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WING ISSN 0256-7830; 48. Jahrgang, Verlagspostamt A-8010 Graz; P.b.b. 02Z033720M 2/15 Das Ende der An- wesenheitspflicht 14 New World of Work – Warum kein Stein auf dem anderen bleibt 6 Für manche ein Segen, für andere ein Fluch 10 Flexibles Arbeiten business

WINGbusiness Heft 02 2015

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Page 1: WINGbusiness Heft 02 2015

WINGISSN 0256-7830; 48. Jahrgang, Verlagspostamt A-8010 Graz; P.b.b. 02Z033720M

2/15

Das Ende der An-wesenheitspflicht

14

New World of Work – Warum kein Stein auf dem anderen bleibt 6

Für manche ein Segen, für andere ein Fluch

10

Flexibles Arbeiten

business

Page 2: WINGbusiness Heft 02 2015

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EDItorIAl

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Viva la revolución!“ dies war einst der Aufruf zum Um-sturz, gegen Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter, der Aufruf eine neue, bessere Weltordnung zu schaffen.Diese oftmals radikalen Veränderungen brachten selten die erhofften Verbesserungen dafür aber Krieg und Leid über die Menschen.Die wahren Revolutionen finden heute langsamer und lei-ser statt, die Auswirkungen sind aber umso dramatischer. Welche positiven Veränderungen sie bringen und welche Schattenseiten, wird die Zukunft zeigen und die Geschichte beurteilen. Sie denken sicher an die industrielle Revolution, die unsere Welt verändert hat. Oder aber an die Informatik, die unser Leben digitalisiert hat und mit deren Hilfe Computer In-tegrated Manufacturing (CIM) seit mehr als 30 Jahren die industrielle Produktion revolutioniert – beispielsweise in seiner gehypten Reinkarnation als Industrie 4.0.Ich möchte jedoch Ihre Aufmerksamkeit auf eine andere Revolution lenken, eine stille, die im Schatten der Digita-lisierung und Vernetzung unserer Welt schon beträchtliche Ausmaße erreicht hat:Die Revolutionierung unserer Arbeitswelt. Denkt man seit jeher, nicht nur seit den Anfängen der Arbeitswissenschaft vor über 100 Jahren, über die Optimierung menschlichen Arbeitseinsatzes nach, ist es die logische Konsequenz die gleichen Prinzipien und Ressourcen zu nutzen, die bei mo-dernen vernetzten, flexiblen Maschinen angewandt werden.Heute ist es auch für Menschen möglich geworden, weitge-hend die Zeit oder den Ort der Arbeitserbringung, ja sogar deren Inhalte zu flexibilisieren.„Tele-Working“, das Arbeiten von zu Hause aus, ist für viele Arbeitnehmer zur Normalität geworden. Viele Unterneh-men kaufen ihren Mitarbeitern portable Arbeitsplatzrech-ner, die auch zu Hause und in der Freizeit benutzt werden dürfen. Viele dieser Unternehmen erwarten dann auch, dass ihre Mitarbeiter damit auch geschäftliche Aufgaben in der Freizeit erledigen. Teilweise ist dies durch „All-Inclusive“-Verträge rechtlich gedeckt – teilweise wird es einfach nur „erwartet“. Außerdem gehört es für einen modernen Arbeit-nehmer zum guten Ton, rund um die Uhr telefonisch oder zumindest per Email erreichbar zu sein. Das gilt natürlich

auch im Urlaub. Zwar gilt hier selbstverständlich der Ar-beitnehmerschutz, doch gegen freiwillige Selbstausbeutung ist er wirkungslos. Man darf hierbei nicht übersehen, dass die ständige Erreichbarkeit und das Bedürfnis nach perma-nenter Kommunikation auch im Privatleben durch soziale Netzwerke, wie beispielsweise Facebook, Einzug gehalten hat und allgemein akzeptiert ist und gelebt wird. Mit der In-formationsflut müssen wir noch lernen umzugehen und da-für nachhaltige und gesunde Strategien entwickeln. Email-Postfächer, die sich in einer Woche mit mehreren hundert Emails füllen, die auch zu bearbeiten sind, sind keine Lö-sung. Aber auch die Arbeitsinhalte haben sich geändert. Auf digi-talem Weg ist es möglich geworden, Teilarbeiten blitzschnell in andere Länder mit anderem Lohnniveau oder Zeitzone (oder beidem) zu verlagern oder sie in „micro-jobs“ zu zer-teilen und diese von Mitgliedern der Internet-Cloud schnell und preisgünstig erledigen zu lassen. Damit entstehen, neben den offensichtlichen Gefahren und medizinischen Nebenwirkungen, wie vermehrte Burn-out- Raten aber auch ungeheure Chancen durch eine Flexibilisie-rung der Arbeit. Richtig und sinnvoll eingesetzt wird flexi-bles Arbeiten unsere Welt hoffentlich positiv verändern.Wir haben den, mit dem Industrie 4.0 Hype wieder aktu-ell gewordenen Aspekt der Flexibilisierung der Arbeit im Kontext moderner Produktion zum Anlass genommen, „Flexibles Arbeiten“ an sich zum Thema unseres aktuellen WINGbusiness Heftes zu machen und einige, wie ich hoffe, interessante Artikel für Sie zusammengestellt.Wir beginnen den Themenschwerpunkt mit einem Über-blick der Veränderungen unserer Arbeitswelten besonders in Österreich und beleuchten im Anschluss daran in einem Artikel die Chancen und Risiken der Flexibilisierung der Ar-beit. Der darauffolgende Beitrag beschreibt die Ablösung des klassischen Büros durch Szenario-orientierte Formen der Zu-sammenarbeit und die zugehörigen Organisationsformen. Dass sich daraus auch Innovations-Ökosysteme bilden kön-nen, schildert dann ein weiterer Beitrag. Die Grundlagen der Kommunikation in flexiblen Arbeitsformen analysiert in diesem Zusammenhang ein Wing-Paper. Danach stellen wir mit visuellen Assistenzsystemen in der Fertigung noch ein konkretes Anwendungsbeispiel flexiblen Arbeitens vor.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Professor Dr. Sabine Köszegi, Leiterin der Gruppe Arbeitswissenschaft und Organisation des Instituts für Managementwissen-schaften der TU Wien, und bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Unterstützung bei der Zusammenstel-lung dieses Heftes bedanken.

Ich hoffe, dass Sie die Artikel in diesem Heft interessant finden und verbleibe im Namen des Redaktionsteams mit freundlichen Grüßen.

Ihr Sieg fried Vössner

Univ.-Prof.

Dipl.-Ing. Dr.techn.

Siegfried Vössner

Flexibles Arbeiten

Quelle: Jim Fitzpatrick

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top-thema: Flexibles Arbeiten

Michael Bartz, Thomas SchmutzerNew World of Work – Warum kein Stein auf dem anderen bleibt 6

Martina Hartner-TiefenthalerFür manche ein Segen, für andere ein Fluch 10Die Chancen und risiken der Flexibilisierung der Arbeit

Franz KühmayerDas Ende der Anwesenheitspflicht 14

Thomas Fundneider, Markus F. PeschlFlexibles Arbeiten und Innovation: 17Vom Home office zu Innovations-Ökosystemen

Philipp Hold, Fabian Ranz, Vera Hummel, Wilfried SihnDurchblick im Variantendschungel 22Visuelle Assistenzsysteme als Flexibilitätshebel auf dem Shop Floor

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Inhaltsverzeichnis

EDItorIAl Flexibles Arbeiten 3

CAll For PAPErS themenschwerpunkt „recht am Bau“ in WINGbusiness Heft 04/2015 13

WING-PAPEr Franz Haas Flexible Fertigungssysteme und 3D-Druck 28

Alessandro Wärzner, Martina Hartner-Tiefenthaler, Sabine T. Koeszegi Fern und doch so nah: Wie kann Kommunikation in flexiblen Arbeitsformen gut gelingen? 31

WINGregional Thomas Reuter WING Studie 2014: Ergebnispräsentation in der Stiegl-Brauwelt in Salzburg 38

UNINACHrICHtEN Karin Tschiggerl, Milan Topic 6. Kongress „Sustainability Management for Industries“ – Energieeffizienz im Fokus 39

Christopher Mallaschitz, Martin Wallner Industrie 4.0 am Institut für Industrial Management 40

WINGnet Andreas Reischl EStIEM Council Meeting in riga 21

Felix Aumair tIMES Semifinale Kiew 2015 41

IMPrESSUM Impressum 42

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toP-tHEMA

Michael Bartz, thomas Schmutzer

New World of Work – Warum kein Stein auf dem an-deren bleibt Im vorliegenden Beitrag geben die zwei Buchautoren – Michael Bartz und Thomas Schmutzer – des gleich-namigen Buches „New World of Work – Warum kein Stein auf dem anderen bleibt“ einen Überblick über die grundlegenden Veränderungen unserer Arbeitswelten mit besonderem Fokus auf Österreich. Es wird auf-gezeigt, warum ArbeitnehmerInnen neue innovative Arbeitsweisen wichtig sind und warum sich die Un-ternehmenstransformation in Richtung New World of Work rechnet. Michael Bartz ist absolvierter Wirt-schaftsingenieur und forscht als Professor an der IMC FH Krems zum Thema „New World of Work“. Thomas Schmutzer ist führender Unternehmensberater in diesem Bereich und Geschäftsführer der Firma HMP.

New World of Work – Das Arbeiten neu erfinden

Unsere Arbeitswelten verändern sich derzeit grundlegend. Ein wesentlicher Treiber dahinter sind neue Informati-onstechnologien, die Kommunikation und Zusammenarbeit auf Distanz so einfach und kostengünstig, wie noch nie, ermöglichen. Dank dieser Tech-nologien breiten sich vor allem zeitlich und räumlich flexible Arbeitsweisen aus. Immer mehr Menschen haben die Möglichkeit, außerhalb des Firmenbü-ros mobil zu arbeiten, z.B. im Home Office, und sich auch zeitlich selbstän-diger einzuteilen. Dies allein zieht viele Änderungen nach sich: Die Aufgaben und die Gestaltung von Firmenbüros verändern sich in Folge flexiblerer Arbeitsformen; Führungs-

konzepte müssen neu überdacht wer-den. Es bleibt fast kein Stein auf dem anderen.

Die Vorteile, die durch neue Ar-beitsweisen für die Unternehmen und ihre MitarbeiterInnen erzielt werden, sind jedoch enorm. Deshalb setzt eine zunehmende Zahl von Firmen auf die „New World of Work“. Vorreiter in Österreich sind Technologieunterneh-men wie Microsoft, IBM, HP, Fujitsu und Ricoh. Diese Unternehmen und ihre Arbeitsmodelle stoßen auf großes Interesse in der Öffentlichkeit. So wur-de vor zwei Jahren die Gestaltung des neuen Microsoft Büros in Wien den Erfordernissen der neuen Arbeits-welten angepasst. Seitdem sind über 9.000 Besucher zu verzeichnen, die sich im Rahmen einer sogenannten Office

Tour über das neue Arbeiten in diesem Betrieb informiert haben.

Die neuen Arbeitswelten sind je-doch ein industrieübergreifendes The-ma. Insbesondere im Bankensektor arbeiten derzeit drei führende öster-reichische Bankunternehmen an der Einführung neuer Arbeitsformen. Ein Beispiel ist die Bank Austria, die eine schrittweise Weiterentwicklung der in-ternen Arbeitsweisen gestartet hat. Der CEO Willibald Cernko dazu: „Unsere Bank setzt auf neue zeitgerechte Be-treuungsmodelle für unsere Kunden unter Nutzung modernster Techno-logien. Das wird sich auch in den in-ternen Arbeitsweisen widerspiegeln“. Wegweisend ist auch die New World of Work Initiative der AKNÖ. Mit der neuen Zentrale in St. Pölten halten auch Schritt für Schritt neue Arbeits-

Foto: Ricoh Austria GmbH

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formen Einzug. AKNÖ-Direktor Mag. Helmut Guth dazu: „Es ist wichtig, die Potentiale neuer Arbeitsweisen und die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen, in der eigenen Kammerorgani¬sation Schritt für Schritt zu erkunden. Über die eigene Erfahrung in unserer Orga-nisation bauen wir zusätzliche Bera-tungskompetenzen zum Thema Neue Arbeitswelten auf“. Erfahrungswerte sind wichtig. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass in Öster-reich ca. 12 % der Unternehmen heute auf flexiblere mobile Arbeitsweisen set-zen. In Großbritannien sind es bereits 50 % der Unternehmen. Es ist anzu-nehmen, dass auch die Zahl der New World of Work Unternehmen in Ös-terreich weiter wächst. Warum das so ist, erklärt sich über den betriebswirt-schaftlichen Nutzen neuer innovativer Arbeitsweisen; diesem Thema widmet sich der nächste Abschnitt.

New World of Work – Wie rechnet sich das eigentlich?

Eine zunehmende Zahl von Unterneh-men setzt auf neue innovative Arbeits-formen. Dabei ist die Implementierung neuer innovativer Arbeitsformen für Firmen oft mühsam. Sie erfordert be-sonders Zeit und erhebliche Investiti-onen. Warum Unternehmen dennoch auf die neuen Arbeitswelten setzen, liegt daran, dass es sich am Ende rech-net. Das zeigt die langjährige Forschung am New World of Work Forschungs-zentrum an der IMC FH Krems. Das Forschungszentrum ist spezialisiert auf sogenannte New World of Work Erfolgsmessungen; hierbei wird über lange Zeiträume gemessen, wie sich die Einführung neuer Arbeitsformen auf Unternehmen in klaren Zahlen, Daten und Fakten auswirkt. Diese Auswirkungen lassen sich bereits nach kurzer Zeit in den Infrastrukturkosten erkennen. Bürokosten können durch-schnittlich in der Größenordnung 20 bis 30 % reduziert werden. Dies ergibt sich durch die mögliche Verkleine-rung von Büroflächen, wenn mobiles Arbeiten im Unternehmen eingeführt wird. Ricoh CEO Michael Raberger dazu: „In unserer Niederlassung in Un-garn haben wir 60 % Bürokosteneinspa-rungen erzielt, durch Einführung neu-er Arbeitsformen in Kombination mit der Auswahl eines günstigeren Stand-orts“. Auch Reisekosten schrumpfen

im Bereich von 30 bis 40 %, wenn vir-tuelle Arbeitsweisen unter Nutzung neuer Kommunikationstechnologien (z.B. Unified Communications, Video Conferencing) üblich werden. Das ist der unmittelbarste Effekt neuer Ar-beitsformen. Noch bedeutsamer ist jedoch der Einfluss neuer Arbeitskon-zepte auf die Menschen in Betrieben. Die Einführung moderner Arbeitskon-zepte trägt in den meisten Fällen dazu bei, dass die Mitarbeiterzufriedenheit um 10 bis 20 % steigt; Einsatzbereit-schaft und Identifikation mit der Firma nehmen zu. Das erklärt auch, warum sich Arbeitszeiten in New World of Work Unternehmen nicht reduzieren, obwohl die „Leinen länger werden“. Stattdessen wächst das Arbeitszeitvolu-men tendenziell, um bis zu 10 bis 15 %. Gleichzeitig sinken Krankenstände um 20 bis 30 %. In Summe kann mit einer Produktivitätssteigerung im Bereich von 5 bis 15 % gerechnet werden.

Diese Werte müssen auch kritisch betrachtet werden, da z.B. die Re-duktion von Krankenständen auch mit negativen Verhaltensänderungen zusammen¬hängen kann. Beispiel „Erkältung“: Bei bürozentrierter Ar-beitsweise führt dies oft zu Krankmel-dungen und Nicht-Erscheinen im Büro. In flexibleren Arbeitswelten wird statt-dessen oft ohne Krankmeldung ein-fach von zu Hause aus weitergearbeitet. Vielleicht am ersten Tag etwas weniger. Aber ab Tag 2 versucht man wieder „voll dran zu bleiben“, um eMail-Stau und Arbeitsrückstand zu vermeiden. Das Beispiel zeigt, dass Mitarbeite-rInnen nicht einfach in die neuen Ar-beitswelten hineingeworfen werden dürfen. Es ist wichtig, eine Organisa-tion schrittweise auf neue innovative Arbeitsformen vorzubereiten und not-wendige Kompetenzen für den Um-gang mit flexibleren und virtuelleren Arbeitswelten bei MitarbeiterInnen und Führungskräften aufzubauen.

Wenn das gelingt, dann wirkt sich die Einführung neuer Arbeitsformen auch positiv auf die Arbeitsgeberattrak-tivität aus – das sogenannte Employer Branding. Dies zeigt auch die aktuelle Studie „New World of Communica-tion & Collaboration 2015“. Diese wird jährlich von HMP Consulting, IMC FH Krems und Report durchgeführt. Laut der aktuellen Studie halten über 70 % der StudienteilnehmerInnen po-

tentielle Arbeitgeber für unattraktiv, die keine flexiblen Arbeitsweisen anbie-ten. Das bemerken Unternehmen, die auf neue Arbeitsformen setzen, sehr deutlich: Bewerberzahlen steigen, Re-cruitingkosten sinken um 20 bis 30 %, und im Mitarbeiterstamm reduziert sich die Fluktuation auf 2 und 5 %. Das ist eine große Verbesserung gegenüber den üblichen Fluktuationsquoten von 8 bis 12 % pro Jahr.

In Summe zeigt sich: Neue innova-tive Arbeitsformen rechnen sich für Unternehmen unter dem Strich. Das Ergebnis ist eine Win-Win-Situation für Unternehmen und ihre Mitarbeite-rInnen. Im nächsten Abschnitt mehr dazu, wie sich der Weg für Unterneh-men in Richtung New World of Work gestaltet.

New World of Work Transformati-on – Schritte in die neue Welt des Arbeitens

Die Einführung neuer innovativer Ar-beitsweisen funktioniert nicht wie ein Elektroschalter- einfach einschalten und schon ist es hell. Die Transformati¬on einer Unternehmensorganisation muss stattdessen sorgsam schrittweise erfol-gen. Denn sonst überfordern die Ver-änderungen die MitarbeiterInnen und gleichermaßen die Führungskräfte im Betrieb. Wichtig ist ebenfalls, dass alle Abteilungen mit an Bord sind. Denn die Veränderung betrifft die Mitar-beiterInnen, Prozesse, Methoden und Technologien im Unternehmen ebenso wie die Gestaltung und die Nutzung der Büroinfrastruktur.

Am Anfang des Transformations-prozesses steht das sogenannte „Envi-sioning“. Hier gilt es in strukturierten Workshops im Führungsteam zunächst eine New World of Work Vision zu ent-wickeln, die das Zielbild klar umreißt im Sinne von „Wie soll neues Arbeiten in unserem Betrieb ausschauen? Und was wollen wir damit erreichen?“. Wenn dieses Zielbild steht, dann kann die sogenannte Transformation Map aufgestellt werden – siehe bitte Abbil-dung nächste Seite:

Mithilfe der Transformation Map wird festgelegt, wann welche Schritte auf dem Weg in Richtung neuer Ar-beitsweisen in den nächsten Mona-ten und Jahren gesetzt werden sollen. Wichtiger Meilenstein in der Transfor-

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mation Map ist die Workstyle Analyse. Hier geht es darum, die Arbeitsweisen der MitarbeiterInnen im Unternehmen genauer unter die Lupe zu nehmen und zu eruieren, welche Mitarbei-tergruppen in Zukunft in welchem Ausmaß mobiler Arbeiten können als bisher. Aus den Workstyles wird auch klar, welche Spielregeln für die Kom-munikation und Zusammenarbeit in Zukunft erforderlich sind. Diese Spiel-regeln werden auch oft Rules of Enga-gement genannt. Beim Arbeiten auf Distanz sind die Rules of Engagement erfolgskritisch. Diese müssen sorgfältig ausgearbeitet und in der Organisation nach und nach implementiert werden. Dies ist Teil des notwendigen Kompe-tenzaufbaus in der Organisation, der MitarbeiterInnen und Führungskräfte gleichermaßen betrifft. Insbesondere Führungskräfte müssen grundlegend umdenken und deshalb sehr sorgfältig auf Führung in virtuelleren Arbeitssitu-ationen vorbereitet werden. Eine wich-tige Kernkompetenz, ohne die neue Arbeitswelten fast nicht funktionieren können, ist das Führen über Ziele. 70 bis 80 % der Führungskräfte verlassen sich heute noch auf Führungsprin-zipien, die sehr ausgeprägt auf Verhal-tenskontrolle beruhen.

Das heißt, es wird neben der Auf-gabenerfüllung beobachtet, wie sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz verhalten. Das führt zu Performismus im Betrieb. Performis-mus ist ein Begriff der im New World of Work Forschungszentrum an der

IMC FH Krems geprägt wurde und allgemein auch unter „Impression Ma-nagement“ in der Wissenschaft bekannt ist. Performismus steht für Verhaltens-weisen auf der Seite der Mitarbeiter, mit deren Hilfe Leistungsbereitschaft und Leistungswillen am Arbeitsplatz signalisiert wird (ohne, dass unbedingt Leistung dahinter stehen muss). Eine weit verbreitete performistische Ver-haltensweise ist zum Beispiel: „Geh möglichst nicht vor Deiner Chefin nach Hause.“ oder „Nimm Anrufe Dei-ner Chefin auch am Abend an“. Wenn Führungskräften allerdings die erfor-derlichen Kompetenzen vermittelt wer-den, Mitarbei¬ter über Ziele zu führen, dann brechen diese Verhaltensmuster auf beiden Seiten auf. Ab diesem Zeit-punkt wird Leistung an Zielerreichung festgemacht, statt an Verhaltensweisen.

Derartige Veränderungen brauchen Zeit. Die meisten Unternehmen pla-nen zwei bis drei Jahre Zeit für die schrittweise Einführung neuer Arbeits-formen. Ganz wesentlich ist dabei, auf dem Weg die erzielten Fortschritte klar bewerten zu können, und zwar in kla-ren Zahlen, Daten und Fakten. Aller-dings muss die Einführung neuer Ar-beitsformen nicht immer Jahre auf sich warten lassen. Es geht auch umgekehrt, mittels Reverse Engineering.

