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Hysterie bestimmt die Debat- ten der Gegenwart – warum sollte es beim Agrarbereich anders sein? Momentan sorgen Tierseuchen für Aufregung. Im Frühsommer 2017 haben wir die Vogelgrippe überstanden und wir streiten noch immer um Ursachen und Bekämpfung. Die Festlegung von Bekämp- fungs- und Schutzmaßnahmen, ohne die Übertragungswege genau zu kennen, richtet häufig mehr Schaden an als man zu verhindern sucht. Tausende private Geflügelzüchter wand- ten sich mit Petitionen an den Landtag, um den großflächigen Vernichtungsfeldzug gegen gesunde Tierbestände und den Zwang zur tierschutzwidrigen Stallhaltung aufzubrechen. Der Druck wurde so groß, dass inzwischen auch die Staats- regierung darauf drängt, die entsprechende Verordnung des Bundes zu entschärfen. Während die neue Vogelgrip- pesaison bereits vor der Tür steht, rollt eine andere Seuche auf uns zu: die Schweinepest, diesmal die gefährlichere afri- kanische Variante. Man könnte meinen, die Dichte von gefähr- lichen Tierseuchen nehme zu. Aber das ist ein Trugschluss. Wie die Vogelgrippe sind auch die klassische europäische wie die afrikanische Schwei- nepest seit langem in Mittel- europa nachweisbar. Tiere erkranken, lokale Bestände können zusammenbrechen, eine Gesamtpopulation von Wildschweinen wird dadurch nach allen wissenschaſtlichen Erkenntnissen nicht gefährdet. Im Falle der Schweinepest besteht auch keine Gefahr für den Menschen. Dass die Jäger- schaſt die Schwarzwildausbrei- tung kaum mehr beherrscht, ist unter anderem ein Ergebnis von heutiger Agrarwirtschaſt mit ihrem großflächigen Mais- und Rapsanbau. Insofern ist der Ruf nach der Intensivierung der Jagd zwar verständlich und für die Seuchenprophylaxe auch nicht falsch. Aber die Bedeutung der Jagd für die Population von Wildtieren ist überschaubar, weil die Wildtier- dichte stärker durch das Nah- rungsangebot und klimatische Bedingungen gesteuert wird. Große Mais- und Rapsschläge kombiniert mit milden Wintern sind die wirklichen Wachstums- faktoren, der Jäger schießt die- ser Entwicklung nur hinterher. Nicht die Dichte von Seuchen nimmt zu und ist gefährlich, sondern die Dichte von Tieren in industriellen Anlagen in Verbindung mit der Zunahme globaler Handelsströme. Damit wächst die wirtschaſtliche Be- drohung für Tierhalter, die von Tierseuchen ausgeht, weil das Risiko der Weiterverbreitung gestiegen ist. Das erklärt die Reaktionen agrarischer Lobby- gruppen. Um aus diesem Teu- felskreis auszubrechen, sind politischer Wille und zwei Ein- sichten nötig: Erstens die, dass wir zu viel Fleisch und tierische Produkte essen. Die zweite Einsicht besteht darin, dass wir von Europa aus nicht das Welternährungsproblem mit Exporten lösen müssen. Diese Einsichten würden weniger in- dustrielle Tierhaltungsanlagen nach sich ziehen und weniger Energiepflanzenanbau, der Futter für diese Riesenanlagen (aber eben auch für Wildtiere) produziert. Zudem bringt der „Export“ unserer ungesunden Fleischeslust in bevölkerungs- reiche Entwicklungsländer den Planeten tatsächlich an seine Ressourcengrenzen. Denn der Flächenverbrauch für Nutztiere ist hoch, hinzu kommt der groß- flächige Einsatz von Düngern, Pestiziden und der Wasserver- brauch. Der Ernährungsstil in den Industriestaaten produ- ziert damit zusätzlich Hunger weltweit. Inzwischen gibt es dazu sogar Modellrechnungen: Würden knapp zwei Milliarden Menschen der Weltregionen mit überdurchschnittlichem Konsum tierischer Proteine (USA, Kanada, EU) – gemessen an Empfehlungen der Welter- nährungsorganisation (FAO) von 50 g Protein/täglich – ihre Aufnahme der Empfehlung nur annähern, könnten Acker- und Weideland sowie Emissionen eingespart werden und die derzeitigen Flächen könnten selbst bei gleichbleibender Produktivität deutlich mehr Menschen ernähren. Aber was so logisch klingt, ist nichts we- niger als eine Revolution in der industriellen Agrarwirtschaſt. Angesichts des Beharrungs- vermögens wirtschaſtlicher Systeme und der Abhängigkeit der Bauernschaſt von Kon- zernstrukturen in Verarbeitung und Handel sollten aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbrau- cher ihren Druck erhöhen. • Kathrin Kagelmann Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2018 Wie unsere Fleischeslust zu Tierseuchen beiträgt Links! im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach! Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, [email protected] oder 0351/84 38 9773.

Wie unsere Fleischeslust zu Tierseuchen beiträgt...Vernichtungsfeldzug gegen gesunde Tierbestände und den Zwang zur tierschutzwidrigen Stallhaltung aufzubrechen. Der Druck wurde

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Page 1: Wie unsere Fleischeslust zu Tierseuchen beiträgt...Vernichtungsfeldzug gegen gesunde Tierbestände und den Zwang zur tierschutzwidrigen Stallhaltung aufzubrechen. Der Druck wurde

Hysterie bestimmt die Debat-ten der Gegenwart – warum sollte es beim Agrarbereich anders sein? Momentan sorgen Tierseuchen für Aufregung. Im Frühsommer 2017 haben wir die Vogelgrippe überstanden und wir streiten noch immer um Ursachen und Bekämpfung. Die Festlegung von Bekämp-fungs- und Schutzmaßnahmen, ohne die Übertragungswege genau zu kennen, richtet häufig mehr Schaden an als man zu verhindern sucht. Tausende private Geflügelzüchter wand-ten sich mit Petitionen an den Landtag, um den großflächigen Vernichtungsfeldzug gegen gesunde Tierbestände und den Zwang zur tierschutzwidrigen Stallhaltung aufzubrechen. Der Druck wurde so groß, dass inzwischen auch die Staats-regierung darauf drängt, die entsprechende Verordnung des Bundes zu entschärfen.

Während die neue Vogelgrip-pesaison bereits vor der Tür steht, rollt eine andere Seuche auf uns zu: die Schweinepest, diesmal die gefährlichere afri-kanische Variante. Man könnte meinen, die Dichte von gefähr-lichen Tierseuchen nehme zu. Aber das ist ein Trugschluss. Wie die Vogelgrippe sind auch die klassische europäische wie die afrikanische Schwei-nepest seit langem in Mittel-europa nachweisbar. Tiere erkranken, lokale Bestände können zusammenbrechen, eine Gesamtpopulation von Wildschweinen wird dadurch nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht gefährdet. Im Falle der Schweinepest besteht auch keine Gefahr für den Menschen. Dass die Jäger-schaft die Schwarzwildausbrei-tung kaum mehr beherrscht, ist unter anderem ein Ergebnis von heutiger Agrarwirtschaft mit ihrem großflächigen Mais- und Rapsanbau. Insofern ist der Ruf nach der Intensivierung der Jagd zwar verständlich und für die Seuchenprophylaxe auch nicht falsch. Aber die Bedeutung der Jagd für die Population von Wildtieren ist überschaubar, weil die Wildtier-dichte stärker durch das Nah-

rungsangebot und klimatische Bedingungen gesteuert wird. Große Mais- und Rapsschläge kombiniert mit milden Wintern sind die wirklichen Wachstums-faktoren, der Jäger schießt die-ser Entwicklung nur hinterher.

Nicht die Dichte von Seuchen nimmt zu und ist gefährlich, sondern die Dichte von Tieren in industriellen Anlagen in Verbindung mit der Zunahme globaler Handelsströme. Damit wächst die wirtschaftliche Be-drohung für Tierhalter, die von Tierseuchen ausgeht, weil das Risiko der Weiterverbreitung gestiegen ist. Das erklärt die Reaktionen agrarischer Lobby-gruppen. Um aus diesem Teu-felskreis auszubrechen, sind politischer Wille und zwei Ein-sichten nötig: Erstens die, dass wir zu viel Fleisch und tierische Produkte essen. Die zweite Einsicht besteht darin, dass wir von Europa aus nicht das Welternährungsproblem mit Exporten lösen müssen. Diese Einsichten würden weniger in-dustrielle Tierhaltungsanlagen nach sich ziehen und weniger Energiepflanzenanbau, der Futter für diese Riesenanlagen (aber eben auch für Wildtiere) produziert. Zudem bringt der „Export“ unserer ungesunden Fleischeslust in bevölkerungs-reiche Entwicklungsländer den Planeten tatsächlich an seine Ressourcengrenzen. Denn der Flächenverbrauch für Nutztiere ist hoch, hinzu kommt der groß-flächige Einsatz von Düngern, Pestiziden und der Wasserver-brauch. Der Ernährungsstil in den Industriestaaten produ-ziert damit zusätzlich Hunger weltweit. Inzwischen gibt es dazu sogar Modellrechnungen: Würden knapp zwei Milliarden Menschen der Weltregionen mit überdurchschnittlichem Konsum tierischer Proteine (USA, Kanada, EU) – gemessen an Empfehlungen der Welter-nährungsorganisation (FAO) von 50 g Protein/täglich – ihre Aufnahme der Empfehlung nur annähern, könnten Acker- und Weideland sowie Emissionen eingespart werden und die derzeitigen Flächen könnten selbst bei gleichbleibender Produktivität deutlich mehr Menschen ernähren. Aber was so logisch klingt, ist nichts we-niger als eine Revolution in der industriellen Agrarwirtschaft. Angesichts des Beharrungs-vermögens wirtschaftlicher Systeme und der Abhängigkeit der Bauernschaft von Kon-zernstrukturen in Verarbeitung und Handel sollten aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbrau-cher ihren Druck erhöhen.

• Kathrin Kagelmann

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2018

Wie unsere Fleischeslust zu Tierseuchen beiträgt

Links! im Digitalabo. Jede

Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach!

Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren,

[email protected] oder 0351/84 38 9773.

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Links! 03/2018 Seite 2Links! im Gespräch

Hans Modrow, Sie verklagten die Bundesrepublik und saßen am letzten Februartag im Gro-ßen Saal des Bundesverwaltungs-gerichts in Leipzig. Das war je-ner Tag, an dem vor 85 Jahren der Reichstag brannte, und in eben-diesem Saal saß der Nazistaat we-nig später über die vermeintli-chen Brandstifter zu Gericht. Viel Geschichte auf einmal ...Nun ja, ich bin nicht Dimitroff, und die Bundesrepublik ist nicht das Nazireich. Aber mein legitimes Begehren, Einsicht in die Akten zu bekommen, die west-deutsche Geheimdienste über mich zu-sammengetragen haben, ließ sich nur auf dem Klageweg realisieren. Und da es sich bei BND und Verfassungsschutz um Bundesbehörden handelt, musste eben gegen den Dienstherrn vorgegan-gen werden.

Auf dem Aushang stand: Dr. Hans Modrow gegen die Bundesrepub-lik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten des Bundesnach-richtendienstes. Der war nicht er-schienen, schickte vier BND-Be-amte vor, die nicht fotografiert werden durften.Ach, das sind doch alles Petitessen. Die jahrelangen Bemühungen um Offenle-gung der Akten waren erfolgreich. Al-lein das Stattfinden dieses Verfahren ist doch ein Fortschritt.

Wie stehen Sie zur Spionage? Mir war bewusst, dass ich – wie jeder andere Politiker in der Zeit des Kalten Krieges – Ausspähobjekt von Geheim-diensten war. Unsere Kundschafter wa-ren im Westen unterwegs, und die Agen-ten von drüben spionierten auf unserer Seite. Das half, allgemein gesprochen, den Frieden zu sichern. Denn je mehr die eine Seite von der Gegenseite wuss-te, desto sicherer war sie vor Überra-schungen und konnte etwa die militäri-sche Gefahr realistisch beurteilen. Ich erinnere nur an die frühen 80er Jahre, als die Kriegsgefahr extrem hoch war und Moskau davon ausging, dass ein An-griff der NATO unmittelbar bevorstand. Rainer Rupp alias „Topas“, die Spitzen-quelle der DDR-Aufklärung im NATO-Hauptquartier, gab Entwarnung. Anders als etwa Richard Sorge 1941 wurde ihm Glauben geschenkt, d. h. wir vertrauten ihm, und mit vereinten Kräften gelang es, auch Moskau davon zu überzeugen, dass kein Überfall drohte. So wurde der Dritte Weltkrieg verhindert. – Ich erwäh-ne das deshalb in solcher Breite, weil ich von der Sinnfälligkeit und Notwendig-keit der Aufklärung in der Zeit des Kalten Krieges ausgehe und darum nichts Eh-renrühriges an der wechselseitigen Aus-spähung entdecken kann.

Nun waren Sie aber kein Militär, sondern in verschiedenen Funk-tionen des FDJ- und des Parteiap-parates tätig, und im Herbst 1989 wurden Sie Ministerpräsident. Warum schauten die West-Ge-heimdienste Ihnen auf die Finger?Ja, das ist die spannende Frage. Aus ver-schiedenen Quellen weiß ich, dass sich für mich bereits Spitzel der Organisati-on Gehlen interessierten. Gehlen war als Nazigeneral Chef der „Fremde Heere Ost“ und im Krieg Chef der Ostspionage. Der eingefleischte Antikommunist mach-

te nach 1945 bruchlos weiter. Aus der Organisation Gehlen wurde der Bundes-nachrichtendienst und Gehlen dessen Präsident von 1956 bis 1968. Das weist auf die Kontinuität bei Personal wie An-griffsrichtung der westdeutschen Diens-te, und erklärt vielleicht auch, weshalb der BND, also der Auslandsnachrich-tendienst der BRD, in der DDR spionier-te, obgleich doch nach dem Selbstver-ständnis der BRD die DDR nicht Ausland war. Es wäre also ein Gelände für den Verfassungsschutz gewesen.

War es doch auch.Richtig. Mich hatten sowohl BND als auch der Verfassungsschutz auf dem Zettel. Nur der Militärische Abschirm-dienst will mich nicht beobachtet haben. Das will ich gern glauben.

Nur den anderen Geheimdiensten glaubten Sie nicht, als Sie bei de-nen anfragten, ob es Akten über Sie gebe, und diese erklärten: Nö?2013 bestätigte mir Bundesinnenmi-nister Friedrich schriftlich meinen Ver-dacht. Man habe aber schon 2012 mei-ne Beobachtung eingestellt und bereite die Überführung meiner Akten ins Bun-desarchiv vor. Also hatten westdeutsche Dienste mich auch nach dem Ende der DDR im Visier. Daraufhin richtete die Linksfraktion eine Anfrage an die Bun-desregierung, die einräumte, dass min-destens 71.500 DDR-Bürger von BRD-Geheimdiensten überwacht worden seien. Nun wollte ich es genau wissen und bohrte nach.

Trieb Sie die Neugier?Nein, das nicht. Was ich getan habe, weiß ich selbst. Das Problem ist doch ein gesellschaftliches, ein politisches. Es geht um Transparenz und informatio-nelle Selbstbestimmung: Wieso müssen deutsche Geheimdienste in unserem Leben rumschnüffeln? Zu Recht forder-ten im Herbst ’89 viele DDR-Bürger vor

den Dienststellen des MfS „Ich will mei-ne Akte!“ Diese verlange ich auch von den westdeutschen Diensten. Es muss Gleichheit vor dem Gesetz hergestellt werden, die doch allen Bundesbürgern durch das Grundgesetz zugesichert wird. Mir scheint, dass man die Akten des MfS nur deshalb zum Ausschlach-ten freigegeben hat und dafür eine Bun-desbehörde mit einem Jahresetat von 100 Millionen Euro unterhält, damit wir beschäftigt sind und Ruhe in anderen Dingen geben. Diese Ruhe aber ist nun dahin. Auch dadurch, dass das Gericht de facto anerkannt hat, dass die Forde-rung nach Akteneinsicht legitim ist. Es hat den BND aufgefordert, seiner Infor-mationspflicht nachzukommen.

Als Zuhörer hatte ich das Gefühl, dass die Richter Ihre Klage nicht als Politikum betrachteten.Da haben Sie Recht, die Richter behan-delten die Sache als reinen verwaltungs-technischen Akt. Es gibt ein Archivge-setz, und es gibt ein Gesetz, das die Tätigkeit des BND schützt. Also wurde geprüft, was geht und was nicht, wo ist der Geheimdienst säumig oder wo der Kläger zu unpräzise in seiner Fragestel-lung. Wie aber kann ich konkret nachfra-gen, wenn ich nicht weiß, was sie über mich gesammelt haben? Die Richter standen zudem erkennbar unter Druck: Sie beschritten juristisches Neuland.Und sie wollten nichts falsch machen, um anschließend vom Bundesverfas-sungsgericht kritisiert zu werden. Sie bewegten sich vorsichtig auf vermin-tem Gelände, denn der Fall war politisch hochbrisant, was ihnen bewusst war. Deshalb entpolitisierten sie das Verfah-ren vollständig. In der Pause sagte mir der Vorsitzende Richter, dass ich für meine vorbereitete Erklärung nur drei Minuten bekäme und mich nur sachbe-zogen äußern dürfe. Wenn ich politisch würde, entzöge er mir sofort das Wort. Ich hatte verstanden.

Sie haben also pariert.Natürlich hätte ich den Eklat und eine Schlagzeile haben können. Was wäre dadurch in der Sache gewonnen? Ich re-dete darum zwei, drei apolitische Sätze und gab meine politische Erklärung zu Protokoll. Damit war sie gerichtsnoto-risch und von der Presse zitierbar.

Was ist denn nun der Stand?Wir haben es mit einem „dynamischen Prozess“ zu tun. Es ist nicht nur aner-kannt worden, dass das Auskunftsbe-gehren demokratisch legitim ist und die verklagten Bundesbehörden dem unge-nügend entsprochen haben. Die BND-Vertreter mussten zusichern, dass sie mir erstens in den nächsten zwei Mona-ten weiteres Material zukommen lassen werden und zweitens, dass sie ab Januar 2019 unaufgefordert monatsweise Un-terlagen aus 1989 abgeben. Bekanntlich sorgt das Archivgesetz dafür, dass Ar-chivalien 30 Jahre unter Verschluss blie-ben. Das gelte auch für einen 90-Jähri-gen wie mich. Nun warte ich erst einmal auf den schriftlichen Bescheid.

Mit diesem Bescheid kann jeder Bundesbürger mit Nachdruck Ein-sicht in seine Akten fordern.Ja. Natürlich im Rahmen der Gesetze.

Ich gewann den Eindruck, dass es unterschwellig auch noch um ei-nen tieferen Konflikt geht ...Die fünf Richter kamen aus dem Westen, die vier BND-Vertreter ebenfalls. Und mein Anwalt reiste aus Wiesbaden an ... Natürlich zeigte sich in Leipzig auch, wer im Osten das Sagen hat. Deshalb spreche ich auch nicht von der deut-schen Einheit, sondern lieber von einer Zweiheit. Damit meine ich auch die Be-vormundung der Ostdeutschen durch Westdeutsche auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Bereichen. Oh-ne Gleichberechtigung wird es keinen inneren Frieden geben. Ich hoffe, mit meinem Vorstoß einen kleinen Beitrag in diese Richtung geleistet zu haben.

„Beitrag zur Befreiung aus westdeutscher Vormundschaft“

Robert Allertz: „Ich will meine Akte“. Wie westdeutsche Geheimdienste Ostdeutsche bespitzeln. Verlag Das Neue Berlin, 224 S,. 14,99 €. ISBN 978-3-360-01303-3

Volker Külow im Gespräch mit dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow

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03/2018 Links! Seite 3

Das war O-Ton des polnischen Minis-terpräsidenten Mateusz Morawiecki auf der sogenannten „Münchener Si-cherheitskonferenz“. Englisch „tank“ ist bekanntlich der Panzer, geschmie-det aus Stahl oder guten Ideen. „Oh, Herr, lass Hirn regnen“, habe ich auf einer Satirepostkarte gelesen. Nein, das ist nicht der Regen, den der Chef des katholischen Polen zu benötigen denkt. Ihm stehen offensichtlich die „Stahlgewitter“ der Kriege näher, die der einstige Wehrmachtsoffizier und am Ende seines Lebens zum Katholi-zismus konvertierte Ernst Jünger zu literarischen Ehren brachte. Herr Mo-rawiecki schließt sich ihm an, anstatt sich einen Kopf zu machen, wie es an-ders gehen könnte.

Sicher kennen viele die Geschichte von dem jungen Mann, der während einer Zugfahrt das Fenster öffnen will. Er schafft es nicht; offensichtlich ein schmächtiger Intelligenzler. Weil die Geschichte alt ist, muss man noch um die Technik mit dem Riemen wis-sen, den man mit Kraft zugleich nach oben und nach vorne ziehen musste, um damit die Bewegung des Fensters nach unten freizugeben. War nicht

jedermanns Sache. Ein muskulöser Bauer hilft, so geht die Erzählung wei-ter, dem Schwächling und es gelingt ihm natürlich, das Fenster zu öffnen. Siegestrunken belehrt er den Versa-ger mit einem Deut auf seine Mus-keln, „hier muss man es haben und nicht hier“, was er nun wieder mit sei-nem Finger an den Kopf zeigend un-terstreicht. Der so Blamierte sinnt auf Vergeltung. Schließlich fragt er den Kraftprotz, ob der diesen Griff am roten Kasten an der Wand her-unterziehen könnte. Er selbst wäre doch augenscheinlich zu schwach da-für. Stolz beweist der Muskelmann, dass er es kann. Der Zug bleibt mit Ruckeln und Quietschen stehen. Der Schaffner kommt und verdonnert den Missetäter zur Strafzahlung wegen missbräuchlicher Betätigung der Not-bremse. „Da muss man es haben“, sagt nun der Intellektuelle mit einem Verweis auf seinen Kopf, „und nicht da“, während der Finger vom Haupt zum kaum ausgebildeten Bizeps wan-dert.

Der Schlaumeier hat den Kraftmeier in die Falle gelockt. Geist und Denken lassen Folgen von Handlungen ab-

schätzen. Kraft gewinnt nur im Augen-blick. Es wäre gut, wenn Herr Morawi-ecki und alle anderen, die so kopflos durch die Zeiten stolpern, sich darauf besinnen könnten. In der Geschichte tat jedenfalls der Gefoppte gut daran, die Strafe zu bezahlen. Da hat doch Verstand eingesetzt. Verweigerung der Bezahlung und weitere Gewalt gegen Menschen und Sachen hät-

ten möglicherweise die Fahrt für un-absehbare Zeit verhindert, den Täter schließlich in noch größere Schwierig-keiten gebracht.

„Unrecht durch Unrecht bekämpft, wird noch mächtiger“, sagt uns der österreichische Schriftsteller Peter Rosegger. Gewalt gegen Gewalt war aber angesagt in München. Der ei-ne zeigte deshalb die Trümmer einer vom Himmel geholten Drohne, ver-schwieg jedoch geflissentlich, dass

das gewalttätige Instrument dafür – ein Kampfflugzeug – ebenfalls gewalt-tätig zerstört wurde. Genau das war aber wiederum Anlass zur Androhung neuer Gewalt: Die Spirale funktioniert – letztlich ohne Sinn und Verstand. Nein, doch nicht! Sinn und Verstand wurden hier freilich nur missbräuch-lich verwendet, um die Instrumente für Gewalt zu erfinden, zu bauen und anzuwenden. Hirn verwandelte sich in Stahl. Der homo sapiens wird zu ei-nem simplen iron-man. Er kann nicht mehr weit denken. Er glaubt erkannt zu haben, dass der Krieg der Vater al-ler Dinge sei. In Wirklichkeit hat sich aber alle menschliche „sapientia“ von Weisheit in sture Dummheit ver-wandelt; sture Dummheit, die nun auch noch meint, dass es nötig sei, den Krieg vorzubereiten, wolle man den Frieden erhalten. Hat das jemals mehr gebracht als Wettrüsten und dessen stetes Ende im Krieg – von der Steinzeit bis heute?

Panzerbesatzungen haben einst ge-sungen und singen heute noch: „Ob’s stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht, ob heiter der Himmel, ob finster die Nacht, bestaubt sind die Gesich-ter und froh ist unser Sinn. Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin.“ Steel-tanks rasen aufeinander los, un-gebremst, gepanzert mit Gedankenlo-sigkeit hart wie Kruppstahl. Das Ein-zige, was sie aufhalten könnte, wären funktionierende think-tanks.

Die dritte Seite

„More steel tanks than think tanks“

Koalitionsverträge sind – wie so vie-les im Leben – Kompromisse. Was aber nun als Koalitionsvertrag zwi-schen CDU und SPD vorliegt, ist ein Vertragswerk von jener Sorte, das noch den gierigsten Notar dazu trie-be, seine werte Kundschaft zu fragen, ob sie nicht lieber ein paar Runden Mau Mau spielen wollen statt ihm sei-ne Zeit zu stehlen.

Der Koalitionsvertrag lässt sich in drei Kategorien einteilen: Verschlech-terungen, Leerstellen, Ungenügen-des. Zu den Verschlechterungen ge-hört der außenpolitische Teil, hier kann sich die Rüstungslobby freu-en, es fließt mehr Geld in die Milita-risierung. Im Bereich Migration hat sich der ausgrenzende Kurs der CSU durchgesetzt. Bei großen Problemen wie der Armut verliert sich die Gro-Ko im KleinKlein, das nicht ausreicht. Zu den großen Leerstellen gehört der Osten, der stiefväterlich behandelt wird.

Aus sozialpolitischer Sicht zeigt das Koalitionspapier: SPD, CDU und CSU verwalten den Stillstand statt drän-gende Probleme anzugehen. Hartz-IV-Betroffene und andere Menschen, die in Armut leben müssen, sind den drei Parteien egal: Keine Erhöhung der Armutsregelsätze, keine Abschaf-fung oder Lockerung der Sanktionen

und der Bedarfsgemeinschaftsrege-lungen, keine Verbesserungen beim Arbeitslosengeld. Das Kindergeld soll in den nächsten vier Jahren um mage-re 25 Euro erhöht werden.

Hier offenbart sich das ganze Di-lemma der SPD in ihrem jetzigen Zu-stand. Genau jene fehlgeleitete Sozi-al- und Arbeitsmarktpolitik, welche die Partei um mehr als die Hälfte ihrer einstigen Wählerschaft gebracht hat, wird nicht einmal ansatzweise kor-rigiert. Man kann das Aufbegehren

der Jusos und der Parteilinken gegen das Papier gut verstehen. Die Art und Weise, die Spitzenpositionen in der Partei sowie in einer künftigen Bun-desregierung nach Gutsherrenart zu bestimmen, tut ein Übriges, um noch vorhandene Restsympathie in der Be-völkerung zu schleifen.

Lediglich die überfällige Abschaffung des Bürokratiemonsters „Eigenantei-le“ bei der gemeinschaftlichen Mit-tagsverpflegung der Kinder und bei der Schülerbeförderung soll erfol-

gen. Das hat DIE LINKE von Anfang an gefordert und Druck gemacht. Die Leistungen für Bildung und Teil-habe sollen überprüft werden – eine Sprachregelung im Politsprech, die darauf verweist, dass nichts Substan-zielles passieren soll. Und gleich noch ein Prüfauftrag: Bei der Künstlersozi-alversicherung soll geprüft werden, wie der wechselnde Erwerbsstatus vieler Akteure des Kultur- und Me-dienbereichs besser berücksichtigt werden kann. Diese Sprache ist ver-räterisch. Man erinnert sich gut an die inflationäre Verwendung des Be-griffes Reform, der bei den Menschen inzwischen alle Warnleuchten auf-leuchten lässt. Für den Großteil der Bevölkerung klingt das Wort nicht nach Besserung, sondern eher nach Krankheit.

Das Ziel von SPD, CDU und CSU im Koalitionspapier lautet: „Wir wollen den Sozialstaat modernisieren und fortlaufend an neue Herausforderun-gen anpassen.“ Modernisierung und Anpassung scheinen die neuen Syno-nyme für „Reform“ zu sein. Wenn man das Papier liest, kann man nur sagen: Ziel verfehlt. Es gilt: Kleine Korrektu-ren, schwammige und unkonkrete Ab-sichtserklärungen – ansonsten „Wei-ter so“!

• Katja Kipping

Verschlechterungen, Leerstellen, Ungenügendes: Der GroKo-Vertrag verliert sich im Kleinklein

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Links! 03/2018 Seite 4

Seit 1994 gibt es das sächsische Kul-turraumgesetz. Um die Theater- und Orchesterlandschaft zu erhalten, ent-standen drei städtische Kulturräume (Chemnitz, Dresden, Leipzig) und fünf ländliche (Vogtland-Zwickau, Erzge-birge-Mittelsachsen, Leipziger Raum, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Oberlausitz-Niederschlesien). Auf den ersten Blick ist das deutschland-weit einmalige Gesetz ein Erfolgsmo-dell. DIE LINKE stellt es nicht in Frage, dringt aber auf Weiterentwicklungen.

Denn heute stößt das Gesetz finanzi-ell und strukturell an seine Grenzen. Mehr Aufgaben, gesellschaftliche Ver-änderungen und die Preisentwick-lung überfrachten die Kulturräume. Die Zuordnung der Landesbühnen zu den Kulturräumen und die Mitfinanzie-rung weiterer kultureller Einrichtun-gen wie Museen, Bibliotheken, Musik-schulen, soziokulturelle Einrichtungen, freier und kreativer Kultur und auch Tierparks überfordern sie. Kunst- und Kulturschaffende an Theatern und Or-chestern verdienen in Haustarifverträ-gen teilweise bis zu 35 Prozent unter dem Flächentarifvertrag, was indes nicht auf die staatlichen Theater und Museen in Dresden zutrifft. Diese er-halten jährliche Tarifaufwüchse. Die ländlichen Räume werden auch in der Kultur abgehängt, die Sicherung der kulturellen Vielfalt erfolgt zulasten vie-ler Kunst- und Kulturschaffender. Die in der Landesverfassung verankerte

Teilhabe aller Menschen am kulturellen Leben wird so gebremst, wenn nicht gar unmöglich. Innovation, integrative und soziale Aufgaben sind, wenn über-haupt, nur mit viel Herzblut, Ehrenamt oder Lohnverzicht zu schaffen. In den letzten zehn Jahren hat der Freistaat zwar seine Zahlungen an die Kulturräu-me um insgesamt acht Millionen Euro erhöht. So kommt man aber nicht aus der Lohnkostenspirale heraus, denn im gleichen Zeitraum wuchsen die Ent-gelte nach dem Tarifvertrag für den öf-fentlichen Dienst um 30 Prozent.

Diese Entwicklung mussten selbst Blinde, Desinteressierte oder Ignoran-te anlässlich der 2014 durchgeführten

Überprüfung des Kulturraumgesetzes erkennen. Die Staatsregierung emp-fahl zwar am 3. November 2015, das Kulturraumgesetz zu überarbeiten, doch es folgten zwei Jahre Stillstand. Das zeigt den Stellenwert, den Kunst und Kultur für die CDU und SPD haben.

DIE LINKE wollte genau hinsehen. Während unserer Kulturraumtour 2016 diskutierten wir in allen Kultur-räumen mit Menschen aus Politik und Kultur über ihre guten und schlechten Erfahrungen mit dem Kulturraumge-setz (Mehr unter www.franzsodann.de). Anschließend entwarfen wir ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Kul-turräume. Wir wollen die Kulturraum-

mittel um 17 Millionen Euro im Jahr erhöhen, damit Tariflöhne gezahlt wer-den können. Die Lehrkräfte an den Mu-sikschulen sollen ein würdiges Hono-rar erhalten; die Museen, Bibliotheken und soziokulturellen Zentren sollen ihr Fachpersonal nicht länger prekär be-schäftigen müssen und sogar einstel-len können. Aller zwei Jahre soll die Höhe der Kulturraummittel angepasst werden, aller vier Jahre ein öffentlicher Kulturraumbericht erstellt werden. Al-le der Kunst und Kultur zugewandten Interessengemeinschaften, Verbän-de, Stiftungen, Senate und Akademien etc. sollen dazu Stellung nehmen kön-nen, worüber abschließend im Land-tag und in den Gremien beraten wird. Die Entwicklung von Kunst und Kultur würde so zur gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsaufgabe. Außerdem sollen die Landesbühnen vom Freistaat finan-ziert werden.

Exakt einen Tag vor der Landtagssit-zung, in der wir unseren Gesetzent-wurf einbrachten, legten CDU und SPD eine Novelle vor. Inhaltlich bewegt sich aber leider fast nichts: Keine Lösung zu den systemwidrig mitfinanzierten Landesbühnen, keine Demokratisie-rung und Transparenz der Entschei-dungsprozesse, keine Erhöhung und Dynamisierung der Landesmittel, kei-ne Kriterien für die nächste Evaluation. Geräuschlos soll die Novelle im März durchgewunken werden. Das ist eine Missachtung von Kunst und Kultur!

Hintergrund

Kultur, aber wie?CDU und SPD wollen Stillstand beim Kulturraumgesetz festschreiben, warnt Franz Sodann

Krieg und Frieden. Landnahme und Ver-tragspoker. Aufstieg und Untergang. Im Ringen um die territoriale Neuordnung Mittel- und Osteuropas 1918 bricht das alte Europa zusammen. Drei Vielvöl-kerreiche verschwinden. Neue Staaten betreten im Gefolge militärischer und revolutionär-sozialer Kämpfe, im Geis-te von Nationalismus und ethnischem Chauvinismus für kürzere oder längere Frist die Bühne. Epochenbruch mit Um-verteilung von Macht, Territorium und Einflusssphären.

Eine vergessene „Zwischenkriegszeit“ hat Herfried Münkler diese von Wider-sprüchen zerrissene, rasant-kurzatmi-ge Periode genannt, deren Folgen noch heute zu spüren sind. Sie genau zu ana-lysieren, um ein tieferes Verständnis für die aktuellen geopolitischen Verän-derungen in Europa nach dem erneu-ten Epochenbruch zu gewinnen, war die Intention des 31. unkonventionellen Gesprächskreises Jour fixe im Februar. Im prallvollen Leipziger Haus der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen lässt es Harald Koth förmlich krachen: Mit ei-ner gewaltigen Ladung an Daten und Fakten und anhand historischer Land-karten zeichnet der einheimische His-toriker die bewegten Jahre von Brest-Li-towsk 1918 bis Lausanne 1923 beinahe

protokollarisch nach. Seine dichte Do-kumentation macht staunen, was sich in Tagen, Wochen und Monaten zwi-schen Völkern und ihren Potentaten ab-spielte, wie sich auf- und untergehende Mächte heftige Schlachten auf Kriegs-feld und Verhandlungsparkett liefer-ten, wie Zweckbündnisse und freiwillige Rückzugsgefechte um des Überlebens willen bizarre Geschichtskapitel schrie-ben. Am Ende seines Vortrags hat Koth ein exorbitant dynamisches Jahrfünft beschrieben, dessen sieben Kriege und sieben Friedensverträge zwischen Brest-Litowsk und Lausanne ein geo- und machtpolitisch gewandeltes Euro-pa hervorgebracht hatten.

