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15 MMW-Fortschr. Med. Nr. 12 / 2013 (155. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN REPORT nach dem ersten medizinischen Kontakt durchgeführt sein. Ist der Weg länger, entscheidet man sich besser für die Lyse, die in 30 Minuten vollzogen sein sollte. Bei älteren Infarktpatienten muss man vermehrt damit rechnen, dass ein kardiogener Schock auftritt. Zeichen da- für sind, dass der systolische Blutdruck länger als 30 Minuten auf < 90 mmHg abfällt und Zeichen der Minderperfusi- on wie Zentralisierung, Vigilanzminde- rung, Unruhe, pulmonale Stauung, Zya- nose und Venenstauung auftreten. Die meisten Schockpatienten entwickeln den Schock allerdings erst in der Klinik. Ersttherapie bei Infarkt, Lungenödem und Tachyarrhythmie Die Ersttherapie des Herzinfarkts im Notfall umfasst 3–5 mg Morphin i.v., Sauerstoff (falls die arterielle Sauerstoff- sättigung SaO 2 < 95% beträgt), 5000 IE Heparin i.v. und die duale Plättchenblo- ckade mit 80–100 mg ASS i.v. und Pra- sugrel (bei Patienten unter 75 Jahren und ohne Apoplex in der Anamnese) oder dem besonders schnell wirksamen Ticagrelor. Clopidogrel setzt May ein, wenn Prasugrel oder Ticagrelor nicht in Betracht kommen. Zur Schocktherapie werden Dobutamin (2,5–10 μg/kg/min) und bei einem systolischen Blutdruck unter 85 mmHg Norepinephrin (0,2–10 μg/kg/min) gegeben. Entwickelt der Patient ein Lungen- ödem, muss er außerdem 40 mg Furose- mid erhalten. Patienten, die schon mit Schleifendiuretika vorbehandelt sind, brauchen deutlich höhere Dosen. Liegt der systolische Blutdruck über 110 mmHg, wird Nitroglyzerin appliziert. „Bringen Sie den Patienten in eine Posi- tion mit erhöhtem Oberkörper und nach unten gelagerten Beinen. Das ist der schnellste Nitro-Effekt, den Sie sich denken können“, so May. Ist eine ventrikuläre Tachykardie die Ursache eines kardiogenen Schocks, gilt beim normotonen oder hypotonen Pati- enten die elektrische Kardioversion un- ter Analgosedierung (Ketamin, Midazo- lam) als Therapie der ersten Wahl. Al- ternativ können Amiodaron, Ajmalin oder Digoxin verbunden mit einer Anti- koagulation gegeben werden. Beim hy- pertonen Patienten kann der Versuch mit einem Betablocker erfolgreich sein. Spezialfall Schrittmacher/ICD Spezielle Probleme im Notfall können durch Schrittmacher und Defibrilla- toren entstehen. Diese Geräte sind zwar dazu gedacht, dass der Notarzt mög- lichst wenig Arbeit hat. Dennoch kön- nen sie versagen. Schrittmacher behindert EKG-Diagnostik Das EKG hilft unter Umständen nicht weiter, um die Existenz eines Schrittma- chers zu erkennen. Deutliche Schrittma- cher-Artefakte fallen nur bei unipolaren Elektroden auf, wo Plus- und Minuspol weit auseinander liegen. Die meisten modernen Geräte haben aber bipolare Elektroden, d. h. Plus- und Minuspol liegen sehr nah beieinander. Dann gibt es im EKG kaum Hinweise. Die EKG- Diagnostik im Notfall wird durch einen Schrittmacher in jedem Fall erschwert. „Deshalb wird ein Schrittmacherpatient mit entsprechender Symptomatik erst einmal als Infarktpatient betrachtet“, so Dr. Alfons Rötzer, Ostfildern. Bei einem Schrittmacherpatienten mit tachykarder Rhythmusstörung kann man nicht damit rechnen, dass der Schrittmacher nach der externen Defi- brillation wieder funktioniert. Das ist vor allem dann unwahrscheinlich, wenn man die Defi-Paddles direkt über dem Aggregat auflegt. Dies sollte man also tunlichst vermeiden, betonte Rötzer. Die Geräte sind zwar mit Schutzvorrich- tungen gegen Starkstrom ausgestattet. Diese können aber versagen, sodass die programmierte Arbeitsweise des Schritt- machers durch den Stromstoß außer Funktion gesetzt werden kann. Deshalb gilt: Reanimation durchführen wie bei einem Patienten ohne Schrittmacher! Ob die Reanimation erfolgreich ist, lässt sich nur daran erkennen, dass der Patient einen Kreislauf hat. Das EKG ist kein Maßstab, da es bei externer Defi- brillation eventuell nur Artefakte durch inadäquate Schrittmacheraktionen zeigt. Der Patient mit ICD Eine adäquate Schockabgabe eines ICD ist daran zu erkennen, dass die Patienten für einen kurzen Moment synkopal wer- den, weil die ventrikuläre Tachykardie schon kurz besteht, bevor der Defibrilla- tor auslöst. Wenn Patienten über Schocks ohne Synkopen oder häufige Schock- serien berichten, spricht dies für eine Fehlfunktion des ICD. Am häufigsten werden inadäquate Schocks durch ein tachykardes Vorhofflimmern ausgelöst. An zweiter Stelle der Ursachen steht der Bruch der Elektroden. Diese Patienten bekommen Schocks z. B. schon bei Arm- bewegungen – ausgelöst durch Mi- kroströme, die entstehen, wenn die Bruchenden aneinanderreiben. Auch wenn der ICD die T-Welle als zusätz- lichen QRS-Komplex wertet, löst er ina- däquat aus (T-Wellen-Oversensing). Wie erkennt man sie im Notfall? Der Arzt muss zunächst einmal wis- sen, ob ein solches Gerät implantiert ist. Oft kann er den Patienten nicht selbst fragen. Manchmal sind auch keine Angehörigen da, die den Gerä- teausweis vorweisen können. Schritt- macher sitzen heute in der Regel in- fraclaviculär und sind dort direkt zu tasten, oder eine Narbe weist darauf hin. Die Geräte werden heute nicht mehr nur rechts, sondern auch links implantiert. Defibrillatoren dagegen findet man heute noch überwiegend links. Implantierte Schrittmacher und Defis Ohne Röntgen ist ein implantiertes Ge- räts oft nicht leicht zu erkennen. © Dario Sabljak/Fotolia

