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17. Wahlperiode Plenar- und Ausschussdienst Redaktion: Dr. Charlotte Weigel, Tel. 2325-1451 bzw. quer 99407-1451 Wortprotokoll Öffentliche Sitzung Ausschuss für Verfassungsschutz Zu TOP 2 unter Zuladung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie und des Aus- schusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen 36. Sitzung 15. April 2015 Beginn: 11.39 Uhr Schluss: 14.58 Uhr Vorsitz: Benedikt Lux (GRÜNE), zeitweise Burgunde Grosse (SPD) Vor Eintritt in die Tagesordnung Siehe Beschlussprotokoll. Punkt 1 der Tagesordnung Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2174 NPD-Verbotsverfahren nicht in Gefahr bringen – Senat muss liefern 0084 VerfSch Siehe Inhaltsprotokoll. Punkt 2 der Tagesordnung a) Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Deradikalisierungskonzept Berlin (auf Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und der Piratenfraktion) 0081 VerfSch

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17. Wahlperiode Plenar- und Ausschussdienst

Redaktion: Dr. Charlotte Weigel, Tel. 2325-1451 bzw. quer 99407-1451

Wortprotokoll

Öffentliche Sitzung

Ausschuss für Verfassungsschutz Zu TOP 2 unter Zuladung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie und des Aus-schusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen

36. Sitzung 15. April 2015

Beginn: 11.39 Uhr Schluss: 14.58 Uhr Vorsitz: Benedikt Lux (GRÜNE), zeitweise Burgunde Grosse (SPD) Vor Eintritt in die Tagesordnung

Siehe Beschlussprotokoll. Punkt 1 der Tagesordnung

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2174 NPD-Verbotsverfahren nicht in Gefahr bringen – Senat muss liefern

0084 VerfSch

Siehe Inhaltsprotokoll. Punkt 2 der Tagesordnung

a) Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Deradikalisierungskonzept Berlin (auf Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und der Piratenfraktion)

0081 VerfSch

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

Seite 2 Wortprotokoll VerfSch 17/36 15. April 2015

- we/vo -

b) Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Vorstellung des Deradikalisierungs-Netzwerkes der Senatsverwaltung für Inneres und Sport (auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU)

0082 VerfSch

c) Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Prävention im Bereich Islamismus/Salafismus in Berlin (auf Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und der Piratenfraktion)

0083 VerfSch

Hierzu: Anhörung

Vorsitzender Benedikt Lux: Wir haben dazu in der letzten Ausschusssitzung – Sie erinnern sich – schon eine Aussprache geführt und uns einvernehmlich darauf geeinigt, heute eine An-hörung stattfinden zu lassen. Hierzu haben wir eingeladen – ich begrüße Sie, meine Damen und Herren, ganz herzlich und freue mich sehr, dass Sie uns zur Verfügung stehen – Frau Dantschke von HAYAT-Deutschland, Leiterin der HAYAT-Beratungsstelle, Herrn Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus – KIgA –, Herrn Dr. Müller von ufuq und Herrn Mücke vom Violence Prevention Network –VPN –. Ich würde vorschlagen, dass wir eine kurze Begründungsrunde zu unserer Besprechung ma-chen, vielleicht anknüpfend an das, was wir in der letzten Sitzung schon beraten haben. Dazu habe ich schon Wortmeldungen gesehen. Ich schlage vor, wir beraten am Anfang kurz nach Stärke der Fraktionen, weil ja eigentlich die Anzuhörenden das Wort bekommen und uns be-richten sollen. Ich gehe davon aus, dass wir den zugeladenen Mitgliedern das Rederecht ertei-len – und dass wir ein Wortprotokoll erstellen lassen. Dann kommen wir zur Begründung unseres Besprechungspunkts. Als Erster Herr Schreiber für die SPD-Fraktion! – Bitte schön, Sie haben das Wort! Tom Schreiber (SPD): Danke schön, Herr Ausschussvorsitzender! – Ich freue mich zum ei-nen, dass wir heute erstmalig und hoffentlich nicht einmalig die Gelegenheit haben, alle vier Träger auf einem Podium zu sehen und zu hören, die, glaube ich, zur Frage Präventionsmaß-nahmen, die bundesweit jetzt schon stattfinden, nicht nur Stellung beziehen, sondern auch deutlich machen, wie die Situation aus ihrer Sicht ist. Das ist deswegen wichtig, weil wir in Berlin die entspannende Situation haben, dass wir alle Träger hier sitzen haben, diese aber bundesweit agieren. In der letzten Ausschusssitzung hat der Innensenator das Konzept zur Deradikalisierung vor-gestellt. Wir haben in der sehr sachlichen Debatte deutlich gemacht, dass es hierbei um einen Anfang geht. Ich bin sehr dankbar, dass die Kollegen aus dem Bildungs- und Jugendaus-schuss, aber auch aus dem Integrationsausschuss dabei sind, weil hiermit deutlich wird, dass wir über das Thema insgesamt mit einem ressortübergreifenden Ansatz miteinander diskutie-ren, aber auch mit dem Ansatz zu sagen, dass das Thema auch in anderen Ausschüssen eine besondere Rolle hat. Deswegen gilt da mein Dank. Dass es wichtig ist, sehen Sie, liebe Anzu-hörende, vielleicht auch daran, dass wir in der letzten Sitzung darüber gesprochen haben und

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

Seite 3 Wortprotokoll VerfSch 17/36 15. April 2015

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heute wieder darüber reden. Kollege Lenz und ich waren in den letzten Monaten auch bei den drei Trägern HAYAT, VPN und ufuq und haben intensive und gute Gespräche führen dürfen. Das hat uns erstens inhaltlich viel gebracht, und zweitens hoffe ich, dass die heutige Beratung einen wesentlichen Beitrag dazu leisten wird, das Parlament, aber auch die Verwaltung insge-samt zu sensibilisieren und zu sagen: Wir sind proaktiv; wir warten nicht, sondern wir haben hier vor Ort viel zu tun. – Ich weiß, dass die Träger bundesweit eine wichtige Arbeit leisten, und ich weiß auch, dass das, was Sie an Fallarbeit leisten, das übersteigt, was Sie eigentlich leisten können. Da ist noch viel Platz nach oben. Das heißt aber auch, dass man eine Infra-struktur, Personal, Geld und vieles mehr braucht. Damit will ich schließen. Die Zahlen und Fakten hatten wir in der letzten Sitzung. Noch mal aus unserer Sicht: Wichtig ist, dass man bei dem Thema deutlich macht, dass Re-pression eine Säule, eine Schiene sein kann, wie man sich dem Thema nähert, aber gleichzei-tig auch den Blick auf die Prävention richtet. Ich habe in der letzten Sitzung gesagt, auch öf-fentlich – da hatten wir das Thema, wie es um die Haftanstalt Moabit bestellt ist –: Es geht unter dem Strich darum, den Menschen, die abgedriftet sind, die sich radikalisiert haben, die in Kriegsgebieten waren und zurückkommen – ein Drittel von denen kommt ja zurück, es waren über 90 mittlerweile –, eine neue Perspektive für das Leben zu geben, das heißt, zu sagen: Wir sind da, wir unterstützen euch, und wir haben euch nicht vergessen. –, weil es auch immer darum geht und viel wert ist, sich auch um Menschen zu kümmern, die sich in der Tat radikalisiert haben. Deswegen: Herzlichen Dank! – Die Fragen werden wir dann in der zweiten Runde stellen. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Schreiber! – Herr Lenz, bitte! Stephan Lenz (CDU): Dem darf ich mich anschließen. Ich freue mich auch sehr auf die heu-tige Sachverständigenanhörung. Es ist toll, dass Sie alle der Einladung gefolgt sind. – Das Thema Islamismus/Salafismus ist in aller Munde. Die Bedrohungen für die westliche Gesell-schaft sind offenkundig. Es geht um nicht weniger als den Wert der Freiheit in unserer Gesell-schaft. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen, um dem Ganzen auch die ange-messene Bedeutung zu geben. Es gibt jetzt trotzdem keinen Grund – das wissen wir auch – für Alarmismus oder Panik, sondern man kann sich dem ganz sachlich widmen. Es gibt vier Millionen Muslime in Deutschland, es gibt 250 000 Muslime in Berlin, und die haben alle oder fast alle nichts mit diesen extremistischen Bestrebungen zu tun, genauso wenig wie die Christen. Das muss man immer wieder sagen, um es geradezurücken – was dem Ganzen aber nicht die Wichtigkeit nimmt. Man muss sich den wenigen Leuten widmen. Neben repressiven Maßnahmen – der Kollege Schreiber hat es gesagt – geht es hier um Dera-dikalisierung und Prävention, was verschiedene Dinge sind, aber dazu werden wir nachher noch etwas von Ihnen erfahren. Der Innensenator hat den Aufschlag gemacht, das Thema ist jetzt endlich aufgegriffen worden, und wir wollen uns dem widmen und von Ihnen heute ler-nen. Wir werden nachher sicherlich viele Fragen stellen, was man noch machen kann. Dass nicht genug passiert, das kann man einfach vorwegnehmen. Wir haben eine schriftliche An-frage zum Thema Prävention in Berlin gestellt, die ist öffentlich zugänglich, die können Sie auch alle einsehen. Es passiert, was den Berliner Landeshaushalt angeht, noch nicht so furcht-bar viel, da ist also durchaus Ausbaupotenzial. Wir müssen nur genau wissen, was wir ma-chen können und was Sinn macht. Dazu sind Sie heute hier. Ich freue mich auf die Anhörung.

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

Seite 4 Wortprotokoll VerfSch 17/36 15. April 2015

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Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Lenz! – Frau Kahlefeld, bitte! Dr. Susanna Kahlefeld (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Ich möchte für meine Fraktion auch noch mal betonen, dass wir die Initiative des Senats begrüßen, ein Deradikali-sierungsnetzwerk aufzubauen und dann hoffentlich auch zu finanzieren in dem Rahmen, dass eine gute Arbeit möglich ist. Ich möchte auch noch mal für uns betonen, dass es uns um einen umfassenden Ansatz geht. Darüber gibt es, glaube ich, Konsens hier im Ausschuss. Natürlich ist es eine sicherheitsrelevante Frage, es ist aber vor allen Dingen auch die Frage einer guten Präventionsarbeit, denn eigentlich ist es zu spät, wenn die Jugendlichen und jun-gen Erwachsenen, die es dann sind, aus den Kriegsgebieten zurückkommen, sei es, dass sie noch radikalisierter sind, sei es, dass sie traumatisiert sind. Auch das ist eine Frage, mit der wir umgehen müssen. Deswegen – das haben wir in der letzten Sitzung auch schon betont – geht es uns vor allen Dingen um den Präventionsaspekt, und da sind einige Fragen offen ge-blieben. Ich habe das im Protokoll noch mal nachgesehen: Es heißt auf der einen Seite, dass das Deradikalisierungsnetzwerk sich ausschließlich auf sicherheitsrelevante Fälle in einem fortgeschrittenen Radikalisierungsprozess beziehen soll. Auf der anderen Seite heißt es aber auch, dass sich das Projekt an Jugendliche und junge Erwachsene richtet, die sich von der salafistischen und dschihadistischen Szene distanzieren wollen. Wenn man es positiv interpre-tiert, bedeutet das, es ist ein breiter Ansatz, wenn man es kritisch sieht, ist da einiges noch nicht geklärt, wahrscheinlich auch in Bezug auf die Aufgaben, die die verschiedenen Träger übernehmen wollen. Ich möchte noch mal betonen, dass wir als deutsche Gesellschaft im Moment Terror exportie-ren und nicht importieren und deswegen global eine große Verantwortung dafür haben, was mit unseren Jugendlichen hier passiert, denn es sind unsere Jugendliche, die gehen und den Terror ins Ausland tragen, seien es Konvertiten, seien es die zweite und dritte Generation. Deshalb ist es wichtig, sich auch Fachleute anzuhören, die wissen, wie man tätig werden kann, bevor es dazu kommt. Es ist immer zu begrüßen, dass sich Politik von Fachleuten, die mit den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen arbeiten und die Lebensbedingungen kennen, beraten lässt, wenn man politische Maßnahmen aufsetzt. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Frau Dr. Kahlefeld! – Herr Taş, bitte! Hakan Taş (LINKE): Danke, Herr Vorsitzender! – Es ist für uns auch erfreulich, dass heute Träger zu diesem Thema geladen werden konnten, die nicht nur in Berlin, sondern bundes-weit eine effektive und wichtige Arbeit in diesem Bereich leisten. – Was für eine Gefahr geht von den möglichen gefährlichen Personenkreisen oder selbsternannten Salafisten in Berlin tatsächlich aus? Wie werden insbesondere junge Menschen davon abgehalten? Wie Sie si-cherlich wissen, geht Berlin von ca. 620 Salafisten aus, die Zahl verändert sich von Monat zu Monat. Davon gilt die Hälfte als gewaltbereit. Mehr als 90 Personen sind nach Informationen des Verfassungsschutzes aus islamistischer Motivation in den Irak und nach Syrien gereist, ein Drittel davon ist zurückgekehrt. Diese haben einen sogenannten Radikalisierungsprozess durchlaufen, sind militärisch ausgebildet worden und haben Gewalt erlebt und/oder ausgeübt. Die Ziele des Berliner Deradikalisierungsnetzwerks sind Ihnen bereits bekannt. Die Frage ist: Was kann man tatsächlich tun, um insbesondere junge Menschen davon abzuhalten, und wie kann man Menschen, die zurückgekehrt sind, wieder in das gesellschaftliche Leben integrie-ren? – Danke!

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

Seite 5 Wortprotokoll VerfSch 17/36 15. April 2015

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Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Taş! – Herr Mayer, bitte! Pavel Mayer (PIRATEN): Ich möchte mich darauf beschränken, Sie auch hier im Ausschuss herzlich willkommen zu heißen. Ich brenne darauf, zu hören, was Sie zu sagen haben. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Mayer! – Dann fangen wir damit an. Ich würde vorschlagen, dass Frau Dantschke anfängt. – Bitte schön, Ihre Stellungnahme für HAYAT! Claudia Dantschke (HAYAT): Ich freue mich, eingeladen worden zu sein. Ich bin – ich möchte ihn noch kurz vorstellen – mit meinem Kollegen Ahmad Mansour zusammen ge-kommen und vertrete jetzt die Beratungsstelle HAYAT. Sie ist ein Teil des Zentrums für de-mokratische Kultur Berlin. Dieses Zentrum ist ein Träger, zu dem auch Exit Deutschland ge-hört, also die größte NGO im Bereich des Ausstiegs aus dem Rechtsextremismus. Das viel-leicht als Background. Ich habe im Vorfeld eine kurze Selbstdarstellung abgegeben, insofern brauche ich jetzt, glaube ich, nur ein paar Eckpunkte deutlich zu machen, damit wir in das Thema reinkommen. HAYAT-Deutschland gibt es seit 2011, aber in der Deradikalisierungsarbeit über Familien, über Angehörige bei Ausreisenden in Dschihadgebiete sind wir seit 2007 aktiv. Wir hatten ja damals die Berliner Reisegruppe zu den deutschen Taliban-Mudschahedin nach Wasiristan. Da haben wir angefangen zu überlegen: Was kann man aus Erkenntnissen aus der Arbeit mit Rechtsextremismus auf den Bereich Ausstieg, Deradikalisierung übertragen? Seit Januar 2012 sind wir der Berliner Partner des bundesweiten Netzwerks des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Das BAMF hat diese bundesweite Hotline für Angehörige, deren Kinder anfan-gen, sich zu radikalisieren bzw. auf dem Weg der Radikalisierung sind, vielleicht schon aus-gereist sind, vielleicht auch schon zurückgekommen sind. Es gibt vier NGOs, die dort Partner sind, und die Bundesrepublik ist da regional aufgeteilt. Das heißt, wir sind zuständig für Ber-lin und Ostdeutschland, man kann sich aber auch bei uns direkt melden, sodass wir derzeit bundesweit 140 Familien betreuen, davon 53 aus Berlin. Von den 140 Familien, die wir betreuen, haben wir in 50 Fällen den Beratungsprozess im po-sitiven Sinn abgeschlossen, das heißt, wir haben darunter auch Rückkehrer aus Syrien, die jetzt in einem Ausstiegsprozess sind. Wir setzen dort an, wo eine Radikalisierung beginnt. Das heißt, wir haben das gesamte Feld hier in Berlin oder in anderen Bundesländern, wo Ju-gendliche den Weg in diese radikale Ideologie finden, um einen Ausweg für ihre derzeitigen Probleme zu finden. Wir setzen an bei den Angehörigen, bei dem nahen emotionalen Umfeld. Meistens sind es innerfamiliäre Konflikte, es sind fehlende Väter, kaputte Familien. Es sind nicht soziale Probleme, sondern es ist emotionale Entfremdung. Die Familie reagiert in der Regel kontraproduktiv, überstürzt, hysterisch. Das heißt, indem wir über die Familie arbeiten, können wir eine Ursache für weitere Radikalisierung bremsen, beheben und haben gleichzei-tig darüber wieder eine gute emotionale Basis zu den Jugendlichen, auf der wir dann über die Familie deradikalisierend einwirken können, und zwar auch bei Jugendlichen, die in Syrien oder im Irak sind, denn sie melden sich alle wieder bei ihren Familien, da kann das Verhältnis noch so kompliziert, gebrochen und konflikthaft gewesen sein. Sie melden sich, und über die-se Kommunikation mit den Angehörigen, die wir beraten, ist es unser Ziel, eine Rückkehrab-sicht herzustellen, was uns punktuell durchaus gelingt. Es ist sehr schwierig, denn man kann