Eine faktengestützte Argumentation der behaupteten Folgen für die Gegen-wart bleibt leider aus. Mit dem Verzicht auf diskursorientierte Fragen oder The-sen und dem ausgebliebenen Versuch, die vorgetragenen Tatsachen bezie-hungsreich mit aktuellen Quasi-Ent-wicklungen und ihren Implikationen für linkes Denken zu verbinden, fehlt auch eine Grundidee für eine erkenntnisge-winnende Debatte. Eine Idee im Sinne jener Erkenntnis Richard von Weizsä-ckers, dass sich Geschichte nicht wie-derhole, sehr wohl aber ihre Lehren. Münklers These von der „Zwischen-

kriegszeit“ hätte diese Diskursidee sein können: Dass sie eine „Ordnung ohne Hüter“ gewesen sei, in der Politik der Stärke auch territoriale Begierden ge-waltsam befriedigen konnte, weil Nicht-betroffene tatenlos wegschauten. Ge-nau so präsentiere sich abermals die gegenwärtige Situation Europas. Aus ihr die richtigen Lehren zu ziehen, er-fordere, die Konstellationen der „Zwi-schenkriegszeit“ modelltheoretisch mit den heutigen Zuständen zu vergleichen. Jene vergangene Zeit sei jedoch zu we-nig geläufig, „um von Politikern und ih-rer Entourage“ ins Kalkül gezogen zu werden, so Münkler.

Die Jour-fixe-Runde macht da keine Ausnahme. Eine lebhafte Diskussion entzündet sich aber doch. So zu den Ursachen territorialer Auseinanderset-zungen, die neben ökonomischen und machtpolitischen Ansprüchen auch ethnisch-kulturell bestimmt seien (Mo-nika Runge, Peter Porsch). Beleuch-tet wird die Funktion von Mythos und Pathos, derer sich die Herrschenden zur Begründung territorialer Rechtmä-ßigkeit bedienen (Gerhard Hoffmann). Auch die außenpolitische Doktrin des US-amerikanischen Präsidenten Woo-drow Wilson von 1918 über das Selbst-bestimmungsrecht der Nationen, Wil-

sons in diesem Sinne übermittelte Grußadresse an den Sowjetkongress und die Ablehnung seiner Prinzipien durch imperialen Zeitgeist kommen zur Sprache (Roland Wötzel, Günter Hempel). Die Debatte kulminiert im Ringen um eine Positionsbestimmung zum Krim-Konflikt. Wie sich die offizi-elle Linke uneins zeigt, ob Russlands „Heimholung“ der Halbinsel als völker-rechtswidriger Akt gegenüber der Uk-raine zu bewerten sei, gelangt auch die Gesprächsrunde zu keiner klaren Aus-sage. Roland Wötzels juristische Argu-mentation gibt immerhin zu bedenken, das komplizierte, nicht bis ins Letzte ausformulierte Völkerrecht böte Deu-tungsspielraum, Annexionsvorwürfe gegenüber Moskau, wie sie auch in lin-ken Kreisen erhoben würden, nicht vor-eilig zu sanktionieren. Das solle aber keineswegs als Persilschein für Putins Machtpolitik missverstanden werden. Monika Runge, die den Abend souverän moderiert hat, nimmt diesen Gedan-ken in ihr Schlusswort auf: Wenn, wie im Falle der Krim geschehen, die Nach-kriegsordnung in Frage gestellt oder einseitig verändert werde, wachse die Gefahr einer kriegerischen Auseinan-dersetzung.

• Wulf Skaun

Krieg und Frieden

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2018 jährt sich die Einführung des Frauenwahlrechts zum einhundertsten Mal. Als Höhepunkte im Erstreiten des Stimmrechts können die Gründungs-konferenz des Weltbundes für Frauen-stimmrecht 1904 gelten und die Grün-dung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht im Jahr 1917.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Ausrufung der Weimarer Re-publik wurde das Frauenwahlrecht ver-kündet. Ein jahrzehntelanger Kampf hatte sein Ende gefunden, als der Rat der Volksbeauftragten formulierte: „Al-le Wahlen zu öffentlichen Körperschaf-ten sind fortan nach dem allgemeinen freien, geheimen, gleichen und unmit-telbaren Wahlrecht aufgrund des pro-portionalen Wahlsystems für alle min-destens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“ Am 30. November 1918 wurde somit das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verord-nung über die Wahl zur verfassungsge-benden deutschen Nationalversamm-lung verankert. Im Januar 1919 fand die erste nationale Wahl unter Beteiligung der weiblichen Bevölkerung statt – die Wahlbeteiligung lag bei 83 Prozent. Der Nationalversammlung gehörten 37 weibliche Abgeordnete an, vier Nach-rückerinnen zogen noch 1919 nachträg-lich in die Versammlung ein.

Kampf beginnt immer wieder neu

Seitdem haben wir viel erreicht, aber es ist ein ständiger Kampf, der immer wie-der neu geführt werden muss. So sind im 2017 gewählten Bundestag nur noch knapp 31 Prozent der Abgeordneten weiblich, das sind rund sechs Prozent weniger als in der vergangenen Wahlpe-riode. Woran liegt das? Bei den letzten

Wahlen sind Parteien in den Bundestag eingezogen, die insgesamt einen gerin-gen Frauenanteil haben. Außerdem lag der Anteil von Männern bei direkt ge-wählten Abgeordneten, die nach dem Erststimmenergebnis in den Wahlkrei-sen bestimmt werden, höher als bei den vorangegangenen Wahlen. Bei die-sen Direktkandidaturen kommen Frau-en deutlich weniger zum Zug als auf den

Wahllisten, bei denen man einen hö-heren Frauenanteil durch Quoten oder Quoren (wie z. B. bei den LINKEN und den Grünen) festlegen kann.

Was kann das bedeuten? Für frau-enspezifische Themen, zum Beispiel das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Voll-zeit, Pflegegesetze, gleiche Bezahlung oder die Abschaffung des Ehegatten-

splittings haben sich bislang Frauen stärker eingesetzt, oft fraktionsüber-greifend. Im Bundestag sind aber alle für die Politik verantwortlich, die dort gemacht wird – Frauen wie Männer. Frauenpolitik ist Gesellschaftspolitik und damit eine Querschnittsaufgabe. Und ich denke, da spielt auch die Par-teizugehörigkeit eine große Rolle.

Doch schauen wir auch in die Länder der Bundesrepublik. Über drei Jahr-zehnte waren männliche Abgeordnete in den Länderparlamenten der Bundes-republik fast unter sich. Erst ab Mitte der 1980er Jahre überstieg der Anteil von Parlamentarierinnen in den Land-tagen und Parlamenten der Stadtstaa-ten die 10-Prozent-Marke. Rund um die Wiedervereinigung wuchs der An-teil weiblicher Abgeordneter auf durch-schnittlich 20 Prozent und entwickelte sich anschließend sprunghaft weiter – allerdings nicht in überall.

Der Osten war deutlich besser

Mitte der 1990er Jahre waren Frauen in Berlin und in den östlichen Bundes-ländern besser in den Landtagen reprä-sentiert als in den westlichen. Bis zum Jahr 2004 pendelte sich der Frauenan-teil in Länderparlamenten schließlich auf durchschnittlich 30 Prozent ein.

Nicht nur die Zahl weiblicher Abge-ordneter in den Länderparlamenten wuchs in den letzten Jahren – auch in die Landesregierungen wurden deut-lich mehr Ministerinnen berufen. Erste Spitzenreiter waren Berlin, wo der Re-gierende Bürgermeister Walter Momper 1989 acht von dreizehn Senatsposten an Frauen übertrug; in Hessen gingen 1991 fünf der zehn Ministerien in weib-liche Hände. Es folgten Ministerpräsi-dentinnen wie Heide Simonis (1993/Schleswig Holstein), Christine Lieber-knecht (2009/Thüringen), Hannelore Kraft (2010/NRW), Annegret Kramp-Karrenbauer (2011/Saarland), Malu Dreyer (2013/Rheinland Pfalz) und Ma-nuela Schwesig (2017/Mecklenburg-Vorpommern)

Wie weiter?

Das Erreichte ist nicht das Erreichbare. Schon 2014 hat sich in Bayern das Ak-tionsbündnis „Parité in den Parlamen-ten“ gegründet, ein Zusammenschluss engagierter Menschen aus allen Be-reichen des gesellschaftlichen und po-litischen Spektrums. Es fordert eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in den Volksvertretun-gen. Alle Parteien sollen gesetzlich ver-pflichtet werden, ihre Kandidatenlis-ten paritätisch, also 50:50 mit Frauen und Männern zu besetzen. Diese Idee floss auch in die Entwürfe von Gleich-stellungsgesetzen der Linksfraktionen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpom-mern ein. Natürlich wird es ein langer Kampf werden, aber das war auch vor 100 Jahren so – aber das Frauenwahl-recht wurde eingeführt. Frauen stellen nun einmal gut die Hälfte der Bevölke-rung. Wir haben den Anspruch, dass sich das in den Parlamenten widerspie-gelt. Wir brauchen in der Politik mehr weibliche Vorbilder, auch damit wir Frauen motivieren, zur Wahl zu gehen oder sich in der Politik zu engagieren.

BundeslandFrauenanteil im

Parlament in Prozent (10/2017)

Baden-Württemberg 24,5

Mecklenburg-Vorpommern 25,3

Niedersachsen 26,3

Bayern 28,3

Berlin 33,1

Brandenburg 36,4

Bremen 33,7

Hamburg 37,2

Hessen 29,1

Nordrhein-Westfalen 27,1

Rheinland-Pfalz 35,6

Saarland 35,3

Sachsen 32,6

Sachsen-Anhalt 26,4

Schleswig-Holstein 30,1

Thüringen 40,6

Zum 8. März

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100 Jahre Wahl-recht für Frauen Der Kampf um gleiche Rechte ist nicht zu Ende – aber wirksam, meint Heiderose Gläß

„Ich frage jeden aufrichtigen Menschen, wären Gesetze wie die über das Vermögensrecht der Frauen, über ihre Rechte an den Kindern, über Ehe, Scheidungen u. s. w. denkbar in einem Lande, wo die Frauen das Stimmrecht ausübten? Hätten sie die Macht, sie würden diese Gesetze von Grund auf ändern. [...] Die Frauen haben Steuern zu zahlen wie die Männer, sie sind verantwortlich für Gesetze, an deren Beratung sie keinen Anteil gehabt; sie sind also den Gesetzen unterworfen, die Andere gemacht. Das nennt man in allen Sprachen der Welt Tyrannei, einfache, absolute Tyrannei, sie mag noch so milde gehandhabt werden, sie bleibt Tyrannei. Die Frau besitzt wie der Sklave Alles, was man ihr aus Güte bewilligt.“ Hedwig Dohm: Jesuitismus im Hausstand, Berlin 1873, S. 168f.

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Am 31. März 1971 wurde der letzte Hunt mit Kohle aus der Steinkohlen-lagerstätte Lugau- Oelsnitz gefördert. Damit hatte eine 127 Jahre währende Bergbautätigkeit, die nach der Entde-ckung der Lagerstätte 1831 mit der ers-ten Kohleförderung am 7. Januar 1844 begann, ihr Ende gefunden. 142 Milli-onen Tonnen Steinkohle wurden in all den Jahren nach übertage gebracht. Dies war die entscheidende Grundlage für die rasante Entwicklung der Indus-trie in Westsachsen, Thüringen bis hin nach Nordbayern. Und es war ein har-ter, unaufhörlicher Kampf der in diesem Bergbau Tätigen mit den Naturgewalten und mit den menschlichen Unzuläng-lichkeiten.

Bergbau birgt Gefahren. Viel zu oft trat auch tatsächlich ein Schaden in einem Kohlenbergwerk ein und viele Tote sind in den Steinkohlenbergwerken der Welt zu beklagen. Das Unglück auf der „Neu-en Fundgrube“ in Lugau mit 101 Toten im Jahr 1867, ausgelöst durch den Ein-bruch der einzigen Schachtröhre, stellte nicht nur das opferreichste Grubenun-glück im neu entstehenden Lugau-Oels-nitzer Revier dar, sondern zählt zu den schwersten im deutschen Steinkohlen-bergbau.

Das Grubenunglück auf der „Neuen Fundgrube“ in Lugau, aber auch der publizistisch reflektierte Zusammen-bruch des Otto-Schachtes in Niederwür-schnitz 1868 fielen in eine Epoche größ-ter gesellschaftspolitischer Spannungen in Deutschland. Im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft wandel-ten sich Lebensstrukturen grundsätz-lich. In den schnell wachsenden säch-sischen Steinkohlenrevieren richtete sich diese soziale Frage mit der entste-henden Industriearbeiterschaft beson-ders auf deren gesellschaftliche Veror-tung aus. Die Thematik bot sich daher an, innerhalb der Bemühungen der Ar-

beiterschaft um die Verbesserung ihrer sozialen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse aufge-griffen zu werden. Auf dem Vereinstag der Deutschen Arbeitervereine am 6. und 7. Oktober 1867 in Gera behandel-te der führende Sozialdemokrat August Bebel ausführlich die Lugauer Gruben-katastrophe. Die Fragen des Arbeiter-schutzes sind hier erstmals auf einem deutschen Arbeiterkongress verhan-delt worden. Allerdings wird zugleich er-kennbar, dass es um mehr ging.

Der Kampf um die Rechte der Arbei-ter, der sich nach Gründung von Berg-arbeiterkomitees im Zwickau-Oelsnit-zer Revier 1865/66 zunächst auf eine Reform der Knappschaften fokussier-te, erweiterte sich ausdrücklich auf die Gesetzgebung in Bergbau- und Entschä-digungsangelegenheiten. Das 1868 verabschiedete „Allgemeine Bergge-setz für das Königreich Sachsen“ stand ebenso im Mittelpunkt der Diskussio-nen wie das von August Bebel gefor-

derte Haftpflichtgesetz. Das dann nach Gründung des Deutschen Kaiserrei-ches unmittelbar 1871 verabschiedete Reichs-Haftpflichtgesetz entsprach den Ansprüchen nicht völlig, bildete aber die Grundlage einer durchaus notwendigen Veränderung auf arbeitsrechtlichem Ge-biet.

In gleicher Weise wandten sich Lugau-er Bergarbeiter 1868 an den „… Gene-ralrath der Internationalen Arbeiter-As-sociation in London … zu Händen des Herrn Carl Marx.“ Sie traten als erste deutsche Arbeiter unmittelbar mit Marx in Kontakt. Friedrich Engels verfasste einen „Bericht über die Knappschafts-vereine der Bergarbeiter in den Kohlen-werken Sachsens“, der in England und Deutschland erschien. Dem Beitritt die-ser Bergleute zur I. Internationale folg-te ein noch wesentlicherer Schritt: Am 17. Januar 1869 begründeten sie mit der „Gewerksgenossenschaft deutscher Berg- und Hüttenarbeiter in Lugau und Umgegend“ die erste deutsche Bergar-

beitergewerkschaft. Der daraus 1870 entstandenen „Internationalen Genos-senschaft der Berg-, Hütten- und Sa-linenarbeiter“ gehörten rund 15.000 Bergarbeiter aus Sachsen, dem Aache-ner Revier und Ruhrgebiet an. Der end-lich 1876 entstandene „Verband Sächsi-scher Berg- und Hüttenarbeiter“ wurde zu einem Vorreiter der Gewerkschafts-bewegung in Deutschland.

Damit besitzt eine der schwersten Gru-benkatastrophen Deutschlands nicht nur eine bergbauliche, sondern vielmehr eine gesellschaftspolitische Dimension, die in ihrer Entwicklung bis heute nach-wirkt und den bestimmenden Anteil des sächsischen Steinkohlenbergbaus am Werden des modernen Industriezeital-ters festschreibt.

Am 1. Juli 2017 wurde der 150 Jahres-tag dieses Unglückes begangen. Vertre-ter der Landespolitik, der Landrat des Erzgebirgskreises, Frank Vogel, die Bür-germeister der Region und viele Vertre-ter aus Politik und Gesellschaft fanden sich an diesem Tag in Lugau ein. Eine Bergparade mit der Knappschaft des Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenreviers e. V. an der Spitze, die anschließende Ge-denkfeier sowie der Berggottesdienst mit dem Landesbischof Dr. C. Renzing in der Kreuzkirche waren sehr berührend.

Unter dem Titel „…denn man sah nichts als Elend…“ erschien in diesen Tagen ein Buch. Es zeichnet, ausgehend von einer Momentaufnahme der Gescheh-nisse des Sommers 1867, eine Ent-wicklung zwischen Einzelschicksal und Massenbewegung nach, die einen we-sentlichen Schritt bei der Wandlung der Arbeits- und Lebensverhältnisse auf dem Weg zur modernen Industrie-gesellschaft darstellten. Es ist erhält-lich in der Stadtverwaltung Lugau bei Bürgermeister Thomas Weikert (DIE LINKE).

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Eine Grubenkatastrophe und die ArbeiterbewegungHeino Neuber über Unglück auf der „Neuen Fundgrube“ in Lugau 1867, das eine gesellschaftspolitische Wirkung entfaltet hat

Wie stellt mensch sich das vor, gemein-sames Lernen aller, gleichberechtigte Teilhabe aller und Barrierefreiheit? Das Gespenst Inklusion scheint noch meh-rere Geister zu haben. Das Gespenst schwirrt auch nach elf Jahren UN-Be-hindertenrechtskonvention (UN-BRK) immer noch mit seinen Geistern umher.

Nein, so negativ sollte man es nicht sehen. Oft hört man, dass diese UN-BRK mit ihrem Recht auf Barrierefrei-heit, Teilhabe aller und Inklusion wich-tig ist, aber das Geld! Das Geld und die mangelnden Rahmenbedingungen sind daran schuld, dass es beispielsweise immer noch keine Inklusion an Schu-len und umfassende Barrierefreiheit in Deutschland gibt. Wer eine Sache nicht will, sucht Begründungen, wer sie möchte, sucht Möglichkeiten. Geld ist

doch schon eine gute, für alle nachvoll-ziehbare Begründung. Deutschland und Sachsen haben viel Geld auf der ho-hen Kante. Dennoch hat die UN-BRK, die seit neun Jahren in Deutschland Rechtskraft hat, bei den Sondierun-gen zwischen SPD und CDU überhaupt keine Rolle gespielt. Behindertenpoli-tik hat keine Rolle gespielt. Scheinbar haben die Entscheidungsträger Angst, sich dem Gespenst zu stellen.

Sachsens Ministerpräsident Kretsch-mer stellt sich hin und will Förderschu-len erhalten. Es ist keine Rede von län-gerem gemeinsamen Lernen oder von Inklusion im Bildungsbereich. Die säch-sische Staatsregierung hält am geglie-derten Schulsystem fest, obwohl gera-de Sachsen von der Monitoringstelle zur Umsetzung der UN-Behinderten-

rechtskonvention gerügt worden ist. Barrierefreiheit und barrierefreier Woh-nungsbau spielt ebenso überhaupt kei-ne Rolle. Man meidet das Gespenst der Inklusion mit seinen Geistern wie der Teufel das Weihwasser. Mensch hat fast den Eindruck im Marxschen Sinne: „Die herrschenden Ideen einer Zeit wa-ren stets nur die Ideen der herrschen-den Klasse.“ Doch der Geist der Inklu-sion lässt sich nicht einfach vertreiben, denn sie ist ein Menschenrecht.

Es werden kleine, sehr kleine Schritte getan, für die man sich lobt. Für Neu-bauten beispielsweise gibt es Regelun-gen für Barrierefreiheit. Doch werden Barrieren für Bestandsbauten noch viel zu selten abgebaut, da dies der Kosten-vorbehalt nicht selten verhindern hilft. Es gibt in den Städten verstärkte Bemü-

hungen zum barrierefreien Öffentlichen Nahverkehr, allerdings noch lange nicht im notwendigen Maße. Ein Menschen-recht ist jedoch kein Selbstzweck, es muss mit Leben gefüllt werden, so dass jeder und jede sich in die Gesellschaft sich nach ihren und seinen Fähigkeiten sowie Bedürfnissen einbringen kann. Rudolf Kuhr: „Sinn unseres Lebens ist größtmögliche Entfaltung und Vervoll-kommnung der eigenen Persönlichkeit in größtmöglicher Harmonie und Ver-bundenheit zu unserer Mitwelt.“ Davon ist Sachsen auch nach elf Jahren UN-BRK weit entfernt. Also lasst uns das Gespenst der Inklusion mit seinen Geis-tern begrüßen und mit ihm weiter für eine stärkere Umsetzung der UN-BRK streiten.

• Susann Schöniger

Ein Gespenst geht um in Deutschland

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Clara Zetkin

Kampf gegen Pickelhauben-Geistder falterfarbige Entfaltung der Frauenin und außerhalb der vier WändeaufspießteAufwindleistungnicht zeppelinvergänglichtrug Clara und Rosa höher in der Geschichteals jede andre Deutsche Martin Schulz

martinshornlaut verspottet:wortbrüchig durchschnittlich

als er Kanzlerkandidat waralle Bundesminister durchschnittlichmehrere wortbrüchigmartinsgansdumm wer dies verkennt • Jürgen Riedel

Frühling

MusikIm SchneeglöckchentaktGetanzt Endlich

atme ahnendriechezartes Grün Gewissheit Frühlingspurzelbaum

jedes Jahr neu lebenmeine Freiheitzu sein

• Janina Niemann-Rich

Fließband der Lüge

Das Fließband der Lüge es produziert in einem fort.Verzerrte Bilder und das unwahre Wort.

Wer anderes willden setzen sie unter Druck.Auf dem Fließband der Lüge

Wer es bestreiken will das Fließband der LügeDer fliegt –in Zeiten, wo die Lüge Geschäftsprinzip.

Aber weitergehen kann es so nicht.Es wird kommen der Tag an dem es zerbricht.Das Fließband der Lüge –unter dem Druck der Wahrheit.

• René Lindenau

Am 30. Januar 1933 hatte Reichspräsi-dent von Hindenburg Adolf Hitler, den Führer der stärksten Partei im Reichs-tag, zum Reichskanzler ernannt und mit der Regierungsbildung beauftragt. Die-se war seit 1919, der Gründung der Wei-marer Republik, die einundzwanzigste.

Hitlers Machtergreifung war legal er-folgt. Wenn diese in Berlin und vie-len deutschen Städten mit mächtigen Aufmärschen von NS-Sturmabteilun-gen begleitet war, so galt es für Hitler, die Macht zu sichern und auszubau-en. Einen besonderen propagandis-tischen Platz auf diesem Weg nahm der 21. März 1933 ein, der als „Tag von Potsdam” bezeichnet wurde. An diesem Jahrestag der ersten Reichs-tagseröffnung durch Bismarck 1871 sollte der am 5. März gewählte Reichs-tag eröffnet werden, und zwar in der Potsdamer Garnisonskirche. Am Vor-mittag begaben sich die Abgeordne-ten in die Kirche ihrer Konfession, die evangelischen Abgeordneten in die Nikolai-Kirche und die Katholiken in die katholische Stadtkirche. Nach bei-den Gottesdiensten schritten die Ab-geordneten in zwei Zügen durch die geschmückten Straßen Potsdams zur Garnisonskirche. An der Spitze des evangelischen Zuges gingen die Reichsminister Göring und Frick, der Zug der Katholiken wurde angeführt vom Reichsführer der SS Himmler und vom gerade ernannten Reichspropa-gandaminister Goebbels. Hitler und Goebbels nahmen nicht am Gottes-dienst teil, sondern legten während-dessen an den Gräbern nationalsozi-alistischer Opfer Kränze nieder. Die sozialdemokratischen Abgeordneten nahmen an der Veranstaltung nicht

teil. Die 81 KPD-Mandate waren wider Recht und Gesetz annulliert worden.In der Garnisonskirche wurden von Hindenburg und Hitler Reden gehalten. Inhalt der Zeremonie war die Demons-tration des Bundes von preußisch-deutschem Militarismus und Hitlerfa-schismus. Generalsuperintendent Otto Dibelius segnete das Bündnis zwischen Hindenburg und Hitler, besiegelt durch eine Handreichung des Generalfeld-marschalls an Hitler. Vor der Kirche paradierten Reichswehr, SA, Hitlerju-gend, der Stahlhelm und die preußi-sche Schutzpolizei.

Auf der ersten Arbeitssitzung des Reichstages in der Berliner Kroll-Oper kam es zwei Tage später, am 23. März 1933, zu der verhängnisvollen Verab-schiedung des „Gesetzes zur Behebung von Not für Volk und Reich”, dem be-rüchtigten Ermächtigungsgesetz, durch den Reichstag, mit dem der Weimarer Republik, dem ersten bürgerlich-de-mokratischen Staat in der deutschen Geschichte, endgültig der Todesstoß versetzt wurde. Zur Organisierung ei-ner Zweidrittelmehrheit durch die Na-zis hatte auch die Annullierung der 81 KPD-Reichstagsmandate gehört.

Vorspiel zum TodesstoßWinfried Steffen über den „Tag von Potsdam“ vor 85 Jahren

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Lyrisches

In memoriam Erhard HexelschneiderDer in Greifswald und Leningrad aus-gebildete Slawist hatte nach einem In-termezzo als Fachübersetzer in den Leuna-Werken mehr als drei Jahrzehn-te an der Leipziger Karl-Marx-Univer-sität gelehrt, geforscht und seit 1980 das Herder-Institut geleitet. Unter sei-nem Direktorat gewann die berühmte Vorstudieneinrichtung für ausländische Studierende an wissenschaftlichem Profil und internationaler Reputation. Menschen aus anderen Ländern zu ver-stehen, mit ihnen und in Eintracht zu le-ben, war für Erhard Hexelschneider das erste Gebot. Als das Herder-Institut im Dezember 1989 mit rechtsextremis-tischer Randale konfrontiert und eine äthiopische Studentin bedroht wurde, forderte er eine Gegenoffensive aktiver Ausländerfreundlichkeit.

Hexelschneiders akademische Karri-ere wurde durch einen dubiosen Ver-waltungsakt abrupt beendet. Die in den Annalen der Leipziger Universität präzedenzlosen Kündigungen erfuh-ren viele Wissenschaftler nicht nur als Abbruch der akademischen Laufbahn, sondern oft gleichermaßen als jähes Ende ihres Forscherlebens. Im Unter-schied zu Kollegen, die in Resignation verstummten, fand unser Freund den Mut, die Willenskraft und die schöpfe-rische Energie für einen neuen Anfang,

und so kann heute ein opulentes wis-senschaftliches Œuvre bewundert wer-den: Summa summarum 714 Veröffent-lichungen, von denen fast die Hälfte nach dem Epochenwandel entstanden ist. Im Fokus stehen die deutsch-sla-wischen Kulturbeziehungen, für Hexel-schneider stets ein gegenseitiges Ge-ben und Nehmen − Lew Kopelew hat dafür den Topos der „Westöstlichen Spiegelungen“ geprägt. Ihnen hat unser Leipziger Slawist sein Opus magnum, eine enzyklopädische Darstellung der „Kulturellen Begegnungen zwischen Sachsen und Russland 1790–1849“ ge-widmet.

Er mochte Ironie und hatte viel Sinn für Zwischentöne. Ungeahnten Lek-türegenuss bereiten seine im Titel an Dostojewski gemahnenden Impressi-onen russischer Künstler über Dres-den: „Ein Schatz in der Tabaksdose“. Auf der Suche nach Spuren von Marina und Anastassija Zwetajewa fand Erhard Hexelschneider im Archiv der Staatli-chen Kunstsammlungen Dresden den in Briefen geronnenen Gedankenaus-tausch zwischen Iwan Zwetajew, Vater der berühmten Autorinnen und Grün-der des heutigen Moskauer Puschkin-Museums, und Georg Treu, Direktor der Skulpturensammlung im Dresdner Al-bertinum. Hexelschneiders Prachtband „In Moskau ein kleines Albertinum bau-en“ bezeugt, dass das Albertinum für das heutige Puschkin-Museum in Mos-kau tatsächlich Pate stand.

In den letzten Lebensjahrzehnten war die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen die intellektuelle Heimstatt von Erhard Hexelschneider. Seine Essays über Ro-sa Luxemburgs Beziehung zu Leipzig, Kunst und Literatur gehören zum wis-senschaftlichen Tafelsilber der Linken. Nun sind Stimme und Feder für immer verstummt.

• Manfred Neuhaus

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Links! 03/2018 Seite 8

Gralshüter proletarischen SchrifttumsEine neue Publikation würdigt Archivare, Bibliothekare und Sammler deutschsprachiger Quellen der Arbeiterbewegung. Von Wulf Skaun„Die alte Welt erneuern − das ist der tiefste Trieb im Wunsch des Sammlers, Neues zu erwerben ...“ Was Walter Ben-jamin in seinem Essay „Ich packe meine Bibliothek aus“ als allgemeines Credo jener Spezies formuliert hat, trifft auf Archivare, Bibliothekare und Sammler deutschsprachigen Schrifttums der Ar-beiterbewegung noch ganz besonders zu. 60 von ihnen hatten der Berliner För-derkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung und das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahre 2009 in der Publikation „Bewahren − Ver-breiten – Aufklären“ mit Kurzbiografien gewürdigt. Ende 2017 ist ein gleich-namiger Supplementband erschienen. Herausgegeben von Günter Benser, Dagmar Goldbeck und Anja Kruke, erin-nert er an 16 weitere Persönlichkeiten, die sich um schriftliche Überlieferungen der deutschsprachigen Arbeiterbewe-gung verdient gemacht haben. Die Au-toren, ausgewiesene Wissenschaftler und Bibliothekare, verfolgen wiederum deren Ziele und Methoden und vertiefen so das Wissen um die Entwicklungsge-schichte des proletarischen Bibliotheks- und Archivwesens. Die Kurzporträts über diese „Gralshüter“ kostbarer Quel-

len der Arbeiterbewegung stammen von Willy Buschak, Rainer Holze, Gün-ter Benser, Rüdiger Zimmermann, Ag-nieszka Brockmann, Dagmar Goldbeck, Andreas Diers/Rudolf Steffens, Frau-ke Mahrt-Thomsen, Heinz Deutschland, Ottokar Luban, Gisela Notz, Elisabeth Ittershagen, Rolf Hecker und Andreas Herbst.

So verschieden die von ihnen skizzier-ten bibliophilen Frauen und Männer und so unterschiedlich deren Bücher-schätze auch sind, immer gleich ist die Faszination, die von ihrer Sammellei-denschaft und der Magie ihrer Biblio-theken ausgeht. Wer sich durch dieses Bändchen gedruckter Arbeitergeschich-te liest, begegnet literaturversessenen Charakteren mit all ihren vom Umgang mit Büchern und Schriften geprägten Ei-genarten, durchforstet mit den leucht-enden Augen der Sammler ihre papier-nen Schatzkammern und weiß endgültig den Lustseufzer des großen Jorge Luis Borges zu verstehen: „Das Paradies ha-be ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.“

Der Autor dieser Zeilen möchte, ohne Ausnahme, auf die honorierten Archi-

vare, Bibliothekare und Sammler, dar-unter ein Frauenquintett, neugierig ma-chen. Aus Platzgründen hält er sich an die summarischen Vorbemerkungen der Herausgeber. Deren Übersicht über die fünf Frauen verrät, dass Bona Peiser, die erste hauptberufliche Bibliothekarin Deutschlands, maßgeblich zur Entwick-lung des bibliothekarischen Berufsbil-des und der Lesehallenbewegung bei-trug. Agnes F. Peterson kuratierte die mittel- und westeuropäischen Samm-lungen der Hoover Institution, während Ilse Schiel für die Sammlung von Erin-nerungen verantwortlich war. Beider spezielle Sachkompetenz ermöglichte es vielen Historikern, die Geschichte der Arbeiterbewegung „an der Quelle“ zu erforschen. Amelie Pinkus-De Sas-si, die Frauenrechtlerin und Buchhänd-lerin, gründete gemeinsam mit ihrem Ehemann die Studienbibliothek zur Ge-schichte der Arbeiterbewegung in Zü-rich. Inge Lammel schließlich hob das Arbeiterliedarchiv der Akademie der Künste der DDR aus der Taufe.

Dem Andenken an Archivare und Biblio-thekare der jüngeren Vergangenheit, die sich bei der Erschließung und Bewah-rung von gedruckten und ungedruck-ten Materialien der Arbeiterbewegung ausgezeichnet haben, sind Kurzbiogra-fien über Friedrich P. Kahlenberg, Wer-ner Krause und Heinz Peter gewidmet. Hans Landauer, der ein einzigartiges Ar-chiv der österreichischen Spanienkämp-fer schuf, gehört ebenso dazu wie auch Hermann Weber, der als Historiker half,

bedrohte DDR-Archive zu retten. Das Doppelporträt der beiden Wissenschaft-ler Robert René und Jürgen Kuczynski stellt ihre atemberaubende, über Ge-nerationen gepflegte Gelehrtenbiblio-thek vor. Große Sammler waren auch Arthur Lehning mit seinem vielleicht umfangreichsten Fundus zum Anarcho-Syndikalismus und der Gewerkschafts-funktionär Emil Basner. Eduard Backert rettete die Gewerkschaftsquellen der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter, während Hans Stein als Mitarbeiter des Moskauer Marx-Engels-Instituts und später des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte Amsterdam einschlä-gige Dokumente entdeckte, beschaffte und sicherte.

Zu den Vorzügen der Publikation zählen auch die fotografischen Porträts der 16 Vorgestellten sowie das Personenregis-ter von Birgit Leske. Büchermenschen mit Sammeleifer finden in „Bewahren − Verbreiten – Aufklären“ auch noch man-chen Ratschlag für die Strukturierung ihrer eigenen Bibliothek. Günter Benser, Dagmar Goldbeck, Anja Kruke (Hrsg.): Bewahren − Verbreiten − Aufklären. Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der deutschspra-chigen Arbeiterbewegung. Supplement. 165 S. Erarbeitet in Kooperation von För-derkreis Archive und Bibliotheken der Ar-beiterbewegung und Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn 2017. ISBN 978-3-95861-591-5. Bezug über [email protected]

Leipziger Felsenkeller bekommt Gedenktafel für Rosa Luxemburg

Der Felsenkeller im Leipziger Wes-ten hat seit seiner Eröffnung im Jahr 1890 viele bewegte Jahre hin-ter sich. Der große Festsaal dien-te nicht nur für Ball- und Konzert-veranstaltungen, sondern war auch ein berühmter Versammlungssaal der lokalen Arbeiterbewegung. Hier sprachen vor 1933 u.a. Karl Lieb-knecht, Clara Zetkin und Ernst Thäl-mann. Auch Rosa Luxemburg war mehrmals zu Gast und hielt hier am 27. Mai 1913 ihre berühmte Re-de „Zur weltpolitischen Lage“, in der sie die imperialistische Politik Deutschlands am Vorabend des Ers-ten Weltkrieges heftig attackierte.An diesen Auftritt der berühmten Sozialistin erinnerte im „Vorpro-gramm“ des Auftritts von Sahra Wagenknecht am 22. Februar der Leipziger Historiker Volker Külow. Er stellte eine von ihm herausge-gebene Broschüre vor, in der die Luxemburg-Rede mit Anmerkun-gen abgedruckt ist. Seinen Beitrag beendete der frühere Vorsitzende der Leipziger Linkspartei mit einem

Spendenaufruf für eine Gedenkta-fel zu Ehren von Rosa Luxemburg, die am 27. Mai 2018 – dem 105. Jahrestag ihres Auftritts – am Fel-senkeller feierlich enthüllt werden soll. Noch am Abend kamen fast 700 Euro für die Gedenktafel zu-sammen, die rund 2.000 Euro kos-ten wird. Spenden sind ausdrück-lich erwünscht – Konto: DIE LINKE. Leipzig; Sparkasse Leipzig; IBAN: DE11860555921175503920.

