen mit der mobilen und der Online-Vermarktung zwei weitere Vertriebskanale. Die Onlinevermarktung bietet zusatzlich die Moglichkeit zur Einbindung sehr vieler Spieler und eroffnet den Entwicklern die Option zur Eigenvermarktung. Neben der Eriosen aus dem einmaligen Spielverkauf eriauben Online-Spiele auch die Erhebung einer monatlichen Gebuhr fur die Nutzung der Internetplattform und Werbeeinnahmen. Derzeitig zeichnet sich eine verstarkte Vennarktung in weiteren Medien (u.a. Internet, TV, Mobiltelefone, Organizer) ab, so dass die Konsole und der Computer als Vertriebskannale weitere Marktanteile einbuSen durften. "^^ Mit der Einfiih-rung des Game Boy von Nintendo in 1989 und der PlayStation Portable von Sony in 2005 ist das Segment der Mobile-Games entstanden. Nokia ist mit seiner Produktreihe N-Gage in den Markt fiir Handyspiele eingestiegen. Hinsichtlich der Organisation der Wertschopfungskette wird auf die vertikale Integration von Spieleentwicklung und Konsolengeschaft (Abschnitt 11.2), die Vorintegration der Ent-wickler in die Eigenvermarktung (Abschnitt 11.3) und die Kombination von Filmproduktion und Spielentwicklung eingegangen (Abschnitt 11.4).

11.2 Vertikale Integration von Spielentwicklung und Konsolengeschaft

Im Bereich der Vermarktung von Videospielen im Konsolengeschaft herrscht eine partiel-

le vertikale Integration vor, bei der sich die drei Hardwareanbieter nur hinsichtlich der

Wertschopfungstiefe in den einzelnen Stufen unterscheiden: Die drei fuhrenden Anbieter

organisieren die Produktion der Hardwarekomponente, stellen durch Eigenentwicklung

und Einlizensierung eine attraktive und zu ihrer Hardware kompatible Spielesammlung

zusammen und vermarkten Soft- und Hardware als integrierte Konsole. "^^ Sony als Elekt-

Vgl. C. Reischauer, M. C. Schneider, „Sch6ner, schneller, bunter", S. 63, in: Capital, 25/2005, S. 62-65. ^ ° Zum Markt fijr Spielekonsolen vgl. „Sony gets personal", in: A/eivsivee/c, November 2001, S. 50-57, und S. Finsterbusch, "Spielen ohne Grenzen", in: FAZ, 18.12.2004.

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ronik- und Medienunternehmen (Columbia, MGM) hat den hochsten Anteil in der Wert-

schdpfungsstufe Stoffentwicklung; Nintento durfte den hochsten Eigenanteil in der Soft-

wareentwicklung aufweisen. Sony und Microsoft haben sich zum Groliteii auf die Vergabe

von Lizenzen konzentriert. Der uberwiegende Anteil der Spiele wird von unabhangigen

Spielentwicklern geliefert, die mit mehreren Anbietern von Konsolen zusammenarbeiten.

Zur Starkung der eigenen Position werden teilweise Entwickler aufgekauft.

Zur Differenzierung ihres Angebots haben die Konsolenanbieter Lizenzen von Comlc-

Verlagen erworben, deren Figuren als Protagonisten in den Spielen zum Einsatz kom-

men. Die Figuren bzw. die Rechte fur deren Nutzung in Videospielen werden entweder

von der eigenen Entwickiungsabteilung genutzt oder an unabhangige Spieientwickler

vergeben, um spezielle Anwendungen fiir die nachste Konsolengeneration zu entwickein

(Abblldung41).

Abbildung 41: Wertschopfungskette fur die Entwicklung und Vermarktung von Spie-lekonsolen und Abdeckung durch die fuhrenden Konsolenanbieter.

Fallbeispiel: Microsoft's integration in die Spieleentwicklung Microsoft hat 2006 den britischen Spieleentwickler Lionhead ubernommen, der die Rollenspiele Black&White und Fable entwickelt hatte. Die Spiele wurden ursprunglich an alle Konsolenbetrei-ber lizensiert; seit der Ubernahme produziert Lionhead exklusiv fur die Xbox. Fable war zuvor das erfolgreichste Spiel auf der Xbox. Zusatzlich hat sich Microsoft wie auch andere Konsolenanbieter exklusiv die Rechte an Stoffen fiir die Ven/vertung in Videospielen gesichert, z. B. an den Figuren des Comic-Verlags Marvel {Spider-Man); Sony hat die Onlinespiel-Rechte des Comic-Verlags DC {Superman, Batman) gekauft.

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Bezuglich der Motive der vertikalen Integration von Entwicklung und Konsolengeschaft muss aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage zwischen Sony und Nintendo auf der einen und Microsoft auf der anderen Seite unterschieden werden. Eine Senkung der Ko-ordinationskosten zwischen den Wertschopfungsstufen kann ausgeschlossen bzw. ver-nachlassigt werden. Bei Nintendo und Sony ist eine gegenseitige Unterstutzung beider Geschafte zu unterstellen. Das Hardwaregeschaft sichert einen zentralen Vertriebskanal fur Videospiele und erfShrt reziprok durch ein teilweise exklusives Portfolio an Applikatio-nen eine Absatzpromotion. Sony nutzt sein Konsolengeschaft zudem auch, urn den prop-rietaren Blu-ray-Standard fiir DVDs zu unterstutzen, der mit dem rivalisierenden HD-DVD Format konkurriert.

Microsoft betreibt hingegen Softwareentwicklung als Kerngeschaft und ist dadurch in ei-ner bevorteilten Position. Der spate Einstieg in den Markt fur Videospiele 2001 stellt ei-nerseits eine Wachstumsoption, ist jedoch aufgrund der begrenzten Rentabilitat und ver-gleichsweise langen Aniauffinanzierung eher als Bruckenkopf in angrenzende Software-markte zu sehen. Bei zunehmender Entwicklung von VIdeospielen und der absehbaren Infiltration anderer Endgerate und Hardwaremodule wiirde Microsoft langfristig sein Kern­geschaft gefahrden oder Entwicklungen verpassen, falls man Sony und Nintendo das Feld kampflos uberlieRe.

Das Hardwaregeschaft ist als erforderliche Komponente zur Sicherung Kerngeschaftes Softwareentwicklung einzustufen: Microsoft engagiert sich nach eigenem Selbstverstand-nis nicht im Hardwaregeschaft, so Steve Ballmer, der CEO von Microsoft, „aber hier und da, wo es sinnvoll ist, wird Microsoft auch eigene Gerate bauen. [...] Microsoft sei bereit, Hardware zu verkaufen, wenn Hardware notig dafur ist, um Software zu verkaufen".^"^^

Fallbeispiel: Microsoft's Einstieg in den Markt fur Werbung in Videospielen Microsoft hat 2006 das Unternehmen Massive ubernommen, das sich auf die Platzierung von Werbung in elektronischen Spielen spezialisiert und zuvor fiir die Spielentwickler THQ und Ko-nami Werbemodule in Spiele integriert hatte. Werbung in Videospielen war technisch zunachst auf die feste Platzierung eines Werbemoduls angewlesen, analog zu einem klassischen Product Placement in einem Spielfilm. In einem zweiten Schritt hatten spezialisierte Unternehmen wie u.a. Massive und Ingame sich abwechselnde Werbebilder - ahnlich dem Banderolenwechsel wahrend einer Sportveranstaltung - in elektronische Spiele integriert. Eine Platzierung der Werbeblocke erfolgt z. B. uber die in dem Spiel gezeigten Getrankedosen oder die Fahrzeugfabrikate der Pro-tagonisten. Die Werbung kann permanent angepasst und auf Marktentwicklungen reagieren, so-fern die Spiele online gespielt werden. Die Werbung in Videospielen richtet sich an jungere Kun-denschichten, die uber traditionelle Werbeflachen Immer weniger zu erreichen sind. Zu den Kun-den von Massive gehoren u.a. Coca Cola und Honda. °

Vgl. ..Microsoft pruft Ausbau des Hardwaregeschafts", in: Handelsblatt, 28.4.2006; und „Way beyond the PC", in: The Economist, 26.11.2005, S. 79-81. ^ ° Vgl. „Microsoft lasst sich Google-Angriff etwas kosten". in: Handelsblatt, 5.5.2006, und A. Ohier. „Neue Wege fiir Reklame in Videospielen". in: FTD, 30.12.2004.

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11.3 Vorintegration der Entwickier in die Direktvermarktung

Die Entwickier haben die Vermarktung bzw. den Vertrieb ihrer Spiele traditionell uber Ab-

satzmittler abgewickelt. Hierunter fallt der stationare Einzelhandel mit dem Verleih und

Verkauf von Softwaretragern, die Konsolenanbieter bei direkt aufgespielten Versionen

und zu einem noch geringen Anteil die Mobilfunkanbieter im mobilen Spielemarkt Das

Internet bietet mit seinen geringen Eintrittshurden zum ersten mal die Option zur Eigen-

vermarktung, da sich die Spieler unmittelbar uber ihren Computer auf der Homepage des

Entwicklers einloggen konnen. Der Trend wird durch die zunehmende RechnerkapazitSit

der Computer unterstutzt. Ein Teil der Anbieter von elektronischen Spielen nutzt diese

Moglichkeit und hat seine Vertriebsaktivitaten durch Aufbau einer eigenen Onlineplattform

erganzt.

Die vertikale Integration von Entwicklung und Einzelhandel 1st in der Regel als partielle

vertikale Integration konzipiert, da es fur einen Entwickier nicht klug ware, auf die indirek-

ten Absatzwege und insbesondere die Promotion der Konsolenanbieter vollstandig zu

verzichten. Eine unmittelbare Konfrontation gegenuber den Konsolenanbietern ist auch

nicht gegeben, da fur jedes einzelne Spiel im Prinzip eine individuelle Marketingstrategie

gewahit werden kann: Die Eigenvermarktung einiger Spiele uber die Internetplattform

schlieBt die exklusive LIzensierung anderer Spiele an einen Konsolenanbieter nicht aus.

Insofern kann die Dualitat beider Vertriebskanale als eine sinnvolle Kombination und

Wachstumsoption eingestuft werden. Die Senkung der Koordinationskosten kann als

Treiber ausgeschlossen werden. Die strategische Begrundung der eigenen Vertriebsakti­

vitaten rekurriert neben den Zusatzeinnahmen nicht zuletzt auf die Starke der Verhand-

lungsposition gegenuber den Konsolenanbietern.