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

Seite 6 Wortprotokoll VerfSch 17/36 15. April 2015

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nicht einfach zum Islamischen Staat sagen: Okay, es war nicht so schön bei euch, ich gehe wieder nach Hause! Das ist noch mal ein anderer Aspekt. Wichtig ist, dass dieses gesamte Feld ein Deradikalisierungskonzept ist, mit dem wir indivi-duell arbeiten. Deradikalisierung kann man nie in der Gruppe machen, das ist immer indivi-duelle Arbeit, weil Sie sich auf den einzelnen Fall, auf die Motivation einlassen müssen. Sie müssen komplexe Hilfenetzwerke um diesen Jugendlichen herum bauen. Mal brauchen Sie eine Familientherapie, mal brauchen Sie einen Psychologen, mal brauchen Sie eine authenti-sche muslimische Person – es muss nicht immer ein Imam sein, aber es muss eine authenti-sche Person sein –, mal brauchen Sie auch das Jugendamt. Die Altersgruppe – die jüngsten Fälle, die wir hier in Berlin haben, sind 12 Jahre alt – ist in der Regel 14 bis 27, 28, in diesem Feld bewegt es sich. Der Punkt ist, dass wir permanent auf der Suche sind, uns selbst diese Netzwerke zu schaffen. Das heißt, Sie fangen jedes Mal bei null an, den jeweiligen Jugendamtsmitarbeiter oder die Familientherapiestelle oder wen auch immer so weit zu sensibilisieren, dass er sich in dieses Netzwerk mit hineinbegibt und in diesem konkreten Fall mithilft. Das schaffen wir, weil wir uns über 20 Jahre unsere privaten Netzwerke aufgebaut haben. Das ist aber keine Basis für strukturelles Arbeiten. Das heißt: Wir brauchen hier in Berlin ein strukturelles Netzwerk von verschiedenen Trägern, auf das man zurückgreifen kann, wo die Senatsverwaltung für Bil-dung dabei sein muss, weil die Schulen auch oft Probleme mit Jugendlichen melden. Wir ha-ben einen aktuellen Fall, da wird einfach von den anderen Eltern gesagt: Der Junge missio-niert hier bei uns in der Schule die anderen Kids. Das wollen wir nicht. – Was macht die Schule? – Sie schmeißt den Jungen aus der Schule raus. Das ist für die anderen Jugendlichen möglicherweise eine Lösung, aber für diesen Jungen, der schon auf dem Radikalisierungstrip ist, ist es eine Katastrophe. Das heißt, wir müssen hier zweigleisig arbeiten, einerseits präven-tiv mit der Schulklasse – dazu werden die Kollegen noch etwas sagen –, andererseits aber auch individuell mit Jugendlichen, die schon angefixt sind, damit sie sich nicht weiter radika-lisieren und den Rückweg wiederfinden. – So weit vielleicht. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Frau Dantschke! – Als Nächstes ist Herr Demirel dran. – Bitte! Aycan Demirel (KIgA): Ich bedanke mich auch für die Einladung. – Ich gehe erst mal kurz darauf ein, welche Relevanz das Thema überhaupt hat, sage dann einige Worte zur Prävention und gebe einige Empfehlungen für die Politik. Die behördliche Wahrnehmung einer islamistischen Radikalisierung ist nicht zuletzt durch den ungeheuerlichen Terror des IS stark von gewaltorientierten Islamisten geprägt. Das ist wenig verwunderlich, da Gewalt und Terror dschihadistischer Gruppen seit Sommer 2014 die mediale Agenda stark dominieren. Nur selten wird jedoch die Frage gestellt, inwiefern diese Ungeheuer etwas mit der Lebensrealität junger Muslime hier in Berlin zu tun haben. Auch Medienvertreter gehen zunächst oft von einem wahrnehmbaren Radikalisierungszustand in Schulen aus und sind dann überrascht, wenn sie in ihren Gesprächen mit uns, mit Lehrkräften und Schülern einem anderen, einem normalen schulischen Alltag und ganz normalen Jugend-lichen begegnen. Dschihadisten und dschihadistische Propaganda trifft man in der Schule in der Regel nicht an, so ist unsere Erfahrung in der Praxis. Gleiches gilt auch für Anhänger oder

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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Sympathisanten des politischen Salafismus bzw. radikalen Islamismus, denen man auch nur in äußerst seltenen Fällen in den Schulen begegnet. Wieso ist Präventionsarbeit dennoch wichtig? – Salafismus bietet offensichtlich Antworten auf die Fragen, die Jugendliche beschäftigen. Er setzt zentral an Erfahrungswerten der jungen Menschen an und liefert vermeintliche Erklärungen. Dabei spielt die Thematisierung der Ausgrenzung von Muslimen eine zentrale Rolle. Gerade junge Menschen mit Migrationshin-tergrund machen immer wieder die Erfahrung, dass ihnen die Zugehörigkeit zu dieser Gesell-schaft abgesprochen und gesagt wird, sie seien keine richtigen Deutschen. Dazu kommen ständige Aufforderungen, sich von islamistischer Gewalt und Terror zu distanzieren. Das alles passiert in dem Land, das ihre Heimat ist, wo sie geboren und aufgewachsen sind und wo sie gern leben. Wenn solche persönlichen Erfahrungen in ein großes Narrativ der weltweiten Be-drohung der Muslime durch andere – Westen, Juden, Christen, wie auch immer – eingebettet werden, sodass eine existenzialistische Welterklärung von gesellschaftlichen Problemlagen erkennbar wird, dann können wir von einer ideologisierten Haltung sprechen. Die Präventionsarbeit hat dort anzusetzen, wo persönlich erlebte oder kollektiv wahrgenom-mene Erfahrungen Andockmöglichkeiten für islamistische Propaganda bieten. Propaganda und Anwerbung für den Salafismus finden nicht in der Schule statt. Genauso wenig erfolgt der Radikalisierungsprozess in der Regel in den traditionellen Gemeinden und Moscheestruk-turen. Jugendliche begegnen dem Salafismus vor allem im Internet bei den dort zu findenden deutschsprachigen Islamangeboten. Dort dominieren salafistische Angebote. Darüber hinaus starten Salafisten öffentlichkeitswirksame Kampagnen, die in ihrem provokanten Gestus Ju-gendliche ansprechen und in den sozialen Medien schnell Verbreitung finden. Warum ist Präventionsarbeit dennoch in der Schule notwendig? – Die Schule ist weiterhin das einzige Strukturfeld, der einziger Ort, an dem präventive Bildungsarbeit theoretisch alle Ju-gendlichen erreichen kann. Bildungsmaßnahmen sollen sich aber nicht nur an Muslimen, son-dern an der gesamten Schülerschaft orientieren, also muslimisch sozialisierte Jugendliche nicht separieren, denn die Auseinandersetzung mit islamistischen Inhalten ist für alle Jugend-lichen relevant. Alle, auch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, müssen ein Verständnis und eine Haltung zu einer Gesellschaft entwickeln, die sich durch Heimischwerden des Islam in Deutschland nachhaltig verändert. Es geht letztendlich darum, wie die Vielfalt unser Leben nachhaltig prägt und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Islamdiskurse in Deutschland bieten dazu einen gesellschaftlich relevanten Bezugsrahmen an, der jede und jeden betrifft. Es geht, ausgehend von den Islamdiskursen, um eine intensive Auseinanderset-zung mit Identität, Zugehörigkeit und Vielfalt in einer pluralen Gesellschaft, um das Verhält-nis zwischen Minderheiten und Mehrheit. Unser Ansatz bietet Jugendlichen durch entsprechende Diskursfelder eine intensive Ausei-nandersetzung mit diesen Fragen, mit der Partizipation in Deutschland. Zentraler Zugang sind Wertschätzung und Anerkennung, Wertschätzung ihrer Religion, Wertschätzung und Aner-kennung ihrer Erfahrungen mit rassistischer und antimuslimischer Ausgrenzung. Eine offene und wertschätzende Beschäftigung mit den Herausforderungen und Problemen, die mit dem Heimischwerden des Islam in Deutschland zusammenhängen, mit normativen Werten und Potenzialen einer pluralistischen Demokratie soll alle Beteiligten, aber vor allem die Jugend-lichen und jungen Erwachsenen dabei unterstützen, über ihren Platz in der deutschen Gesell-schaft nachzudenken. Wichtig ist die fachlich begleitete kritische Auseinandersetzung mit

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

Seite 8 Wortprotokoll VerfSch 17/36 15. April 2015

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menschenfeindlichen Denk- und Deutungsmustern, zu denen auch ein guter Teil der islamisti-schen Deutungsmuster zu zählen ist. Zum Schluss möchte ich ein paar Anmerkungen formulieren, die man als Empfehlungen ver-stehen kann. Im Allgemeinen muss in Schulen mehr Raum für Demokratie und Menschen-rechtsbildung geschaffen werden, damit überhaupt insbesondere Ungleichwertigkeitsideolo-gien wie der radikale Islamismus und der antimuslimische Rassismus behandelt werden kön-nen. Dafür fehlt der Rahmen in den Schulen. Die Zusammenarbeit von verschiedenen relevanten Akteuren ist notwendig. Es ist nicht nur die Aufgabe der Schule bzw. der Jugendarbeit. Daher müssen Ressourcen und Rahmen ge-schaffen werden, damit außerschulische Kompetenzen sich in Schulen und anderen Struktur-feldern wie Jugendarbeit, Arbeit in Moscheegemeinden und Arbeit in Jugendverbänden ein-bringen können. Das geht mit finanzieller Ausstattung, kompetenten Bildungsträgern sowie der Erleichterung der Zugänge zu politischer Bildung in solchen Strukturen. Feuerwehreinsät-ze sind keine Lösung. Strategisch langfristige Beschäftigung in den genannten Strukturfeldern ist nötig. Das schließt neben den Angeboten an Schüler und Jugendliche genauso Lehrkräfte und sonstige Pädagogen ein. Zur Einbeziehung von Sicherheitsbehörden in die Bildungsarbeit: Wir halten die direkte Prä-senz von Sicherheitsbehörden in der Radikalisierungsprävention für kontraproduktiv. Sie ver-stärkt die Eigenwahrnehmung der Jugendlichen als Problem. Worauf es ankommt: auf Wert-schätzung, Anerkennung setzende Bildungsarbeit. Das ist der Weg, die Chance, überhaupt die Zielgruppe zu erreichen. – Danke! Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank an Herrn Demirel für die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus! – Wir kommen nun zu Herrn Dr. Müller für ufuq. – Bitte! Dr. Jochen Müller (ufuq): Schönen guten Tag! Vielen Dank auch von meiner Seite für die Einladung! – Ich finde es sehr positiv, dass in Berlin etwas in Gang kommt. Das ist auch dringend notwendig. Es wurde vorhin gesagt, Alarmismus sei fehl am Platz. Das sehe ich auch so, aber eine Sensibilisierung ist dringend erforderlich. Wir arbeiten seit mehreren Jah-ren nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Wir arbeiten auf der einen Seite mit Jugendlichen – wir haben bisher mit 6 000, 7 000 Jugendlichen bundesweit gearbeitet – und bieten Fortbil-dung für Multiplikatoren an, denn der Bedarf – das erfahren wir tagtäglich in unserer Arbeit – ist riesig. In diesem Präventionsbereich, für den ich jetzt spreche – ich sage gleich noch etwas zum Themenbereich Deradikalisierung –, erleben wir tagtäglich diesen großen Bedarf, und zwar vor allem in Schulen und Jugendeinrichtungen. Da geht es um alle beteiligten Akteure. Da geht es nicht nur um die Jugendlichen selbst, sondern im Wesentlichen auch um die Mul-tiplikatorinnen und Multiplikatoren, sprich, um die Leute, die mit den Jugendlichen arbeiten, die mit ihnen teilweise auch über viele Jahre zusammen leben, wenn ich etwa an Jugendein-richtungen denke. Da ist der Bedarf riesengroß. Wir müssen gerade vor diesem Hintergrund dringend und mehr als bisher – das geht immer mal wieder durcheinander, auch in den Medien – zwischen Deradikalisierung und Prävention unterscheiden. Deradikalisierung ist eine Arbeit, die sich mit Einzelnen beschäftigt, die schon ideologisiert, radikalisiert sind, die möglicherweise Rückkehrer sind. Das sind Einzelne, die reintegriert werden können, sollten, müssten.

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Natürlich gibt es einen sicherheitspolitischen Aspekt darin, Leute, die eine Gefährdung dar-stellen, das ist gar keine Frage. Das ist eine ganz andere Form der Arbeit als die Präventions-arbeit. Deradikalisierung – das sind Runde Tische, und da geht es um Einzelne. Da kommen verschiedene Akteure zusammen, die Kollegin hat sie gerade schon genannt. Da müssen Run-de Tische zusammenkommen. Das sind Prozesse, die teilweise über Jahre laufen, wir kennen das aus dem Rechtsextremismus. Die Prävention setzt ganz woanders an. Die Prävention – ich werde gleich ein Beispiel dafür nennen, warum sie so wichtig ist – arbeitet in Gruppen, sie arbeitet mit ganz normalen Ju-gendlichen – auch das hat Aycan Demirel eben schon erwähnt –, wie wir sie etwa in Schulen und Jugendeinrichtungen vorfinden, und zwar weit im Vorfeld von irgendwelchen etwaigen Radikalisierungsprozessen. Darum geht es da gar nicht. Aber es ist notwendig, und zwar des-wegen – ich nenne Ihnen ein Beispiel –: 9. Klasse, Kreuzberger Schule, Thema „Islam“ und auch „Islamismus“, und alle Jugendlichen in der Gruppe, fast alles muslimische Jugendliche, sagten: Ich bin stolzer Muslim. – Das war denen total wichtig. Auf die Frage, was denn der Islam sei und im Einzelnen bedeute, hatten sie nur noch relativ wenig zu sagen. Zum Beispiel auf die Frage: Was ist denn eigentlich Scharia, wer hat eine Ahnung davon? – wusste nie-mand etwas zu sagen. Einer meldete sich ganz vorsichtig: Ist das nicht das mit dem Händeab-hacken? – Sprich: Den Jugendlichen ist der Islam wichtig, und zwar nicht, weil sie religiös sind, sonst wüssten sie vielleicht auch ein bisschen mehr über Religion, sondern weil die Re-ligion ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identitätsfindung darstellt. Das muss nicht unbedingt etwas mit Religiosität zu tun haben, sondern sie sagen: Ich bin hier in dieser Gesellschaft, und meine Besonderheit ist z. B. die Religion, ein bisschen die kulturelle Herkunft, und ich will das anerkannt sehen. – Da sind sie im Übrigen viel lautstärker als die Elterngeneration, wo bei vielen noch nicht klar war, ob sie in Deutschland bleiben oder nicht. Für sie war das nicht so selbstverständlich, sie haben sich oft weggeduckt, sie wollten nicht auffallen. Da durfte der Hausmeister sogar mit Schuhen in die Wohnung, während sonst niemand das durfte. – Nur als Beispiel. – Diese jungen Leute sind hier geboren, die wissen ganz klar: Wir werden unsere Familien hier in Deutschland haben. Und sie sagen: Hallo! Wir wollen hier anerkannt werden. – Das beruht immer noch auf der Erfahrung – das ist ein Thema der Einwanderungsgesell-schaft –, nicht genügend anerkannt zu werden, nicht genügend das Gefühl von Zugehörigkeit zu erfahren. Vor diesem Hintergrund sagen sie: Hallo! Hier sind wir! –, und das sagen sie nicht immer nett, das sagen sie oft sehr provozierend und sehr aggressiv. Wenn sich die Schu-len dann bei uns melden uns sagen: Wir haben hier ein Problem. –, dann sagen sie oft: Wir haben hier irgendwas mit Radikalen oder vielleicht Salafismus. – Und wir kommen dann an die Schulen und stellen fest: Nein, das sind ganz normale Probleme, was heißt normal, das sind schon massive Probleme, aber es sind Probleme, die mit Radikalisierung, mit islamisti-scher Ideologie in der Regel wenig bis gar nichts zu tun haben. Aber es sind die Probleme, die wir an den Schulen haben.