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Das von Günter Benser verfasste Kom-pendium ist eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen des Beitritts der DDR zum Geltungsbereich der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990. Während sich die um Bundeskanzler Helmut Kohl gescharr-ten Akteure der Herstellung der staat-lichen Einheit Deutschlands, aber auch die heutigen Tonangeber gebetbuchar-tig darauf berufen, dass ihr damaliges Vorgehen alternativlos gewesen sei, be-legt Benser, dass es durchaus eine Al-ternative zum überstürzten Anschluss, zur Vereinigung als Unterwerfungs- und Kolonalisierungsakt gab. Doch diese Al-ternative war nicht gewollt. Es war und ist eine Lüge, wie auch vom Autor dieser Zeilen wiederholt nachgewiesen, dass die ostdeutsche Herbstrevolution 1989 von Anfang an die deutsche Einheit an-gestrebt habe. Auf den Demonstratio-nen und Kundgebungen jener Zeit wa-ren verschiedene Forderungen erhoben worden, aber nicht die nach Preisgabe eigener Staatlichkeit und Aufgehen in der westdeutschen Bundesrepublik.

Benser wählt zum Ausgangspunkt die Auffassung, dass die Suche nach den vertanen Chancen nicht bei der Poli-tik des Bundeskanzlers Kohl ansetzen kann, sondern „sie muss von den Ver-säumnissen und den Fehlentwicklun-gen der DDR und von deren Reformun-fähigkeit ausgehen“. Sein erstes Kapitel trägt daher die Überschrift: „Erstarrung in der DDR und eine orientierungslose Führung“. Die Wahrheit gebiete einzu-räumen, betont er, dass es viel schlim-mer hätte kommen können. Es gelang aber, die Gefahr eines gewaltsamen Kräftemessens von Staatsmacht und Opposition abzuwenden, womit sich die Chance für eine Neugestaltung der politischen Machtverhältnisse und für tiefgreifende Reformen im Rahmen der DDR eröffnete.

Die Situation veränderte sich jedoch grundlegend mit der chaotischen Öff-

nung der Staatsgrenze der DDR. Bens-er verweist mit Nachdruck darauf, dass die Chance, in Verhandlungen einzutre-ten und einen Vertrag zwischen DDR und BRD über die Aufhebung der Gren-zen und die Freizügigkeit für die Bürger beider deutscher Staaten abzuschlie-ßen, mit dem 9. November 1989 vertan war. Nunmehr waren die Weichen von Vereinigung auf Anschluss gestellt. Als

der neue Ministerpäsident der DDR, Hans Modrow, am 1. Februar 1990 mit seiner Erklärung „Für Deutschland, ei-nig Vaterland“ detaillierte Vorschlä-ge – Benser listet sie auf – für einen gangbaren Weg zur Einheit Deutsch-lands unterbreitete, war dafür kein Bo-den mehr vorhanden. „Zu einem güns-tigeren Zeitpunkt eingeleitet“ – sprich Monate zuvor – „wäre mit solch einem Konzept, falls von der Bonner Regie-rung zumindest in der Kernsubstanz mitgetragen, ein Übergang zur deut-schen Einheit möglich geworden, der so manche Verwerfungen und Fehlent-wicklungen der Anschlusspolitik ver-mieden oder zumindest gemildert hät-te“, meint Benser dazu. Vom Jubel in den nationalen Taumel übergehend, ging zunächst die soziale Frage unter, um sich bald der Lage, Deutscher zwei-ter Klasse zu sein, bewusst zu werden.

Als Ministerpräsident Lothar de Maizi-ère, dessen Regierungserklärung noch von einigem ostdeutschen Selbstbe-wusstsein gezeugt hatte, dennoch mit einem mehrere Jahre währenden Annä-herungsprozess gerechnet hatte, war das Gesetz des Handelns längst an die Bonner Regierung übergegangen. Mit dem am 18. Mai 1990 abgeschlosse-nen „Staatsvertrag über Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ betrach-teten die Herrschenden der BRD die

noch existierende DDR de facto bereits als innerdeutsches Territorium.

Was – ausgehend vom 9. November 1989 – konkret folgte, schildert Ben-ser, gegliedert in zehn Kapitel, im De-tail. Sie behandeln die Vergiftung der Atmosphäre durch Populismus, Denun-ziation und Verunglimpfung, die Ein-heit als Sturzgeburt, das verschmähte Vermächtnis des Runden Tisches, die Verramschung des Volksvermögens, Abwicklung statt Integration, die Sie-gerjustiz und anderes mehr. Das alles in Betracht ziehend, liegt es auf der Hand, dass viele Konfikte und Heraus-forderungen unserer Gegenwart in ur-sächlichem Zusammenhang mit verta-nen Chancen stehen.

Abschließend stellt er die sich aufdrän-gende Frage: Was nun? Seine Antwort: Vor allem bedarf es endlich einer Re-gierung, die sich als fähig erweist, ei-nen von der Mehrheit der Bevölkerung getragenen Zukunftsentwurf glaubwür-dig zu vertreten, was jedoch derzeit nicht zu erwarten ist. Somit lautet der letzte Satz: „Nur ein breites Linksbünd-nis vermag die schlimmsten Folgen der vertanen Chancen von Wende und Anschluss zu tilgen oder zu minimie-ren und Lösungen für die existentiellen Probleme der Deutschen, die letztlich Menschheitsprobleme sind, anzubah-nen.“Ein Abkürzungsverzeichnis und ein Per-sonenregister schließen den Band ab, von dem sein Autor sagt: „Vieles, wenn nicht das Meiste, kann man auch an-derswo lesen, aber zu diesem Thema nur verstreut, nicht in solcher Kom-paktheit.“ Darin besteht ohne Zweifel die Stärke des Buches.

Günter Benser: Die vertanen Chancen von Wende und Anschluss. Es bleibt ei-ne offene Wunde oder Warum tickt der Osten anders? verlag am park in der edi-tion ost, Berlin 2018. 200 Seiten, 14,99 Euro. ISBN 978-3-947094-11-0

Wie ihr Bruder August – er war der wich-tigste theoretische Kopf der KPD und danach der KPD (O) – zählte Berta Thal-heimer, was oft vergessen worden ist, zu den bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung. Ge-boren am 17. März 1883 in Affaltrach/Württemberg, gehörte sie zum linken Flügel der SPD und war befreundet mit Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Eva Mehring.

Sie arbeitete mit an der von Clara Zetkin redigierten „Gleichheit“, der Frauenzeit-schrift der SPD, und an der Göppinger „Freien Volkszeitung“, die ihr Bruder Au-gust redigierte, mit dem sie zeitlebens eng verbunden war.

Mit Beginn des Weltkrieges trat sie als leidenschaftliche Gegnerin der Burg-friedenpolitik des Parteivorstandes ent-gegen und schloss sich frühzeitig der Spartakusgruppe an, als deren Vertrete-rin sie im September 1915 und im April 1916 an den Konferenzen der Kriegs-gegner in Zimmerwald und Kienthal teil-nahm. Die 1. Spartakuskonferenz im Januar 1916 in Berlin hatte sie organisa-torisch vorbereitet. Zusammen mit Le-nin trat sie auf den Schweizer Tagungen für die Gründung einer neuen Internatio-nale ein. Sie war Mitglied des ständigen Ausschusses der Zimmerwalder Bewe-gung und enge Mitarbeiterin von Leo Jo-giches. 1917 wurde sie wegen ihrer an-timilitaristischen Tätigkeit verhaftet und des Hochverrats in Stuttgart angeklagt. Verurteilt zu zwei Jahren Zuchthaus, ver-brachte sie die Haft bis zu ihrer Befrei-ung durch die Novemberrevolution in Delitzsch.

Berta Thalheimer wurde folgerichtig Mitbegründerin der KPD und des Roten Frauen- und Mädchenbundes. Im Zuge heftigster innerparteilicher Auseinan-dersetzungen zu Fragen der Strategie

und Taktik, ausgelöst durch die ultra-linke Offensivtheorie, wurde sie Anfang 1929 aus der KPD ausgeschlossen, wo-raufhin sie sich der Ende 1928 gegrün-deten KPD (O) anschloss. In der Zeit der faschistischen Gewaltherrschaft war sie als Kommunistin und Jüdin stark ge-fährdet und konnte zunächst nur mit Hilfe der KPD (O) überleben, bevor sie 1941 in einem „Judenhaus“ interniert wurde. 1943 erfolgte ihre Deportation nach Theresienstadt, wo sie am 7. Mai 1945 zusammen mit über 35.000 In-haftierten ihre Befreiung durch die Ro-te Armee erfuhr. Sie kehrte nach Stutt-gart zurück und trat der KPD bei, die sie jedoch 1948 wegen Unstimmigkei-ten wieder verließ. Danach schloss sie sich der „Gruppe Arbeiterpolitik“ (GAP) an, für deren gleichnamige Zeitschrift sie verantwortlich zeichnete. Ihr Bruder August, um dessen Einreisevisum sie sich vergeblich bemüht hatte, verstarb am 19. September 1948 in Havanna, am 23. April 1959 Berta Thalheimer in Stuttgart.

• Prof. Dr. Kurt Schneider

Verfasst unter Nutzung von Daten in Theodor Bergmann „Gegen den Strom“.

Geschichte

Beitritt als Unterwerfungsakt

Vor 135 Jahren geboren:Berta Thalheimer

Günter Benser fragt: Warum tickt der Osten anders? Prof. Dr. Kurt Schneider hat seine Antwort studiert

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Chemnitz, 14. März, 18.30 Uhrn Vortrag und DiskussionDie Türkei heute - wie Erdoğan seine Macht sichert*REIHE: Junge akademische Reihemit Florian Kistner (Politikwissen-schaftler). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen und des Rothaus.Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Chemnitz, 21. März, 17 Uhrn Vortrag und DiskussionVon armen Schnorrern und wei-sen Rabbis. Zur Soziologie des jü-dischen Witzes*Mit Dr. Hartmut Gorgs, Dramaturg. Eine Veranstaltung der RLS Sachsen und des Soziokulturellen Zentrums querbeet.Veranstaltungssaal, Soziokult. Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, Chemnitz

Leipzig, 27. März, 18 Uhrn Vortrag und DiskussionDas Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts? Marx und die Empire-Trilogie von Hardt und NegriReihe: Philosophische Dienstagsgesell-schaft*. Mit Prof. Dr. Ulrich Brieler (His-toriker), Mod.: PD Dr. Peter Fischer.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig

Dresden, 27. März, 18 Uhrn Vortrag und Diskussionmobilität für alle! Das Konzept fahrscheinfreier NahverkehrREIHE: Junge Rosa. Mit Marco Böhme (stellv. Fraktionsvorsitzender DIE LIN-KE im Sächsischen Landtag).WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 29. März, 19.30 Uhrn Vortrag und DiskussionPolitik und Religion - Eine philo-sophische Auseinandersetzung mit dem Problem ihrer Unverein-barkeit*Mit Henry Lewkowitz (Philosoph, Ge-schichts- und Politikwissenschaftler)All-in, Rosenhof 14, 09111 Chemnitz

Programm im Rahmen der Inter-nationalen Wochen gegen Rassis-mus in Dresden

Dresden, 13.-28. März, 19-22 Uhr n WanderausstellungEDEWA, der Postkolonialwaren-laden, eröffnet erste Filiale in SachsenEine interaktive Wanderausstellung mit „Verkaufsaktionen“. Eine Veranstal-tungsreihe von DRESDENpostkolonial, VVN BdA Region Dresden, Kunsthaus Dresden, Dresden für Alle und der RLS Sachsen mit Unterstützung von Roma-Respekt im Rahmen des Bundespro-gramms Demokratie leben! und geför-dert durch das BMFSFJ, initiiert von Mareike Fritz. Vernissage am 13. März um 19 Uhr mit der Musikerin Dikum-bi. Die Ausstellung kann außerhalb der Veranstaltungen dienstags bis don-nerstags von 14–19 Uhr und freitags bis sonntags von 11–19 Uhr besucht werden. Finissage: 28. März, 19 Uhr.Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8, 01097 Dresden

Dresden, 15. März, 19 Uhrn Vortrag und DiskussionRoma in Deutschland: Immer noch unerwünscht.Eine persönliche Geschichte über den Kampf gegen eine Abschiebung aus Sachsen. Mit Sami Bekir und der Grup-pe Gegen Antiromaismus.Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8

Dresden, 18. März, 14 Uhrn ExkursionStadtrundgang mit DRESDEN-postkolonial(Post)koloniale Machtstrukturen wir-ken bis heute vielseitig fort. Sie finden sich in wirtschaftlichen Ungleichheiten, aber auch in Stereotypen und Bildern vom vermeintlich „Fremden“ wieder. Kolonialgeschichte ist, wenn über-haupt, nur marginaler Teil der deut-schen Erinnerungskultur. In der spezi-fischen historischen Selbstverortung Dresdens kommt sie so gut wie gar nicht vor. Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8

Dresden, 21. März, 19 Uhrn Vortrag und DiskussionEinführung in den schwarzen Fe-minismusMit der Bpoc-Empowermentgruppe (Referat gegen Antirassismus der Uni-versität Leipzig).Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8

Dresden, 27. März, 19 Uhrn Lesung„Afrokultur“Mit Dr. Natasha Kelly (Autorin, Mitbe-gründerin EDEWA). In ihrer Dissertation „Afrokultur. Der Raum zwischen ges-tern und morgen“ bringt die Wissen-schaftlerin, Kuratorin und Aktivistin Na-tasha A. Kelly über die Biografien von W.E.B. Du Bois, Audre Lorde und May Ayim Schwarze deutsche Geschichte, ihre Gegenwart und Zukunft in einen globalen Zusammenhang und schreibt damit eine intellektuelle Tradition fort.Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8

Programm im Rahmen von „Leipzig liest“

Leipzig, 14. März, 18 Uhrn Vortrag und DiskussionRussland und die Russen. Euro-päische Wahrnehmungen aus ei-nem JahrtausendMit Prof. Dr. Wolfgang Geier (Historiker)RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig

Leipzig, 15. März, 18 Uhrn Lesung„Der Abend kommt so schnell“ Sarah Sonja Lerch - Münchens verges-sene Revolutionärin*. REIHE: Rosa L. in Grünau. Mit Cornelia Naumann (Autorin und Dramaturgin).Wahlkreisbüro Grünau, Stuttgarter Allee 18, Leipzig (Örtlichkeit barrierefrei)

Leipzig, 15. März, 19 Uhrn Lesung und Diskussion„Israel & Palästina - 100 Doku-mente aus 100 Jahren“*Mit Dr. Angelika Timm (Nahostwissen-schaftlerin)RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig

Leipzig, 16. März, 16 Uhrn Gespräch„Stets erlebe ich das Falsche. Der alternative Künstlerreport“*Mit Harald Kretzschmar (Karikaturist, Grafiker und Feuilletonist), Moderation: Michael ZockRLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig

Leipzig, 16. März, 18.30 Uhrn Gespräch und Diskussion„Lasst blaue Bände sprechen“ – Expertengespräch zur Neuer-scheinung MEW 44Mit Prof. Dr. Rolf Hecker (Historiker) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus (Histo-riker), Moderation: Dr. Dagmar Enkel-mann (RLS)RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig

Leipzig, 16. März, 20 Uhrn Lesung und Gespräch„Weiter Schreiben – ein literari-sches Portal für Autor*innen aus Krisengebieten“Mit Mariam Meetra (Autorin) und Antje Rávic Strubel (Autorin). Eine Veranstal-tung in Kooperation mit dem linxxnet-Abgeordnetenbüro.Kulturbüro, Mariannenstr. 101, Leipzig

Dresden, 9. April, 18 Uhrn Podiumsdiskussion„Die kriegen alles und wir nichts“* Mit Dr. Kristin Kaufmann (Sozialbür-germeisterin der Stadt Dresden), Frau Puszkar (Bereichsleiterin Jobcenter Dresden) und Mitarbeiter*innen der Caritas-Asylberatung DresdenPalitzschmuseum, Gamigstraße 24, 01239 Dresden. Veranstaltungsraum Pa-litzschhof, 1. Etage, barrierefrei

Chemnitz, 10. April, 15 Uhrn LesungStefan Heym - Der Unbequeme*REIHE: Chemnitz liest Stefan Heymmit Mitgliedern des AK Chemnitz und der Gruppe Quijote (Chemnitz)auf dem Stefan-Heym-Platz 1, Chemnitz

Chemnitz, 11. April, 18 Uhrn Vortrag und DiskussionWer bin ich – und wenn ja: Wer weiß das?*Was machen die Daten mit Ihnen? REI-HE: Industrie 4.0. Mit Mark Neis (IT-Experte). Eine Veranstaltung des Inte-ressensgemeinschaft „Zukunft 4.0“ in Kooperation mit dem Abgeordnetenbü-ro Nico Brünler und der RLS Sachsen.All-In, Rosenhof 14, 09111 Chemnitz

Leipzig, 12. April, 18 Uhrn Vortrag und Diskussion„Die Farbe Rot“ Vorstellung von Gerd Koenens monu-mentaler Untersuchung der Ursprün-ge und Geschichte des Kommunismus. REIHE: Jour Fixe. Mit Prof Dr. Wolfgang Geier (Historiker), Moderation: Klaus Kinner/Manfred Neuhaus.RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig

Görlitz, 12. April, 18 Uhrn GesprächDemokratie als Fiktion?*Mit Peter Porsch.BürgerInnenbüro MdL Mirko Schultze, Schulstraße 8, 02826 Görlitz

Dresden, 12. April, 19 Uhrn Gespräch und DiskussionIch will meine Akte! Vom Umgang mit Geheimdienstakten aus dem Kalten Krieg*. Mit Hans Mo-drow.Haus der Begegnung (Saal), Großenhai-ner Straße 93, 01127 Dresden

Dresden, 17. April, 18 Uhrn Vortrag und DiskussionVerschwörungstheorien - Die Legende von den großen Strippenzieher*innenREIHE: Junge Rosa*. Mit Peter Bierl.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

* in Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und poli-tische Bildung e.V.

Impressum

Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 DresdenNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redakti-on wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der LR Medienver-lag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf-lage von 10.950 Exemplaren gedruckt.Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto

Kontakt: [email protected] 0351-8532725Fax 0351-8532720Redaktionsschluss: 27.02.2018Die nächste Ausgabe erscheint voraussicht-lich am 04.04.2018.

Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zei-tung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahres-abo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto daten:Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07BIC: GENODEF1DRSDresdner Volksbank RaiffeisenbankAboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, [email protected] oder Telefon 0351-84389773

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Seine Hebamme soll über ihn gesagt haben: „Er wird einmal sehr intelligent oder aber sehr dumm.“ Der Neugebo-rene entschied sich für ersteres, wie seine spätere Schullaufbahn bewies – auch wenn sein weiterer Lebens-lauf reich an Dummheiten und Irrwe-gen war. Eine zumindest bis zur Hinrichtung seines Bruders unbeschwerte Kind-heit, Jurastudium, der Weg zum Re-volutionär, Verbannung, Exil und schließlich sein Agieren als Revolu-tionsführer sowie lange Krankheit und früher Tod – so könnte man ihn beschreiben, den Mann, der sich Le-nin nannte. Der Historiker Victor Se-bestyen legt im 100. Jahr nach der Russischen Revolution eine umfas-sende Biographie ihres herausragen-den Protagonisten vor. Was da verschriftlicht wurde, ist ein komplexes Werk über ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Leben.. Irgendwie macht es Lenin menschli-cher, wenn man von seiner „marxis-tischen Brautwerbung“ zu Nadja und seinem Verhältnis zu Inessa Armand liest. Der Tod seiner Geliebten mit nur 46 Jahren nahm Lenin merklich mit. Bei ihrer Beerdigung hatte man

ihn von Gefühlen überwältigt gese-hen wie nie. Abstoßend wirkt dage-gen, wie leichtfertig der Rechtsan-walt mit der Forderung umging, Leute zu erschießen, die tatsächlich oft auf seinen Befehl hin vollstreckt wur-de. Sympathisch macht ihn wieder-um, dass er durchgehend sehr aske-tisch lebte, während sich viele seiner Genossen nach der Revolution eifrig

an Privilegien bedienten und sich die größten Datschen unter ihre „roten“ Nägel rissen. In einem Kapitel befasst sich Se-bestyen mit dem Leninschen Argu-mentations- und Debattenstil. Diesem Stil blieb er auch gegenüber anders-denkenden Genossen treu, indem er sie mit wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen belegte: Windbeutel, Scheißhaufen, Fotze. Nikolai Bucharin vertrat nicht von ungefähr die Auffas-sung: „Lenin kann keinen tolerieren, der etwas auf dem Kasten hat.“ Was ihn jedoch auszeichnete, war die Fä-higkeit, seine Ideen klar und verein-facht vorzutragen und damit das Pub-likum zu gewinnen. Der Höhepunkt des Leninschen Le-bens war unbestritten die Oktoberre-volution 1917, für die er sein ganzes revolutionäres Leben lang kämpfte. Wenn man so will, liegt in seinem da-maligen Triumph die große Tragik, denn schon die Geburtsfehler sorgten dafür, dass ein frühzeitiges Absterben des Sowjetstaates unweigerlich kom-men musste. Man rufe sich Lenins Worte an Trotzki in Gedächtnis (24. Oktober 1917): „Zuerst müssen wir die Macht ergreifen. Dann entschei-

den wir, was wir damit anfangen.“ Oder Maxim Gorki am 1. November 1917 in der Nowaja Schisn: „Ich miss-traue Russen an der Macht ... Gera-de selbst noch Sklaven, werden sie zu hemmungslosen Despoten, sobald sie Gelegenheit haben, Herr ihrer Nach-barn zu sein.“ Beide Zitate finden sich im Buch. In dieses Raster einer into-leranten und undemokratischen Ge-sellschaft passt auch, dass die Witwe Lenins in ihren letzten Lebensjahren auftragsgemäß die russischen Biblio-theken von Werken bürgerlicher Philo-sophen wie Kant „befreite“. Schon im Klappentext wird auf die Doppelgesichtigkeit Lenins hinge-wiesen, den Winston Churchill „ein überaus furchtbares Wesen“ nann-te. Sebestyen geht da sehr viel dif-ferenzierter vor. Er schreibt von sei-ner Freundlichkeit und Höflichkeit, vergisst jedoch nicht seine Unerbitt-lichkeit als Revolutionär und seine Verantwortung für unzählige Todes-urteile. Es entsteht ein farbiges und kenntnisreiches Bild von Lenins Welt und der Russischen Revolution. Victor Sebestyen: Lenin – Ein Le-ben. Rowohlt Berlin, 2017, ISBN 978 3 87134 165 6

Rezensionen

Lenin – Ein LebenRené Lindenau über Victor Sebestyens Portrait eines Mannes, den Winston Churchill „ein überaus furchtbares Wesen“ nannte

Tatsächliche Interessen verschleiertRalf Richter rezensiert „Der Dreißigjährige Krieg“ von Herfried MünklerDas Buch trägt den Untertitel „Euro-päische Katastrophe, Deutsches Trau-ma 1618 – 1648“. Inzwischen hat das fast tausendseitige Werk des Politik-wissenschaftsprofessors Lob und Kri-tik bekommen.

In diesem Jahr ist der Kriegsbeginn 400 Jahre her. Die meisten von uns wissen, dass er mit einem denkwür-digen Ereignis begann: dem Prager Fenstersturz. Weniger geläufig ist die Tatsache, dass es bereits der zweite war: Nach der Verbrennung von Jan Hus hatten Hussiten schon einmal das Rathaus gestürmt – 1419 warfen sie den Bürgermeister und weitere Wür-denträger aus dem Fenster, womit die Hussitenkriege begannen. In Prag stand eine politische Frage im Vordergrund: Dürfen die Stände selbst entscheiden, wen sie als König ha-ben wollen und sich damit gegen den Kaiser stellen? Auf ein Handgemenge im Prager Rathaus folgt letztlich ein Krieg, bei dem scheinbar die Religion entscheidend wird. Die „Rebellen“ von damals waren Protestanten. Gegen sie lässt der römisch-katholische Kai-ser mobil machen. So sehr im Dreißig-jährigen Krieg die religiösen Aspekte in den Vordergrund gestellt wurden, so unwesentlich waren sie tatsäch-

lich – Münkler stellt das besonders eindrücklich beim Eintritt der Schwe-den und ihrer Landung auf Usedom dar; Gustav Adolf sah sich als Retter der Protestanten, wobei es kaum eine Rolle spielte, dass die, denen er helfen wollte, gar nicht um seine Hilfe gebet-telt hatten. Ob religiöse oder moralische Gründe ins Feld geführt wurden und werden – gemein ist ihnen stets, dass sie kei-nen anderen Zweck haben als die tat-sächlichen Interessen zu verschleiern. Auch hier ist der Schwedenkönig ein ausgezeichnetes Beispiel: Laut Münk-ler habe Gustav Adolf am 19. Mai 1630 vor den Reichsräten in Stockholm er-klärt, dass ihn keinesfalls Ruhmsucht auf den Kriegsschauplatz treibe, son-dern ausschließlich die Sorge darum, dass „die unterdrückten Religions-genossen vom päpstlichen Joche be-freit“ werden. Klartext konnte man mit Seinesgleichen reden, in Gustav Adolfs Fall war das der schwedische Adel. Hier sprach er offen davon, dass Wallenstein Anspruch auf den Ostsee-raum erhebe. Kurz gesagt sei Schwe-den in seiner Rolle als Großmacht in Frage gestellt und das könne man sich nicht bieten lassen. Münkler sinnge-mäß im O-Ton: Am Anfang war schon im Dreißigjährigen Krieg der Krieg ein

politisches Instrument, das sich im Laufe der Zeit verselbständigte und außer Kontrolle geriet. Problematisch ist die Haltung Münk-lers zum Thema Krieg, da er immerhin zu den renommiertesten Politikwis-senschaftlern unseres Landes ge-hört. Er lehnt den Krieg generell nicht ab, sondern betrachtet ihn nur als ei-nes der Mittel zur Durchsetzung von

Macht – vielleicht nicht das, wonach zuerst gegriffen werden sollte, aber es dürfe auf jeden Fall nicht aus dem In-strumentarium westlicher Machtpoli-tik verschwinden. Münkler betrachtet die dreißig Kriegsjahre als „vorzügli-chen Übungsplatz für strategisches Denken“. Für den Konservativen Münkler, der in diesem Jahr emeritiert wird, ist der Krieg – so scheint es – in erster Li-nie ein Spiel, bei dem man durch eini-ge Ungeschicklichkeiten und echtes Pech verlieren, aber genauso gewin-nen kann. Wer eine linke Perspektive auf den Dreißigjährigen Krieg sucht, der in weiten Teilen Deutschlands die Hälfte bis zwei Drittel der Bevölkerung ausrottete und damit der schlimmste aller bisherigen Kriege für die hiesige Zivilbevölkerung war, ist bei Herfried Münkler an der falschen Adresse. Ken-nen sollte man das Buch dennoch. Es enthält nicht nur interessante Gedan-kenspiele, sondern auch wunderba-re Zitate bis hin zu Schmähgedichten und Graphiken. Es erschien 2017 bei Rowohlt Berlin und kostet 39,95 als Hardcover und als E-Book 29,99 Eu-ro. Am 19. März liest Münkler im Mili-tärhistorischen Museum Dresden aus seinem Buch. Beginn ist 18 Uhr, der Eintritt ist frei.

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Sie gilt immer noch als die Folkikone Nordamerikas, obwohl sie sich stets ge-gen solche Titel sträubte. Sie verstand sich vielmehr als politisch engagierte Protagonistin, die sich genreübergrei-fend in keine Schublade stecken ließ. In den Fünfzigern begann ihre musika-lische Karriere mit einem Repertoire, das hauptsächlich aus Spirituals, Blues-balladen und Folksongs bestand und das Musikergrößen wie Joan Baez, Bob Dylan, Tracy Chapman oder Janis Joplin enorm beeinflusste, bevor diese Welt-ruhm ernteten.

Die Rede ist von Odetta Hoes, einer der ersten afroamerikanischen Sängerin-nen, denen es vergönnt war, die großen Konzerthallen zu füllen. Als ihre großen Vorbilder nannte sie den Folkbluessän-ger Leadbelly, die Jazzsängerin Mahalia Jackson oder den Barden Woodie Gu-thrie. Entdeckt wurde sie in den fünfzi-ger Jahren von keinem geringeren als Pete Seeger.

Bevor sie sich in dieser Zeit dem Folk zuwandte, sang sie – nachdem sie ein Musikstudium absolviert hatte, um ur-sprünglich Opernsängerin zu werden – in einem Chor, der hauptsächlich Gos-pelsongs und Spirituals im Repertoire hatte. Geboren worden war sie 1930 in Birmingham im Bundesstaat Alabama. Als sie sechs Jahre alt wurde, zog ihre Familie nach Los Angeles, wo ihr Ge-sangstalent schon bald von einem Mu-siklehrer entdeckt und gefördert wur-de. Ihre ersten Auftritte absolvierte sie im Chor des Musicals „Finian’s Rain-bow“, das 1949 in San Francisco urauf-geführt wurde. In den unzähligen Clubs und Kaffeehäusern dieser Metropole wurde sie unweigerlich mit der aufblü-henden Folkszene konfrontiert, die sie sofort in den Bann zog. Sie beschloss, Folksängerin zu werden.

1953 erntete sie nach mehreren Kon-zerten in San Francisco und New York Beifallsstürme und erhielt große Auf-merksamkeit in den Medien. Ihrem fas-zinierenden, herzzerreißenden Gesang und ihrer Bühnenpräsenz konnte sich niemand entziehen, und weitere Ange-bote von Konzertagenten ließen nicht lange auf sich warten. 1956 erschien ih-re LP „Ballads and Blues“ bei Vanguard, sie löste große Resonanz in der Folk-szene aus. Selbst Bob Dylan gab spä-ter zu, dass diese Scheibe ihn sehr be-eindruckt habe. Deshalb wohl brilliert ihre Vitalität unüberhörbar auf seinem Debütalbum „Bob Dylan“. Dylan nahm diese Scheibe am 20. und 22. Novem-ber 1961 in New York auf, sie gelangte allerdings erst am 19. März 1962 in die Läden. Sie enthält Folkstandards von verschiedenen Autoren wie dem West-Coast-Sänger Jesse Fuller, Blind Limon Jefferson, Rick van Schmidt, aber auch selbst verfasstes Material. Auch der Song „House of the Rising Sun“ ist ver-treten; er wurde später von Eric Burdon and The Animals gecovert und so zum Welthit (Übrigens gab es in der DDR die Single in deutscher Sprache von Man-fred Krug: „Es steht ein Haus in New Orleans“, AMIGA).

Doch zurück zu Odetta. Auch ihre fol-genden Platten überzeugten mit hohem Niveau, so tauchten nunmehr ebenbür-tig Elemente der Soulmusik und des

Jazz auf, die ihre Lieder abwechslungs-reicher klingen ließen.

Ihre 1963 auf den Markt gekommene LP „Odetta Sings Folk Songs“ ist bis heute das meistverkaufte Album ihrer Schaffensperiode. Zeitgleich engagier-te sie sich auch sehr aktiv in der Bür-gerrechtsbewegung, zu deren wichtigs-

ten Vertreterinnen sie alsbald zählte. Sie sang gemeinsam mit Dr. Martin Lu-ther King auf Großkundgebungen, war am March On Selma in Alabama be-teiligt, auch am Marsch für Arbeit und Freiheit am 28. August 1963 nach Wa-shington D.C., wo sie „Oh Freedom“ an-stimmte. Die meisten Lieder in ihrem breiten Repertoire, das sie sich mit gro-

ßer Sorgfalt erarbeitete, waren schon sehr alt waren und beriefen sich oft auf die bitteren Erfahrungen der Sklaverei. Damit berührte sie dank ihrer Vortrags-kunst ihre Zuhörer so tief, dass diese die Gefühlswelt der Gepeinigten nach-empfinden konnten, auch wenn sie nie selbst mit Unterdrückung und Men-schenverachtung konfrontiert worden

waren. So überzeugte sie beispielswei-se mit einem Sklavenlied, in dem sie mit voluminöser Stimme den Hammer-schlag in Granitgestein atemtechnisch geschickt imitierte.

Odettas Popularität stand nichts mehr im Wege, sie tourte durch ganz Nord-amerika. Etliche hochkarätige Sänger,

beispielsweise der schon damals sehr bedeutende Johnny Cash, buchten sie als Stargast für ihre Veranstaltungen. So kamen auch Angebote für Auftritte in Nashville, Tennessee. Die Stadt gilt als Hauptmetropole der Country Mu-sic beziehungsweise des Bluegrass, woraus sich später der sogenannte Nashville-Sound entwickelte. Auf die-sem Fundament bauten sich stilbildend Folk- und Country-Rock auf, die wiede-rum Sänger und Bands wie Bob Dylan, Peter, Paul & Mary, die Byrds und natür-lich auch Odetta stark beeinflussten.

Bei ihrer Teilnahme am Newport Folk Festival vor vierzehntausend Zuschau-ern erntete sie enormen Beifall. Die Leute waren gebannt von der unge-wöhnlichen, großen Ausdruckskraft ihrer Stimme. Auch namhafte Litera-ten wurden auf sie aufmerksam. So er-scheint ihre Person in Stephen Kings neunteiligem Romanzyklus „Der dunkle Turm“, in dem er, angelehnt an ihre Bio-grafie, mit surreal wirkenden Bildern Odetta und zwei weitere Protagonis-tinnen zu einer Figur namens Susanna Dean vereinte. Der ziemlich irrwitzige, aber auch von Protest gegen Unterdrü-ckung und Rassismus geprägte Inhalt dieser Anthologie sollte ursprünglich auch verfilmt werden, was jedoch wohl aus rechtlichen Gründen nicht geschah.

Dass Odetta höchstpersönlich in meh-reren Film- und Fernsehproduktionen mitwirkte, ist zwar ebenfalls erwäh-nenswert, aber ihr Wirken als Musikerin und Bürgerrechtlerin blieb unbestritten vorrangig. Aufsehen erregte sie auch während einer Deutschlandtournee 1968. Sie trat auf der legendären Lie-dermacherhochburg Waldeck im Huns-rück auf, wo sie mit Guy Caravan und Phil Ochs euphorisch gefeiert wurde.

Odetta Holmes blieb sich und ihrer kämpferischen Willenskraft bis zu ih-rem Tode treu, veröffentlichte zahlrei-che Alben, von denen etliche für den Grammy nominiert wurden. 1999 er-hielt sie für ihr Lebenswerk die „Natio-nal Medal of the Art“. Noch in ihren bei-den letzten Lebensjahren absolvierte sie, bereits an den Rollstuhl gebunden, mehr als fünfzig Konzerte. Am 2. De-zember 2008 starb sie im Alter von 78 Jahren in New York.

OdettaJens-Paul Wollenberg über eine große Folk-Sängerin, die ihrerseits große Sängerinnen und Sänger geprägt hat

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Odetta singt beim Civil Rights March on Washington, D.C., 28. August 1963.

Mit Liam Clancy beim Clonmel Junction Festival, Juli 2006.