Wie erkennt man sie im Notfall?

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15MMW-Fortschr. Med. Nr. 12 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–REPORT

nach dem ersten medizinischen Kontakt durchgeführt sein. Ist der Weg länger, entscheidet man sich besser für die Lyse, die in 30 Minuten vollzogen sein sollte.

Bei älteren Infarktpatienten muss man vermehrt damit rechnen, dass ein kardiogener Schock auftritt. Zeichen da-für sind, dass der systolische Blutdruck länger als 30 Minuten auf < 90 mmHg abfällt und Zeichen der Minderperfusi-on wie Zentralisierung, Vigilanzminde-rung, Unruhe, pulmonale Stauung, Zya-nose und Venenstauung auftreten. Die meisten Schockpatienten entwickeln den Schock allerdings erst in der Klinik.

Ersttherapie bei Infarkt, Lungenödem und TachyarrhythmieDie Ersttherapie des Herzinfarkts im Notfall umfasst 3–5 mg Morphin i.v., Sauerstoff (falls die arterielle Sauerstoff-sättigung SaO2 < 95% beträgt), 5000 IE Heparin i.v. und die duale Plättchenblo-ckade mit 80–100 mg ASS i.v. und Pra-sugrel (bei Patienten unter 75 Jahren und ohne Apoplex in der Anamnese) oder dem besonders schnell wirksamen Ticagrelor. Clopidogrel setzt May ein, wenn Prasugrel oder Ticagrelor nicht in Betracht kommen. Zur Schocktherapie werden Dobutamin (2,5–10 µg/kg/min) und bei einem systolischen Blutdruck unter 85 mmHg Norepinephrin (0,2–10 µg/kg/min) gegeben.

Entwickelt der Patient ein Lungen-ödem, muss er außerdem 40 mg Furose-mid erhalten. Patienten, die schon mit Schleifendiuretika vorbehandelt sind, brauchen deutlich höhere Dosen. Liegt der systolische Blutdruck über 110 mmHg, wird Nitroglyzerin appliziert. „Bringen Sie den Patienten in eine Posi-tion mit erhöhtem Oberkörper und nach unten gelagerten Beinen. Das ist der schnellste Nitro-Effekt, den Sie sich denken können“, so May.