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Und der Schritt geht weiter: In dieser 9. Klasse sagten sie: Ich bin stolzer Muslim, aber gar nicht besonders religiös. – und alle, die keine oder nicht viel Ahnung von der Religion hatten, kannten Pierre Vogel, den bekanntesten salafistischen Prediger. Und da haben wir tatsächlich ein Problem. Wenn nämlich diese Generation – ich nenne sie die „Nine-Eleven-Generation“, das sind die Leute, die vor und nach „Nine Eleven“ geboren und groß geworden sind – auf der Suche ist – und die sind auf der Suche; das ist eine Generation in Orientierungs- und Such-prozessen, und die stellen ihre Fragen, auch nach Religion und Religiosität, die stellen auch ganz viele andere Fragen, und sie finden zu wenig Antworten. Die finden sie zum Beispiel nicht bei den Eltern, weil die oft ganz anders ticken, und die finden sie auch nicht bei ihrem Imam, denn der kennt sich nicht auf Facebook aus und auch nicht in den Shopping-Malls, wo die Jugendlichen unterwegs sind, dann gehen sie ins Internet, der Kollege hat es erwähnt, und dort stößt man zu großen Teilen auf Seiten von Salafisten. Das ist dann nicht gleich IS, aber das sind moderate Salafisten, die – schwer zu sagen, wie nennt man das? – demokratiefeindli-che, ich würde sagen, freiheitsfeindliche Positionen vertreten. Den Jugendlichen ist das meis-tens gar nicht bewusst. Die sehen da jemanden wie Pierre Vogel, der ihnen erklärt, was richtig und was falsch ist: Das ist der Islam. So ist es, und so ist es nicht. So kommst du ins Paradies, und so kommst du in die Hölle. – Das ist genau das, was sie wollen. Sie wollen Leute, die ihnen in deutscher Sprache ihre Religion erklären, und das macht er auf seine Art und Weise ziemlich gut. Die Frage ist dann auch immer, wenn es um pädagogische Arbeit geht: Was schaffen Salafis-ten, was wir nicht schaffen? Warum sind sie attraktiv für Jugendliche? Was machen sie für Angebote, die wir anscheinend nicht hinkriegen? – Das ist ein ganz wesentliches Thema, und dem muss sich Präventionsarbeit stellen. Wir haben dazu Filme, Materialen erstellt, die wir in der pädagogischen Arbeit einsetzen. Wir schulen junge Leute, die zwischen 20 und 30 sind – das ist unsere Arbeit –, schicken sie in die Schulen zu Workshops, und sie arbeiten dort mit den Jugendlichen. Ich glaube, es ist ein ganz relevanter Teil, den Jugendlichen Raum zu geben. Das betrifft im Übrigen nicht nur Schule und Jugendeinrichtungen, das betrifft auch Politik, Medien, im Grunde alle Bereiche der Gesellschaft, diesen Jugendlichen, dieser Generation Raum zu ge-ben für ihre Themen. Wenn wir als Gesellschaft insgesamt ihnen diesen Raum nicht geben, kommen andere, und das sind in diesem Fall die Salafisten. Sie gehen im Grunde in ein Va-kuum. Deswegen ist es auf der Ebene von Prävention oft gar nicht das Thema Salafismus ent-scheidend, sondern die Bedürfnisse, die Bedarfe der Jugendlichen, die offensichtlich nicht erfüllt sind. Da etwas anzubieten, etwas entgegenzusetzen, ist ein ganz wesentlicher Teil von präventiver Arbeit, und die ist – ich nenne noch mal das Beispiel 9. Klasse – absolut notwen-dig, weil das eine ganze Generation von Jugendlichen ist, die da unterwegs sind – was nicht heißt, dass sie alle gefährdet sind, aber es ist eine ernstzunehmende Anzahl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die gefährdet ist. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Dr. Müller! Sie werden nachher bestimmt noch Gelegenheit haben, Stellung zu nehmen. – Jetzt ist Herr Mücke vom Violence Preventi-on Network dran. Thomas Mücke (VPN): Mein Name ist Thomas Mücke, Geschäftsführer von Violence Pre-vention Network. Vielen Dank für die Einladung! – Ich kann mich meinen Vorrednern und Vorrednerinnen nur anschließen. Wir brauchen beides im Bereich der Arbeit mit gefährdeten

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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jungen Menschen, sowohl den Präventionsansatz als auch die Deradikalisierungsarbeit. Vio-lence Prevention Network ist ein bundesweiter Träger, bekannt geworden durch die Deradika-lisierungsarbeit im Jugendvollzug mit dem Programm „Verantwortung übernehmen – Ab-schied von Hass und Gewalt“. Hier in Berlin haben wir verschiedene Ansätze, die wir auspro-bieren und praktizieren. Wir sind sehr stark im Bereich von Prävention tätig, arbeiten hier in Berlin im Jahr mit ungefähr 1 000 jungen Menschen und versuchen, eine Grundimmunisie-rung herzustellen, damit sie nicht gerade auf die Angebote extremistischer Szenen reinfallen. Da spielt natürlich, was Herr Dr. Müller gesagt hat, die religiöse Bildung, Kenntnisse, Akzep-tanz und Wertschätzung von religiösen Wurzeln eine große Rolle, weil die extremistische Szene sehr oft sogenannte religiöse Analphabeten anspricht. Hier erst erfahren sie etwas über den Islam. Vorher hatten sie davon keine Kenntnisse. Wenn sie vorher schon etwas wissen, ist es eine Grundimmunisierung, aber nicht nur im Punkt der religiösen Bildung, sondern auch bei interreligiöser Toleranzentwicklung. Da kann man einiges tun, aber wenn man mal genau reinschaut, reicht das nicht aus. Jetzt könnte man sagen: Das kann man durch einen Bildungs-auftrag relativ einfach erfüllen. –, aber wenn wir uns mal radikalisierte junge Menschen an-schauen, kann man feststellen, dass vorher massive soziale Problemdynamiken dagewesen sind, die dazu geführt haben. Es sind Familienbrüche drin gewesen, ein geringes Selbstwert-gefühl, das Gefühl: Die Welt ist mir zu komplex, ich kann nicht eigene Entscheidungen über-nehmen; ich gebe die Entscheidung ab. – Uns fällt die Väterabwesenheit auf – da hat die cha-rismatische Autorität in der salafistischen Szene eine Attraktivität, weil sie oft auch Ersatzvä-ter darstellen –, und der junge Mensch fühlt sich sehr oft sozial abgehängt und kann für sich keine soziale Perspektive aufbauen. Das sind Themen, die vor der Radikalisierung da sind, denen man sich auf pädagogische Weise und durch Sozialarbeit annähern muss. In Berlin haben wir vier verschiedene Ansätze, einerseits die Präventionsarbeit, andererseits arbeiten wir sehr eng mit der muslimischen Community zusammen. Wir haben seit dem 1. April eine Beratungsstelle in der Șehitlik-Moschee aufgebaut, denn wir müssen Zugänge zur muslimischen Community finden, mit ihnen gemeinsam arbeiten, um diesem Thema wir-kungsvoll begegnen zu können. Wir arbeiten auch im Vollzugsbereich, denn wir wissen alle, dass der Jugendvollzugsbereich eine mögliche Rekrutierungsquelle darstellen kann. Wir sind auch sehr froh, dass wir am 1. April die Beratungsstelle KOMPASS aufmachen konnten, die von der Senatsinnenverwaltung finanziert wird, weil es bisher nicht möglich war, mit dem, was an Angeboten in Berlin dagewesen ist, direkt mit gefährdeten Menschen zu arbeiten. Für uns ist eines sehr wichtig: Wir wollen als Violence Prevention Network versuchen, da, wo Gefährdungskonstellationen da sind, direkt an die Betroffen ranzugehen. Das ist eine Form von aufsuchender Jugendsozialarbeit – wer mich kennt, weiß, dass ich aus dem Streetwork-Bereich komme –, denn es kommt kein junger Mensch zur Beratungsstelle, klopft an und sagt: Ich bin radikalisiert und habe ein ideologisches Problem. Könnt ihr mir mal helfen? – So ist es nicht. Es sind meistens junge Menschen, die noch gar nicht ausstiegswillig sind, sondern man muss versuchen, dass sie das Misstrauen, dass sie gegenüber der Gesellschaft haben, überwinden und hier Beziehungen aufbauen, und Gefährdungen vermeiden – Selbstgefähr-dung, Fremdgefährdung, und mir ist auch die Kindeswohlgefährdung ganz wichtig. Das heißt, wir versuchen, mit diesen Menschen, dafür sind wir relativ gut speziell aufgebaut, einen Kontakt aufzubauen. Das gelingt uns auch. Wir haben verschiedene Herangehenswei-sen, die ich jetzt in der einzelnen Technik nicht darstellen möchte. Wir haben verschiedene

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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Zielsetzungen in der Arbeit mit den direkt Gefährdeten, einerseits zu verhindern – Frau Dantschke hat vorhin angesprochen, andere ins Boot zu nehmen –, dass diese jungen Men-schen nicht weiter ausgegrenzt werden. Wir müssen verhindern, dass nur noch die Extremis-ten mit ihnen reden. Zweitens versuchen wir, wenn die Arbeitsbeziehung hergestellt ist, dass sie relativ schnell in andere Netzwerke reinkommen – denn sie suchen auch eine soziale Verortung –, indem es möglich wird, dass sie sich von der extremistischen salafistischen Szene distanzieren können. Wir versuchen, sie für andere Sichtweisen zu öffnen – in der salafistischen Szene wird nicht diskutiert; da wird gesagt: Wir haben hier den exklusiven Wahrheitsanspruch. Folge uns, und du bist auf der richtigen Seite! –, damit sich der junge Mensch wieder einen eigenen Kopf macht, das heißt, für andere Sichtweisen öffnet, dass er sich das anhört. Dabei ist es sehr wichtig, dass wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit muslimischer Identität haben, denn sie haben die Möglichkeit einer theologischen Diskussion, die ich als konvertierter Atheist nicht immer habe. Es ist auch wichtig, dass wir uns dann noch mal anschauen, was genau die Prob-leme sind und wie wir versuchen können, dass der Jugendliche für sich selbst wieder eine eigene soziale Perspektive aufbaut. Wenn man das alles aneinanderreiht, kann man sich vorstellen, dass diese Arbeit – es ist ein pädagogischer Prozess – nicht immer unter einem Jahr läuft. Wir bleiben sehr eng an diesen jungen Menschen dran. Wir wissen aber aus anderen Bundesländern, in denen wir diese Ar-beit machen, dass sie sehr nachhaltig und von Erfolg gekrönt ist. Wir werden es nicht in je-dem Einzelfall erreichen, dass wir bewegen können, was wir uns an Zielen vorgenommen haben, aber wir haben eine relativ hohe Erfolgsquote bei den Menschen, mit denen wir arbei-ten. Mir ist es wichtig, frühzeitig mit diesen jungen Menschen zu arbeiten. Ich finde es immer unerträglich, dass wir zulassen – es ist angesprochen worden, dass Terror exportiert wird –, dass Kinder und junge Menschen, die in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, von irgend-welchen Extremisten zu Kindersoldaten rekrutiert werden. Das ist eine Herausforderung. Zu der Fragestellung dessen, was das Land Berlin kann: Es passiert hier im Land Berlin schon ganz viel, es sind hier auch viele verschiedene NGOs tätig, aber das Problem ist, dass wir sel-ten eine Verstetigung der Finanzierung haben. Vieles läuft über Modellprojekte oder Pro-gramme der Bundesregierung. Ich würde mir auch ressortübergreifende Strukturen wünschen, um deutlich zu machen, dass es sich um eine gesellschaftliche Herausforderung handelt, wo sich alle Ressorts bewegen müssen. Im inhaltlichen Bereich – ich habe jetzt sehr viel mit Mädchen zu tun, die in den IS hineinge-trieben werden – fehlen uns Workshops in schulischen Bereichen, die über diese Szene auf-klärten, wie sie agiert, wie sie zu rekrutieren versucht, wie sie versucht, junge Menschen zu missbrauchen, welche Illusionen dort geweckt werden und wie nachher die Desillusionierung ist, wenn man nach Syrien ausgereist ist. Wir versuchen in einem Fall junge Menschen, die schon in Syrien gewesen sind, als Mentoren auszubilden, dass sie mal vor Schulklassen auf-treten und sagen können, was in dieser Szene wirklich passiert; denn Aufklärung kann ver-hindern helfen, dass Menschen in größere Gefahren hineinkommen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Mücke! Vielen Dank noch mal an alle vier Anzuhörenden! – Wir kommen jetzt in die Aussprache. – Frau Kahlefeld, bitte!

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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Dr. Susanna Kahlefeld (GRÜNE): Vielen Dank an die Anzuhörenden! Sie haben eindrucks-voll deutlich gemacht, dass Sie alle einen umfassenden Ansatz haben, von Prävention bis hin zu Sicherheitsmaßnahmen. Ich finde es aus meiner eigenen Erfahrung sehr plausibel, dass Sie den Bereich Prävention und frühzeitig mit den Jugendlichen zu arbeiten, sehr stark gemacht und darauf hingewiesen haben, wie wichtig er ist. Darauf beziehen sich auch meine Fragen. Diskriminierungserfahrung machen Jugendliche auch hier in Berlin ganz massiv in der Schu-le. Schule ist die Welt für Jugendliche oder die Welt, in der sie sich beweisen müssen und wo sie auch bewertet werden. Deswegen ist meine Frage, wie Sie mit Lehrern arbeiten. Sie haben gesagt, Sie arbeiten mit Lehrern, aber ich wüsste gern, wie da eigentlich die Nachfrage ist. Denn man kann Lehrern so was anbieten und sagen, dass Sensibilität notwendig ist, aber wenn Lehrer sagen, dass sie dafür keine Zeit haben, oder: Wir haben doch die Probleme mit den Jugendlichen und nicht die mit uns! –, dann wird wahrscheinlich nicht genug nachgefragt. Gibt es Nachfrage von den Schulen und Jugendeinrichtungen? Wie sieht die aus, und würden Sie Handlungsbedarf bei der Bildungsverwaltung sehen, darauf hinzuweisen, dass so etwas stattfinden muss? – Der Fall, den Frau Dantschke beschrieben hat, dass ein Jugendlicher von der Schule geworfen wird, ist natürlich der Super-GAU. Da hätte Jahre vorher schon etwas im Lehrerzimmer passieren müssen, damit es nicht dazu kommt. Wer mit Schule zu tun hat, weiß, dass so was keine Einzelfälle sind. Den Spruch: Ach, Frau Kahlefeld! Sie wissen doch, Bildung spielt im Islam keine Rolle! – habe ich so oft gehört. Diese Rille ist eingeschliffen. In unseren Lehrerzimmern stimmt was nicht. Wir haben das auch an den Reaktionen auf das Kopftuchurteil in Karlsruhe gesehen. Wir müssen an die Schulen ran, weil Schule für die Ju-gendlichen ein ganz zentraler Bezugspunkt ist. Deswegen die Frage an Sie alle: Gibt es eine Nachfrage von den Schulen und Jugendrichtungen, die aus Ihrer Sicht befriedigend ist? Eine Frage speziell an Herrn Dr. Müller von ufuq: Wir wissen, dass ein relativ großer Anteil Jugendlicher Konvertiten sind. Ich denke, da spielen die psychologischen, sozialen Probleme eine ganz große Rolle, wichtig sein zu wollen, eventuell von der Täter- auf die Opferseite zu wechseln. In welchem Umfeld erreicht man die eigentlich? Eine Frage an Herrn Mücke: Es freut mich, dass es jetzt KOMPASS gibt. Gibt es da eine Zu-sammenarbeit mit dem Beirat für die Gefangenenseelsorge? Die Frage würde ich auch gern an den Herrn Senator richten. Welche Aufgabe hat denn der Beirat im Moment, der die Gefan-genenseelsorge endlich auf den Weg bringen soll, und gibt es eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Projekten? – So viel erst mal von mir. Stellv. Vorsitzende Burgunde Grosse: Schönen Dank, Frau Kahlefeld! – Herr Schreiber von der SPD-Fraktion! Tom Schreiber (SPD): Herzlichen Dank, Frau Ausschussvorsitzende! – Mein Dank gilt allen vier Anzuhörenden, weil Sie sehr deutlich gemacht haben, dass wir es zum einen unter Um-ständen mit einem sogenannten Weckruf an und in die Gesellschaft zu tun haben. Das heißt, wir sind gar nicht mehr in der Situation, die Probleme nur zu beschreiben, sondern Sie sind, wie Sie beschrieben haben, seit Jahren aktiv dabei, nicht nur mit gefährdeten Personen zu arbeiten, sondern Sie sind auch in der Prävention tätig, und das bundesweit. Frau Dantschke hat es deutlich gemacht. Die Fallzahlen sprechen ihr Übriges.