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03/2018 Sachsens Linke! Seite 1

„Es ist nicht das Bewusstsein der Men-schen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Be-wusstsein bestimmt.“ (Karl Marx, 1859)

Welche Brisanz in diesen Worten steckt, führt uns die Gegenwart Tag für Tag vor Augen. Das Sein, die Lebens-welt der Menschen, ihre Erfahrungen sind es, die Entscheidungen und Zukunft prägen. Unabhängig von Zeit und Raum drückt Marx‘ Zitat eine elementare Voraussetzung aus, die, wie er es formulierte, notwendig ist, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Und genau das ist es, was wir, DIE LINKE. Sachsen, im Karl-Marx-Jahr 2018 anstreben: Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sollen, vielmehr müssen, wieder zum Tanzen gebracht werden.

Was bietet sich hierzu besser an als das Doppeljubiläum – 150 Jahre „Das Kapital“ und der 200. Geburtstag von Karl Marx? Um sowohl seine Person als auch seine Werke entsprechend zu würdigen, haben wir uns dazu entschlossen, eine Reihe von Events zu organisieren und zu koordinieren. Der zeitliche Rahmen der Veranstal-tungen erstreckt sich von Mai bis Ende Oktober 2018. In dieser Zeit findet eine Vielzahl verschiedener Angebote für Jung und Alt statt. Einige davon möchte ich euch im Folgenden kurz vorstellen.

Der Start und erste Höhepunkt der Feierlichkeiten findet anläss-lich des 200. Geburtstags von Karl Marx am 5. Mai 2018 in Chemnitz statt – der Stadt, die einst seinen Namen trug. Das Bündnis „Marx200“ aus verschiedenen zivilgesell-schaft-

lichen Gruppen, u.a. der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem DGB und der Wirtschaftsförderung, wird ein ganztägiges Programm rund um den „Nischel“, das Karl-Marx-Denkmal, organisieren. Der Landesverband und der Stadtverband Chemnitz sowie die Linksjugend Sachsen werden sich mit Beiträgen und einem Stand beteiligen. So ist beispielweise die Aufführung des Monodramas „Marx in Soho“ von Franz Sodann geplant.

Über die Sommermonate hinweg orga-nisiert der Landesverband in Zusam-menarbeit mit den Kreis- und Ortsver-bänden eine mobile Kino-Tour mit dem Film „Der junge Karl Marx“. Damit die historische und gesellschaftliche Di-mension nicht zu kurz kommt, werden Filmbesprechungen in das Veranstal-tungskonzept integriert. Wer zum Auf-takt im Mai die Aufführung von „Marx in Soho“ verpasst hat, wird im Sommer noch mehrfach die Möglichkeit haben, dieses Säumnis nachzuholen. Die genauen Termine der Veranstaltungen werden in Kürze bekanntgeben.

Um sich den Werken von Karl Marx von akademischer Seite zu nähern, bieten linke Hochschulgruppen Seminare, Vorlesungen und Lesekreise an, die sich dem Leben und Wirken von Karl Marx widmen. Und damit nicht genug! Vom 2. Bis zum 6. Mai 2018 veranstal-tet die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Konferenz „MARX200: POLITIK – THE-ORIE – SOZIALISMUS“ in Berlin.

Wem das alles immer noch nicht genug ist, der sollte sich das Wochenende um den 21. Oktober rot im Kalender anstreichen. Hier findet mit einer Großveranstaltung das abschließende Highlight der Feierlichkeiten statt – in Trier, dem Geburtsort von Karl Marx. Auch dazu haben wir bereits erste Be-teiligungsideen entwickelt. Detaillierte Informationen folgen.

Um euch auf dem Laufenden zu halten, wird in Kürze eine thematische Webseite online gehen. Wir möchten dort alle Veranstaltungen, die von der LINKEN und ihr nahestehenden Organisationen in Sachsen organisiert werden, gebündelt präsentieren, um mit euch ein fulminantes Karl-Marx-Jahr 2018 zu gestalten. Falls ihr Inte-resse habt, selbst eine Veranstaltung

zu planen oder ihr uns einen Termin eines Events mitteilen möchtet,

könnt ihr dies gern tun. Meldet euch dazu einfach bei uns in

der Landesgeschäftsstelle oder tragt euer Event auf der Webseite ein.

Ihr benötigt Unterstüt-zung zum Realisieren eurer Veranstaltung? Auch dabei stehen wir euch gern zu Seite! Gemeinsam

können wir Sachsen zeigen, dass Marx noch

immer relevant ist und seine Kritik am Kapitalis-

mus mehr denn je Bestand hat. Lasst uns die Verhältnisse

zum Tanzen bringen, im wörtlichen als auch

übertragenen Sinne!

Sachsens Linke

März 2018

Fahrverbote treffen die FalschenDiesel-Fahrverbote sind grundsätzlich möglich, urteilte das Bundesverwal-tungsgericht. Dieselfahrzeugen, die Ab-gasnormen nicht einhalten, droht das Einfahrverbot in Innenstädte. Betroffen davon ist jedoch nicht die Automobilin-dustrie, die durch Betrug vorgaukelte, saubere Dieselautos zu verkaufen. Auch nicht die Politik, die durch mangelhafte Normen und Kontrollen die Automobil-hersteller gewähren ließ. Betroffen sind die Fahrzeughalter: Einheimische, Touris-tInnen, BerufspendlerInnen. Sie werden zweifach Opfer: erst der Betrugsmasche einiger Hersteller, jetzt der politischen Entscheidung auf ihrem Rücken.

Warum müssen diejenigen dafür gera-destehen, die am Ende der Kette ste-hen? Nicht die Politik, die als größter Au-tomobillobbyist die Industrie gewähren ließ? Nicht die Hersteller, die ihre Kun-den täuschten? Warum gibt man sich mit Softwareupdates zufrieden, die wenig bringen, statt die Industrie zu Nachrüs-tungen zu zwingen, damit ihre Fahrzeuge einhalten, was sie versprochen haben? Weil Politik und Industrie im Kern das aussitzen wollen, was sie den Verbrau-cherInnen eingebrockt haben.

Die Politik steht in der Verantwortung: Sie muss schleunigst Umweltpolitik im Sinne der Menschen statt der Indust-rie machen. Sie muss die Industrie in die Pflicht nehmen und nicht diejenigen, die auf ihre Autos angewiesen sind und sich im Zweifel gar kein neues leisten können.

Natürlich ist unser Ziel, Mobilität jenseits des Autos sicherzustellen. Ein taktstar-ker, flächendeckender und kostengünsti-ger bis kostenfreier ÖPNV wäre hier eine Lösung. Solange das jedoch Zukunfts-musik bleibt, braucht es eine Automobil-politik im Sinne der Umwelt und derVer-braucherInnen, nicht der Industrie. Mit scharfen Standards und engmaschiger Kontrolle. Es wird höchste Zeit.

Start ins Karl-Marx-Jahr-2018Marcus Boës blickt voraus auf die zahlreichen Veranstaltungen

Aktuelle Informationen

stets auch unter www.dielinke-

sachsen.de

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Seite 2Sachsens Linke! 04/2017

Erfahrungen mit der Arbeitsagentur

Nur wer das System kennt, kann sich wehrenEin Beitrag der Politsendung „Exakt - die Story“, ausgestrahlt vom MDR am 8. November 2011, widmete sich dem Thema „Wie Arbeitslosenzahlen ge-schönt werden“. Viele, darunter soge-nannte 1-Euro-Jobber, auch Menschen, die in „Maßnahmen“ stecken, Umschü-ler selbst für staatlich anerkannte Be-rufsabschlüsse fallen aus der Statistik heraus. Aber auch Menschen, die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein-reichten, die in Krankenhäusern und/oder Rehakliniken liegen. Transparenz ist nicht gewollt! Ich glaube zu wissen, warum das so ist. Alles, was Nürnberg nachgeschaltet ist, ist bestrebt, nach oben mit Bilanzen zu glänzen. Dem Bundesarbeitsministeri-um untersteht die Zentrale der Bundes-agentur für Arbeit in Nürnberg, die sich in Bezirksverwaltungen gliedert, die je-weils Kreisniederlassungen mit Neben-standorten und Außenstellen unterhal-ten. Diese Kreisniederlassungen sind wie folgt hierarchisch organisiert: Ge-schäftsführer/in, Fachbereichsleiter, Standortverantwortliche der Nebenstel-len, Team- bzw. Etagenleiter/in, Ver-mittler/in. Die Letztgenannten sind di-rekt mit den Arbeitslosen konfrontiert. Ich kann ein Lied von den Schikanen singen, die ich dort erfuhr!Die Jobcenter hängen am langen Band der BA, obwohl sie durch die Kreiskom-munen geführt werden. Ihr Aufbau: De-zernatsleiter/in, Fachbereichsleiter/in, Teamleiter/in und, ihnen gleichgestellt, „Projektmanager/in“. Zuletzt folgt der/die Fallmanager/in, die mit den Arbeits-suchenden in Kontakt kommen. Es ist wichtig, das System zu begrei-fen. Diktatorisches Auftreten gerade bei Sachbearbeiter/innen schürt Diffe-renzen und Spannungen zwischen bei-den, die auf die Spitze getrieben wer-den, wenn Sanktionen ausgesprochen werden. Und das macht man in solchen Häusern liebend gerne, schließlich will man Einsparungen im Haushalt erzielen. An den Schließtagen müssen sowohl alle untersten Sachbearbeiter/Fallma-nager als auch die Teamleiter (Projekt-manager) zum Rapport beim Fachbe-reichsleiter oder Dezernenten antanzen. Aus Angst, Schelte zu kassieren, kann das Frisieren schon auf der untersten Ebene beginnen. Je mehr Vermittelte oder auf anderem Wege Ausgeschie-dene vorzuweisen sind, desto besser. Dass Hartz-IV Armut per Gesetz ist, wis-sen wir alle! Alle, die „Geld ziehen“, also Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rent-ner, könnten doch in die „Kiste hüpfen“, dann wäre noch mehr übrig, um Steuer-geld zu verschwenden. Ich möchte dem DDR-Regime keinesfalls nachhängen, jedoch sind wir nicht auf die Straße ge-gangen – das trifft für uns mutige „Ost-ler“ besonders zu – um am unterstem Rand der Gesellschaft wie Abschaum behandelt zu werden! Wenn sich dann eine Kanzlerin hinstellt und „bedauert,

dass nicht jeder mitgenommen wurde“, ist das mehr als scheinheilig!• Karl-Heinz Gottschalk, Niederau

Zu „Deutschland bleibt kalt“ von Katja Kipping und zu „Wir können das besser“ von Antje Feiks (Links! Ausgabe Januar/Februar 2018, S. 1 und 12)

Raus ins Land!Gespannt las ich den Beitrag von Katja Kipping, hatten wir doch in der Mitglie-derversammlung darüber gesprochen, dass wir vom Bundesvorstand nichts hörten, was getan wird oder zu tun ist, um die Zeit der Sondierungsgespräche zu nutzen – etwa die SPD daran zu erin-nern, was sie vor der Wahl alles ändern wollte, z. B. die Einführung der Bürger-versicherung. Enttäuscht legte ich den Artikel zur Seite, denn er enthält nur Aufzählungen, was ungenügend ist oder nicht ausgehandelt wurde. Kein Wort zur Lage unserer Partei in dieser Situa-tion – dabei stehen wir fest bei 11 Pro-zent der Umfragewerte, während an-dere Parteien zulegen. Mein Vorschlag: Jeder Landtagsabgeordneter geht im 1. Halbjahr in einen kleinen Ort, in ei-ne Gemeinde, in der kein Abgeordne-ter, auch anderer Parteien, lebt. Dort sollte entweder auf der Straße oder in einem Raum ein Gespräch mit Einwoh-nern ohne Themenvorgabe stattfinden. Auf der Straße ist meist gut, weil Leute vorbeigehen, die angesprochen werden können. In Auswertung der letzten Wahl hörte ich im Radio einen Bürgermei-ster, der sagte, dass in seiner Gemeinde noch nie ein gewählter Vertreter gewe-sen ist. In diesem Ort haben sehr viele Bürger AfD gewählt.• Eva-Maria Schildbach

Zum Semperopernball 2018

Spektakuläre Politshow?

Der Semperopernball, dessen Traditi-on 2006 wiederbelebt wurde, scheint mit Hilfe der Medien zum wichtigsten „Event“ in der Kulturszene Dresdens zu avancieren. Prominenz spreizt sich im Lichte der Kameras, um zu zeigen: Ich war dabei. Dresdner, die im Halbdunkel vor den Türen der Oper das mitfeiernde begeisterte Volk spielen, komplettieren das Spektakel. Wie stets war auch beim Opernball 2018 für Überraschungen ge-sorgt. Eine war die Ehrung Sigmar Ga-briels mit dem St. Georgs-Orden. Das ist traditionell der sächsische Dankes-orden. Er wird in den Kategorien Sport, Kultur und Politik verliehen und trägt die Aufschrift Advero Flumine – wider den Strom. Auf den bisher dreizehn Bällen wurden sechzig St. Georgs-Orden ver-liehen. Welche Kriterien zugrunde ge-legt wurden, ist aus der Liste der Ausge-zeichneten nicht zu erkennen, aber der Leser kann sie erraten. In der Kategorie Kultur mit zweiundzwanzig Preisträgern finden wir mit sächsischem Hintergrund Kurt Masur, Ludwig Güttler, Wolfgang Stumph und Gunther Emmerlich. Wa-rum diese Künstler den Orden beka-men, nicht aber solche Repräsentanten der Dresdner Kunst wie Peter Schreier, liegt auf der Hand.

Noch deutlicher zeigt sich die politische Tendenz, die den Auszeichnungen zu-grunde liegt, bei den vierzehn Preis-trägern in der Kategorie Politik. Das sind Hans-Dietrich Genscher, Lothar de Maiziere, Wladimir Putin, Kurt Bieden-kopf, Roman Herzog, Jean-Claude Jun-cker, José Barroso, Macky Sall, Chri-stian Wulff, Youssef al-Alawi Abdullah, Salman bin Abdulaziz al Saud, Klaus Johannis, Ameenah Gurib und Sigmar Gabriel. Der erste und der letzte waren deutsche Außenminister. Muss ihr poli-tisches Sündenregister, das in Dresden in Ruhmestaten umgefälscht wurde, aufgelistet werden? Als makaber könnte gewertet werden, dass keiner der vie-len Dresdner Helden der „friedlichen Revolution“ einen St. Georgs-Orden er-hielt, nicht einmal ihr „Napoleon“ Ar-nold Vaatz. Kommen wir auf den Skan-dal 2018 zurück: Bei Sigmar Gabriel ist er eklatant. In der Laudatio wurde ge-würdigt, dass er als Wirtschaftsminister Arbeitsplätze geschaffen habe. Aber zum Zeitpunkt der Auszeichnung wur-de er für die gestiegenen Rüstungsex-porte und die Lieferung von Panzern an die Türkei verantwortlich gemacht. Der Schacher um die Regierungsposten war in vollem Gange. Sollte der Dresdner Or-den helfen, Gabriel zum „beliebtesten Politiker“ zu machen? Warum? • Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden

Zu „Die Wurzeln des Rassismus“ (Links! 01-02/2018, S. 6)

Heute werden Vorurteile geschürtJa, rassistische Vorstellungen und Strukturen lassen sich zumindest bis in die Kolonialzeit zurückverfolgen. Ver-suche, die Ausplünderung des Südens mit Menschenrechten und „humani-tären“ Militäreinsätzen zu rechtfertigen, die „Schutzverantwortung“, die Abwer-tung anderer Menschen und die angeb-liche zivilisatorische Leistung bei der Unterwerfung lassen sich von damals bis heute verfolgen. Aber hätte die DDR die kolonialverherrlichenden Denkmä-ler und Straßennamen behalten sollen? Wieso sind Antikolonialismus, Antiras-sismus und Antifaschismus ideologisch und nicht ideologiebekämpfend? Was spricht außer Herrschaftsinteressen ge-gen Internationalismus, die Solidarität der Bevölkerungen und die gegensei-tige Unterstützung von Staaten, die ei-ne solidarische Gesellschaft anstreben? Ja, die DDR appellierte an den Verstand und das Bewusstsein. Sie arbeitete mit Aufklärung. Die unbewussten Vorurteile ließen sich damit nur schwer bekämp-fen. Heute dagegen werden diese Vor-urteile aktiv geschürt. Das ist Teil einer Spalte-und-herrsche-Politik. Um Demo-kratieabbau, die Diktatur des Kapitals, die Umverteilung von unten nach oben, soziale Verschlechterungen und die Be-völkerungsbespitzelung durchzusetzen, werden rassistische, einschließlich an-timuslimische und nationalistische Vor-urteile geschürt. In der DDR wurden sie bekämpft und verfolgt. Der Völkermord an den Hereros wurde im Geschichts-unterricht der 8. Klasse behandelt. Was ist besser? • Rita Kring, Dresden

Zu „Keine Rechtfertigung für dieses Re-gime“ (Sachsens Linke! 01-02/2018, S. 9)

Es geht um die NATO

Gibt es irgendeinen Beweis, dass der Iran nach 1980 jemals nach Atomwaf-fen gestrebt hat? Hat nicht die iranische Regierung erklärt, dass Atomwaffen dem Islam widersprechen? Ging es im Atomabkommen nicht stattdessen um die Einschränkung der zivilen Nutzung der Atomenergie, einschließlich für me-dizinische Zwecke? Sind diejenigen, die dieses Abkommen erzwungen haben und jetzt weitere Verschärfungen wol-len, nicht alles Atomwaffenmächte, die BRD im Rahmen der nuklearen Teilha-be? Sind nicht unter verschiedensten Vorwänden viele Sanktionen gegen den Iran in Kraft? Sind nicht somit die wirt-schaftlichen Schwierigkeiten und damit die sozialen Probleme im Iran wesent-lich durch die aggressive Politik der NA-TO-Staaten und ihrer Verbündeten mit-verursacht? Hat sich im Syrienkonflikt nicht die Hamas auf Seiten Katars gegen Syrien und damit gegen einen Verbünde-ten des Irans gestellt? Und bei aller Kri-tik am Iran: Ist der jetzige Zustand nicht eine Folge des von der USA unterstütz-ten Putsches 1953 gegen Mossadegh? Geht es nicht seit damals bis heute um die Unterwerfung des Nahen Ostens, einschließlich seines Erdöls und -gases, unter die Kontrolle der NATO? Wird der Iran nicht vor allem deshalb bekämpft, weil er zusammen mit anderen gegen diese Unterwerfung Widerstand leistet? Und können nicht alle für soziale Ge-rechtigkeit und Demokratie stehenden Aktionen am besten dadurch unterstützt werden, indem wir diese imperialis-tischen Bestrebungen bekämpfen?• Eric Neuber, Radebeul

Leserbriefe

Impressum

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in SachsenHerausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 DresdenNamentlich gekennzeichnete Beiträ-ge geben nicht unbedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termi-ne der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der LR Medien-verlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Aufl age von 10.950 Explaren gedruckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.Bildnachweise, wenn nicht gesondert ver-merkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: [email protected] 0351-8532725Fax 0351-8532720Redaktionsschluss: 27.02.2018Die nächste Ausgabe erscheint voraus-sichtlich am 04.04.2018.

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03/2018 Sachsens Linke! Seite 3

Das neue Heft der marxistischen Vierteljahres-Zeitschrift Z. ist Anfang März pünktlich erschienen. Es hat den Schwerpunkt „Arbeit und Ausbeutung“ und ist aus naheliegenden Gründen zugleich dem 200. Geburtstag von Karl Marx gewidmet. Schon im Editorial wird die entsprechende Schlüsselfra-ge formuliert, die Marxistinnen und Marxisten in aller Welt in diesem Jahr besonders umtreibt: „Es ist die nach der Aktualität des Marx’schen Denkens und der Fähigkeit seiner heutigen An-hänger, die inneren Widersprüche der globalen kapitalistischen Entwicklung adäquat zu fassen und eine Kapitalis-muskritik zu entwickeln, die Zugänge zu dessen Überwindung und eine Perspektive eröffnet, ‚alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes Wesen ist’.“

Das aktuelle Heft behandelt zunächst praktische und theoretische Aspekte von Arbeitskämpfen sowie Arbeit und Ausbeutung: Arbeitskämpfe um Arbeitszeit, Lohn und Arbeitsbedingun-gen werden in praxisnahen Beiträgen von Gewerkschaftssekretären sowie

Betriebs- und Personalräten analy-siert. Das inhaltliche Spektrum der zumeist recht kurzen Artikel reicht dabei vom jüngsten Metallerstreik über „traumhafte Postgewinne“ bis zu den Klassenkämpfen in de globalen Beklei-dungsindustrie.

Unter dem Rubrum „Marx 200“ mel-den sich ausgewiesen Fachleute wie Klaus Müller, Erik Olin Wright, Harald Werner, Heinz-Jürgen Krug, Marcus Schwarzbach und Rolf Schmucker zu polit-ökonomischen, soziologischen und sozialstrukturellen Aspekten von Ausbeutung im heutigen Kapitalismus zu Wort.

Neben dem Schwerpunkt enthält die neue Ausgabe auch zwei Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Thomas Kuczynski hinterfragt unter der Über-schrift „Inwertsetzung der Natur oder Wertrevolution?“ kritisch eine zentrale Fragestellung im Konzept des „grünen Kapitalismus“. Winfried Schwarz stellt die Neuedition der „Deutschen Ideolo-gie“ im unlängst erschienenen MEGA-Band I/5 vor, der mit Text und Apparat 1894 Seiten umfasst. Zu Lebzeiten von Marx und Engels wurden von den für eine zweibändige Publikation vorge-sehnen und heute noch erhaltenen 18 Texten nur zwei gedruckt. Im Vergleich zur Edition im blauen MEW-Band 3 gibt es eine Vielzahl von Änderungen

und Umstellungen bei der Textprä-sentation. Aufbauend auf einer 80 Jahre währenden Editionsgeschichte repräsentiert MEGA I/5 den neuesten Forschungsstand. Schwarz zeichnet diesen Erkenntnisgewinn in strin-genter Form nach und geizt auch nicht mit Anekdoten am Rande: Es ist eben ein Unterschied, ob das berühmte Zitat richtigerweise „… morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Vieh-zucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren“ lautet oder falsch entziffert wird („auch das Essen zu kritisieren). Und natürlich ist es auch ein gewich-tiger Unterschied, ob es in der ersten MEGA noch heißt: „Gibt keine Kritik der Lebensverhältnisse“ oder richtiger-weise jetzt neu „Liebesverhältnisse“.

Mit Blick auf die 1968-Bewegung und deren 50. Jahrestag 2018 enthält das Heft Wolfgang Abendroths 1978 erstmals erschienenen Artikel „Der Weg der Studenten zum Marxismus“. Sehr lesenswert ist darüber hinaus der Beitrag von Dieter Boris „Populismus… und kein Ende“. Die Artikel von Kerstin Artus, Kai Wagner, Thomas Metschner und Jens Grandt können aus Platzgrün-den hier nur erwähnt werden. Wie im-mer enthält Z. im letzten Teil eine Zeit-schriftenschau, Tagungsberichte und eine Vielzahl von Buchbesprechungen. Nicht zuletzt damit leistet das März-Heft wieder einen gewichtigen Beitrag

zur pluralistischen, undogmatischen Erneuerung marxistischen Denkens, für den der Redaktion um André Leise-witz herzlich zu danken ist. Z. Zeitschrift Marxistische Erneue-rung, N. 113 (März 2018), 224 Seiten, Einzelheftbezug 10 Euro. Bestellungen über [email protected] oder www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de

Neues aus dem LandesvorstandAm 6. Februar 2018 beschloss der Landesvorstand unter anderem:

Um den strukturellen Entwicklungen im ländlichen Raum entgegenwirken zu können, beauftragte der Landes-vorstand die stellvertretende Lan-desvorsitzende Jana Pinka, den Lan-desgeschäftsführer Thomas Dudzak sowie interessierte Mitglieder des Vorstandes mit der Erarbeitung des Konzeptes Offensive ländlicher Raum. Ziel ist es, eine bessere Wahr-nehmung und Anbindung der LIN-KEN im ländlichen Raum zu ermögli-chen. Dabei sollen auch Erkenntnisse des Entwicklungskonzeptes Aleksa berücksichtigt werden. Zudem be-schloss der Vorstand die Unterstüt-zung des Karl-Marx-Jahres 2018.

Der Landesvorstand hat die Schaf-fung einer neuen Mitarbeiterstelle „Mitgliederbetreuung“ beschlossen. Die Besetzung soll zum 1. April 2018 erfolgen. Der Aufgabenbereich wird hauptsächlich die Unterstützung der Stadt- und Kreisverbände bei der Be-treuung der bestehenden Mitglieder als auch die Integration der hohen Zahl der Neumitglieder umfassen.

Weiterhin beschloss der Landes-vorstand, Franziska Fehst und Silvio Lang in der 6. Legislaturperiode die Verantwortung für den Bereich anti-faschistische Politik zu übertragen. Franziska Fehst wird dabei den Be-reich „antifaschistische Bewegung“ als Sprecherin übernehmen und Sil-vio Lang „antifaschistische Positi-onierung“ betreuen. Abschließend wurden Statistiken über die Mitglie-derentwicklung 2017 des Landes-verbandes sowie der Landesarbeits-gemeinschaften präsentiert und Informationen zum Stand des Ent-wicklungskonzepts Aleksa diskutiert. Äußerst positiv fiel die Mitgliederent-wicklung des Landesverbandes aus. DIE LINKE. Sachsen verzeichnete 2017 einen Neumitgliederrekord und konnte erstmals seit 1990 mehr Ein- als Austritte vorweisen.

• Marcus Boës

Friedenswanderung Sächsische Schweiz

Gegen Rüstungswahnsinn, Kriegs-exporte und deutsche Soldaten in Afghanistan, im Libanon oder an der Grenze zu Russland – und für ein Eu-ropa und eine Welt in Frieden und sozialer Sicherheit!

Ostermontag, 2. April 2018 12.30 Uhr, Bahnhof Bad Schandau: Bustransfer nach Ostrau, Wande-rung zum Kurpark

15.00 Uhr, Kurpark Bad Schandau: Friedensfest mit Essen, Trinken, Musik, und Gesprächen. State-ments gibt es unter anderem von Bürgermeister Thomas Kunack, Bad Schandau und Dr. André Hahn, MdB DIE LINKE. Musik: Chor, Pir-na; Grenzgänger, D/CZ; Marmitako, Dresden

Friedenspolitik statt Aufrüstung! Abrüsten ist das Gebot der Stunde!

Ist Marx'sches Denken noch aktuell?Den Marx-Geburtstag begleitet „Z.“ mit einer Schwerpunktausgabe Arbeit und Ausbeutung – empfehlenswert, findet Volker Külow

Dietmar Bartsch spricht über die aktuelle Lage

Mittwoch, 4. April 2018, 18 Uhr Ost-Passage-Theater, Konradstraße 27, Leipzig

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Sachsens Linke! 03/2018 Seite 4DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge

Unsere Fahrt zum Bundestag begann am 29. Januar 2018 pünktlich um 6 Uhr. Nach einer kleinen Zwischenpau-se führte uns die Fahrt zu unserem ersten Ziel, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Danach ging es zum ersten Teil unserer Stadtrund-fahrt durch Stadtbezirke Ostberlins. Nach dem Mittagessen gelangten wir zum Bundestag. Dort konnten wir den Plenarsaal besichtigen und hörten ei-nen Vortrag über die Aufgaben und die Arbeit des Parlamentes. Anschließend hatten wir die Möglichkeit zu einer an-

geregten Diskussion mit dem Bundes-tagsabgeordneten Michael Leutert. Nach einem kurzen Fototermin mit al-len Genossinnen und Genossen sowie dem Abgeordneten konnten wir noch die Kuppel des Reichstagsgebäudes besichtigen und Berlin bei Nacht be-staunen. Den Abend ließen wir bei ei-nem schönen Buffet, einigen Cocktails und Bier sowie mit angeregten Ge-sprächen ausklingen.

Am 30. Januar 2018 begann nach dem Frühstück der zweite Teil der Stadt-

rundfahrt, diesmal durch Westberlin und auch hier durch die tolle Reisebe-gleiterin kommentiert. Um 11 Uhr er-hielten wir eine höchst interessante Führung durch die Gedenkstätte des deutschen Widerstandes in der Stauf-fenbergstraße. Nach dem Mittagessen wartete schon der letzte Teil unseres Besucherprogramms. Wir besuchten das Dokumentationszentrum Topogra-phie des Terrors. Um 16 Uhr traten wir dann die Heimreise nach Stollberg an.

• Ines Zimmer

Zu Besuch im Bundestag

Wenn gleiche Arbeit weniger wert ist …Am Donnerstag, dem 25. Januar 2018, trafen sich etwa 120 Krankenschwes-tern, -pfleger und weitere Bedienste-te des Kreiskrankenhauses Stollberg zum Streik für eine angemessenere Bezahlung ihrer für uns alle wichti-gen Arbeit. Sie bekommen nicht nur weniger Geld als ihre Kolleginnen und Kollegen in den alten Bundeslän-dern, nein, sie werden auch schlech-ter bezahlt als die in den umliegenden Krankenhäusern. Die Arbeit ist die gleiche, die Bezahlung sagt etwas an-deres. Wie kann es sein, dass Kran-kenschwestern und -pfleger im KKH Stollberg laut ver.di 6.400 Euro im Jahr weniger bekommen als die im EKA Erzgebirgsklinikum Annaberg, das der gleichen Holding angehört?

Die Gewerkschaft fordert in diesem und nächsten Jahr jeweils vier Prozent mehr Gehalt, um längerfristig das Ta-rifniveau des öffentlichen Dienstes zu erreichen. Das letzte Angebot vom Ar-beitgeber nach dem Streik sah jedoch nur drei Prozent ab Mai 2018 und 1,5 Prozent ab Dezember 2018 vor, sowie keine weitere Erhöhung 2019. Schade, dass unser neuer Ministerpräsident Kretschmer am 5. Februar 2018 zwar vor Ort war, nicht aber mit den Mit-arbeitern über ihre Situation sprach, sondern nur mit der Geschäftsführung Fördermittel für eine neue Palliativsta-tion verhandelte. Selbstverständlich wurde den Mitarbeitern von der Lei-tungsebene nahe gelegt, an dem Tag die Füße still zu halten.

Am 17. Februar 2018 wurde öffentlich, dass sich ver.di und die Geschäfts-führung doch einigen konnten. Eine Entgelterhöhung von drei Prozent ab Mai 2018 sowie eine um 2,2 Prozent ab dem 1. Januar 2019 sind vorgese-hen. Jedes Jahr soll zum ab 1. Juni eine neue Entgeltordnung eingeführt wer-den, was längerfristig bedeutet, dass das Tarifniveau des öffentlichen Diens-tes, von dem die Beschäftigten derzeit noch etwa 13 Prozentpunkte entfernt sind, endlich irgendwann erreicht wird. Auch für die Auszubildenden gilt dies, sie bekommen dazu einen weiteren Ur-laubstag. Die Erklärungsfrist läuft. An-nahme, Ablehnung oder Widerruf?

Wo liegen generell die Probleme? Hat die Geschäftsführung Fehler ge-macht, vielleicht falsch oder nicht genug investiert, und hält jetzt mit niedrigeren Gehältern den Standort aufrecht? Eines der naheliegenden Medizinischen Versorgungszentren, die Praxisklinik Stollberg, gehört zum Beispiel nach einer Umstrukturie-rung immerhin zum HELIOS Aue und schickt seine Patienten natürlich da-hin. Und was ist eigentlich mit den Ge-hältern der Ärzte im KKH Stollberg? Weichen die auch um elf bis 13 Pro-zent vom Tarif ab?

• Kathleen Noack

Klausur bereitet auf 2019 vor

Der Kreisvorstand der LINKEN im Erzgebirge hat am 26. und 27. Januar 2018 in Markersbach seine Klausurtagung 2018 unter dem Mot-to „Nicht reden, machen!“ durchge-führt. Am Freitag verständigten sich die Mitglieder über organisatorische Veränderungen. Dabei wurden die Vorbereitung der Wahlen 2019 analysiert und Veränderungen beschlossen. Einen eigenen Punkt bildeten die Öffentlichkeitsarbeit und die Initiative ländlicher Raum. Bei einem gemütlichen Kegelabend lernten sich die Kreisvorstandsmit-glieder näher kennen, was für die Zusammenarbeit wichtig ist. Denn der im Oktober gewählte Vorstand hat einige neue Mitglieder.

Am zweiten Tag ging es hauptsäch-lich um Themen, mit denen die LINKEN im Erzgebirge 2018 den Wahlkampf vorbereiten wollen. Der wichtigste Aspekt war die Sicht-barkeit und Präsenz als Alternative zu den anderen Parteien. Natürlich wurde auch viel über Kandidaten-gewinnung diskutiert. Es waren zwei sehr arbeitsreiche Tage, die allen Beteiligten viel Kraft gegeben haben, um die Aufgaben in 2018 zu lösen. Infos: www.bit.ly/2CuKXWo

• Holger Zimmer, Kreisvorsitzender

LINKE gegen AWO? r

Die CDU-Fraktion im Stadtrat von Schneeberg beantragte einen Zuschuss für die Arbeiterwohlfahrt. Warum stimmte die Fraktion DIE LINKE dagegen?

Zur Stadtratssitzung am 25. Januar 2018 lag der Antrag der CDU-Fraktion über die Unterstützung der Arbeiterwohlfahrt zur Abstimmung vor. 10.000 Euro sollte die Kom-mune demnach jährlich der AWO bereitstellen, weil es Kürzungen bei den 1-€-Jobs gegeben hat. Damit drohen der Tafel und der Kleider-kammer wegen fehlender Sachko-stenbereitstellung die Schließung.Welch eine Heuchelei! Wer ist denn verantwortlich für diese Kürzungen? Natürlich die CDU im Verbund mit der SPD! Unglaublich, wieder soll die Kommune dafür bluten, obwohl reichliche Überschüsse im Landes- und Bundeshaushalt vorhanden sind. Wir befürworten den Erhalt der AWO und ihrer Strukturen und ihre Hilfe für bedürftige Menschen, aber nicht auf Kosten der Stadt. Wir achten die Arbeit der AWO hoch – die notwendigen Mittel müssen von Land und Bund bereitgestellt wer-den, damit die von ihnen verursach-te Armut gelindert wird! Selten war ich im kommunalpolitischen Bereich so empört über die Frechheit und Schamlosigkeit der CDU.

• Stefan Schrutek, Fraktionsvorsitzender

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03/2018 Sachsens Linke! Seite 5

Am 10. Januar 2018 endete die zwei-jährige Amtszeit des Ortsvorstandes DIE LINKE. Hohenstein-Ernstthal. Der neue Vorstand verjüngt sich deutlich, zum einen durch das gigantische Er-gebnis von 100 Prozent für Sebastian Bernhardt in Funktion des neuen Orts-vorsitzenden und zum anderen durch den Callenberger Björn Reichel.

Wiedergewählt wurden die beiden KassierergruppenleiterInnen Christi-

ne Winkler und Dieter Traumüller. Elke Mühleisen fungiert weiter als Schnitt-stelle zwischen Stadtratsfraktion und Ortsverband. Die anwesenden knapp 30 GenossInnen bedankten sich bei der langjährigen Ortsvorsitzenden Karin Kämpf mit langem Applaus und danksagenden Worten. Es war jedoch kein Abschied, da auch sie dem neuen Ortsvorstand erhalten bleibt.

