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NATURE PICTURE LIBRARY LINDSEY HOSHAW Meeresströmungen Gefangen in der Strömung Nachgewiesene und vermutete Abfall-Ansammlungen Quelle: International Pacific Research Center / Oceaneye Existenz wissenschaftlich belegt Existenz vermutet 9. September 2012 NZZ am Sonntag Wissen 57 Todeswunsch Warum unheilbar Kranke sterben wollen. Seite 59 Gefährliche Tattoos Ein neues Bakterium breitet sich neu auch in Europa aus. Seite 63 Noch ein Immigrant Jetzt wandert auch der Goldschakal in die Schweiz ein. Seite 61 .................................................................................. Fortsetzung Seite 58 Die Plastic-Suppe In den Meeren treiben Wolken von kleinsten Partikeln aus Kunststoff vor sich hin. Auf einer Segel-Expedition wollen Schweizer Forscher erkunden, wie schlimm das Problem wirklich ist. Von Simone Schmid I n seinem früheren Leben war Pascal Hagmann Ingenieur und entwickelte Plastic-Pum- pen für die Medizin. Tausende davon wurden produziert, 25 Rappen das Stück. Heute verbringt er die Ferien auf ei- nem kleinen Segelboot im Mittelmeer und fischt den Plastic wieder aus dem Wasser. Mit einer Zahnbürste kratzt er die Teilchen aus dem Schleppnetz, spä- ter wird ein Biologe stundenlang vor dem Mikroskop sitzen und sortieren. Eine einzige Probe aus dem Mittel- meer kann bis zu 1000 Partikel enthal- ten, Holzteilchen, Plankton, Plastic, und um sie von Hand zu zählen, braucht man bis zu zwei Tage. Wir segeln vor der Küste Südfrank- reichs, es ist heiss, die Wellen sind zwei Meter hoch. Alle paar Stunden schwenkt die vierköpfige Crew einen Metallarm aus und zieht ein langes, fei- nes Netz durchs Meer. Das Wasser ist glasklar hier draussen, man sieht tief ins Blau hinunter. Aber das Auge be- merkt nicht alles. Die bisherigen Mes- sungen zeigten, dass im Mittelmeer fast so viele kleine Plastic-Teilchen schwimmen wie in den sogenannten Waste Patches im Pazifik und Atlantik (siehe Box), rund 100 000 Stück pro Quadratkilometer Oberfläche. Mikroplastic nennt sich dieses Phä- nomen, das erst seit einigen Jahren er- forscht wird. Die millimetergrossen Teilchen entstehen, indem grössere Plasticstücke durch Hitze, UV-Licht und Wellenschlag zerbrechen. Sie wer- den aber auch direkt von den Men- schen produziert: Beim Waschen eines Fleece-Pullis zum Beispiel entstehen bis zu 1900 Kunststofffasern, die in Kläranlagen nicht herausgefischt wer- den und in Richtung Meer wandern. Auch in Peeling-Gels oder Scheuermit- teln sind kleine Plastic-Kugeln enthal- ten, die im Abwasser bleiben und schliesslich in grossen Wolken durchs Meer treiben. Weil Kunststoff chemisch so stabil ist, kann es Jahrhunderte dauern, bis er ganz abgebaut ist. In dieser Zeit fahren die Teilchen mit den Meeresströmun- gen um die Welt oder versammeln sich in geschlossenen Systemen wie dem Mittelmeer. Sie sind kleine Inseln für Lebewesen, die auf ihnen an neue Orte reisen können. Und weil die Plastic- teile so schön klein sind, schnappen die Tiere nach ihnen und füllen sich die Bäuche damit. Auf der 11-Meter-Segeljacht kämp- fen die Ersten mit Übelkeit. Die Fahrt von Marseille nach S` ete ist die erste Etappe einer vierwöchigen Segeltour durch das Mittelmeer, auf der die Or- ganisation Oceaneye Daten sammelt für eine Publikation zum Thema Mi- kroplastic. An Bord sind nur freiwillige Helfer. «Ich möchte sinnvolle Ferien verbringen», sagt Alex Montanini, der in seinem Alltag reiche Ausländer durch die Schweiz