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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Wenn ich mir den Rückblick erlauben darf und sehe, wie es in unserem Land Berlin mal alles angefangen hat, sei es im Verfassungsschutzbericht der letzten zehn Jahre, wie schnell eigent-lich dieser ganze Prozess von 2010 bis jetzt gelaufen ist, wenn man weiß, dass wir 2011 noch über das ganze Thema Internetpropaganda gesprochen haben, über den Protagonisten Denis Cuspert – vielleicht eine unterschätzte Person, muss man ehrlich sagen, der immer als der kleine Rapper aus Kreuzberg abgetan wurde, der im Ausland ist, der, wie heute wieder zu lesen war, Videos in die Öffentlichkeit bringt, der einen Anziehungspunkt gerade für junge Menschen, Jugendliche, Mädchen, Frauen bietet –, dann ist das unter Umständen rückbli-ckend eine unterschätzte Gefahr, und deswegen ist es wichtig – – Sie allesamt haben das Thema soziale Netzwerke angesprochen. Was man in Teilen dort selbst erleben kann, ist brandgefährlich. Ich will nicht darauf eingehen, dass man sich Ent-hauptungen bei Facebook angucken kann und vieles mehr. Da finden Dinge statt, wo Jugend-liche ohne Beaufsichtigung mit etwas konfrontiert werden oder sich möglicherweise über das Internet sehr zügig radikalisieren. Wir haben 2012 beispielsweise das Thema Koranverteilung gehabt oder 2014 – nicht in unse-rem Bundesland, in Nordrhein-Westfalen – Scharia-Polizei. Das waren alles kleine Bausteine dafür, was zum einen das Thema Islam als Oberbegriff betrifft. Es ist aber, glaube ich, wich-tig, hier deutlich zu machen, dass der Islam nicht das Problem ist. Das Problem sind die Radi-kalisierten, die im Namen des Islams ihre Dinge tun, deswegen muss man das ganz fein und säuberlich unterscheiden und deutlich machen, dass der Islam eher positiv gestimmt ist. Man darf nicht denjenigen auf den Leim gehen, die dort in ihrem Sinne Sozialarbeit machen. Warum sage ich das? – Weil wir tagtäglich, dieses Jahr, letztes Jahr, mit dem Thema Hassprediger konfrontiert worden sind. Das ist vielleicht nicht Ihr Punkt gewesen, aber ich will deutlich machen, dass das in diesem ganzen Konstrukt sehr wohl eine Bedeutung hat. Herr Dr. Müller! Sie haben sehr deutlich darauf hingewiesen – das fand ich wichtig –, dass wir unterscheiden müssen, zum einen konkret mit Radikalisierten zu arbeiten und zum ande-ren die Prävention insgesamt im Blick zu haben. Kollege Langenbrinck und ich hatten uns öffentlich geäußert, Kollege Lenz ähnlich, auch nach der letzten Ausschusssitzung im letzten Monat, wo wir angefangen haben zu debattieren, dass wir wahrscheinlich im Land Berlin nicht umhinkommen, darüber nachzudenken, wie man diesen ressortübergreifenden Ansatz hinbekommt, weil es nicht nur Aufgabe der Sicherheitsbehörden ist, sich allein mit dem har-ten Kern zu befassen, sondern weil es gesamtgesellschaftlich und ressortübergreifend ein we-sentlicher Kern des Problems ist. Ein bisschen erinnert mich das an die Debatte aus den Neunzigerjahren, wo dieses ganze Themenfeld Rechtsextremismus aufgefloppt ist, Stichwort Ostdeutschland: Wie gehen wir mit der Situation um? – Ich weiß, wie schwierig es war, Bundesprogramme und Landesprogram-me zu dem Thema zu entwickeln und auch diesen ressortübergreifenden Ansatz im Blick zu haben. Auch da wurden mal Fehler gemacht, aus denen man gelernt hat, und wir sollten gu-cken, dass vielleicht nicht der entscheidende Punkt ist: Viel Geld hilft viel, wie mit einem Nürnberger Trichter: Wir machen jetzt ganz viel im Bereich Bildung und Jugend. –, sondern dass man eine mittel- und langfristige Strategie fährt, auch im Land Berlin. Deswegen würde ich gern zu vier oder fünf Fragen kommen. In Teilen hatten Sie das schon angedeutet.

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Zum einen würde mich konkret interessieren, welche Präventionsmaßnahmen Sie mittel- und langfristig sehen. Damit meine ich fünf bis zehn Jahre. Ich rechne nicht in Wahlperioden, sondern ein bisschen darüber hinaus, weil ich glaube, dass das Thema unabhängig von einer Wahlperiode gesehen werden muss. Das ist ein dauerhaftes Thema. Zum anderen ein Blick auf das Thema ressortübergreifender Ansatz, Stichwort: eigenständi-ges Landesprogramm. Sagen Sie, das wäre eine mögliche Klammer, um viele Aspekte zu be-leuchten, die Sie hier auch klar und deutlich benannt haben? Den anderen Punkt hatte Frau Dantschke angesprochen, beim Thema Radikalisierung, Stich-wort Familie und Freundeskreis. Mich würde interessieren, welche Rolle die Familie vor und nach einer Radikalisierung spielt, auch der Freundeskreis, die Bezugspersonen. Wie wichtig, wie elementar sind die eigentlich? Herr Mücke hat die Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften angesprochen. Auch hier müssen wir eher die positive Seite hervortun. Mit wem können und müssen wir eigentlich viel intensiver zusammenarbeiten und nicht mit erhobenem Zeigefinger? Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Punkt: Es braucht eine Basis des Vertrauens, des Miteinanders, dass man – das hatte Herr Demirel deutlich gemacht – nicht sagt: Nun positioniert euch mal dazu, wie IS sich gerade in anderen Ländern abtut bzw. was sie gerade für Massaker angerichtet haben. – Ich glaube, das kann auch ein Teil des Problems sein. Der letzte Punkt, der auch nicht unwichtig ist: Wie können Sie sich als Träger in der inhaltli-chen Arbeit ein Stück weit voneinander abgrenzen? Es ist wichtig zu gucken, wenn man et-was Übergreifendes macht, etwas mit mehr Beteiligung, dass das vielleicht ineinander über-fließt, aber dass es auch eine klare Aufgabenverteilung gibt. – Danke schön! Stellv. Vorsitzender Burgunde Grosse: Schönen Dank, Herr Schreiber! – Als Nächsten ha-be ich Herrn Taş von der Linken auf der Redeliste. Hakan Taş (LINKE): Danke, Frau Vorsitzende! – Ja, es war ganz wichtig, Herr Schreiber, zwischen Islam und Islamismus und zwischen Moslems und Islamisten zu unterscheiden, ist auch für mich noch mal notwendig. Auf eine Anfrage von mir im Oktober 2014 antwortete die zuständige Senatsverwaltung, dass vom IS gesteuerte Aktivitäten in Berlin nicht bekannt seien. Sensibilisierung ist notwendig, haben wir heute gehört. Alarmismus ist kontraproduk-tiv. Das ist so weit richtig und wichtig. Kurzfristige Feuerwehreinsätze, das hat Herr Demirel unterstrichen, werden die Probleme in diesem Bereich sicherlich nicht lösen. Auf Unterstützung und Beratung in schwierigen Lebenssituationen und begleitende Arbeit mit den Angehörigen ist Frau Dantschke eingegangen. Das ist besonders wichtig. Sie haben von kaputten Familien gesprochen, Frau Dantschke, und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass für Sie insbesondere die Arbeit mit den Familien wichtig ist. Mich würde interessieren, wie Sie die sogenannten kaputten Familien erreichen. An die Adresse des VPN: Sind die bereits zur Verfügung gestellten Mittel für 2015 und die für 2016 bis 2019 – das Angebot von Ihnen habe ich mir noch mal genauer angeguckt – tat-sächlich ausreichend? Sind nicht mehr Mittel notwendig für die Arbeit, die Sie in Berlin leis-ten?

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Eine weitere Frage, geschlechtsspezifische Besonderheiten zwischen Mädchen und Jungen und unterschiedliche Konzepte: Gibt es etwas dafür? Arbeiten Sie mit unterschiedlichen An-sätzen, was Jungen und Mädchen betrifft, und wie erreichen Sie diese? Was vielleicht noch ganz wichtig ist: Bei Anrufen von Angehörigen und besorgten Personen wird eine erste Einschätzung der Situation durch die Berater des BAMF vorgenommen, das hatte ich mir noch mal durchgelesen, und die Ratsuchenden an die jeweiligen kompetenten zivilgesellschaftlichen Partner weitergeleitet, so auch an Sie, Frau Dantschke. In elf Fällen, habe ich gelesen, hatte HAYAT Erfolg, aber in drei Fällen waren die Kinder bereits tot, als man sich bei HAYAT meldete. Von den aktuellen Fällen seien 20 sicherheitsrelevant und die Behörden involviert. Vielleicht können Sie darauf eingehen, welche Empfehlungen Ihnen die Behörden gegeben haben. Darüber hinaus: Wie konkret sehen die Methoden aus, um in Kooperation mit Angehörigen – was ich vorhin schon gefragt habe – Betroffene einem Deradikalisierungsprozess zuzuführen? Üben die Angehörigen, zum Beispiel die Eltern, psychischen Druck auf das Kind aus, geben sie Stubenarrest, oder verbieten sie ihnen den Kontakt mit den radikalen Freunden? Können nicht psychische, persönliche Probleme Grund für den Abrutsch des Kindes, des jungen Man-nes oder der jungen Frau in eine salafistische Szene sein? Gibt es kostenlose psychiatrische, pädagogische oder psychologische Betreuung für den Betroffenen und die Angehörigen? Eine letzte Frage: Wo wird die Grenze gezogen? Schreitet HAYAT bereits ein, wenn Be-troffene lediglich konvertieren, wenn er oder sie zum Beispiel Pierre Vogel cool findet, oder wartet man ab, bis der Betroffene anfängt, Ausreisepläne zu machen? – Danke! Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Taş! – Herr Lenz! Stephan Lenz (CDU): Ich habe mehrere Fragen, zunächst an Herrn Demirel. Sie haben von einem notwendigen Diskurs gesprochen, in welcher Gesellschaft wir denn eigentlich leben wollen. Dann ist noch zu klären, wie sich das Verhältnis der muslimischen und der deutsch-stämmigen Einwohner darstellt und ob es überhaupt noch zutrifft, wenn man sieht, dass 50 Prozent der Muslime die deutsche Staatsangehörigkeit haben, also diesen Diskurs voranzu-treiben. Vielleicht sagen Sie dazu etwas konkreter, wie Sie Ihre Rolle sehen – vielleicht auch alle vier –, ob Sie da einen Beitrag leisten können, weil das nicht eine Sache ist, die zwingend in den Bereich der Prävention fällt. Dann habe ich eine Frage zur Struktur. Machen Sie alle vier für uns noch mal klarer, wo Ihre Schwerpunkte als Träger liegen, denn wenn wir jetzt – das ist ja mehrfach gefallen – zu dem Ergebnis kommen, wir möchten gern die Aktivitäten des Landes durch die Bereitstellung von Mitteln verändern, dann müssten wir das strukturell klären, und dann geht es darum, das Know-how, das in der Stadt vorhanden ist, möglichst breit zu nutzen. Wir haben von Ihnen allen vier – das ist auch nicht der erste Kontrakt mit Ihnen – einen so guten Eindruck, dass wir alles erhalten wollen, was da ist, und mein Zwischenergebnis ist, dass es genug zu tun gibt. Es geht nicht um Millionen, das ist klar, aber wenn wir jetzt sagen würden, wir wollen zum Bei-spiel ein Landesprogramm auflegen, wie sollte man das machen? Es ist mehrfach gesagt wor-den, dass das ressortübergreifend entwickelt werden sollte, aber irgendwie muss man es auf-hängen. Es wäre für uns interessant, wie Sie das sehen. Das wäre von Ihnen allen vier ein

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Signal, das für uns interessant ist, das wir mitnehmen können, wenn wir in Organisationsfra-gen gehen. Wir unterscheiden zwischen dem, was im Bereich der Deradikalisierung, und dem, was im Bereich der Prävention passiert. Kann man sagen: Das, was im Bereich der Deradikalisierung passiert, gehört eher in den Innenbereich, und das, was im Bereich der Prävention passiert, gehört eher in den Schul- und Bildungsbereich? Wie sehen Sie das? – dass Sie dazu mal Stel-lung nehmen, dass wir das als Erkenntnisgewinn mitnehmen. Sie merken, wir sind völlig of-fen. – Das sind erst einmal meine Fragen. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Lenz! – Herr Dregger, bitte! Burkard Dregger (CDU): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Ich möchte die Frage an die Sachverständigen stellen: Welche Erfahrungen bestehen, welche Rolle spielen die Moschee-gemeinden in Berlin, nicht etwa nur bei der Radikalisierung, sondern bei der Deradikalisie-rung und bei der Präventionsarbeit? Werden die Imame und andere Autoritäten dort überhaupt von den Jugendlichen, den potenziell durch Radikalisierung gefährdeten Menschen, als Auto-ritäten anerkannt? Haben sie Einwirkungsmöglichkeiten, oder ist es so, wie es bei einem Bei-trag durchklang, dass die Radikalisierung viel mehr im Internet über die sozialen Netzwerke stattfindet, wo die salafistischen Auftritte offenbar leider sehr dominant sind? Ich würde das gern verstehen, denn wir sind alle in der Stadt unterwegs bei vielen Moscheegemeinden. Wir haben viele Kontakte, und wir suchen natürlich, da die Themen von den Betroffenen an uns herangetragen werden, nach den richtigen Antworten. Wie können wir auch dort helfen, um Dekradikalisierung zu erzeugen bzw. Prävention erfolgreich zu machen? – Danke schön! Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Dregger! – Frau Bayram, bitte!