• Alexander Weiß

Zur Stadtratssitzung am 30.11.2017 brachte die Fraktion DIE LINKE im Glauchauer Stadtrat einen Antrag zum Thema „Anlegen von Blühstreifen bzw. Blühflächen auf städtischen/kommu-nalen Grünflächen in Glauchau“ ein. Beschlussvorlage war es, Blühstrei-fen bzw. Blühstreifen auf städtischen/kommunalen Grünflächen zu errichten sowie ein komplementäres Maßnah-menkonzept zum Schutz von Insekten zu erstellen.

Bei der Errichtung der Blühwiesen soll-te je nach ökologischer Wertigkeit der Fläche zwischen verschiedenen Saat-mischungen ausgewählt werden. Be-sonders vielblütige und einheimische Saatmischungen sollen bevorzugt wer-den, da deren Pflegeaufwand gering ist und somit langfristig Pflegekosten ein-gespart werden können. Die insekten-freundliche Gestaltung und Vernetzung der ökologischen Ausgleichsflächen soll laut Antrag durch die Schaffung von Nistmöglichkeiten, die Belassung von Totholz, die Einsaat einheimischer Wildblumen (Blumenwiesen), Kräu-ter, Büsche und Bäume, die den Tie-ren als Nahrungsquelle dienen sowie ein maßvolles und zeitlich versetztes Mähen, immer nur höchstens der hal-ben Fläche beziehungsweise nur zwei-mal jährlich (als Rückzugsgebiets- und Nahrungsgrundlagenerhalt) umgesetzt werden.

Stadträtin Julia Stein begründete die Notwendigkeit des Antrages mit ei-ner jüngst veröffentlichten Studie der

Länder Niederlande, Deutschland und Großbritannien, bei der ein durch-schnittlich 75- prozentiger Rückgang der Fluginsekten-Biomasse festgestellt wurde. Die ForscherInnen führten im Zeitraum von 1989 bis 2016 Erhebun-gen in 63 deutschen Schutzgebieten durch. Der Aufschrei in der Bevölke-rung auf das damit erwiesene Insek-tensterben war und ist noch immer groß. Die Ergebnisse wurden in den Medien verbreitet. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass unter diesen Insek-ten Schmetterlinge, Bienen, Wespen, Motten und andere flugfähige Arten sind.

Etwa 80 Prozent der Wildpflanzen sind abhängig von der Insektenbestäubung und 60 Prozent der Vögel in der heimi-schen Natur ernähren sich hauptsäch-lich von Insekten. Auch für das Wachs-

tum beliebter Früchte wie z. B. von Äpfeln und Birnen sorgen die Bienen. Die verschiedenen Obstsorten stellen immerhin etwa ein Drittel unserer Nah-rung dar, womit die Biene ein wichti-ger Bestandteil unseres Ökosystems ist. Die Studie fand heraus, dass es nicht nur einen Grund für das Bienen-sterben gibt, sondern ein Konglomerat verschiedener Komponenten wie die industrielle Landwirtschaft und damit verbundene Monokulturen. Aber auch ein mangelhaftes Nahrungsangebot für Insekten sowie das Verschwinden der Nistmöglichkeiten sind negative Fak-toren.

Viele Insekten finden sich daher in pri-vaten Gärten, Balkonen und Wegesrän-dern wieder, weil sie hier noch wild blü-hende Pflanzen vorfinden, die Pollen und Nektar bereithalten. Julia Stein be-

tonte, dass genau an diesem Punkt an-gesetzt werden könne, indem die Stadt die im Antrag geforderten Maßnahmen umsetze. So können wieder Lebensräu-me und Nahrungsquellen für Insekten und weitere Arten geschaffen werden.

Darüber hinaus haben Blühstreifen ei-ne wichtige Bedeutung für die Berei-cherung und Aufwertung des Land-schaftsbildes. Glauchau als grüne Stadt würden die Blühwiesen berei-chern. Hierbei ist es sinnvoll, diese Art Umweltschutz in der Öffentlichkeit bekannt zu machen sowie die Blühflä-chen zu kennzeichnen. Julia Stein be-tonte bei der Begründung des Antrages auch die wirtschaftliche Komponente. Der Pflegeaufwand der Blühstreifen ist je nach verwendeter Samenmischung deutlich geringer als der von Grün-streifen. Zusätzliches kostenintensives Düngen oder Bewässern der Blumen-wiesen ist ebenfalls nicht notwendig.

Der Antrag wurde bis auf eine Stimm-enthaltung von allen anwesenden Stadträten beschlossen. Bereits am nächsten Tag bekamen die Stadträte der Linksfraktion Anrufe sowie Emails von BürgerInnen, welche den Antrag begrüßten. Auch ein Artikel in der Frei-en Presse folgte etwa zwei Wochen später. Darin äußerte sich auch ein Im-ker aus Glauchau positiv zum Antrag und dessen Folgen für Glauchau. Der Antrag der Fraktion ist nur ein kleiner Schritt für Glauchau, aber ein großer öffentlichkeitswirksamer Schritt für den Natur- und Insektenschutz!

Insektenschutz in Glauchau wird verbessert

Ortsvorstand Hohenstein-Ernstthal gewählt

DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

Am 3. Februar kam der neue Kreisvor-stand zur konstituierenden Sitzung zu-sammen. Nach einer kurzen Auswertung des Kreisparteitages vom 13. Januar wurden thematische und organisatori-sche Schwerpunkte herausgearbeitet. Zeitnah wird es an die Umsetzung zwei-er Anträge gehen, die der Kreispartei-tag beschlossen hat: die Vorbereitung der Wahlen 2019 sowie die Beteiligung am Diskussionsprozess um das Alter-native Landesentwicklungskonzept

(ALEKSA). Weitere Arbeitsfelder wur-den abgesteckt: Mitgliederbetreuung, Gleichstellung, Politische Arbeit im länd-lichen Raum, längeres gemeinsames Lernen, Zusammenarbeit mit dem Kom-munalpolitischen Forum. Ein weiterer Punkt war die Intensivierung der Öffent-lichkeitsarbeit insbesondere im Hinblick auf Veranstaltungen, Vor-Ort-Aktionen, Internetaktivitäten sowie Pressearbeit.

Im nächsten Schritt wurden die Verant-

wortlichkeiten für die Arbeitsfelder auf die Mitglieder des Kreisvorstandes ver-teilt. Die Themenverantwortlichen wer-den bis zur Sitzung des Kreisvorstan-des am 7. März ein Arbeitsprogramm für den von ihnen verantworteten Arbeits-bereich vorlegen. Die Arbeitsprogram-me dienen auch als Grundlage einer Auswertung der Aktivitäten, damit wir am Endes des Jahres überprüfen kön-nen, was erreicht wurde und gleichzeitig prüfen können, wo nachgebessert wer-

den muss oder andere Akzente gesetzt werden müssen. Weiterhin wurde be-schlossen, die Sitzungsaktivitäten der Mitglieder des Kreisvorstandes für den nächsten Kreisparteitag, auf dem die Neuwahl des Kreisvorstandes ansteht, zu dokumentieren – damit die Mitglieder nachvollziehen können, wer wie oft an Kreisvorstandssitzungen teilgenommen oder nicht teilgenommen hat.

• Sandro Tröger, Kreisvorsitzender

Aktuelles aus dem Kreisvorstand

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Sachsens Linke! 03/2018 Seite 6

Beim Konditor Zieger in Meißen kann man die Fummel kaufen. Der Legende nach war sie – „eyn gar zerbrech-lich Gebäck“ – als Mitbringsel des Landesherrlichen Boten zwischen der Burg zu Meißen und dem Schloss zu Dresden heil zu transportieren. Die heile Fummel „bewies“ den alkoholfrei-en Ritt ungeachtet aller Versuchungen am Wege liegender Weinwirtschaften. Eine schöne Geschichte, mit der das Café Zieger seit langem die Fummel – hauptsächlich aus Luft bestehend – verkauft. Sie ist ein originelles Sou-venir und allemal preiswerter als das örtliche Porzellan.

Dieser verkaufsfördernden Legende tritt nun todesmutig der Meißner Kulturwissenschaftler Dr. phil. Hans Sonntag entgegen, der die Fummel eher in einer türkischen Tradition verortet. Heißa, wie da das „gesunde Volksempfinden“ schäumt. Gerade im (ursprünglich slawischen) Meißen, wo besonders hart um die Bewahrung völ-kischer Traditionen gerungen wird, tobt jetzt „ein Kampf“ um die Deutungsho-heit über germanisches Backwerk aus den Öfen der Nachfahren fränkischer Migranten im sorbischen Gau Nisani.

Das Christliche Abendland ist in den Grundfesten erschüttert. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, dass der spätere „August der Starke“ bei Wien 1683 als Kurprinz mit 9.000 Mann nicht nur die Türken mit in die Flucht geschlagen, sondern auch viele exotische Beutestücke wie Waffen, Zelte und Schmuck eingesammelt hat. Dinglingers Kaffee-Service im Grünen

Gewölbe – in Ermangelung des noch nicht erfundenen weißen Porzellans überzog Dinglinger hauchdünnes Gold mit weißer Emaille – lässt darauf schließen, dass die Türken bei ihrer Flucht neben Kaffee auch andere Genuss- und Lebensmittel zurück-lassen mussten. Die ungerösteten Kaffeebohnen (anfangs angeblich für Kamelfutter gehalten) sind längst geröstet, türkisches Backwerk längst gegessen, und die unverderbliche Beute kann man in der „Türckischen Cammer“ des Dresdner Schlosses be-wundern – nebst Zukäufen. Denn nach der militärischen Auseinandersetzung gab es wirtschaftliche und diploma-tische Beziehungen mit der Türkei. Die Bagdad-Bahn war ein spätes Kapitel davon. Aber schon frühzeitig „impor-tierte“ man türkisches Know How. Warum nicht auch Backrezepte?

Ein Leserbriefschreiber vermerkt unter den SZ-Artikel: „... wie jetzt waren die Türken auch noch früher da und ich bin hier eigentlich nur Gast?“ Aber nein, nur bis Wien waren sie gekom-men. Ein anderer „scherzt“ böse, auch das Automobil und das Fahrrad seien orientalische Produkte. Ein Dritter verweist auf die neuerdings erschie-nenen Erdogan-Hypothesen von der türkischen Entdeckung Amerikas.Insgesamt 20 Kommentare hat der SZ-Artikel bekommen, sie sind in der Summe ausgewogen. Es äußern sich natürlich lautstark „neurechte Spinner“. Aber sie bekommen ironisch bis sarkastisch die Meinung gesagt. Die Provokation hat funktioniert. Wir wissen jetzt, dass die Lautesten nicht die Meisten sind. Aber auch, dass die Meisten Acht geben müssen, nicht blind den Lautesten hinterherzulaufen.

(Selbst-)Gerechter Zorn des AbendlandesReinhard Heinrich weiß, wie die Meißner Fummel als „nationales Kulturerbe“ von der Islamisierung bedroht ist

DIE LINKE. Kreisverband Meißen

Als Wolfgang Herrndorf 2010 seinen Jugendroman „Tschick“ veröffentlichte, konnte er nicht ahnen, welch pracht-volles Spektakel die Landesbühnen Sachsen zaubern würden. Vom Theater angekündigt als Rock-Oper, vom Film gehandelt als Roadmovie und MDR-Kultur-Hörern als herzerfrischende Lausbubengeschichte bekannt, hat der Stoff den Komponisten Ludger Vollmer ermutigt, fast alle Opern-Konventionen über den Haufen zu werfen. Und es tut der Geschichte gut. Möglicherweise liegt das auch daran, dass der Kompo-nist mit der Librettistin Tiina Hartmann sehr gut zusammengearbeitet hat.

In 29 Szenen, die dramaturgisch raffiniert – Chapeau für Gisela Zürner – fast nahtlos, trotz Wechsel von Ort und Zeit, ineinander übergehen, erlebt der Zuschauer eine Serie von Sprüngen der Helden. Von der Verantwortungs-

losigkeit (ein Lada wird geklaut) über das Abenteuer (Begegnungen mit ausschließlich dem einen Prozent guter Menschen in dieser zu 99 Prozent schlechten Welt) hinein in die Verant-wortlichkeit führt der Weg vom Maik (Johannes Leuschner), Tschick (Michael Zehe) und Isa (Kirsten Labonte). Diese Begegnungen sind von überwiegend sympathischer Verrücktheit. Alles ist ernst und komisch zugleich. Und große Gefühle werden nicht behauptet – wie in herkömmlichen Opern –, sondern in der Entstehung glaubwürdig gezeigt.

Ein Theater wie die Landesbühnen kann selbstverständlich auch mit Gä-sten auf der Bühne souverän umgehen. Michael Zehe und Johannes Leuschner fügen sich als Profis hervorragend in das Ensemble, wo Amateure (der Jugendchor des Gymnasiums Coswig) den Chor der Landesbühnen über-

zeugend verstärken. Und gerade die 24 Kinder und Jugendlichen unter der Leitung von Fanny Kaufmann brachten die Premiere zu einem glanzvollen Abschuss, indem drei oder vier Schü-lerinnen der sechsten und siebenten Klasse nach dem Schlussbeifall durchs Foyer hüpften, um Sebastian Ritschel (Inszenierung, Ausstattung, Licht) zu belagern und ihm für die offensicht-lich wundervollen Proben-Monate zu danken, die sie – wie Tschick und Maik – zwei bis drei Schritte (oder Sprün-ge?) sicher menschlich voran gebracht haben. Das schafft wohl keine Schule ohne Theater – und auch kein Theater ohne Schule. Die Autogramme des Meisters in ihren Tschick-Büchern kön-nen sie ein Leben lang daran erinnern, was man schaffen kann, wenn man von Leuten lernt, die etwas können.

•Reinhard Heinrich

Fröhliche Schulkinder im Theaterfoyer

Die Praxis war einst der Ort, wo der praktische Arzt praktisch behandel-te. Heute erleben wir eine andere Praxis. Der Patient geht ins Medizi-nische Versorgungszentrum (MVZ), um den Arzt zu konsultieren. Die Be-zeichnung MVZ ist kürzer und vor al-lem rentabler als Poliklinik. Denn das MVZ ist meist privatwirtschaftlich or-ganisiert. Ärzte zentral unter einem Dach unterzubringen war DDR-Stan-dard. Ob Poliklinik oder Ambulatori-um, es ging um die Patienten.

Ein MVZ kann eine GmbH sein, eine Gesellschaft mit beschränkter Haf-tung. Gesellschafter sind Investo-ren, die Gewinne wollen. Bewährter Kapitalismus, der unter Bundes-Ge-sundheitsminister Seehofer (Regie-rung Kohl) in das Gesundheitswesen eingedrungen ist. „Das deutsche Ge-sundheitswesen kann historisch als einer der letzten gesellschaftlichen Teilbereiche betrachtet werden, in den die Instrumente des Marktes und des Wettbewerbs vordringen und die gewachsenen Strukturen fundamen-tal verändern“, schrieb die Deutsche Ärztekammer 2007.

Der einzige Grund für Privatisierung: Kapitalanleger suchen Anlagemög-lichkeiten. Der Patient erlebt das so: In einer großen Kreisstadt hat das MVZ zwei Arztstellen. Eine davon un-besetzt – aus bekannten Gründen un-serer glorreichen Gesundheitspolitik. Die zweite Stelle leer wegen Erkran-kung. Passiert auch Ärzten. Richtung-weisende Idee: Die GmbH hat eine weitere Filiale, mit ÖPNV über Dres-den in eineinhalb Stunden, mit direk-ter Busverbindung in reichlich dreißig Minuten, aber nur im Zweistunden-takt, erreichbar. Dem Patienten wird geholfen. Das ist die Hauptsache.

Der Fahrer im Bus gibt gern Aus-kunft über die richtige Haltestelle: „Bis zum Friedhof und dann eben ein Stück zurück.“ Am Ziel trägt der Pa-tient seinen Rezeptwunsch vor. Er wird prompt bedient, der Befund ist im Computer leicht zu finden. Ein Hammer: „Wir können aber nur die Packung mit 50 Tabletten verschrei-ben.“ Der Patient wundert sich und weiß, dass ihn das eine zusätzliche Zuzahlung kostet. Auch so ein stol-zes Produkt der Seehoferschen Ge-sundheitsreformen, um das schwe-re Schicksal der Krankenkassen zu lindern, und das der Pharmaindust-rie natürlich. Die Budgetierung frei-lich ist nicht auf Seehofers Mist ge-wachsen. Aber auf den verrotteten Früchten dieses Mistes. Und im MVZ scheint niemand bereit, das garan-tiert unverbrauchte Budget des er-krankten Hausarztes auf die Vertre-tung zu übertragen. Da kommt viel zusammen, denkt der Patient. Man-cher wird es da wohl nur bis zum Friedhof schaffen. Egal. Die Politik weiß schon, was sie tut.

• Ein Patient

Zum Friedhof und ein Stück zurück

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03/2018 Sachsens Linke! Seite 7

Am 26. Januar 2018 besuchten die ört-liche LINKEN-Abgeordnete Marion Jun-ge und die LINKEN-Gesundheitspoliti-kerin Susanne Schaper Krankenhäuser im Landkreis Bautzen. Bei Terminen mit Reiner Rogowski, Geschäftsführer der Oberlausitz-Kliniken GmbH, in Bautzen und mit Jörg Scharfenberg, Geschäfts-führer des Lausitzer Seenland-Klini-kums in Hoyerswerda, wurden Anforde-rungen an die medizinische Versorgung erörtert.

Fazit der Landtagsabgeordneten: „Viele Faktoren üben Druck auf den Klinikbe-trieb aus – dazu zählen Dokumentati-onspflichten, aber auch Fachkraftquo-ten und der Fachkräftemangel. Die Arbeitsverdichtung ist hoch, die Perso-naldecke dünn. Das verlangt den Ärz-ten, dem Pflegepersonal und der Ver-waltung einiges ab. Hinzu kommen

gerade in ländlichen Gebieten Engpäs-se in der ambulanten ärztlichen Ver-sorgung.“ Das Arbeits- und Berufsfeld Pflege müsse attraktiver werden, damit sich langfristig genug Menschen für ei-nen solchen Beruf entscheiden. Dazu

müssten vor allem die Löhne steigen. Auch gesunde Arbeitsbedingungen sei-en nur möglich, wenn es mehr Pflege-personal gebe. Für Ärzte müssen Anrei-ze geschaffen werden, sich abseits der Ballungszentren niederzulassen bezie-

hungsweise dort in Kliniken zu arbeiten. Die Dokumentationspflichten gehören auf den Prüfstand. Denn am Ende müs-se den Ärztinnen und Ärzten wie auch dem Pflegepersonal mehr Zeit für die Patienten bleiben.

Der Kreisvorstand der LINKEN in Baut-zen beschloss auf Antrag des Minder-heitenpolitischen Sprechers Heiko Ko-sel (MdL) einstimmig die Unterstützung der europäischen Bürgerinitiative „Mi-nority Safepack“. Gerade vor dem Hin-tergrund der hier beheimateten sorbi-schen Minderheit erachten wir es als besonders wichtig, die Initiative zu un-terstützen.

Anliegen der Minority Safepack-Ini-tiative ist der Schutz und die Unter-stützung ethnischer Minderheiten und Sprachminderheiten in der EU, die sie zum Erhalt ihrer Identität benötigen – besonders auch auf europäischer Ebe-ne. In der EU leben über 50 Millionen Menschen, die einer ethnischen oder Sprachminderheit angehören. Diese Minderheiten leisten einen wichtigen Beitrag zur sprachlichen und kulturel-len Vielfalt Europas. Die Initiative for-dert von der EU konkrete Schritte in den Bereichen Regional- und Minder-

heitensprachen, Bildung und Kultur, Re-gionalpolitik, Partizipation, Gleichheit, Medien sowie Regionalförderung. Un-abhängig von mancher auch durch uns geübten Kritik ist die Bundesrepublik minderheitenpolitisch nicht schlecht aufgestellt. In anderen EU-Staaten wer-den hiesige Standards bei weitem nicht erreicht. Ein „JA“ zur Minority Safe-pack-Initiative aus Deutschland ist des-halb auch Ausdruck der Solidarität mit den ethnischen und Sprachminderhei-ten in anderen EU-Staaten.

Noch bis zum 3. April 2018 werden EU-weit Unterschriften für „Minority Safe-

pack“ gesammelt. Eine Million Unter-schriften von Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedsstaaten der EU sind nötig, damit die EU-Kommission sich damit beschäftigt. Anfang Februar wurde die Marke von 600.000 überschritten.

Zu den Unterstützern gehören die Landtage von Schleswig-Holstein und Brandenburg, neben drei branden-burgischen Staatssekretärinnen von SPD und DIE LINKE haben alle Mitglie-der der Landtagsfraktion der LINKEN in Brandenburg die Initiative unter-schrieben. In der sächsischen LINKEN-Landtagsfraktion läuft die Unterschrif-tensammlung; Anfang März wird sie Zwischenbilanz ziehen und über die weitere Unterstützung entscheiden.

Bürgerinnen und Bürger können die In-itiative unter www.minority-safepack.eu oder in den Bürgerbüros der LINKEN in Bautzen, Kamenz, Hoyerswerda und Radeberg unterzeichnen.

Der Strukturwandel in der Lausitz geht nur schleppend voran. Das hat die Antwort der Bundesregierung auf zwei meiner mündlichen Fragen er-geben. Damit bestätigt sich, was mit dem bloßen Auge bei einer Fahrt durch den Landkreis zu erkennen ist. Ein Großteil der Mittel für den Struk-turwandel ist 2017 nicht abgeflossen. Insgesamt blieben 3,7 Millionen Euro ungenutzt.

Die Bundesregierung stellt Geld für den Strukturwandel in der Lausitz be-reit. Soweit so gut. Aber: Aus einem Fonds über vier Millionen Euro jährlich

soll der Strukturwandel in allen vier deutschen Braunkohlegebieten voran-gebracht werden. Auch dem Laien ist sofort klar, dass diese Summe kaum ausreichen wird. Nicht nur stellt der Bund zu wenig Mittel zur Verfügung, diese werden auch in der Lausitz noch nicht mal eingesetzt. Aus dem Fonds über vier Millionen Euro sind im letz-ten Jahr nur 242.258 Euro abgeflos-sen, das sind nur etwa fünf Prozent. Da die Mittel bislang aus allen Regio-nen in ähnlichem Umfang abgerufen wurden, dürften demnach im letzten Jahr nur knapp über 60.000 Euro in die Lausitz geflossen sein. Ein Witz!

In einem weiteren Fonds stehen 7,3 Millionen Euro einmalig zur Verfü-gung. Im letzten Jahr sind davon nur 36.243 Euro abgeflossen. Der Grund hier: Es dauerte bis Dezember, bis sich Brandenburg und Sachsen auf einen Zuwendungsbescheid einig-ten und das Projekt beginnen konn-te. Der Gipfel ist dann, dass sich der Landkreis Bautzen an der Projekt-durchführung und der GmbH als Pro-jektträgerin bisher gar nicht beteiligt, weil der Kreistag mehrheitlich noch Bedenken hat und die Entscheidung darüber bislang nicht getroffen wur-de.

Ich finde: Wir brauchen ein deutlich höheres Tempo beim Strukturwan-del. Die organisatorischen Streitigkei-ten innerhalb der Lausitz sind dafür sicherlich nicht hilfreich. Ich erwar-te von den Landkreisen, dass sie da-für sorgen, dass die bereit gestellten Mittel vollständig genutzt werden. Bis heute ist der Landkreis Bautzen nicht der gemeinsamen Wirtschaftsregion Lausitz GmbH aller anderen Lausitzer Landkreise beigetreten. Die Lausitz kann keine weiteren Verzögerungen gebrauchen.

• Caren Lay

DIE LINKE.Kreisverband Bautzen

Strukturwandel in der Lausitz kommt nicht voran

In Brandenburg soll es künftig in al-len Landkreisen und der kreisfreien Stadt Cottbus/Chóśebuz je einen kommunalen hauptamtlichen Sor-ben-Beauftragten geben, den das Land finanziert. Dies sieht ein Ge-setzesentwurf vor, den die Regie-rungsfraktionen SPD und LINKE ha-ben. Der sorbische Abgeordnete und Sprecher für nationale Minderheiten der Fraktion DIE LINKE im Sächsi-schen Landtag, Heiko Kosel, fordert die sächsische Landesregierung auf, diesem Vorbild zu folgen.

„Während in Sachsen der hiesige Be-richt zur Lage des sorbischen Volkes noch nicht einmal im Plenum behan-delt und diskutiert wurde, zeigt die rot-rote Landesregierung Branden-burgs, wie es besser gehen kann. Als Konsequenz aus dem dort vor-gestellten Sorbenbericht sollen alle Landkreise und kreisfreien Städte in den Genuss einer vom Land finan-zierten Vollzeitstelle eines kommu-nalen hauptamtlichen Sorben-Be-auftragten kommen.“ Die Koalition in Brandenburg nimmt eine langjährige Forderung der Sorben/Wenden auf, die im jüngsten Sorben/Wenden-Bericht erneut vorgetragen und von der Landesregierung geteilt wurde. „Ohne das große Engagement der kommunalen Sorben/Wenden-Be-auftragten ist Minderheitenpolitik in Brandenburg – aber auch in Sach-sen – nicht denkbar. Dies ist im Eh-renamt oder mit halber Stelle nicht leistbar“, so Kosel. Er wolle mit sei-ner Fraktion diese Forderung in den Sächsischen Landtag einbringen, sobald der Sorbenbericht behandelt wird. Die Notwendigkeit einer No-vellierung des Sorbengesetzes sei überdeutlich.

DIE LINKE Bautzen unterstützt „Minority Safepack“

Hauptamtliche Sorben-Beauftragte flächendeckend!

LINKE besuchten Lausitzer Kliniken

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Sachsens Linke! 03/2018 Seite 8

Die Dresdner Neustadt ist ein alter-natives Viertel, da passen die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Büro der LINKEN-Vorsitzenden Katja Kipping hervorragend hin. Vor einigen Jahren hat sich keine 50 Meter entfernt eine „Kosmotique“ angesiedelt: Junge enga-gierte Menschen, die sich im gemein-nützigen Kosmotique e.V. zusammen-geschlossen haben, stellen linken und linksalternativen Gruppen Räume zur Verfügung. So nutzte im Februar der Sächsische Flüchtlingsrat den Saal, um in einem halbstündigen Film mit Dis-kussion Erhellendes über die Flucht-gründe für Tunesier darzustellen. In der Vorankündigung hieß es: „Die Do-kumentation Kannouta fragt junge Tu-nesier und ihre Angehörigen nach ihrer Lebensrealität und den Gründen für die lebensgefährliche Reise.“ Der Film wur-de vom Nordafrikabüro der Rosa-Lu-xemburg-Stiftung in Tunis unterstützt und gefördert. Doch in der Dresdner RLS wusste man es offenbar entweder nicht oder vergaß darauf hinzuweisen, dass in der Nachbarschaft der Film läuft – so besuchten nur wenige Personen die Veranstaltung.

Es sollten mehr werden, denn der Film holt in seltener Offenheit die jungen Männer vor die Kamera, die man sonst in Filmberichten auf den Schlauchboo-ten sieht. In Gesprächen erfuhren die Filmmacher und Regisseure Zied ben Taleb und Margarete Twenhoeven, was die jungen Tunesier umtreibt. Es ist nicht so, dass sie alle Hunger leiden oder gar politisch verfolgt werden –

sämtliche Interviewte geben sich voll-kommen unpolitisch. Es ist die Lange-weile, die fehlende Aussicht auf einen guten Job – Bedingungen also, schein-bar, wie in der sächsischen Provinz. Die Aussichtslosigkeit entlädt sich in Alkohol- und Drogenkonsum. Aus die-sem Leben scheint es für junge Men-schen zwei Auswege zu geben: Entwe-der man geht mit einem bärtigen Mann ins Nachbarland Libyen – und bekommt dort pro Monat einige tausend Euro als IS-Kämpfer („Für das Geld bringt man auch den eigenen Vater um“, sagt ei-ner der Tunesier), oder man geht nach Europa, wo es alles gibt, was man zu Hause vermisst: den Respekt, den Job, eine eigene Wohnung, ein europä-isches Mädchen („Es ist alles besser in Frankreich – man muss nur France 2 schauen. In Tunesien kannst Du gar nichts machen.“) Manche junge Män-ner verletzen sich selbst, viele spielen mit Selbstmordgedanken. Wenn sie die 3.000 Euro für die Überfahrt von den Eltern bekommen haben – oder sich das Geld anders beschaffen –, gehen sie oft halb betrunken oder unter Dro-gen und bewaffnet an Bord, fest über-zeugt, dass alles besser ist als in Tune-sien zu leben – auch auf dem Wasser zu sterben. Aber natürlich setzen sie auf das „gute Leben in Europa“.

Klar wird im Film und im Gespräch mit den Filmmachern: Es geht bei den meisten Ankömmlingen aus Nordafri-ka um Flucht aus einer tristen Realität, die aber nirgendwo anders als in den Ländern Nordafrikas selbst gelöst wer-

den muss. Es geht darum, dass junge Männer nicht wissen, wie sie sich in ihrer Heimatstadt sinnvoll beschäfti-gen können. Es fehlt ihnen an Orientie-rung. Frauen gehen kaum auf die Boote – obwohl sie in exakt der gleichen Lage sind, nur wissen sie offenbar eher ih-rem Leben einen Sinn jenseits von Al-kohol und Drogen zu geben. Sie arbei-ten, schlagen sich durch. Die jungen Männer glauben an das Wunderland Eu-ropa und merken hier, dass die Welt an-ders ist als in ihrer Vorstellung.

Nicht unproblematisch ist die Sicht des Flüchtlingsrates. Nicht nur, dass der Moderator Mark Gärtner einer eige-nen Agenda zu folgen scheint – es wird auch deutlich, dass der Flüchtlingsrat sehr auf die „Seerettung“ fixiert ist. So verschließt man seine Augen vor dem Offensichtlichen: Dass es sich bei den Bootsmigranten auf Tunesien oft um klassische Migration handelt. Man will auch nicht wahr haben, dass die wirk-lichen Probleme nicht auf See, son-dern an Land gelöst werden müssen. Auf dem Boden Tunesiens wie ganz Nordafrikas haben Helfer-Organisati-onen aus Europa ein reichhaltiges Be-tätigungsfeld – aber damit produziert man natürlich keine solchen Bilder und spektakulären Berichte wie bei einer Seenotrettung. Wenn aus dem Publi-kum heraus versucht wird, die Proble-me der tunesischen Gesellschaft an-zusprechen, spürt man das fehlende Interesse. Der Fokus deutscher selbst-erklärter Flüchtlingshelfer ist offenbar starr auf die „Sicherung von Fluchtrou-

ten“ ausgerichtet, anstatt die Migrati-onsgründe zu bekämpfen. Es interes-siert die Flüchtlingshelfer auch wenig, dass die europäischen Mittelmeerlän-der, wohin die von ihnen geretteten Flüchtlinge kommen, sich allein gelas-sen fühlen. Stattdessen beschimpft man deren Behörden für die unmensch-liche Unterbringung in Camps und die Konfiszierung von Helfer-Schiffen.

Tatsächlich werden in Italien mit dem Thema Migration inzwischen ebenso Wahlen beeinflusst wie in Deutschland, Österreich, Frankreich und den Vise-grad-Staaten. So werden die Aktionen der „deutschen Helfer“ beileibe nicht nur vom italienischen Innenministeri-um kritisch gesehen, sondern auch von großen Teilen der Bevölkerung in den Mittelmeerländern. Das Durchschnitts-alter der Tunesier liegt mit etwa 30 Jah-ren etwa 15 Jahre unter dem der deut-schen Bevölkerung, und das Problem besteht in einem weit stärkeren Bevöl-kerungsanteil von Personen unter 30 Jahren, die auf den Arbeitsmarkt drän-gen. Hinzu kommen ein schwacher Tou-rismus und die Tatsache, dass die zah-lungskräftigen Libyer einst Jahr für Jahr weit mehr Geld nach Tunesien brachten – insbesondere in die abgehängten Re-gionen im Landesinneren – als die euro-päischen Touristen. Das Problem muss also regional mit einer neuen Friedens-politik gelöst werden. Die Diskussion zur Migration steht ganz am Anfang. Trailer: www.vimeo.com/169951435

• Ralf Richter

Um es gleich festzustellen: Der Besuch dieser Ausstellung lohnt. Man kann sie ohne Nöte planen, denn bis zum 14. Oktober besteht an allen Tagen (außer montags) eine Möglichkeit. Die Über-schrift kam mir während des Presser-undgangs in den Sinn. „Kein Einheits-brei in der DDR“, diese Bemerkung hörte ich mehrmals. Und die „Trenn-kost“ ist, nach meiner Ansicht, bei den vielen Exponaten sofort, manchmal erst auf den zweiten Blick, zu erkennen.

Ich erinnere: Ost und West verfolgten über 40 Jahre konträre gesellschaftli-che Ziele. Und: Der wunderbare Begriff „Formgestaltung“ verkam westlicher-seits zum „Design“. Gestalten und For-men war das anspruchsvolle Arbeits-muster und der Auftrag für das am 1. Februar 1972 gegründete „Amt für in-dustrielle Formgestaltung“. Das dafür notwendige Gesetzblatt ist, stark ver-größert, in der Ausstellung zu entde-cken. Schon beim Presserundgang be-merkte ich, dass der Geburtsjahrgang mancher Kollegen die Haltung zu dem Gesehenen stark beeinflusste. Ich ver-

mute, ähnlich wird es den zahlreichen Besuchern gehen. Mein Tipp: Ältere können manches erklären, auch beim

originellen Spielzeug aus Omas Zeiten, will sagen, ein Besuch in Familie lohnt. Der Eintritt ist frei!

Fotoapparat „Penti II“, Stereo-Radio-Recorder „SKR 100“, Farbfernsehge-rät „Chromat“, Standmixgerät „Elek-tromix 76“, Schreibmaschine „Erika“, Koffernähmaschine „Freia“: Alles über die Jahrzehnte kein Einheitsbrei, ich setze diese Aufzählung nicht fort, denn der erkenntnisreicher Rundgang dauert, je nach Interesse, garantiert zwei Stunden. Man muss die Arbeits-geräte, Konsumgüter, Fahrzeuge, Bü-romöbel, den Hausrat und Sportge-räte möglichst nah betrachten ... und sich erinnern ... oder den Kopf schüt-teln. Genickt habe nicht nur ich über den wichtigen Fakt, dass die DDR-Exponate oft viel langlebiger konstru-iert waren als seinerzeit „drüben“ und nunmehr auch „hüben“. Warum wohl? Profit!

Übrigens: In meiner Küche und im Wohnbereich gibt es noch DDR-Form-gestaltung. Und sie „spielt“ noch im-mer. Ihr fehlen wohl die inzwischen üblichen „Sollbruchstellen“! Im letz-ten Raum der Exposition können al-le Besucher unter etwa 50 Begriffen abstimmen. Die Frage lautet: „Was zeichnet gute Formgestaltung aus?“ Ich entschied mich für fünf Punkte. Finden Sie die ihrigen. Es gibt in der Ausstellung einen handlichen gelben Katalog mit nützlichen Details zu er-werben, und der fragt: „Alles nach Plan?“

• Fotos: Gerd Eiltzer

Warum tunesische Jugendliche in Boote steigen

Kein Einheitsbrei, sondern TrennkostMichael Zock über die Ausstellung „Formge-staltung in der DDR“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig

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03/2018 Sachsens Linke! Seite 9

Erich Zeigner gehört in Portrait-Galerie der Oberbürgermeister, meint nicht nur Volker Külow

Geschichtsskandal in Leipzig

Bei den sächsischen Luxemburgianern gehört es zum Konsens, junge Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler zu fördern. Dass aus einer schönen Idee identitätsstiftende Realität wurde, ist dem Vermächtnis eines außergewöhn-lichen Mannes zu verdanken − Günter Reimann. 1904 als Hans Steinicke ge-boren, wird der Angermün-der Kauf-mannssohn in Berlin Augenzeuge der Novemberrevolution, Rosa Luxemburg fasziniert ihn bis an sein Lebensende. Er studiert Wirtschaftswissenschaf-ten, wird Mitglied der KPD und als „Günter Reimann“ Redakteur der „Ro-ten Fahne“. Im Sommer 1933 flieht er über Prag, Wien, Paris und Amsterdam nach London, bricht mit der KPD und lebt seit 1938 in den Vereinigten Staa-ten, wo er am 2005 im Alter von 100 Jahren verstarb.