Fallbeispiel: Direktvermarktung bei Electronic Arts In 2002 hat Electronic Arts die Funktionen seiner Internetplattfonn ea.com enveitert und mit eini-gen Spielen die Direktvermarktung gestartet. So wird auf der Plattform das Rollenspiel Die Sims angeboten. Das GeschSftsmodell sieht vor, dass ein Spieler fur 10 Dollar das Recht erhalt, das Spielangebot fur einen Monat nutzen zu konnen. Die Akzeptanz und Nutzungsfrequenz war aller-dings zunachst begrenzt. Electronic Arts verfolgt eine mittel- bis langfristige Perspektive und er-wartet perspektivisch positive Deckungsbeitrage aus dem Onlineanhebot. ^^

11.4 Kombination von Fiimproduktion und Videospielen In Bezug auf die Stoffentwicklung in der Fiimproduktion und der Entwicklung von elektro­

nischen Spielen zeichnet eine Konvergenz ab. Filmfiguren stellen in vielen Fallen eine

geeignete thematische Grundlage fur die Gestaltung von Videospielen dar. Die auf Film-

themen aufsetzenden Rollenspiele bilden den filmlschen Handlungsstrang des Protago-

nisten nach. In Ausnahmefallen konnen auch reziprok Videospiele die Vorlage zu Spiel-

filmen geben, z. B. Lara Croft: Tomb Raider Fur Halo, das erfolgreichste Spiel auf der

Xbox, ist ebenfalls eine Verfilmung geplant. Mittel- bis langfristig ist davon auszugehen,

dass die opportunistische Verwertung von Filmthemen in Videospielen durch eine stan-

Vgl. hierzu L. Jensen, „Das Spiel geht weiter", in: brand eins, 04/2003. S. 46-50.

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dardisierte Parallelentwicklung abgelost wird: Das Filmstudio wjrd sich nicht mehr aus-

schliefilich an der Verwertung seines Produktes als Spielfilm orientieren, sondern ein

Portfolio von Filnfiszenen erstellen, mit denen dann nach Auswahl und Konfibination der

Module verschiedene Vertriebskanale, u.a. auch elektronische Spiele, bed lent werden.

Der Groliteil der Filmstudios bzw. der Medienunternehmen hat sich berelts eine Position

im Markt fur Computerspiele gesichert, entweder durch Akquisition Oder den internen

Aufbau einer Abtellung. So hat der Medienkonzern Viacom uber 50% der Antelle an dem

Spielentwickler Midway Games enA/orben; Time Warner hat mit Warner Brothers Games

eine eigene Gesellschaft fur Videospiele gegriindet und den Entwickler Avalanche uber-

nommen. Vivendi hat seine Aktivitaten in diesem Bereich in Vivendi Universal Games ge-

bundelt und 2006 den Entwickler High Moon Studios ubernommen. Mit World ofWarcraft

betreibt Vivendi Universal Games eine der erfolgreichsten Online-Spielplattformen. Syn-

ergien in der Stoffentwicklung fur Spielfilme und Videospiele sind nicht zuletzt bei Sony

gegeben. Das Unternehmen besitzt in beiden Segmenten eine starke Position.^^^

Fallbeispiel: Disney's Einstieg in den Markt fur Videospiele Nach dem Fuhrungswechsel von Michael Eisner zu Bob Iger hatte sich Disney 2006 entschlos-sen, forciert in das Geschaft mit Videospielen einzusteigen. Die bestehende Tochterfirma Bueno Vista Games wurde durch Akquisition von Mr. Goodliving, einen Anbieter von elektronischen Handyspielen, waiter gestarkt. Die Vermarktung des Themenfundus an Filmfiguren und Fernseh-serlen in Videospielen soil zukunftig als Wachstumsoption intern entwickelt werden, um die schrumpfenden Umsatze mit Comic-Heften zu kompensieren. Entsprechend fiihrt Bob Iger aus: „Statt wie fruher nur Lizenzen zu vergeben, wollen wir uns in Zukunft starker zum Produzenten entwickein [...] Wir uberlegen, ob wir Serien wie Desperate Housewives als Videospiele auf den Markt bringen".^"

Eine Kombination von Filmproduktion und Spieleentwicklung erscheint aus strategischer

Sicht gerechtfertigt. Zunachst einmal ist der Aufbau begrenzter Entwicklungskapazitaten

fur Videospiele nur mit mittleren Investitionen verbunden. Die Videospiele der internen

Entwicklungsabteilung nutzen Motive der eigenen Filme und adressieren einen wachsen-

den Markt. Anstatt durch Lizenzvergabe nur unterdurchschnittlich an einem wachsenden

Markt zu partizipieren, ermoglich der Aufbau interner Entwicklungsaktivitaten die eigen-

standige Nutzung der Geschaftspotentiale. So hatte Electronic Arts u.a. noch die Spielfil­

me Star Wars, Indiana Jones, Harry Potter und ein iger James Bond-Folgen in Absprache

mit den Medienunternehmen in Videospiele ubersetzt. Zukunftig werden die internen Ab-

teilungen der Medienkonzeme mit den freien Entwicklern um die Inhalte konkurrieren.

Den Medienunternehmen kommt hierbei durch ihre Kontrolle der Inhalte und Stoffe eine

Gatekeeper-Funktion zu, die gegenuber unabhangigen Entwicklern einen nachhaltigen

Vorteil bedeutet.

Vgl. ..Hollywood entdeckt das Geschaft mit Videospielen", in: FAZ, 22.5.2005, und M. C. Schneider, ,.Kampf urns Wohnzimmer*. in: Capital, 18/2004, S. 46-48. ^" Vgl. Handelsblatt, ,.Disney greift im Videospielemarkt an", 22.5.2006.

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Page 231: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

11.5 Zusammenfassung

Die Wertschopfungskette fur Videospiele stellt in Bezug auf die organisatorische Gestal-

tung ein interessantes Beispiel dar, weil Grblienvorteilen in den Stufen Stoffentwicklung,

Spieleentwicklung und Rechtehandel nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu-

kommt. Insofern kann die Integration oder Entkopplung von Wertschopfungsstufen primSr

unter strategischen Gesichtspunkten erfolgen. Hierin unterscheidet sich die Branche fur

Videospiele - wie auch bei medialen Informationsprodukten - prinzipiell von der Connpu-

ter- Oder Automobilindustrie, in denen Grodenvorteile bei horizontaler Integration die stra­

tegischen Optionen der Organisation der Wertschopfungskette stark einschranken.

Vor dem Hintergrund der Limitation attraktiver Stoffe ist eine partielle vertikale Integration

von Stoffentwicklung und nachgelagerten Wertschopfungsstufen aus strategischer SIcht

sinnvoll. Dies gilt sowohl fur die Hersteller, als auch die Produzenten von Hardware. Die

Filmstudios buw. Medienunternehmen sind als Zulieferer der Spieleentwickler pradesti-

niert, da sich die Stoffentwicklung quasi im Kontext ihres Kerngeschaftes ergibt. Erfolgrel-

che Filmfiguren konnen in der Regel auch in Videospielen vermarktet werden. Die gerin-

gen Eintrittshiirden und die hohe Kompetenz in der Unterhaltungsindustrie favorisieren

jedoch die Vorintegration gegenuber der Lizenzvergabe.

Die Spieleentwickler sind nicht prinzipiell auf eine eigene Position im Hardwaregeschaft,

sei es bei Computern, Konsolen oder Smartphones, angewiesen. Eine hinreichende Ver-

triebspromotion kann in der Regel auch durch Lizensierung bzw. eine Kooperation mit

Konsolenanbietern und Portalbetreibern erreicht werden. Die Entwickler sollten aus ver-

handlungstaktischen Grunden jedoch Immer auch eine begrenzte Eigenvermarktung

betreiben, um nicht vollstandig von der Vertriebspromotion der Hardwareanbieter abhSn-

gig zu sein. Da je nach Spiel eine Eigenvermarktung erwogen oder eine Lizenz vergeben

werden kann sind beide Vertriebskanale nicht kompetetiv, sondern komplementar zu se-

hen.

Aus Sicht der Konsolenanbieter ist eine begrenzte Aktivitat in der Wertschbpfungsstufe

Spieleentwicklung sinnvoll, um zumindest bei einem Teil der Spiele von einer exklusiven

Vermarktung zu profitieren. Hierbei wird sich hoch herausstellen, inwieweit der Marktan-

teil einer Konsole zukunfig noch von der Attraktivitat der kompatiblen Spiele abhangt.

217

Page 232: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

12. Wertschopfungskette Musik

12.1 Darstellung der Wertschopfungskette Die Entstehung der Musikindustrie verdankt sich der Einfuhrung der technischen Repro-

duktion von Musik durch TontrSger und Abspielgerate. Hierdurch wurde der Konsum von

Musik unabhangig von der Beiwohnung einer Auffuhrung und mit dem Verkauf von Ton-

trSgern ein neues Marktpotenzial erschlossen. Der unmittelbare Konsum ohne Vermitt-

lung ijber Aufzeichnungstechniken ist seitdem nicht in den Hintergrund getreten, hat je-

doch sein „Vertriebsmonopol" weitestgehend eingebuRt. Formal wurde eine Dienstleis-

tung in ein Informationsprodukt umgewandelt. In diesem Kapitel wird ausschlieSlich das

Marktsegment Popmusik besprochen.

Die Wertschopfungskette setzt mit der Stoffentwicklung ein, die entweder von speziali-

sierten Autoren (Text) und Komponisten (Noten) erbracht Oder von den Kunstlern in Ei-

genleistung ausgefuhrt wird. Die fur die Medienbranche iibliche Trennung von kreativer

Stoffentwicklung, Vermarktung und Vertrieb findet sich in modifizierter Form auch in der

Musikindustrie (Abbildung 42).

Abbiidung 42: Wertschopfungskette der Musikindustrie mit verschiedenen Anbie-termodellen. Ohne Beriicksichtigung derZweitverwertung.^^^

Das Verlagsgeschaft besteht in der Einllzensierung von Texten und Kompositionen und deren anschlieliender Vermarktung. Da heute die Kunstler ihre Songs zu einem nicht un-erheblichen Teil selber schreiben, hat die Macht der Verleger insgesamt abgenommen. Bis in die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatten die Verleger die meisten

Zur Darstellung der Wertschopfungskette der Musikindustrie vergleiche W. Buhse, Wettbewerbsstrate-gien im Umfeld von Darknet und Digital Rights Management, Wiesbaden 2004, S. 25.

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Page 233: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Songwriter unter Vertrag und kontrollierten damit grolie Teile der Wertschopfungskette. Das Verlagsgeschaft wird von den Musikunternehmen mit abgedeckt, aber auch durch unabhangige, kleinere Verleger mitbestimmt. Ein Teil der Komponisten ubernimmt das Verlagsgeschaft auch in eigener Regie. Genauso kann sich der Kunstler mit seinen eige-nen Songs selbst verlegen, insbesondere bei Titein, die fui fremde Aufnahmen nicht ge-eignet sind. ^

Die Aufnahme erfolgt ubiicherweise in einem Tonstudio. Die Kosten fur die Erstellung des sogenannten ..Masterbands" sind deutlich gesunken und stellen fur die Kunstler bei einer Eigenvermarktung kaum noch eine Eintrittshurde dar.