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Canan Bayram (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Ich will die angemeldeten Besprechungspunkte aufgreifen – Deradikalisierungskonzept, Deradikalisierungsnetzwerk, also Vorstellung des Netzwerks – und frage mich, aber auch die Anzuhörenden: Sehen Sie das Konzept als ausreichend an? Gibt es tatsächlich ein Konzept, was alle von Ihnen vorge-tragenen relevanten Fragen anreißt? Man muss sie vielleicht nicht gleich beantworten. Vor allem ist auch sehr interessant, ob es ein Deradikalisierungsnetzwerk gibt, oder, wenn es das nicht gibt, was ich, ehrlich gesagt, vermute: Wie müsste es aussehen? Ich würde das gerne nicht nur an die Anzuhörenden, aber insbesondere an sie, richten: Wel-che Vernetzung der einzelnen Akteure und auch der Organisationen mit der Verwaltung – das heißt, Informationsaustausch, Mittelausstattung, aber auch Ansprechpartner innerhalb der Verwaltung, in der Innenverwaltung, in der Bildungsverwaltung – bräuchte es für diese sehr kleinteilige Arbeit? Jeder, der mit Jugendlichen, in welchen Lebenslagen auch immer, zu tun hatte, insbesondere mit denen, die Sie beschrieben haben, die schon schwere Lebenschancen haben, die vielleicht aus Familien kommen, in denen die Hintergründe so sind, dass Sie viel Unterstützung brauchen, um Ihre Ziele tatsächlich zu erreichen und die Menschen für unsere Gesellschaft zu gewinnen, um sie nicht in einem anderen Kampf zu verlieren, wobei dann dieses Gewinnen auch wieder ein Kampf ist und eine Herausforderung darstellt – da würde mich interessieren: Wer sind Ihre Ansprechpartner in den jeweiligen Verwaltungen? Wie schnell wird reagiert? Welche Möglichkeiten haben Sie, eine schnelle Antwort zu bekom-men? An den Senat hätte ich noch die Frage: Es gab früher die Grundsatzreferentin für interkultu-relle Angelegenheiten. Die Dame, die das früher ausgeübt hat, ist mittlerweile im Auswärti-gen Amt. Aber was ist mit dieser Stelle? Wurde sie neu besetzt? Wer übt diese aus? Ist sie z. B. mit den Akteuren vernetzt, die gerade das Thema Islam und interkulturelle Angelegen-heiten im Schwerpunkt behandeln? Oder gab es bei der Senatsverwaltung für Inneres eine Umstrukturierung? Gibt es dort andere, die das Thema ansprechen? Gibt es innerhalb des Senats, Herr Senator, eine Arbeitsgruppe zwischen Ihrer Verwaltung und der Bildungsverwaltung, die insbesondere die Fragen behandelt, die hier ganz besonders relevant sind, die gar nicht nur diese spezifische Prävention oder Deradikalisierung der Ju-gendlichen zum Ziel hat, sondern auch die Situation an den Schulen, denn man muss sich vor-stellen, sobald jemand mit diesen Konflikten in der Schule aktiv ist, ist das ein Konflikt, der die gesamte Klasse ergreifen kann oder auch in der Schule Probleme bereitet. Das heißt, wir müssen das von beiden Seiten betrachten. Wie gut sind die Schulen auf solche Situationen vorbereitet? Wo müssen wir gegebenenfalls auch strukturelle Maßnahmen in der Bildungsar-beit aufgreifen? Was können die Akteure, die spezialisiert sind auf Prävention oder Deradika-lisierung, als Aufgabe übernehmen? Wo sind da die Schnittstellen? Meine letzte Frage wäre: Wann hört die Arbeit von Frau Dantschke auf, und wann fängt die von Herrn Mücke an? Sind das Überschneidungen? Macht man das parallel oder aus ver-schiedener Perspektive? – dass das einfach noch einmal deutlich wird, wie das ineinander-greift und wie die Unterschiede bei der Arbeit sind. Vielleicht gibt es die Unterschiede auch nicht. Ich habe exemplarisch nur Sie beide erwähnt, aber ich würde auch gerne die anderen dazu hören aus der Praxis, insbesondere auch mit der Fragestellung: Wo ist der Schwerpunkt der Prävention? Wo fängt es an, wenn es in dieser frühen Stufe der Strafbarkeit – – Eine Rückkehr kann auch schon zu einer Strafbarkeit führen, die dann mit ganz anderen einschnei-

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denden Maßnahmen im Leben des Jugendlichen oder jungen Erwachsenen einhergeht. Gibt es da Schnittstellen? Wie entscheiden Sie sozusagen aus der Praxis heraus, wie, auch im Kontext mit den Strafverfolgungsbehörden, die Unterstützung jeweils aussehen kann? Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Frau Bayram! – Herr Mayer, bitte! Pavel Mayer (PIRATEN): Ich wollte erst einmal vor dem Hintergrund der Haushaltsberatun-gen die Frage stellen, wie Sie das Verhältnis von verfügbaren finanziellen Mitteln zur Größe des Problems bzw. der Probleme einschätzen. Der Innensenat hat aus seinem Topf noch etwas locker gemacht. Die Frage ist: Ist das ein Tropfen auf den heißen Stein? Ist das angemessen? Es ist klar: Mehr kostet mehr. Die Frage ist: Würde mehr auch mehr helfen? Wovon reden wir hier? Bräuchten wir eigentlich das Doppelte, das Zehnfache, das Hundertfache an Mitteln? Herr Lenz sagte, es geht nicht um Millionen. Die Frage ist: Müsste es nicht eigentlich um Millionen gehen in dem Zusammenhang? Dann wurde teilweise die Frage gestellt, aber ich würde sie noch einmal etwas allgemeiner stellen: Wie ist die Zusammenarbeit generell mit den Behörden? Wo gibt es Hürden oder Hindernisse in Ihrer Arbeit, die im Bereich der Verwaltung liegen? Was könnte man erst ein-mal mit wenig oder keinem Geld verbessern, indem man Steine aus dem Weg räumt? Dann die Frage, die letzte Woche in der Presse noch einmal öffentlich diskutiert wurde, zum Thema Strafhaft für radikalisierte oder ausgereiste Rückkehrer. Da gab es verschiedene Über-legungen auch im Zusammenhang mit dem, was in Frankreich passiert ist, aber auch, ob nicht Strafhaft im Prinzip eher zu einem Aneinanderrücken von kriminellen und extremistischen Strukturen führt und wir am Ende noch schlimmer dastehen, und wie Ihre Erfahrungen mit der Justiz im Hinblick auf Strafverfolgung nach § 89a StGB sind, obwohl das vielleicht nicht so gedacht war. § 89a StGB schützt jeden Staat, auch Assads Syrien beispielsweise. Wird da in der Praxis irgendeine Differenzierung vorgenommen, oder spielt das keine Rolle? Wie ist die Erfahrung mit der Justiz, speziell mit der Berliner Justiz, im Hinblick auf Rückkehrer, die aussteigen wollen? Haben Sie das Gefühl, dass das konstruktiv und wohlwollend erfolgt, oder gibt es da irgendwelche Probleme, die die Situation vielleicht noch verschlimmern? Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Mayer. – Herr Senator, bitte! Bürgermeister Frank Henkel (SenInnSport): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die Ausführungen der Träger. Ich glaube, das ist eine gute Ergänzung zu dem gewesen, was wir in der letzten Verfassungsschutz-Ausschusssitzung besprochen haben. Ich habe seinerzeit meine Konzeption vorgestellt. Ich habe mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage die Schaffung dieses Netzwerkes initiiert, um der akuten Gefahr, die von jungen radikalisierten Islamisten für Berlin ausgeht, zu begegnen. Dieses Deradikali-sierungsnetzwerk hatte am 1. April die Arbeit aufgenommen. Die erste Fallkonferenz fand vor ein paar Tagen statt. Ich will das zum Anlass nehmen, um noch einmal zu betonen – ich glau-be, das war die erste Wortmeldung, von Frau Kahlefeld –, dass ich das, was ich getan habe in meinem Verantwortungsbereich, durchaus als einen ersten Schritt sehe auf dem Weg zu ei-nem noch zu entwickelnden landesweiten Präventions- und Deradikalisierungsprogramm, in dessen Rahmen sich alle existierenden Projekte, ob staatliche Projekte oder zivilgesellschaft-liche Akteure, gebündelt zusammenfinden sollten. Natürlich stellt sich in diesem Zusammen-hang die Frage, wie staatliche Präventions- und Deradikalisierungskonzepte in der Kooperati-

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on mit zivilgesellschaftlichen Trägern optimal gestaltet werden können, wie viel Optimie-rungspotenzial wir im Zusammensetzen letztlich haben in der Umsetzung unserer Vorstellung auch dessen, was Sie heute hier gesagt haben, um der islamistischen Radikalisierung junger Menschen entgegenzuwirken. Es ist auch völlig richtig – deshalb betone ich das hier an dieser Stelle noch einmal, das ist mein Verantwortungsbereich und das, was die Sicherheitslage hergibt, und das, was mein Netzwerk machen soll –, dass auch aus meiner Sicht beispielsweise Lehrinhalte an Schulen oder Förderstrukturen im Bereich der zivilgesellschaftlichen Präventionsträger dringend der Anpassung an die Herausforderung der Zeit bedürfen. Das ist das, was ich auch bei Frau Dantschke, Herrn Demirel, Herrn Müller oder Herrn Mücke verstanden habe. Das ist völlig richtig und betrifft die Behandlung der Themen Islamismus, Salafismus und Dschihadismus entsprechend der Radikalisierung. Natürlich ist die Frage noch zu klären, auch für mich, wel-che Senatsverwaltung am Ende die Koordinierung und Federführung für dieses landesweite Präventions- und Deradikalisierungsprogramm übernehmen wird. Ich habe mich da offen ge-zeigt. Vorhin wurde die Frage gestellt, ob es Arbeitsgruppen gibt oder nicht. – Es gibt intensive bi-laterale Gespräche. Es gibt auch einen intensiven Schriftverkehr, liebe Frau Bayram. Ich bin da ziemlich offen. Ich gucke mir im Augenblick an, wo welche Fördertöpfe für welche Pro-gramme liegen. Ich bin gerne bereit, dieses zu übernehmen, das muss dann allerdings auch weitere Schlussfolgerungen mit sich führen. Ich bin, wie gesagt, offen, sehe aber, dass wir, wenn wir Erfolg haben wollen, dieses landesweit organisieren müssen. Ich bin aber ganz zu-versichtlich, dass wir da etwas in der Koalition und auch mit den Kolleginnen und Kollegen hinbekommen. Was die Ziele und Zielgruppen meines Präventions- und Deradikalisierungsnetzwerks betrifft, darüber haben wir beim letzten Mal ausführlich gesprochen. Ich spare mir das mit Blick auf die Zeit. Es wurden noch ganz konkrete Fragen gestellt, z. B. nach der Gefangenenseelsorge. Im Rah-men meines Projekts machen wir keine Gefangenenseelsorge. Gefangenenseelsorge ist die Aufgabe der Justiz. Das wäre etwas, was man in die Zusammenfassung, in die gemeinsame Koordinierung einbringen könnte. Gefangenenseelsorge umfasst auch nicht den Auftrag von VPN in meinem Netzwerk. Ich habe den Abgeordneten, wie zugesagt, sowohl den Antrag auf Gewährung der Zuwendung als auch die Kurzübersicht über das Leistungsspektrum zur Ver-fügung gestellt, wodurch Sie sich ein Bild machen können, was Gegenstand dessen ist, was wir miteinander verabredet haben. Frau Bayram! Die Frage zur Referentenstelle für interkulturelle Arbeit: Wie Sie der aktuellen Internetseite meines Hauses entnehmen können, ist die Stelle fast unmittelbar danach mit Herrn Dr. Möhrle nachbesetzt worden, der sehr aktiv ist, der unter anderem auch die ganze Vorarbeit zur Schaffung dieses Präventions- und Deradikalisierungsnetzwerks macht. Es ist bei mir im Leitungsstab angesiedelt, weil mir der Umgang mit dieser Frage besonders wichtig ist. – [Canan Bayram (GRÜNE): Die Struktur haben Sie also beibehalten!] – Die Struktur habe ich beibehalten.

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Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Senator! – Gab es noch Fragen an den Se-nat, die unbeantwortet geblieben sind? – Dann schlage ich vor, wir geben an die Expertinnen und Experten weiter. Ich möchte, da VPN als Erstes antwortet, die Frage stellen: Der Innensenator hat das letzte Mal berichtet, es gebe wöchentliche Fallkonferenzen bei ihm im Haus. Vorschlagsberechtigt sind die Sicherheitsbehörden und Sie. Ich habe in Ihren Projektunterlagen, die wir dankens-werterweise zur Verfügung gestellt bekommen haben, nicht gefunden, dass Sie damit schon Erfahrungen gemacht haben oder dass das zu Ihrem Angebotsportfolio gehört. Nun ist es si-cherlich zu früh, nach einer Fallkonferenz hier schon umfangreich zu evaluieren, aber könnten Sie mir sagen, welche Sicht Sie auf diese Fallkonferenzen haben? Hatten Sie damit schon Erfahrungen? Was erwarten Sie bzw. wo sehen Sie Ihre Rolle, dass Sie, wenn Sie ein Kon-takttelefon nach außen schalten, dann bei dem Terminus sicherheitsrelevanter Aspekte sofort die Informationen weitergeben müssen? Wie schätzen Sie das konkret ein? – Vielen Dank, dass ich die Fragen noch stellen durfte! – Herr Mücke, Sie haben das Wort! Thomas Mücke (VPN): Ich gehe auf die letzte Frage zuerst ein. Wir haben natürlich als Trä-ger durch das Arbeiten in anderen Bundesländern Erfahrungen mit Fallkonferenzen, wenn wir im Risikobereich arbeiten. Wir haben auch mit jungen Menschen zu tun, wo jeden Moment etwas passieren kann, was ihr Leben oder das Leben anderer gefährdet, und da kann man als NGO natürlich nicht fahrlässig sein, sondern muss etwas tun, damit im Notfall auch die Si-cherheitsorgane aktiv werden können, wenn eine konkrete Gefährdungssituation da ist. Wir haben bis jetzt in der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen sehr gute Erfahrungen ge-macht, vorausgesetzt, dass man sich in der jeweiligen Berufsrolle akzeptiert. Da ist es natür-lich so, dass ein Träger wie wir, der ein pädagogisches Profil hat, nicht Träger einer aktiven Informationsbeschaffung sein darf. Ich fand es in der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsor-ganen bisher sehr angenehm, dass man gar nicht versucht hat, uns in eine solche Rolle reinzu-bringen. Damit kann man eine sehr konstruktive Zusammenarbeit machen. Und wenn Sie z. B. mit der Polizei zusammenarbeiten – die sind manchmal sehr froh darüber, dass sie Fälle in den pädagogischen Bereich hineingeben können, weil sie merken: Das sind 15-Jährige, 16-Jährige, hier kommen wir mit Repressionen nicht weiter. Die haben Probleme. Da muss etwas geschehen, wir wissen nicht, wen wir ansprechen können. – Wir bekommen auch Fälle aus den Sicherheitsorganen, damit wir mit ihnen pädagogisch arbeiten können. Bis jetzt ist das genau der Bereich, wo wir in der Zusammenarbeit mit den Behörden keine Kon-fliktsituation erleben, das ist eine andere Situation. Ich bin schon seit 30 Jahren in dem Be-reich tätig. Das hätte man vor 20 Jahren nicht so gehabt, wie es heute ist. Da hat sich einiges entwickelt und zum Positiven bewegt. Sie haben sich Mühe gegeben, viele Fragen zu stellen. Ich habe sie nicht gezählt, und wir werden sicherlich nicht auf alle Fragen eingehen. Deswegen ganz kurz thematisch: Auf der politischen Ebene kann ich Ihnen nur empfehlen: Ich beobachte in den einzelnen Bundeslän-dern, wie man jetzt versucht, die Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit politisch in Lan-desprogramme zu implementieren, und jedes Bundesland versucht, sein Spezifisches heraus-zukristallisieren. Das sieht nicht immer gut aus, was da passiert. Deswegen sage ich mal, was nicht sinnvoll ist: wenn Sie den Bereich der Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit res-sortmäßig ausdifferenzieren. Wichtig ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die ressortübergreifende Fachkoordination, denn dann haben Sie genau nicht mehr das Problem

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zu gucken: Wer hat welchen Ansprechpartner? Dann wächst auch innerhalb der Ressorts das Bewusstsein, dass es eine gesellschaftliche Herausforderung ist. Wir haben in Hessen ganz gute Erfahrungen damit gemacht. Es erleichtert auch einer NGO die Arbeit, dieses: Wie kann man zusammenarbeiten, wie kann man die richtigen Netzwerke finden? Auch der Fachbeirat ist ganz wichtig zu solchen Fachkoordinierungsstellen, wo noch einmal externe Träger und auch muslimische Verbände beratend einbezogen werden, wie die Politikberatung läuft. Das wäre etwas, was ich sehr empfehlen könnte. Und, nebenbei gesagt: Bitte nicht nur im Bereich des extremistischen Salafismus, sondern phänomenübergreifend, denn ansonsten werden Sie aus dem Augenmerk verlieren, dass es zwischen dem Rechtsextremismusbereich und dem Bereich des extremistischen Salafismus auch auf sich beziehende Konfliktdynamiken geben wird. Sie werden die Reaktionen aus dem Rechtsextremismusbereich in den nächsten Monaten durchaus zu spüren bekommen. Wir merken ja, was das auslöst, was in diesem extremistischen salafistischen Bereich passiert, was es bei Jugendlichen auslöst, die rechtsaffine Einstellungen haben, wenn Sie in einer Trai-ningsgruppe mit Jugendlichen arbeiten und acht Jugendliche sagen, wenn sie draußen sind aus dem Vollzug, ist das Erste, was sie machen werden, eine Moschee anzuzünden. Sie können sich ungefähr vorstellen, wie dann der Tipping-Point in der Gesellschaft entsteht und wie schwierig und eng es dann werden könnte, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt angeht. Also: extremismusübergreifend und ressortübergreifend! Bei ressortübergreifenden Ansätzen wäre es ganz gut, wenn die einzelnen Ressorts in einem solchen Fachkoordinierungsbereich auch entsprechendes Personal zur Verfügung stellten. Es ist interessant, wenn manche Bundesländer sagen, sie hätten eine ressortübergreifende Fach-koordinierung, aber das Personal kommt ausschließlich aus dem Innenministerium. Das ist nicht hilfreich. Das nur aus dem Blick dessen, was ich da gesehen habe. Sie fragten nach der Zusammenarbeit. – Wir arbeiten, weil wir an vielen verschiedenen Kon-texten arbeiten, gerade auch mit den Berliner Kolleginnen und Kollegen der Gefangenenseel-sorge sehr eng zusammen. Wir haben sie teilweise auch mit fortgebildet in der Vorbereitung auf die Tätigkeit in der Gefangenenseelsorge. Für uns sind auch diejenigen, die jetzt schon religiöse Begleitung machen, sehr wichtig, weil sie uns manchmal Hinweissignale geben: Hier gibt es ein Problem, da müssen wir tätig werden. – Das ist ein Punkt, den wir als Vio-lence Prevention Network schon seit 2007 gesetzt haben, dass wir sehr aktiv und sehr vernet-zend in der muslimischen Community tätig sind. Das heißt nicht unbedingt, dass wir ständig alles zusammen mit den muslimischen Verbänden diskutieren, sondern uns ist die Community wichtig, und vor allen Dingen stellen wir dann fest, dass es in Berlin und anderswo auch eine Menge Menschen gibt, die sich ehrenamtlich engagiert haben, und die versuchen wir in unse-re Netzwerke einzubeziehen. Sie werden sehr oft gar nicht in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen. Sie haben aber auch schon unheimlich viel Deradikalisierungsarbeit gemacht und das verhindert. Das sind unsere natürlichen Bündnispartner, mit denen wir zusammenar-beiten. Die Frage zur Strafverfolgung: Wir haben viel mit Menschen zu tun, gegen die wegen § 89a StGB und auch wegen anderer Sachen ermittelt wird. Grundsätzlich sage ich dazu: Wenn ich in einer beratenden Tätigkeit bin, und es läuft ein Ermittlungsverfahren, sind wir nicht Teil des Ermittlungsverfahrens. Der junge Mensch hat, egal, welche Straftat er began-gen hat – das sagen wir ihm auch so –, die Verantwortung zu übernehmen. Er hat dafür einen