chauffiert. Er lernt gerade die Winde zu bedienen und den Kurs zu halten, in der Nacht soll sich die Crew alle drei Stunden abwech- seln. Zwei Personen sollen schlafen, zwei segeln. Doch niemand wird heute ein Auge zumachen. Es sind vor allem Segler, die auf den Plastic im Meer aufmerksam machen wollen. Auch der Ingenieur Hagmann kam erst bei einem Segeltörn ins Grü- beln. «Wir fuhren vor vier Jahren über den Atlantik, mitten durch den Waste Patch hindurch», erzählt er. Fünf Tage lang sahen sie Plastictüten, Reste von Fischernetzen, Styropor, Spielsachen. «Ich war enttäuscht, denn ich wollte der Gesellschaft eine Weile den Rü- cken kehren», erzählt der 33-Jährige. Stattdessen sei er mitten auf dem Meer von Zivilisation umgeben gewesen. Als er nach Hause kam, tat er zwei Dinge: Er gründete die Schweizer Organisa- tion Oceaneye, die nun diese Plastic- Expeditionen durchführt und zum Ziel hat, auch den Waste Patch im Südatlan- tik wissenschaftlich nachzuweisen. Und an der EPFL schuf er sich einen neuen Job: Zusammen mit dem Signal Processing Laboratory soll eine neue Messmethode für Microplastic entwi- ckelt werden. Denn zwei Sachen sind noch nicht klar: Wie stark ist die Verschmutzung in den Meeren wirklich? Und wie schädlich ist der Plastic? Man hat zwar die Bilder von strangulierten Robben und toten Vögeln mit Mägen voller Kunststoff gesehen, aber ist das ledig- lich aufrüttelnde Umwelt-PR oder tat- sächlich ein gravierendes Problem? Es gibt noch erstaunlich wenig fundierte Antworten auf diese Fragen. Was man sagen kann: Es fressen nicht nur einige dumme Tiere Plastic- teile, sondern ziemlich viele. Am Mee- resforschungsinstitut in Wageningen beispielsweise sezierte man die Mägen von 916 Eissturmvögeln aus der Nord- see-Region. Je nach Fundort hatten zwischen 53 und 86 Prozent aller Tiere mehr als 10 Kunststoffteilchen im Ma- gen. Andere Forscher fischten im Nordatlantik und fanden bei 35 Prozent aller Fische Plastic im Magen; bei Wel- sen in Brasilien lag die Zahl zwischen 18 und 33 Prozent. Auch Delphine, Schildkröten oder Langusten futterten ungeniessbaren Kunststoff, insgesamt hat man schon bei 267 verschiedenen Tierarten Mikroplastic im Magen nachgewiesen («Plastic Waste», Euro- pean Commission). Es ist anzunehmen, dass die Forscher jeweils besonders verdreckte Regionen unter die Lupe genommen haben. Trotzdem zeigen die Zahlen, dass es sich nicht nur um .................................................................................. Beim Waschen eines Fleece-Pullis entstehen bis zu 1900 Fasern, die dann in Richtung Meer wandern. .................................................................................. Gigantische Müllstrudel Das Karussell dreht sich weiter Das Schwemmgut in den Ozeanen wird von den Meeresströmungen an be- stimmte Stellen getrieben und in gros- sen Strömungswirbeln festgehalten. Früher war auch vom Plastic-Kontinent die Rede, doch man muss sich diese Waste Patches oder Abfallstrudel nicht als geschlossene Flächen vorstellen, sondern als Regionen mit einer höheren Konzentration an Schwemmgut als an- derswo. Die Existenz der nordpazifi- schen und nordatlantischen Strudel gilt als bewiesen, die Ansammlungen auf der Südhalbkugel werden erst vermutet. Modellrechnungen mit Strömungen und Verschmutzungsquellen deuten aber darauf hin, dass es an mehreren Stellen solche Plastic-Wirbel gibt. (mid.) Die einen Tiere fressen Plastic – andere nutzen die Abfall-Knäuel mitten im Pazifik auch als Lebensraum.