D.h. neue Arbeitsformen werden quasi über Nacht - mit nur zwei oder drei Monaten Vorlaufzeit - eingeführt und alle Anpassungsmaßnahmen er-folgen im Nachhinein. Diese Metho-de empfiehlt sich für Unternehmen

kleinerer und mittlerer Größe. Micha-el Raberger, CEO von Ricoh Ungarn dazu: „Wir sind bei der Einführung neuer Arbeitsformen in unserer Nie-derlassung in Budapest den umge-kehrten Weg gegangen. So konnten wir innerhalb kurzer Zeit erhebliche Kosten- und Standortvorteile erzielen. Und die MitarbeiterInnen schätzen die gesteigerte Arbeitsflexibilität im Betrieb sehr und fühlen sich wohl mit dem Quantensprung in Richtung neu-er Arbeitsformen.“ Viele Wege führen hier zum Ziel. Erfolgskritisch ist es, zu definieren, was durch die Einführung neuer Arbeitsformen wirklich erreicht werden soll und woran der Erfolg einer New World of Work Transformation am Ende gemessen werden kann.

Tiefer in das Thema einsteigen

Wer mehr über das Thema New World of Work erfahren und tiefer in das The-ma einsteigen möchte, kann seit Fe-bruar 2014 auf das „Buch New World of Work – Warum kein Stein auf dem anderen bleibt“ von Michael Bartz und Thomas Schmutzer zurückgreifen. Dieses Sachbuch ist in Romanform geschrieben und im Lindeverlag und Verlag Handelsblatt/Wirtschaftswoche erschienen (ISBN-10: 3709305357 oder ISBN-13: 978-3709305355).

Autoren

Michael Bartz ist langjähriger Indus-triemanager (Philips, Capgemini, Mi-crosoft). 2010 hat er sich seinen Leben-straum erfüllt und eine volle Professur an der IMC FH Krems angenommen. Dort leitet er das „New World of Work“ Forschungszentrum. Das Forschungszentrum ist speziali-siert auf die Erfolgsmessung von New World of Work Unternehmenstransfor-mationen. Zielsetzung ist die Messung und Bewertung der betriebswirtschaft-lichen Erfolge und Verbesserungen durch die Einführung neuer innova-tiver Arbeitsformen und -technologien in Unternehmen.Informationen und Ergebnisse aus lau-fenden Forschungsprojekten werden am New World of Work Blog (www.newworldofwork.wordpress.com) regel¬mäßig veröffentlicht.www.newworldofwork.wordpress.comDas Bundesfinanzministerium hat an-lässlich des Home Office Days 2015 ein

Abbildung „Transformation Map“ (Darstellung der Autoren)

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Prof. (FH) Dipl.-Ing.

Dipl.-Wirtsch.-Ing.

Michael Bartz

Professor an der IMC FH Krems

Mag. thomas

Schmutzer, CMC

Geschäftsführer und Gesellschafter der HMP Beratungs GmbH

Whitepaper der Autoren Michael Bartz und Thomas Schmutzer zum Thema „New World of Work“ veröffentlicht, dass hier zum Download bereitsteht (si-ehe „Materialien“):http://www.homeofficeday.at/ Kontakt Prof. (FH) DI Dipl.-Wirtsch.-Ing. Michael Bartz, Prof. IMC FH Krems:[email protected]@fh-krems.ac.at

Mag. Thomas Schmutzer, CMC, ist Geschäftsführer und Gesellschafter der HMP Beratungs GmbH (www.hmp-

consulting.com), einem internationa-len Beratungsunternehmen. Die Firma ist spezialisiert auf Technologie- und Organisationsberatung aus einer Hand mit dem Beratungsschwerpunkt „New World of Work Unternehmenstransfor-mation“. Die HMP Beratungs GmbH hat eine langjährige Kooperation mit dem New World of Work Forschungs-zentrum der IMC FH Krems. Ziel ist die Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und innovativer Techno-logie- und Organisationsberatung. Schmutzer hält internationale Vor-träge, bloggt regelmäßig unter www.

thomasschmutzer.com, schreibt Ko-lumnen und ist seit vielen Jahren Jury-mitglied des Ebiz Awards Österreichs.Alljährlich führen HMP und das New World of Work Forschungszentrum der IMC FH Krems eine New World of Work Studie durch. Erste Ergebnisse der diesjährigen New World of Work Studie sind unter dieser URL verfüg-bar:http://www.hmp-consulting.com/de/aktuelles/Kontakt Mag. Thomas Schmutzer,CMC Geschäftsführer und Gesellschafter der HMP Beratungs GmbH:[email protected]

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Martina Hartner-tiefenthaler

Für manche ein Segen, für andere ein Fluch

Die Chancen und risiken der Flexibilisierung der Arbeit Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit bringt wesentliche Veränderungen für die Arbeitswelt. Neben flexibleren Arbeitsverhältnissen für Beschäftigte, wird auch das tägliche Arbeiten flexibler. In den Medien spiegelt sich diese Ver-änderung der Arbeit durch Begriffe wie „New ways of working“, „New World of Work“, „Das Neue Arbeiten“, „mobile working“ und „nomad working“ wieder. Im Wesentlichen verbirgt sich hinter diesen Begriffen die Möglichkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologien – selbst entscheiden zu können wann und wo sie arbeiten (Demerouti, Derks, ten Brummelhuis & Bakker, 2014). Wie verbrei-tet diese neue Arbeitsform tatsächlich ist, ist jedoch schwer zu sagen. Einer deutschen Studie zufolge arbeiten bereits 31% der Berufstätigen mehrere Tage pro Woche zu Hause (Bitkom, 2013). Arbeit findet aber auch im Zug, Auto, Hotel, Flugzeug, im Café oder Restaurant statt. Aktuelle und repräsentative Zahlen für Österreich fehlen noch. Eine aktuelle Studie (ww3.unipark.de/uc/nww) ist dabei, repräsentative Daten auch für den österreichischen Raum zu sammeln. Um die Potentiale des flexiblen Arbeitens wirklich gut ausschöpfen zu können, bedarf es allerdings sowohl auf Arbeit-geberseite als auch auf Seiten der Beschäftigten grundlegender Anpassungen. Führungskultur, Teamklima und Tech-nologienutzung müssen den geänderten Kommunikationsanforderungen gerecht werden.

Die Veränderung der Kommunika-tion

Durch die Flexibilisierung verändert sich die Kommunikation zwischen Kol-leginnen und Kollegen, aber auch mit den Vorgesetzten wesentlich, da nicht mehr von einem regelmäßigen persön-lichen Kontakt im Büro ausgegangen werden kann. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter montags und dienstags und seine Kollegin donnerstags und freitags im Homeoffice ist, kann es sein, dass sich der direkte Kontakt die-

ser beiden auf maximal einen Tag pro Woche beschränkt. Bedenkt man nun, dass dieser eine Tag häufig mit Bespre-chungen verplant ist, ist es naheliegend, dass sich mit einer Transformation in Richtung flexibleres Arbeiten auch das Kommunikationsverhalten zwischen Kollegen und Kolleginnen verändert. Elektronische Kommunikation wird essentiell und damit zum wesentlichen Erfolgsfaktor.

Der Umgang mit Videokonferenz-systemen und anderen gängigen Werk-zeugen sollte zur Selbstverständlichkeit

werden. MitarbeiterInnen müssen die Vorzüge und auch Nachteile der ver-schiedenen Kommunikationsmedien kennen, um diese optimal nutzen zu können. Beispielsweise kann ein Chat sehr effizient für kurze dringende An-fragen verwendet werden. In einer un-serer Studien zur Evaluationsmessung formulierte es ein Mitarbeiter einer IT-Firma im Interview folgendermaßen: „Ich verwende den Chat wenn ich eine dringende Information eines Kollegen be-nötige. Chat ist der... nein, der schnellste Weg ist es natürlich nicht, aber, wissen Sie,

Foto: Alessandro Wärzner

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manchmal kann man sehen wer verfügbar ist und wer nicht.“ [Übersetzung der Auto-rin aus dem Englischen]. Dabei wird ein wesentlicher Vorteil des Chats im Ver-gleich zum Telefon angesprochen: Die Verfügbarkeit ist durch den Online-Sta-tus sichtbar. Außerdem ist die schrift-liche Anfrage weniger invasiv, da eine kurze Nachricht, wann man antworten wird, gegeben werden kann. Damit ein Chat effektiv genutzt werden kann, müssen sich allerdings alle im Team konsequent elektronisch anmelden und rasch auf Anfragen reagieren. Zur Klärung komplizierter Sachverhalte ist ein Chat hingegen weniger geeignet.

Eine Schattenseite der vermehrten elektronischen Kommunikation ist die Beeinträchtigung der spontanen, informellen Kommunikation. Ein kurzes Plaudern bei der Kaffeemaschi-ne über aktuelle Problemstellungen im Job kommt nun nicht mehr zufällig zustande. Diese direkte, persönliche Kommunikation ist allerdings gera-de für den Vertrauensaufbau und die Innovationsfähigkeit von Mitarbeite-rInnen wesentlich. Außerdem können Missverständnisse und Unstimmig-keiten durch direkte Kommunikation einfacher geklärt werden wie auch ein Mitarbeiter einer IT-Firma in unserer Studie betont: „Der große Nachteil dieses neuen Konzepts ist, dass wir uns nicht täglich treffen, sodass die Konflikte nicht mehr so einfach wie vorher gelöst werden können.” [Übersetzung der Autorin aus dem Englischen].

Oft verändert sich mit der redu-zierten Anwesenheit der Mitarbei-terInnen auch die Bürolandschaft, da Schreibtische nun weniger intensiv verwendet werden und ungenützte Büroflächen entstehen. Es werden soge-nannte flexible Bürokonzepte (auch be-kannt als „flexible office concepts“ oder „nicht-territoriale Arbeitswelten“) ein-gerichtet. Das bedeutet, dass innerhalb eines Büros verschiedene Arbeitsumge-bungen zur Verfügung gestellt werden, welche unterschiedliche Arbeitstätig-keiten, wie beispielsweise Informations-austausch oder Konzentration, optimal unterstützen sollen. Je nach Bedarf und Tätigkeit können die MitarbeiterInnen frei wählen welchen Arbeitsplatz sie verwenden („hot-desking“). Dadurch verlieren sie jedoch einen ihnen zuge-wiesenen persönlichen Arbeitsplatz.

Das hat Vor- und Nachteile: Im Ver-gleich zu herkömmlichen Großraum-büros bergen die neuen Konzepte die Möglichkeit bei Bedarf ruhige Plätze für konzentrierte Arbeit aufzusuchen. Im Vergleich zu kleineren Büros ver-bessert sich die Kommunikation (vor allem außerhalb des Kernteams), da es weniger räumliche Barrieren zwischen MitarbeiterInnen gibt.

Eine großangelegte Londoner Studie von Millward, Haslam und Postmes (2007) bestätigt, dass jene MitarbeiterInnen, die keinen zuge-wiesenen Arbeitsplatz hatten, im Ver-gleich zu MitarbeiterInnen mit zuge-wiesenem Arbeitsplatz mehr Wert auf elektronische Kommunikation legten. Außerdem identifizierten sich die Mit-arbeiterInnen ohne zugewiesenen Ar-beitsplatz stärker mit der Organisation als mit dem Team während sich die MitarbeiterInnen mit zugewiesenem Arbeitsplatz stärker mit dem Team als mit der Organisation identifizierten. Wenn MitarbeiterInnen vermehrt mit anderen KollegInnen (als ihren Team-kollegInnen) kommunizieren, sind di-ese präsenter und somit tritt die Team-zugehörigkeit in den Hintergrund.

Wesentlich für den Erfolg dieser neuen Bürokonzepte ist allerdings die optimale Nutzung. Durch die Ver-änderung des Bürokonzepts werden MitarbeiterInnen vor neue Heraus-forderungen gestellt, da sich ihre über die Jahre etablierten Strukturen und Routinen am Arbeitsplatz verändern sollen. Erste Studien zeigen, dass Mit-arbeiterInnen eher nach persönlichen Präferenzen agieren, wodurch die fle-xiblen Bürokonzepte oft kritisch beur-teilt werden (Appel-Meulenbroek, Gro-enen & Janssen, 2011). Gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass die Verän-derung nicht einfach top-down erfolgt, sondern im Einklang mit den organisa-tionalen Vorbedingungen partizipativ erarbeitet werden. Um möglichst effek-tiv und effizient zusammenarbeiten zu können, müssen Regeln vereinbart und auch eingehalten werden.

Die Herausforderungen an die Füh-rung

Bei der Einführung von flexiblen Ar-beitsformen sind jedoch nicht nur die MitarbeiterInnen gefordert. Beson-

ders Führungskräfte müssen sich an die neuen Gegebenheiten gewöhnen. Denn ist es nicht mehr möglich, die eigenen MitarbeiterInnen im persön-lichen Gespräch anzuleiten und einen Überblick über die jeweilige Arbeitsbe-lastung zu haben. Führungskräfte sind herausgefordert, sicherzustellen, dass die Produktivität der MitarbeiterInnen durch die gewonnene Autonomie nicht leidet, ohne an die persönlichen Gren-zen gehen zu müssen.

Oft befürchten Führungskräfte, dass ihre MitarbeiterInnen ohne direkte Kontrolle ihre Leistungen reduzieren könnten. Ein Weg, diese Unsicherheit zu reduzieren, ist elektronische Beo-bachtung. Für WissensarbeiterInnen wird dazu häufig – implizit oder ex-plizit – der Anmeldestatus bei In-stant Messaging Systemen verwendet. VertriebsmitarbeiterInnen oder Ser-vicetechnikerInnen mit KundInnen-kontakt können durch GPS-Signale verfolgt werden oder müssen ihre erle-digten Aufträge nach Beendigung so-fort elektronisch übermitteln. Dies ist eine Möglichkeit der Sicherstellung der Produktivität, die aber eine klare Vor-stellung über das gewünschte Verhalten voraussetzt, und nicht unbedingt auf Vertrauen in die MitarbeiterInnen be-ruht. Interpretieren MitarbeiterInnen diese Maßnahmen als Zeichen des Misstrauens, reduzieren sie ihr Engage-ment und finden Wege, der Kontrolle zu entgehen.

Eine andere Möglichkeit der Steue-rung ist eine gemeinsame Zielverein-barung. Wenn Vorgesetzte mit ihren MitarbeiterInnen Ziele über das ge-wünschte Ergebnis vereinbaren, schafft dies die Möglichkeit, Leistung über Er-gebnisse festzustellen. Eine Kontrolle der investierten Zeit oder eine Kontrol-le der Anwesenheit wird überflüssig. Die gewünschten Ergebnisse müssen dabei jedoch definierbar und messbar sein. Dass damit auch die Führungs-arbeit verändert wird, fasst eine Inter-viewpartnerin einer halböffentlichen Organisation folgendermaßen zusam-men: „Es werden auch die Führungskräfte vor andere Aufgaben gestellt. Sie werden gezwungen, den Mitarbeitern mehr zu vertrauen. Sie müssen aber, glaub ich, auch die Arbeitspakete anders verteilen.“.

Die Führungskräfte sind also gefor-dert, sich an die neuen Gegebenheiten

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anzupassen, und ihre Art der Führung zu überdenken.

Auswirkungen von flexiblen Arbeiten

Die Vor- und Nachteile für flexibles Ar-beiten sind vielfältig – es birgt Chan-cen und Risiken. Die direkt messbaren Auswirkungen für den Arbeitgeber be-treffen die Kostenersparnisse für die In-frastruktur (z.B. Raum-, Energie- und Reinigungskosten) aufgrund der gerin-geren Anzahl an anwesenden Mitarbei-terInnen. Für die ArbeitnehmerInnen stehen die Ersparnisse an Zeit und Geld für das Pendeln im Vordergrund, was sich unter anderem positiv auf die Umwelt auswirkt.

Neben diesen harten Fakten, gibt es Studien zum Einfluss der Flexibilisie-rung auf die Produktivität der Mitar-beiterInnen, die jedoch zu unterschied-lichen Ergebnissen kommen. Fasst man diese Studien in einer Meta-Studie zusammen, so zeigt sich insgesamt eine leichte Tendenz zu Leistungsstei-gerungen und einer erhöhten Bindung zum Unternehmen (Martin & MacDon-nell, 2012). Dieser Effekt wird durch die soziale Austauschtheorie (Blau, 1964) erklärt. MitarbeiterInnen erleben die gewonnene Selbstbestimmung in ihrer Arbeit positiv und investieren in Folge mehr Zeit und Energie in ihre Arbeit, was sich positiv auf ihre Leistung aus-wirkt. So meint zum Beispiel ein Inter-viewpartner, dass er abends noch öfters in seinen E-Mailaccount schaut, um zu sehen, ob etwas Wichtiges gekommen sei, weil „wenn ich zu Hause arbeite, muss ich natürlich auch was bringen“.

Ein weiterer Vorteil der Selbstbe-stimmung ist die bessere Vereinbar-keit von Beruf und Familie. Die Arbeit kann dadurch einfacher auf private Bedürfnisse abgestimmt werden und Betreuungspflichten kann besser nach-gegangen werden. Dies führt allerdings auch dazu, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend verschwimmen, wodurch Konflikte innerhalb der Familie begünstigt wer-den. Außerdem entsteht oft eine Men-talität, rund um die Uhr verfügbar zu sein und innerhalb kürzester Zeit auf E-Mails zu antworten. Das kann letzt-lich zu einer Überforderung, Stress und Burnout führen. Daher sind das „psychologische Abschalten“ und die

Erholung wesentlich und erfordern be-sondere Beachtung.

Fazit: Flexibles Arbeiten ist nicht für jeden etwas und verändert das Teamklima

Insgesamt kann gesagt werden, dass die Flexibilisierung und damit die zu-nehmende Autonomie für die Beschäf-tigten durchaus Vorteile bringen kön-nen. Allerdings ist das flexible Arbeiten nicht für jedeN gleich gut geeignet. Wesentlich ist, dass die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen im Einklang mit den organisationalen Erfordernissen stehen müssen. Denn es bedarf sowohl organi-sationaler Voraussetzungen (z.B. tech-nisches Equipment, Teamklima und Organisationskultur) als auch selbst-regulativer Kompetenzen von Mitar-beiterInnen, deren Beachtung nicht vernachlässigt werden dürfen. Daher ist es besonders wichtig, vor der Trans-formation zu überlegen, ob die Voraus-setzungen gegeben sind.

Außerdem wäre es wichtig, sich die Auswirkungen der Veränderung kon-tinuierlich anzusehen, um gegebenen-falls steuernd einzugreifen. Dazu bietet sich beispielsweise der Teamklimafra-gebogen für neues Arbeiten der TU Wien an.

Darüber hinaus haben wir für Sie eine Checkliste erstellt, die Ihnen bei der Transformation zu flexiblen Ar-beitsformen helfen kann:

Überlegungen vor der Einführung

Wer soll flexibel arbeiten? � - Welche Tätigkeiten sind für flexibles Arbeiten geeignet? - Welche Personen können flexibel arbeiten? - Gibt es Zielvereinbarungen für diese ArbeitnehmerInnen?

Womit soll gearbeitet werden? � - Ist die vorhandene Infrastruk-tur und technische Ausrü-stung ausreichend und passend? - Ist die Datensicherheit gewährleistet? - Welchen Mindeststandard wollen wir? - Verwenden MitarbeiterInnen ei-gene private Geräte für ihre Arbeit? - Beteiligen wir uns an den zusätzlichen Kosten, die den MitarbeiterInnen für das Arbeiten zu Hause entstehen?

Wie wird das Büro angepasst? � - Welche Arbeiten führen wel-che MitarbeiterInnen aus? - Welche Arbeitszonen brauchen wir? - Wie viele MitarbeiterInnen werden voraussichtlich gleich-zeitig im Büro arbeiten? - Wie viel Platz für Arbeitsplätze / Stau-raum / Besprechungen wird benötigt? - Wie können wir die vorhan-denen Dokumente digitalisieren?

Wie werden wir zusammenarbei- �ten?

- Welche Tools verwenden wir? - Wie schnell muss auf Anfragen per Mail / Chat geantwortet werden? - Gibt es eine Mindestanwesenheit? Wenn ja, wie viele Tage / Stunden? - Wie signalisieren wir Anwe-senheit und Verfügbarkeit? - Wie erfolgt die Zeitaufzeichnung? - Wie können wir auch die Füh-rungskräfte auf ihre neue Aufga-be vorbereiten und unterstützen?

Wie informieren wir? � - Wie können die Mitarbei-terInnen bei den Entschei-dungen eingebunden werden? - Wie können die MitarbeiterInnen ausrei-chend und frühzeitig über die geplanten Veränderungen informiert werden? - Wer ist für die interne (und ex-terne) Kommunikation zuständig? - Wie erlernen unsere MitarbeiterInnen die Funktionen und Regeln zu den Ar-beitszonen?

Überlegungen, deren Passung konti-nuierlich evaluiert werden sollte

Ist die Führungs- und Organisati- �onskultur für new ways of working geeignet? Wie passend sind die vereinbarten �Regeln? Brauchen wir Adaptionen?Werden die Arbeitszonen ihrem ur- �sprünglichen Zweck entsprechend genutzt? Wenn nein, was sind die Ursachen dafür?Wie stellen wir sicher, dass die spon- �tane, informelle Kommunikation aufrecht erhalten bleibt?Wie stellen wir sicher, dass die Mit- �arbeiterInnen zwar konsequent arbeiten, aber sich auf der anderen Seite nicht selbst ausbeuten?

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toP-tHEMA

Mag.rer.nat. Dr.phil.

Martina Hartner-

tiefenthaler, BA

Universitätsassistentin Inst. f. Management-wissenschaften, Ar-beitswissenschaft und organisation, tU Wien

Autorin:

Martina Hartner-Tiefenthaler ist Uni-versitätsassistentin und Habilitandin am Institut für Managementwissen-schaft, Arbeitswissenschaft und Orga-nisation. Sie studierte Management, Business und Administration am New College Durham (UK) sowie Psycho-logie an der Universität Wien, wo sie 2010 promovierte. Von 2012 bis 2013 war sie als Gastprofessorin für Lehre und Diplomarbeitsbetreuung an der Universität Wien im Bereich Wirt-

schaftspsychologie tätig. In ihrer ak-tuellen Forschung beschäftigt sie sich sowohl mit den psychologischen als auch den orga-nisationalen Ein-flussfaktoren des flexiblen Arbeitens und entwickelte einen Teamklima-fragebogen für fle-xibles Arbeiten.