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Rechtsanwalt. Wir empfehlen dann aber auch, den Organen gegenüber vollständig auszusa-gen, um einen Neuanfang starten zu können. Wir dürfen gar nicht Teil des Verfahrens sein, denn das würde unsere beratende pädagogische Tätigkeit sehr stark stören. Aber wenn die Sicherheitsbehörden merken, dass wir sofort reagieren – ich gebe mal ein Beispiel aus Berlin: Wir haben die Rückkehr mitorganisiert und den Jugendlichen danach sofort in ein sehr eng-maschiges Betreuungssystem gebracht. Er wurde also nicht in Untersuchungshaft genommen, weil unsere Tätigkeit aufzeigte, dass er betreut wird. Das ist sehr engmaschig. Ich glaube, dass man bei den Syrien-Rückkehrern sehr genau differenzieren muss: Von wem geht Gefahr aus? Wer ist desillusioniert? Wer ist traumatisiert? Da kann es helfen, in einer solchen Orga-nisation zu sein. Vorsitzender Benedikt Lux: Entschuldigung! Darf ich eine konkrete Nachfrage stellen? Ma-chen Sie in solchen Fällen ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend, als Berufsgeheimnis? Thomas Mücke (VPN): Sie haben recht. Das ist natürlich etwas, wo man aufpassen muss, und da haben wir eventuell ein Problem mit den Staatsanwaltschaften. Wir haben das letztens mit der Bundesstaatsanwaltschaft diskutiert. Ich habe es in einem anderen Kontext diskutiert. Das Problem ist, wir haben kein Zeugnisverweigerungsrecht. Sie kennen das Problem mit dem Zeugnisverweigerungsrecht für die Berufsgruppe Sozialarbeit. Für den engen Bereich würde ich es auch empfehlen. Wir sind jetzt in der Situation: Wenn mir ein junger Mensch erzählen will, was da passiert ist und was da gemacht wurde, muss ich ihn stoppen, wenn er es noch nicht den Ermittlungsbehörden gesagt hat, denn ansonsten weiß ich etwas und komme eventuell in die Zeugnispflicht hinein. Ich muss sehr darauf aufpassen, nicht in die Rolle des Zeugnispflichtigen hineinzukommen. Das kann ich nur dadurch tun, dass ich erst einmal kei-ne Informationen haben will. Ich brauche diese Informationen meistens auch nicht für meine pädagogische Arbeit. Aber wenn der Jugendliche traumatisiert ist, unsere Kollegen sind Traumata-fortgebildet und -ausgebildet, dann passiert Folgendes: Das Problem ist, dass er es irgendwann einmal verdrängt, aber er will erzählen, was da geschehen ist. Dann kann ich nur einige Sachen erzählen, was dann herauskommen könnte, und das ist noch ein laufendes Ver-fahren. Dann kann ich diese Information nicht aufarbeiten. Ich müsste, wenn er die Tür dafür öffnet, da mit ihm pädagogisch arbeiten. Das geht aber nicht, weil ich kein Zeugnisverweige-rungsrecht habe. Das ist ein sensibler Punkt in dem Bereich. Wir haben schon an verschiede-nen Stellen gesagt, dass da mal etwas geschehen müsste, ansonsten wird unsere beratende Tätigkeit etwas eng. Letzter Punkt, weil ich den anderen auch noch Gelegenheit geben möchte, zu sagen, was not-wendig ist: Es gibt kein Konzept für Berlin. Es gibt eine ganze Reihe interessanter und guter Angebote von allen NGOs, die hier gemacht werden. Wie ist das entstanden? – Weil die NGOs selber aktiv geworden sind. Die haben selber ihre eigenen unterschiedlichen Netzwer-ke gegründet, um in Berlin ihre Arbeit zu machen. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Jetzt sind Sie von der Politik an der Reihe, aus den Erfahrungen, die bis jetzt gemacht worden sind, ein Konzept zu stricken und dementsprechend auch die Netzwerke zu machen. Wir kön-nen nur unser jahrelanges Wissen – unser Wissen seit 2001 – zur Verfügung stellen und Sie dazu beraten, aber das kann nicht unsere Arbeit sein. Wir können Ihnen nur sagen, wie unsere eigenen Erfahrungen sind. Deswegen gibt es auch keine Aufteilung von einzelnen NGOs, was die Themenbereiche angeht. Ich glaube, das sage ich in Richtung von Frau Dantschke, dass wir in allen Bereichen gemeinsam in irgendeiner Art und Weise tätig sind. Wir haben viel-leicht unterschiedliche Herangehensweisen, was Prävention angeht, oder wir haben unter-

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schiedliche Netzwerke. Ich glaube, dass man sich hier nicht aus dem Themenbereich Präven-tion und Deradikalisierung, sondern aus dem, wie die speziellen Kompetenzen des jeweiligen Trägers aussehen, eine Konzeption stricken muss. Man kann hier in dieser Sitzung nicht ver-suchen, das im Einzelnen aufzulösen, aber Sie können sicher sein, dass jede Organisation auch sein besonderes Alleinstellungsmerkmal hat. Und wir als NGO haben eine Sorge nicht: dass wir in eine Auseinandersetzung kommen, weil wir wissen, dass es genug zu tun gibt in dieser Stadt. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Mücke! – Herr Dr. Müller, bitte!

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Dr. Jochen Müller (ufuq): Ich schließe mich da grundsätzlich an, denn es ist tatsächlich so. Es ist auch etwas Gutes, dass Berlin in der guten Lage ist, eine Reihe von NGOs, die in diesen beiden Feldern unterwegs sind, vor Ort zu haben. Ich würde mich da auch anschließen, dass das jetzt nicht hier geht, und ich habe auch keine konkrete Vorstellung davon, aber daraus ein Konzept zu stricken, was es meines Erachtens bisher noch nicht gibt, ist tatsächlich das Gebot der Stunde. Wie gesagt, mit dem Privileg zum einen kann man schon einmal gucken, was andere gemacht haben. Das wurde gerade schon angedeutet – andere Landesprogramme, wie sind die unterwegs? Woraus kann man vielleicht lernen? Und mit dem Privileg, eine Reihe von Akteuren zu haben, die in diesen beiden Bereichen Prävention und Deradikalisierung unterwegs sind, ist mir noch mal ganz wichtig, das zu trennen, weil das auch in den State-ments immer wieder durcheinandergeht. Ich bitte darum, da sensibel zu bleiben und das aus-einanderzuhalten, sonst wird die Diskussion schwierig – nicht nur die Diskussion, aber gerade auch die Diskussion, wenn es um die Entwicklung von Konzepten geht. Um da noch einmal anzuknüpfen: Es gibt diese verschiedenen Akteure in diesen beiden Be-reichen Deradikalisierung und Prävention. Ich glaube, es ist ganz wichtig, sie mit ihren unter-schiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen, es sind teilweise unterschiedliche Ansätze, mit ins Boot zu holen. Das kann nur ergänzend und gegenseitig befruchtend sein. Ich sehe im Grunde die Konkurrenzen da nicht. Im Grunde wäre es angebracht, sie alle zusammenzuho-len. Ressortübergreifend? – Auf jeden Fall. Wie das genau zu gestalten ist als Querschnittsaufga-be, weiß ich jetzt auch nicht. Das ist Ihr Job. Aber auf jeden Fall ressortübergreifend. Die Ressorts, die infrage kommen, sind schon genannt worden. Was wir auf jeden Fall brauchen, jetzt komme ich noch einmal ins Praktische bzw. ins kurz-fristig Praktische, ich würde auch sagen, das ist ein kurzfristiger Bedarf, ist eine Stelle, an die sich Leute wenden können – ich sage das mal ganz platt –, und das muss relativ schnell pas-sieren. Wir haben z. B. die Frage nach dem Bedarf an Schulen. Der Bedarf ist riesengroß, auch wenn er nicht immer formuliert wird. Ich habe eingangs schon gesagt, da geht es oft um Salafismus, aber seit wir diese Debatte haben, gerade in Berlin – – Wir haben übrigens bun-desweit über lange Zeit, für unseren Träger kann ich das sagen, sehr viel mehr Anfragen ge-habt als aus Berlin. Das hat sich erst im letzten halben bis ein Jahr geändert, dass wir massiv Anfragen auch aus Berlin bekommen, die wir vorher bundesweit hatten, aber in Berlin nicht. Das heißt, da hat eine Sensibilisierung stattgefunden. Es gibt aber immer noch eine große Ratlosigkeit: Was mache ich denn, wenn der Schüler mir im Unterricht sagt, die Scharia sei ihm wichtiger als das Grundgesetz? Dann stehe ich als Lehrer, als Lehrerin, als Schule, als Schulleitung da. Was mache ich denn damit? – Das ist im Übrigen, wenn wir Fortbildungen mit Multiplikatoren machen, eine kleine rhetorische Lern-standskontrollfrage: Der Schüler erklärt, die Scharia sei im wichtiger als das Grundgesetz. Was tun Sie? – Antwort A: Ich rufe den Verfassungsschutz. Antwort B: Ich nutze die Gele-genheit und stelle die Frage in den Raum, nämlich in die Klasse: Was ist uns wichtig im Le-ben? – In der pädagogischen Arbeit ist Antwort B erst einmal die richtige, was aber nicht heißt, dass sich in einer solchen Diskussion nicht auch herauskristallisiert: Okay, da habe ich einzelne Leute, die sind schon ideologisiert, die sind schon radikalisiert. Dann spätestens brauche ich eine Anlaufstelle, an die ich mich wenden kann, die mir dann auch tatsächlich weiterhelfen kann, und wenn sie nur an die entsprechenden Stellen weitervermittelt, die ent-

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sprechenden NGOs z. B., die dann möglicherweise intervenieren und mit ihrer Arbeit wirk-sam werden können. Diese Stelle braucht es, und die muss dann auch beworben werden, da-mit sie bekannt ist: Hier gibt es eine Stelle, an die kann ich mich mit allen möglichen Fragen wenden, da bekomme ich entweder eine Antwort, oder ich werde an kompetente Leute, die es ja gibt, weitergeleitet. – Da ist an der entsprechenden Stelle noch ein Netzwerk zu gründen. Ich komme noch einmal zu der Frage nach den Schulen. – Schulen sind Teil des Problems und auch Teil der Lösung. Wir arbeiten an vielen Schulen. Es gibt so viele tolle Schulen. Es gibt so viele tolle Lehrerinnen und Lehrer, aber es gibt auch massiv Probleme mit Schulen und mit Lehrerinnen und Lehrern. Die Rolle von Schulleitungen, wenn es um Maßnahmen geht: Wie bekomme ich die Schulen ins Boot? –, sind extrem wichtig in der Arbeit mit Schu-len. Was von Schulleitungen ausgeht, spielt für das Klima an Schulen eine ganz große Rolle. Ich glaube – und jetzt wird es noch einmal inhaltlich –, dass es in der Vermittlung, da spreche ich ganz klar über Prävention, noch einmal wichtig ist – das ist auch ein Signal, im Übrigen nicht nur an die Jugendlichen, sondern auch an die Gesellschaft insgesamt, an Politik und Medien –, zu vermitteln und deutlich zu machen: Islam und Demokratie sind vereinbar. Du, Jugendlicher, kannst deutsch sein und arabisch, und du kannst demokratisch und muslimisch sein. – Das sind extrem wichtige Botschaften für die Jugendlichen, denn sie haben immer das Gefühl: Ich will dazugehören, aber irgendwie muss ich anscheinend erst einmal Leistungen erbringen, um dazuzugehören. Das wird ihnen teilweise auch in Schulen von Lehrerinnen und Lehrern gespiegelt, weil sie es oft nicht besser wissen. Sie können es vielleicht auch nicht besser wissen. Das heißt, hier gibt es einen großen Bedarf an Signalen, sowohl an die Multi-plikatoren als auch an die Jugendlichen selbst: Ihr müsst euch nicht zerreißen, ihr könnt das miteinander verbinden. – Das ist eine immens wichtige Botschaft – es war Rechtsextremis-mus und Pegida etc. angesprochen –, um solchen Bewegungen vorzubeugen und dem etwas entgegenzuhalten und zu sagen: Hey, Leute, das ist vereinbar. –, müssen wir entsprechende Angebote machen. Das sind dann Gespräche, die z. B. in Schulen laufen sollten. Unsere Arbeit in den Workshops, die ich kurz beschrieben habe, ist kein Religionsunterricht, auch wenn ich denken würde, dass Religionsunterricht in vielerlei Hinsicht sehr wertvoll wä-re. Da bestehen die Strukturen noch nicht in ausreichendem Maße. Es ist letztendlich Demo-kratieerziehung mit einer spezifischen Zielgruppe und spezifischen Fragestellungen. Ein ganz wesentlicher Punkt, wenn ich diese Vereinbarkeit betone, ist eine Werteorientierung. Die Ju-gendlichen grenzen sich, wenn sie miteinander reden, voneinander ab. Das machen Jugendli-che sowieso. Und wenn sie dann über den Islam hören: du musst beten und Kopftuch tragen und fasten. –, das sind alles Äußerlichkeiten, mit denen man sich voneinander abgrenzt. Wenn wir aber mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen, geht es ganz schnell darum, dass sie genau voneinander wissen: Ich bin nicht deshalb ein guter Muslim, weil ich fünfmal bete, oder nicht jeder Muslim, der fünfmal betet, ist ein guter Muslim. Worum geht es denn eigent-lich? In diesen Gesprächen – und da wird es ganz praktisch – geht es darum: Was ist eigent-lich ein guter Muslim? – und dann sprechen wir am Ende darüber: Was ist eigentlich ein guter Mensch? Da geht es nicht mehr um Unterschiede, sondern es geht um eine gemeinsame Wer-teorientierung in der pädagogischen Arbeit. Da geht es auch um Religion, aber nicht nur um Religion. Das ist letztendlich eine Demokratieerziehung, und die findet anhand der Fragen und Themen dieser Jugendlichen statt.