Wissen · BIO SPHO TO /I MA GE S. DE SIMONE SC HMID NA SA 58 Wissen NZZamSonntag V 9. September 2012 DiePlastic-..... ..... cFortsetzung vonSeite57 WarumSternesterben

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Meeresströmungen

Gefangen in der Strömung

Nachgewiesene und vermutete Abfall-Ansammlungen

Quelle: International Pacific Research Center / Oceaneye

Existenz wissenschaftlich belegt

Existenz vermutet

9. September 2012

NZZ am Sonntag

Wissen57 Todeswunsch

Warum unheilbarKranke sterbenwollen. Seite 59

Gefährliche TattoosEin neues Bakteriumbreitet sich neu auch inEuropa aus. Seite 63

Noch ein ImmigrantJetzt wandert auchder Goldschakal in dieSchweiz ein. Seite 61

.. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . ..a Fortsetzung Seite 58

Die Plastic-SuppeIn den Meerentreiben Wolken vonkleinsten Partikelnaus Kunststoff vorsich hin. Auf einerSegel-Expeditionwollen SchweizerForscher erkunden,wie schlimm dasProblem wirklich ist.Von Simone Schmid

In seinem früheren Leben warPascal Hagmann Ingenieurund entwickelte Plastic-Pum-pen für die Medizin. Tausendedavon wurden produziert,25 Rappen das Stück. Heuteverbringt er die Ferien auf ei-

nem kleinen Segelboot im Mittelmeerund fischt den Plastic wieder aus demWasser. Mit einer Zahnbürste kratzt erdie Teilchen aus dem Schleppnetz, spä-ter wird ein Biologe stundenlang vordem Mikroskop sitzen und sortieren.Eine einzige Probe aus dem Mittel-meer kann bis zu 1000 Partikel enthal-ten, Holzteilchen, Plankton, Plastic,und um sie von Hand zu zählen,braucht man bis zu zwei Tage.

Wir segeln vor der Küste Südfrank-reichs, es ist heiss, die Wellen sindzwei Meter hoch. Alle paar Stundenschwenkt die vierköpfige Crew einenMetallarm aus und zieht ein langes, fei-nes Netz durchs Meer. Das Wasser istglasklar hier draussen, man sieht tiefins Blau hinunter. Aber das Auge be-merkt nicht alles. Die bisherigen Mes-sungen zeigten, dass im Mittelmeerfast so viele kleine Plastic-Teilchenschwimmen wie in den sogenanntenWaste Patches im Pazifik und Atlantik(siehe Box), rund 100 000 Stück proQuadratkilometer Oberfläche.

Mikroplastic nennt sich dieses Phä-nomen, das erst seit einigen Jahren er-forscht wird. Die millimetergrossenTeilchen entstehen, indem grösserePlasticstücke durch Hitze, UV-Lichtund Wellenschlag zerbrechen. Sie wer-den aber auch direkt von den Men-schen produziert: Beim Waschen einesFleece-Pullis zum Beispiel entstehenbis zu 1900 Kunststofffasern, die inKläranlagen nicht herausgefischt wer-den und in Richtung Meer wandern.Auch in Peeling-Gels oder Scheuermit-teln sind kleine Plastic-Kugeln enthal-ten, die im Abwasser bleiben undschliesslich in grossen Wolken durchsMeer treiben.

Weil Kunststoff chemisch so stabilist, kann es Jahrhunderte dauern, bis er

ganz abgebaut ist. In dieser Zeit fahrendie Teilchen mit den Meeresströmun-gen um die Welt oder versammeln sichin geschlossenen Systemen wie demMittelmeer. Sie sind kleine Inseln fürLebewesen, die auf ihnen an neue Ortereisen können. Und weil die Plastic-teile so schön klein sind, schnappendie Tiere nach ihnen und füllen sichdie Bäuche damit.