Call for Papers

themenschwerpunkt: recht am Bau

in WINGbusiness 04/2015

Beschreibung

Für die Dezember-Ausgabe laden wir Sie herzlich ein, Beiträge zum The-menschwerpunkt „Recht am Bau“ einzureichen. Von Interesse sind Artikel zu Pro-jekten und Forschungstätigkeiten, die sich mit rechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit der Abwicklung von Bauprojekten ergeben. Fokus des Themenschwerpunktes sind sowohl die Ausschreibung und das Vergabe-recht, als auch bauvertragliche und bauwirtschaftliche Fragestellungen (Mangel und Gewährleistungsrecht,

Übergabe der Leistung, nachträgliche Änderungen, Leistungsanordnungs-recht des Auftraggebers, Risikozuord-nung, etc.), ebenso Themen wie Haf-tung, Patentrecht, Unternehmensrecht, Arbeits- und Sozialrecht.

Es können zwei unterschiedliche Bei-tragsarten übermittelt werden:

Die Verfassung eines Textes als Be- �richt aus der Praxis.Die Einreichung eines wissenschaft- �lichen Beitrages in Form eines wis-senschaftlichen Papers (WINGPaper mit Reviewverfahren; die Ergebnisse des Reviewverfahrens erhalten Sie

4-8 Wochen nach der Einreich-frist).

Hinweise für AutorInnen: Vorlagen zur Erstellung eines WING-Papers und konkrete Layout-Richt-linien sind als Download unter http://www.wing-online.at/de/wing-business/medienfolder-anzeigen-preise/ oder unter der e-mail [email protected] verfügbar.Bitte senden Sie Ihre Beiträge als PDF an [email protected].

Annahmeschluss: 27.10.2015

Schwerpunkt-themen WINGbusiness 2015

Heft 03/2015: „Innovation Strategy“

Heft 04/2015: „recht am Bau“

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toP-tHEMA

Franz Kühmayer

Das Ende der Anwesenheitspflicht Szenario-orientiertes Arbeiten macht aus grauen Büros Orte der Vielfalt. Und fordert einen tiefgreifenden Wandel der Unternehmenskultur.

„Die Geschichte des Büros ist die Ge-schichte des Duplizierens, Einord-

nens, Abrufens, Wiederauffindens. Das Büro ist das Gedächtnis des Unterneh-mens”, konzediert die NZZ1. Und in der Tat reflektieren aktuelle Arbeitsum-gebungen recht treffend die transakti-onsorientierte Arbeitswelt des frühen Wissenszeitalters, das von Routine, klar definierten Prozessen und stabilen Strukturen geprägt ist.

Der Erfolg der Zukunft wird jedoch weniger von einer guten Gedächtnislei-stung abhängen, als vielmehr von einer guten Innovationsleistung. Zukunftso-rientierte Arbeitsumfelder fokussieren weniger auf Struktur und Ordnung als vielmehr auf Kreativität und Innovati-on.

Third Place Working

Doch wozu überhaupt ins Büro gehen? In der Vergangenheit war es notwen-dig, ins Büro zu gehen (“in die Arbeit zu fahren”!), weil dort die Produktions-mittel des Wissensarbeiters versammelt waren: Akten, Schreibmaschine, Tele-

1 Hans Peter Treichler, Vom Kontor zum Office, in: Neue Zürcher Zeitung Folio, Oktober 2003

fon. All das passt heute in die Hosen-, oder zumindest in die Aktentasche: Mobilen Devices und permanent ver-fügbarem Datenzugriff sei Dank. Für individuelle Produktivität suchen im-mer weniger Menschen das Büro auf – im Gegenteil: Wer in Ruhe und konzen-triert an etwas arbeiten möchte, wählt dafür eher Randzeiten, um ungestört arbeiten zu können, oder entzieht sich dem Trubel gleich durch Büroflucht ins Home Office. Ins Büro fährt man für Meetings, formelle und informelle Besprechungen und um dem Sozialsy-stem des Unternehmens verbunden zu bleiben. Konsequenz: Tendenziell leere Schreibtische und permanent über-buchte Besprechungsräume.

Hinzu kommt: Nur 6 % geben von sich an, ihre besten Ideen am Arbeits-platz zu haben – zum Vergleich: 14 % nennen Dusche oder WC2. Kreativität ist ein individuell sehr unterschiedlich ausgeformtes Prinzip: Der eine braucht Ruhe, Abgeschiedenheit zum Nach-denken, der andere findet Musik und bunte Umgebungen hilfreich; der eine denkt am besten alleine nach, der an-

2 Robert Gerlach, Alexander Greiling, Johannes Thürich, Ideenfindung, iQu-do, 2010

dere sucht den Austausch mit anderen Menschen; manche haben beim Sport ihre Eingebungen, andere inspiriert die geschäftige Athmosphäre eines Kaffee-hauses. Anders als im klassischen Tay-lorismus gilt in der Innovationsgesell-schaft das Prinzip des “One best way”, also der definierbar besten Methode zu einem bestimmten Ergebnis zu kom-men, nicht mehr.

Flexibles Arbeiten hinterfragt somit nicht nur die tradierte Rolle des Büros als Arbeitsort, sondern schafft auch Freiheitsgrade zur Arbeitserbringung an unterschiedlichen bzw. allen Orten. Mit dem Begriff „Third Place Working” wird das Arbeiten an vom Mitarbeiter selbstgewählten Orten, außerhalb von Büro (First Place) und zu Hause (Se-cond Place) bezeichnet.

Während also Überlegungen zu in-novativen Büroumgebungen vielfach bei Facility-Kosten ihren Ausgangs-punkt nehmen, geht es doch um viel mehr, als nur Flächeneffizienz.

Szenario-orientierte Arbeitswelten

Wo sich Desksharing-Konzepte nicht primär am geringeren Platzbedarf ori-entieren, setzt sich ein differenzierteres

Foto: Fotolia

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Bild über die Gestaltung zukünftiger Büros durch. Dort geht es nicht da-rum, an der Zahl der Schreibtische zu sparen, sondern eine vielschichtige Ar-beitswelt zu erschaffen.

In vielen Projekten, die wir als Bera-ter begleiten, ist es uns zwar gelungen, die Bürofläche zu reduzieren und die Anzahl der fixen Schreibtische zum Teil deutlich zu verringern - doch schaf-fen wir gleichzeitig mehr Arbeitsorte, als das Unternehmen am jeweiligen Standort Mitarbeiter hat.

Der Grund liegt darin, dass das Konzept der szenario-orientierten Ar-beitswelt mit zwei Konzepten bricht: Einerseits mit dem klassischen Büro-Dualismus, der Arbeit nur entweder am Schreibtisch oder im Besprechungs-raum verortet; und andererseits mit der Territorialität, die Mitarbeitern fest zu-gewiesene Arbeitsplätze zuordnet und damit auch die Aufbauorganisation in der Hierarchie abbildet: Abteilung X ist im 2. Stock, Abteilung Y im 3. Stock.

Die zentrale Frage lautet stattdessen: Welche Arbeitssituationen erleben wir in Unternehmen, und wie müssen Ar-beitsumgebungen gestaltet sein, um sie bestmöglich zu unterstützen? Entlang dieser Fragen entstehen Cafeterias und Loungebereiche, wo viel informeller Austausch gefordert ist; Ruhe-Zonen, in denen nicht telefoniert oder gespro-chen werden soll, um Konzentration zu fördern; oder Call-Boxen, um vor-hersehbar lange Telefonkonferenzen durchzuführen, ohne andere Büroteil-nehmer zu stören oder als Einzelner einen ganzen Meetingraum dafür zu blockieren.

Die Flächen im Büro werden somit auf konkrete Arbeitssituationen hin entwickelt: Austausch, Kreativität, Ler-nen, Präsentieren, Kommunikation, Rückzug werden an unterschiedlichen Orten im Bürogebäude ermöglicht. Für Mitarbeiter kommt neben der zeit-lichen Planung ihres Bürotages noch die räumliche Planung hinzu: An wel-chem Ort im Büro kann ich die aktuell anfallende Aufgabenstellung am be-sten erfüllen?

Strukturierte Vorgehensweise: Mensch, Ort, Infrastruktur

Unternehmen fehlt häufig der struk-turierte Zugang: Pierre Audoin hat 2013 in einer Studie erhoben, dass eine

Workplace-Modernisierung zwar bei 85 Prozent der Unternehmen auf der Agenda steht, aber über 60 Prozent kei-ne Workplace-Strategie definiert haben .3 Dabei ist eine solche Strategie Grund-voraussetzung für eine gelungene Im-plementierung. Komponenten dafür entstehen aus dem Dreisprung Archi-tektur, Technologie und Organisation.

Anhand von Arbeitstypologien las-sen sich treffsichere Mengenabschät-zungen für unterschiedliche Arbeitsum-gebungen eruieren: Welcher Anteil der Arbeitnehmer braucht tatsächlich ei-nen festen Arbeitsplatz – etwa, weil die Mobilität in manchen Rollen schlicht-weg niedrig ist oder weil bestimmte Arbeitsplatzvoraussetzungen notwen-dig sind. Wer auch weiterhin viel mit Papier arbeitet, oder zwei große Moni-tore für seine Tätigkeit braucht, wird sich kaum mit dem iPad in die Lounge setzen und von dort arbeiten. Zudem muss die notwendige Technologie vor-handen sein – bspw. Mobile Devices, WiFi, Videokonferenz und Chat-Funk-tionen, Präsenzinformation zum leich-ten Auffinden von Mitarbeitern oder Sitzplatzreservierungssysteme.

Außerdem macht ein Regelwerk für die Bespielung der Räumlichkeiten Sinn, etwa: Wer seinen Arbeitsplatz längere Zeit nicht nutzt, soll ihn räu-men (Clean Desk Policy). Diese Spielre-geln werden in enger Abstimmung mit dem Projektteam vor allem von den Mitarbeitern selbst entwickelt – eine Grundvoraussetzung für langfristiges Einhalten.

Und schließlich geht es um die Frage der Führung und der Unternehmens-kultur: Wie vertraut sind Manager mit solchen Arbeitskonzepten, wie sehr agieren sie als Vorbilder? Und: Wie sen-sibel sind sie auch jenen Mitarbeitern gegenüber, die gewonnene Freiheits-grade nicht ausschließlich positiv be-urteilen, sondern auch als Verlust von Stabilität wahrnehmen, der sie unter Stress setzt?

Denn damit die Chancen auch tat-sächlich ausgeschöpft werden können, ist die rechtzeitige Auseinandersetzung mit möglichen Problemen wichtig. Dazu gehört etwa die Herausforde-

3 Pierre Audoin Consultants, Deutsche Unternehmen stehen bei der Work-place-Modernisierung in den Startlö-chern, 2013

rung, Leitlinien und Erwartungshal-tungen nicht nur formuliert, sondern auch in allseitigem Verständnis veran-kert zu haben. Oder das Anerkennen, dass die Auflösung von gemeinsamen Arbeitsorten und -zeiten potentiell auch zur Reduktion von sozialem Austausch und geringerer Kohäsion führen kann. Bis hin zur Schwierig-keit für Führungskräfte, Mitarbeitern Feedback oder Leistungsbeurteilungen zu erteilen, die nur selten in der persön-lichen Beobachtung stehen.

Die Erfahrungen aus Praxisbeispie-len zeigen, dass diese Risiken bei zielge-richteter Bearbeitung gut eingedämmt und überwunden werden können. Ein geeignetes Vorgehensmodell bei der Gestaltung von Kult-Büros umfasst da-her insbesondere auch diese Faktoren. Mit Architektur alleine ist es jedenfalls im Büro der Zukunft nicht getan – sie untermauert vielmehr die Kompetenz und Haltung von Führungskräften.

In der Traumbürofalle

Was auf den ersten Moment glänzt, muss nicht tatsächlich vorbildlich sein. Das zeigen die Innovationsführer im Si-licon Valley, die an ihren Arbeitsstätten mittlerweile weit über eine hierzulande übliche Grundversorgung ihrer Beleg-schaft hinausgehen: Im Traumbüro an der US-Westküste wird den Mitarbei-tern die Putzfrau bezahlt, es gibt natür-lich eine Mitgliedschaft im Fitnessclub (bzw. ist das Fitness-Center ins Büro-gebäude integriert), Pilates-Angebote, Maniküre und Pediküre, einen Reini-gungsservice für Kleidung und Autos, ein Handwerkerservice für zu Hause, Kinderbetreuungseinrichtungen, ei-gene Pendlerdienste (natürlich mit WLAN an Bord) – alles kostenlos oder subventioniert.

Inzwischen hat das Angebot die Schwelle des Reizvollen überwunden und ist schon zur Voraussetzung ge-worden, um als Arbeitgeber überhaupt in Betracht gezogen zu werden. „Min-desteinsatz“ sei all das, sagte eine Füh-rungskraft des Softwareunternehmens Autodesk in einem Gespräch mit dem Manager Magazin4.

Im Silicon Valley zeigt sich die Speer-spitze des Kampfes um die besten Ta-

4 Tal der Rücksichtslosen, in: Manager Magazin, Mai 2014

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Franz Kühmayer

Geschäftsführender Gesellschafter des Consultingunterneh-mens KSPM und trend-forscher am Zukunfts-institut

lente. Wie unter einem Brennglas lässt sich hier studieren, zu welchen Mitteln Unternehmen greifen, um Mitarbeiter anzuziehen, zu halten und zu Höchst-leistungen zu treiben. Denn diese Maß-nahmen sind selbstverständlich keine Wohlfühlprogramme von selbstlosen Firmen: „All diese Annehmlichkeiten erleichtern unser Leben, so sind wir weniger abgelenkt“, erklärt eine Mitar-beiterin bei Evernote. „Wenn wir nicht daran denken müssen, dass wir täglich drei Stunden unproduktiv im Auto im Stau stehen oder dass wir am Abend noch die Wohnung reinigen sollten, sind wir entspannter und können uns mehr auf die Arbeit konzentrieren.“4

Neben dem Aspekt des Employer Bran-dings sind also auch ganz klar produk-tivitätssteigernde Effekte eingerechnet.

Zu den Arbeitsbedingungen hinzu kommt die atemberaubende Architek-tur. Ob Google Campus oder Apple Raumschiff: Die Gebäude der IT-Rie-sen haben so gar nichts mehr mit dem klassischen Verständnis von Büroarchi-tektur zu tun. Je nach persönlichem Geschmack werden sie als Vorbild be-staunt, oder mit mildem Unverständnis betrachtet. Braucht ein modernes Büro wirklich eine eingebaute Rutsche und Seilbahnkabinen als Meetingräume? Und ist künftig zu erwarten, dass ein Kandidat für einen Job als Lohnbuch-halter in einem mittelständischen eu-ropäischen Betrieb beim Bewerbungs-gespräch nach dem firmeneigenen Pediküre-Service fragt?Die Antwort lautet: Nein – und das ist doppelt gut so.

Denn einerseits passen die hyper-modernen, durchdesignten Büro-landschaften durchaus nicht auf jede Branche und schon gar nicht auf jede Unternehmenskultur. Wer auf solche Projekte schielt, sollte sie nicht als Vor-zeigeprojekte einordnen und zu kopie-ren versuchen, sondern sie als Inspirati-onsquelle für die entscheidende Frage heranziehen: Wie wird unser Büro zu einem Kult-Ort, der unsere eigene Ge-schichte ausdrückt, unsere Zukunfts-visionen symbolisiert und unseren Mitarbeitern eine optimale Umgebung bietet, um die besten Ergebnisse zu erreichen? Ein tiefes Erspüren der Fir-menkultur ist ebenso Grundvorausset-zung für die Schaffung einer optimal passenden Arbeitsumgebung, wie der ernsthafte Wunsch, der Identität des

Unternehmens auf die Spur zu kom-men.

A n d e r e r s e i t s zeigen Büros, die als nahezu herme-tische Lebenswelt entworfen werden, auch die Schatten-seiten der neuen Arbeitswelt auf. Wird der Arbeits-platz immer mehr zum Zuhause, und löst sich damit die durch Technologie ohnehin schon fließende Grenze zwi-schen Arbeitsleben und Privatleben vollends auf, wird die Arbeitsumge-bung zur Lebensumgebung. Wer nicht nur den überwiegenden Anteil seiner Wachzeit im Büro zubringt, sondern es auch als Mittelpunkt seines Soziallebens positioniert, empfindet das möglicher-weise im Augenblick als praktisch und bequem. Spätestens mittelfristig leidet der Mensch in einem solchen Soziotop aber an emotionaler Entfremdung und sozialer Verarmung. Aus dem Traum-büro wird auf diese Weise eine perfi-de Falle. Denn in letzter Konsequenz führt es dazu, dass Mitarbeiter in einer eigenen Blase arbeiten und leben und vom Alltag “da draußen” abgekapselt sind. Damit verkümmert nicht nur der Mensch, sondern auch die Inspirations-quelle für neue Ideen und der Bezug zu Markt und Kunden.

Kultstätte statt Traumbüro

Das Büro der Zukunft wird neben seinen funktionalen Aufgaben vor allem die Identifikation mit dem Un-ternehmen erfüllen müssen. Dabei geht es aber nicht nur um die Sichtbar-machung von Marke nach innen und außen – Branding alleine reicht nicht aus.

Viel mehr geht es darum, einen Raum zu erzeugen der die Unterneh-menskultur widerspiegelt und prägt, Begeisterung erzeugt und Innovations-kraft fördert. Es geht nicht um Ober-flächlichkeiten und Gestaltung als Zierde, sondern um ein tiefgreifendes Verständnis für das Beziehungs- und Handlungsgeflecht in einem Unter-nehmen. Im Wandel der Arbeitswelten wird der Kultfaktor zum entschei-denden Element, da sich vor allem die-

besten Köpfe durch das Meta-Design eines Ortes angezogen fühlen. Das Büro der Zukunft soll bei aller Funk-tionalität vor allem auch attraktiv wir-ken, ein ikonischer Ort sein, und an dem man sein „muss“. Gelingen kann dies nur im Zusammenspiel zwischen Architektur und Leadership.

Autor:

Franz Kühmayer gilt als einer der eu-ropäischen Vordenker für die Themen Zukunft der Arbeit und Leadership. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter des Consultingunternehmens KSPM und Trendforscher am Zukunftsin-stitut. In diesen Rollen berät er Ent-scheidungsträger renommierter Orga-nisationen in Fragen der Gestaltung zukunftsorientierter Arbeitswelten. Zu seinen Kunden zählen u.A. Vodafone, Microsoft, Raiffeisen, REWE, Conti-nental und das Bundeskanzleramt der Republik Österreich. Darüber hinaus ist er Mitglied des Beirats der Initiati-ve Digitale Agenda der Europäischen Kommission in Österreich.

Kühmayer blickt auf langjährige Er-fahrung in internationalen Führungs-Positionen in Top-Konzernen zurück, hat in Boston, Paris und Wien gelebt und gearbeitet. Er lehrt an mehreren Hochschulen und publiziert regel-mäßig. Zuletzt erschienen sind “The Futurepreneur”5, “work:design - Die Zukunft der Arbeit gestalten”6 und “Leadership Report”7.

5 Franz Kühmayer et al, The Futurepre-neur, Verlag Junge Wirtschaft, 20116 Harry Gatterer, Franz Kühmayer, work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten, Zukunftsinstitut, 20127 Franz Kühmayer, Leadership Report, Zukunftsinstitut, 2014

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thomas Fundneider, Markus F. Peschl

Flexibles Arbeiten und Innovation:

Vom Home office zu Innovations-Ökosystemen

1.1 Management Summary

Das Konzept des flexiblen Arbeitens wird oft im Bereich der Fragen der work-life balance, home office, Virtuali-sierung der Arbeit, oder wellness disku-tiert. Diese z.T. arbeitspsychologischen Ansätze erachten wir als wichtig, wol-len jedoch einen Schritt weiter gehen: Was ist eigentlich das Ziel des flexiblen Arbeitens jenseits der Perspektive des Arbeitnehmers?

Wir schlagen einen Ansatz vor, in dem die Innovationsfähigkeit einer Or-ganisation im Zentrum steht und ent-wickeln daraus das Argument, dass fle-xibles Arbeiten hier eine zentrale Rolle spielt und darüber hinaus eine neue Bedeutung erlangt. Es geht um das zur Verfügung Stellen ermöglichender Arbeitsumgebungen, die Innovations-arbeit bestmöglich unterstützen (sog. Enabling Spaces). Dieses Konzept wird noch einen Schritt weitergetrieben, wenn man sich industrieübergreifende Innovations-Ökosysteme ansieht. Dies wird anhand eines Praxisbeispiels ex-emplifiziert.

1.2 Einleitung

In einer endlosen Reihe an Zukunfts-studien, Presseberichten, in Diskus-sionsrunden, etc. ist das Thema „Fle-xibles Arbeiten“ seit einigen Jahren omnipräsent. Auch wenn der Begriff von Personalentwicklern, Firmenchefs und Studienautoren unterschiedlich interpretiert wird, so stehen meist öko-nomische, organisationale, technolo-gische und gesellschaftliche Verände-rungen als Auslöser für die Forderung nach mehr Flexibilität im Arbeitsalltag dahinter (siehe z.B. Commission for Architecture and the Built Environ-ment, 2005; Coradi, Heinzen, & Bou-tellier, 2015; Malone, 2004; The B Team, 2015): technologische Entwicklungen ermöglichen, dass wir etwa mit „smart devices“ immer online sind und somit ortsungebunden arbeiten könn(t)en; die hierarchischen und prozessorientierten Strukturen klassischer Unternehmen stehen in Widerspruch zu der flexible-ren, offeneren und entrepreneurhaften Arbeitsweise der Generation „Y“ und „Z“; wirkungsvolle globale Zusammen-

arbeit erfordert agile, kleine(re) Teams, die nicht nur an einem Standort phy-sisch verortet sind, da die besten Per-sonen für ein bestimmtes Projekt meist über mehrere Standorte verteilt und je nach Aufgabe variabel sind.