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Deswegen sagte ich eingangs: Wir brauchen die Räume für die Jugendlichen, für diese Ge-spräche. Wir brauchen sie dringend in den Schulen. Es wurde gesagt, die Schulen sind die wichtigste – es heißt immer – Integrationsagentur. Wenn ich Integration sage, will ich das ganz explizit in diesem Kontext verstanden wissen als einen Prozess, an dem alle Akteure beteiligt sind, also sprich: Schule, Schulleitung, Lehrkräfte und Jugendliche. Wenn ich die Schulen zu diesen Integrationsakteuren machen will, dann muss ich sie da entsprechend för-dern, und zwar massiv. Da gibt es einen Riesenbedarf und eine große Fülle von Überforde-rung: Wie soll ich das noch alles hinkriegen in meinem Schulalltag? – Da wird es jetzt ein großes Thema, das diesen Rahmen und diesen Raum hier übersteigt, aber wenn wir ressort-übergreifend denken, dann wäre das beim Thema Bildung: Was ist an Schulen los? Was ist in der Referendariatsausbildung los? Da fehlt es massiv an Themen, die die Lehrer auf solche Situationen vorbereiten, auf die sie in der Regel überhaupt nicht vorbereitet sind, wo sie sich dann überfordert fühlen und quasi den Ball zurückspielen und den Jugendlichen die Schuld geben: Ach, das ist so bei euch. – Dann haben wir eine ganz blöde Dynamik, durch die sie quasi gegeneinander arbeiten, Schüler gegen Lehrer und umgekehrt, und am Ende heißt es dann: Oh Gott! Die sind Salafisten. – Das ist jetzt ein bisschen plakativ, ich will das auch nicht relativieren, aber das ist eine ganz ungünstige Dynamik. Das heißt, in dieser Auseinandersetzung geht es ganz entscheidend darum, die Jugendlichen – wir nennen das – denk- und sprechfähig zu machen; die sind natürlich denk- und sprechfähig, aber in den Dingen, die ihre Sachen sind, und das heißt z. B. auch in Sachen Religion. In die-ser Workshop-Arbeit, die eine Präventionsarbeit ist, kommen wir immer wieder auch in Gruppen, wo einzelne Jugendliche agitieren. Die sind schon ideologisiert. Die sind vielleicht noch nicht radikal, aber sie sind ideologisiert, und sie agitieren. Das sind nicht immer die Blödesten. Das sind z. B. Schulsprecher oder Klassensprecher. Die haben ein gutes Standing in der Schule. Das heißt, da zu arbeiten, ist nicht einfach. Die Jugendlichen in der Klasse schweigen. Die sind nicht mit dem einverstanden, was der eine sagt, aber weil der scheinbar ein bisschen mehr religiöses Wissen hat, schweigen die anderen, weil sie nicht als schlechte Muslime dastehen wollen. Das ist ihnen nämlich wichtig, dass sie nicht als schlechte Muslime dastehen, also schweigen sie. In dem Moment, das sage ich jetzt aus unserer Arbeit, wo wir mit den Teamern, die oft – – Ein Statement war: So einen Muslim wie den haben wir ja noch nie gesehen. – Wie gesagt, das sind nicht nur Muslime, die dort arbeiten. Das sind Religiöse und auch Nichtreligiöse. Wir versuchen, die Teams möglichst heterogen zu halten, aber sie schaffen es tatsächlich, die Jugendlichen denk- und sprechfähig zu machen. Und in dem Moment, wo wir sie denk- und sprechfähig machen, sind sie sensibilisiert und oft auch schon immunisiert gegenüber diesen einfachen Welt- und Feindbildern, die ihnen von Salafisten angeboten werden. Die sind dann nicht mehr so attraktiv, und die Jugendlichen haben den Mut, sich dagegenzustellen. Welche Rolle spielen Moscheen? – Ich glaube, sie könnten noch eine viel größere Rolle spie-len. Wir sind erst relativ frisch zu der Erkenntnis gekommen, dass sie nicht eine so große Rol-le spielen bei Rekrutierungsprozessen. Es ist nicht so, dass sie gar keine Rolle spielen, aber sie spielen nicht so eine große Rolle. Sie könnten eine viel größere Rolle spielen bei der Prä-vention, nicht unbedingt bei der Deradikalisierung, vielleicht das auch, da müsste man über-legen, aber bei der Prävention auf jeden Fall, und zwar, indem sie den Jugendlichen ein Is-lamverständnis vermitteln, das demokratisch, menschenrechtlich orientiert, religiös etc. ist,

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und das passiert noch zu wenig. Nicht, weil sie gegen Demokratie und Menschenrechte wä-ren, sondern weil das möglicherweise zu wenig die Agenda ist. Was noch dazu kommt, und deswegen müssen wir meines Erachtens massiv gefördert wer-den: Es wurde in den letzten Jahren total viel gearbeitet, und zwar ehrenamtlich, von den Leu-ten selbst. Das ist oft noch eine ältere Generation, sie haben auch etwas zu verlieren, das heißt, sie gehen nicht einfach weg. Für sie war das auch ein Stück weit Heimatverbundenheit. Da findet sich die Community in der Moschee zusammen. Das heißt, die ältere Generationen, die in den Moscheen unterwegs sind und die auch das Bild der Moscheen prägen und das, was da passiert, haben etwas zu verlieren, wenn sie da rausgehen. Aber natürlich ist es eine Frage der Zeit, bis jüngere Leute kommen, die in Deutschland geboren sind, selbstverständlich deut-sche Muslime sind und an den Moscheen anfangen werden, zu arbeiten, mit dem entspre-chenden religiösen, pädagogischen Know-how, das sie mittlerweile zunehmend – es gibt Uni-versitäten – lernen. Aber das sind Prozesse, die dauern. Wir haben in der Pädagogik immer den schönen Spruch: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. – Man muss fördern, man kann unterstützen, aber es bleiben trotzdem Prozesse, die noch eine Weile dau-ern werden. Ich bin aber im Grunde ganz optimistisch. Bedarf und Mittel – das war Ihre Frage: In welchem Verhältnis steht der Bedarf zu den Mit-teln? – Das ist relativ schwer zu sagen. Es wurde schon erwähnt, dass die meisten NGOs in Berlin in den letzten Jahren aus Bundesmitteln finanziert wurden und werden. Wie gesagt, der Bedarf ist groß. Die Frage ist: Wie kann man ihn so gestalten, dass er auch bedient werden kann, sprich: Schule? – Die Schulen sind sowieso schon sehr stark gefordert. Wenn ich da jetzt mit der x-ten Fortbildung komme – – Es war die Frage, ob man das in irgendeiner Form verpflichtend macht. Das muss von anderer Seite entschieden werden. Ich würde dahin tendieren zu sagen: Da könnte es in der einen oder anderen Richtung auch Pflichtprogramme geben. Dann stellt sich die Frage nach den Mitteln, die dann quasi zur Verfügung stehen müssten, um diese Bedarfe zu decken. – Von unserem Träger aus würde ich sagen: Ja, aber das sind keine Unsummen. Das sind wahrlich keine Un-summen für die Art von Arbeit, die wir machen, mit teils Ehrenamtlichen bzw. jungen Stu-denten. Die sollen als Peers arbeiten. Das kostet nicht die Welt, und wir können mit der Ar-beit, die wir machen, relativ viele Jugendliche erreichen. Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Dr. Müller! – Herr Demirel, bitte! Aycan Demirel (KIgA): Zu der ersten Anfrage zu den Bedarfen von Schulen und Jugendein-richtungen, also im Bereich Multiplikatoren: Tatsächlich sehr stark. Die Förderung war vor allem über Modellprojekte von Bundesmitteln, und dort haben wir im Bereich Multiplikato-renfortbildung 2010 bis 2014 sehr wertvolle Erfahrungen sammeln können. Das Spektrum, wer sich dafür interessiert hat, reicht von Polizeibeamten über Mitarbeiter von Hausverwal-tungen bis zu vor allem Jugendsozialarbeitern aus dem Bereich Jugendhilfe und – zwar weni-gen, aber auch – immer wieder Lehrkräften. Das Erreichen der Lehrkräfte ist ein Problem, obwohl sie immer wieder Bedarf anmelden. Das Erreichen der Lehrkräfte für Fortbildungen ist ein weiterhin sehr starkes Problem. Das kennen wir auch aus dem Antisemitismusbereich, wo eigentlich immer wieder Bedarfe angemeldet werden, aber für Fortbildungen kommen wir nicht so richtig zusammen.

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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Probleme gibt es nicht nur bei der Schülerschaft, sondern auch bei der Lehrerschaft und den Pädagogen. Ich begegne immer wieder Momenten, wo Jugendsozialarbeiter oder Lehrer aus den Fortbildungen rausgehen, weil sie sich mit der gesellschaftlichen Ausgangslage, nämlich dem antimuslimischen Rassismus, gar nicht befassen wollen. Sie wollen ganz konkrete Hand-lungsanweisungen: Wie kann ich mit gefährdeten Jugendlichen mit antisemitischer oder is-lamistischer Orientierung arbeiten? Aber wenn es um Selbstreflektion geht: Wie ist mein Be-zug zum Islam, zur Immigrationsgesellschaft usw.? –, begegnen wir immer wieder Kollegen, die es nötig haben, sich damit zu befassen. Ich erinnere mich an eine Fortbildung in Neukölln, an eine Kollegin, die seit über zehn Jahren Sozialkunde und Politik unterrichtete, die mir als verlässliche Quelle z. B. PI-News genannt hat. Ein weiteres Problem in Schulen sind die laizistischen Abwehrmechanismen. Das ist erst einmal unabhängig davon, ob jemand muslimisch sozialisiert oder herkunftsdeutsch ist. Dort wird, wenn man mit dem Thema Religion zu tun hat, erst einmal abgewehrt. Das ist eines der wiederkehrenden Abwehrmechanismen. Mittelfristige und langfristige Ansätze, mittelfristig oder kurzfristig vor allem das vorhandene Know-how in die Implementierung zu bringen: Berlin hatte immer das Glück, dass fast die Hälfte aller Modellprojekte, sowohl im Antisemitismusbereich als auch im Islamismusbe-reich, mit Bundesmitteln gefördert wurde. Dort ist auch ein enormes Know-how entstanden. Es ist die Aufgabe, das kurzfristig in die Schulen zu bringen. Wir haben Konzepte entwickelt, nicht nur für zwei, drei Stunden in die Schulen zu gehen, sondern langfristig, ein Schulhalb-jahr oder ein ganzes Schuljahr, zu diesen wichtigen Themenkontexten zu arbeiten. Dafür brauchen wir Mittel. Modellprojekte sind ausgelaufen. Die Anfragen sind da. Wir können sie nicht erfüllen, weil wir keine Mittel haben. Langfristig – natürlich hat alles mit der Konzeptionierung eines Landesprogramms und des-sen Schwerpunkten zu tun. Wir sind einer der glücklichen Träger, der wieder drei große För-derungen vom Bundesfamilienministerium bekommen hat und zudem auch ein Modellprojekt im Bereich Radikalisierungsprävention, in dem wir ein umfassendes Fort- und Weiterbil-dungsprogramm für Multiplikatoren entwickeln wollen. Das sind erfolgreiche Ansätze, die wir in den letzten vier, fünf Jahren durch andere Modellprojekte gesammelt haben. Dort wol-len wir vor allem auch den viel erwähnten Bereich Peer Education, Ausbildungskonzepte für Peer Education entwickeln. Das ist eine langfristige Idee, weil wir dort vor allem junge Leute, junge Erwachsene aus Moscheegemeinden, aus der muslimischen Community und aus säku-laren Kreisen, vor allem muslimische Peers fit machen wollen, die als Gesprächspartner für Politik, für Medien, auch für gesellschaftliche Diskurse wichtig sind, sich aber auch vor allem in der Präventionsarbeit in ihrem sozialen Kontext einbringen können. Dort ist die Zusam-menarbeit mit muslimischen Akteuren sehr wichtig. Wir haben das in den letzten Jahren auch sehr stark gesellschaftspolitisch forciert, denn ständig nur auf Defizite zu zeigen: Da gibt es eine Gruppe, die es nötig hat, aufgeklärt zu werden – von oben herab, eine aufgeklärte Gesell-schaft und eine, die sich zivilisieren muss, eine muslimische Minderheit –, dieser Blick ist falsch. Wir haben sehr große positive Impulse in unserer Bildungsarbeit bekommen, indem wir mehr mit Muslimen, mit muslimischen Organisationen zusammenarbeiten, auch mit mus-limischen Individuen arbeiten, mit Theologen, aber auch mit Menschen, die eine gewisse Gemeindesozialisation haben und sich in der Community und in der Religion gut auskennen, sodass sie für Menschen, für junge Leute als Vorbilder agieren und einen anderen Blick auf

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Abgeordnetenhaus von Berlin 17. Wahlperiode

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Religion und Gesellschaft vermitteln können. Insofern haben wir kurzfristig Projektschultage, Seminarreihen usw. und im Rahmen der Modellprojekte langfristige Ideen zu entwickeln. Eine Frage war zu den Diskursfeldern. – Gemeint sind eigentlich Diskursfelder, in denen auch die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft immer wieder ausgehandelt wird. Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Was bedeutet Muslim-Sein in dieser Gesellschaft? Wie ist das Islambild in den Medien? Wie ist die Geschlechterorientierung, die Geschlechtergerechtig-keit? Wie sind Moscheebaukonflikte in dieser Gesellschaft erklärbar? Exemplarisch Themen-kontexte auszuwählen, in denen wir tiefe Auseinandersetzungen ermöglichen, mit Schülern drei, vier Wochen lang hingehen, aus verschiedenen Aspekten, partizipativ, handlungsorien-tiert arbeiten. Gemeint sind diese relevanten Themen, die sie auch interessieren. Das sind die Fragen, auf die Pierre Vogel eine Antwort gibt, wenn wir nicht die Möglichkeit bekommen, dort diese Auseinandersetzung anzubieten. Es gab eine Frage zu geschlechterspezifischen Ansätzen. – Ja, eines dieser Themenfelder oder Fokusmodule, die wir bearbeiten, heißt Geschlechterorientierung und Geschlechtergerechtig-keit. Dort haben die Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit ihren eigenen Geschlechterbildern auseinanderzusetzen und diese mit anderen Perspektiven zu ergänzen – die Muslimisch-Sein anders begreifen, sowohl religiös-theologisch anders begreifen als auch auf die Fragen der Geschlechterorientierung andere Antworten geben können, sich durchaus als schwul und muslimisch beschreiben können z. B. oder in den Fragen des Kopftuch-Tragens den Schülern unterschiedliche Perspektiven anbieten können –, aber auch Projekte zu besuchen wie „Hero-es“ oder „Madonna“, die geschlechterreflektierte Schwerpunkte haben, sodass die jungen Leute auch diese Handlungsoptionen kennenlernen können. Es gab eine Frage: Was tun, wenn Fälle auftreten? – Ein Anruf aus der Schule oder einer Ju-gendeinrichtung, das passiert tatsächlich oft. Erst einmal: Ruhe bewahren, nicht in Alarmis-mus verfallen. Erst einmal ein Beratungsgespräch anbieten, hingehen, den Fall schildern las-sen und eventuell zur richtigen Einordung des Falls beitragen. Oft haben Lehrkräfte oder Pä-dagogen schwierige Einordnungen und schlagen sofort Alarm. Dort dann überlegen: Was kann ich in dieser Schule eigentlich machen? Welchen Rahmen hat die Schule? Was kann ich direkt mit den Schülern machen? Welche Angebote habe ich als Projektträger? Was haben andere Kollegen? – Wir können nur einen bestimmten Teil bearbeiten. Es gibt andere Kompe-tenzen. Was können wir für Gremien in der Schule, für Fachkonferenzen anbieten, Fortbil-dungen, Sensibilisierungsworkshops oder konkrete Methodenschulungen zu diesen und jenen Fragen, die wir schwerpunktmäßig bearbeitet haben? Zuletzt genauso wichtig: Wir brauchen Geld. Wie erwähnt, haben wir schulische Konzepte entwickelt. Es gibt nicht viele schulische Konzepte in diesem Arbeitsfeld. Die Erfahrungen, die wir und andere Kollegen, also ufuq oder VPN, gemacht haben, waren die ersten Erfahrun-gen überhaupt. Das Thema ist eigentlich noch ziemlich am Anfang. Es geht darum, diese An-gebote, diese Erfahrungen in der Breite anzuwenden, und dafür brauchen wir Geld. Wir kön-nen sonst gar nicht implementieren. Das gilt genauso für den Erwachsenenbildungsbereich: Fortbildungen anzubieten, dafür haben wir auch kein Geld. Vor allem für diese langfristige Perspektive neue Ansätze zu entwickeln, neue Fragen zu stellen im Hinblick auf die Pädago-gik, neue Zielgruppen anzusprechen – dafür haben wir Modellprojekte, aber dafür fehlt die Vorfinanzierung. Da können uns Landesmittel sehr gut tun. – Danke!