Daran schlieRen sich in der Wertschopfungskette die Stufen Selektion, Finanzierung und Promotion an, die von den Musikunternehmen (Big Labels) Oder Plattenflrmen abgedeckt werden. Etwa drei Viertel des globalen Marktes werden von vier Unternehmen kontrolliert: Universal Music, EMI Group, Warner Music Group und Bertelsmann Music Group (BMG) /Sony Music. ^^ Das verbleibende Viertel wird durch kleinere Unternehmen abgedeckt, die traditionell unabhangig von groflen Musikunternehmen im Markt agieren (Independent Labels). Ein GroBteil der Independent labels ist In den 80er und 90er Jahren von den Mu­sikunternehmen aufgekauft worden, u.a. auch die Ploniere Islands Records von Chris Blackwell (PolyGram/Philips, heute Universal Music) und Virgin Records von Richard Branson (heute EMI Group). Da viele Independent Labels heute auch ein eigenes Ver-triebssystem haben bzw. sich einem Big Label angeschlossen haben gibt es zwischen den belden Anbletertypen oft keine scharfe Grenze mehr.

Fur die Identifikation von Talenten sind in den Musikunternehmen die sogenannten A&R-Abteilungen (Artist & Repertoire) zustandig. Eine Kernkompetenz der Musikunternehmen liegt daruber hinhausgehend in der Finanzierung und Promotion von Kunstlern bzw. Mu-sikgruppen. Die Promotion besteht in der Organisation von Werbekampagnen, Auftritten im Fernsehen, der Sicherstellung einer Platzierung im Radio und Fachzeitschriften und ggf. dem Management einer Konzerttournee. Hierfur setzen die Musikunternehmen u.a. Promotoren ein, die versuchen fur ihre Newcomer Abspielkontingente bei den Radiosen-dern zu sichern. Ubiicherweise treten die Musikunternehmen bei der Entwicklung von Ta­lenten in Vorleistung und ubemehmen das unternehmerische Risiko, welches in der Re-gel durch langfristlge und exklusive Plattenvertrage kompensiert wird. Bei spateren Ver-kaufserfolgen erhalt das Musikunternehmen einen wesentlichen Anteil an den Eriosen. Ferner wird durch die Musikunternehmen - bezogen auf die traditionelle Wertschopfungs­kette - die Herstellung und Distribution der Tontrager organisiert, teilweise unter Einbe-zlehung eigener Presswerke und Zulieferer. Die Distribution erfolgt durch die angeschlos-senen Plattenflrmen der Musikunternehmen. Zur Abdeckung verschiedener Marktseg-mente Oder aufgrund von Akquisitionen operieren die Musikunternehmen in der Regel mit mehreren Plattenflrmen: BMG (Arista, RCA und Jive), EMI (Capitol und Virgin), Sony (Co-

Zum Veriagsgeschaft vgl. D. S. Passman, W. Herrmann, Alles, was Sie uberdas MusikBusiness wissen miissen, Stuttgart 2004, S. 206fg. ^ ^ Bertelsmann und Sony hatte ihre Musiksparten 2004 in dem Joint Venture Sony BMG Music Entertain­ment zusammengelegt. Das Verlagsgeschaft BMG Music ist bei Bertelsmann verblieben. Time Warner hat­te sein Musikgeschaft Wamer Music Group 2004 an eine Investorengruppe verkauft.

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Page 234: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

lumbia und Epic), Universal (Universal, Interscope, MCA, A&M, Geffen, Island Records/ Def Jam, Motown) und WEA (Warner Brothers, Elektra und Atlantic).^^^ Tontrager und Abspielgerate haben seit Entstehung der Musikindustrie mehrere Techno-logiesprunge durchlaufen: die Schellackplatte des Grammophons wurde durch die Vinyl-platte, in den 80er Jahren durch die CD (Compact Disk) und in den 90er Jahren durch die DVD ersetzt, die mit der Umstellung auf digltale Speicherung der Musikdaten eine Minia-turlslerung des Tontragers ermoglicht und eine Abnutzung vermeidet. Die Vlnyl-Langspielplatte ist heute nur noch auf ein sehr begrenztes Marktsegment von Liebhabern begrenzt. Das MP3-Format zur komprimierten Speicherung von Musik hat schlieSlich die Verwendung von Tontragern weitestgehend uberflussig gemacht und die Moglichkeiten der Weitergabe und Kopierung von Musik signifikant erweitert. Nach Substitution der Vi-nylplatte durch die CD sind die Musikunternehmen teilweise aus der Produktion der Ton­trager ausgestiegen.

Die Abspielgerate werden von der Industrie fur Unterhaltungselektronik hergestellt, die eine eigene Branche darstellt und - mit Ausnahme von Sony und Apple - von der Musik­industrie getrennt ist. Der Verkauf von Tontragern erfolgt durch den stationaren Einzel-handel (u.a. Elektrofachhandel, Kaufhauser, Fachgeschafte) und Musikclubs. Durch die Konzentration hat sich das Machtverhaltnis zu Gunsten des Einzelhandels verlagert. Ein Teil der Krise der Musikunternehmen erklart sich auch aus der schlechten Verhandlungs-position gegenuber den fuhrenden Einzelhandelsunternehmen, die ihre Einkaufsprelse fur Tontrager immer weiter senken konnten.

Im Internet haben sich ein Onllne-Einzelhandel und Tauschborsen etabliert, in denen der Nutzer bei Bereitstellung eigener Musikstiicke Titel von anderen Tauschpartnern herun-terladen kann. Aufgrund der anhaltenden Substitution des Tontragergeschaftes durch den teilweise illegalen Tausch von Musikstucken hatte zu Beginn des neuen Jahrtausends eine dramatische Erosion des Marktes eingesetzt. Die Rechtmaliigkeit der Tauschborsen ist aufgrund des mangelnden Schutzes von Urheberrechten von den Musikunternehmen in Frage gestellt worden und hat zu umfangrelchen juristischen Auseinandersetzungen gefuhrt. Digital Rights Management (DRM) hat sich mehr und mehr zu einer wichtigen Kompetenz der Musikunternehmen entwickelt.^^®

Fallbeispiel: Napster als Tauschbdrse fur MP3-Musikfiles Die Internettauschborse Napster war 1999 von Shawn Fanning gegrundet worden und arbeitete nach dam peer to peer-Prinzip: Die Tauschbdrse stellte eine reine Vermittlungs- und Kontaktbor-se ohne zentrale Speicherung der digitalen Musikdateien dar. Die Musikfiles konnten direkt von der Rechnerfestplatte eines Tauschpartners hemntergeladen werden. Napster fand schnell gro-(ien Zulauf und fuhrte fiir die Musikunternehmen zu einem dramatischen Einbruch im klassischen Tontr^gergeschaft, da nahezu jeder Song ohne grSUeren Aufwand und Entrichtung einer Gebuhr heruntergeladen werden konnte.

Vgl. D. S. Passman, W. Herrmann, Alles, was Sie uber das MusikBusiness wissen mussen, Stuttgart 2004. S. 61. ^ ° Vgl. M. Spielkamp, „Das radikale Vakuum", in: brand eins, 09/2004, S. 71-77, P. Lau, M. Spielkamp, „Guten Tag, auf Wiedersehen", in: brand eins, 02/2004, S. 32- 41, und W. Buhse, Wettbewerbsstrategien im Umfeld von Darknet und Digital Rights Management, Wiesbaden 2004.

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Page 235: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Qber die RechtmaRigkeit der Internettauschplattform wurden langwierige gerichtliche Auseinan-dersetzungen gefuhrt, die schliefilich dazu fuhrten, dass Napster die illegal angebotenen Musikti-tel uber einen zentralen Server aussortierte. Die Einschrankung des Angebots von Napster konn-te allerdings den Tausch Im Internet nicht unterblnden, da die Nutzer auf Plattformen wie Gnutella und Morpheus auswichen, die durch den Verzicht auf zentrale Steuerung und Netzwerkbetrieb ungleich schwieriger zu kontrollieren waren. In 2005 wurde die AttraktivitSt der Online-Tauschborsen durch ein Urteil gegen die Tauschborse Grokster stark eingeschrSnkt. Zum ersten mal wurden auch die Anbieter der entsprechenden Software fur Tauschborsen fur die grolitenteils illegale Nutzung ihrer Produkte mit in die Verantwortung genommen. Bertelsmann unter dem damaligen Vorsitzenden des Vorstandes, Thomas Middelhoff, ging 2000 eine Kooperation mit Napster ein und versuchte die anderen Musikunternehmen davon zu uber-zeugen, sich paritatisch an Napster zu beteiligen und die Onlinevertriebsrechte ihrer Musiktitel exkluslv an Napster zu vergeben. Dadurch schien die realistische Chance zu einer echten Alter­native zu den illegalen Tauschborsen gegeben. Aufgrund von Uneinigkeiten und rechtlicher De-tailfragen konnte allerdings keine Einigung erzlelt werden; Napster schaltete 2001 den zentralen Suchindex ab und meldete 2003 Konkurs an. Die Markenrechte wurden an den Softwareentwick-ler fur CD-Brenner Roxia verkauft, der daraufhin sein Softwaregeschsift abstiefi, sich in Napster umbenannte und in den Onlinehandel von Musikfiles einstieg. Seit 2004 wird unter dem Namen der ehemaligen Tauschbbrse ein Download-Service auf Abonnementbasis betrieben. ^®

Verschiedene Trends der vertikalen Integration innerhalb der Musikindustrie werden ana-lysiert. Hierbei wird auf die Komblnation von Hardware- und Musikgeschaft (Abschnitt 12.2), die Vorintegration der Kunstler in die Eigenfinanzierung (Abschnitt 12.3), die Uber-nahme der Promotion durch Fernsehsender (Abschnitt 12.4) sowie die entgeltliche Dele­gation der Newcomer-Selektion an die Fernsehzuschauer (Abschnitt 12.5) eingegangen. In den weiteren Abschnitten werden Aspekte der Verwertung und des Einzelhandels von Musik besprochen. Die Zweitverwertung wird aufgrund der Verlagsrechte durch die Mu­sikunternehmen kontrolliert, teilweise auch durch die Fernsehsender besetzt (Abschnitt 12.6). Der Vertrieb von Musikfiles im Internet hat in Teilbereichen zu einer vertikalen In­tegration von Musikgeschaft und Einzelhandel (Abschnitt 12.7) bzw. Hardwaregeschaft und Einzelhandel gefuhrt (Abschnitt 12.8). Zusatzlich kann das Internet von Kunstlern ais Marketinginstrument und direkten Vertriebskanal genutzt werden (Abschnitt 12.9).