Die treibenden Kräfte des flexiblen Arbeitens sind also bereits Realität – die daran anschließende Frage ist, wie Or-ganisationen darauf reagieren und was letztendlich das Ziel flexiblen Arbeitens sein soll. In der Wahrnehmung der Au-toren – sowohl im wissenschaftlichen Umfeld als auch in der unternehme-rischen Praxis – greifen viele Konzepte des flexiblen Arbeitens zu kurz, indem sie etwa auf Work-Life-Integration oder „well-being“ reduziert werden (The B Team, 2015). Diese Aspekte sind sicher-lich wichtig und berechtigt; sie treffen jedoch nicht den Kern, wenn es darum geht, notwendige Orientierung zu lie-fern, woraufhin örtlich und zeitlich flexibles Arbeiten im organisationalen Kontext führen soll. Home-Office, glei-tendes Arbeitszeitkonto, etc. können wichtige Bestandteile flexiblen Arbei-tens sein, wenn sie konsequent in das

Foto: theLivingCore

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organisationale Gesamtgefüge und -konzept integriert werden: so kann etwa bei einem Arbeitsplatz zu Hause viel Potential verloren gehen, wenn den Arbeitnehmern nicht klar ist, welche Arten von (Wissens-)Arbeit sich in die-sem Umfeld gut erledigen lassen und welche nicht. So kann etwa Konzeptar-beit gut oder besser von zu Hause aus gemacht werden, während Kreativpro-zesse mit Kollegen z.B. über Telefon-konferenzen zum Scheitern verurteilt sind. Flexibles Arbeiten setzt also so-wohl die organisationale Integration als auch eine höhere Eigenverantwor-tung des Mitarbeiters voraus.

1.3 Innovation und kreative Prozesse als Orientierung für flexibles Ar-beiten

Für den zweiten Aspekt in der oben aufgeworfenen Frage, das Ziel flexiblen Arbeitens, liefert der Bereich Innova-tion interessante Antworten. Denn Innovation ist aufgrund seiner Defi-nition „etwas Neues, das erfolgreich (Markt, Gesellschaft, etc.) ist“ (Dodg-son & Gann, 2010; Fagerberg, Mowery, & Nelson, 2006; Schumpeter, 1934) auf ein Ziel hin, nämlich das Neue und dessen erfolgreiche Implementierung, ausgerichtet. Anders formuliert, ist fle-xibles Arbeiten somit nicht bloß eine Reaktion auf gesellschaftliche und/oder technologische Trends, sondern eine Grundvoraussetzung dafür, dass Unternehmen erfolgreich Innovati-onen hervorbringen. Hierauf wird im Folgenden genauer eingegangen.

Wir verstehen Innovation als socio-epistemologischen Prozess (Peschl & Fundneider, 2008; Peschl, Raffl, Fund-neider, & Blachfellner, 2010). Das be-deutet, dass Innovation nicht als ein allgemeiner Wissensprozess betrachtet werden kann, sondern dass Innovation eine Reihe von unterschiedlichen epi-stemologischen und sozialen Prozessen involviert: z.B. von der Idee (und eigent-lich noch zeitlich davor, wie zum Bei-spiel die Exploration von Innovations-Themenfelder) über das Prototyping (Houde & Hill, 1997; Moggridge, Suri, & Bray, 2007) bis hin zur Realisierung (neues Produkt, neue Dienstleistung, neues Geschäftsmodell, etc.). Die invol-vierten (Wissens- und Sozial-)Prozesse, wie etwa ethnographische Kundenbe-obachtung, Konkurrenzanalyse, Ideen-

generierung, Markteintritt vorbereiten, etc. sind in ihrer Qualität, aber auch in ihren Anforderungen sehr unter-schiedlich und bedürfen dementspre-chender Arbeitsumgebungen, die wir als Enabling Spaces bezeichnen (Peschl & Fundneider, 2012, 2014a, 2014b). Für das Prototyping etwa werden großzü-gige Werkstätten benötigt, in denen z.B. Modelle, Produktprototypen, etc. rasch gebaut werden können; ethno-graphische Kundenbeobachtung kann nicht vom Schreibtisch aus durchge-führt werden – die Mitarbeiter müssen dorthin gehen, wo sich ihre Kunden/User aufhalten.

Durch den Begriff „socio“ wird die Bedeutung von sozialen Aspekten her-vorgehoben – es geht nicht so sehr um Techniken, Methoden, oder Kreativi-tät, sondern primär um Menschen, die profund denken, reflektieren und von sich selber Abstand nehmen können und die eine Haltung der Offenheit, der Demut und des Respekts vor dem Anderen einnehmen können. Es geht also um Fragen wie z.B., ob bestimmte Innovationsprozesse als Individuum, als Kleingruppe oder als Großgruppe durchgeführt werden sollen; anhand welcher Kriterien die besten Innova-tionsteams zusammengestellt werden können, etc. In diesem Kontext spielt das Vertrauen der Teammitglieder untereinander eine zentrale Rolle – demensprechend muss das Vorgehen gestaltet werden und dies hat direkte Auswirkungen auf flexibles Arbeiten.

Ein derart verstandener Innovati-onsbegriff macht deutlich, dass ein produktives Innovationssystem kein starres und festgeschriebenes Modell sein kann. Im Gegenteil, theoretische Überlegungen (Kauffman, 2014; Koppl, Kauffman, Felin, & Longo, 2014; Peschl & Fundneider, 2014a) ebenso wie erfolgreiche Unternehmen haben gezeigt, dass Innovation nicht mecha-nistisch – wie das Zusammensetzen der Bauteile eines Autos– „gemacht“ wer-den kann, sondern dass ermöglichende Rahmenbedingungen geschaffen wer-den müssen, die ein optimales Umfeld für gelungene Innovationsprozesse und -aktivtäten bieten.

Und dies hat direkte Auswirkungen auf die Gestaltung von Arbeitsumge-bungen und des Modus des flexiblen Arbeitens.

1.4 Flexibles und agiles Arbeiten als Enabler von Innovation

Wird Innovation als socio-epistemischer Prozess verstanden, so ist offensicht-lich, dass Flexibilität ein wichtiger Be-standteil von Innovationssystemen sein muss. Im Kern bedeutet Flexibilität „Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umstände“ Diese Anpassungsfähigkeit ist unbedingt notwendig und erforder-lich, damit das oben skizzierte Modell der ermöglichenden Rahmenbedin-gungen funktionieren kann.

Der interessante Twist, der sich durch die Zielorientierung von fle-xiblen Arbeiten durch Innovation er-gibt, ist, dass ein viel größerer Pool an Möglichkeiten für die Realisierung des Konzeptes des flexiblen Arbeitens zur Verfügung steht: es geht nicht mehr um die Frage, ob jemand etwa gerne im Home Office arbeitet, sondern da-rum, dass bestimmte Mitarbeiter in einem bestimmten Teilschritt des In-novationsprozesses (z.B. Research oder konzeptionelle Arbeit) spezielle (indi-viduelle) Räume benötigen – für eine Mitarbeiterin ist ein Home Office der ideale Ort, für einen anderen Mitar-beiter ist ein Co-working Mietplatz die bessere Alternative, und für eine dritte Mitarbeiterin ist die Arbeit im Kaffee-haus am produktivsten. In dieser Sicht des flexiblen Arbeitens geht es also um das zur Verfügung Stellen von Opti-onen, die den jeweiligen Wissens- und Sozialprozess am besten ermöglichen.

Losgelöst von Work-Life-Balance, etc. vermag das Innovationsthema auf diese Weise dem flexiblen Arbeiten eine neue Bedeutung zu geben: es geht im Kern um Flexibilität und Agilität in Wissens- und sozialen Prozessen, da diese, wie oben beschrieben, nicht im Detail im vorhinein determiniert und ausgeführt werden können. Flexibles Arbeiten ermöglicht Innovation (z.B. stellt 3M seinen Mitarbeitern 20% der Arbeitszeit für eigene Projektinteressen zu Verfügung – hieraus sind einige der erfolgreichen Produkte des Unterneh-mens entstanden). Es gibt jedoch kein allgemein gültiges Setting, sondern je nachdem wie das Thema Innovation in einer Organisation verstanden und realisiert wird, lassen sich unterschied-liche Designs für das flexible Arbeiten identifizieren und umsetzen.

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1.5 Flexibles Arbeiten zwischen Unter-nehmen – Einführung

Die beschriebene Flexibilität und Agi-lität kann einerseits innerhalb eines Unternehmens implementiert werden. Diesen Schritt sehen wir als wichtig und essentiell, um das Thema Innovati-on erfolgreich in das eigene Unterneh-men zu integrieren. Betrachtet man jedoch die wirklich großen Herausfor-derungen unserer Gesellschaft (Ener-gie, Artensterben, Umweltgifte, etc.), dann sind wir überzeugt, dass diese nur in der Zusammenarbeit von meh-rerer Organisationen und Institutionen gelöst werden können. Es stellt sich somit die Frage, wie flexibles Arbeiten über Organisationsgrenzen hinaus rea-lisiert werden kann. Nach einer kurzen geschichtlichen Einführung stellen wir ein Beispiel aus der Praxis vor, das auf diesen Prinzipien (Flexibilität, Agilität, Offenheit, Schnelligkeit, etc.) aufbaut und ein völlig neues Innovations-Ökosystem realisiert hat, das zu einem großen Teil auf den Ideen des flexiblen Arbeitens beruht.

In den vergangenen 30 Jahren lässt sich eine Entwicklung von Strukturen beobachten, die auf eine Erhöhung der Innovationsleistung durch die Beteili-gung mehrerer Organisationen ausge-richtet sind (Fagerberg et al., 2006). Die erste Form sind sogenannte Cluster. Hierbei handelt es sich um einen Zu-sammenschluss von industriegleichen Unternehmen, die alle in der Nähe an-gesiedelt sind, und die in einer hohen gegenseitigen Wettbewerbsdynamik stehen. Dementsprechend gering sind der Informationsfluss und die Inno-vationsleistung. Die nächste Entwick-lungsstufe wird als „value network“ be-zeichnet. Diese Struktur zeichnet sich vor allem durch ein kooperativeres Mo-dell aus. Unterschiedliche Industrien und Stakeholder partizipieren und das Netzwerk bekommt dadurch einen globalen Charakter. Die Informations-flüsse haben sich gegenüber dem ersten Modell verbessert, die Innovations-leistung ist aber immer noch gering. Die momentan neueste Form wird als „business oder innovation ecosystem“ bezeichnet. Die teilnehmenden Orga-nisationen sehen sich nicht mehr als Teil einer Industrie, sondern als Part-ner eines Ökosystems, in dem sie an bestimmten Stellen wertvolle Beiträge

liefern können. Das kooperative Mo-dell des value networks weicht einem „Co-opetition“-Modell des innovation ecosystems: je nach Projekt kann sich die Rolle einer beteiligten Organisa-tion von einem Kooperationspartner zu einem Konkurrenzunternehmen ändern. Dieser „gesunde Wettbewerb“ erzeugt hohe Informations- und Wis-sensflüsse, so dass dieser Ansatz auch die besten Innovationsleistungen her-vorbringt.

1.6 Flexibles Arbeiten zwischen Unternehmen – ein erfolgreiches Beispiel aus der Praxis

In diesem Kapitel stellen wir ein lea-ding-edge unternehmensübergreifen-des Innovationssystem vor, das völlig neue Elemente des flexiblen Arbeitens implementiert hat. Ein deutsches DAX-Unternehmen hat vor 2 Jahren begon-nen, die Idee eines „ICT Innovation Ecosystems“ zu realisieren, in dem die Folgen einer konsequenten Digitalisie-rung durch unterschiedliche Industrien und Großunternehmen in Innovati-onen umgesetzt werden sollen. Die bei-den Autoren sind mit der Firma „theLi-vingCore“ und A. Kulick als Enabling Partner an diesem Ökosystem beteiligt und haben auch dessen Aufbau mitbe-gleitet und unterstützt. Die Motivation des ICT Innovation Ecosystem beruht auf drei Annahmen/Säulen:

1. Die ICT (information and communi-cation technologies) wird eine zentrale Rolle als differenzierender Faktor im Wettbewerb spielen2. Wer die Herausforderung der digi-talen Transformation annimmt, wird digital clever und erfolgreicher3. Interdisziplinärer Austausch von Wis-sen und Lernen von anderen Branchen ist die Grundlage für eine erfolgreiche digitale Transformation

Anders, mit den Worten des Vice Presi-dent für globale Märkte, ausgedrückt:

„Neue Wertschöpfungsketten und Kundenerwartungen erfordern Ge-schäftsmodelle, in immer kürzeren Zyklen radikal zu hinterfragen. Wir erleben diese Transformation täglich, sowohl bei eigenen Services, als auch in den Geschäftsmodellen unserer Kun-den und Partner. Ich bin überzeugt, dass erfolgreiche Geschäftsmodelle der Zukunft zunehmend durch eine

industrieübergreifende Innovationsko-operation beeinflusst werden. Die ein-zigartige Plattform dafür ist das ICT Innovation Ecosystem. Es bietet uns die Chance, die digitale Transformati-on gemeinsam zu beschleunigen.“

Wie in der Beschreibung des ICT In-novation Ecosystems ersichtlich, geht dieses Ökosystem weit über klassische Cluster oder Netzwerke hinaus. Durch die Gründung eines Innovationsnetz-werkes von Industrie, Technologie-, Innovations- und Forschungspartnern sollen die Potentiale der digitalen Transformation erkannt, verstanden, weiterentwickelt und genutzt werden. Für diesen Anspruch gibt es (fast) keine Referenzerfahrungen, so dass in einem mehrmonatigen Prozess mit allen be-teiligten Partnern das Konzept und die rechtlichen bzw. organisationalen Rahmenbedingungen entwickelt wur-den. Agiles und flexibles Arbeiten ist eines der Kernbestandteile des ICT In-novation Ecosystem – so verstandenes flexibles Arbeiten ist eine conditio sine qua non: ohne diese Flexibilität kann das Ökosystem aufgrund seiner räum-lich verteilten Partner und zeitlich ver-setzten Innovationsprozesse/projekte nicht funktionieren. Folgende Ele-mente und Formate stellen den Rah-men für flexibles Arbeiten innerhalb des ICT Innovation Ecosystem dar:

Agenda Setting: Jahresgespräche mit �Partnern über anstehende Projekten und Themen, um daraus eine kon-solidierte, gemeinsame Agenda auf Jahresbasis zu generieren.Innovation Journey: sog. „Lern- �reisen“ zu anderen Kulturen und Firmen, um Innovations-Potentiale durch Beobachtung und Reflexion besser zu verstehen.Bootcamps: interaktives Workshop- �format mit Input zu Zukunftsthe-men, sowie Erarbeitung der Aus-wirkungen auf die eigene Industrie/Firma.Projekt-Garagen Design Workshop: �Konkretisierung von Innovations-projekten mit interessierten Part-nern zu einem bestimmten Thema (z.B. Industrie 4.0).Projekt-Garagen: Durchführung �eines Innovationsprojektes an einem „neutralen“ Ort als Enabling Space (Peschl & Fundneider, 2014b) mit der Beteiligung von 3-6 Partnern über 6-8 Wochen.

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Ressourcenpool/Leistungskatalog: �Beschreibung der Expertise der be-teiligten Partner, um schnell und effektiv Innovationsprojekte zu initi-ieren und umzusetzen.Hochwertiger Eventkalender: Netz- �werktreffen und Möglichkeit für die Initiierung von neuen Innovations-projekten.Virtuelle Community: Information �und Kommunikation der Partner untereinander unabhängig von Ort und Zeit.

Momentan sind ca. 25 Organisationen in dem ICT Innovation Ecosystem ver-treten. 2015 starten die ersten Innovati-onsgaragen – z.B. zum Thema intelli-gente Logistik. Das Ökosystem möchte Innovationsprojekte anstoßen, die nur durch die Kooperation von zwei oder mehr Organisationen möglich werden (vergleiche z.B den Fall der „intelli-genten“ Kontaktlinse: Google und No-vartis).

Im Gegensatz zu bilateralen Pro-jekten sieht das ICT Innovation Ecosy-stem seine Stärke in der permanenten Projektinitiierung und dem Zusam-menbringen von Organisationen über relevante Zukunftsthemen. Bringt man das Konzept des flexiblen Arbeitens auf dieses Niveau, wird schnell klar, dass es hier nicht mehr nur um Fragen der work-life balance, home office, oder wellness geht, sondern um eine Kern-kompetenz, die die Zukunftsfähigkeit nicht nur eines Unternehmens sichert.

1.7 Referenzen

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Autoren:

Thomas Fundneider ist Gründer und Geschäftsführer der Innovations- und Wissensarchitekten von theLivingCore (www.theLivingCore.com), die sich auf die Themenbereiche Strategie, Innova-tion und Transformation spezialisiert haben. Er realisiert seit vielen Jahren innovative Arbeitsräume und etabliert unternehmerische Denk- und Arbeits-weisen in Organisationen.

Thomas Fundneider ist ausgebil-deter Landschaftsarchitekt und entwi-ckelte –gemeinsam mit Prof. Peschl– die leading-edge Innovationspraktiken „Enabling Spaces“ (Wissensräume) und „leap“ (systematischer Prozess, um ra-dikale Innovationen hervorzubringen). Er ist Gründungs- und Vorstandsmit-glied der pdma Österreich, des größten Netzwerkes für Produktentwicklung und Innovation und unterrichtet an mehreren europäischen Universitäten.

Markus F. Peschl ist Professor für Wis-senschaftstheorie und Kognitionswis-senschaften an der Universität Wien. Er verbrachte 4 Jahre als Post-Doc in den USA, Großbritannien und Frank-reich (Cognitive Science, Neurowissen-schaft, Philosophie). Sein Fokus in der Forschung liegt im Bereich des Wis-sens, seiner Entstehung in kognitiven Systemen, in der Wissenschaft und in Organisationen, Design (thinking) und der (radikalen) Innovation.

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Im Besonderen setzt er sich mit der Frage der Wissensgenerierung/know-ledge creation und deren theoretischen Grundlagen und Ermöglichung ausei-nander. Er entwickelt sozio-epistemolo-gische Technologien, die diese Prozesse in unterschiedlichen Kontexten unter-

Prof. Dipl.-Ing. Dr.

Markus F. Peschl

Professor für Wissen-schaftstheorie und Kognitionswissen-schaften an der Uni-versität Wien.

Dipl.-Ing.

thomas

Fundneider, MBA

GeschäftsführerthelivingCore

stützen: das Konzept der Emergenten Innovation zielt auf die Hervorbrin-gung radikaler Innovationen ab. Sein Forschungsbereich „Enabling Spaces“ befindet sich an der Schnittstelle zwi-schen Wissenschaft, angewandter Epi-stemologie und Wissenschaftstheorie,

Design und Architektur und fokussiert auf die Gestaltung von multidimensio-nalen Räumen, die Wissens- und Inno-vationsarbeit ermöglichen.

Weitere Informationen: http://www.univie.ac.at/knowledge/peschl/

Studenten aus ganz Europa haben sich zum Council Meeting - der

Generalversammlung des Netzwerks ESTIEM - in Riga getroffen und dort eine Woche an verschiedenen Work-shops und Team-Building-Aktivitäten teilgenommen und natürlich im Rah-men der Generalversammlung über die Struktur des Vereins abgestimmt.

Andreas reischl

EStIEM Council Meeting in riga

In den Workshops teilen Trainer ihr Wissen in den Bereichen Recruiting, Motivation und Project Planning mit. Höhepunkt des teilnehmerstärksten Estiem-Events dürfte wohl die Interna-tional Night sein.

Dort präsentiert jede Local Group ihre kulinarischen Mitbringsel, die

Teilnehmer lernen sich näher kennen und werden auch auf freundschaft-licher Ebene zusammengeschweißt.

Schlussendlich bleibt die Woche in Riga bei allen in guter Erinnerung und man freut sich schon auf das nächste Council Meeting, welches im kom-menden Herbst in Wien stattfindet.

WINGNEt

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Foto: ESB Business School, Logistik-Lernfabrik, Reutlingen University:

Philipp Hold, Fabian ranz, Vera Hummel, Wilfried Sihn

Durchblick im Variantendschungel

Visuelle Assistenzsysteme als Flexibilitätshebel auf dem Shop Floor Die steigende Personalisierbarkeit von Produkten führt zu einem wachsenden Variantenspektrum in der Fertigung. Nicht zuletzt aufgrund der damit einhergehenden Produktionskomplexität und den hohen Wandlungsanforderungen an die Montage werden viele komplexe Stückgüter weiterhin überwiegend manuell montiert. Visuelle Assistenzsy-steme geben den Mitarbeitern die nötige Handlungsunterstützung, wenn kein Produkt dem anderen gleicht und damit das Fehlerpotenzial steigt.

1. Einleitung

Die aktuell häufig im Rahmen des deutschen Zukunftsprojekts Industrie 4.0 propagierte Vision der Produkti-on einer „Losgröße 1 zu Bedingungen der Großserie“ fordert auch von Mon-tagesystemen in Bezug auf eine öko-nomische wie auch humanorientierte Gestaltung Antworten zu deren Errei-chung ein. Produzierende Unterneh-men in Europa versuchen, sich in die-ser Hinsicht die zahlreichen, vor allem wirtschaftlichen Vorteile der Fließferti-gung auch in der variantengemischten Montage zu Nutze zu machen. An die Mitarbeiter, die in derartigen Systemen die manuelle Montage verrichten, wer-den hohe Anforderungen gestellt – im Rahmen des engen Vorgabetakts müs-sen sich häufig ändernde Montageauf-gaben sowie -inhalte auf Anhieb sicher beherrscht werden. Sogenannte Wer-

ker-Assistenzsysteme bieten die nötige Unterstützung.

Unternehmen, die sich zur Einfüh-rung eines elektronischen Helfers zur Unterstützung der Mitarbeiter auf dem Shop-Floor entschlossen haben, müs-sen vielfältige Entscheidungen über die Konfiguration der Systemausführung treffen, welche die spätere Komplexi-tät, aber auch die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems maßgeblich beein-flussen.

Fraunhofer Austria/TU Wien und die ESB Business School der Hoch-schule Reutlingen haben gemeinsam eine industrieerprobte Vorgehenswei-se entwickelt, welche auf Basis eines konkreten Einführungsvorhabens und eines strukturierten Anforderungskom-plexes ein passendes visuelles Assistenz-system für ein Montagesystem identifi-ziert, merkmalsorientiert bewertet und

über eine Implementierung leistungs- und kostenorientiert entscheidet.

2. Elektronische, visuelle Assistenzsy-steme

Der Funktionsumfang visueller Assi-stenzsysteme geht weit über die reine Anweisung von Arbeitsschritten hi-naus und bietet durch die Vernetzung mit der Montagesystemperipherie eine echtzeitfähige, taktsynchrone und da-mit situative Unterstützung für den Mitarbeiter.