Auf der 11-Meter-Segeljacht kämp-fen die Ersten mit Übelkeit. Die Fahrtvon Marseille nach Sete ist die ersteEtappe einer vierwöchigen Segeltourdurch das Mittelmeer, auf der die Or-ganisation Oceaneye Daten sammeltfür eine Publikation zum Thema Mi-kroplastic. An Bord sind nur freiwilligeHelfer. «Ich möchte sinnvolle Ferienverbringen», sagt Alex Montanini, derin seinem Alltag reiche Ausländerdurch die Schweiz chauffiert. Er lerntgerade die Winde zu bedienen und denKurs zu halten, in der Nacht soll sichdie Crew alle drei Stunden abwech-seln. Zwei Personen sollen schlafen,zwei segeln. Doch niemand wird heuteein Auge zumachen.

Es sind vor allem Segler, die auf denPlastic im Meer aufmerksam machenwollen. Auch der Ingenieur Hagmannkam erst bei einem Segeltörn ins Grü-beln. «Wir fuhren vor vier Jahren überden Atlantik, mitten durch den WastePatch hindurch», erzählt er. Fünf Tagelang sahen sie Plastictüten, Reste vonFischernetzen, Styropor, Spielsachen.«Ich war enttäuscht, denn ich wollteder Gesellschaft eine Weile den Rü-cken kehren», erzählt der 33-Jährige.Stattdessen sei er mitten auf dem Meervon Zivilisation umgeben gewesen. Als

er nach Hause kam, tat er zwei Dinge:Er gründete die Schweizer Organisa-tion Oceaneye, die nun diese Plastic-Expeditionen durchführt und zum Zielhat, auch den Waste Patch im Südatlan-tik wissenschaftlich nachzuweisen.Und an der EPFL schuf er sich einenneuen Job: Zusammen mit dem SignalProcessing Laboratory soll eine neueMessmethode für Microplastic entwi-ckelt werden.

Denn zwei Sachen sind noch nichtklar: Wie stark ist die Verschmutzungin den Meeren wirklich? Und wieschädlich ist der Plastic? Man hat zwardie Bilder von strangulierten Robben

und toten Vögeln mit Mägen vollerKunststoff gesehen, aber ist das ledig-lich aufrüttelnde Umwelt-PR oder tat-sächlich ein gravierendes Problem? Esgibt noch erstaunlich wenig fundierteAntworten auf diese Fragen.

Was man sagen kann: Es fressennicht nur einige dumme Tiere Plastic-teile, sondern ziemlich viele. Am Mee-resforschungsinstitut in Wageningenbeispielsweise sezierte man die Mägenvon 916 Eissturmvögeln aus der Nord-see-Region. Je nach Fundort hattenzwischen 53 und 86 Prozent aller Tieremehr als 10 Kunststoffteilchen im Ma-gen. Andere Forscher fischten im

Nordatlantik und fanden bei 35 Prozentaller Fische Plastic im Magen; bei Wel-sen in Brasilien lag die Zahl zwischen18 und 33 Prozent. Auch Delphine,Schildkröten oder Langusten futtertenungeniessbaren Kunststoff, insgesamthat man schon bei 267 verschiedenenTierarten Mikroplastic im Magennachgewiesen («Plastic Waste», Euro-pean Commission). Es ist anzunehmen,dass die Forscher jeweils besondersverdreckte Regionen unter die Lupegenommen haben. Trotzdem zeigendie Zahlen, dass es sich nicht nur um

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Beim Waschen einesFleece-Pullis entstehenbis zu 1900 Fasern,die dann in RichtungMeer wandern... . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . ..

Gigantische Müllstrudel

Das Karusselldreht sich weiterDas Schwemmgut in den Ozeanen wirdvon den Meeresströmungen an be-stimmte Stellen getrieben und in gros-sen Strömungswirbeln festgehalten.Früher war auch vom Plastic-Kontinentdie Rede, doch man muss sich dieseWaste Patches oder Abfallstrudel nichtals geschlossene Flächen vorstellen,sondern als Regionen mit einer höherenKonzentration an Schwemmgut als an-derswo. Die Existenz der nordpazifi-schen und nordatlantischen Strudel giltals bewiesen, die Ansammlungen aufder Südhalbkugel werden erst vermutet.Modellrechnungen mit Strömungen undVerschmutzungsquellen deuten aberdarauf hin, dass es an mehreren Stellensolche Plastic-Wirbel gibt. (mid.)