12.2 Kombination von Hardware- und Musikgeschaft Im historischen Ruckblick zeigt sich in einigen Fallen die Kombination von Hardware- und

Musikgeschaft. Die vertikale Integration trifft insbesondere auf Sony, EMI und Philips bzw.

die Vorlauferunternehmen von Universal Music zu: Die Kernkompetenz von Sony liegt

allgemein der Entwicklung und Herstellung hochwertiger und miniaturisierter Unterhal-

tungselektronik. Ein GroRteil der innovativen Produkte, mit denen Sony oft eine neue

Produktgattung ins Leben gerufen hat, konnen auch als Abspielgerate fur Musiktitel die-

nen, wie z. B. das Transistorradio (1957), der Walkman (1979), der CD-Spieler (in Koope­

ration mit Philips), die MiniDisk (1991) und der HD3 (2004). Auch wenn die Geschafte in

Vgl. „Napster feiert seinen 500.000 Abonnenten", in: FTD, 18.1.2006.

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getrennten Sparten gemanagt werden, ist das Musikgeschaft in weiten Phasen strate-gisch als Inhaltlieferant und Zugpferd positioniert worden.

Das Engagement der Technologiefirma Thorn bei EMI, dessen Musikgeschaft u.a. aus dem Label Columbia Phonograph entstanden war, diente der Kontrolle von Musikinhal-ten, um das eigene Geschaft mit HiFi-Anlagen zu unterstutzen. Philips hatte 1979 den Vorlaufer der CD entwickelt und war mit Sony eine Kooperation eingegangen, um das Tontragersystem gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Musiker und Bands des eigenen Musikverlaggeschaftes PolyGram, die 1972 u.a. aus den Labels Pho­nogram, Mercury und Deutsche Grammophon hervorgegangen war, wurden als An-triebsmotor fur den Absatz von CD-Spielern und die Vennarktung und Lizensierung der CD-Technologie gesehen. Spater wurden noch die Labels A&M, Motown und Def Jam integriert, bis schlielilich 1998 Philips die PolyGram mit dem Musikgeschaft von Universal fusionierte.

Vor dem Hintergrund der Kombination zweier Geschafte stellt sich die Frage, welche Synergien zwischen beiden Bereichen erschlossen werden konnen. Die Idee einer verti-kalen Integration von Musik- und Hardwaregeschaft ist insgesamt eher fraglich. Kosten-einsparungen, die nur im Rahmen einer vertikalen Integration zu realisieren sind, sind in erster NSherung auszuschlieflen, wie auch die Differenz der Management- und Transak-tionskosten vernachlassigt werden kann.

Deshalb konnen die Vorteile in erster Linie nur aus einer gegenseitlgen Unterstutzung der Geschafte erwachsen. Eine nennenswerte Ankurbelung des Hardwaregeschaftes setzt voraus, dass der Musikkonsum durch die eigenen Musikverlage nachhaltig gefordert bzw. die Nachfrage insgesamt gesteigert wird. Dies ist gerade in dem durch Kreativitat und Unplanbarkeit geprSgten Musikgeschaft wenig wahrscheinlich. Der Anzahl popularer Kunstler und Bands sind durch die Aufnahmekapazitat des Marktes Grenzen gesetzt. Ferner fuhrt eine VergroBerung des Angebotes in erster Linie zu einer hoheren Auslas-tung der Abspielgerate, erst in zweiter Linie zu einer Neuanschaffung. Das Musikgeschaft kann reziprok sicherlich durch ein innovatives Hardwaregeschaft, wie z. B. die Einfuhrung einer neuen Tontragergeneration, unterstutzt werden. Entsprechende Technologiesprunge sIch jedoch kaum planbar. In einer solchen Konstellation ware es vermutlich auch nicht sinnvoll, ein solches System nur fur die Aufnahmen der mit dem ei­genen Musikverlag kooperierenden Kunstler einzusetzen. Eine Kombination beider Ge­schafte kann aber die Durchsetzung des eigenen Standards unterstutzen.

12.3 Vorintegration der Kunstler in die Finanzierung

Die Finanzierung von Newcomern stellt herkommlich eine Kernkompetenz der Musikun-

ternehmen dar. Da die Entwicklung bis zur Mainstream-Gruppe bzw. zum Musikstar in

der Regel eine langere Aniaufszeit erfordert und erst nach mehreren Alben die Gewinn-

schwelle durchbrochen wird, sind die Kunstler generell auf eine Fremdfinanzierung an-

gewiesen. Diese ubernehmen die Musikunternehmen, die nach Auswahl mit den erfolg-

trSchtigsten Newcomern einen langjahrigen bzw. lebenslangen Kunstlervertrag abschlie-

lien. Ein Standardvertrag mit einem Big Label sieht vor, dass die Musikunternehmen die

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Page 237: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Kosten fur die Aufnahme, die Promotion, die Herstellung und Distribution von TontrSgern ubernehmen und dafur im Gegenzug einen wesentlichen Anteil der Ven/vertungsrechte bekommen. Hierbei wird von den Musikunternehmen mit einer Mischkalkulation gearbei-tet, da nur etwa 20% der Newcomer letztlich den Durchbruch schaffen und mit deren Ein-spielerldsen die Promotion der erfolglosen Kandidaten mitfinanziertwird. Inzwischen ist die Abhangigkeit der Kunstler und Bands von den Musikunternehmen deutlich zuruckgegangen. Dies hangt einerseits mit den gesunkenen Kosten fur eine Auf­nahme und die Erstellung des Masterbands zusammen. Weiterhin haben sich durch die erieichterte Verbreitung und den Verkauf von Titein im Internet die Moglichkeiten einer Eigenvermarktung verbessert. Die Musikunternehmen verfugen auf der anderen Seite aufgrund illegaler Konkurrenzangebote und der damit einhergehenden Erosion des Mark-tes nicht mehr uber die finanzielle Ausstattung, um eine GroSzahl von Talenten bis zum Durchbruch fordern zu konnen.

Wahrend sich der Musiker bzw. Kunstler im traditionellen TontrSgergeschSft der groBen Nachfragemacht der Musikunternehmen ausgesetzt sah und eine eher schlechte Ver-handlungsposition hatte, verspricht die Eigenvermarktung eine ungleich hohere Gewinn-beteiligung. Insofern ist es nicht ven /underlich, dass sich seit den 90er Jahren teilweise ein „Bandubernahmevertrag" durchgesetzt hat, der den Musikunternehmen nur noch die Verwertungsrechte fur ein bestimmtes Band zugesteht, die Rechte moglicher Folgealben jedoch bei dem Musiker bzw. dem Kunstler verbleiben. Die Musikunternehmen sind bei Ubernahme der Eigenfinanzierung durch die Kunstler in die unternehmerische Verantwor-tung fur einzelne Plattenprojekte einbezogen und laufen Gefahr, fur die etablierten Stars nur noch Dienstleister fiir die Organisation von Auftritten oder die Herstellung und Vertei-lung von Tontragern zu sein. Das Dienstleistungsgeschaft verheIRt eine gewlsse Stetig-keit und Planbarkeit gegenuber der Vorfinanzierung unbekannter Newcomer, begrenzt aber gleichzeitig das Gewinnpotenzial durch ausbleibende Umsatzbeteiligung an den TontragerverkSufen der Topstars.

Fallbeispiel: Eigenfinanzierung der Musikgruppe Die Toten Hosen Die deutsche Band Die Toten Hosen grundete 1995 mit ihrem Manager Jochen Mulder ihre eige-ne Plattenfirma JKP (Jochens kleine Plattenfirma). Das elgene Label managte die Aufnahme des Masterbandes, die Herstellung der Tontrager, des Musikvideos und die Promotion in den Medlen. Nur der Vertrieb der TontrSger wurde im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages mit der FIrma eastwest, einem Tochterunternehmen von Warner Deutschland, abgewickelt. Die vollstandigen VenA/ertungsrechte sind dadurch bei der Gruppe Die Toten Hosen verblieben, der Gewinn des Musikunternehmens war auf die Marge Im Dienstleistungsgeschaft reduziert. Die Finanzierung konnte von Die Toten Hosen maflgeblich durch einen Vorschuss von eastwest auf die zu enwar-tenden Umsatze gewShrleistet werden. Von dem ersten Album Opium furs Voik im Rahmen des Bandubemahmevertrages wurden mehr als 1 Mio. TontrSger verkauft. ®°

Seitdem haben viele Bands ihre Finanzierung umgestellt und eine groliere unternehmeri­sche Verantwortung bei der Vermarktung ihrer Musik ubernommen. Sowohl Herbert Gr6-

^ Vgl. T. Renner, Kinder, Der Tod ist garnictit so schlimm!, Frankfurt 2004, S. 110-112.

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nemeyer, als auch Die Arzte, Die Phantastischen Vier und Xavier Naidoo haben eigene Plattenfirmen gegrundet und beziehen die Musikunternehmen fur den Vertrieb den Ton-trSger ein. Teilweise einigen sich die Musiker mit den Musikunternehmen auf eine Joint Venture-Vereinbarung, urn beide Parteien anteilig an dem Risiko und dem Gewinnpoten-zial zu beteiligen. ®^ Eine andere Option kann darin bestehen, wenn sich Musikgruppen und Bands die Pro-duktion ihres nSchsten Albums von ihrer Fangemelnde finanzieren lassen. Diese Art der Risikoubemahme der Produktion setzt allerdings eine existierende und hinreichend gro(^e Fangemeinde voraus.

Fatlbeispiel: Finanzierung der Aufnahme bei EinstUrzende Neubauten Die deutsche Popgnjppe Einsturzende Neubauten hatte im Kontext der neuen deutschen Welle in den 80er Jahren PopularitSt gewonnen und kann sich auf eine feste Fangemeinde verlassen. Fur die Finanzierung einer neuen CD wurde eine ungewohnliche Vereinbarung mit der Fangemeinde getroffen: fur 35 Euro Vorschuss zur Finanzierung des Projektes durfte man der Probe und der Aufnahme beiwohnen und bekam nach Abschluss eine limitierte DVD und eine CD, die im Handel nicht erhSltlich sind. Die Gruppe hatte sich durch eine restriktive Vertragsstrategle die Option der spSteren Eigenvemiarktung unter eigenem Label offen gehalten. Ubiichen/veise unterliegen Bands mit hoher PopularitSt allerdings einer langfristigen vertraglichen Bindung, die zur Finanzie­rung der Anfangsphase eingegangen werden mussten.^

Das Finanzierungsmodell der Gruppe Einsturzende Neubauten durfte jedoch insgesamt eine Ausnahme bleiben. Hierbei darf der Promotionsaufwand und die Bedeutung der Werbung fur den Erfolg eines Musiktitels bzw. einer Band nicht unterschatzt werden. Das Modell der Eigenfmanzierung eignet sich vornehmlich fur Folgealben der etablierten Stars, weniger fur Newcomer in der fruhen Phase ihrer musikalischen Entwicklung.