Reimann hatte den Nazis die Stirn ge-boten und nach dem Reichstagsbrand in der Illegalität die Zeitschrift „Gegen

den Terror“ redigiert, bis ihm die Ge-stapo auf den Fersen war, Flucht und Emigration die einzigen Überlebens-chancen boten. Nach dem Zweiten Weltkrieg half er vielen Deutschen mit Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung aus existentieller Not.

Reimann hatte einen kritischen Blick auf solche tragischen Momente der Geschichte der Linken, wie den Nar-zissmus der kleinen Differenzen: Je minimaler die ideologischen Diffe-renzen, desto heftiger die Auseinan-dersetzungen und politischen Feind-schaften. Eine ähnliche Erfahrung reflektierte Wassili Grossman, ein Jahr jünger als Reimann, in seinem Epos „Leben und Schicksal“: „Manchmal ist doch der Hass zwischen Menschen, die der gleichen Partei angehören und deren Ansichten sich nur um Nuan-cen voneinander unterscheiden, grö-ßer als der Hass auf die Feinde dieser Partei.“

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen verdankt Reimann Solidarität und Freund-schaft, kühne Ideen und die Möglichkeit, gemäß seinen Intenti-onen junge kritische Köpfe mit dem an seinem 90. Geburtstag gestifte-ten Preis zu fördern. Mit 47 Bewer-berinnen und Bewerbern übertraf der sechzehnte Preiswettbewerb al-le Vorgänger. Jonas Brückner, Anna Jachmann-Ciaglia, Jakob Graf, Ale-xis Kunze und Katharina Meyer, de-ren Untersuchungen in die enge-re Auswahl gelangten, wurden mit Belobigungsurkunden geehrt. Den Wissenschaftspreis verliehen Stif-tungsvor-stand Peter Porsch sowie die Jury-Mitglieder Karla Rost und Klaus Bastian am 17. Februar an Fi-ona Schmidt und Isabella Greif (Fo-to). Konstanze Caysa, Preisträgerin des Jahres 2006 und nun Mitglied der personell erneuerten Preisju-ry (Wissenschaftlicher Beirat), hat-te zuvor die Jury-Entscheidung für

die Masterarbeit der Berliner Auto-rinnen begründet. Bevor die Sekt-gläser in der Leipziger Harkortstraße erklangen, fand Isabella Greif für die Quintessenz ihrer Untersuchungs-ergebnisse, eine pointierte Kritik an verharmlosenden Strategien im staatsanwaltschaftlichen Umgang mit rassistischer und rechter Gewalt, die gebannte Aufmerksamkeit und den dankbaren Beifall aller Gäste des tra-ditionellen Neujahrsempfangs.

Die prämierte Studie kann unter www.brandenburg.rosalux oder www.welt-trends.de geordert werden: Fiona Schmidt / Isabella Greif: Staatsan-waltschaftlicher Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt. Eine Un-tersuchung struktureller Defizite und Kontinuitäten am Beispiel der Ermitt-lungen zum NSU-Komplex und dem Oktoberfestattentat. WeltTrends Pots-damer Wissenschaftsverlag. 303 S., 19,90 €, ISBN 978-3-945878-78-1

Manfred Neuhaus über die jüngste Verleihung des Nachwuchsförderpreises der RLS

Reimanns Vermächtnis: Fördert junge kritische Köpfe

An verdienstvolle Oberbürgermeis-ter zu erinnern ist der Gedenkkultur einer Stadt grundsätzlich zuträglich. In der am 2. Februar 2018 von Ober-bürgermeister Burkhard Jung (SPD) im Rathaus eröffneten Dauerpräsen-tation „von Portraitaufnahmen aller demokratisch gewählter Oberbürger-meister der Stadt Leipzig aus der Zeit von 1877 bis 1933 sowie von 1990 bis 2005“ fehlte aber neben den DDR-Oberbürgermeistern ausgerechnet auch Erich Zeigner. Der verdienstvolle Oberbürgermeister der Nachkriegs-zeit (1945-1949) und Verfolgte des Na-ziregimes war seit 1919 Mitglied der SPD und 1923 kurzzeitig sogar säch-sischer Ministerpräsident. An der bis heute in der Leipziger Bevölkerung tief verwurzelten Akzeptanz und Be-liebtheit Zeigers – der sich bis zu sei-nem frühen Tod für die Lösung der gravierenden Nachkriegsprobleme unermüdlich aufopferte – wird der er-innerungspolitische Skandal nichts ändern. Allein wegen seiner enormen Verdienste um den Wiederaufbau der Stadt nach dem von Nazideutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg hätte er aber einen Ehrenplatz in der besag-ten Galerie verdient.

Mit der Auswahl und ihrer Begründung wurde im Leipziger Rathaus für die Stadtgeschichte nunmehr eine direk-te Traditionslinie vom Wilhelminischen Obrigkeitsstaat nach 1871 über die Anfänge der NS-Diktatur zur vielbe-schworenen demokratischen Neuge-staltung nach 1990 gezogen. In einer Presserklärung kritisierte die Stadt-ratsfraktion der Linkspartei diese grobe Geschichtsklitterung und das

defizitäre, letztendlich totalitarismus-theoretisch geprägte Demokratiever-ständnis, in dem die Nazidiktatur mit der DDR faktisch gleichgesetzt wird. Die Linksfraktion beließ es aber nicht bei einem verbalen Protest, sondern beantragte unverzüglich im Stadt-rat die Aufnahme von Erich Zeigner in die Galerie. Darüber hinaus forderte sie, dass in der angekündigten Erläu-terungstafel zur Dauerpräsentation die Oberbürgermeister in der Zeit der DDR – darunter mit Max Opitz und Walter Kresse zwei ausgewiesene an-tifaschistische Widerstandskämpfer – namentlich genannt und mit einer Kurzbiografie vorgestellt werden.

In ihrem Antrag kritisiert die Links-fraktion auch das autoritär fixierte

Geschichtsverständnis der Rathaus-spitze und zeigt, wie die portraitierten Oberbürgermeister ab 1877 zu ihren Ämtern kamen. Im Deutschen Reich war man weit entfernt von einem de-mokratischen Wahlrecht; die Ober-bürgermeister wurden nicht nur in Leipzig in einem gemeinsamen Wahl-kollegium von Stadtverordneten und Rat gewählt. Durch den Ausschluss von Frauen, Sozialhilfe-Empfängern, Soldaten, Nicht-Zahlern von Gemein-desteuern sowie der Teilung der Wäh-ler in von Gemeindesteuern abhängi-ge Klassen (Mehrklassenwahlrecht) und weitere Einschränkungen durfte bei allen Wahlen – und damit auch bei den Kommunalwahlen – allerdings nur eine Minderheit der Bevölkerung das Wahlrecht ausüben.

Inzwischen weht dem SPD-Oberbür-germeister selbst aus seiner eigenen Partei der Wind kräftig ins Gesicht. Viele Leipzigerinnen und Leipziger meldeten sich in den letzten Wochen ohnehin kritisch zu Wort und auch der Erich Zeigner Haus e.V., der im ehema-ligen Wohnhaus Zeigners im Stadtteil Plagwitz sitzt und ein unverzichtbarer Begegnungsort für gelebte Zivilcoura-ge und Demokratie ist, hat seinen Pro-test artikuliert. Die Linksfraktion hatte am 16. Februar – dem Vorabend von Zeigners 132. Geburtstag – noch eine ganz spezielle Aktion ausgedacht: Um ihrem Antrag mehr Aufmerksamkeit und auch eine gewisse optische Über-zeugungskraft zu verleihen, wurde die derzeitige Lücke in der Dauerausstel-lung provisorisch geschlossen und ein extra hergestelltes Portrait-Bild Erich Zeigners präsentiert. Bei dieser „Guerilla-Aktion“ (BILD Leipzig) stell-te der Vorsitzende der Linksfraktion Sören Pellmann unmissverständlich klar: „Es ist keine polemische Über-treibung, wenn man feststellt, dass die Gemeindewahl von 1946, in deren Folge Zeigner zum Oberbürgermeister gewählt wurde, trotz Besatzungsrecht wesentlich demokratischer ablief als alle Wahlen in Leipzig vor 1918.“

Am Folgetag signalisierte Oberbürger-meister Jung gegenüber dem direkt gewählten Bundestagsabgeordne-ten der Linken informell seine Bereit-schaft, das Zeigner-Portrait aufzuhän-gen. Man darf gespannt sein, wann und auf welchem Wege diese Zusage umgesetzt wird. Zumindest beim Kul-turausschuss ist noch keine entspre-chende Information angekommen.

Die LINKEN-Stadräte Franziska Riekewald, Margitta Hollick, Sören Pell-mann und William Grosser bei der „Guerilla-Aktion“. Bild: Dieter Janke.

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Sachsens Linke! 03/2018 Seite 10

Im Jahr 2017 gingen wir erstmals das große Projekt „Bildungsreisen“ an, um nicht immer nur über dieses Europa zu reden, sondern eben dieses auch zu bereisen, politische Gruppen zu tref-fen, sich zu vernetzen. Nachdem es uns im Frühjahr nach Griechenland und im Sommer nach Polen führte, stand im November der Trip gen Uk-raine an. So starteten 13 junge Men-schen von Dresden aus in Richtung Osten, um einige Stunden später, mit Zwischenstopp in Prag, letztlich in Ki-ew anzukommen. Dort hielt es uns ins-gesamt vier Tage – vier ziemlich voll-gepackte, demzufolge stressige aber vor allem extrem spannende Tage.

Eine Stadtführung mit Fokus auf die städtebauliche Entwicklung brach-te uns unter anderem die Erkenntnis, dass Wörter wie „Luxusbauten“ oder „Verdrängung“ in Kiew bei weitem kei-ne unbekannten sind. Mit dem The-ma Gentrifizierung ging es dann beim nächsten Termin auch weiter, als wir eine Gruppe junger Menschen trafen, die ein Fußballstadion in öffentlicher Hand behalten möchten, um über das Jahr hinweg verschiedene kulturelle Angebote zu schaffen. Zu den weite-ren Terminen gehörte ein Rundgang durch Babyn Jar, einer Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkrieges.

Nicht weniger spannend war der Aus-tausch in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Kiew mit ver-schiedenen linken Akteur_innen. So sprachen wir mit einer Parteigrün-dungsinitiative, einer studentischen Gewerkschaft sowie einer Antifa-Gruppe. Ich könnte an dieser Stel-le noch viele weitere Treffen in Kiew nennen, allerdings war dies nicht die letzte Station auf unserer Reise. Wei-ter ging es in Charkiw, weiter im Os-ten, wo wir zunächst ebenfalls eine stadtgeschichtliche Führung bekamen und uns eindrucksvolle Beispiele des

Zusammenspiels von stalinistischen, (post-)sozialistischen und gegenwär-tigen neoliberalen Bauten auf engs-tem Raum anschauen konnten. Weiter ging es mit einem Gespräch mit einer Feministin der Gruppe „Sphera“, wel-che uns über die Rechte von LGBTIQ*-Menschen im Land und die durchaus kritische Situation von Prides (also CSD’s) berichtete. Nach einem Be-such in einem kleinen Gender-Muse-

um ging es nach drei Tagen Charkiw in Richtung Ostukraine.

Der letzte Stopp führte uns nach Lys-sytschansk, eine Stadt, in der vor drei Jahren noch gekämpft wurde und die recht nahe an den nach wie vor um-kämpften Gebieten um Luhansk und Donesk liegt. Mit einem etwas mul-migen und bedrückenden Gefühl tra-fen wir uns mit Pavel und Vera, welche

die Lage vor Ort als Menschenrecht-ler_innen begleiten und uns über die aktuellen Entwicklungen, die Folgen des Krieges für die Wirtschaft und die Menschen vor Ort erzählten. Zudem berichteten sie über gemeinsame Pro-jekte in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dann ging es schließlich mit dem Nachtzug zurück nach Kiew und von dort mit einer Viel-zahl, teils sehr bewegender Eindrücke weiter in Richtung Deutschland.

Auch in diesem Jahr wird es in Koope-ration mit dem Ring politischer Jugend Sachsen e.V. Bildungsreisen geben. Die erste wird uns nach Spanien, die zweite nach Israel führen.

Jugend

Linksjugend goes UkraineAndy Sauer über die Bildungsreise nach Kiew, Charkiw und Lyssytschansk

Meinen die das ernst?Nr. 3: Kostenloser ÖPNV

Hier stellen wir euch jeden Monat eine Forderung aus dem Links- jugend-Wahlprogramm vor.

Die Forderung: Für einen fahrscheinfreien und so-mit kostenlosen Öffentlichen Perso-nennahverkehr für alle Menschen!

Die Begründung:Ohne Mobilität gibt es keine gesell-schaftliche Teilhabe. Insbesondere jene Menschen, die sich kein Au-to leisten können oder wollen, lei-den unter den extrem hohen und ständig steigenden Preisen für Bus und Bahn. Dabei ist es doch gera-de angesichts des ständig steigen-den CO2-Ausstoßes nötig, dass viel mehr Menschen vom individualisier-ten Kraftverkehr Abstand nehmen! Dafür benötigt es ein verbraucher_innenfreundliches System, das die Nutzung der öffentlichen Verkehrs-mittel ohne den Kauf von Fahrkarten ermöglicht, wie es in Städten wie Tallinn oder Melbourne bereits prak-tiziert wird. Denkbar wäre eine Fi-nanzierung über eine Pflichtabgabe für alle Bürger_innen und Tourist_innen, wie es sie ja auch in anderen Lebensbereichen gibt. Mehr Infos: gleft.de/26k.

Vom 20. bis zum 22. April findet im idyl-lischen Oberau unsere Herbstakademie im April statt. Geplant wird mit circa 30 Menschen, die über das Wochenende hinweg verschiedene inhaltliche aber auch praktische Workshops besuchen können. So wird es einen Layout-Work-shop geben, damit in jedem Kreis- oder Stadtverband auch mal schnell ein ei-genes Bild für Facebook oder ein ei-

gener Flyer gelayoutet werden kann. Dieser Workshop wird sich über das gesamte Wochenende ziehen. Außer-dem wird ein Part rund um das The-ma Website-Betreuung stattfinden. Es wird aber selbstverständlich auch In-halte geben, so beispielsweise einen Workshop zu diskriminierungsfreier Plenumskultur, bei dem wir uns auch gern einmal selbst reflektieren dürfen.

Wir arbeiten zurzeit noch an weite-ren Workshops – es lohnt sich also, ab und zu einen Blick auf unsere Website zu werfen. Dort wird auch die Anmel-dung zu finden sein. Da so viel Arbeit an einem Wochenende ja auch irgend-wann anstrengend wird, ist selbstver-ständlich an den Abenden genug Platz und Zeit für Bier, Sekt, Wein und das eine oder andere nette Gespräch.

Herbstakademie im April

Die soziale Gestaltung der Themen Nachhaltigkeit und ökologischer Wan-del sind ein fester Bestandteil linker Politik. Vom Bundesverband bis zur Linksjugend: Wir alle haben die Bedeu-tung von Umweltschutz für die gesam-te Gesellschaft begriffen und setzen uns ein – für die Energiewende, Klima-schutz, neue Wege in der Landwirt-schaft, und vieles mehr ...

Trotzdem scheinen Theorie und Praxis oft weit voneinander entfernt. Auch in den kleinen Dingen können wir etwas

tun, um unsere Forderungen wahr zu machen. Vom Wahlkampfmaterial, das nicht aus China kommen muss, über den Flyer, den man auch von nachhal-tigen Anbietern bestellen kann, bis hin zu veganem Essen bei Parteiveran-staltungen. Viele Politiker nutzen im-mer noch die zur Verfügung gestellten emissionsreichen Autos.

Auch im Privaten können wir es ein bisschen besser machen und Nach-haltigkeit leben. Die Nutzung erneu-erbarer Energien, weniger Fleisch-

konsum und Verzicht auf Produkte mit Palmöl und Plastikgeschirr tun niemandem weh, schonen sogar den Geldbeutel. Wir sollten versuchen, mehr einheimische und Fairtrade-Le-bensmittel zu kaufen, den ÖPNV statt des Autos zu nutzen.

Nachhaltigkeit zu fordern bedeutet auch, mit gutem Beispiel voranzuge-hen. Das sind wir als „linksgrünversiff-te Gutmenschen“ schließlich schon allein unserer Glaubwürdigkeit schul-dig.

Nachhaltigkeit muss praktisch werden!

Termine9. – 11. März: Landesjugendplenum der Linksjugend Sachsen. Peterstra-ße 15, Görlitz

14. März, 18 Uhr: Vortrag „Die Arbeit des Erich-Zeigner-Hauses“. Roßmarktsche Straße 1, Borna

17. März, 14 Uhr: Kreisjugend- plenum der Linksjugend Erzgebirge. Wettiner Straße 2, Aue

26. März, 18 Uhr: Vortrag von Christian Schaft: „Was ist los in Katalonien?“ Rosenhof 4, Chemnitz

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03/2018 Sachsens Linke! Seite 11

Mittlerweile bin ich seit acht Jahren Vize-Präsidentin der Irandelegation des Europäischen Parlaments. Ziel dieser Delegation ist es, die parlamen-tarischen und politischen Kontakte zwischen dem Europaparlament und dem Iran auszubauen. In diesem Zuge war ich 2013 zum ersten Mal im Land, damals bogen die Verhandlungen zum Atomabkommen allmählich auf die Zielgeraden ein.

In den vergangenen Jahren konnte ich deshalb zahlreiche (zivil-)gesell-schaftliche Kontakte zum und im Iran knüpfen – die Entwicklungen in der Gesellschaft sind unübersehbar. Als wir kürzlich erneut dort waren, er-lebte ich ein Land, das sich bis tief in die Gesellschaft hinein zu öffnen ver-sucht. Die Hoffnung, persönliche und zivile Freiheiten zu vergrößern, ist fast

überall zu hören. Das beginnt mit dem Wunsch danach, auf den Straßen (wie-der) musizieren dürfen; sich als Frau für oder eben auch gegen ein Kopf-tuch entscheiden zu dürfen – was mir natürlich auch nicht freistand; oder schlicht der basale Wunsch nach Si-cherheit für die zahlreichen Minder-heiten im Land.

US-Geschäftsinteressen

Von meiner jüngsten Reise kehrte ich Anfang Dezember zurück, diesmal und nach wie vor steht das Atomab-kommen aus Sicht Washingtons plötz-lich auf der Kippe. Kurz nach unserer Rückkehr nach Europa brachen im Iran die ersten Proteste aus und es war just der Mann aus dem Weißen Haus, der zu den allerersten Gratu-lanten, besser: Stimmungs-Anheizern gehörte.

Diese Proteste werden von Donald Trump dazu missbraucht, seine von Geschäften geleitete Interessens-politik in der Region weiter voranzu-treiben. In erster Linie bedeutet das für ihn und seine Geschäftspartner, Saudi-Arabien – Irans regionalem Wi-dersacher – den Rücken freizuhalten. Aufrichtige demokratische Proteste für die eigene Machtpolitik zu miss-

brauchen, ist nicht nur unredlich, son-dern auch brandgefährlich. Sollte ein kriegerischer Konflikt in der Region ausbrechen, würde er sich rasant zu einem Flächenbrand entwickeln, den niemand mehr zu kontrollieren ver-mag, das wäre katastrophal! Die ei-gentlichen Hardliner sind die Ajatol-lahs und der schiitische Klerus, die dem Saudi-Clan beziehungsweise ih-rem missionarischen Wahhabismus in nichts nachstehen – mit seinem Ge-polter und abstrusen Bewertungen hetzt Donald Trump eben jenen in die Hände.

Es geht um Reformen, nicht um die Revolution

Im iranischen Parlament, dem Mad-schles, traf ich in schwarze Gewän-der gehüllte Frauen, ausgerüstet mit

Mikrofon, scharfen Fragen und guten Argumenten. Ich hatte keinen Zwei-fel, dass sie journalistischen Ansprü-chen des „Westens“ gerecht würden. Sie waren Vertreterinnen einer brei-ten Schicht hoch qualifizierter Frauen im Iran.

Es gibt eine urbane Mittelschicht, die sich Reformen im Geiste von Präsi-dent Hassan Rohani wünschen. Ih-nen geht es um Reformen, nicht um Revolution. Natürlich ist die Situation fern der Städte eine andere, doch die Probleme der Städte, wie die große Umweltverschmutzung, Energie-Eng-pässe und die grassierende Drogen-sucht müssen dringend angegangen werden.

Als ich in Teheran war, war die Luft so schlecht, dass ich kaum atmen konn-te. Momentan braucht der Iran für seine Energieversorgung die Atom-energie, wer jedoch will, dass sich das Land von der Atomenergie löst, muss mit dafür sorgen, dass modernste Technologien für erneuerbare Energi-en eingesetzt werden.

Der Iran hat ein Drogenproblem

Offiziell gibt es über drei Millionen Drogenabhängige im Land. Auch wenn

die Todesstrafe weniger häufig ver-hängt wird, so wird das Problem auf diese Weise nicht gelöst. Die Sucht-prävention muss eine zentrale Rolle einnehmen. Wir dürfen bei unseren Bewertungen aus der Ferne nicht ver-gessen, dass der Iran in den letzten Jahren über drei Millionen Flüchtlinge, vor allem aus Afghanistan aufgenom-men hat – nicht zuletzt sie brauchen eine Perspektive in der Gesellschaft.Immer wenn wir diese Probleme an-sprachen, spürte ich eine große Hoff-nung, die in uns Europäer und Euro-päerinnen gesetzt wird. Sie erhoffen sich Unterstützung bei der Lösung ihrer Probleme. Egal mit wem wir re-deten, immer erwarteten die Men-schen, dass die Einhaltung des Anti-Atom-Deals durch den Iran von den Vertragspartnern respektiert und Sanktionen dementsprechend weiter

abgebaut werden. Selbst Außenminis-ter Mohammed Dschawad Zarif bestä-tigte das uns gegenüber in einem Ge-spräch. Nur so könne man ein Fenster für soziale und demokratische Refor-men offenhalten. Dies sei der einzige Weg, um das Leben im Iran verbes-sern zu können.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten müs-sen nun alles daransetzen, das tes-tosterongesteuerte Säbelrasseln am Golf einzudämmen und keinen Raum mehr für militärische Provokationen zu lassen. Um die Lage in der Regi-on zu entspannen, muss auch Sau-di-Arabien endlich am Schlafittchen gepackt werden, diplomatische oder wirtschaftliche Konsequenzen zu spü-ren bekommen und der schreckli-che Stellvertreterkrieg im Jemen eine übergeordnete Rolle für die Politik der EU einnehmen. Das Atomabkommen muss unbedingt erhalten bleiben.

Eine neue Grüne Revolution?

Das Ziel, ihr persönliches Leben zu verbessern, war der Grund, weshalb zum Jahresende 2017 viele Menschen auf die Straße gingen: Weil sie arbeits-los sind; weil sie die Preissteigerun-gen nicht ertragen; weil viele der Dro-gen nicht Herr werden können; weil

sie die Umweltsünden leid sind oder weil sie als Minderheit, wie beispiels-weise die Bahai, nicht studieren dür-fen. Sie wollen nicht, dass noch mehr Geld in Kriegen wie im Jemen und Sy-rien mörderisch und sinnlos verbrannt wird. Viele dieser Probleme sind haus-gemacht, aber zahlreiche sind auch die Folge von Sanktionen.

Die Demonstrationen sind ein Ruf nach Reformen, nicht nach einer Re-volution, die nur Chaos bringen wür-de. Sie sind die Forderung nach Ver-änderungen, nicht nach Umstürzen. Bis jetzt gibt es keinen Plan B, es gibt keine Parteien oder festgefügten Be-wegungen außerhalb des Regierungs-lagers.

Vor unseren Augen spielt sich ein Machtkampf zwischen dem Klerus

und den Reformern ab. Das zeigt sich an den unterschiedlichen Interpreta-tionen der Demonstrationen durch Irans Präsidenten Hassan Rohani und dem Obersten Religionsführer Ali Kha-menei. Neue Sanktionen stärken nur die erzkonservativen Kleriker. Hilfrei-cher wäre es, massiv die Freilassung aller Demonstranten und Demonst-rantinnen einzufordern. Damit würden wir das Zeichen setzen, dass wir als EU das Recht auf freie Meinungsäuße-rung klar unterstützen. Dies wäre ein erster wichtiger Schritt hin zu einem offeneren Klima.

Der Iran ist voller Widersprüche. Es brodelt unter der Oberfläche und die iranische Führung steht unter massi-vem Druck. Die große Frage ist, wel-che Kräfte sich durchsetzen werden. Wie reformfähig das Land gegenwär-tig ist, vermögen nur die Iraner und Iranerinnen selbst herauszufinden. Sie können das, weil es eine breite Schicht hoch gebildeter Leute gibt. Wenn sich dieses geistige Kapital mit den sozialen Forderungen der ärme-ren und ärmsten Schichten der Be-völkerung verbindet, ist vieles mög-lich. Das könnte die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft des Landes und da-mit der gesamten Region Wirklichkeit werden lassen.

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Warum neue Sanktionen keinen Sinn habenDr. Cornelia Ernst war erneut im Iran und analysiert die Protestbewegung

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Sachsens Linke! 03/2018 Seite 12

„Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören.“ Über solche Sätze jubelte das Publi-kum, als am 27. Mai 1913 Rosa Luxem-burg im Leipziger Felsenkeller ihre be-rühmte Rede „Die weltpolitische Lage“ hielt. Der Saal war damals rappelvoll und der Text ihrer Rede wurde zwei Ta-ge später in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vollständig abgedruckt. Manches war am 22. Februar 2018 beim Auftritt von Sahra Wagenknecht im Felsenkel-ler überraschend ähnlich, auch wenn statt der Rede in der LVZ ein längeres Interview mit ihr erscheint. Zumindest die Anziehungskraft der Vorsitzenden der linken Bundestagsfraktion ist kaum geringer als die der späteren Mitbe-gründerin der KPD 105 Jahre zuvor.

Mehr als 1.200 Gäste – darunter auffäl-lig viele junge Menschen – verfolgen im vollbesetzten Traditionslokal die Veran-staltung der Bundestagsfraktion. Sahra Wagenknecht war nach Leipzig gekom-men, weil der im Wahlkampf verabrede-te Auftritt seinerzeit krankheitsbedingt ausgefallen war. Nun kommt sie in die Messestadt, um vor allem für eine „so-ziale Offensive“ sowie ihre Idee von ei-ner „linken Volksbewegung“ zu werben. „Eine soziale Wende und ein Aufbruch von links werden immer dringender“, lautet ihr beklatschter Eingangssatz. Dann kritisiert die bekannteste Politi-kerin der LINKEN das „neoliberale Sys-tem“, dessen Fortsetzung mit der Gro-ßen Koalition droht und das aus ihrer Sicht für das Erstarken der AfD maß-

geblich verantwortlich ist. Auch die Sozialdemokratie wird von der Redne-rin nicht geschont. Logisch, dass sie die SPD-Mitglieder zum Nein bei der GroKo-Abstimmung aufruft. Und es fällt der Vorwurf, welchen sich die SPD seit der Agenda 2010 gefallen lassen muss: neoliberale Politik zu betreiben, auf Kosten all derer, die sich an den Ta-feln des Landes drängeln, die mit Klein-

strenten ins Alter gehen und wegen ihrer befristeten Anstellungen kaum gewerkschaftlich organisieren werden können. „Warum wird eine Politik ge-macht, die ganz klar nicht im Interes-se der Mehrheit ist?“ Das ist die Frage, die Sahra Wagenknecht umtreibt. Boo-mende Leiharbeit, Kettenbefristungen, Lohngefälle und rund neun Millionen Menschen unter 10 Euro Stundenlohn

bis hin zum drängenden Problem, war-um eigentlich nichts gegen Ghettos mit vererbter Armut getan wird.

In ihrer 60minütigen Rede zeichnet sie anhand erschreckender Fakten ein düsteres Bild der sozialen Situation großer Teile der Bevölkerung. Als einen möglichen Ausweg skizziert Sahra Wa-genknecht die „Sammlung auf der lin-ken Seite“, als deren Kern sie die Partei DIE LINKE sieht. Sie versteht das Kon-strukt vornehmlich als ein konsens-fähiges Angebot an diejenigen linken Sozialdemokraten, die sich der verhee-renden Agenda-Politik entgegenset-zen wollen. Leider schaut nicht nur die Führungsspitze der SPD derzeit noch immer nicht nach links, sondern starrt mittlerweile lieber auf runde 17 Pro-zent Zuspruch im Bund und auf die ver-meintlich einzige Machtoption für sich: ein weiteres Zusammengehen mit der CDU. Am Ende der Rede tosender Ap-plaus für Sahra Wagenknecht und an-schließend eine interessante Talkrunde mit Fragen aus dem Publikum, die der Autor dieser Zeilen moderieren darf. Das Publikum verlässt nach knapp zwei Stunden begeistert den Felsen-keller. Auch das mediale Echo des Abends ist mehr als beachtlich. Die Leipziger Internet Zeitung kommen-tiert den Wagenknecht-Auftritt: „Ein Heimspiel in Leipzig wie es wohl der-zeit keine der beiden Volksparteien in Besucherzahlen und Emotionen auf die Beine bekommt.“ Dem ist nichts hinzu-zufügen.

Trotz der bislang längsten Regierungs-findung in der Geschichte der Bundes-republik muss das politische Geschäft weiter laufen. Das ist unsere Verant-wortung gegenüber den Wählerinnen und Wählern – nicht nur, aber gerade auch in meinem Fachbereich. Am 31. Januar 2018 hat sich nun endlich der Haushaltsausschuss konstituiert. Ihm gehören für die Fraktion DIE LINKE neben mir Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm und Victor Perli an. Die Konsti-tuierung fand in dieser Legislatur weit mehr Beachtung als in den bisherigen, denn: Der Vorsitz geht traditionell an die stärkste Oppositionsfraktion. Im aktuellen Bundestag ist das die AfD.

Gemeinhin ist die Besetzung des Vorsitzes Formsache; der oder die Kandidat*in wird im Einvernehmen der Ausschussmitglieder durch den Bun-destagspräsidenten eingesetzt. Nicht so in diesem Fall. Wir als LINKE haben dem Einvernehmen widersprochen und eine geheime Abstimmung ver-langt. Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Trotzdem musste aufgrund unseres Widerspruchs in offener Ab-stimmung gewählt werden. Für den

Kandidaten der AfD, Peter Boehringer, stimmte neben seiner eigenen Frakti-on auch die FDP. Union, SPD und Grü-ne enthielten sich, allein wir LINKEN stimmten gegen ihn. Für uns ist ein Kandidat nicht tragbar, dessen Hang zu kruden Verschwörungstheorien of-fenkundig ist und der wiederholt mit zutiefst beleidigenden, infamen und rassistischen Äußerungen von sich re-den macht. Nun ist er allerdings ge-wählt und diese Wahl müssen wir ak-zeptieren. Im Gegensatz zur AfD sind für uns die Gepflogenheiten des Par-laments und des demokratischen Streits mehr als Feigenblätter. Aber der Vorsitzende Boehringer wird sich sehr genau an seinen Taten und Aus-sagen messen lassen müssen.

Es gibt bereits einen Punkt, an dem es interessant werden dürfte, und das ist der Bereich der politischen Stiftungen. Boehringer gehört dem Vorstand der Desiderius-Erasmus-Stiftung an, die sich anschickt, als parteinahe Stiftung der AfD anerkannt zu werden. Als sol-che hätte sie Anspruch auf Förderung aus Steuermitteln, über die unter an-derem der Haushaltsausschuss zu ent-

scheiden hat. In der Vergangenheit gab es die ungeschriebene Regel zwischen den parteinahen Stiftungen, keine akti-ven Politikerinnen und Politiker in ihren entscheidenden Gremien zu haben. Im Fall Boehringer würde das bedeu-ten, dass er seinen Vorstandsposten aufgeben müsste. Dennoch: Ich werde nicht meine Energie und Kraft darauf verwenden, mich am AfD-Vorsitzenden abzuarbeiten und alles zu kommentie-ren, was er tut. Dazu sind meine Aufga-benbereiche zu vielfältig.

Ich werde weiterhin die Funktion des Berichterstatters für die Einzelplä-ne des Auswärtigen Amtes, Verteidi-gung sowie Familie, Senioren, Frau-en und Jugend übernehmen. Ebenso bin ich auch künftig Obmann des Rechnungsprüfungsausschusses. In diesem steht bereits ein straffes Ar-beitsprogramm bis Juni fest. An neu-en Aufgaben kommt die Position des Hauptberichterstatters für den Einzel-plan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hinzu. Außerdem bin ich Mitglied des Finanzausschusses. Damit liegen auch in dieser Legisla-turperiode die Schwerpunkte meiner

politischen Arbeit im Bereich der In-ternationalen Politik und der Umver-teilung von oben nach unten. Gleich zu Beginn werde ich mich auf die offe-nen sogenannten 25-Millionen-Vorla-gen aus dem Einzelplan Verteidigung konzentrieren. 25-Millionen-Vorlage bedeutet, dass ein Rüstungsvorha-ben der Regierung, das teurer als 25 Millionen Euro ist, dem Haushaltsaus-schuss zwingend zur Beratung vor-gelegt werden muss. Der Ausschuss muss die Vorlagen dann bestätigen oder er kann sein Veto einlegen.

Wenn wir als LINKE politische Deu-tungshoheit erlangen wollen, müssen wir positive Vorschläge für die Gestal-tung unserer Gesellschaft einbringen. Wenn wir z. B. fordern „Fluchtursa-chen bekämpfen“, müssen wir insbe-sondere Kindern in ihren Ländern eine Perspektive geben. Ein Baustein dabei wäre es, nicht nur die dortigen SOS-Kinderdörfer besser zu unterstützen, sondern an diese auch eine Berufs-ausbildung anzugliedern. Auf solche Vorhaben will ich mich konzentrieren.

• Michael Leutert

DIE LINKE im Bundestag

Neues aus dem Haushaltsausschuss

Aufbruch von linksSören Pellmann über einen beeindruckenden Abend mit Sahra Wagenknecht im Leipziger Felsenkeller

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Kommunal-Info 2-2018

MigrantInnenMöglichkeiten politischer Teihabe für MigrantInnen - Die Sächsische Gemeindeordnung

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Ländlicher RaumDIW-Studie zum ländlichen Raum und dem Einfluss der AfD

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Veranstaltungen � Verdrängung der Armut aus dem öffentlichen Raum

� Lust auf Stadtrat � (Bürger)beteiligung in der Kommune

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K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

6. März 2018

Fortentwicklung des KommunalrechtsAm 13. Dezember 2017 verab-

schiedete der Sächsische Landtag das „Zweite Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts“ in Sachsen, das am 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist. Dieses „zweite“ Gesetz folgte der „er-sten“ Gesetzesnovelle zum Kommu-nalrecht, die der Landtag am 28. No-vember 2013 beschlossen hatte.

