Wirtschaftslehre als Gehirnwäsche

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    Wirtschaft

    Wirtschaftslehre als Gehirnwsche

    14.02.2012

    Von WOLFGANG KHLER

    Immer mehr konomen wenden sich von der herrschenden

    Volkswirtschaftslehre ab es wurde hchste Zeit.

    Es werden immer mehr. Wissenschaftler wenden sich in wachsender Zahl von

    der neoklassischen Wirtschaftslehre ab. Und nicht nur sie. An der Harvard

    Universitt boykottierten Erstsemester die Einfhrung in die

    Volkswirtschaftslehre (VWL), berichtete krzlich die Bonner

    Wirtschaftswissenschaftlerin Silja Graupe. Der Grund des Boykotts: Die

    traditionelle Lehre vermittle lediglich eine sehr eingeschrnkte Sicht auf die

    Wirtschaft; sie verstetige das System konomischer Ungleichheit und ignoriere

    gleichzeitig jeglichen alternativen Denkansatz. Selbst der Stifterverband fr die

    Deutsche Wissenschaft und das Handelsblatt fordern ein neues Denken in der

    konomie. In einer Tagungsbroschre heit es: Selbst einige Hochschullehrer

    der VWL bezeichnen das Grundstudium ihres eigenen Faches mitunter als

    Gehirnwsche.

    Der Grund: Die herrschende konomische Lehre, so konomin Silja Graupe,

    untersuche nicht mehr die Realitt der Wirtschaft, sondern definiere sich ber

    eine einzige Forschungsweise: einer abstrakt-mathematischen Denktechnik.

    Schonungslos und unnachgiebig wendet er deren Grundannahmen auf jedes

    beliebige soziale Problem an. Ob Wissenschaft, Technologie, Bildung,

    Gesundheit oder andere Bereiche des sozialen Lebens: Sie alle werden der

    konomischen Analyse unterworfen.

    Doch die herrschende volkswirtschaftliche Lehre erklrt die Realitt nicht. DieTheorie von der Effizienz der Mrkte, aus denen die Politik sich heraushalten

    soll, wird vielmehr als polit ische Handlungsanweisung missverstanden und

    schafft so Realitten, die viele Menschen gefhrden. Graupe: Die herrschende

    Wirtschaftslehre hat der Liberalisierung realer Wirtschaftsbereiche zur

    Durchsetzung verholfen und so den gegenwrtigen Flchenbrand auf Finanz-

    und Wirtschaftsmrkten mitentzndet.

    In Frankreich haben eine Reihe von konomen diese Monokultur des

    Denkens (Graupe) bereits verlassen. In einem wie es in der bersetzung

    heit Manifest der bestrzten konomen fordern sie ihre Kollegen auf, den

    Raum mglicher Polit ikvarianten wieder neu zu ffnen. Und sie belassen es

    nicht bei Appellen, sondern wenden ihre alternativen Denkanstze gleich ganz

    praktisch auf die Schuldenkrise in Europa an.

    Die Wirtschaft, so heit es in dem Manifest, sollte zur Konstruktion eines

    demokratischen, friedvoll vereinigten Kontinents beitragen. Stattdessen erzeugt

    sie berall eine Diktatur des Marktes, heute insbesondere in Portugal, Spanien

    und Griechenland. Lnder, die bis in die 70er-Jahre noch Diktaturen waren. []

    Das neoliberale Paradigma wird, unbesehen seiner offensichtlichen Fehler,

    weiterhin als das allein legitimierte angesehen.

    Basierend auf der Annahme effektiver Kapitalmrkte, argumentiert es fr die

    Reduktion der Staatsausgaben, Privatisierung ffentlicher Dienst leistungen,

    Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Liberalisierung von Handel,

    Finanzdienstleistungen und Kapitalmrkten, Steigerung des Wettbewerbs zu

    allen Zeiten und an allen Orten

    Der Kritik an diesem einseitigen Denken lassen die Autoren des Manifests

    denn auch gleich 22 Vorschlge folgen, um die Debatte aus der Sackgasse zu

    fhren. So fordern sie beispielsweise eine ffentliche Bilanzprfung zur

    Offenlegung der Ursprnge der Staatsschulden, um darzulegen, dass die

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    Annahme falsch ist, die ffentlichen Schulden seien aufgrund exzessiver

    Staatsausgaben entstanden.

    Dummerweise sind all dies nur Ideen. Die Ideen des Neoliberalismus haben

    drei Jahrzehnte bis zu ihrem Durchbruch gebraucht. So viel Zeit haben wir zur

    Bewltigung der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise nicht. Wir mssen

    unser konomisches Denken schneller umkrempeln.