12.4 Ubernahme der Promotion durch TV-Sender Die Promotion von Newcomern bedient sich verschledener Medlen, in denen die Newco­

mer positioniert werden und sich eine emotionale Beziehung zu den Zuschauern aufbau-

en kann. Aufgrund seiner Reichweite kommt dem audiovisuellen Fernsehen eine heraus-

ragende Bedeutung zu, da der Newcomer nicht nur wie im Radio mit seiner Stimme, son-

dern als Personlichkeit dargestellt werden kann. Bei dieser Konstellation 1st es nahelie-

gend, wenn sich die Fernsehsender als Musikunternehmer engagieren und gezielt bei der

Promotion derjenlgen Newcomer mitwirken, an deren potenziellen Verwertungsrechten

sie maUgeblich mitverdienen. Die vertikale Integration von Newcomer-Auswahl, Finanzie­

rung und medialer TV-Promotion entspricht formal der Ruckintegration eines

Dienstlelsters in das Kerngeschaft seines fruheren Auftraggebers, dem Musikunterneh­

men.

^^ Vgl. „Face Cool", in: The Economist, 6.5.2006, S. 74. ^^ Vgl. P. Lau, M. Spielkamp, „Guten Tag, auf Wiedersehen", S. 36, in: brand eins, 02/04, S. 32-41.

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Fallbeispiel: Die No Angels ais Musikband aus der Retorte Das Konzept der TV-Castingshow stammt urspriinglich aus Neuseeland und wurde von dem TV-Produzenten Holger Roost-Macias fur seine Firma Tresor als Lizenz fur den deutschen Markt er-worben. In Kooperation mit dem privaten Fernsehsender RTL2 wurde schlieBlich nach mehreren Castings-Shows eine Gmppe aus funf MSdchen, die No Angels, zu den Gewlnnern gekurt. Die in Folge eingespielten Titel erzielten sehr hohe Absatzzahlen, von denen neben dem eingebunde-nen Musikunternehmen Polydor (Universal) insbesondere die Firma Tresor profitierte. Neben dem TontrSgergeschSft wurden insbesondere mit Konzerten und Werbeeinnahmen hohe UmsStze er-zielt."^^

Die Ausdehnung der Wertschopfung der Fernsehsender ist vor dem Hintergrund der ver-^nderten Mdglichkeiten zur Hervorbringung von Stars zu sehen, durch welche die Ein-trittshurden in die Wertschopfungsstufe Selektion und Finanzierung, und damit auch das Musikgeschaft, deutlich herabgesetzt worden sind. Die Erfolgsfaktoren fur die Vernnark-tung von Musik haben sich gewandelt. In den SOer und 60er Jahren waren noch die Buh-nenperformance des Sangers bzw. der Band ein Ausschlag gebender Faktor. Der typi-sche Musikstar in den 60er und 70er Jahren hatte eine authentische Ausstrahlung, die uber Jahre hinweg nnuhsam aufgebaut worden war. Viele standen fur Rebellion gegen die etabllerte Welt der Erwachsenen und verkorperten mit ihrem individuellen und ausschwei-fenden Lebensstil die Abgrenzung zum Bestehenden. Nach Identifikation der Jugendli-chen mit ihren Stars war eine Kundengruppe nachhaltig erschlossen und ein MJndestab-satz der Folgealben und Konzertauftritte sichergestellt.

Dieser Typ des langsam aufgebauten Popstars hat sich nicht stillschweigend verabschie-det, ist jedoch von dem Typus des plakativen, teilweise kunstlichen Medienstars ergSnzt worden. Das eigentliche kunstlerische Talent bzw. die Begabung des Kunstlers hat im Medienzeitalter durch die Mdglichkeit der technischen Muslkproduktion an Bedeutung eingebulit. Bel den Musikstars aus der Retorte steht nicht die langfristige Musikkarriere, sondern das schnelle Geld im Vordergrund.

Ebenso stellt die Instrumentelle Produktion von Musik keine nennenswerte Eintrittshurde mehr dar. Anstelle der muhsamen Aneignung zur Beherrschung eines Instruments kann heute ein am Keyboard bzw. Synthesizer krelerter Titel bei entsprechender Nachfrage und Promotion zum Hit werden, ohne das noch ein Interpret involviert ware. Teilweise dient der Buhnenauftritt bei weniger bekannten Bands primar als Kulisse und Inszenie-rung fur die Aufnahme eines Musikvideos.

12.5 Entgeltliche Delegation der Newcomer-Selektion Eine weitere Verschiebung der Rollen hat sich durch das Aufkommen von interaktiven

„Mitmachshows" ergeben. Das wachsende Gesch^ft mit Mitmachshows ist vornehmlich

von den etablierten Fernsehsendern vereinnahmt worden, die fur ihre SendeplStze ent-

sprechende Programme entwickelt haben. Bei einer interaktiven Fernsehsendung erzielt

der Fernsehsender einen Teil seiner Einnahmen nicht primer durch eine monatliche

Grundgebuhr (Bezahlsender) Oder Werbeeinnahmen, sondern aus den Telefongebuhren

^ Vgl. hierzu T. Renner, Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm, Frankfurt 2004, S. 182-184.

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der Zuschauer. Das Programm blendet die Telefonnummer einer Servicehotline ein; fur jeden Anruf fallt neben dem ubiichen Verbindungsentgelt fiir den Telekommunikationsan-bieter eine zusatzliche Gebuhr fur den Sender an. Die Zielsetzung der Moderation be-steht allein darin, u.a. durch Verlosung von Preisen oder der Vermittlung von Teilnahme-platzen moglichst viele Zuschauer dazu zu animieren, sich an der Mitmachshow zu betei-ligen und die Servicenummer anzuwShlen.

Die Besetzung des Geschaftsfeldes der Mitmachshows durch die Fernsehsender ist maSgeblich in der Kontrolle der Sendepiatze und der Entwickiungskonfipetenz fur interak-tive Programme begrundet. Fur die Vereinnahmung der innovativen Einnahmequelle wa-ren die heutigen Sender in der besten Startposition. Entweder sind bestehende Sendun-gen durch Call In-Module erganzt worden (z. B. Gewinnspiele und Umfragen in Nachrich-ten- Oder Sportsendungen), oder neue Sendeplatze bzw. Formate aufgebaut worden, wie z. B. NeunLivederProSiebenSat.1 Media-Gruppe.

Nach der ersten „embryonalen" Phase des Marktes fur Transaktionsfernsehen versuchen jetzt auch vermehrt branchenfremde Anbieter, die Wertschopfungsstufe interaktives Fernsehen zu besetzen. Hierzu zShlen einerseits Telefonanbieter bzw. Technikanbieter. Diese versuchen ihre Austauschbarkeit durch die Fernsehsender zu umgehen, indem ei-gene Sendeformate entwickelt und die Kontrolle uber einzelne Sendeplatze bzw. Ver-triebskanale iibernommen wird. Ferner bauen Einzelhandler und Reiseanbieter das Fern­sehen als weiteren Absatzkanal aus. Letztlich wird fiir die Verteilung der Marktanteile bzw. Einschaltquoten der Mitmachshows entscheidend sein, wer die attraktivsten Forma­te entwickelt und die erfolgreichsten Moderatoren an sich bindet. ®^ In der Musikbranche ist das Konzept der interaktiven Mitmachshow aufgegriffen worden, um die Newcomerauswahl, eine genuine Aufgabe der Musikunternehmen (A&R-Abteilung) in ein ZusatzgeschSft auf Basis von Telekommunikationsgebuhren zu trans-formieren. Die Delegation der Newcomerauswahl an die Zuschauer bei gleichzeitiger Umwandlung eines fruheren Produktionsschrittes der Musikunternehmen in ein zusStzli-ches Geschaft stellt die nSchste Anderung des herkOmmlichen Geschaftsmodells dar. Zur Erreichung einer hohen Zuschauerresonanz werden die Kandidaten der Castingshow ne­ben ihrem LIve-Auftritt mit kurzen Einspielungen aus dem privaten Umfeld so dargestellt, dass sich schnell eine virtuelle emotionale Beziehung des Zuschauers aufbaut.

Fallbeispiei: RTL und der Start der DSDS-Sendereihe Der Fernsehsender RTL hat in mehreren Staffein die Serie DSDS {Deutschland sucht den Super-stat) ausgestrahit, in der mit fortschreitender Venringerung der Kandidaten von Runde zu Runde schlieRlich von den Zuschauern der „Superstai^ gewahit wird. Die Kandidaten werden von einer Jury des Fernsehsenders vor Beginn der Serie in mehreren Castings ausgewShlt; 10 Kandidaten kommen in die engere Wahl und nehmen an den Fernsehauftritten tell. Ab diesem Zeitpunkt wer­den die Zuschauer quasi in die Auswahl des Superstars einbezogen und ubernehmen die Aufga­be der A&R-Abtellung eines Musikuntemehmens: Die Zuschauer bestimmen durch Abstimmung per Telefonanruf fur 49 Cent pro Anruf uber das Ausscheiden oder Einzlehen der Kandidaten in die nSchste Runde.

Vgl. J. Berke, P. Steinkirchner, „Ruf mich oft an", in: Wirtschaftswoche, 26.8.2004, S. 58-63.

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Page 241: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Der Femsehsender RTL nutzt hierbei seine Werbe- und VermarktungskapazitSten der bestehen-den Sendeplatze fiir den Aufbau von Newcomern und Stars und erschlielit durch das Call In-Geschaft neben dem Verkauf von Werbung eine weitere Umsatzquelle. RTL erhalt von dem be-auftragen Telekommunikationsanbieter einen Teil der Verbindungsentgelte. Die Verwertungsrechte an den „produzierten" Stars liegen bei der Bertelsmann Music Group (BMG), die parallel zur Sendung eine Zeitschrift uber Mohn-Media herausgibt und Merchandisin-gartikel, CDs, DVDs und Klingeltone anbietet. Die zur Bertelsmann-Gruppe gehorende Verlag Gruner+Jahr brachte im Stern eine Titelausgabe zur DSDS-Reihe heraus. ®^

12.6 Besetzung der Zweitverwertung durch die Femsehsender Die Zweitverwertung von Musik besteht neben der Nutzung der Muslkthemen in Spielfll-men, Klingeltbnen und Werbeclips auch in der Neuauflage In Form einer Zusammenstel-lung (Connpilation). Die erfolgreichsten Titel einer Gruppe Oder die zentralen Hits einer Epoche Oder Muslkrichtung werden auf einem Sampler gebundelt und angeboten. Das Geschaft der Compilation wendet sich zunehmend an altere Generationen, die zu den Hits ihrer Jugend eine emotionale Beziehung aufgebaut haben und lukrative Kaufer dar-stellen. Zusatzlich bedient die Compilation das Convenience-Bedurfnis vieler Kunden, die sich die einzelnen Titel nicht aufwendig auf einem Tontrager zusammenstellen wollen, sondern eine fertige Bundelung bevorzugen. Das hohe Renditepotenzial der Zweitverwer­tung ergibt sich aus dem gezielten Ruckgriff auf etablierte Stars und Bands mit geringem Ausfallrisiko, dem existierenden Masterband und den vernachlassigbaren Kosten der CD-oder DVD-Produktion und Distribution.