Nach den Worten des neuen säch-sischen Innenministers Roland Wöl-ler, der nunmehr den Platz von Markus Ulbig am Kabinettstisch eingenommen hat, sei das „zweite“ Gesetz „eine Ant-wort auf die gesammelten Erfahrungen der kommunalen Praxis, die Auswer-tung der letzten Kommunal-, Bürger-meister- und Landratswahlen sowie auf den Wunsch nach einer weiteren Vereinfachung des Kommunalrechts.“ Darüber hinaus sollten mit dem „zwei-ten“ Gesetz „die Umsetzung der das Kommunalrecht betreffenden Verein-barungen des Koalitionsvertrags zwi-schen CDU und SPD“ realisiert wer-den.1

Doch waren Kritiker schon nach der ersten Gesetzesnovelle vom November 2013 der Meinung, dass selbige mit hei-ßer Nadel gestrickt wurde und etliche Webfehler enthielte und daher alsbald Nachbesserungen anstehen würden.

Wie bei der ersten Gesetzesnovelle handelt es sich beim zweiten Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts um ein Artikelgesetz, das Änderungen in der Sächsischen Gemeindeordnung, der Sächsischen Landkreisordnung, dem Sächsischen Gesetz über kommu-nale Zusammenarbeit, dem Kommu-nalwahlgesetz, dem Gesetz über den Kommunalen Versorgungsverband Sachsen, dem Gesetz über die Errich-tung der Sächsischen Anstalt für kom-munale Datenverarbeitung und dem Sächsischen Kommunalabgabengesetz zusammenfasst.

Eine Vielzahl von Änderungen ist rein redaktioneller Natur. Nachfolgend sollen nur die wesentlichen inhalt-lichen Änderungen der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) bzw. der adäquaten Bestimmungen in der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO) kurz besprochen wer-den.

Hinderungsgründe für Mandatsannahme

Für Mitarbeiter der Rechtsaufsichts-behörden und Rechnungsprüfungs-ämter wurden in § 32 Abs. 5 SächsGe-mO (bzw. § 28 Abs. 3 SächsLKrO) die Hinderungsgründe gelockert, um Ge-meinderat bzw. Kreisrat zu sein. Künf-tig sind nur noch jene Bediensteten dieser Behörden daran gehindert, in ein kommunales Mandat einzutreten, wenn sie mit der Rechtsaufsicht oder der Rechnungsprüfung ihrer Wohn-sitzgemeinde bzw. ihres Landkreises befasst sind. Üben diese Bediensteten ihre amtliche Tätigkeit hingegen nur in anderen Gemeinden bzw. Landkrei-sen aus, können sie in ihrer Gemeinde (ihrem Landkreis) nicht nur das ihnen verfassungsrechtlich zustehende pas-sive Wahlrecht wahrnehmen, sondern nach erfolgter Wahl auch das Mandat antreten, ohne in Konflikt mit ihrer amtlichen Tätigkeit zu geraten.

Unverzügliche Einberufung der Sitzung

Als Minderheitenrecht galt bisher nach § 36 Abs. 3 SächsGemO (bzw. § 32 Abs. 3 SächsLKrO), dass eine Sit-zung des Gemeinderats/Kreistags un-verzüglich einzuberufen ist, wenn dies von einem Fünftel der Gemeinderäte/Kreisräte unter Angabe des Verhand-lungsgegenstandes beantragt wird. Nunmehr gilt das mit der einschrän-kenden Bestimmung, dass der Gemein-

derat/Kreistag den gleichen Verhand-lungsgegenstand nicht innerhalb der letzten sechs Monate bereits behandelt hat oder wenn sich seit der Behandlung die Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat. Außerdem wurde explizit klarstellend hinzugefügt, dass der Ver-handlungsgegenstand in die Zuständig-keit des Gemeinderates bzw. des Kreis-tags fallen muss.

Elektronische EinsichtnahmeSchon bisher war es den Einwohnern

nach § 40 Abs. 2 SächsGemO (bzw. § 36 Abs. 2 SächsLKrO) möglich, in die Niederschriften öffentlicher Sitzungen Einsicht zu nehmen. Nunmehr können Gemeinden und Landkreise darüber hinaus auch die allgemeine Einsicht-nahme in elektronischer Form ermög-lichen. Näheres ist in der jeweiligen Geschäftsordnung zu regeln.

Außerdem kann die Kommune ihren Haushaltsplan, der im Entwurf nach § 76 Abs. 1 SächsGemO an sieben Ar-beitstagen öffentlich auszulegen ist, dies nunmehr auch in elektronischer Form (Internet) der Öffentlichkeit zu-gänglich machen.

Stellvertretung in AusschüssenNach § 42 Abs. 1 SächsGemO (bzw.

§ 38 Abs. 1 SächsLKrO) gilt wie bis-her, dass der Gemeinderat/Kreistag die Mitglieder in Ausschüssen und deren Stellvertreter in gleicher Zahl wider-ruflich aus seiner Mitte bestellt. Neu ist nun jedoch die Regelung, dass ab-weichend davon der Gemeinderat/Kreistag festlegen kann, dass je Aus-schussmitglied bis zu drei Stellvertre-ter bestellt werden können; diese sind keinem Ausschussmitglied persön-lich zugeordnet. Dafür wurde die bis-her geltende Regelung gestrichen, dass sich die Mitglieder der Ausschüsse im Einzelfall durch andere Gemeinderäte/

Kreisräte vertreten lassen können.Auf den ersten Blick scheint die Neu-

regelung mit den „bis zu drei Stellver-tretern“ durchaus realitätsbezogen und vernünftig, ist es doch in der heutigen Arbeitsgesellschaft nicht immer ein-fach, ein ehrenamtliches Mandat wahr-zunehmen oder auch die Stellvertre-tung abzusichern.

Jedoch ist die neue Bestimmung, dass die Stellvertreter „keinem Aus-schussmitglied persönlich zugeordnet“ werden, nicht eindeutig genug und lässt unterschiedliche Auslegungsmöglich-keiten offen. So wäre es etwa denkbar, dass „ein zufällig anwesender Stellver-treter der Fraktion A das verhinderte Ausschussmitglied der Fraktion B ver-treten kann.“2

Wäre dem tatsächlich so, würde das gegen das Prinzip der demokratischen Repräsentation verstoßen, wonach die Zusammensetzung der Ausschüsse der Mandatsverteilung im Gemeinderat/Kreistag entsprechen soll.

Kommunale BeiräteBisher lautete § 47 SächsGemO (bzw.

§ 43 SächsLKrO) ganz allgemein: Durch die Hauptsatzung können son-stige Beiräte gebildet werden, denen Mitglieder des Gemeinderats/Kreis-tages und sachkundige Einwohner angehören. Sie unterstützen den Ge-meinderat/Kreistag und die Kreisver-waltung bei der Erfüllung ihrer Auf-gaben.

Nunmehr wurde dieser Paragraph mit dem Zusatz konkretisiert: „Son-stige Beiräte im Sinne dieser Vorschrift können insbesondere Seniorenbeiräte und Naturschutzbeiräte sein.“ Dieser Zusatz ändert nicht wirklich etwas an der Substanz des Kommunalrechts, konnten doch schon bisher Senioren-

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Seite 2Kommunal-Info 2/2018

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.deRed., Satz und Layout: A. Grunke

V.i.S.d.P.: P. Pritscha

Die Kommunal-Info dient der kommu-

nalpolitischen Bildung und Informati-

on und wird durch Steuermittel auf der

Grundlage des von den Abgeordneten

des Sächsischen Landtags

beschlossenen Haushalts finanziert.

beiräte und Naturschutzbeiräte sowie andere Beiräte unter der allgemeinen Bestimmung „Sonstige Beiräte“ gebil-det werden.

Kinder- und JugendbeteiligungNeu hinzugekommen ist hingegen

der § 47a SächsGemO (bzw. § 43a SächsLKrO), der jetzt speziell die Be-teiligung von Kindern und Jugend-lichen bei kommunalen Planungen regelt. Unterschiedliche Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung konn-ten in sächsischen Kommunen bisher schon praktiziert werden, wie das z.B. in Leipzig, Borna, Freiberg, Oschatz und Meißen geschehen ist, ohne dass hierfür eine spezielle gesetzliche Rege-lung erforderlich war.

Das kommunalrechtlich Neue der jetzigen Regelung in § 47a bzw. § 43a ist allerdings, dass Gemeinden und Landkreise nun bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kin-dern und Jugendlichen berühren, die-se in angemessener Weise beteiligen sollen, dazu geeignete Verfahren ent-wickeln und durchführen sollen. Die-se nunmehr geltende gesetzliche Soll-Vorschrift macht es für jede Stadt oder Gemeinde sowie für jeden Land-kreis zur Pflicht, Verfahren zur Kin-der- und Jugendbeteiligung zu entwi-ckeln und durchzuführen, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden kann. Mit dieser Neuregelung wurde eine Vorgabe des sächsischen Koaliti-onsvertrags zwischen CDU und SPD umgesetzt. Außerdem ist Sachsen dem Beispiel anderer Bundesländer gefolgt, wo schon seit längerem solche Bestim-mungen zur Kinder- und Jugendbeteili-gung bestehen.

Der Sächsische Städte- und Gemein-detag (SSG) sieht diese Neuregelung kritisch und als ein Beispiel von Über-regulierung. Der § 47a wirke „wie ei-ne Ventilvorschrift, die das trüge-rische Gefühl vermittelt, etwas Gutes für Kinder- und Jugendbeteiligung ge-tan zu haben. Was die Vorschrift in der Praxis indessen bewirken wird, was Aufsichtsbehörden und Verwaltungs-gerichte daraus noch machen werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.“3

Fachbediensteter für FinanzwesenNach § 62 Abs. 2 SächsGemO (bzw.

§ 58 Abs. 2 LKrO) darf zum Fachbe-diensteten für das Finanzwesen nur be-stellt werden, wer über

1. eine abgeschlossene wirtschafts- oder finanzwissenschaftliche Ausbil-dung oder die Laufbahnbefähigung für die Laufbahngruppe 2 der Fachrich-tung Allgemeine Verwaltung mit dem fachlichen Schwerpunkt allgemeiner Verwaltungsdienst und

2. eine mindestens einjährige Be-rufserfahrung im öffentlichen Rech-nungs- und Haushaltswesen oder in entsprechenden Funktionen eines Un-ternehmens in einer Rechtsform des privaten Rechts verfügt.

Im neuen Gesetz wurde die bisherige Mindestberufserfahrung von 3 Jahren auf jetzt 1 Jahr herabgesetzt.

Während für Landkreise, Kreisfreie Städte und größere Kreisstädte die Ge-samtanforderungen an einen Fachbe-diensteten angemessen sein mögen, scheinen diese Anforderungen pau-schal für alle Gemeinden offenkundig als zu hoch angesetzt. Deshalb auch der kritische Einwand des SSG:

„Vielen Kommunen insbesondere im ländlichen Raum fällt es schon heute schwer, ausreichend Nachwuchskräfte zu gewinnen. Dabei ist eine Vorschrift wie der bundesweit einzigartige § 62 Abs. 2 Nr. 1 SächsGemO eine zusätz-liche Hürde. Wir stellen in Frage, ob es in jeder noch so kleinen Gemeinde mit eigener Gemeindeverwaltung wirklich notwendig ist, einen Wirtschafts- oder Finanzwissenschaftler, Juristen oder Diplom-Verwaltungswirt als Käm-merer zu haben. Zumal die derzeitige – von den Rechtsaufsichtsbehörden ge-duldete – Praxis beweist, dass Fachbe-dienstete für das Finanzwesen auch mit Fortbildung, Praxisbezug und kommu-nalpolitischem Gespür sehr gute Arbeit leisten können. Leider belässt es das Gesetz bei einer kleinen Lösung, wo-nach nur die Erfahrungszeit nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 SächsGemO von drei Jah-ren auf ein Jahr abgesenkt wird. Dies wird einzelnen Kommunen die Stellen-nachbesetzung erleichtern, das grund-legende demografische und personal-wirtschaftliche Problem wird dadurch keineswegs gelöst.“4

OrtschaftsverfassungWährend bisher nach § 65 Abs. 1

SächsGemO für alle Ortsteile einer Gemeinde durch die Hauptsatzung die Ortschaftsverfassung eingeführt wer-den konnte, kann das nach der neuen Regelung nur noch für die nach dem

1. Mai 1993 im Rahmen von Gebiet-sänderungen (Eingemeindungen) ent-standenen erfolgen. Dabei erhalten die kreisangehörigen Städte und Gemein-den eine Übergangsfrist bis längstens Ende 2024. Dort kann weiterhin die Ortschaftsverfassung auch für Ortstei-le ohne Eingemeindungshintergrund eingeführt werden, wenn die erstma-lige Wahl des Ortschaftsrates vor dem 31. Dezember 2024 stattfindet.

In den Ortschaften können örtliche Verwaltungsstellen eingerichtet wer-den. Die Bestellung des Leiters der ört-lichen Verwaltung erfolgt nach § 65 Abs. 4 durch den Gemeinderat. Jedoch hat die Ernennung, Einstellung und Entlassung des Leiters der örtlichen Verwaltungsstelle nach § 67 Abs. 2 im Benehmen mit dem Ortschaftsrat zu erfolgen.

In § 67 Abs. 6 wurden die Anhö-rungsrechte des Ortschaftsrats zu wichtigen Angelegenheiten der Ge-meinde erweitert, die die Ortschaft be-treffen oder von unmittelbarer Bedeu-tung für die Ortschaft sind. Bisher galt das nur hinsichtlich der Aufstellung

der ortschaftsbezogenen Haushaltsan-sätze, nunmehr aber auch bezüglich der Wahrnehmung der gemeindlichen Planungshoheit und der Vermietung, Verpachtung oder Veräußerung der in der Ortschaft gelegenen öffentlichen Grundstücke. Weiterhin hat der Ort-schaftsrat ein Vorschlagsrecht zu allen Angelegenheiten, die die Ortschaft be-treffen.

Der SSG sieht einen inneren Wider-spruch in den Neuregelungen zur Ort-schaftsverfassung:

„Wenn das vorliegende Gesetz nun einerseits die Einführung der Ort-schaftsverfassung für bestimmte Stadt- oder Gemeindeteile sofort bzw. mittel-fristig ausschließt, und andererseits die Position der Ortschaftsräte und Orts-vorsteher der bestehenden Ortschaften ausbaut, wird das Gesetz mancherorts Öl ins Feuer gießen, anstatt zur Befrie-dung beizutragen.“5

StadtbezirksverfassungWie bisher können nach § 70

SächsGemO die Kreisfreien Städ-te durch Hauptsatzung die Stadtbe-zirksverfassung einführen. Nicht mehr hingegen besteht für Kreisfreie Städ-te die Möglichkeit, auf ihrem Gebiet die Ortschaftsverfassung nach § 65 ff SächsGemO einzuführen.

Mit der Einführung der Stadtbezirks-verfassung können in den Stadtbezir-ken örtliche Verwaltungsstellen ein-

gerichtet werden; die Bestellung des Leiters der örtlichen Verwaltungsstel-le hat durch den Stadtrat zu erfolgen. Wie bei Ortschaftsräten hat auch hier die Ernennung, Einstellung und Ent-lassung des Leiters der örtlichen Ver-waltungsstelle nach § 71 Abs. 8 im Be-nehmen mit dem Stadtbezirksbeirat zu erfolgen.

Mit der Einführung der Stadtbezirks-verfassung werden in den Stadtbezir-ken Stadtbezirksbeiräte gebildet, die nun nach zwei verschiedenen Verfah-ren möglich sind – einem gesetzgebe-rischen Unikat in Deutschland, wie Kritiker meinen.

Verfahren 1: Wie bislang können die Mitglieder des Stadtbezirksbei-rats vom Stadtrat aus dem Kreise der im Stadtbezirk wohnenden wählbaren Bürger nach jeder regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte bestellt werden.

Verfahren 2: Nunmehr kann aber auch durch die Hauptsatzung festge-legt werden, dass die Stadtbezirksbei-räte in den Stadtbezirken nach den für die Wahl des Ortschaftsrats geltenden Vorschriften gewählt werden können.

Wie bisher ist der Stadtbezirksbeirat zu wichtigen Angelegenheiten, die den Stadtbezirk betreffen, zu hören. Was neu ist, es können nach § 71 Abs. 2 jetzt durch die Hauptsatzung dem Stadtbe-zirksbeirat weitere Aufgaben übertra-gen werden, die bislang nur den Ort-schaftsräten vorbehalten waren, wie

� die Festlegung der Reihenfolge der Ar-beiten zum Um- und Ausbau sowie zur Unterhaltung und Instandsetzung von Straßen, Wegen und Plätzen, deren Be-deutung über die Ortschaft nicht hi-nausgeht, einschließlich der Beleuch-tungseinrichtungen;

� die Förderung und Durchführung von Veranstaltungen der Heimatpflege und des Brauchtums in der Ortschaft;

� die Pflege vorhandener Patenschaften und Partnerschaften;

� die Information, Dokumentation und Repräsentation in Ortschaftsangele-genheiten.

Der Stadtrat kann die Angelegenheiten im Einzelnen abgrenzen und allgemei-ne Richtlinien erlassen.

Außerdem hat der Stadtbezirksbeirat jetzt auch ein Vorschlagsrecht zu allen Angelegenheiten, die den Stadtbezirk betreffen. Neu ist ebenfalls nach § 71 Abs. 3, dass dem Stadtbezirksbeirat zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Auf-gaben nun angemessene Haushaltsmit-tel zur Verfügung gestellt werden.

Der SSG sieht die neuen Regelungen zur Stadtbezirksverfassung insgesamt kritisch:

„Mit diesen Änderungen wurde in-dessen auch eine systematische Un-ordnung angelegt. Entscheidet sich die Kreisfreie Stadt beispielsweise für die Direktwahl der Stadtbezirksbeiräte, ohne diesen weitere Aufgaben zu über-tragen, werden die direkt Gewählten auf einen Zuständigkeitskatalog tref-fen, der den Aufwand einer Direktwahl in Frage stellt. Werden die Mitglieder der Stadtbezirksbeiräte indessen weiter bestellt, diesen Gremien jedoch zusätz-liche Aufgabenbefugnisse übertragen, kann die zumindest für die kommunale Ebene fragliche Situation eintreten, dass öffentliche und haushaltswirk-same Entscheidungen durch ein Kolle-gialorgan getroffen werden, das nicht direkt demokratisch legitimiert ist.“6

HaushaltsrechtEine Reihe von Änderungen sind mit

dem „Zweiten Gesetz zur Fortentwick-lung des Kommunalrechts“ beim kom-munalen Haushaltsrecht eingetreten.

�So wurde die Regelung in § 73 Abs.

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Seite 3 Kommunal-Info 2/2018

5 SächsGemO über die Annahme oder Vermittlung von Spenden weiter ge-lockert. Für die Annahme oder Ver-mittlung von Spenden, Schenkungen und ähnlichen Zuwendungen zugun-sten von Museen, Bibliotheken und Ar-chiven, deren Träger die Gemeinde/Landkreis ist, sowie für die Annahme oder Vermittlung von Spenden, Schen-kungen und ähnlichen Zuwendungen bis zu einem Wert von im Einzelfall 50 Euro kann jetzt die Hauptsatzung abweichende Regelungen treffen, so-dass von einer Befassung im Gemein-derat/Kreistag oder beschließendem Ausschuss abgesehen werden kann. Außerdem können Spenden, Schen-kungen und ähnliche Zuwendungen bis zu einem Wert von im Einzelfall 1.000 Euro listenmäßig erfasst werden; der Gemeinderat/Kreistag oder ein be-schließender Ausschuss kann über de-ren Annahme oder Vermittlung in ei-ner gemeinsamen Beschlussvorlage entscheiden.

�Die Verpflichtung für den Er-lass eines Nachtragshaushalts be-steht nach § 77 Abs. 3 Nr.1a nicht bei Verwendung im Finanzhaushalt be-reits veranschlagter Auszahlungen für Investitionen oder Investitionsförde-rungsmaßnahmen für bisher nicht ver-

anschlagte Investitionen oder Investiti-onsförderungsmaßnahmen, sofern der Gemeinderat/Kreistag dieser Verwen-dung zustimmt. Damit sollen die Kom-munen mehr Flexibilität für künftige Investitionsmaßnahmen erhalten.

�Erleichtert wurden auch die Rah-menbedingungen für die weitere Um-setzung des doppischen Haushalts-rechts. So gelten nach § 79 Abs. 1 nicht veranschlagte oder zusätzliche Auf-wendungen, die erst bei der Aufstel-lung des Jahresabschlusses festgestellt werden können und nicht zu Auszah-lungen führen, nicht als überplanmä-ßige und außerplanmäßige Aufwen-dungen.

�Erleichterung wurde mit § 88 Abs. 5 geschaffen bei der Nachholung der Jahresabschlüsse, wodurch den Kom-munen der Abbau des vorhandenen Bearbeitungsstaus einfacher ermögli-cht und damit auch Spielraum für die Erstellung des Gesamtabschlusses ge-schaffen wird. Zudem wurden die Regelungen zum Gesamtabschluss präzisiert. Nach § 88b Abs. 2 ist die Gemeinde nun von der Verpflich-tung zur Aufstellung eines Gesamtab-schlusses befreit, wenn nicht mehr als zwei zu konsolidierende Aufgaben-träger (verselbstständigte Organisati-onseinheiten; privatrechtliche Unter-nehmen, an denen die Gemeinde eine Beteiligung hält; Zweckverbände und Verwaltungsverbände) vorhanden sind oder wenn die Gesamtheit der Aufga-

benträger von untergeordneter Bedeu-tung ist. Die Frist zur Aufstellung des Gesamtabschlusses wurde um weitere zwei Jahre bis zum Haushaltsjahr 2023 verlängert.

KommunalwirtschaftEbenso wurden einige Änderungen

im kommunalen Wirtschaftsrecht vor-genommen.

� In § 90 SächsGemO wurde, resultie-rend aus dem Koalitionsvertrag, eine kleine Barriere eingebaut, um zumin-dest die Veräußerung von kommu-nalem Vermögen zu verzögern. So wird nach einem Gemeinderats-/Kreistags-beschluss über die Veräußerung eines kommunalen Unternehmens eine War-tefrist von drei Monaten eingeführt, in der die Kommune den Beschluss nicht vollziehen darf.

�Als nichtwirtschaftliche Unterneh-men von Kommunen galten bisher nach § 94a Unternehmen, die Aufgaben wahrnehmen, zu denen die Gemein-de verpflichtet ist, sowie Hilfsbetriebe, die ausschließlich zur Deckung des Eigenbedarfs der Gemeinde dienen. Nunmehr wurden hier weiterhin aus-drücklich hinzugezählt Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bil-dungswesens, der Kunstpflege, der kör-perlichen Ertüchtigung, der Gesund-heits- und Wohlfahrtspflege.

� In § 98 Abs. 1 u. 2 wurde bisher schon bestimmt, dass kommunale Ver-treter in den Gremien von Unterneh-

men in Privatrechtsform (Gesellschaf-terversammlung, Aufsichtsrat), in denen die Kommune beteiligt oder Al-leingesellschafter ist, über die für die-se Aufgabe erforderliche betriebswirt-schaftliche Erfahrung und Sachkunde verfügen müssen. Jetzt wurde in § 98 Abs. 5 angefügt, dass die Kommune den von ihr in Organe eines Unterneh-mens entsandten Personen Gelegen-heit geben soll, regelmäßig an Fortbil-dungsveranstaltungen teilzunehmen, die der Wahrnehmung ihrer Aufgaben dienlich sind. Außerdem wird den ent-sandten Personen nunmehr ausdrück-lich die Pflicht auferlegt, sich regelmä-ßig zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben fortzubilden. Die anfallenden Kosten sind von den Unternehmen zu tragen.

AG—

1 Sachsenlandkurier. Organ des Säch-sischen Städte- und Gemeindetages, Nr. 1/2018, S. 4.2 André Schollbach, in: ebenda, S. 12. 3 Mischa Woitscheck, in: ebenda, S. 19.4 Ebenda. 5 Ebenda. 6 Ebenda, S. 19 f.

Fortsetzung von Seite 2

Fortentwicklung desKommunalrechts

Politische Teilhabe von MigrantInnen Teil I - Die Gemeindeordnung

Von KonrAd Heinze, CHemnitz

Integration als Querschnittsaufgabe berührt alle Bereiche der Gesellschaft. Das Recht auf Teilhabe, verstanden als gleichberechtigter Zugang zu den Insti-tutionen des sozialen Lebens für Alle, praktisch umzusetzen, gehört zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben in Stadt und Land.

Bedeutsam ist in diesem Zusammen-hang die Frage, in welchem Umfang po-litische Partizipation ermöglicht wird. Denn die Mitbestimmung über das un-mittelbare Lebensumfeld und das ei-gene Zuhause geht ausnahmslos Jede und Jeden an und darf nicht allein der Verwaltung und Fachleuten überlassen sein. So mehren sich die Hinweise, dass dort, wo den Gemeinden die Kompe-tenzen und Instrumente der Selbstver-waltung genommen sind, Parteien- und Politikverdrossenheit überhandneh-men. Wenn also die strukturellen Rah-

menbedingungen die Forderungen und Bedürfnisse der Menschen nach Teil-habe und Mitbestimmung nicht ausrei-chend erfüllen, stellen sich Gefühle der Benachteiligung und Resignation ein. Damit verliert sich auch das Empfin-den von Zugehörigkeit und Bedeutung des eigenen Handelns. Eben jene Men-schen sind schließlich seltener bereit, Verantwortung zu übernehmen: „Das geht mich doch alles nichts an.“ In einer solchen Stimmung finden nicht zuletzt populistische, vermeintlich „einfache“ Lösungen für komplexe Problemlagen, Zustimmung. Insgesamt muss das Bild und die Rolle der Kommune als „Schu-le der Demokratie“ und als Ort des In-teressenausgleichs ins Wanken gera-ten, wo politische Teilhabe versagt bleibt.

Was bedeutet dies im Zusammen-hang mit Migration und Integrati-on? Kurz und bündig, dass Menschen, die von Willensbildungs- und Ent-

scheidungsprozessen aufgrund einer nicht-deutschen Staatsbürgerschaft weitestgehend ausgeschlossen sind, den Begriff „Integration“ kaum auf sich beziehen können - gleichgültig, ob sie seit zwei oder 20 Jahren in Deutsch-land leben.

Im Zentrum der Debatte um poli-tische Teilhabe von MigrantInnen steht immer wieder das Wahlrecht. Auf der kommunalen Ebene in Sachsen ist die-ses laut § 15 der Sächsischen Gemein-deordnung ist dieses den BürgerInnen der Kommune vorbehalten. Zu diesen gehören alle Deutschen gemäß Art. 116 GG sowie sämtliche Staatsange-hörigen der Europäischen Union, die das 18. Lebensjahr vollendet und seit mindestens drei Monaten im Wahlge-biet den alleinigen oder Hauptwohnsitz haben. UnionsbürgerInnen haben dem-nach auf der kommunalen Ebene das aktive und passive Wahlrecht, letzte-res betreffend müssen sie an Eides Statt versichern, dass sie im jeweiligen Her-kunftsland die Wählbarkeit nicht ver-loren haben.

Neben dem „Bürger“ kennt die Ge-meindeordnung noch den „Einwoh-ner.“ Als solcher gilt nach § 10 Abs. 1 SächsGemO jede Person, die „in der Gemeinde wohnt“. Die GemO formu-liert den Begriff des „Wohnens“ nicht weiter aus, jedoch wird in Rechtsspre-chung und Kommentierung der weitge-fasste öffentlich-rechtliche Begriff des Wohnens zugrundegelegt. Demnach gelten auch alle Staatsangehörigen von außerhalb der Europäischen Uni-on, einschließlich Asylsuchender und anerkannter Geflüchteter, Staatenlose und sogar Menschen mit illegalisiertem Aufenthalt, als EinwohnerInnen. Somit

stehen ihnen die Beteiligungsrechte für EinwohnerInnen zu, wie sie in der Ge-meindeordnung vorgesehen sind. Zu den Instrumenten der formellen Be-teiligung zählen die „Nutzung der öf-fentlichen Einrichtungen“ (§ 10 Abs. 2 SächsGemO) und die „Hilfe in Verwal-tungsverfahren“ (§ 13 SächsGemO). Darüber hinaus noch jene Rechte, die bereits einen stärker politischen Cha-rakter haben: das „Petitionsrecht“ (§ 12 SächsGemO), das Recht auf „Ein-wohnerversammlung“ und „Einwohn-erantrag“ (§§ 22, 23 SächsGemO), die „Mitwirkung sachkundiger Einwohner als beratende Ausschussmitglieder“ und die „Mitwirkung im Rahmen ei-ner Fragestunde“ (§ 44 Abs. 2 und § 44 Abs. 3 SächsGemO) sowie die „Mit-wirkung in sonstigen Beiräten“ (§ 47 SächsGemO) und die „Einwendungen gegen die Haushaltssatzung“ (§ 76 SächsGemO).

Die Reichweite der Beteiligungs-rechte für EinwohnerInnen ist ohne Frage geringer als bei jenen, die den BürgerInnen zustehen. Das wird nicht nur im fehlenden Wahlrecht deutlich sichtbar, sondern auch dadurch, dass etwa die Rechtsfolgen eines Bürgerent-scheids gegenüber denen eines Einwoh-nerantrags ungleich verbindlicher aus-fallen. Gleichwohl gibt es diese Rechte, nur brauchen diese aber konkrete An-wenderInnen. So ist es auch Aufgabe linker Kommunalpolitik, diese Rechte zu vermitteln und den Anspruch zu ha-ben, fehlende Beteiligungsrechte mög-lichst weit zu kompensieren, ohne in den Irrtum zu verfallen, damit allein sei politisch gleichberechtigte Teilhabe zu bewerkstelligen. Den letztgenann-ten Punkt aufgreifend, wird sich der nächsten Beitrag näher mit dem Thema der Migrationsbeiräte befassen.

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Seite 4Kommunal-Info 2/2018

Veranstaltungen des KFS Podiumsdiskussion

Zur Verdrängung der Armut aus dem öffentlichen Raum in Leipzig

14. März 2018, 20 - 22 UhrGrassi-Museum

Johannisplatz 5-11 04103 Leipzig

ReferentInnen: � Heiko Rosenthal (Bürgermeister und Beigeordneter für Umwelt, Ordnung, Sport)

� Elke Bösing (Safe – Straßensozialarbeit für Erwachsene) � Britta Taddiken (Pfarrerin der Thomaskirche) � Dr. Peter Bescherer (Friedrich Schiller Universität Jena) � Gjulner Sejdi (Romano Sumnal e.V. – Teil der Bettellobby Dresden)

Moderation: Sarah Ulrich (freie Journalistin, Redakteurin des Magazins Kreuzer)

Info-Veranstaltung:

„Lust auf Stadtrat?“20. März 2018, 20 - 22 Uhr

Infolounge, Hospitalstraße 30 02826 Görlitz

Referent: Thorsten Ahrens (Stadtrat in Görlitz)

Info-Veranstaltung:

„Lust auf Stadtrat?“04. April 2018, 18 - 20 Uhr

Infoladen Zittau, Äußere Weberstraße 2 02763 Zittau

Referent: Jens Hentschel-Thöricht (Kreis- und Stadtrat)

Demokratie lebt von Mitwirkung und Verantwortungsüber nahme. Ob Parkbänke, Friedhofs -Gießkannen oder Bauleitplanungen, der Spielplatz, das Jugendhaus oder die Einwohner versammlung. Wir wollen möglichst viele Leute erreichen, die sich vorstellen können für kommunale Vertre-tungen zu kandi dieren oder die einfach mal wissen wollen, was in der Kommu nalpolitik gemacht wird. Vermittelt werden soll wie Ratsarbeit funktioniert, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen es gibt, welche Einflussmöglichkeiten und Gestaltungsspielräume der Rat hat und an-deres mehr.Es handelt sich um ein offenes Angebot, dass an keine Bedingungen, al-so Kandidaturen oder Parteizugehörigkeiten geknüpft ist. Vorausgesetzt wird, dass man Teil des demokratischen Spektrums ist und somit kein Vertreter der Ideologie der Ungleichwertigkeit. Ausschlaggebend für die Teilnahme ist nur der Wunsch, mitzugestalten.

INTENSIVSEMINAR

„(Bürger)beteiligung in der Kommune“20. April 2018 - 21. April 2018

Treibhaus e.V.Bahnhofstraße 56

04720 Döbeln

Immer wieder gibt es die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung in der Politik. Dieses Seminar soll kommunale Mandatsträgerinnen und Man-datsträger ermutigen, die Menschen ihrer Gemeinde mehr in die Prozesse der politischen Entscheidungsfindung einzubinden. Hierzu werden die Vorteile von Beteiligungsprozessen kurz dargelegt, sowie in einer schritt-weisen Anleitung die wichtigsten Etappen zum Start und zur Durchfüh-rung erläutert. Anhand von Fallbeispielen wird zudem ein analytischer Einblick in aktuelle Beispiele von Beteiligungspraxis in deutschen Kom-munen gewährt.Der TeilnehmerInnenbeitrag beträgt 20 Euro und beinhaltet: Übernach-tung, das Seminar selber mit allen Bildungspunkten und Tagungsge-tränke. Nicht finanzieren können wir weitere Verpflegung, Fahrtkosten und alkoholische Getränke.Referent: Frank Kutzner (Dipl.-Wirtsch.-Ing., Planer, Moderator, parla-mentarisch-wissenschaftlicher Berater)

Anmeldungen und Nachfragen unter:Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99

Tel.: 0351-4827944 oder 4827945; Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

DIW-Studie zum ländlichen RaumStudie fordert Stärkung der ländlichen Räume

Das Deutsche Institut für Wirt-schaftsforschung (DIW) schreibt der Politik ins Buch, mehr für die länd-lichen Räume in Deutschland zu tun. Eine Studie des DIW ergab, dass die AfD vor allem in Wahlkreisen mit Zu-kunftssorgen punktet. Das DIW hat sich anhand sämtlicher Wahlkreise in Deutschland ein Bild über die Situation der AfD gemacht. Das Ergebnis bringt einige spannende Punkte zum Vor-schein. Weniger ein Ost-West Gefälle sei zu erkennen, als vielmehr ein Ge-fälle zwischen Regionen mit Zukunfts-sorgen und solchen, die boomen.

Ländliche Räume und die AfDDIW-Präsident Prof. Dr. Marcel

Fratzscher zitierte am 21. Februar im Deutschlandfunk folgende Eckpunkte aus der Studie:

�Die AfD punktet in Wahlkreisen, in denen besonders viele Ältere Men-schen leben.

�Die AfD gewinnt in Regionen, in denen es wenig Industrie und wenige große Arbeitgeber gibt.

�Die AfD hat die besten Ergebnisse in den Wahlkreisen, in denen die wirt-schaftliche Unsicherheit besonders hoch ist.

�Die AfD gewinnt jedoch beiwei-tem nicht nur Arbeitslose, sondern vor allem Männer, die „Zukunftssorgen“ haben – etwa Angst um ihren Arbeits-platz oder ihre Rente.