Ist eine ventrikuläre Tachykardie die Ursache eines kardiogenen Schocks, gilt beim normotonen oder hypotonen Pati-enten die elektrische Kardioversion un-ter Analgosedierung (Ketamin, Midazo-lam) als Therapie der ersten Wahl. Al-ternativ können Amiodaron, Ajmalin oder Digoxin verbunden mit einer Anti-koagulation gegeben werden. Beim hy-

pertonen Patienten kann der Versuch mit einem Betablocker erfolgreich sein.

Spezialfall Schrittmacher/ICDSpezielle Probleme im Notfall können durch Schrittmacher und Defibrilla-toren entstehen. Diese Geräte sind zwar dazu gedacht, dass der Notarzt mög-lichst wenig Arbeit hat. Dennoch kön-nen sie versagen.

Schrittmacher behindert EKG-DiagnostikDas EKG hilft unter Umständen nicht weiter, um die Existenz eines Schrittma-chers zu erkennen. Deutliche Schrittma-cher-Artefakte fallen nur bei unipolaren Elektroden auf, wo Plus- und Minuspol weit auseinander liegen. Die meisten modernen Geräte haben aber bipolare Elektroden, d. h. Plus- und Minuspol liegen sehr nah beieinander. Dann gibt es im EKG kaum Hinweise. Die EKG-Diagnostik im Notfall wird durch einen Schrittmacher in jedem Fall erschwert. „Deshalb wird ein Schrittmacherpatient mit entsprechender Symptomatik erst einmal als Infarktpatient betrachtet“, so Dr. Alfons Rötzer, Ostfildern.

Bei einem Schrittmacherpatienten mit tachykarder Rhythmusstörung kann man nicht damit rechnen, dass der Schrittmacher nach der externen Defi-brillation wieder funktioniert. Das ist vor allem dann unwahrscheinlich, wenn man die Defi-Paddles direkt über dem Aggregat auflegt. Dies sollte man also

tunlichst vermeiden, betonte Rötzer. Die Geräte sind zwar mit Schutzvorrich-tungen gegen Starkstrom ausgestattet. Diese können aber versagen, sodass die programmierte Arbeitsweise des Schritt-machers durch den Stromstoß außer Funktion gesetzt werden kann. Deshalb gilt: Reanimation durchführen wie bei einem Patienten ohne Schrittmacher!

Ob die Reanimation erfolgreich ist, lässt sich nur daran erkennen, dass der Patient einen Kreislauf hat. Das EKG ist kein Maßstab, da es bei externer Defi-brillation eventuell nur Artefakte durch inadäquate Schrittmacheraktionen zeigt.

Der Patient mit ICDEine adäquate Schockabgabe eines ICD ist daran zu erkennen, dass die Patienten für einen kurzen Moment synkopal wer-den, weil die ventrikuläre Tachykardie schon kurz besteht, bevor der Defibrilla-tor auslöst. Wenn Patienten über Schocks ohne Synkopen oder häufige Schock-serien berichten, spricht dies für eine Fehlfunktion des ICD. Am häufigsten werden inadäquate Schocks durch ein tachykardes Vorhofflimmern ausgelöst. An zweiter Stelle der Ursachen steht der Bruch der Elektroden. Diese Patienten bekommen Schocks z. B. schon bei Arm-bewegungen – ausgelöst durch Mi-kroströme, die entstehen, wenn die Bruch enden aneinanderreiben. Auch wenn der ICD die T-Welle als zusätz-lichen QRS-Komplex wertet, löst er ina-däquat aus (T-Wellen-Oversensing).

Wie erkennt man sie im Notfall?

Der Arzt muss zunächst einmal wis-sen, ob ein solches Gerät implantiert ist. Oft kann er den Patienten nicht selbst fragen. Manchmal sind auch keine Angehörigen da, die den Gerä-teausweis vorweisen können. Schritt-macher sitzen heute in der Regel in-fraclaviculär und sind dort direkt zu tasten, oder eine Narbe weist darauf hin. Die Geräte werden heute nicht mehr nur rechts, sondern auch links implantiert. Defibrillatoren dagegen findet man heute noch überwiegend links.

Implantierte Schrittmacher und Defis

Ohne Röntgen ist ein implantiertes Ge-räts oft nicht leicht zu erkennen.

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