Die einen Tiere fressen Plastic – andere nutzen die Abfall-Knäuel mitten im Pazifik auch als Lebensraum.

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58 Wissen NZZ am Sonntag V 9. September 2012

Die Plastic-. . ... . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . ..c Fortsetzung von Seite 57

Warum Sterne sterbenAn der Helligkeit explodierender Sterne könne man ihre Entfernung zur Erde ablesen und so die Expansiondes Universums bestimmen, dachten Kosmologen. Doch die Dinge sind komplizierter. Von Leonid LeivaDas Universum dehnt sich immerschneller aus. Für diese Ende der1990er Jahre gemachte Entdeckungerhielten drei Physiker den letztjäh-rigen Nobelpreis. Doch verstanden istdie beschleunigte Ausdehnung des Allsnoch immer nicht.

Kosmologen sprechen von einerdunklen Energie, die der anziehendenWirkung der Schwerkraft unter Gala-xien und Galaxienhaufen entgegen-wirkt und so das Auseinanderstrebenin Schwung hält. Allerdings gibt eszum Wesen dieser mysteriösen Ener-gieform mehr Rätsel als Antworten.Eine jüngst im Wissenschaftsmagazin«Science» publizierte Studie könntenun zur Aufklärung beitragen. Es gehtdarin nämlich um die gleiche Art vonSternexplosionen, wie sie Astronomenvor 14 Jahren als Anzeichen für dasrasende Auseinanderfallen des Allsgefunden haben.

Den Hinweis auf die beschleunigteExpansion des Alls haben die Astro-nomen im Licht von gewissen Sternex-plosionen, sogenannten thermonuklea-ren Supernovae, erhalten. Es handeltsich dabei um gewaltige Ausbrüche,die aus einer Kernfusionsreaktion imZentrum von Weissen Zwergsternenhervorgehen und während Wochen dieLeuchtkraft von ganzen Galaxien über-steigen können. Weisse Zwerge sinddie kompakten Überreste von Sternen,die etwa so schwer wie die Sonne sind.

Im Weissen Zwerg ist diese Masse aberauf einen Raum von der Grösse derErde zusammengedrängt.

Weil sie so kompakt sind, könnenWeisse Zwerge, wenn sie von einemBegleitstern umkreist werden, dessenMaterie «aufsaugen» und dadurchschwerer werden. Erreichen sie eine

kritische Masse, werden sie instabilund explodieren durch unkontrollierteKernfusionsreaktionen. Dabei ent-wickeln die Supernovae immer diegleiche Leuchtkraft, denn diese wirddirekt von der kritischen Masse be-stimmt. Da alle thermonuklearen Su-pernovae gleich stark leuchten, ist ihre

Helligkeit am Himmel ein zuverlässi-ger Indikator für ihre Entfernung. DieSternexplosionen können also zur kos-mologischen Distanzmessung verwen-det werden. Doch als die Forscher diesim Jahr 1998 taten, fielen die Entfer-nungen grösser aus, als man es für eingleichmässig expandierendes Univer-sum erwartet hätte. Die Folgerungzwang sich auf: Das Tempo der Expan-sion musste stetig zugenommen haben.

Ins Schwanken geriet diese Interpre-tation wenige Jahre später, als Astrono-men beobachteten, dass nicht alle Su-pernovae exakt gleich hell sind. IhreVerwendung als zuverlässige Vermes-sungspunkte im All war plötzlich infra-ge gestellt. Zur Explosion kann es näm-lich auch kommen, wenn zwei WeisseZwerge miteinander verschmelzen unddadurch die kritische Masse über-schreiten. Weil die Summe der Massender beiden Weissen Zwerge in jedemEinzelfall unterschiedlich ist, variiertauch die dabei entwickelte Leuchtkraftvon einem Fall zum anderen. In jüngs-ter Zeit haben sich die Beobachtungenvon thermonuklearen Supernovae ausdieser Klasse gehäuft.