Das bedeutet: Die Montageanwei-sungen sind automatisch synchroni-siert mit dem Arbeitsfortschritt des Mitarbeiters, ohne dass eine manuelle Rückmeldung an das System erfolgen muss.

Die Verwendung der richtigen Werk-stückkomponenten und der Einsatz der richtigen Montagewerkzeuge, Hilfs-

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und Betriebsmittel werden sensor- und kameragestützt live überwacht. Über logische Relationen dieser Signale mit entsprechenden Prozessdaten werden montagebedingte Fehler durch die Software des Assistenzsystems identi-fiziert - und Entscheidungsunterstüt-zung zur Korrektur dieser Fehler dem Mitarbeiter zur richtigen Zeit, am rich-tigen Ort und in der richtigen Qualität zur Verfügung gestellt.

Ebenso können beispielsweise Feh-ler in der Materialbereitstellung sowie auch in der Qualität der zur Montage bereitgestellten Bauteile identifiziert, Montagereihenfolgen situativ durch das System geändert und entsprechend angepasste Informationen dem Mitar-beiter zur Verfügung gestellt werden.

2.1 Informationsbereitstellung

Um fehlerfrei und in der Vorgabezeit wechselnde Produktvarianten zu mon-tieren, ist es erforderlich, dass Mitarbei-ter

ein zugeführtes Werkstück unmit- �telbar identifizieren können, die variantenspezifisch durchzufüh- �renden Arbeitsvorgänge kennen, die korrekten Teile und Komponen- �ten zur Durchführung der Arbeits-vorgänge auswählen unddie richtige Arbeitsmethode und die �richtigen Werkzeuge zur Anwen-dung bringen.

Diese Informationen, die in der klas-sischen Montage trivial erscheinen,

erschließen sich häufig in einer variantenge-mischten Montage nicht intuitiv, wodurch für die operativen Mitarbeiter ein Informationsbedarf entsteht. Die betrieb-liche Praxis zeigt, dass herkömmliche, papierge-bundene Informationen und Anweisungen, von den Mitarbeitern kaum beachtet werden und auch von Seiten der Ar-beitsvorbereitung selten aktuell gehalten werden. Unabhängig von den ent-haltenen Informationen besitzen solche lediglich für die betrachtete Pro-duktvariante Gültigkeit und sind damit per se nachteilig für die Bereit-stellung von Informati-

onen in Arbeitssystemen, welche durch variante Produkte und sich dynamisch ändernde Arbeitstätigkeiten charakte-risiert sind.

2.2 User Devices

Vereinfacht wurde die Entwicklung visueller Werker-Assistenzsysteme durch die steigende Verfügbarkeit von mobilen elektronischen Endgeräten wie Tablet-Computern, Datenbrillen, Smart Watches oder mobilen Projek-toren, welche eine dezentrale Verfüg-barmachung digitaler Informationen direkt im Arbeitssystem ermöglichen - verbunden mit der steigenden Verbrei-tung vernetzbarer Betriebsmittel. Sie bilden die physische Mensch-Maschine-Schnittstelle und sind daher aus ergo-nomischer Sicht von hoher Relevanz.

Die weiteste Verbreitung bei Monta-geassistenzsystemen finden momentan Tablet-Computer und herkömmliche Monitore. Sie eignen sich insbesonde-re, wenn ein - hoher Informationsbedarf für einen einzelnen Arbeitsschritt,- eine große Darstellung i.S. des Bild-schirms und- ein vollständig freies Sichtfeld des Mitarbeiters gefordert werden [KRI14].

Steigende Verbreitung zeigen aber auch am Körper tragbare Geräte wie Head-Mounted Displays (HMD), auch Da-tenbrillen genannt. Ihre wesentlichen Vorteile liegt darin, dass - ihr Display sich zu jeder Zeit in un-mittelbarer Nähe zum oder sogar im Sichtfeld des Mitarbeiters befindet und sich dieser nicht zu einem ortsfest in-stallierten Monitor wenden muss, um Informationen zu erfassen,- beide Hände zu jeder Zeit „frei“ blei-ben [KRI14] und- sie modellabhängig Zusatzfunkti-onen wie Bildaufnahme, Tonausgabe, Gestenerkennung oder das Lesen von 1D- und 2D-Barcodes beherrschen.

Vergleichende Studien der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) verweisen je-doch auf steifere Bewegungsabläufe, erhöhte Anspannung der Nackenmus-kulatur, höhere Kopfschmerzneigung und schnellere visuelle Ermüdung bei Datenbrillenträgern – ohne Geschwin-digkeitsvorteile im Arbeitsablauf ge-genüber der Bildschirm-Darstellung realisieren zu können [WIL13].

Lediglich für einzelne Vorgänge ent-lang eines typischen Montageprozesses geeignet ist die Projektion von Infor-mationen direkt auf das Werkstück

Abbildung 1: Schematische Systemskizze eines vi-suellen Werkerführungs- bzw. assistenzsystems

Abbildung 2: Medieneinsatz in der Montage [WIE14]

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durch leistungsstarke Beamer. Hierü-ber lassen sich unter anderem Positio-nier- oder Schraubstellen sequenziell sprichwörtlich „anleuchten“, allerdings erfordert dies eine jederzeit freie Sicht-verbindung zwischen Projektor und Werkstück. Zusatzinformationen las-sen sich hierbei außerdem kaum ein-binden.

2.3 Darstellungsmedien

Aus dem Spektrum existierender Dar-stellungsmedien (s. Abb. 2) müssen die für den jeweiligen Montageschritt adä-quaten in Abhängigkeit der gewünsch-ten Informationstiefe ausgewählt wer-den. In dieser Hinsicht lassen sich in Anlehnung an [WIE14] vier Tiefenklas-sen unterteilen:

- Informationen zur Prozess (was)- Informationen zur Geometrie (wo)- Informationen zum Operation (wo-

mit und mit welchen Parametern)- Informationen zur manipulativen

Methode (wie)Nicht jedes Medium ist geeignet, jede Informationstiefe abzubilden. Studien der RWTH Aachen belegen darüber hi-naus insbesondere in Anlauf- und An-lernphasen eine schnellere Ausführung von Montageschritten bei Instruktion über animierte Darstellungen im Ver-gleich zu statischen (vgl. Abb. 3).

Bei animierten Arbeitsinstruktionen sind im Wesentlichen zwei Formate zu unterscheiden: Videos wie der Utility Film werden im direkten Arbeitsum-feld gefilmt und erfordern damit beson-ders wenig Abstraktionsfähigkeit vom Mitarbeiter, da das Arbeitsumfeld und die tatsächliche Handhabung eines je-den Montageschritts mitaufgenommen werden. Alle Informationstiefenklassen werden hier mit einem einzigen Medi-um bedient. Sie erfordern bei ihrer Er-stellung jedoch einen hohen Aufwand und müssen bei Produkt-, Anlagen- oder Prozessänderung jedes Mal neu produziert werden.

3D-Animationen, die direkt aus den CAD-Konstruktionsdaten des zu mon-tierenden Produkts abgeleitet werden können, sind hingegen aufwandsarm erstellbar und entsprechen bei Vorhan-densein einer Manufacturing Bill of

Material (MBOM) direkt dem tatsäch-lichen Montageprozess. Konstruktive und prozessuale Änderungen lassen sich aufgrund der Datendurchgän-gigkeit mit dem PLM-System schnell durchführen. Auch im ERP-System hin-terlegte, variantenspezifische Vorgangs-folgen können zur Sequenzierung der Informationen des Assistenzsystems verwendet werden. Untersuchungen von Fraunhofer Austria/TU Wien und der ESB Business School im Rah-men von Industrieprojekten zeigen allerdings, dass in typischen Monta-geprozessen nur rund die Hälfte aller Einzelvorgänge tatsächliche Fügevor-gänge, die konstruktionsrelevant und damit in den CAD-Daten abgebildet, sind. Reinigungs-, Prüf-, Schmier- oder Handhabungsvorgänge müssen in die-se Animationen in aller Regel separat

Abbildung 3: Ausführungsdauer von unterschiedlich instruierten Montagevorgängen [JES10]

Abbildung 4: idealer Workflow

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über die Verwendung von Texten, Sym-bolen, Bildern visualisiert werden.

Zur Sicherung der Nutzerakzeptanz und gleichzeitig der Systemziele, wie unterem anderem der Vorgabezeitein-haltung und Fehlervermeidung, ist auf schnelle Erfassbarkeit und intuitive Verständlichkeit der Informationen zu achten.

2.4 Workflow

Hoher Mengendurchsatz bei kurzen Taktzeiten in der Fließmontage for-dern vom Werker-Assistenzsystem eine Unterstützung des Mitarbeiters ohne den Verlust von Prozesszeit. Aufgrund dessen ist eine manuelle Interaktion der Mitarbeiter mit dem System idea-lerweise zu vermeiden.

Entsprechend der Zergliederung des Gesamtmontageprozesses in einzelne Vorgänge sind die Informationen und Instruktionen in einzelne Sequenzen zerlegt, die synchron zum Montage-fortschritt aufgerufen und visualisiert werden.

Ein idealer Workflow, im Gegensatz zu bislang verbreiteten Lösungen, mel-det durchgeführte Vorgänge automati-siert an die Applikationsebene zurück.

Eindeutig zuordenbare binäre Sensor-signale von Werkzeugen, Mess- und Betriebsmitteln, eine kameragestützte Montagefortschrittserkennung, Ma-terialentnahme-Quittierungen eines Pick-Systems oder die Erkennung der räumlichen Position eines Werkstücks können hierzu beispielhaft verwendet werden.

Bei Einsatz eines ERP- bzw. MES-Sy-stems im Anwenderunternehmen kön-nen diese automatisierten Rückmel-dungen aus der Feldebene der Montage nicht nur zur Taktsynchronisation des Assistenzsystems verwendet werden, sondern gleichzeitig als Bewegungs-daten zum einzelnen Auftrag doku-mentiert werden, wodurch im selben Schritt eine durchgängige Traceability auf Werkstück- und Vorgangsebene in Echtzeit realisiert wird.

3. Methodische Vorgehensweise zur Selektion fallspezifischer Systeme

Die von Fraunhofer Austria/ TU Wien und der ESB Business School ent-wickelte methodische Vorgehensweise zur Selektion fallspezifischer visueller Werkerführungs- und -assistenzsysteme baut auf fünf miteinander interagie-

renden Einzelphasen auf: Voranalyse, Requirements Definition, Meta- und Desktoprecherche, Selektionsphase und Entscheidungs- bzw. Implemen-tierungsphase. Dabei sind in der Vor-analysephasen zwei Planungsfälle zu differenzieren: Die Einführung eines visuellen Assistenzsystems im Rahmen der Umstellung von der variantenge-trennten auf eine variantenreiche Mon-tage und die Einführung eines gänzlich neues Montagesystem.

In beiden Fällen werden im Rahmen der Voranalysephase die Montagevor-gänge hinsichtlich ihrer Inhalte analy-siert und in Anlehnung an DIN 8593, VDI 2860 und DIN 8580 geclustert. Für jedes Clusterelement existieren unterschiedliche Möglichkeiten zur visuellen Repräsentation. Je nach quan-titativem Anteil eines Elements an der Gesamtheit der Vorgänge kann so be-reits in frühen Planungsphasen eine tendenzielle Aussage über die Eignung eines Mediums für das Gesamtsystem getroffen werden. Weiterhin werden hi-storische Fehlerquellen qualitativ und quantitativ bewertet, gegen welche das Assistenzsystem besonders unterstüt-zen sollte.

Abbildung 5: Methodische Vorgehensweise zur Selektion fallspezifischer passender Systeme

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Eine Analyse der Systeminfrastruk-tur, sowohl auf Engineering- als auch auf Geschäftsprozessebene, zeigt Möglichkeiten zur Integration des As-sistenzsystems in die bestehende IT-Landschaft auf – um beispielsweise vorhandene Montageabläufe aus dem ERP-, oder Konstruktionsdaten aus dem PLM-System zur Unterfütterung des Assistenzsystems zu nutzen. Zusätz-lich werden die vorhandenen oder ge-planten Betriebsmittel im Hinblick auf ihre Unterstützung der Taktsynchroni-sation untersucht, woraus anschließend systematisch der Bedarf zusätzlicher Sensortechnologien (Signaldaten) zur Erreichung des Zielzustandes abgelei-tet wird.

In der Requirements Definiton wer-den die einzelnen und anwenderindi-viduellen Systemanforderungen inner-halb der drei Kerndimensionen eines Assistenzsystems (vgl. Abbildung 4) ausformuliert. Für die Ausgabegeräte, welche die physische Mensch-Maschi-ne-Schnittstelle bilden, sind neben der darstellungsmäßigen Anforderungen (z.B. notwendige Darstellungsgröße) auch die technischen Gegebenheiten des Arbeitssystems der Montage sowie ergonomische Anforderungen zu be-rücksichtigen. Bezüglich der visuellen Mensch-Maschine-Schnittstelle werden die Anforderungen zur Integrationsfä-higkeit der gewünschten Medientypen, auch in Kombination, zur Gestaltung der Nutzeroberfläche für Mitarbeiter und Arbeitsvorbereiter definiert. Die ermittelten Anforderungen werden schließlich in Mindestanforderungen und optionale Anforderungen geglie-dert und schließlich gewichtet.

Durch eine kontinuierliche Meta- als auch Desktoprecherche verfügen Fraunhofer Austria/ TU Wien wie auch ESB Business School Reutlingen über umfassende Technologiekataloge, in welchen die wesentlichen auf dem Markt erhältlichen Technologien für Werker-Assistenzsysteme dokumentiert und nach ihren Anwendungsfeldern, Komponenten und Funktionen syste-matisiert sind. Aus diesen Daten gehen die Möglichkeiten zur Interaktion mit bestehenden Informationssystemen hervor. Da viele aktuelle Lösungen, vor allem unter Berücksichtigung vernetzter Informations- und Kom-munikationstechnologien, pilothafte Ergebnisse aktueller Forschungs- und Entwicklungsprojekte sind, sind Tech-

nologiereporte aus diesen Projekten ebenso in den Katalogen aufgenom-men und die Ergebnisse nach den Kri-terien des Technology Readiness Level in Anlehnung an ISO 16290 bewertet.

In der Selektionsphase werden in Anlehnung an die Quality-Function-Deployment Methode [LUN07] die aus der Voranalyse sowie aus der Re-quirements Definiton ermittelten An-forderungen über alle Montageschritte gewichtet, nach ihrer gesamtsyste-mischen Bedeutung den potenziellen Technologielösungen aus den Tech-nologiekatalogen gegenübergestellt. Über anschließende Korrelations- und Gap-Analysen erfolgen innerhalb die-ser Systematik die Identifikation der für den spezifisch betrachteten Anwen-dungsfall geeigneten Technologien so-wie eine Identifikation über benötigte Anpassungs- und Weiterentwicklungs-schritte als auch -möglichkeiten. Die vorteilhaftesten Lösungen werden an-schließend nach Ergebnissen einer Ko-sten- und Nutzenanalyse gerankt und die objektiv beste Technologielösung auf diese Weise identifiziert.

In der anschließenden Entschei-dungsphase wird innerhalb eines Workshops basierend auf den Ergeb-nissen der Selektionsphase sowie un-ter Beteiligung aller Stakeholder eine Entscheidung getroffen, ob die identifi-zierte Technologielösung inkrementell ganzheitlich oder punktuell innerhalb des betrachteten Montage- bzw. Arbeits-systems zu implementieren ist, oder ob eine Weiter- bzw. Eigenentwicklung eines entsprechenden Werkerführungs- bzw. -assistenzsystems zu initialisieren ist. Für diesen letzten Fall unterhält die Fraunhofer Austria/ TU Wien Kontakte zu Entwicklungspartnern.

Nachdem eine Technologieauswahl getroffen worden ist, schließt sich die Implementierung bzw. Umset-zungsphase an. Innerhalb dieser Pha-se erfolgt ein stufenweises Vorgehen entlang der Umsetzung eines Pilot-projektes. Das Pilotprojekt dient zum einen dazu möglichst frühzeitig erste Erfolge durch den Einsatz visueller Werker-Assistenzsysteme aufzuzeigen und zu verdeutlichen sowie der Akzep-tanzabsicherung vor allem von Seiten des Bedienpersonals. Hierzu wurden von Fraunhofer Austria/TU Wien und der ESB Business School Reutlingen spezifische Versuchs- und Testreihen

entwickelt, deren Ergebnisse auch zur Feinanpassung und -verbesserung des Systems in der frühen Anwendungs-phase beitragen.

4. Case Study

Ein Hersteller von komplexen Automo-bilteilen möchte in einem spezifischen One-Piece-Flow-Konzept diverse An-triebskomponenten auf derselben Linie montieren, was bislang nur separat und in Arbeitsteilung durchgeführt wurde. 90% der Vorgabezeit setzt sich aus den Vorgängen Zusammensetzen, Ver-schrauben und Prüfen zusammen, wel-che für die Assistenz relevant sind. An allen neun Arbeitsstationen der Linie sind intelligente Schrauber, Ethernet-fähige Messmittel sowie Kanban-Regale mit Entnahme-Sensorik vorgesehen, de-ren Signale zur Erkennung des Monta-gefortschritts genutzt werden können. Arbeitspläne für alle Produktvarianten sind in SAP hinterlegt. Die Analyse der historischen Montagefehler zeigt, dass im künftigen Variantenmix an einer Station besonders hohes Fehlerpotenzi-al herrscht, da bei allen Varianten meh-rere filigrane Dichtungen von oben auf den Werkstücken positioniert werden müssen. Da dies bereits in der Vergan-genheit häufig versäumt wurde, soll dieser Vorgang besonders instruiert und überwacht werden. An allen Stati-onen bewegen sich die Mitarbeiter frei um das Werkstück herum und arbeiten von allen Seiten daran. Jeder Monta-geschritt soll mit benötigter Zeit und Prüfergebnis im SAP abgelegt werden.

Der Abgleich dieser und weiterer spezifischer Anforderungen mit dem Technologiekatalog führt zur Eingren-zung des Lösungsspektrums. Zur Absi-cherung der Dichtungsmontage wird eine Projektion der Platzierpositionen auf das Werkstück und eine zusätzliche kameragestützte Prüfung des Vorhan-denseins der Dichtungen vorgesehen. Aufgrund der Mobilität der Mitarbeiter im Arbeitssystem sollen monokulare Datenbrillen zum Einsatz kommen, auf welchen Varianteninformationen textuell, Fügevorgänge über 3D-Ani-mationen und Prüfvorgänge statisch über Bilder instruiert werden können. Fügevorgänge werden über Schrauber-signale rückgemeldet, Prüfvorgänge über die Messwertgeber. Rein visuelle Prüfungen sollen vom Werker sprach-gesteuert quittiert werden.

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Dipl.-Wirtsch.-Ing.

Philipp Hold

wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ge-schäftsbereich Pro-duktions- und logi-stikmanagement der Fraunhofer Austria research GmbH

Fabian ranz, M.Sc.

wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pro-jektkoordinator an der ESB Business School in reutlingen

Keiner der identifizierten Techno-logieanbieter erfüllt diese Anforde-rungen vollends. Letztlich wird ein marktverfügbares Assistenzsystem auf der Basis von Datenbrillen zunächst pi-lothaft unter Einbeziehung der Monta-gemitarbeiter und der Arbeitsvorberei-ter zur Sicherung der Nutzerakzeptanz eingeführt und nach Feststellung der Eignung auf die gesamte Linie ausge-rollt. Die Lösung zur Unterstützung der Dichtungsmontage wird zunächst separat durch einen zusätzlichen Part-ner entwickelt und dann in die Ge-samtapplikation integriert.

5. Fazit und Ausblick

Werker-Assistenzsysteme sind wichtige Befähiger zur Steigerung der begrenzten Flexibilität von Fließmontagesystemen, indem sie das menschliche Potenzial zur Verrichtung sich ständig ändernder Arbeitsaufgaben durch situative, kon-textgerechte Informationsbereitstel-lung heben. Die Gesamtlösung geht da-bei weit über die reine Visualisierung einer Information auf einem Endgerät hinaus und stellt ein komplexes Sub-system der Montage dar, welches mit Einführungs- und Administrationsauf-wand, Investitionen in Soft- und Hard-ware sowie Schulungsmaßnahmen ver-bunden ist. Aus diesem Grund sind vor einer Implementierung alle Variablen des Gesamtsystems zielorientiert auszu-gestalten, Varianten abzuwägen und zu bewerten, damit letztlich ein zukunfts-fähiges, mitarbeiterorientiertes und gleichzeitig die Rentabilität der Mon-tage unterstützendes Assistenzsystem den Weg in den Einsatz findet, welches einen hohen Integrationsgrad in die be-stehende IT-Landschaft aufweist.

Durch ein ständiges Marktmonito-ring und strukturierte Einführungs-prozesse können Fraunhofer Austria/ TU Wien und die ESB Business School

auch für spezifischste Anforderungen adäquate Lösungen für Assistenzsy-steme definieren und die Realisierung unterstützen. Mit der Weiterentwick-lung der Technologien in diesem Kon-text, insbesondere der Augmented Reality, ergeben sich ebenso neue For-schungsfragen, beispielsweise im Hin-blick auf Ergonomie oder Rentabilität immer stärker technisierter Arbeitssy-steme, welche die beteiligten Institute weiter intensiv beschäftigen und koo-perativ bearbeiten werden.