Die Compilation wird in der Regel nach dem Konzept der Kampagnenvermarktung ver-kauft: Eine Zusammenstellung wird uber einen festgelegten Zeitpunkt intensiv beworben und das hergestellte Kontingent an Tontragern moglichst schnell und effizient in den Markt gedruckt. Fur die Werbeunterstutzung greifen die Musikunternehmen primar auf Medienunternehmen zuruck, welche die Compilation in einem ihrer Fernseh- und Radio-programme Oder in ihren Printprodukten entsprechend positionieren. In vielen Fallen wird die Zusammenstellung nicht mehr von den Musikunternehmen vorgegeben, sondern im Kontext der vorgesehenen Promotion ermittelt, z. B. den virtuellen Charts einer Fernseh-sendung oder eine Jugendzeitschrift. Die Basis des Geschaftes benotigt somit als Ressource die limitierte Werbekapazitat von Sendeplatzen in TV und Radio oder Zeitschriften, die von den Medienunternehmen kon-trolliert werden. Hieraus ergibt sich auch die Disposition der Medienunternehmen, die Compilation moglichst eigenstandig zu vermarkten, anstatt sich von den Musikunterneh­men als reiner Werbedlenstleister instrumentalisieren zu lassen. Das Geschaft stellt fur die TV-Sender eine attraktive Wachstumsposition dar. Letztlich sind jedoch die Musikun­ternehmen fur die Besetzung des Geschaftes in einer dominanten Position, da sie als Trager der Verwertungsrechte immer auch uber die Option der Eigenvermarktung ein-schliedllch der Obernahme des untemehmerischen Risikos verfugen.

^ ^ Vgl. hierzu B. Fauser, Horizontale und vertikale Integration im Bereich der LeistungsvenA/ertung, Mun-chen und Mering 2004, 8. 280, und T. Renner, Kinder, Der Tod ist gar nicht so schlimm!, Frankfurt 2004, S. 184-186. Analog ist beim Eurovision Song Contest die Punktverteilung an die Zuschauer delegiert worden.

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Page 242: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

12.7 Vertikale Integration von Musikgeschdft und Einzelhandel

Nach Ablosung des klassischen Tontragers durch MP3-Dateien wird Musik in steigendem

Umfang uber das Internet vertrieben und der Verkauf von Tontr^gern uber den speziali-

sierten Einzelhandel umgangen. Aufgrund der vergleichsweise geringen Einstiegshurden

in den Online-Einzelhandel haben Anbieter verschiedener Herkunft Anstrengungen un-

ternommen, dieses Geschaftsfeld zu besetzen (Abbildung 43).

Abbildung 43: Besetzung der Wertschdpfungskette Einzelhandel durch verschiedene Spieler der Wertschopfungskette und Branchenfremde

Hierzu zShlen Hardwareanbieter (u.a. Apple und Medion), Mobilfunkunternehmen (u.a. T-

Online, 02), Internetplattform-Betreiber (u.a. AOL) und Softwarefirmen (Microsoft, Real

Networks). Die Ambitionen der angestammten Musikunternehmen, das TontrSgerge-

schaft durch ein digitales Modell zu erg^nzen und dadurch den iiiegalen Tauschbdrsen

ein attraktives, legales Angebot entgegenzustellen, waren hingegen wenig erfolgreich.

Die Musikunternehmen hatten versucht, einen erfolgreichen Online-Einzelhandel ihrer

Musiktitel im Internet aufzubauen. Die Grundung von Pressplay durch VivendiUniversal

und Sony baute nach Obernahme auf der ehemaligen Plattform von MP3.com auf und ist

2003 schlieGlich an Roxio verkauft worden. MusicNet als gemeinsame Vermarktungs-

plattform von Warner Music, BMG und EMI ist nach dem Ausstieg von Real Networks un-

bedeutend geworden. Sowohl Pressplay als auch MusicNet litten darunter, nicht wie der

stationare TontrSgereinzelhandel Oder die iiiegalen Tauschplattfomien das gesamte Re­

pertoire anzubieten, da sich die zwei Konsortien der Musikunternehmen nicht darauf eini-

gen konnten, ihre Titel gegenseitig zu lizensieren.

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Page 243: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Bezogen auf den deutschen Markt war der gemeinsame Versuch der Musikuntemehmen

ebenfalls nicht von Erfolg gekront. Unter der Fuhrung von Universal mit der Festnetzparte

T-Com der Deutschen Telekom war zunSchst die Internetplattform popfile aufgebaut wor-

den. Der Onlinedienst wurde im August 2002 gelauncht und brachte es \m ersten Monat

auf nnehr als 300,000 downloads fOr 99 Cent. Popfile wurde zum Vorl^ufer der gemein-

samen Plattform Phonoline, die als offene Plattform aller Musikuntemehmen mit Hilfe des

Musikbestelldienstes PhonoNet anderen Interessenten die M6glichkeit bieten sollte, einen

Onlinevertrieb aufzubauen. Das Projekt kam jedoch aus verschiedenen Grunden ins Sto-

cken: die begrenzte Bereltschaft der Musikuntemehmen, ihre Titel zur VerfQgung zu stel-

len, Vorbehalten gegenuber einem DRM-System, das nicht von dem eigenen Mutterkon-

zern entwickelt wurde und der begrenzten Umsatzbeteiligung der Musikuntemehmen. Als

OnlinehSndler, die die Plattfonn nutzten, konnten neben Universal nur der Konzertveran-

stalter CVS Eventim gewonnen werden. Als sich in der Zwischenzeit die Plattformen itu-

nes von Apple und musicload von T-Online etabliert hatten und das Feld besetzten nahm

der Druck auf Phonoline zu, bis die Idee einer gemeinsamen Plattform schlieSlich im Sep­

tember 2004 aufgegeben wurde.^^

Fallbeispiel: Einstieg von Real Networks in Promotion und Einzelhandel Real Networks war ursprunglich ein reines Softwareuntemehmen. Mit der Digitalislerung von Mu-sikdaten hat sich die Moglichkeit aufgetan, aus der Roile eines reinen Dienstleisters heraus auch ein eigenstdndiges Musikgeschdft aufzubauen. In den USA wurde hierzu die Internet-Plattfomi Rhapsody aufgebaut, auf der Musiktitel, Videos, Kllngeltone und Computerspiele angeboten wer­den. Erganzend wird eine redaktionelie Betreuung geleistet, die deutlich Uber die Abwicklung und das Management eines Intemetstores hinausgeht. Fur Kunstler und Bands werden u.a. auch Ver-lagsfunktionen angeboten und die Plattform als Vertriebskanal bereitgestellt. Erfolgreiche Stucke werden mit einer Chartfunktion auf Basis der eigenen Verkaufe gezielt bekannt gehriacht. Die Um-satzerlose der Downloads werden zwischen Kunstler und Real Networks nach einem definlerten Schlussel aufgeteilt. Fur die Bedienung des deutschen Marktes ist unter Berucksichtigung lokaler Prdferenzen der Aufbau eines Shnlichen Angebotes geplant. Hierbei soil das reine Downioad-Geschaft durch einen Intemet-Radiosender ergSnzt werden. Der Dienst inklusive der redaktionel-len Angebote soil fur eine pauschale Gebuhr von 12 € gebuhrenpflichtig sein.^^

12.8 Vertikale Integration von Hardware und Einzelhandel Eine interessante vertikale Integration der Wertschopfungsstufen Produktion Abspielgerat

und Einzelhandel ergibt sich durch die innovativen Geschaftsmodelle von Medion und

Apple, die ausgehend von ihrer Position im Hardware- (Medion) und Softwaregeschaft

(Apple) eine Wachstumsoption ergriffen haben.

Fallbeispiel: Medion's Einstieg in das Musikgeschaft Medion ist ein Markenanbleter fur Unterhaltungselektronik und u.a. Dienstleister des Discounters Aldi bei der Kampagnenvermarktung von Computern. In 2004 ist Medion ausgehend von seiner

' Vgl. ..Zukunftder Musik-Online-Plattform Phonoline ungewiss", in: FAZ, 18.8.2004. ^ Vgl. G. Blank, S. Zimprich, ..Real Networks wirbt urn Musikfans", in: FTD, 8.5.2006.

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Page 244: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Position im Hardwaregeschaft in das Musikgeschaft eingestiegen. Die ausgelieferten Computer werden unter dem Namen iVIedion vermarktet und sind mit einer speziellen Software fur das Her-unterladen und dem Verwalten von IVIusikfiles ausgerustet. Parallel ist in Kooperation mit dem Te-lekommunlkationsunternehmen Cable & Wireless und der Firma 24/7 Musicshop, einem Spezia-listen fur digitale Vertrlebstechnologien, im Internet die Plattform Medionmusic fur den digitalen Vertrieb von Musik aufgebaut worden. Ein Song kostet zwischen 89 Cents und 1,35 Euro. Fur belde Komponenten des Geschaftes ist ein positiver Ergebnisbeitrag vorgesehen. ®

Die fur die Musikindustrie richtungsweisende Veranderung ist ohne Frage durch den Markteintritt von Apple gegeben. Deshalb ist die Diversifikation des amerikanischen Computer- und Softwareanbieters in das Musikgeschaft auch nicht als Fallbeisplel darge-stellt: Mit Eroffnung des Internet-Musicstore iTunes und der Einfuhrung des darauf abge-stimmten Speicher- und Abspielgerat ipod hat Apple die digitale Vermarktung von Musik revolutioniert und den illegalen Tauschborsen erstmals ein populares und funktionieren-des Geschaftsmodell gegenuber gestellt. In denn Internetstore iTunes kann ein Titel er-worben und auf den ipod geladen werden. Komplementar wird eine Software fur die Ver-waltung der Musikdateien auf den Rechnern von Apple angeboten. Ein Titel kostet eln-heltlich 99 Cents. Teilweise ist Apple auch in das Musikgeschaft eingedrungen und hat mit einigen Kunstlern wie u.a. Sheryl Crow, Miss Elliott, Bob Dylan und U2 exklusive On-line-Verwertungsrechte ausgehandelt. ^^

Der ipod hatte in 2005 im Markt fur digitale AbspielgerSte einen Marktanteil von ca. 75%. Ab 2005 bietet der amerikanlsche Handyproduzent Motorola in Kooperation mit Apple ein Mobilfunkendgerat auf Basis der UMTS-Technologie an, mit dem Muslkstucke von der Internetplattfonn itunes direkt auf ein Mobiltelefon geladen werden kdnnen. Der Erfolg des Markteinstiegs von Apple hangt wesentlich mit der charismatischen Unternehmerfigur Steve Jobs zusammen, der es geschafft hat, die groBen Musikunternehmen dazu zu be-wegen, Apple fur den Online-Einzelhandel ihrer Titel eine Lizenz zu erteilen. Die vertikale Integration der Produktion des Abspielgerates ipod mit dem Online-Einzelhandel itunes durch Apple erklart sich allerdings nicht aus etwaigen Kosten- Oder Prozesssynergien zwischen beiden Stufen. Apple profitiert bei der vertikalen Integration durch die exklusive technische Kompatibilitat von den bei itunes gekauften Musikfiles mit dem eigenen Abspielsystem Ipod. Die Einzelhandelsplattform und das Abspielgerat sind als hermetisches System konzipiert, so dass Musikstucke, die uber itunes bezogen wur-den, nur auf dem ipod abgespielt werden konnen. Andererseits kann der ipod keine Mu­sikstucke abspielen, die auf einer anderen Internetplattform gekauft wurden. '' Der Preis fur Musikfiles ist mit 99 Cent - zum Nachteil der eigenen Umsatzrendite im On-line-Geschaft - so niedrig angesetzt, dass er de facto eine Eintrittshurde fiir weitere An-

Vgl. „Medion steigt in das Geschaft mit digitalen Inhalten ein", in: FAZ, 6.12.2004. ^^ Vgl. J. Young, W. L. Simon, Steve Jobs und die Geschichte eines auRergewohnlichen Untemehmens, Frankfurt 2006. S. 378fg. ^ ° Vgl. C. Dembach, ..Gedampfte Stimmung", in: MACup, Vol. 04/2004, S. 18-19; P. Buxmann, G. Pohl, „Hohe Umsatze durch niedrige Preise", in: FAZ, 3.1.2005; B. Schlender „How big can Apple get?", in: For­tune, 21.2.2005, S. 38-45, und M. Kroker, M. Hohensee, „Wie ein Komet", in: Wirtschaftswoche, 6.10.2005, S. 70-78.