Die jüngste Studie zeigt sogar einendritten Weg, auf dem es zu thermo-nuklearen Supernovae kommen kann.Die Forscher fanden durch die Lang-zeitanalyse einer im September 2011erstmals beobachteten thermonuklea-ren Supernova, dass der gewaltsamen

finalen Explosion kleinere Ausbrüchevorausgegangen waren. Diese kleine-ren Ereignisse, Novae genannt, zer-stören den Stern nicht vollständig,vielmehr wird dabei Materie nur ausdessen äusseren Hüllen herausge-schleudert. Der Weisse Zwerg hat indiesem Fall aber so viel Materie auseinem nahen Begleiter abgezogen, dassder Materieverlust durch die wieder-holten Novae mehr als wettgemachtwird. Und so kommt es schliesslichdoch zur Supernova.

Die vielen Gesichter der thermonu-klearen Supernovae machen deren Ein-satz als kosmisches Massband schwie-riger. Die Vielfalt kommt für FriedrichThielemann von der Universität Baselaber wenig überraschend. Computer-simulationen deuteten schon langedarauf hin, dass es vier bis fünf ver-schiedene Optionen gebe, um eine sol-che Sternexplosion hervorzubringen.

Man könne aber all diese unter-schiedlichen Supernovae in wohl-definierte Klassen einteilen. Nur eineKlasse werde zur kosmischen Distanz-messung eingesetzt. Die These von derbeschleunigten Expansion des Univer-sums bleibe also intakt, solange dieSupernovae richtig klassifiziert wür-den. In diesem Sinne werden die neuenErkenntnisse sogar zu präziseren Di-stanzmessungen führen. Nur so wirdsich eines Tages das Mysterium derdunklen Energie verstehen lassen.

Ausstellung

Es riecht für einmal nach Meer imMuseum: Das Museum für GestaltungZürich zeigt in der aufwendig recher-chierten Ausstellung «Endstation Meer»,was an einsamen Stränden in Hawaiialles so angeschwemmt wird. Noch biszum 28. Oktober, mehr Infos unterwww.plasticgarbageproject.org. (mid.)

Einzelfälle handelt. Wie viele Tiereaber aufgrund dieser Kost tatsächlichzugrunde gehen, kann nicht gesagtwerden. Sicher gibt es Fälle von Ver-hungern. Das weiss man seit Versuchenin den 1980er Jahren, als ein Wissen-schafter seinen Hühnern Polyethylen-Pellets fütterte. Das Plasticmahl ver-kleinerte das Magenvolumen der Hüh-ner, und sie wurden immer dünner.

Neuere Forschungsergebnisse las-sen zudem vermuten, dass der Kunst-stoff nicht nur den Magen blockiert,sondern tatsächlich auch toxisch seinkann. Die Schweizer Ökologin Nadiavon Moos führte Versuchsreihen mitMiesmuscheln durch. Sie zeigte, dassdie Muscheln beim Filtern kleinstePlastic-Partikel einsaugen und imGewebe einbauen. Der Gesundheits-zustand der Tierchen war nach dieserMahlzeit beeinträchtigt, sie zeigteneine erhöhte Immunreaktion und an-dere Anzeichen von toxischen Effek-ten. «Allerdings erlauben die Resultatekeine allgemeingültigen Aussagen zuden toxikologischen Risiken in Bezugauf Plastic in den Meeren», schreibtdie Biologin. Mehr Studien seien nötig.

Delphine zu BesuchGefährlich sind auch Gifte, die sich imMeer an die Teilchen haften, zum Bei-spiel Pestizide, Schädlingsbekämp-fungsmittel wie DDT oder organischeSchadstoffe wie polychlorierte Bi-phenyle. Die wasserscheuen Molekülekonzentrieren sich auf der Meeres-oberfläche und schmiegen sich gernean Schwemmgut – wenn dieses wieder-um gefressen wird, gelangen die Giftein die Nahrungskette.