Literatur:

[JES10] Jeske, T.; Schlick, C.M.; Jochems, M.; Hasenau, K.; Tackenberg, S.: „Unter-suchung des Einflusses der informato-rischen Reichhaltigkeit von Arbeitsplänen auf die Anlernzeit sensumotorischer Fer-tigkeiten“ in: Wandlungsfähige Produkti-onssysteme, Nyhuis, Peter (Hrsg.) GITO-Verlag Berlin 2010, S. 326-344[KRI14] Krieger, C.: „Voller Durchblick – Datenbrillen im Produktionsprozess“. Vortrag. Tag der Wissenschaft, 18.06.2014, HTWK Leipzig[LUN07] Lunau, S. (Hrsg.): „Design for Six Sigma + Lean Toolset - Innovationen erfolgreich Realisieren“. Springer-Verlag, Berlin u. a. 2007.[WIE14] Wiesbeck, M.: „Struktur zur Re-präsentation von Montagesequenzen für die situationsorientierte Werkerführung“, zugelassene Dissertation an der Tech-nischen Universität München, 07.02.2014[WIL13] Wille, M.; Grauen, B.: „Head-Mounted Displays – Beanspruchung im Langzeiteinsatz“. Vortrag. 3. Experten-Workshop Datenbrillen, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 03.06.2013

Autoren:

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Philipp Hold, Jahr-gang 1984, ist wissenschaftlicher Mit-

arbeiter im Geschäftsbereich Produk-tions- und Logistikmanagement der Fraunhofer Austria Research GmbH sowie am Institut für Managementwis-senschaften an der TU Wien, Bereich Betriebstechnik und Systemplanung. Seine Hauptarbeitsgebiete liegen im Bereich der Entwicklung und Anwen-dung von Lösungen und Methoden für die Strategien, die Strukturen und die Organisation von Industrieunterneh-men mit Fokus auf der Gestaltung von ergonomischen und alternsgerechten Arbeitssystemen. Als Doktorratsstu-dent an der TU Wien und Teilnehmer am Doktorats-Kolleg „Cyber Physischer Produktionssysteme“ (CPPS) erforscht Philipp Hold Planungs- und Steue-rungsmethoden im IKT-dominierten Arbeitssystem mit Fokus auf den Men-schen. Daneben betreut Philipp Hold mehrere Industrieprojekte, mit Schwer-punktsetzung nachhaltiger Produktivi-tätssteigerungen in Montagesystemen im Sinne des Industrial Engineerings.

Fabian Ranz, M.Sc. geboren 1988, hat in Deutschland, USA und Mexiko In-ternational Business und Wirtschafts-ingenieurwesen mit Schwerpunkt Lo-gistik studiert. Seit seinem Abschluss an der ESB Business School in Reutlin-gen 2014 ist er an selbiger Einrichtung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektkoordinator unter der Führung von Prof. Dr.-Ing. Vera Hummel tätig. In dieser Funktion ist er für den Aufbau und Betrieb der Logistik-Lernfabrik an der ESB Business School in Reutlingen verantwortlich, übernimmt Teile der Hochschullehre im Bereich Industrial Engineering, forscht im Bereich der Gestaltung hybrider Montage- und Logistikprozesse und unterstützt Wirt-schaftsunternehmen im Rahmen von Auftragsforschungs- bzw. Beratungs-projekten, aber auch in der Fort- und Weiterbildung.

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28 WINGbusiness 2/2015

PAPEr

Dieser Beitrag soll anhand eines Projektbeispiels aufzeigen,

welche Bedeutung „Flexibles Arbeiten“ für die Gestaltung von Produktionsprozessen der Zukunft besitzt. Der aktuelle Trend der Individualisierung von Produkten führt zwangsläufig zu höchstmöglicher Flexibilität in der Produktion im Sinne von Industrie 4.0 und gleichzeitig zur Integration der Additiven Fertigung in die klassischen Produktionslinien. Das gegenständliche Projekt befasst sich mit der Automatisierung des Gesamtprozesses beim 3D-Drucken. Alle Nebentätigkeiten, wie der Materialwechsel oder das Bauteilhandling, werden mit einem Industrieroboter realisiert. Ziel ist es, die Vorteile eines Flexiblen Fertigungssystems für den 3D-Druck zu nutzen, um so das Potenzial dieser Technologie hinsichtlich Produktionskosten voll auszuschöpfen.

3D-Druck, Automatisierung, Flexible Fertigung, Industrie 4.0.

I. EINFÜHRUNG ie Verfahren der Additiven Fertigung (3D-Druck) rücken immer mehr ins Rampenlicht des allgemeinen Interesses,

da sie vor allem hinsichtlich Produktgestaltung und Flexibilität sehr viele Vorteile bieten. Einige Verfahren und Anlagen sind auch sehr preiswert und werden somit immer interessanter für kleine Unternehmen und Privatpersonen. Es

Manuscript received March 31st 2015, revised June 1st 2015, accepted by

Siegfried Vössner June 1st 2015.

gibt zahlreiche Ansätze, mit denen man generativ fertigen kann. In der Regel arbeiten sie jedoch noch zu langsam, um sich gegen die industrielle Serienfertigung behaupten zu können. Dadurch werden diese Fertigungsverfahren hauptsächlich bei Sonderanfertigungen und für Prototypen genutzt. Abbildung 1 gibt einen Überblick zu den wichtigsten Verfahren des „Additive Manufacturing“.

Als Merkmal zur Einteilung dient das Ausgangsmaterial, das entweder in fester (Folie, Draht, Pulver) oder flüssiger Form vorliegt. Da den in Bild 1 angeführten Bauprinzipien hinsichtlich Baugeschwindigkeit, Genauigkeit und Materialeigenschaften Grenzen gesetzt sind, ist die Prozessoptimierung das Gebot der Stunde. Das Institut für Fertigungstechnik hat den Versuch unternommen, die Nebenprozesse eines handelsüblichen 3D-Druckers soweit zu automatisieren, dass dieser autonom arbeiten kann. Dadurch wird es möglich, mehrere 3D-Drucker zu einem flexiblen Fertigungssystem zusammenzufassen und auf diese Weise eine wirtschaftliche Produktion für individualisierte Produkte für neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Durch die Automatisierung mit einem Industrieroboter können die Druckaufträge an mehreren „Low-Cost-Druckern“ ohne Personaleinsatz z.B. über Nacht bearbeitet werden. Tritt eine Störung auf, wird der 3D-Druck sofort abgebrochen und auf eine weitere Maschine umgeleitet, Material- und Werkzeugwechsel erfolgen automatisch.

II. FLEXIBLE FERTIGUNGSSYSTEME Unter einem flexiblen Fertigungssystem versteht man eine

Gruppe von numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen, die über ein gemeinsames Werkstück-Transportsystem verbunden sind und zentral gesteuert werden. Der Fertigungsdurchlauf erfolgt vollautomatisch. Wesentliche Merkmale eines Flexiblen Fertigungssystems (FFS) sind:

FFS-geeignete Maschinen mit Leitrechner Werkstück- bzw. Materiallagersystem Reinigungsstation, Messstation,

In hoch automatisierten Systemen werden auch das Materiallager, die Spannvorrichtungen, die Qualitätskontrolle und die Werkzeugverwaltung ins Konzept mit einbezogen.

Flexible Fertigungssysteme sind aus der industriellen Produktion nicht mehr wegzudenken. Sie haben sich besonders dort bewährt, wo Produkte nur in kleineren bis mittleren Stückzahlen bzw. als Einzelteile („Batch Size One“) gefertigt werden müssen (Kief et.al. 2013).

Flexible Fertigungssysteme und 3D-Druck Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Franz Haas

D

Schneiden undVerkleben

Schmelzen undAuftragen

Aufschmelzen mit

Laserstrahlen

Härten mit Laserstrahlen

Ausgangs-material:

Verfahren:

Fused Deposition Modeling(Fused Filament Fabrication)

Härten durchBindemittel 3D Printing

Selective Laser Sintering

Stereolithographie

Folien

Draht

Pulver

Flüssig

Selective Laser Molding

Laminated Object Manufacturing

Arbeitsweise:

Abb. 1 Überblick „Additive Manufacturing“ (Breuninger et.al. 2013)

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29WINGbusiness 2/2015

PAPEr

Bauteilkomplexität

Fert

igun

gsko

sten

/Stü

ck

Abb. 2 Vergleich „Konventionelle” und „Additive” Fertigung

Abb. 4 Drucker mit Anbauteilen („IFT-Automation-Kit“)

III. ADDITIVE FERTIGUNG Additive Fertigungsverfahren beruhen auf dem Prinzip des

schichtweisen Aufbaus von Bauteilen, d.h. das Bauteil wird durch die Erzeugung einzelner Schichten generativ erzeugt.

Bild 2 zeigt den Verlauf der Fertigungs-Stückkosten, nicht wie meist üblich als Funktion der Stückzahl, sondern in Abhängigkeit der Bauteilkomplexität. Für die sehr komplexen Bauteile des Leichtbaus oder bei Integralbauteilen ist die Additive Fertigung deutlich wirtschaftlicher als die konventionelle Fertigung. Über eine CAD-CAM Kopplung werden digitale CAD-Datenmodelle direkt in reale Bauteile umgesetzt. Die vorgeschlagene Automatisierung des

Druckens (Kurve FFS-AM) zeigt eine signifikante, vom Bauteil unabhängige Kostenreduktion durch die Verkürzung der Durchlaufzeit und den reduzierten Personalaufwand. Prämisse für die Gültigkeit des Vergleichs sind Werkstücke gleicher Bauhöhe, die mit den additiven Verfahren schichtweise (Dicke ca. 0,05 bis 0,1 mm) erreicht wird.

IV. AUTOMATISIERUNG DES 3D-DRUCKPROZESSES Das Institut für Fertigungstechnik der Technischen

Universität Graz hat ein Projekt erfolgreich abgeschlossen, dessen Ziel die Automatisierung sämtlicher Nebenprozesse (z.B. Fertigteilwechsel, Filament-Wechsel) beim 3D-Druck ist. Ausgangsbasis ist ein Makerbot Replicator 2X. Dies ist ein Standard-3D-Drucker, welcher nach dem „Fused Filament Fabrication“ Verfahren arbeitet (siehe Abbildung 3). Bei diesem Projekt wurde neben der Funktionalität besonderes Augenmerk auf die Kosten gelegt. Um die Nebenprozesse beim 3D-Druck zu automatisieren, bedarf es einer Modifikation des Druckers.

Bei dieser wurde sichergestellt, dass am Gerät selbst keine Nacharbeiten durchgeführt werden müssen. Dazu wird ein Umbausatz an den am Drucker vorhandenen Verbindungsstellen montiert. Dieser Umbausatz wurde am Institut für Fertigungstechnik entwickelt und ermöglicht die Bedienung des ausgewählten Druckers mit einem Knickarmroboter.

Zirka 80 Prozent (siehe Bild 4) der Komponenten des Umbausatzes für einen üblichen 3D-Drucker werden durch generative Fertigung mit dem Drucker selbst hergestellt. Dies spart Zeit und Kosten. Des Weiteren wird dadurch der Umbau vereinfacht, da zur Produktion der Bauteile nur der Drucker erforderlich ist. Erfolgreich durchgeführte Versuche bestätigen die Funktionalität der Interaktion zwischen Roboter und 3D-Drucker. Hiermit ist eine Basis für den Aufbau flexibler 3D-Druck Fertigungszellen geschaffen.

Das am IFT entwickelte „Automation-Kit“ für den 3D-Drucker besteht im Wesentlichen aus einer Werkstück-Trägerplatte, einer Drahtrollenaufnahme, einer Einzugs- und Puffervorrichtung sowie der Kamerahalterung. Durch die Einzugsvorrichtung ist der komplexe Bewegungsvorgang der Drahtzuführung zum Druckkopf vom Roboter entkoppelt. Abbildung 4 zeigt den für die Automatisierung hochgerüsteten 3D-Drucker.

In Abbildung 5 ist eine mögliche Variante eines solchen Flexiblen Fertigungssystems dargestellt. Darin übernimmt ein Knickarmroboter, welcher auf einer Linearachse verfährt, die Bedienung von zwölf 3D-Druckern (Michelitsch 2014).

Ein Video zur Automatisierung der Nebenprozesse des 3D-Druckers ist auf www.ift.tugraz.at zu finden.

variablerTisch

Bauteil

Düse/ExtruderDrahtspeicher Druckkopf

Abb. 3 Fused Filament Fabrication Prinzip mit zwei Drahtrollen

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PAPEr

Abb. 5 Flexibles Fertigungssystem mit zwölf Maschinen (3D-Druckern)

Störungen während des Druckvorgangs werden automatisch detektiert und der jeweilige Auftrag an einem Ersatzdrucker abgearbeitet, wodurch Produktqualität und Liefertreue gewährleistet sind. Die erweiterte Sensorik am Drucker schafft mit der Vernetzung aller Einheiten eine Datenbasis, deren Auswertung auf Sicht den Prozess verbessert und das Flexible Fertigungssystem im Sinne von Industrie 4.0 optimiert. Jeder 3D-Drucker stellt für sich ein „Cyber Physical Production System“ dar, die Produkte werden direkt aus den CAD-Daten per Internetorder definiert.

V. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Die Automatisierung folgender Nebenprozesse des 3D-

Druckprozesses führt zu niedrigen Druckkosten und kurzen Lieferzeiten:

Kopplung von CAD, „Slicer“, G-Code Aufwärmen von Druckkopf und Druckbett Filament-Zufuhr zum Druckkopf Materialwechsel Bauteilentnahme Bauteilreinigung, Entfernen von Stützen

Neue Geschäftsmodelle, die die kurzfristige Lieferung von

Einzelteilen und Kleinserien über Internet-Plattformen anbieten, bekommen damit ein Werkzeug zur Hand, das es ermöglicht, noch rascher und kostengünstiger zu produzieren. Der Erweiterungsbausatz für die Automatisierung kann fast vollständig vom Drucker selbst gefertigt werden. Die Anordnung der Drucker rund um das Handhabungsgerät orientiert sich nach den räumlichen Gegebenheiten und soll die Erweiterbarkeit des Systems ermöglichen. So ist eine lineare Anordnung genauso denkbar wie ein sternförmiges Layout. Doch die Entwicklung der Additiven Verfahren ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Palette von Werkstoffen für voll funktionsfähige Teile muss noch erweitert werden. Die preisgünstigen Anlagen verfügen meist über zu geringe Prozesssicherheit und Genauigkeit. Abschließend sei ein Beispiel für eine komplett neue Technik in der Additiven Fertigung erwähnt. „Continuous liquid interface production of 3D objects“, kurz CLIP genannt, stellt einen Quantensprung in der Baugeschwindigkeit von 3D-Druckern in Aussicht (Tumbleston J.R. 2015). Demnach sollen mit diesem Stereolithographie-Verfahren die Bauzeiten um das Zwanzigfache und mehr verkürzt werden. Diese und noch viele weitere Innovationen werden künftig aufzeigen, in welche Richtung sich die 3D-Drucker entwickeln werden. Unabhängig von der Maschinentechnik wird aber die Automatisierung der Prozesse ein unverzichtbares Element für den nachhaltigen Erfolg dieser Technologie sein. Flexibles Arbeiten und Flexibilität in der Produktgestaltung erfordern intelligente Produktionskonzepte, die von Menschen für Menschen im Sinne von Industrie 4.0 geschaffen werden müssen.

REFERENCES 1. Breuninger J., Becker R., Wolf A., Rommel S., Verl A., 2013.

Generative Fertigung mit Kunststoffen. Springer Verlag. 2. Kief H.B., Roschiwal H.A. 2013. CNC-Handbuch 2013/2014. Hanser

Verlag. 3. Michelitsch M. 2014. Automatisierung des Prozessablaufes beim 3D

Drucken. Bachelorarbeit Institut für Fertigungstechnik TU Graz. 4. Abele E., Reinhart G., 2011. Zukunft der Produktion. Hanser Verlag. 5. Tumbleston J.R. et.al. 2015. Continuous liquid interface production of

3D objects. Onlinequelle sciencemag.org [30.03.2015].

Prof. Franz Haas ist seit Oktober 2013 Vorstand des Institutes für Fertigungstechnik an der TU Graz. Zuvor war er unter anderem als FH-Professor an der Fachhochschule Campus 02 in Forschung und Lehre sowie als Geschäftsführer im eigenen Maschinenbau-Unternehmen tätig.

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PAPEr

Abstract—Eine Umstellung auf flexibles Arbeiten geht mit der Veränderung der Komplexität von Kommunikationsprozessen zwischen den Beteiligten einher. Traditionelle Kommunikati-onsmuster, die hauptsächlich vom face-to-face Kontakt geprägt waren, müssen nun durch computer-vermittelte Kommunikati-on – zumindest teilweise – ersetzt werden. Es wird zwischen zwei primären Kommunikationsprozessen (Informationsüber-mittlung und Informationsverdichtung) unterschieden, welche unterschiedliche Anforderungen an die Informations- und Kommunikationstechnologien stellen, um die Zusammenarbeit effektiv zu gestalten.

Index Terms—flexibles Arbeiten, Kommunikation, Informa-tions- und Kommunikationstechnologie, Mediensynchronizitäts-theorie

I. EINFÜHRUNG LEXIBLES Arbeiten kennzeichnet sich durch die Wahl-freiheit von Arbeitnehmer_innen, selbst zu entscheiden wann und wo sie arbeiten. Diese Erhöhung der Freiheits-

grade bei der Art der Aufgabenausführung wird durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnolo-gien (IKT) ermöglicht (Hill et al. 2008). Dennoch ist flexib-les Arbeiten weit mehr als nur computervermittelte Kommu-nikation. Der Kern dieses Ansatzes stellt ein neues Verständ-nis von Arbeit dar. So sollen Mitarbeiter_innen selbst ent-scheiden wann sie arbeiten (flexible Arbeitszeiten), wo sie arbeiten (z.B. Telearbeit) und welche Kommunikationsme-dien sie dazu benutzen (Demerouti et al. 2014). Im Jahr 2012 arbeitete bereits ungefähr ein Drittel der deutschen Arbeit-nehmer_innen an mehreren Tagen pro Woche von zu Hause aus (BITKOM, 2013). Für Österreich liegen zum gegenwär-tigen Zeitpunkt keine aktuellen Zahlen vor. Für Unternehmen bieten flexible Arbeitskonzepte das Potential, Bürokosten einzusparen (Apgar, 1998), Stellen für Menschen mit einer körperlichen Behinderung zu schaffen (Pérez et al. 2002) und die Produktivität zu erhöhen (Conrad et al. 2000; Hill et al. 1998). Für Mitarbeiter_innen reduzieren flexible Arbeitskon-zepte Pendelkosten und Fahrzeiten (Sardeshmukh et al. 2012). Darüber hinaus haben sie positive Auswirkungen auf die wahrgenommene Autonomie und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und resultieren in höherer Arbeitszufrie-denheit bei den Mitarbeiter_innen (Kelliher et al. 2010),

Manuscript received April 28th 2015, revised June 24th 2015, accepted by Siegfried Vössner July 1st 2015.

Sowie einer geringeren Fluktuation im Unternehmen (Gajendran et al. 2007). Andererseits ergeben sich durch flexibles Arbeiten auch verschiedene Herausforderungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich sozial isoliert fühlen (Golden et al. 2008), haben keine räumliche Trennung zwischen Berufs- und Privatleben (Kossek et al. 2006) und die sozialen Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen können sich verschlechtern (Gajendran et al. 2007). Füh-rungskräfte sind mit Aspekten wie Performancekontrolle und Vertrauen in die Mitarbeiter_innen konfrontiert (Konradt et al. 2003).

Eine erfolgreiche Umstellung von konventionellen Ar-beitszeitmodellen hin zu flexiblem Arbeiten geht mit der Anpassung an sich verändernde Kommunikationsprozesse einher. Führungskräfte und Mitarbeiter_innen müssen ihre Kommunikation, die in konventioneller Zusammenarbeit durch direkten persönlichen Kontakt – sogenannte face-to-face Kommunikation - geprägt ist, an die neuen Gegebenhei-ten anpassen. Es bedarf also eines oder mehrerer Kommuni-kationsmedien wie (Video-)Telefonie, Chat und Messaging Systemen bis hin zu internen social media Plattformen, um den Kontakt und Informationsaustausch zwischen den Ak-teur_innen zu gewährleisten. Es liegt auf der Hand, dass Kommunikationsprozesse durch die steigende Anzahl an Kommunikationsmedien komplexer werden. Anhand des kognitiv-affektiven Modells der Kommunikation in Organi-sationen (Te’eni, 2001) werden im Folgenden relevante Aspekte der Kommunikation beschrieben und im Kontext des flexiblen Arbeitens diskutiert. Das kognitiv-affektive Modell bietet im Gegensatz zu konventionellen Sender-Empfänger Modellen den Vorteil, dass es neben der reinen Informations-übermittelung auch kognitive Aspekte einbezieht (z.B. In-formationsverarbeitungskapazität, Kommunikationsstrategien und gemeinsames Verständnis des kommunizierten Inhalts) und affektiven bzw. emotionalen Faktoren Rechnung trägt (Beziehung zwischen Sender_in und Empfänger_in). Abbil-dung 1 veranschaulicht die drei Hauptfaktoren der Kommu-nikation in Organisationen und deren Elemente. Zu Beginn werden Rahmenbedingungen (Input) und die Kommunikati-ons(aus)wirkung beschrieben. Anschließend wird der Kom-munikationsprozess mit besonderem Fokus auf Informations- und Kommunikationstechnologien ausgeführt und die Aus-wirkungen flexibler Arbeit auf die Komplexität des Kommu-nikationsprozesses diskutiert und praktische Implikationen vorgeschlagen.

Alessandro Wärzner, Martina Hartner-Tiefenthaler & Sabine T. Koeszegi

Fern und doch so nah: Wie kann Kommunikation in flexiblen Arbeits-

formen gut gelingen?

F

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32 WINGbusiness 2/2015

PAPEr

II. INPUT UND RAHMENBEDINGUNGEN Als Input werden Merkmale der Aufgabe, die kognitive

und affektive Distanz zwischen Sender_in und Empfän-ger_in, sowie deren Normen (formale und informelle Kom-munikationsregeln) und kulturelle Werte verstanden. Formale Kommunikationsregeln können beim flexiblen Arbeiten zum Beispiel geregelte und vor allem angemessene Antwortzeiten auf E-Mails und Anrufe oder ein Jour fixe sein (z.B. wö-chentliches Meeting im Büro). Informelle Kommunikations-regeln beschreiben unausgesprochenen Regeln der Kommu-nikation innerhalb des sozialen Zusammenlebens. Beispiels-weise begrüßt man sich, wenn man einen Raum betritt. Diese Regel wird meist auch in der schriftlichen Kommunikation beachtet.