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Page 245: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

bieter darstellt, die ihr Online-Handelsgeschaft nicht durch einen Verkauf von Hardware

subventionieren konnen. Der mit einer Umsatzrendite von etwa 3% geringe Gewinn im

Musikvertrieb wird fur Apple durch den Verkauf der komplennentaren Hardware kompen-

siert, die den uben/viegenden Anteil des Gewinnes im Musikgeschaft einsplelen durfte

(Abbildung 44).

Abbildung 44: Kostenposition und Umsatzrendite im Musikeinzeihandel beim Verkauf von Tontragern (CD) und dem Download und Musikfiles. Bezogen auf den US ameri-kanischen Markt ohne BeriJcksichtigung einer Mehrwertsteuer im Online-Verkauf'^^

Das subventionierte bzw. ertragsschwache Online-EinzelhandelsgeschSft kann somit als Zubrlngergeschaft fur das attraktive Hardwaregeschaft verstanden werden; die strategi-sche Logik der vertikalen Integration zlelt auf eine Limitierung des Wettbewerbs ab. Da-durch wird implizit auch der Wettbewerb in dem Hardwaregeschaft limitiert, da unabh§n-gige Anbleter von MP3-Spielern keinen Zugriff auf die beliebte Internetplattform itunes gewahrleisten konnen. Die technische AbhSngigkeit der Datenformate von der eigenen Hardwarekomponente ist allerdings nicht unumstritten; in Frankreich wurde die Kopplung 2006 untersagt.^^^

12.9 Online-Einzelhandel als Marketingtool

Die Mogllchkeit des digitalen Onllne-Einzelhandels bietet dem Kunstler die Option, selber

den Verkauf seiner Musik im Internet zu organisieren. Durch Aufbau einer eigenen Ho­

mepage Oder Nutzung einer etablierten Onlineplattform kann ohne grofleres finanzielles

^ ^ Vgl. hierzu A. Ohier, „Apple gewinnt Poker mit Musikfimrien", in: FTD, 3.5.2006. ^ ^ Vgl. H. Fischer, H. Laube, „Dossier Frankreich torpediert Apples Geschaft", in: Financial Times Deutscii-land, 22.3.2006, ftd.de/technik/it_telekommunikation/58828.html, aufgerufen am 22.3.2006.

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Page 246: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Risiko ein Musikeinzelhandel aufgebaut werden. Wie auch bei dem Modell der Eigenfi-

nanzierung setzt diese Strategie der Vorintegration allerdings eine hohe Popuiaritat bzw.

ein geschicktes Multiplikatorenkonzept im Internet voraus. Die Umstellung auf einen rei-

nen Onlinevertrieb stellt nur fur etablierte Kunstler und Bands eine realistische Option dar,

weil bei begrenzter Popuiaritat im Regelfall keine hinreichenden Umsatze erzielbar sein

sollten.

Eine grolie Bedeutung kommt dem Online-Einzelhandel auch als Marketinglnstrument zu,

um den klassischen Tontragerhandel zu unterstutzen. Der kostenlose Download einzel-

ner Stucke kann als Werbemittel fur ein neues Album bzw. neue CD eingesetzt werden.

So hatte z. B. die Rockgruppe Creed 1999 den populSrsten Titel Ihres neuen Albums im

Internet zum kostenlosen Download angeboten um dadurch den Absatz der CD zu fdr-

dern. Der entgeltliche Verkauf des Tontragers ist trotz Freigabe eines zentralen Titels

nicht geschmaiert worden.^^^

Fallbeispiel: Die Plattform MySpace ais Marktplatz fUr KUnstler Die Intemetplattfomi MySpace war 2003 in den USA von Chris DeWolfe und Tom Andersen ge-griindet worden. Myspace.com ermoglicht die unkomplizierte Einrichtung eigener Homepages im Internet und bietet u.a. die Funktionen Online-Tagebuch (Blog), Austausch von Daten und Photos und den Versand von Echtzeitnachrichten (Instant Messaging). Insbesondere Kunstlern sollte ein Forum fur die Presentation und Vemriarktung ihrer Inhalte geboten werden. Entsprechend hat MySpace auch gerade bei Musikgruppen groi en Zulauf gefunden. Die Anzahl der Mitglieder nd-hert sich der 100 MIo. Grenze. Eine Gebuhr wird fur die Nutzung von Plattformfunktionen nicht erhoben; MySpace finanziert sich rein durch Werbeeinnahmen. In 2005 wurde MySpace von dem Medienunternehmen Rupert Murdoch ubernommen. Die britische Band Arctic Monkeys hat vor dem Hintergrund einer Konzertoumee Myspace.com als Werbemedium genutzt, um den Absatz einer CD im stationSren Einzelhandel anzukurbeln. Die im Internet angebotenen Titel von Arctic Monkeys konnten kostenlos herunterladen werden, so dass die Hiirde fur den Download und den „Einstiegskonsum" deutlich reduziert waren. Inzwl-schen haben u.a. auch die Gruppen Depeche Mode und Nine Inch Nails die Plattfomi fur die Vermarktung Ihrer neuen Alben genutzt. "*

Eine interessante Idee fiir ein innovatives Geschaftsmodell im Musikeinzelhandel bezieht

den Kunden bzw. Hdrer in die Vermarktung ein. HIerbei wird auf die Mund zu Mund-

Propaganda der origin^ren Fangemeinde gebaut, der ein finanzieller Anreiz geboten wird,

sich an der Vertriebspromotion zu beteiligen.

Fallbeispiel: Die gestaffelte Vertriebsstrategie von Potato Auf der Intemetplattfomi Potato kann ein interessierter Kunde einen Musiktitel kaufen und auf seiner eigenen Festplatte abspeichern. Der Musikfile ist nicht durch etwaige DRM-Funktionen ge-schutzt und kann frei kopiert werden. Eine unentgeltliche Weitergabe ist allerdings fur den Erst-kaufer nicht attraktiv, da dieser einen link zu seiner Homepage erstellen kann und an den Folge-

^^ Vgl. W. Buhse, Wettbewerbsstrategien im Umfeld von Darknet und Digital Rights Management, Wiesba­den 2004, S. 139. ^ * Vgl. D. Heilmann, „Per Intemet an die Spitze der Charts", in: Handelsblatt, 4.4.2006; und „MySpace will auch den deutschen Markt erobern", in: FAZ, 22.6.2006.

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verkSufen, die uber seine Intemetseiten vermittelt werden, mit 20% beteiligt wird. Falls der KSufer der zweiten Reihe den Song selbst noch einmal weltervermittelt, bekommt er noch 10% des ur-sprunglichen Preises; der Kaufer in der dritten Reihe noch 5%. Dadurch ist ein gestaffeltes An-reizsystem geschaffen, das den begeisterten ErstkSufer antreibt, den Verkauf an weitere Kunden zu unterstiitzen. Die Zustimnriung der Musiker bzw. der Band, dem Vertriebssystem zuzustimmen, soil durch eine Unnsatzbeteiligung von 30% an jedem Verkauf sichergestellt werden. ^ ^

12.10 Zusammenfassung

Die Musikbranche stellt ein klassisches Beispiel fur eine Industrie dar, in der sich durch

einen Technologiesprung drastische Veranderungen ergeben haben. Durch die Umstel-

lung vonfi klassischen Tontragergeschaft zunfi MP3-Musikflle haben angestammte Spieler

ihre Position verloren und neue Anbleter sind in den Markt eingedrungen. Die hinzuge-

kommenen Akteure verfugen in der Regel uber eine hohe Konnpetenz in Digitaltechnolo-

gie und konnen durch Besetzung des Musikgeschaftes Verbundvorteile mit ihren etablier-

ten Geschaftsfeldern erzielen (z. B. Softwareentwicklung, Onlinehandel, Plattformbetrieb).

In dem technologischen Umbruch haben die traditionellen Musikunternehmen insgesamt

an Bedeutung verloren, was in erster Linie auf illegale Kopien und den Anstieg des

Tauschsegmentes zuruckgeht. Ferner sind die Eintrittsshurden In einige Wertschop-

fungsstufen, die traditionell das Kerngeschaft der Big Labels ausmachen, gesenkt wor-

den. Hierdurch ist eine Intensivierung des Wettbewerbs eingetreten. Die Finanzierung

kann durch Senkung der Kosten fur das Masterband und die Moglichkeit eines Online-

Einzelhandels teilweise in Eigenleistung erbracht werden, so dass die Musikunternehmen

kaum noch langjahrige Einnahmequellen erschlieUen konnen, sondern mehr und mehr in

die Rolle eines Dienstleisters der unternehmerisch eigensteindigen Musiker und Bands

agieren.

Bezogen auf die Wertschopfungsstufe Promotion bis zur Herausbildung und Vermarktung

von Stars ist ebenfalls eine Senkung der Eintrittshurden auszumachen, da Authentizitat

und musikalische bzw. instrumentelle Begabung zwar immer noch eine Ausschlag ge-

bende Rolle spielen, jedoch in einem ungleich hoherem Ausmafi kompensiert werden

konnen. Erfolgreiche Interpreten konnen zumindest fur eine Saison bei entsprechender

medlaler Inszenierung ohne langjahrige Aniaufkosten herausgebracht warden. Die Selek-

tion der Newcomer kann, zumindest in einem begrenzten Umfang, als entgeltliche Rah-

men an die Zuschauer einer Fernsehsendung delegiert werden. Hierdurch bietet sich den

Fernsehsendern bzw. den angeschlossenen Medienunternehmen bei Umgehung der Mu­

sikunternehmen der Eintritt ins Musikgeschaft und die Option zur Vermarktung ihrer eige-

nen Kunstler.