Kurz vor Sonnenuntergang kommenvier Delphine zu Besuch, sie schiessenaus dem Wasser, tauchen unter demBoot durch und sind im Nu wieder ver-schwunden. In den ersten zwei Pro-ben-Bechern schaukelt das trübe Was-ser vor sich hin, und aus der Kombüseriecht es nach Tomatensauce. «DieseMessungen sind extrem aufwendig»,sagt Hagmann irgendwann im Verlaufder Expedition, «darum gibt es erst sowenige Daten.» Momentan werden dieErhebungen meist nur punktuell undoft von Freiwilligen gemacht, und bis-her sei so noch keine überzeugendeglobale Datenbasis zustande gekom-men, kritisiert Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut. «Es wurde mit ganzverschiedenen Methoden gearbeitet»,schreibt er in einem Übersichtsartikel.

Es sei beispielsweise nicht klar, obdie beobachteten regionalen Unter-schiede der Verschmutzung real seienoder ob sie auf die unterschiedlichenMethoden zurückzuführen seien. So ist

es etwa elementar, wie gross die Ma-schenweite des Netzes ist, mit wel-chem die Forscher arbeiten – je engerdie Maschen, desto mehr wird logi-scherweise aus dem Meer gefischt.

Die neue Methode, die nun an derEPFL entwickelt werden soll, stammtaus der Medizintechnik und basiert aufUltraschall. «Wir haben in unseremLabor ein System entwickelt, um mit

einer Sonde Gerinnsel im Blut zu ent-decken, die ins Gehirn wandern könn-ten», sagt Jean-Philippe Thiran, derLeiter des Signal Processing Labor.

Solch eine Sonde soll künftig anTanker und andere Schiffe montiertwerden, um mit Schallwellen Plastic-Teile zu zählen. «Jeder Partikel reflek-tiert Schall und kann so entdeckt wer-den», erklärt Thiran. Die Herausforde-rung sei, Plankton von Kunststoff un-terscheiden zu können – oft hat beidesdieselbe Grösse. «Aber wir sind zuver-sichtlich, dass das funktioniert, dennjedes Material hat sein ganz charakte-ristisches Echo-Muster», sagt Thiran.Sollte es tatsächlich möglich sein, Plas-tic-Partikel im Vorbeifahren akustischzu detektieren, wäre das ein grosserSchritt, findet auch Lars Gutow.

Keine rasche LösungIn der Nacht frischt es plötzlich auf.Der Mistral setzt ein, und die Crewmuss nun gegen den Wind kreuzen.Das Schiff liegt steil im Wasser, einmalist die eine Seite oben, dann wieder dieandere, und die Schlafenden rollen wieZwiebeln durch die Kojen. Irgend-wann, nach einigen solcher Expeditio-nen, wird ein Wert feststehen. Soundsoviele Teilchen schwimmen im Durch-schnitt in den Ozeanen. Und dann?Könnte man das Wasser filtern, um

den Plastic wieder herauszufischen?Nein, sagt Hagmann, sonst würde manauch gleich den Plankton aus demMeer fischen. Eigentlich hat niemandeine griffige Lösung parat. Nur die be-kannten Ansätze: Abfall-Vermeidung.Recycling. Ersatzprodukte.

Bis 2016 werden alle EU-Länder mitMeerzugang die Micro-Plastic-Ver-schmutzung messen müssen, bis 2020soll es nationale Strategien geben, umdas Problem im Griff zu haben. Grenz-werte, Gefahrenabschätzungen. «Mo-mentan sind wir damit noch ganz amAnfang», sagt Hagmann. Und seinTeam ist nach dieser Nacht ein biss-chen am Ende. Wir sind im Hafen vonSete angelangt, und nun liegt die Crewauf allen möglichen Schlafflächen unddöst – so wird es jetzt noch vier Wo-chen weitergehen.

Führt zu Völlegefühl, Verstopfung undAbmagerung: Schon bei 267 verschiede-nen Tierarten fand man Plastic im Bauch.

Ein simples Schleppnetz: Das Mikroplastic-Messgerät der Ocean-Eye-Crew.

Aufnahme einer Sternexplosion in einer Entfernung von 160 000 Lichtjahren.