Wird eine Aufgabe im Team erledigt, ist es erforderlich, dass die benötigten Ausführungsschritte festgelegt werden, um die Aufgabe abzuschließen. Zumeist variieren diese Schritte über die Aufgabe hinweg und sind an zeitliche Rahmenbedingungen gebunden. Die unterschiedliche Wahr-nehmung der Aufgabe und deren Ausführungsschritten drückt sich in der kognitiven und affektiven/emotionalen Distanz zwischen Sender_in und Empfänger_in aus und beschreibt den Unterschied ihrer Interpretationen der Situati-on vor dem Übermitteln einer Nachricht. Arbeiten Kol-leg_innen bereits längere Zeit zusammen, müssen weniger Informationen explizit ausgesprochen werden. Werden z.B. neue Teams formiert, dann ist die kognitive und affektive Distanz zwischen Personen besonders groß, wenn sich die beteiligten Personen nicht kennen und deren kultureller Hintergrund, Weltanschauung und Werte erst kommuniziert werden müssen. Beim flexiblen Arbeiten kommt zudem der physischen Distanz zwischen Sender_in und Empfänger_in eine entscheidende Rolle zu (Hinds et al. 2005). Wenn Kol-leg_innen außerhalb des Büros arbeiten, ist es nicht mehr möglich eine kurze Frage in den Raum zu stellen oder ein spontanes Gespräch über die Lösung eines Problems auf dem Flur zu führen. Spontane face-to-face Kommunikation ist

beim flexiblen Arbeiten an die Nutzung von IKT gebunden, die eine Nachricht zwischen Sender_in und Empfänger_in übermittelt.

III. KOMMUNIKATIONS(AUS)WIRKUNG Die Kommunikations(aus)wirkung betrifft das geteilte Ver-

ständnis (Sachebene) sowie die Beziehung (Beziehungsebe-ne) zwischen Sender und Empfänger.

A. Sachebene - Gemeinsames Verständnis Um gemeinsam erfolgreich an einer Aufgabe zu arbeiten,

muss ein gemeinsames Kontextverständnis erlangt werden. Wenn beispielsweise ein Bürogebäude gebaut werden soll, müssen alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis des zu bauenden Gebäudes entwickeln. Der Kontext wird dabei als Summe allen Wissens definiert, das die beteiligten Personen über eine Aufgabe haben. Eine Architektin verfügt über anderes Wissen als ein Statiker oder Fachpersonal für Elekt-ronik, Sanitär oder IT. Innerhalb eines Entscheidungsprozes-ses werden diejenigen Teile des Wissens, die für die Aufgabe relevant sind (Kontextwissen), von irrelevanten Teilen (ex-ternes Wissen) abgegrenzt (Brézillon et al. 1999). Beispiels-weise ist das Wissen der Architektin über Familienwohnun-gen weniger relevant, wenn ein Bürogebäude gebaut werden soll als wenn ein Einfamilienhaus gebaut werden soll. Eine Person hat nun die Möglichkeit ihr Kontextwissen bereit zu stellen. Dies bedeutet, dass sie ihr Kontextwissen durch Kommunikation teilt. Fachpersonal, das die Elektronik im Bürogebäude plant ist mit anderen Fragen konfrontiert als diejenigen Personen die für Sanitäranlagen verantwortlich sind. Die beteiligten Personen haben also einen unterschied-lichen Fokus auf eine Aufgabe und besitzen unterschiedliches Kontextwissen. Folglich haben sie verschiedene Zugänge zu und Sichtweisen auf die Aufgabe oder ein Problem und setzen unterschiedliche Prioritäten. Beispielsweise müssen zahlreiche Vorschriften und Vorgaben beim Bau eines Ge-bäudes eingehalten werden. Durch Kommunikation wird das Wissen für andere bewusst (explizit) gemacht und Teil des

Abb. 1. Kognitiv-affektives Modell der Kommunikation in Organisationen nach Te’eni (2001)

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gemeinsamen bzw. geteilten Kontextwissens (Brézillon et al. 1999; Santoro et al., 2005). Wird der Kontext geteilt, so stärkt das auch die Beziehung zwischen Mitarbeiter_innen (Hinds et al. 2005). Außerdem haben sie dann Zugang zu den gleichen Informationen, nutzen die gleichen Arbeitsmittel und teilen Wissen über Arbeitsabläufe und Arbeitskulturen (Hinds et al. 2003). Kommunizieren Kolleg_innen die not-wendigen Kontextinformationen nicht ausreichend unterei-nander um gemeinsames Kontextwissen zu generieren, wird hingegen die Entstehung von Aufgabenkonflikten begünstigt (Jehn, 1997).

B. Beziehungsebene Kommunikation zwischen Sender_in und Empfänger_in

wirkt sich auf deren Beziehung aus (Te’eni 2001; Schulz von Thun 1981; Watzlawick et al. 1974). Stellt der/die Empfän-ger_in einer Nachricht beispielsweise fest, dass die erhaltene Information falsch war, wird sich dies auf die Glaubwürdig-keit der sendenden Person und dem Vertrauen, das ihr entge-gengebracht wird, auswirken. Der/die Empfänger_in der Nachricht wird sich beim nächsten Mal wahrscheinlich genau überlegen ob er/sie den Informationen des Senders/der Sen-derin vertrauen kann und eher schriftlich nachfragen, um über eine dokumentierte Antwort zu verfügen und gegebe-nenfalls Maßnahmen ergreifen zu können. An diesem Bei-spiel wird auch deutlich, dass sich Sach- und Beziehungsebe-ne gegenseitig beeinflussen. Die Reduktion des face-to-face Kontakts, die mit flexiblem Arbeiten einhergeht, stellt eine mögliche Gefahr für die Beziehungen zwischen Kol-leg_innen dar. Obwohl auf der Grundlage der sozialen Infor-mationsverarbeitungstheorie (Walther, 1996) argumentiert werden kann, dass die computervermittelte Kommunikation ähnliches Potenzial wie face-to-face-Kommunikation für den Aufbau von Beziehungen und sozialer Interaktion hat, gibt es auch Ergebnisse, die zeigen, dass die Gefahr der Konflik-teskalation bei computervermittelter Kommunikation erhöht wird (Friedman et al. 2004). Kiesler et al. (1984) legen nahe, dass enthemmtes Verhalten durch die Reduktion sozialer Hinweise/Stimuli in der computervermittelten Kommunikati-on entsteht. De-Individuationseffekte gehen mit geschwäch-ter Verhaltenskontrolle, verringerter Bewertungsangst vor den Konsequenzen des eigenen Verhaltens und der Bewer-tung durch Andere, sowie mit geschwächten rationalen und normativen Urteilsprozesse einher (Kiesler et al. 1984).

Gajendran und Harrison (2007) zeigen in einer Meta-Analyse, dass Telearbeit per se keine nachteiligen Auswir-kungen auf die Qualität der Beziehungen am Arbeitsplatz hat. Allerdings kann sich die Beziehung zwischen Kolleg_innen verschlechtern, wenn der Großteil der Arbeitszeit außerhalb des eigentlichen Arbeitsplatzes im Unternehmen verbracht wird. Die Reduktion sozialer Interaktionen, die mit mobilem Arbeiten einhergeht, kann aber auch zu einem Gefühl der Loslösung und Distanz (Hylmo et al., 2002) bis hin zur sozialen Isolation führen (Golden et al. 2008). Mobil arbei-tenden Mitarbeiter_innen fehlt oftmals die Möglichkeiten für spontane und informelle Interaktionen (Oertig et al. 2006). Hinds et al. (2005) vergleichen konventionelle mit dislozier-ten Teams und zeigen, dass dislozierte Teams häufiger mit

Aufgaben- und Beziehungskonflikten konfrontiert sind als konventionelle Teams, die zusammen am selben Ort arbeiten. Beziehungskonflikte entstehen durch Meinungsverschieden-heiten zwischen den Gruppenmitgliedern über zwischen-menschliche Themen und basieren auf Persönlichkeitsunter-schieden oder unterschiedlichen Standpunkten hinsichtlich ihrer Normen und Werte (De Dreu et al. 2003).

Hinds et al. (2005) betonen, dass spontane Kommunikation eine wichtige Rolle beim Aufbau und der Pflege guter Bezie-hungen zwischen den Teammitgliedern spielt. Spontane Kommunikation helfe darüber hinaus, eine ausgeprägte gemeinsame Identität innerhalb des Teams zu etablieren. Fay et al. (2011) zeigen, dass sich die Zufriedenheit mit der informellen Kommunikation auf die Zufriedenheit mit der Beziehung zu Kollege_innen auswirkt. Eine gute Beziehung zu den Kolleg_innen steht wiederum in positivem Zusam-menhang mit deren Arbeitszufriedenheit und der Identifikati-on mit dem Unternehmen (Fay et al. 2012). Die Identifikation mit dem Unternehmen steht allerdings auch im direkten Zusammenhang mit der Häufigkeit informeller Kommunika-tion (Wiesenfeld et al. 2006). Diese Ergebnisse zeigen,

Tabelle 1. Übersicht der Kommunikationsstrategien des kognitiv-affektiven Modells der Kommunikation in Organisationen (Te’eni, 2001) mit Beispie-len.

Kommunikations-strategien Definition Beispiel

Kontextualisierung Bereitstellung von Wissen über die Rahmenbedingungen

wer, wie, wo, wann, was, warum

Affektivität Bereitstellung von affektiven Kompo-nenten (Emotionen, Stimmungen)

! vielen Dank, das freut mich

Kontrolle durch testen und anpas-sen

Testen und anpassen des Kommunikati-onsprozess in Ab-hängigkeit von der Rückmeldungen des Empfängers/der Empfängerin

Was denken Sie darüber? Habe ich etwas Ver-gessen?

Kontrolle durch Planung Fokussierung der Aufmerksamkeit

Planung der Kom-munikationsmuster und Eventualitäten vor dem Prozess Lenkung oder Mani-pulation der Infor-mationsverarbeitung des Empfängers/der Empfängerin

Was soll im Gespräch geklärt werden? Bitte denken Sie auch an das Proto-koll.

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34 WINGbusiness 2/2015

PAPEr

welche immanente Bedeutung die adäquate Nutzung der IKT bei flexiblen Arbeitsformen hat.

IV. KOMMUNIKATIONSPROZESS Der Kommunikationsprozess beinhaltet die Wahl eines

oder mehrerer Kommunikationsstrategien (Mittel zur Errei-chung des Kommunikationsziels), die Form der Nachricht und das Medium mit dem die Nachricht übermittelt wird, um ein bestimmtes Kommunikationsziel des Senders oder der Senderin zu erreichen. Kommunikationsziele können Hand-lungsanweisungen, die Koordination von einander abhängi-ger Handlungen, die Beeinflussung des Gegenübers sowie die Förderung von Beziehungen am Arbeitsplatz sein. Damit ein Kommunikationsziel erreicht werden kann, muss eine geeignete Kommunikationsstrategie gewählt werden. Bei-spielsweise können mittels Kontextualisierung Zusatzinfor-mationen bereitgestellt werden, die die Interpretation des Senders bzw. der Senderin bezüglich der Aufgabe und deren Teilschritte erleichtert. Kommunikationsstrategien dienen der Reduktion der Komplexität der Kommunikation auf die später näher eingegangen wird. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über ausgewählte Kommunikationsstrategien des kognitiv-affektiven Modells der Kommunikation in Organisationen (Te’eni, 2001). Die Form der Nachricht beschreibt die forma-len Charakteristika einer Nachricht wie die Anzahl ihrer semantischen Einheiten (z.B. Worte oder Sätze), den Emp-fänger_innenkreis, die Strukturiertheit der Nachricht um das Verstehen ihres Inhalts zu fördern, sowie deren Ausmaß an Abstraktion (z.B. Entscheidungen aus einem Gespräch wer-den auf einem Memo für eine Kollegin festgehalten).

A. Kommunikationsmedien Flexibles Arbeiten wird durch synchrone und asynchrone

Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht. Gemäß der Mediensynchronizitätstheorie (Dennis et al. 1998) beeinflusst die Art der Kommunikationsaufgabe und deren Anforderung an die Informationsverarbeitungskapazität eines Mediums die Wahl des geeigneten Kommunikationsmedi-ums. Kommunikationsaufgaben in Gruppen können in zwei Primärprozesse eingeteilt werden: Einerseits gibt es diver-gente Prozesse, die der Informationsübermittlung dienen. Dabei geht es darum, viele, leicht zu verarbeitende Informa-tionen möglichst schnell zwischen den Mitgliedern auszutau-schen. Ein geteiltes Verständnis oder der Fokus auf dieselbe Information ist überflüssig (Weigle et al. 2000). Andererseits gibt es konvergente Prozesse, die auf die Informationsver-dichtung abzielen (Dennis et al. 1999). Informationsverdich-tungsprozesse dienen der Strukturierung und Bündelung von Informationen um einer Informationsüberflutung entgegen-zuwirken und ein gemeinsames Verständnis der Aufgabe zu schaffen (Dennis et al. 2008).

B. Mediendimensionen Dennis et al. (1999) führen fünf Dimensionen zur Be-

schreibung der Eigenschaften verschiedener Kommunikati-onsmedien an: (i) Die Symbolvarietät beschreibt auf wie viele Arten Informationen übermittelt werden können. Bei-spielsweise hat Videotelefonie im Vergleich zur E-Mail eine

hohe Symbolvarietät, da die Stimmlage, Mimik und Gestik in denselben Kommunikationsvorgang einfließen. (ii) Die Schnelligkeit der Rückkopplung beschreibt die Unmittelbar-keit des Feedbacks bidirektionaler Kommunikation. Während die Kommunikationsteilnehmer_innen bei asynchroner Kommunikation wie etwa mittels E-Mail oder Briefverkehr vergleichsweise lange auf eine Reaktion warten müssen, erhalten die Kommunikationspartner_innen bei synchroner Kommunikation wie etwa in einem persönlichen Gespräch oder im Chat unmittelbar Feedback auf ihre Aussagen. (iii) Die Parallelität oder Gleichzeitigkeit gibt die mögliche Anzahl gleichzeitig ablaufender effektiver Konversationen eines Mediums an. Beispielsweise kann am Telefon eine Konversation nur effektiv stattfinden, wenn die Teilneh-mer_innen nicht parallel sprechen, während bei sogenannten Groupwaresystemen mehrere Konversationen parallel struk-turiert werden und auch mehrere Teilnehmer_innen parallel kommunizieren können. (iv) Die Wiederverwendbarkeit zielt darauf ab, ob eine Nachricht nach dem Verschicken noch weiter zur Verfügung steht und zu späteren Zeitpunkten nochmals verwendet werden kann. Schriftliche Kommunika-tion eignet sich beispielsweise sehr gut dazu (zumindest in Ausschnitten) wieder verwendet zu werden, während das bei mündlicher Kommunikation kaum möglich ist. (v) Die Än-derbarkeit oder Überarbeitbarkeit bezieht sich auf die Mög-lichkeit des Senders/der Senderin, eine Nachricht vor der Übermittlung zu überarbeiten. Ähnlich wie bei der Wieder-verwendbarkeit ist das bei der mündlichen Kommunikation kaum möglich, bei schriftlicher jedoch schon. Die verschie-denen Kommunikationsmedien bergen unterschiedliche Möglichkeiten und Grenzen. Es ist wichtig zu beachten, dass es kein Medium gibt, welches in allen angeführten Dimensi-onen überlegen ist (Dennis et al. 1999). Es bedarf also des Bewusstseins des Senders/der Senderin der Information, ob diese „verteilt“ werden soll, oder ob das Ziel der Kommuni-kation darin liegt, auf einen gemeinsamen Nenner zu kom-men.

Die beiden primären Kommunikationsprozesse Informa-tionsübertragung und Informationsverdichtung unterscheiden sich hinsichtlich der beiden Dimensionen Parallelität und

Tabelle 2. Beurteilung der fünf Dimensionen der Kommunikation in Bezug auf divergente und konvergente Informationsprozesse

Kommunikationstyp / Informations-übertragung

Informations-verdichtung

Mediendimension (divergent) (konvergent)

Symbolvarietät unbestimmt unbestimmt

Unmittelbare Rück-kopplung niedrig hoch

Parallelität hoch niedrig

Wiederverarbeitbarkeit hoch hoch

Änderbarkeit hoch hoch

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Schnelligkeit der Rückkopplung (siehe Tabelle 2). So gibt es für bestimmte Informationen oder Problemstellungen bessere oder weniger geeignete Darstellungsmöglichkeiten und Medien. Beispielsweise lassen sich Informationen über die Entwicklung von Aktienkursen (divergent) am besten schrift-lich und in Form von Graphen übermitteln (niedrige Syn-chronizität). Soll hingegen eine ausdifferenzierte Entschei-dung getroffen werden (konvergent), ob eine spezielle Aktie verkauft werden soll oder nicht, bedarf eine Entscheidung die Verdichtung bzw. ein gemeinsames Verständnis der beteilig-ten Personen über die zur Verfügung stehenden Informatio-nen. Beispielsweise sollten hier vor einem Verkauf der Aktie Informationen über deren Entwicklung über die Zeit, das Marktgeschehen, Erwartungen bezüglich der zukünftige Entwicklungen etc. ausgetauscht und von den beteiligten Personen auch verstanden werden. Es bedarf also einer direkten Rückmeldung der Beteiligten (hohe Synchronizität), welche durch synchrone Kommunikation (z.B. Telefon, face-to-face, Chat) erreicht werden kann.

V. KOMPLEXITÄT DER KOMMUNIKATION Die Komplexität der Kommunikation ist Folge der begrenz-

ten Nutzung von Ressourcen, die erfolgreiche Kommunikati-on in unsicheren und sich verändernden Umständen erfordert, und kann hinsichtlich dreier Kategorien unterschieden wer-den: (A) kognitive, (B) dynamische und (C) affektive Kom-plexität. Flexibles Arbeiten geht mit einer Erhöhung in allen drei Kategorien einher. Kognitive Komplexität wird maßgeb-lich durch die intensivere Nutzung von IKT erhöht. Die Erhöhung der dynamischen Komplexität geht auf die räumli-che und zeitliche Flexibilisierung der Arbeit zurück. Sen-der_innen von Nachrichten müssen sich einerseits an die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten ihres eigenen Standorts anpassen, andererseits müssen sie auch die Situati-on der Empfängerin/des Empfängers berücksichtigen. Affek-tive Komplexität wird durch dich Reduktion des face-to-face Kontakts und der damit einhergehenden Verringerung sozia-ler Hinweisreize erhöht (siehe Abschnitt Beziehungsebene).

A. Kognitive Komplexität Kognitive Komplexität entsteht durch Interdependenz (ge-

genseitige Abhängigkeit) und Intensität des Informationsaus-tausches zwischen den Gruppenmitgliedern welche zu Miss-verständnissen führen kann. Je mehr kommuniziert wird, desto mehr kann folglich auch falsch verstanden werden. Darüber hinaus erhöht die Vielfalt unterschiedlicher Ansich-ten der Gruppenmitglieder die Möglichkeit, dass Nachrichten in einem anderen Kontext wahrgenommen werden als vom Sender/der Senderin beabsichtigt.

Die Inkompatibilität zwischen der Darstellung einer Infor-mation mittels eines Mediums und der nötigen Form für die Nutzung der Information erfordert eine Übersetzung der Nachricht, was die Anfälligkeit für Fehler erhöht (Te’eni, 2001). Erinnern wir uns an das Beispiel zur Übermittlung der Entwicklung von Aktienkursen. Wird diese Entwicklung mündlich beschrieben, müssen alle als relevant erachteten Aspekte berichtet werden und vom Empfänger oder der Empfängerin richtig interpretiert werden. Wird hingegen eine

Grafik mit einem kurzen Begleittext gesendet, können die nötigen Informationen gezielt abgelesen werden. Die Fehler-anfälligkeit wird reduziert und der Kommunikationsprozess wird effizienter, da nicht alle Informationen explizit ausge-sprochen werden müssen.

B. Dynamische Komplexität

Die dynamische Komplexität entsteht durch zeitliche Rah-

menbedingungen, unklare oder fehlerhafte Rückmeldungen und unvorhergesehene Veränderungen im Zuge einer koope-

Beim flexiblen Arbeiten bietet es sich an, bewusst auf den Grad der Kontextualisierung (siehe Tab. 1) einer Nachricht zu achten, wenn das Kommunikationsziel einer hohen kognitiven Komplexität unterliegt. Beispielsweise können bei der Koordination von Aufgaben innerhalb eines Projekts die Rahmenbedingungen der jeweiligen Information abgeklärt und zusätzliche Informationen bereitgestellt werden. Hierdurch wird der interpretative Spielraum für das Verstehen einer Nachricht verringert. Ein Gespräch (face-to-face meeting, Videokonferenz, Telefon) bietet die Möglichkeit alle relevanten Informati-onen und Kontextualisierungen bereitzustellen. Ist der bzw. die Empfänger_in für ein Gespräch nicht verfügbar, oder werden die Informationen zu einem späteren Zeit-punkt nochmals benötigt, dann bietet sich E-Mail als das Medium der Wahl an.

Sehen sich Sender_in und Empfänger_in nicht, so ist eine direkte visuelle Rückmeldung, ob die Nachricht verstanden wurde (z.B. durch Nicken oder Kopfschütteln) nicht gegeben. Ist die Kommunikationssituation durch hohe dynamische Komplexität gekennzeichnet sollten Kommunikationsmedien gewählt werden, die einen hohen Grad an Kontextualisierung zulassen und die Möglichkeit für direkte Rückmeldung geben.

Herrscht eine Situation mit hoher kognitiver und hoher dynamischer Komplexität ist es ratsam, sich während des Kommunikationsprozesses, an die Rückmeldungen des Empfängers/der Empfängerin anzupassen. Diese Form der Kontrolle lässt sich am besten mit dem englischen Begriff monitoring (Überwachung) beschreiben. Um direkte Rückfragen zu ermöglichen ist ein Medium mit hoher Synchronizität von Vorteil.

Probleme die aufgrund einer niedrigen dynamischen

und hohen kognitiven Komplexität entstehen, können durch die Planung des Kommunikationsprozesses zumin-dest teilweise vermieden werden. Beispielsweise kann geklärt werden wann man erreichbar ist oder in welcher Zeit mit einer Antwort gerechnet werden kann. Ebenso macht es Sinn, sich im Vorfeld zu überlegen, welche relevanten Informationen gebraucht werden, um den Inhalt der Nachricht richtig zu interpretieren (Kontextua-lisierung).

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rativen Tätigkeit (Te’eni, 2001). Es ist also eine direkte Anpassung des Kommunikationsprozesses erforderlich.

Durch die erhöhte räumliche und zeitliche Flexibilität von Kolleg_innen beim flexiblen Arbeiten kann es noch leichter als in konventionellen Arbeitsformen vorkommen, dass eine Person durch die erhöhte dynamische Komplexität fehlerhaf-te Rückmeldung gibt oder sich zeitliche Rahmenbedingungen verschieben.