Im Ergebnis fasst die Studie zusam-men, spielt der Ausländeranteil in einer Region keine Rolle für die Ergebnisse. Nahezu ausschließlich das Umfeld und die Zukunftsperspektiven einer Regi-on sind ausschlaggebend. „Die Frus-tration von Menschen ist der Grund. Als Sündenbock für die eigenen Äng-ste müssen dann Ausländer herhalten“, so Fratzscher.

DIW fordert Investitionsprogramm für ländliche Räume

Die Politik in Bund, Ländern und Kommunen sei gut beraten, die we-niger verdichteten Räume der Wahl-kreise in den Blick zu nehmen, heißt es in der Studie. Dabei komme es nicht nur auf einen Ost-West Vergleich an, es gebe auch immer stärker ein Nord-Süd Gefälle. Konkret schlagen die Forscher vor, in strukturschwachen Regionen

öffentliche Investitionen zur Absiche-rung der Grundversorgung zu stärken, also die Infrastruktur auszubauen.

Ländliche Räume bräuchten vor allem gute Schulen, damit junge Men-schen bleiben und nicht abwanderten. Aber auch die Situation von Kranken-häusern in ländlichen Regionen solle die Politik stärker in den Fokus neh-men. Vor allem sei es aber wichtig, ge-nau in diesen Regionen neue Unterneh-men anzusiedeln.

Kommunenvertreter fordern mehr Engagement für ländliche Räume

Auch beim Deutschen Städte- und Gemeindebund stößt die Studie des DIW auf offene Ohren. Ihr Hauptge-schäftsführer, Gerd Landsberg erklär-te dazu: In Deutschland haben wir eine zunehmende Spreizung zwischen rei-chen und armen Kommunen und Re-gionen. Diese Entwicklung steht vie-

lerorts in direkter Beziehung zu den Auswirkungen des demografischen Wandels. Wir entfernen uns zuneh-mend von dem Auftrag des Grund-gesetzes, der vorsieht, dass die Le-bensverhältnisse in ganz Deutschland gleichwertig sein sollen. Hier muss die Politik entschlossen gegensteuern, um dem Gefühl abgehängt zu sein entge-genzuwirken und Radikalisierungsten-denzen wirksam zu bekämpfen.

Dazu gehöre das Bekenntnis, die Daseinsvorsorge – von der ärztlichen Versorgung über eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur bis zu einem funktionsfähigen ÖPNV – flächende-ckend zu gewährleisten. Die neue Bun-desregierung muss ein Aktionspro-gramm zur Stärkung der ländlichen und abgehängten Regionen auflegen. Behörden, aber auch Wirtschaftsstruk-turen, müssen dort gestärkt werden.

Notwendig sind Hoffnungssignale für die Menschen vor Ort, die ih-nen vermitteln, dass sie nicht verges-sen sind und dass man sich auch in der „großen Politik“ um sie kümmert. Wichtig ist es, nicht allein Geld zu ver-teilen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, so dass die Stärken, die es in je-der Region gibt weiterentwickelt wer-den können. Die Kommunen stünden bereit, ein solches Programm mitzutra-gen und auszugestalten.

(Dt. Städte- und Gemeindebund, www.dstgb.de)

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Weiter Wirbel um den Diesel: Das Bun-desverwaltungsgericht hat Fahrverbote zugelassen. Nun könnten ältere Die-sel-Fahrzeuge aus Großstädten ausge-sperrt werden. Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart unternehmen Schritte in diese Richtung, die Bundesregierung arbeitet an einer Rechtsgrundlage. Währenddessen laufen die deutschen Autobauer Sturm: Sie fürchten Absatz-einbrüche, außerdem haben sie darauf spekuliert, mit der Dieseltechnologie den CO2-Ausstoß ihrer Flotten redu-zieren zu können. Denn Benzinmotoren stoßen größere Mengen dieses klima-schädlichen Gases aus, mit Dieselmoto-ren sind EU-Vorgaben leichter umsetz-bar. Nun machen Stickstoffemissionen, die bei Dieselmotoren wiederum höher sind als bei Benzinern, den Konzernen einen Strich durch die Rechnung.

Sachsens Umweltministerium behaup-tet, die Diskussion um Diesel-Fahrver-bote habe „keine Auswirkungen“ auf den Freistaat. Für den LINKEN-Ver-kehrspolitiker Marco Böhme ist das pure „Ignoranz der CDU-geführten Staatsregierung“ – vor allem gegen-über Menschen, die wegen der Stick-stoffemissionen unter Lungenkrank-heiten leiden, aber auch gegenüber der Verkehrswende – denn nur die kann Gesundheitsgefahren reduzieren. Es stimmt zwar, dass die Grenzwerte in Sachsens Großstädten seltener über-schritten werden als im Westen. Aller-dings sagt das Bundesumweltamt, dass selbst die bislang im Jahresmittel zuläs-sige Stickstoffdioxid-Konzentration von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Atem-luft die Gesundheit gefährdet. Der Wert müsse unter zehn Mikrogramm sinken.

Fahrverbote hält Böhme dennoch nicht für richtig. Denn sie bestrafen die Fal-schen dafür, dass CDU-geführte Regie-rungen jahrelang eine falsche Verkehrs-politik betrieben haben. Leiden würden vor allem die Dieselfahrerinnen und -fahrer, bei älteren Modellen eher Men-schen mit weniger Geld; zudem träfe es die meisten Handwerksbetriebe, dazu Logistikunternehmen, Feuerwehren, Rettungsdienste, die Stadtreinigung und weitere kommunale Unternehmen.

Viele Dieselfahrzeuge unterhalb der Abgasnorm Euro 6 könnten umgerüstet werden, um ihren Schadstoffausstoß zu senken. Böhme will, dass die Hersteller die Kosten tragen müssen, wobei vor allem Hardware-Umrüstungen notwen-dig sind. Die senken den Schadstoff-ausstoß stärker als Software-Updates. Allerdings ist sich der LINKE Verkehrs-politiker sicher: Die Diskussion um den Diesel ist nur ein Teilaspekt, eigentlich muss es um die Verkehrswende gehen. Auch die sächsische Landesregierung steht weiter in der Pflicht, endlich

etwas gegen den ausufernden motori-sierten Individualverkehr zu unterneh-men. „In keiner deutschen Großstadt wäre ein Fahrverbot für Dieselfahr-zeuge notwendig, wenn endlich in einen besseren ÖPNV, Rad- und Fußverkehrs-

anlagen investiert werden würde. Auch die Landesregierung versagt dabei, ein kostengünstiges und attraktives Ange-bot für die Nutzung umweltfreundli-cher Verkehrsmittel zu schaffen“, so Böhme. „Besser und sozial gerechter als neue Umweltzonen wäre ein mas-siver Ausbau des ÖPNV.“ Kurzfristig sollten die Fahrpreise für Bus und Bahn nicht mehr steigen dürfen, mittelfris-tig sogar sinken müssen. Nötig seien gute Park&Ride-Systeme, mehr Tempo-30-Zonen sowie Kaufanreize für Elektro- fahrzeuge, die den öffentlichen Ver-kehrsbetrieben, Car-Sharing-Anbietern, Taxiunternehmen, Handwerksbetrieben und Logistikunternehmen zufließen.

Langfristig solle das öffentliche Gut ÖPNV solidarisch von allen Einwoh-

nern einer Stadt finanziert werden, meint Böhme. Dazu will die Linksfrak-tion das Modell Semesterticket auf die gesamte Stadtbevölkerung ausweiten: Alle zahlen eine niedrige monatliche Abgabe, gestaffelt nach Einkommen, und haben dafür freie Fahrt. Die Kos-ten einer solchen Pauschale beziffert Böhme für Leipzig mit 20 Euro pro Monat; eine Monatskarte kostet heute schnell das Dreifache. „Alle profitie-ren, wenn möglichst viele Menschen den ÖPNV nutzen: weniger Lärm, weni-ger Abgase, weniger Platzverschwen-dung.“

Das ist noch Zukunftsmusik, denn dafür müssten die Beförderungskapa-zitäten ausgebaut werden. Aber Sach-sens Regierung solle sich diesem Ziel nähern, findet Böhme – und schlägt ein Studienmodell vor. Beispiels-weise könne zunächst eine Abgabe von fünf Euro im Monat erhoben wer-den, wofür der ÖPNV am Wochenende kostenfrei wird. Mit dieser Anschubfi-nanzierung könnten neue Busse und Bahnen beschafft werden. Je nach Ausbaustand könnten dann die Frei-fahrtberechtigung ausgeweitet und die Abgabe im Rahmen des Nötigen erhöht werden, bis der ÖPNV ticketfrei ist.

Sachsens CDU-SPD-Regierung aller-dings wird wohl weiter dafür sorgen, dass die Verkehrswende vor der roten Ampel stehen bleibt. Damit drohen auch im Freistaat Fahrverbote, wäh-rend viele Menschen ohne Auto ihr Mobilitätsbedürfnis noch immer nicht auf anderem Wege befriedigen kön-nen.

Anfang März landete in allen erreichbaren sächsischen Haushal-ten ein Brief von Rico Gebhardt. Der LINKEN-Fraktionschef will wissen, was die Menschen über die Themen der Zeit denken. „Bei uns muss man nicht im Gedränge um einen Platz am Politiker-Tisch kämpfen, sondern kann in Ruhe zum Ausdruck bringen,

wo der Schuh drückt. Ich verspre-che nicht, dass wir uns immer mit allen in allem einig werden. Aber ich sage zu, dass wir uns mit allem ernsthaft auseinandersetzen, was die Menschen uns anvertrauen.“ Wer sein Exemplar vermisst, kann den Brief hier nachlesen: www.gleft.de/28k

Liebe Leserinnen und Leser, die SPD-Mitglieder haben entschie-den – das Land wird weiter von der „Großen Koalition“ regiert, die so groß gar nicht mehr ist. Damit tritt ein Koalitionsvertrag in Kraft, der die meisten Menschen enttäuscht – mich auch. Die großen Fragen packt er nicht an – soziale Spaltung, Friedenssiche-rung, Kinder- und Altersarmut, Wandel der Arbeitswelt, Pflegenotstand, Wohnungsnot ... Alles, was die soziale Spaltung überwinden könnte, fehlt in diesem Dokument oder wird in Prü-faufträgen und Kommissionitis ersäuft. Auch die Krankenversicherung für alle kommt wieder nicht. Nun droht erneut jahrelanger Stillstand, über den sich nur Reiche und die AfD freuen können.

Was mich besonders enttäuscht: Der Osten ist raus. „Ostdeutschland“ kommt im Koalitionsvertrag nicht vor, „Osten“ nur als Wortbestandteil von „Kosten“. So fürsorglich geht die SPD mit den Menschen in Ostdeutschland um, deren Rentenansprüche nicht anerkannt werden – wo ist eigentlich der „Gerechtigkeitsfonds“, für den sich Sachsens Integrationsministerin Köp-ping eingesetzt hat? Und wo ist Martin Dulig gewesen, der als Ostbeauftragter der SPD die Interessen der Menschen in Ostdeutschland stärker zu Gehör bringen wollte? Und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer? Für Sachsen und den Osten ist dieser Koalitionsvertrag eine einzige Enttäu-schung.

Was bewegt Sie in diesen Tagen? Wel-che Erwartungen haben Sie? Ich freue mich über viele Antworten auf meinen Brief an alle Menschen in Sachsen – entweder per Post an die Linksfraktion (siehe Impressum) oder per Mail an [email protected]!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

ParlamentsrePortFebruar 2018 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Saubere Luft ist ein Grundrecht!

Post vom Oppositionsführer

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PARLAMENTSREPORTSeite 2 Februar 2018

Wer behebt eigentlich die Umweltschä-den, die der Braunkohleabbau verur-sacht hat? Laut dem Bundesberggesetz sind die Bergbauunternehmen zustän-dig – in Sachsen vor allem die LEAG. Offen ist, ob es so kommt oder ob nicht doch die Allgemeinheit zahlen muss. Der Rechnungshof hat in einem gehei-men Sondergutachten darauf verwie-sen, dass die „Wiedernutzbarmachung“ unsicher finanziert ist. Das Oberberg-amt muss nun verhindern, dass die LEAG die Gewinne einsackt und sich dann aus der Affäre zieht.

Die Linksfraktion fordert Transparenz über die Risiken. Die Staatsregierung muss konkrete Sicherheitsleistungen bei den Kohleunternehmen erheben, die auch sicher sind, falls die LEAG insolvent werden sollte. Diese Vorstel-lung ist nicht völlig unrealistisch, denn mit der Kohle lässt sich immer weni-ger Kohle machen. Das Unternehmen hat seine Abbaupläne abgespeckt, und es ist offen, wie lange sich die LEAG rechnet. Druck von der CDU-geführten Staatsregierung müssen die LEAG und die dahinterstehende Finanz-Heuschre-cke indes leider kaum befürchten: Mit Verweis auf die Arbeitsplätze lassen CDU und SPD die Zügel schießen.

Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umweltschutz und Ressourcen-wirtschaft, kämpft seit Jahren um Aufmerksamkeit für das aufziehende Problem. Denn sollte sich die LEAG davonmachen, stellte das die milliar-denschwere SachsenLB-Pleite weit in

den Schatten. Anders als etwa in Nord-rhein-Westfalen werden die Unterla-gen über Vorsorgekonzepte in Sachsen jedoch nicht herausgegeben. In einer zehnmonatigen Auseinandersetzung mit dem Oberbergamt hat Pinka nun erreicht, dass wenigstens geschwärzte Akten herausgegeben worden sind. Die zeigen: Die Behörden sind weit davon entfernt, Druck auf das Unternehmen auszuüben. Offenbar sind sie nicht mal voll über die wirtschaftliche Lage der LEAG informiert. So ist unklar, ob die 1,7 Milliarden Euro in bar, die Vatten-fall beim „Verkauf“ seiner Braunkoh-lesparte übergab, noch da sind – oder ob sie nicht schon in die Taschen der Finanzinvestoren geflossen sind, die hinter der LEAG stehen.

„Die LEAG will die zerstörte Landschaft im Grunde nur wieder herstellen, wenn von ihrem Gewinn dafür noch etwas übrig ist“, warnt Pinka. Die Unterla-gen zeigten, dass das Sicherungskon-strukt nur funktionieren kann, wenn die Kraftwerke weiter laufen und die Energiewende praktisch ausfällt. Die LEAG-Rechnungen basieren auf unre-alistischen Annahmen, denen nicht nur völkerrechtlich verbindliche Kli-maziele im Wege stehen. Das Unter-nehmen geht davon aus, dass bis zum Jahr 2042 Überschüsse erwirtschaf-tet werden, Tagebaue und Kraftwerke nicht beschränkt werden, Nachrüstun-gen zur Luftreinhaltung bezahlbar sind und das alte sächsische Energie- und Klimakonzept eine robuste Planungs-grundlage bietet. Selbstverständlich

wird es anders kommen. Im September 2018 soll eine Vorsorgevereinbarung zwischen der LEAG und dem Freistaat geschlossen werden. Alles deutet dar-auf hin, dass das Oberbergamt eher die Profitinteressen der LEAG als eine robuste Risikovorsorge im Blick hat. So glaubt die Behörde den Angaben der LEAG wohl blind und geht davon aus, dass genug Geld vorhanden ist. Allein für den Tagebau Nochten kalkuliert die LEAG mit 900 Millionen Euro Kosten für die Wiedernutzbarmachung, mit ähnli-chen Summen für Welzow, Jänschwalde und Reichwalde ist zu rechnen. Ob das Geld vorhanden sein wird, ist fraglich.

Die LEAG will über die Laufzeit der Tagebaue mit einer Zweckgesellschaft Sanierungs-Mittel ansparen. Der jähr-lich wachsende Sparbetrag würde an den Freistaat verpfändet. Zum 30. Juni 2021 müsste die LEAG einen unbekann-ten „Sockelbetrag“ einzahlen; dieses Geld und die jährlichen Zahlungen sol-len mittels Investmentfonds vermehrt werden. Wenn das schiefgeht, trägt die Allgemeinheit das Risiko.

Die Landesregierung müsste sofort handeln. Das Oberbergamt darf einen Betriebsplan – Voraussetzung für den Tagebau-Betrieb – nur zulassen, wenn das Unternehmen ordentlich vorsorgt. Es könnte sofort Sicherheitsleistun-gen einbehalten. Stattdessen will man sich wohl erpressen lassen. Kommt es hart auf hart, heißt es dann eines Tages nach „Bagger frisst Landschaft“ auch „Heuschrecke frisst Steuergeld“.

Immer neue Hiobsbotschaften: Jetzt gelingt es der Kultusbürokratie nicht einmal mehr mit Seiteneinsteigern, alle Stellen für Lehrkräfte zu besetzen. „Ernüchtert“ präsentierte Kultusmi-nister Christian Piwarz (CDU) die Ein-stellungs-Bilanz zur Schuljahresmitte. 660 Stellen waren zu besetzen an den sächsischen Grundschulen, Ober-schulen, Gymnasien und Förderschu-len sowie für die Berufsschulen. Mehr als 2.000 Personen bewarben sich, darunter aber nur reichlich 300 grund-ständig ausgebildete Lehrkräfte – von denen viele allerdings ihre Bewerbung zurückzogen. So fanden nur 622 der 660 Stellen neue Inhaber. Und noch-mals werden mehr Stellen mit Seiten-einsteigern besetzt: Lag ihr Anteil im Februar 2017 noch bei 30 Prozent lag, sind es heute schon 62 Prozent.

„Das ist die Folge der verfehlten Per-sonalpolitik der vergangenen Jahre,

die auf das Konto der CDU-Kultusmi-nister geht“, so Cornelia Falken, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Das gravie-rendste Personalproblem ist, dass von 323 Bewerbern mit einer grund-ständigen Ausbildung ein Drittel nicht im Lande gehalten werden konnte. Nur 237 Stellen konnten schließlich mit ihnen besetzt werden.“ Als Kon-sequenz fordert die Linksfraktion das Kultusministerium auf, die Seitenein-steiger ein halbes Jahr vor Beginn der Unterrichtsaufnahme einzustellen und ihnen eine solide berufsbegleitende Weiterbildung zuteilwerden zu lassen, die zu einem qualifizierten Lehramts-abschluss führt.

Um Bewerber mit einer grundständi-gen Ausbildung im Lande zu halten, müssen die Unterrichtsbedingungen und die Bezahlung verbessert werden – darauf kann sich die CDU-SPD-Koa-

lition bisher nicht einigen, obwohl die Zeit drängt. Wichtig wäre es auch, die Einstellungsverfahren nicht als reinen Verwaltungsakt zu verstehen, sondern einen partnerschaftlichen Umgang mit den Bewerberinnen und Bewerbern zu pflegen. Jede und jeder einzelne wird gebraucht!

Gefahr im Verzug!

Schul-Krise: Es geht immer noch schlimmer

Freibrief zum 111.000-fachen Grundrechtsbruch?Wer krank ist und nicht arbeiten kann, gilt mit einer ärztlichen AU- Bescheinigung als entschuldigt. Von den Symptomen erfährt nur die Krankenkasse – nicht aber der Chef. Was bei Millionen Beschäf-tigten normale Praxis ist, reicht bei sächsischen Studierenden immer öfter nicht mehr. Wenn sie krankheitsbedingt eine Prüfung nicht ablegen können, wird der gelbe AU-Schein an immer mehr Fakultäten nicht mehr anerkannt, hat unser Hochschulpolitiker René Jalaß aus der Studieren-denvertretung erfahren. Immer mehr Prüfungsausschüsse verlan-gen nähere Erläuterungen – die Studentin oder der Student muss ärztlich beschreiben lassen, wel-che Einschränkungen ihre oder seine Leistungsfähigkeit mindern oder gemindert haben.

Potentiell 111.000 Studierende könnten so gezwungen sein, ihrer Hochschule vertrauliche Gesund-heitsdaten zu offenbaren. Wer sich weigert, fliegt durch! „Das mag bei einer Erkältung vielleicht harmlos erscheinen“, findet Jalaß. „Bei schlimmeren Krankheits-bildern wie Depressionen oder Burn-Out kann und darf es den Studierenden aber nicht zugemu-tet werden, dass Mitglieder der Prüfungsausschüsse – darunter andere Studierende und Dozen-ten, die eines Tages Abschluss-arbeiten begutachten oder gar Doktorarbeiten begleiten könn-ten – davon erfahren. Auch wenn längst nicht alle Fakultäten so ver-fahren: Die Drohkulisse steht!“

Der Student_innenrat der TU Chemnitz fordert das Ende dieser Praxis: „Das Votum der behan-delnden Mediziner_in sollte ausreichend sein“. Studierende ließen sich nicht zum Spaß krank-schreiben, Prüfungen müssten schließlich später parallel zu den dann anstehenden Tests nachge-holt werden. Der „gelbe Schein“ müsse reichen, erklärt auch der Studentenrat der TU Dresden.

Die Staatsregierung erhebt keine Einwände gegen diese Vorgehens-weise, die – so Jalaß – mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kollidiert. Die Entscheidung, ob gesundheitliche Probleme dem Ablegen einer Prü-fung im Wege standen oder ste-hen, könne nur ein Arzt oder eine Ärztin treffen, wobei die Schwei-gepflicht gelten müsse. Jalaß hat deshalb die Regierung gefragt, in welchen Fällen vertrauliche Daten offenbart wurden. „Wenn sich bestätigt, dass in großem Umfang so verfahren wird oder wenn die Staatsregierung die Antwort verweigern sollte, sehe ich mich gezwungen, eine strafrechtliche Überprüfung einzufordern.“

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PARLAMENTSREPORTFebruar 2018 Seite 3

Die Stadt Bremen darf von der Deut-schen Fußball Liga (DFL) Gebühren ver-langen, wenn die Polizei bei Spielen für Sicherheit im öffentlichen Raum sorgt. Das entschied das Oberverwaltungsge-richt der Hansestadt und erklärt Kos-tenbescheide auf der Grundlage des Bremischen Gebühren- und Beitragsge-setzes für rechtens. Was das mit Sach-sen zu tun hat? Viel, denn das Urteil könnte sich weit über Bremen und weit über den Profifußball hinaus auswirken.

Auf den ersten Blick wirkt es gerecht, wenn millionenschwere Fußballclubs dafür zahlen, dass die steuerfinanzierte Polizei bei ihren Spielen tätig wird. Bei näherem Hinsehen aber zeigt sich, dass der Preis enorm sein könnte, wenn das Bremer Beispiel Schule machen sollte.

Bisher sind die Vereine der Heim-, in Ausnahmen auch der Gastmann-schaften für die Sicherheit verantwort-lich. Sport- oder ordentliche Gerichte brummen ihnen Strafen auf, wenn es Fanausschreitungen gibt. In den Sta-dien sind vereinseigene Ordner und private Sicherheitsdienste zuständig, hilfsweise die Polizei. Die wiederum gewährleistet die Sicherheit im öffent-lichen Raum. Der Bremer Gebührenbe-scheid betrifft nun die Zu- und Abgangs-wege sowie das räumliche Umfeld der Veranstaltung. Eine klare Sache? Nein, denn beispielsweise kam es bei der WM 2006 in Frankfurt a. M. zu Kneipen-schlägereien zwischen englischen Hoo-ligans und Mitgliedern des Rockermi-lieus. Sind das Gefährdungen, die dem Veranstalter bewusst sein konnten oder mussten, und hätten die Polizeieinsätze also gebührenpflichtig werden müssen?

Die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben im öffentlichen Raum soll nach dem Bremischen Gesetz im Kontext absehbarer Risiken gebührenpflichtig sein. Soll das den Staat aus seiner Ver-antwortung entlassen? So könnten Ver-eine ihre Security auch außerhalb der Stadien einsetzen, wenn das kosten-günstiger wäre. Wollen wir das? Egal in welchem Zusammenhang – es ist Sache des Staates und damit der Polizei, auf den Straßen für Sicherheit zu sorgen!

Ein weiteres Problem treibt mich um. „Die Vorschrift betrifft nicht nur Fuß-ball-Bundesligaspiele, sondern auch andere Großveranstaltungen“, so das Oberverwaltungsgericht. Die Büchse der Pandora droht sich zu öffnen.

Das Bremer Gesetz gilt für gewinn- orientierte Veranstaltungen, an denen voraussichtlich mehr als 5.000 Per-sonen zeitgleich teilnehmen – „wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwarten-der Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Ver-anstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumli-chen Umfeld der Einsatz von zusätzli-chen Polizeikräften vorhersehbar erfor-derlich wird.“ Die Grenze von 5.000 Personen ist einfachgesetzlich gere-gelt, jedes Bundesland könnte sie nach eigenem Ermessen festlegen. So ließen sich auch bei kleineren Sport-, Konzert- oder Kulturveranstaltungen, die aus inhaltlichen Gründen oder wegen der Besucherklientel problematisch sein könnten, Gebühren fordern. Denkt man

in diesem Geist weiter, könnten auch Veranstalter Rechnungen bekommen, die nicht kommerziell wirken und etwa zum Christopher Street Day ein Konzert durchführen. Auch ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit berührt. Müssen eines Tages die Anmelder von Demonstrationen Kosten befürchten, selbst wenn sie gar nicht beeinflussen können, wie sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer verhalten?

„Die beste Strategie, die über die Grundsicherung hinausgehenden Kos-ten zu senken, ist die koordinierte Gewaltprävention vor und in den Fuß-ballstadien. Aus gesellschaftlichen Gründen tobt sich jedoch die organi-sierte Gewalt immer wieder aus“, meint der Ökonom Rudolf Hickel. Richtig: Gewalt ist ein gesellschaftliches Pro-blem. Weshalb aber sollen Veranstal-ter dann für Schäden haften, die ihnen durch Gewalt zugefügt werden?

Und wie hoch sollen die Gebühren eigentlich sein? Polizeiliche Gefah-renanalysen und Einsatzpläne sind intransparent, trotz der Sicherheitsbe-ratungen mit Vereinen, Veranstaltern, Fanprojekten (sofern vorhanden) und Sicherheitsdiensten. Im Vorfeld eines Einsatzes kann niemand sagen, wie viele Kräfte gebraucht werden. Wie sind Einsatzkosten, auch Betriebskos-ten für Fahrzeuge, von „eh-da-Kosten“ (Personalkosten, die ohnehin anfal-len) abzugrenzen? Veranstalter hätten keine Handhabe, um gegen Gebühren-bescheide vorzugehen. Und wie steht es um Schadenersatzansprüche von Veranstaltern, die trotz des Polizei-einsatzes durch Gewalttaten Schäden erleiden? Sollen sie sich an die Länder wenden, weil diese die Sicherheit nicht

gewährleisten konnten, obwohl sie dafür Gebühren erhoben haben?

„Sollte das Urteil Bestand haben, dürf-ten sich Profi- und Amateurfußball wei-ter auseinanderentwickeln“, befürchtet auch meine Kollegin Verena Meiwald, die für die Sportpolitik der Linksfrak-tion und damit für den Fußball zustän-dig ist. „Risikorreiche Spiele könnten nur noch von zahlungskräftigen Veran-staltern durchgeführt werden. Was aber ist mit Vereinen der unteren Ligen, bei denen es ebenso zu Hochrisikospielen kommen kann, wie Lok Leipzig oder Chemie Leipzig?“ Die Absicherung von Fußballspielen wird immer aufwändiger, wie das Innenministerium auf Anfragen mitteilt. Das Bremer Urteil könnte letzt-lich Vereine in ihrer Existenz gefährden. Es gibt also keinen Grund für reflexhafte Freude über diese Entscheidung.

Enrico Stange, MdL

Sollen die reichen Vereine doch zahlen!? 12-Jahres-Plan für mehr Kita-Personal Klar, CDU und SPD haben zwi-schen 2015 und 2018 kleine Schritte unternommen, um mehr Personal in die sächsischen Kin-dertageseinrichtungen zu brin-gen. Allerdings steht vieles aus: die Anerkennung der pädagogi-schen Vor- und Nachbereitung als Arbeitszeit etwa oder die Erhö-hung des Landeszuschusses auf ein ausreichendes Niveau, damit nicht die Eltern immer mehr zah-len müssen. Und bei den Betreu-ungsverhältnissen muss ein langfristiger Plan her, damit die frühkindliche Erziehung wirklich besser wird und alle einen Platz finden, egal wo sie wohnen.

Einen solchen auf zwölf Jahre angelegten Plan hat die Linksfrak-tion nun vorgelegt – den Entwurf eines „Gesetzes zur schrittwei-sen Verbesserung des Betreu-ungsschlüssels in Kinderta-geseinrichtungen im Freistaat Sachsen“ (Drucksache 6/10764). Der Betreuungsschlüssel in den Kinderkrippen, Kindergärten und Horten muss schrittweise und kontinuierlich verbessert wer-den“, fordert Marion Junge, Sprecherin der Linksfrak-tion für Kindertageseinrich-tungen.

„Erstmals mit Wirkung zum 1. September 2019 und letztmals mit Wirkung zum 1. September 2030 soll der Personalschlüssel in Krippen, Kindergärten, Horten jährlich um jeweils 0,05 voll-beschäftigte Fachkräfte verbes-sert werden.“ Die Folge dieser technisch anmutenden Änderung: 2022 bzw. 2023 wäre eine vollbe-schäftigte Fachkraft rechnerisch in der Krippe für vier, im Kin-dergarten für zehn und im Hort für 17 Kinder zuständig. Heute sind es in der Krippe fünf, im Kin-dergarten zwölf und im Hort 22 Kinder.

Auf lange Sicht allerdings reicht auch das nicht. Damit alle Kinder vergleichbare Bildungschancen haben, empfiehlt die Bertels-mann-Stiftung bundesweit ein-heitliche Qualitätsstandards für Kitas. Sie schlägt einen Schlüssel von 1:3 in der Krippe, von 1:7,5 im Kindergarten und von 1:13 im Hort vor. Diese Empfehlungen sind in der Fachwelt als Ziel-marken anerkannt. Deshalb will der LINKE Gesetzentwurf diese Betreuungsschlüssel bis 2030 erreichen. Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Kita-Praxis und der Elternschaft unterstüt-zen das. Die Mehrkosten muss in jedem Fall der Freistaat tragen.

Die Vorlage geht jetzt ins Parla-ment – wir sind gespannt, welche Ausreden CDU und SPD finden werden, um Verbesserungen zu vermeiden.

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PARLAMENTSREPORTSeite 4 Februar 2018

Das Thema „Insektensterben“ ist in aller Munde. Grund für die Linksfrak-tion, gemeinsam mit den Grünen eine Anhörung im Landtag zu beantragen. Hintergrund ist auch der Antrag der Linksfraktion „Ursachen des Insek-tensterbens in Sachsen untersuchen und Gegenmaßnahmen in die Wege lei-ten“ (Landtags-Drucksache 6/11500). Nimmt die Zahl der Insekten wirklich ab? Die Sachverständigen berichteten von einer „erdrückenden Fülle an Indi-zien“ und bejahen diese Frage. Nach der Anhörung ist klar: Ein breit ange-legtes, mehrjährige Monitoring, auf das sich die Umwelt- und Agrarminister der Länder geeinigt haben, dürfte erst viel zu spät greifbare Ergebnisse bringen.

Der Rückgang der Populationsstärken vieler Arten und das Aussterben eini-ger Arten ist ein schleichender Prozess, der wohl bereits in den 1950er Jahren eingesetzt hat und sich seit den 1990er Jahren verstärkt. Die Forderungen nach mehr Biodiversität sind seit 20 Jahren unverändert: Vielfalt in der Landschaft und Landschaftsnutzung bedeutet Viel-falt bei den Tierarten. Noch ist nicht aller Tage Abend. Ein Sachverständiger meinte: „Noch können wir etwas ret-ten“.

Auf die Frage, wofür wir die Artenviel-falt bei den Insekten brauchen, führte Prof. Dr. Kaspar Bienefeld aus, dass die genetische Vielfalt als Versicherung gegen die Folgen des Klimawandels „absolut erforderlich“ sei. Nur durch genetische Vielfalt könne die Funkti-onsfähigkeit des Naturhaushaltes lang-fristig gesichert werden, auch wenn wir

die Funktionsweise einzelner Glieder noch nicht kennen oder wertschätzen können.

Landwirtschaft macht rund 55 Prozent der Flächennutzung in Sachsen aus und ist damit ein erheblicher Faktor für die Artenvielfalt. In den zurückliegenden Jahren hat die Vielfalt der angebauten Kulturen abgenommen, die Intensität der Landwirtschaft hat oftmals zuge-nommen. So helfen die geltenden Rah-

menbedingungen für die Landwirtschaft nicht, die Artenvielfalt zu mehren, sie verringern sie vielmehr. Auch der ord-nungsgemäße Einsatz von Pflanzen-schutzmitteln und gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft führen dazu, dass die Anzahl der Tiere, aber auch die Viel-falt an Insekten, Vögeln und anderem Getier in der offenen Landschaft seit Jahren zurückgeht. Auch das von den Landwirten viel kritisierte „Greening“, also die Prämienzahlung im Rahmen

der EU-Agrarförderung an Betriebe, die bestimmte Umweltauflagen erfüllen, ist in diesem Punkt weitgehend wirkungs-los.

Wir werden prüfen, wie Sachsen nun schnell die richtigen Maßnahmen in die Fläche bekommen kann, um das Insek-tensterben aufzuhalten. Das Problem ist, dass der gesamte Landwirtschafts-bereich bundes- und europarechtlich stark reguliert ist; Alleingänge eines Bundeslandes sind somit weder mög-lich noch sinnvoll. Auch sind sämtliche Maßnahmen zum Schutz der Insekten bislang freiwillig. Freilich locken För-dermittel, aber letztlich werden sinn-volle Maßnahmen noch auf zu geringer Fläche umgesetzt. Weitere Appelle wer-den kaum weiterhelfen.

Spätestens die gemeinsame EU-Agrar-politik nach 2020 muss die Grundan-forderungen an die Betriebsführung der Landwirtschaftsbetriebe deutlich erhöhen. Öffentliches Geld darf nur noch für Leistungen gezahlt werden, die im öffentlichen Interesse stehen. Der Schutz der Artenvielfalt darf nicht in freiwillige Maßnahmen ausgelagert werden. Der Sachverständige vom Lan-desbauernverband drohte, dass dafür auch höhere Preise im Laden zu zahlen seien. Wir finden: Die Verbraucherin-nen und Verbraucher haben das Recht auf Lebensmittel, die ohne Tierquälerei und Umweltschäden hergestellt wor-den sind. Die Landwirte bekommen dafür genug Fördermittel von der EU. Nun müssen sie auch liefern.

• Dr. Jana Pinka

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Telefax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Kevin Reißig

Versicherung gegen die Folgen des Klimawandels

Wir sind wieder online!Lange hat es gedauert, nun ist sie endlich da: Die Linksfraktion hat eine neue, aufgeräumte, interaktive Inter-netpräsenz. Die Übergangszeiten waren turbulent, noch stehen nicht alle Funktionen zur Verfügung – aber

der Neustart ist gelungen. Mit Blick auf’s Wesentliche gibt’s nun wieder LINKE Politik im Landtag und so man-ches Neue. So haben wir von „Alters-armut“ bis „Wohnen“ kurz zusammen-gefasst, was eine gute sächsische

Regierung tun sollte. Wer zu jedem dieser Begriffe den Kernsatz unserer Position wissen möchte, klickt einmal. Wem das nicht reicht, klickt nochmal und erfährt mehr zum Thema – in 1.000 Zeichen. Ein solches A-Z gibt

es auch zur Arbeit des Landtages im Generellen, quasi als Wörterbuch Landtagsdeutsch-Deutsch. Also, herzlich willkommen! www.linksfraktionsachsen.de