Vgl. P. Lau, M. Spielkamp, "Guten Tag, auf Wiedersehen", S. 39-41, in: brand eins, 02/04, S. 32-41.

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Page 248: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

Teill

Zusammenfassung der Ergebnisse

Page 249: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

1. Zusammenfassung der Ergebnisse

1.1 Bedeutung der Motive und Treiber vertikaler Integration

Die Analyse der Wertschopfungsketten im zweiten Teil des Buches hat ergeben, dass die

Ursachen der vertikalen Integrationsmuster erst bei Einbeziehung der verschiedenen Mo­

tive und Treiber transparent werden. Hierbei ist sowohl das individuelle Umfeld des Un-

ternehmens, der Markt, als auch die Ausrichtung der Wettbewerber zu berijcksichtigen.

Eine schematische bzw. monokausale ErklSrung wurde der Heterogenitat der Industrien

und Branchen nicht gerecht.

Insgesamt fallt die herausragende Bedeutung der Grodenvorteile bei horizontaler Integra­

tion ins Auge, die den Spielraum fur die strategische Option einer vertikalen Integration

stark einschranken kann (Abschnitt 1.2). Ferner hat sich fur zwei der Motive, die unmittel-

bar die Kostenseite addressieren, herausgestellt, dass diese kaum noch als Hauptgrund

einer unternehmerischen Entscheidung in Frage kommen. Hierzu zahlen die Senkung der

Koordinationskosten (Abschnitt 1.3) und die Senkung der Erbringungskosten (Abschnitt

1.4). Die relevanten Motive der vertikalen Integration beziehen sich somit in erster Linie

auf die Umsatzseite bzw. den oberen Ast der Bestimmungsfaktoren des Gewinnes (vgl.

Abbildung 5). Die Bedeutung der Motive, die an der Kostenseite ansetzen, tritt demge-

genuber in den Hintergrund. Fur einige der Motive laBt sich in Bezug auf die Bedeutung

zur vertikalen Besetzung einzelner Wertschdpfungsstufen eine Affinitat aufzeigen. Andere

Motive beziehen sich allgemein auf alle Stufen der Wertschopfungskette (Abschnitt 1.5).

1.2 GroHenvorteile bei horizontaler integration Als vielleicht die maligebliche Kraft und Entscheidungsgrofie fur das Integrationsmuster einer Wertschopfungskette sind GroSenvorteile bei horizontaler Integration identifiziert worden. Sobald sich die Zusammenlegung von Wertschopfung einer Stufe unter Kosten-gesichtspunkten anbietet, sind die Unternehmen mittel- bis langfristig gezwungen, ihrGe-schaftsmodell so anzupassen, dass sie von diesen Kostenvorteilen profitieren bzw. nicht ausgeschlossen sind. Die horizontalen Kostenvorteile erzwingen die Dekonstruktion der vertikalen Gebllde in Spezialisten fur eine bestimmte Wertschopfungsstufe. Fur diesen Zusammenhang lassen sich in den diskutlerten Wertschopfungsketten und Branchen mehrere Belspiele aufzeigen. So erklart die Verwirklichung von GrdBenvortei-len die Entwicklung der Computer- und Automobilindustrie (Leistungserstellung) in den letzten 30 Jahren zu weiten Teilen. In der pharmazeutischen Industrie und dem Mobilfunk zeichnet sich bezuglich der Wertschopfungsstufe Produktion eine analoge Entwicklung ab, die allerdings noch mit gegenlaufigen Motiven, die eine vertikale Integration favorisie-ren, konkurriert.

Der Trend wird durch die geringe Akzeptanz der vertikalen Diversifikation im Markt ver-starkt. Da das Modell einer vertikalen Diversifikation - also die interne Nutzung der Gro-fienvorteile bei gleichzeitiger Versorgung des Marktes bzw. der Wettbewerber - in der Kegel nicht nachhaltig verfolgt werden kann, mussen die Unternehmen ihre Aktivitaten mit horizontalen Grdfienvorteilen zur weiteren Entwicklung schliefilich ausgliedern. Als

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Beispiele lassen sich ehemalige Lohnproduzenten der Computerindustrie und im Mobil-funk anfuhren (z. B. Acer und BenQ), Der Zahlungsverkehr im Retail Banking (Postbank) Oder die Standortbewirtschaftung im Chemiepark stellen insofern Ausnahmen dar. Die horizontal orientierten Spieler gewinnen durch ihre Konzentration zunehmend an Marktmacht und kbnnen auf dieser Basis auch in angrenzende Wertschopfungsstufen eindringen. Hierunter fallt einerseits die Vorintegration der Komponentenzulieferer in die Vermarktung (Branding) der Produkte, wie etwa in der Computerindustrie (z. B. Intel, Microsoft) Oder der Automobilindustrie (z. B. Bosch). Bei Konsolidierung der Handelststu-fe und der damit gegebenen Marktmacht als ..Gatekeeper" kann auch eine Ruckintegrati-on in die Vermarktung erfolgen, wie z. B. im Einzelhandel von Konsumgutern mit der Ein-fuhrung von Handelsmarken. Der Aufbau eigener Logistiksysteme durch die Einzelhand-ler kann analog interpretiert werden. Ein weiteres Beispiel lasst sich in der Wertschop-fungskette fur Mobilfunk aufzeigen, in der die Mobilfunkbetreiber versuchen, die Endgera-tehersteller in Lohnproduzenten zu transformieren.

Der Ubergang von einer vertikalen zu einer horizontalen Integration kann vorweggenom-men sein, falls eine Wertschopfungsstufe von Beginn an horizontal organisiert worden ist. Dies trifft insbesondere in Netzindustrien zu.

1.3 Vernachlassigbare Relevanz der Koordinationskosten Die Analyse der Wertschopfungsketten hat gezeigt, dass die Optimierung der Koordinati­onskosten nahezu keine Bedeutung mehr spielt. Koordinationskosten fallen bei vertikaler Integration als interne Managementkosten oder bei horizontaler Integration als externe Transaktionskosten an. Ein Unternehmen ist aus Sicht der Transaktionskostentheorie als ein Gebilde aufgefassen, dass die hohen Transaktionskosten bei Nutzung des Marktes durch die Vereinnahmung bzw. Intemalisierung von Wertschdpfung vermeidet. Auch wenn die Hdhe der Transaktionskosten durch die Entwicklung der Informations-technologie stark gesunken sind, ergibt sich daraus nicht automatisch ein Argument fur die Ausgliederung von Wertschdpfung, da die alternativen Managementkosten ebenso gesunken sein diirften. Die Koordinationskosten mdgen in einer Wertschdpfungskette ge-ring oder hoch sein; entscheidend fur ihre Bedeutung als Motiv einer vertikalen Integrati­on ist allein die Frage, ob sich die Hdhe der Managementkosten stark von der Hdhe der Transaktionskosten unterscheidet.

Ferner sind die Koordinationskosten im Vergleich zu den Gesamtkosten in der Regel un-terkritisch. Insofern ergibt sich insgesamt nur ein begrenzter Einfluss auf die Integrati-onsmuster der Wertschdpfungskette.

1.4 Geringe Bedeutung der Erbringungskosten durch vertikaie Integration Die Aufarbeitung der Restrukturierungen in den exemplarischen Wertschdpfungsketten hat zusatzlich ergeben, dass durch einen vertikalen Zusammenschlusses in der uberwie-genden Anzahl der Falle keine Senkung der Erbringungskosten, also der Kosten fur die Erbringung der Aktivitaten in den Wertschdpfungsstufen (unter Abstrahierung der Koordi­nationskosten) zu erwarten ist. Zwar kann durch eine enge Abstimmung zwischen an-

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Page 251: Wertschopfungstiefe von Unternehmen: Die strategische Logik der Integration

grenzenden Wertschdpfungsstufen ohne Frage die Kostenposition verbessert werden.

Die Realisierung dieser Kostensynergien ist jedocli in der Regel von der gesellschafts-

oder eigentumsrechtlichen Organisation der einbezogenen Wertschopfungsstufen unab-

hSngig und kann genauso im Rahmen einer Kooperation erfolgen.

1.5 Bindung der Motive an bestimmte Wertsch6pfungsstufen Fur einige der Motive ist naturgemafi vorgezeichnet, dass sich ihre Verfolgung in dem

Engagement in bestimmten Wertschopfungsstufen niederschlagt. Hiervon ausgenommen

sind die Motive der Senkung der Koordinationskosten und die Begrenzung von Unsicher-

heit und Risiko, die an alien Wertschopfungsstufen ansetzen (Abbildung 45).

Abbildung 45: Bedeutung der Motive vertikaler Integration in Bezug auf die primaren Stufen der generischen Wertschopfungskette

Die Sicherstellung des Marktzuganges ist in erster Linie durch den Aufbau eines eigenen

Einzelhandeis gegeben. Zusatzlich kann durch Marketing und Kundendienst die Abhan-

gigkeit von Absatzmittlern reduziert werden.

Hinsichtlich der Differenzierung kann zwischen Nutzen- und Preisfuhrerschaft unterschie-

den werden. Die Nutzenfuhrerschaft wird in erster Linie durch eigene Forschungs- und

Entwicklungsaktivitaten, als auch eine Erhohung des Marketingbudgets ausgebaut. Im

Falle der Preisfuhrerschaft treten die eigenen Prozesskosten in den Vordergrund, die

nicht unmitteibar auf eine bestimmte Wertschopfungskette rekurrieren mussen.

Der Aufbau von Eintrittshiirden wird durch die Schaffung exklusiver patentrechtlicher Nut-

zungsrechte gewahrleistet, die durch interne Aktivitaten erworben Oder einlizensiert wer­

den konnen. Ferner konnen durch Aufbau einer starken Endverbrauchermarke als auch

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einer preistechnischen Kopplung von Produktverkauf und Kundendienst Eintrittshurden fur den downstream-Bereich derWertschopfungskette installiertwerden. Das Motiv der Kostensenkung adressiert bei einem Produzenten jn erster Linie den eige-nen Herstellungsablauf und die Organisation der sogenannten Supply chain, kann sich aber ebenso bei einem Handelsunternehmen auf die internen Prozesse richten. Lerneffekte korrelieren in vielen Fallen mit der Nahe zum Endverbraucher, die sich so-wohl durch Partizipation im Einzelhandel, als auch durch Aufbau einer Service- und War-tungsgeschaftes ergibt. Eine Wachstumsperspektive kann neben der Diversifikation auch in einer Vorintegration bestehen, die ausgehend vom herkommlichen Kerngeschaft die Besetzung der angren-zenden Stufen im downstream-Bereich der Wertschopfingskette vorsieht.

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