C. Affektive/Emotionale Komplexität Affektive Komplexität wird durch die Einstellungen der

Personen zueinander oder zum Thema beeinflusst. Über die Zeit können sich Einstellungen verändern, was zu Misstrauen und emotional bedingten Beziehungskonflikten zwischen den Gruppenmitglieder führen kann (Te’eni 2001). Die unter 3B (Beziehungsebene) angeführte Wirkung reduzierten face-to-face Kontakts verdeutlichen die Wichtigkeit der Beachtung und aktiven Regulation der affektiven Komplexität in Kom-munikationsprozessen beim flexiblen Arbeiten.

VI. CONCLUSION Die Reduktion des face-to-face Kontakts, die mit der Um-

stellung auf neues Arbeiten einhergeht, muss durch moderne Kommunikationsmedien abgefangen werden, um effiziente Kommunikation zu erhalten. Wo früher der face-to-face Kontakt für dringliche Anfragen unter Kolleg_innen genutzt werden konnte (dynamische Komplexität), bieten Chatpro-gramme (im Gegensatz zu E-Mail) die Möglichkeit der Anforderung an hohe Synchronizität gerecht zu werden. Bewährte konvergente und divergente Kommunikationsmus-ter zwischen Kolleg_innen bedürfen also einer Anpassung an die neuen Umstände die durch die erhöhte Komplexität des Kommunikationsprozesses beim neuen Arbeiten gekenn-zeichnet ist. Dabei ist es wichtig, für Kommunikationspro-zesse, die der Informationsübertragung dienen, das geeignete Kommunikationsmedium mit niedriger Synchronizität zu wählen. Hingegen sollen bei Informationsverdichtungspro-

zessen Medien, die eine hohe Synchronizität sichern, gewählt werden. Die beiden Kommunikationsstrategien Kontextuali-sierung und Fokussierung der Aufmerksamkeit (attention focussing) stellen zwei sehr nützliche Strategien dar, um der erhöhten kognitiven Komplexität des Kommunikationspro-zesses beim neuen Arbeiten gerecht zu werden. In der schrift-lichen Kommunikation können zur Lenkung der Aufmerk-samkeit Ausrufungszeichen und GROSSschreibung verwen-det werden. Ebenso kann auf die Wahl der Worte geachtet werden (lexical choice).

Die Etablierung von E-Mail zur Kommunikation in fast allen Belangen führt dazu, dass wichtige E-Mails in der Flut von Nachrichten untergehen können. Oftmals werden Nach-richten unter Zeitdruck nur überflogen und eine angemessene Informationsverarbeitung des Inhalts bleibt aus. Wichtige Informationen können manchmal nur schwer aus der Vielzahl an E-Mails wiedergefunden werden. Die stetig wachsende Anzahl an E-Mailanhängen führt dazu, dass Dokumente mehrfach abgespeichert werden und der Speicherplatz auf Servern stetig erweitert werden muss.

Werden zu viele verschiedene Kommunikationsmedien innerhalb eines Unternehmens genutzt, kann dies zu Über-forderung bezüglich der Nutzung der Medien führen. Daher ist es von Vorteil, bestimmte Kommunikationsformen für bestimmte Aufgaben zu standardisieren und Mitarbei-ter_innen in der Handhabung der verschiedenen Medien zu schulen.

Um eine mögliche Informationsüberflutung ebenso wie das Ausbleiben wichtiger Informationen zu verhindern (limi-tierte Ressourcen), sollten Spielregeln für die Kommunikati-on entwickelt oder vom Unternehmen vorgegeben werden. Kommunikationsstandards sichern den Kommunikationsfluss zwischen den beteiligten Akteur_innen und begünstigen die Entstehung gemeinsamen Kontextwissens.

Führungskräfte sollten Mitarbeiter_innen dabei unterstüt-zen, den Kontakt zu Kolleg_innen aufrecht zu halten, um gute Beziehungen zwischen den Mitarbeiter_innen zu ermög-lichen und potentiellen Konflikten vorzubeugen (affekti-ve/emotionale Komplexität). Hier bieten sich Präsenztag, an denen im Büro gearbeitet und intensiver Wert auf face-to-face Kommunikation gelegt wird an.

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Herrscht eine Situation in der hohe kognitive und af-fektive Komplexität gegeben ist, beispielsweise wenn eine Entscheidung getroffen werden muss und der Gegenüber trotzig und beharrlich auf seinem Standpunkt bleibt, empfiehlt sich zur Reduktion der Komplexitäten und Erreichung des Kommunikationsziels (die Meinung des Gegenübers zu beeinflussen) die Perspektive des Gegen-übers einzubeziehen.

Ist das Kommunikationsziel der Aufbau oder das Auf-

rechterhalten der sozialen Beziehung zum Gegenüber in einer Situation mit hoher affektiver Komplexität (z.B. Empfänger_in der Nachricht ist noch verärgert, weil der Geburtstag vergessen wurde), sollte dem – zur Reduktion der affektiven Komplexität – durch den Ausdruck von Emotionen begegnet werden. In der schriftlichen Kom-munikation können Emoticons eingesetzt werden (Gettin-ger et al. 2015).

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Alessandro Wärzner, Jahrgang 1985, Studium Psychologie mit Schwerpunk Arbeits- Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Wien 2013, schreibt seine Dissertation am Institut für Managementwissenschaften, Arbeitsbereich Arbeits-wissenschaft und Organisation an der TU Wien. In seiner Dissertation beschäftigt sich Alessandro Wärzner mit Gruppenkommunikation, Mediennut-zung, Kooperation und Gruppenkonflikten im Kontext des neuen Arbeitens.

Martina Hartner-Tiefenthaler ist Universitätsassis-tentin und Habilitandin am Institut für Management-wissenschaft, Arbeitswissenschaft und Organisation. Sie studierte Management, Business und Administra-tion am New College Durham (UK) sowie Psycholo-gie an der Universität Wien, wo sie 2010 promovier-te. Von 2012 bis 2013 war sie als Gastprofessorin für Lehre und Diplomarbeitsbetreuung an der Universität Wien im Bereich Wirtschaftspsychologie tätig. In ihrer aktuellen Forschung beschäftigt sie sich sowohl mit den psychologischen als auch den organisationa-

len Einflussfaktoren des flexiblen Arbeitens.

Sabine Theresia Köszegi ist seit 2009 Professorin für Arbeitswissenschaft und Organisation, seit 2014 Vorstand des Instituts für Managementwissenschaf-ten sowie akademische Leiterin des postgradualen Lehrgangs für Entrepreneurship und Innovation an der TU Wien. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach ihrem Doktorat der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien, habilitierte sie sich 2006 im Fach Betriebswirtschaftslehre. In ihrer aktuellen

Forschung befasst sie sich u.a. mit Kooperation und Konflikt, dem Manage-ment kultureller und sozialer Diversität in Organisationen und mit neuen Arbeitsformen.

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WING-rEGIoNAl

Fotos: Thomas Reuter

thomas reuter

WING Studie 2014: Ergebnispräsentation in der Stiegl-Brauwelt in Salzburg

treffen der WirtschaftsingenieurInnen aus dem regionalkreis oberösterrei-ch, Salzburg und tirol, 16. April 2015: Stiegl-Brauwelt, Salzburg Im launischen April haben sich die WirtschaftsingenieurInnen einen ganz besonderen Ort zum Treffpunkt für ihre Re-gionalkreisveranstaltung ausgesucht: die Stieglbrauerei in Salzburg. In der Privatbrauerei der Österreicher wurde aber nicht nur Bier verkostet, sondern auch gearbeitet. Ganz nach dem Motto: zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Vorgestellt wurden die Ergebnisse der WING-Studie 2014 von Univ.-

Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Ulrich Bau-er, der extra aus Graz angereist kam. Die thematischen Steckenpferde waren die Ausbildungslandschaft, das Kom-petenzprofil und der Karriereweg von WirtschaftsingenieurInnen.

Festgestellt wurde, dass ein Teil der WirtschaftsingenieurInnen-Studien zu wenig technischen, dafür aber einen zu hohen wirtschaftlichen Inhalt auf-weisen. Ein großes Ziel ist daher, dass mindestens 50 Prozent der zu absolvie-renden Unterrichtseinheiten des Wirt-schaftsingenieurInnen-Studiums aus technischen Fächern stammen sollen.

Ein weiteres Ergebnis der Studie befasst sich mit dem Fakt, dass Ab-solventInnen von Wirtschaftsingeni-eurInnen-Studien nach mehrmaligem Jobwechsel zu einem sehr hohen Pro-zentsatz eine Führungsposition beklei-den. Mitentscheidend sei auch hier der

hohe Anteil des technischen Hinter-grundwissens.

Und wo lassen sich Ausbildungswege besser erkunden, als in der Privatbrau-erei der Österreicher? Neben der aus-geklügelten technischen Abfüllanlage, die wir gemeinsam mit einem Guide der Stiegl-Brauwelt besucht haben, galt unser Interesse natürlich auch dem Weg des Bieres in die Flasche und wieder heraus. Eine kundige Biersommeliè-re hat uns zu diesem Zweck in den hauseigenen Verko-stungskeller entführt, wo die IngenieurInnen die Biere aus der ganzen Welt kritisch prüfen konnten. Passend dazu gab es Käse. Sollte jetzt Gusto aufgekommen sein, kann man die Verkostungen auch privat buchen. Alle In-formationen findet man un-ter www.brauwelt.at

Wir bedanken uns ganz herzlich bei DI Thomas Reuter für die Einladung in die Stieglbrauerei und die Organisa-tion der Präsentation und Verkostung vor Ort.

Vielen Dank auch an alle Teilneh-merInnen, die den teilweise weiten Weg auf sich genommen und für angeregte Gespräche gesorgt haben.

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UNINACHrICHtEN

Karin tschiggerl, Milan topic

6. Kongress „Sustainability Management for Indus-tries“ – Energieeffizienz im Fokus Der Kongress Sustainability Management for Industries (SMI), veranstaltet vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswis-senschaften an der Montanuniversität Leoben, fokussierte 2015 das Thema Innovation und Energieeffizienz in Unternehmen.

Die Kongressbeiträge von nam-haften Vertretern aus Wirtschaft

und Wissenschaft zeigten verschie-dene Aspekte und neue Lösungsansät-ze zur Steigerung der Energieeffizienz in Unternehmen. Der Themenzugang erfolgte am Kongress umfassend: an-gefangen vom verantwortungsvollen Umgang mit den Rohstoffen über innovative Technologien, die Ent-wicklung von Maßnahmen für mehr Energie- und Ressourceneffizienz, die Betrachtung wirtschaftlicher Aspekte wie der Total Cost of Ownership-Me-thode, Geschäftsmodellinnovationen bis hin zum Eco-Design. Ziel des SMI-Kongresses ist der Wissenstransfer, um neue Entwicklungen und Best Practi-ces aufzuzeigen, und in die breite in-dustrielle Anwendung zu führen. Sehr oft werden Energieeffizienzpotentiale noch nicht genutzt, da es an Wissen und der kostenwirksamen technischen Umsetzung mangelt.

Energieintensive Branchen zeichnen sich für 30 % des Energieendverbrauchs verantwortlich. Die Industrie ist nun

gefordert und gesetzlich verpflichtet, ihren Verbrauch substantiell zu redu-zieren. Angesichts standortspezifischer Energiekosten und einer zunehmenden Intensivierung des globalen Wettbe-werbs eine große Herausforderung für heimische Unternehmen. Gleichzeitig eröffnen sich dadurch Chancen bisher ungenutztes Energieeffizienzpotential auszuschöpfen, Kosteneinsparungen und die Entwicklung innovativer Tech-nologien und Prozesse zu realisieren.

Damit Unternehmen ihren Ener-gie- und Ressourcenverbrauch planen, steuern und kontrollieren können, benötigen sie Unterstützung durch ge-eignete Methoden und Instrumente. WissenschaftlerInnen und Praktike-rInnen zeigten ihre Entwicklungen zur Steigerung der Effizienz, von Planungs- und Optimierungsinstrumenten, über Kennzahlen für effektives Energie-controlling, sowie neue Software-Lö-sungen. Unternehmen müssen diese Werkzeuge ihren individuellen Bedürf-nissen anpassen, um die erfolgverspre-

chendsten Effizienzmaßnahmen um-zusetzen.

Heiß in Diskussion stehen die rechtlichen Gegebenheiten durch das Energieeffizienzgesetz mit seinen Aus-wirkungen für die Unternehmen. Vor allem die Unsicherheiten betreffend die Messung und Bewertung von Maß-nahmen, wie der institutionelle und rechtliche Rahmen standen dabei zur Debatte.

17 themenspezifische Beiträge an-erkannter AutorInnen sind im Kon-gress-Tagungsband „Innovation und Nachhaltigkeit: Strategisch-operatives Energie- und Ressourcenmanagement“ erschienen im Hampp-Verlag (ISBN 978-3-95710-033-7) veröffentlicht. Die-ser ist zum Sonderpreis am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissen-schaften erhältlich (solange der Vorrat reicht).

Der Kongress findet zweijährlich statt: Weitere Informationen zur Kon-gressreihe finden Sie auf http://wbw.unileoben.ac.at/smi

Foto:

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UNINACHrICHtEN

Foto: Industrial Management

Christopher Mallaschitz, Martin Wallner

Industrie 4.0 am Institut für Industrial Management Industrie 4.0 – die vierte industrielle Revolution schlägt breite Wellen. Auch am Institut für Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg tut sich einiges.

Neue Ausbildung

Durch das Internet der Dinge, d.h. die Vernetzung von Objekten untereinan-der (wie z.B. Smartphones mit Häu-sern oder Produktionsmaschinen), ver-schmelzen die reale und die virtuelle Welt immer mehr. Auf diese Verände-rung muss man reagieren – vor allem auch in der Ausbildung. Das Institut für Industrial Management hat ein neues Labor, wo die Studierenden die Welt der neuen Industrie selbst erleben können.

Neueste Computer-Technologie

HANA ist eine neue Datenbanktech-nologie von SAP. Die gesamte Daten-speicherung findet im Gegensatz zu einem Standard-Computer nur im superschnellen Arbeitsspeicher statt (In-Memory-Computing). Das bedeu-tet vor allem im Hinblick auf Big Data neue Anwendungsmöglichkeiten (z.B. Echtzeit-Auswertung von riesigen Da-

tenmengen aus Social Media wie Fa-cebook oder aus der Produktion). Die HANA bei Industrial Management hat 1 Terabyte (1.000 Gigabyte) RAM (Ar-beitsspeicher).

Vertikale Integration

Im Labor stehen zwei Produktionsan-lagen zur Verfügung. Das modulare Produktionssystem (MPS) von FESTO ist ein verkleinerter Nachbau einer Produktionslinie, bei der ein Produkt vollautomatisiert bewegt und bearbei-tet wird. Das Zusammenspiel der Kom-ponenten ist vor allem für die Lehre in Automatisierungstechnik interessant. In einer weiteren Produktionsanlage wird ein Pneumatik-Zylinder durch die Studierenden montiert. In beiden Fällen steht die vertikale Integration – der Datenaustausch zwischen der Fertigung und dem ERP-System – im Vordergrund. In mehreren Lehrveran-staltungen werden dazu unterschied-liche Szenarien durchgespielt.

3D Druck

3D Druck ermöglicht es mittlerweile Dinge sofort am eigenen Schreibtisch herzustellen, ohne einen langwierigen, traditionellen Herstellungsprozess zu durchlaufen. Unternehmen nutzen diese Technologie u.a. zum Rapid Pro-totyping, also zum Erstellen von Proto-typen ihrer Produkte. Das gewünschte Objekt wird additiv, d.h. durch schicht-weise Auftragung von z.B. Kunststoff, erzeugt. In der Vorlesung Produktions-technik wird das Urformen mit dem 3D Drucker zum Leben erweckt.

Das Institut für Industrial Manage-ment ist eines von mehreren Instituten an der FH JOANNEUM die sich mit dem Thema 4.0 auseinandersetzen. Mehr Informationen dazu gibt es auf industrie40.fh-joanneum.at.

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WINGNEt

Das erfolgreiche Siegerteam, das sich knapp gegen die Konkurrenz

durchsetzen konnte, durfte sich über eine Reisekostenförderung von 250€ und die Qualifikation für das Halbfina-le im ukrainischen Kiew freuen.

Seit vielen Jahren veranstaltet das WINGnet Wien schon diesen inter-nationalen Fallstudienwettbewerb und schickt die Gewinnerteams nach ganz Europa. So konnten schon viele Studenten der TU Wien von diesem Angebot profitieren und wertvolle Er-fahrung für ihre berufliche Zukunft sammeln.

Die Reise nach Kiew führte das Wie-ner Team über Budapest, wo es seinen Flug in die Ukraine startete und am Zielflughafen freudig von den lokalen Organisatoren des Events empfangen wurde. Eine neue und fremde Welt für das junge Team, das zuvor nur selten so weit in den Osten von Europa vorge-stoßen war. Vom Bürgerkrieg und den großen Protesten, die noch vor knapp einem Jahr hier stattgefunden hatten und die ganze Stadt zeichneten, war nichts mehr zu sehen. Alsbald in der Unterkunft angekommen, machte die ukrainische Gastfreundschaft ihrem Namen schon alle Ehre und die ver-schiedenen Teams aus den unterschied-lichsten Ländern Europas lernten einander bei einem Spaziergang mit ausführlichen Erklärungen zu der Um-gebung kennen. Die Teilnehmer wur-den danach zur Eröffnungszeremonie in den Festsaal des Polytechnischen Institut Kiews geführt, um dann von Repräsentanten der Universität, des TIMES Projekts und lokalen Organisa-toren begrüßt zu werden. Zur Entspan-nung war für den Rest des Ankunfts-tages noch ein angenehmes Programm geplant, bevor am nächsten Tag die erste Fallstudie gelöst werden sollte. Trotz großer Bemühungen hielt sich auch aus diesem Grund die Feier in be-schränktem Rahmen und alle fieberten auf den Wettkampf hin.

Felix Aumair

tIMES Semifinale Kiew 2015Die lokalen Vorausscheidungen für den europäischen Fallstudienwettbewerb, der jedes Jahr von ESTIEM veranstaltet wird, fanden im Dezember in Kooperation mit McKinsey & Company in der Bundeshauptstadt Wien statt.

Das entsandte Team war für den späten Vormittag eingeteilt worden und konnte so mit Ruhe in den Wett-bewerb starten. Die vorgesehene Fall-studie erwies sich als machbare Heraus-forderung und es konnte konstruktiv mit der Arbeit begonnen werden. Nach 4 arbeitsreichen, aber hochspannenden Stunden wurde der Jury, gestellt aus einem Konsulenten, einem Unterneh-mer und dem Projektleiter von TIMES, die Lösung präsentiert. Für das Team aus Wien verlief alles nach Plan und in der anschließenden Fragerunde wur-den letzte Unklarheiten beseitigt. Ein geglückter Start und alle waren zufrie-den.

Somit konnte anschließend das uk-rainische Hauptstadtleben weiter er-forscht werden, bevor am Abend das Programm mit einem Gemeinschafts-abend beendet und ausgiebig gefeiert wurde.

Der anschließende Tag bot den Se-mifinalisten die Möglichkeit weiter in die osteuropäische Kultur vorzudrin-gen. Dabei half ein organisierter Stadt-spaziergang, wo sämtliche Sehenswür-digkeiten besichtigt wurden. Natürlich gipfelte dies in der Besichtigung des Maidan- Platzes, der Ausgangspunkt und Synonym für die aktuellen und vergangenen Geschehnisse in der Ukra-ine ist. Tief beeindruckt und mit Hin-tergrundwissen angereichert kehrten die Teilnehmer wieder zurück in ihre Unterkunft, um am folgenden Tag die zweite Fallstudie zu lösen.

Das Wiener Team startete dieses Mal als erstes, da einer der Teilnehmer ver-früht abreisen musste. Dennoch blieb für ihn genug Zeit, um für die Fallstu-die bereit zu stehen und mitzuarbeiten. Der zweite Fall stellte sich als schwie-riger heraus und so wurde umso inten-siver an einer geeigneten Lösung gear-beitet. Die Herausforderung war aber dennoch bewältigbar und so stellte sich das Quartett das letzte Mal der Jury, die diesmal aus 3 Konsulenten gestellt

wurde. Allerdings passierte ein kleiner Fehler und das Zeitmanagement war nicht optimal aufgeteilt worden, um alle Punkte der Lösung in der gege-benen Maximalzeit zu präsentieren. In der darauf folgenden Fragerunde gab es daher vieles zu besprechen und nicht ganz zufrieden wurde beim Mittages-sen auf das vollendete Semifinale ange-stoßen. Nachdem sich nun ein Mitglied der österreichischen Delegation verab-schieden musste und sich schon auf den Weg in die Heimat machte, wurde der Tag entspannt fortgesetzt und bei Sonnenschein ein Spaziergang unter-nommen.

Die finale Entscheidung über die Gewinner wurde wieder im Festsaal des KPI abgehalten. Wieder fanden sich einige Repräsentanten der Universität, der Sponsoren und des TIMES Teams, sowie ein paar schaulustige Studieren-de der Universität ein. Nach einfüh-renden Worten wurde die Platzierung in umgekehrter Reihenfolge bekannt gegeben. Das Team aus Wien landete im Mittelfeld und war damit durchaus zufrieden, da bei der zweiten Fallstu-die das angesprochene Missgeschick passierte. Beim anschließenden Gala-dinner wurden den Gästen aus Europa die unterschiedlichsten Köstlichkeiten der ukrainischen Küche serviert. Alle Teilnehmer konnten nun ausgelassen feiern und die verbleibende Zeit ge-meinsam bei einem Gläschen Wein ge-nießen, bevor es wieder nach Hause in die vertraute Heimat ging.

Damit war ein souveränes Semifina-le geschlagen und weitere 4 Personen waren von dem Format des paneu-ropäischen Fallstudienwettbewerbs überzeugt. Für mindestens 2 von ih-nen wird es nicht die letzte Teilnahme gewesen sein, wurde noch am Schluss zugesichert.

Das Team von WINGnet Wien freut sich daher schon auf die nächste Aus-tragung dieses Wettbewerbs im Herbst 2015.

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