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Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Herr Demirel! – Frau Dantschke, bitte! Claudia Dantschke (HAYAT): Es geht hier ziemlich durcheinander. Erst einmal die beson-dere Berliner Situation: Ich nenne nur einmal die Zahlen, die von den Landesämtern für Ver-fassungsschutz veröffentlicht werden. Nordrhein-Westfalen gibt seine Zahl zurzeit mit 1 900 an, davon ungefähr 330 militant. Berlin hat 620, 630, davon 330 militant. Heißt das jetzt, dass Berlin ein extremes Militanzproblem hat, oder zählen die Verfassungsschutzämter unter-schiedlich? Das ist eine Frage, die ich in den Raum stelle. Heißt das, wenn sich in Berlin einer radikalisiert, in Berlin wird jeder Zweite militant, in Nordrhein-Westfalen nicht? Ich gehe von den Zahlen aus, denn außer den Verfassungsschutzämtern hat niemand in diesem Land Zah-len zu diesem Segment. Das Nächste ist: Wer radikalisiert sich? – Es radikalisieren sich nicht Muslime und ein paar durchgeknallte Deutsche. Es radikalisieren sich Jugendliche aus allen Herkunftssegmenten. Wir haben es nicht mit einem migrantischen oder muslimischen Thema zu tun, sondern mit einem Thema dieser Gesellschaft. Das heißt, wir haben Jugendliche aus allen Herkunftsmig-rationsfamilien. Wir haben Jugendliche mit polnischem Hintergrund, mit russischem Hinter-grund, mit Balkanhintergrund. Wir haben Jugendliche mit sogenanntem biodeutschem Hin-tergrund. Wir haben junge Mädchen aus Ostdeutschland, die nach Syrien in den Dschihad gehen usw. Wir haben ein Querschnittsproblem, und das heißt, wir haben es prinzipiell mit Konvertiten zu tun. Punkt. Es radikalisieren sich eben keine im Glauben praktizierende, ge-festigte, religiöse Menschen, sondern es sind Jugendliche, junge Leute, die letztendlich Reli-gion, ob es Christentum oder Islam ist, als Familienkultur, als Familientradition maximal er-lebt haben. Radikalisierungsmotor ist fast immer das private, soziale Umfeld. Das können psychische Probleme sein, das können familiäre Probleme sein, das kann in der Persönlich-keitsstruktur liegen. Diskriminierung ist keine Ursache von Radikalisierung, aber ein Wahn-sinnsmotor. Es radikalisiert sich niemand, weil er diskriminiert oder ausgegrenzt ist, aber es ist dann, wenn er auf dem Weg ist, ein extremer Motor, der ihn puscht. Wo radikalisieren sie sich? – Auch da möchte ich noch einmal auf Berlin kommen. Wir haben hier zehn Moscheegemeinden, wo Jugendliche mit salafistischer Religionsinterpretation und zwar politisch-missionarisch – ich lasse die zwei puristischen einmal weg – in Berührung kommen, bis teilweise mindestens drei nach meiner Zählung, eventuell sogar vier Moschee-gemeinden, wo sie mit Dschihad-legitimierender salafistischer Religionsinterpretation in Be-rührung kommen. Das heißt nicht, die komplette Moschee, aber durchaus zumindest in den politisch-missionarischen. Da fehlt die Abgrenzung. Das ist nicht wenig. Die Al-Nur-Moschee ist da noch die harmloseste. Da gibt es viel schlimmere Moscheen. – Nur, weil wir gerade diskutieren, ob die Al-Nur-Moschee verboten werden soll! – Wir müssen generell dar-über diskutieren, wie weit verbreitet salafistische Religionsinterpretation, und zwar auch in politisch-missionarisch-ideologischem Sinn, in Berlin ist. Der nächste Punkt: Die Rolle der Moscheegemeinden ist ganz wichtig, auch der Muslime usw. Wir müssen rein. – Ich habe gerade einen aktuellen Fall. Da ist eine ganze Jugendgrup-pe. Sie radikalisieren sich auch in der Peer-Group. Das ist eine Jugendgruppe, die fährt inzwi-schen nach Hamburg, weil sie dort ihren Spiritus Rector hat, weil ihnen alle Imame in Berlin, und zwar einschließlich Abdul Azim oder Ferid Heider, schon zu lasch sind. Also selbst je-mand wie Ferid Heider oder Abdul Azim kommen an diese Jugendliche nicht mehr heran, ein Ditib-Imam schon gar nicht mehr. Das ist der Punkt. Das heißt, wir brauchen noch Zugänge

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zu diesen Jugendlichen. Deswegen arbeite ich in Einzelfällen auch noch mit einem ganz ande-ren Imam, mit Abu Adam zusammen – das ist nicht der Abu Adam, den Sie vielleicht kennen, sondern Hesham Shashaa –, wo mir der Verfassungsschutz aber ständig die Beine weghaut, denn er sieht aus wie Osama bin Laden, und er kleidet sich so. Er ist zwar inhaltlich völlig anders, aber der Verfassungsschutz, nicht der Berliner, aber der bayerische, hat so seine Bauchschmerzen, wenn er ihn sieht. Ich habe aber meine positiven Erfahrungen mit ihm ge-macht. Insofern: Wir brauchen wir Akteure. Es geht gar nicht um Moscheegemeinden, die sind teil-weise völlig hilflos. Die Frauenbeauftragte vom Ditib-Zentralverband hat sich an uns ge-wandt, weil sie alle Angst um ihre Kinder haben. Das geht querbeet, ob das türkisch-konser-vativ-muslimische oder arabische Familien sind. Wir machen zusammen mit Ahmad Mansour Fortbildungen bei den Stadtteilmüttern, weil das der Zugang zu den Familien ist. Oft sind konservativ-patriarchale Erziehungskonzepte, abwesender Vater Motoren, wo dann ein Ju-gendlicher, der anfängt, sich alternative Räume zu suchen, zu Hause autoritäre Reaktionsmus-ter bekommt, und zwar sowohl bei „Biodeutschen“ als auch bei Migranten. Das heißt, das Familienreaktionsmuster ist das Entscheidende, nicht die Herkunft. Wenn Sie autoritär, ab-lehnend reagieren: Die neuen Kumpels, die „Terroristenfreunde“ – „Du und deine Terroris-tenfreunde!“, hat ein eritreischer Vater zu seiner Tochter gesagt –, sind für das Mädchen die Kumpels, die Freunde, sie wird sie also immer verteidigen. So geht das in den Familien. Das heißt, Familien, Schulen und teilweise Lehrer sind mit ihren Reaktionsmustern, diesen kont-raproduktiven, aggressiven, autoritären, radikalisierungsfördernd, sowohl Lehrer als auch Eltern, familiäres Umfeld. Wir setzen in diesem Umfeld an, bei diesen Verhaltensnormen, das heißt: den Menschen ak-zeptieren, nicht die Tat. Ich muss versuchen, meinen Jugendlichen zu verstehen. Ich muss überhaupt erst einmal eine emotionale Bindung zu ihm haben. Sie können nicht mit irgendei-ner fremden Person reden. Deradikalisierungsarbeit ist immer Beziehungsarbeit. Sie müssen erst einmal eine Beziehungsebene zu dem Jugendlichen herstellen, denn Radikalisierung läuft zunächst auf der emotionalen Ebene. Dann gibt es die Gruppendynamik und die Ideologie. Bei der emotionalen, der affirmativen Ebene geht es um die ganz privaten Wünsche und Be-dürfnisse, und die müssen Sie erst einmal herauskitzeln. Dazu brauchen Sie eine Person, die Zugang zu dem Jugendlichen hat, die diesem Jugendlichen zuhört, mit ihm redet, die Wün-sche herauskitzelt: Was ist es eigentlich, was diese radikale Szene für diesen Jugendlichen, und da ist es dann egal, ob männlich oder weiblich, attraktiv macht? Das ist unser Ansatz, und insofern kommen wir auch ins Gespräch oder werden aktiv, wenn der Junge anfängt, Pierre-Vogel-Videos zu sehen. Denn oft reagieren die Eltern genau wie mancher Lehrer: Oh Gott! Mein Junge hat jetzt drei Pierre-Vogel-Videos auf seinem Laptop oder Smartphone, landet er morgen schon in Syrien? – Das ist das Klassische, und da ist es egal, ob er türkischer, arabi-scher oder „biodeutscher“ Herkunft ist. Das ist das klassische Reaktionsmuster von eher welt-lich geprägten Eltern. – Es gibt noch eine Sondergruppe, die anders reagiert. – Die Ängste führen zu Hysterie, und diese Ängste abzubauen – – Wenn die Eltern sich bei solchen Fragen zeitig genug bei uns melden, können wir genau da versuchen, anzusetzen und diese Ängste abzubauen. Um das deutlich zu machen: Wir hatten einen Fall aus Hamburg. Der Junge war klassisch bei den „Grauen Wölfen“, hat aber trotzdem gerne Pierre Vogel gehört. Insofern war der Junge

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nicht harmlos, aber es war nichts mit Syrien usw. – Das heißt, wir können Klarheit reinbrin-gen. Wir analysieren diese Situation: Liegt überhaupt eine Radikalisierung vor? Deswegen ist es wichtig, dass wir niedrigschwellige Angebote brauchen. Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung, türkische, arabische und ostdeutsche Familien haben eine große Hürde, sich an Behörden zu wenden, gerade an den Verfassungsschutz oder die Sicherheitsbehörden. In der Beziehung sind sie gleich. Da ist eine typische Distanz. Deswegen brauchen wir nied-rigschwellige Angebote. Deswegen ist das BAMF wichtig. Das BAMF ist keine Sicherheits-behörde. Es ist zwar beim Innenministerium angesiedelt, aber es ist keine Sicherheitsbehörde und gerade im migrantischen, muslimischen Bereich zumindest neutral. Das heißt, so nied-rigschwellig wie möglich. Wir machen im Unterschied zu VPN keine aufsuchende Arbeit. Wir machen Werbung, dass es uns gibt. Den ersten Schritt müssen aber die Hilfesuchenden machen, weil sie dann auch bereit sind, Hilfe anzunehmen. Jetzt gibt es aber konservativ-muslimisch-traditionelle Milieus, die es toll finden, wenn der Sohnemann nicht mehr auf der Straße herumhängt, anderen die Smartphones abzieht und viel-leicht ein bisschen kifft, sondern dass er ab und zu in die Moschee geht und betet. Da sind die Eltern erst einmal erleichtert und merken erst relativ spät, dass Sohnemann in der falschen Moschee ist und dem falschen Prediger hinterherrennt. In der Beziehung brauchen wir natür-lich noch mal intensive – mit der Community zusammen; das heißt in so ein Netzwerk gehö-ren für mich ganz stark die Communitys mit hinein – Autoritäten, Vertreter, nicht die Ver-bände, sondern die Vertreter, die in den Communitys Zugang haben, wie z. B. Stadtteilmütter und solche Akteure oder Kazım Erdoğan mit seinem Elternnetzwerk. Wir haben eine ganze Menge Akteure in Berlin. Wir müssen da heran, um letztendlich Sensibilisierung zu schaffen, weil die Sensibilisierung in Berlin noch minimal ist; wir haben in Berlin noch einen Diskurs, der in anderen Bundesländern schon Meilen weiter ist – um zu begreifen, mit welchem The-ma wir es hier zu tun haben. Vor diesem Hintergrund – Sicherheitsbehörden: Bei uns melden sich natürlich auch Familien, wo der Sohn tot ist. Den einen Fall haben wir zusammen mit der Mutter und dem RBB in einer Doku thematisiert. Sie ist Berlinerin, aber der Fall ist aus Hamburg. Wir machen auch Trauerarbeit. Ich kann der Mutter den Sohn nicht wieder zurückbringen. Das Problem ist aber, dass diese Mutter von den Sicherheitsbehörden nicht erfährt, ob ihr Sohn tot ist oder nicht, weil die Sicherheitsbehörden gehandicapt sind. Wenn sie von ausländischen Diensten erfah-ren haben, dass der Sohn eventuell in Syrien gefallen ist, können sie das nicht sagen, weil sie ihre Quellen nicht preisgeben. Das heißt, als Staats- oder Verfassungsschutz gehen sie dann nicht zu den Eltern und überbringen die Todesnachricht. Das erfährt die Mutter dann eventu-ell aus der Presse, es sei denn, es gibt Abschiedsvideos. Manchmal haben die Sicherheitsbe-hörden die Informationen auch aus Drittquellen von ausländischen Diensten, aber auch nicht hundertprozentig. In dieser Situation sind die Sicherheitsbehörden – sie sind keine Trauerbehörden – keine An-laufstelle, also kommen die Eltern irgendwohin. Mit solchen Fällen sind wir dann auch noch konfrontiert, weil die Eltern hoffen, bei uns diese Hilfe zu kriegen. Wir haben in Berlin, glau-be ich, über zehn Tote. Wir haben bundesweit jetzt fast an die achtzig. Das sind auch noch mal Fälle, um die sich überhaupt keiner kümmert. Wir machen das notgedrungen mit. Das ist

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eigentlich nicht unsere Aufgabe, denn ich kann niemanden mehr deradikalisieren über diese Arbeit. Da ist also noch so eine Krux, das heißt, die Eltern können nicht Abschied nehmen, da gibt es kein Grab, es gibt noch nicht mal die Sicherheit, dass er tot ist usw. – Insofern kom-men solche Fälle rein. Sicherheitsrelevant sind nach dem Sprachgebrauch vom BAMF diese Fälle: Ausreise nach Syrien, Irak oder in ein anderes Dschihad-Gebiet droht, ist ausgereist, ist zurückgekehrt oder befindet sich hier in Deutschland in Netzwerken, Strukturen, die eventuell in Richtung Mili-tanz, terroristische Gefahr gehen. Die Einschätzung obliegt uns. Es gibt Fälle, da sind die Si-cherheitsbehörden schon dran, weil die Eltern eine Vermisstenanzeige gemacht haben oder weil der Staatsschutz den jungen Mann oder die junge Frau schon im Blick hat, es gibt aber auch Fälle, wo sie nicht dran sind. Wir schätzen das nach unserem Gutdünken ein. Das heißt, wir sind da unabhängig und wir recherchieren und analysieren nach unserem Gutdünken und können dann sagen: Nach unserer Ansicht ist dieser Fall nicht mehr sicherheitsrelevant oder leicht sicherheitsrelevant. – Wir sind letztendlich eine Brücke zwischen Familie und Sicher-heitsbehörden. Wir haben, das hat Thomas Mücke schon gesagt, kein Zeugnisverweigerungsrecht. Wir ver-suchen trotzdem – – denn wenn ich jemanden habe, das ist halt die Krux im Moment: Um zu deradikalisieren muss ich aufarbeiten, das heißt, ich muss wissen, was er in Syrien gemacht hat, wenn er zurückgekommen ist: Warum ist er hin, was hat er dort erlebt, warum ist er zu-rückgekommen? – das muss ich alles wissen, denn das muss aufgearbeitet werden, sonst kann ich diese Arbeit nicht machen. Die Gefahr ist allerdings durchaus, wenn noch ein Prozess ansteht, dass wir dann als Zeugen geladen werden, dann ist aber dieses Konzept kaputt. So-bald wir in so einem Prozess als Zeuge geladen werden, können wir dieses ganze Beratungs-netzwerk einstellen. Insofern hoffe ich darauf, dass zumindest die Staatsanwaltschaften so viel Sensibilität haben. Ganz kurz noch zur Kooperation mit den Behörden: Das hängt wirklich vom Fall ab, von dem jeweiligen Staatsschutzmitarbeiter. Da kann ich jetzt nicht sagen, das ist total blöd oder das ist total gut. Ich habe solche und solche Erfahrungen gemacht. Das Problem ist, dass die ostdeut-schen Sicherheitsbehörden leider zu gesprächig sind, was die Presse betrifft, dass sie einfach immer über ihre Fälle erzählen müssen. Insofern haben wir immer das Problem, dass da stän-dig irgendwelche Fälle durch die Presse gehen, mit Klarnamen oder so, dass zumindest die Eltern belastet werden. Das habe ich jetzt in Berlin noch nicht erlebt, aber damit habe ich in anderen Bundesländern das Problem, weil da einfach zu viel geredet wird. Das ist immer das Problem, dass wir über diese Jugendlichen erzählen müssen, warum sich jemand gefährdet, warum sich jemand radikalisiert, das ist so eine Art Aufklärungsarbeit. Gleichzeitig, sobald Sie aus der Masse derer, die sich radikalisieren, einen hochheben und zum Namen machen, machen Sie ihn zum Symbol und da ist er oder sie im Grunde genommen kaum noch zurück-zuholen. Das ist immer das Problem. Vor dem Hintergrund würde ich mir zum Beispiel von den Behörden wünschen, dass sie manchmal nicht so mitteilungsbedürftig sind, also ihre Öf-fentlichkeitspflicht da nicht so ernst nehmen. Das ist die Krux: Sie müssen reden, sie müssen Öffentlichkeitsarbeit machen, aber sie machen die Arbeit furchtbar schwer, indem dann per-manent über solche Fälle etwas verlautbart wird. Gerade aktuell in Sachsen-Anhalt ist das ein Riesenproblem gewesen, was vieles von unserer Arbeit wieder kaputt macht. – Nur, um mal das Prozedere zu beschreiben!

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Sonstige Behörden für das Netzwerk: Wir brauchen dringend ein senatsübergreifendes Netz-werk. Wir brauchen eine Koordinierungsstelle – da ist schon viel geredet worden, da schließe ich mich an –, die auf keinen Fall beim Innensenator angesetzt sein soll, denn sie muss nied-rigschwellig sein, aber ansonsten, ressortübergreifend, müssen da verschiedene Senatsverwal-tungen rein. – [Canan Bayram (GRÜNE): Welche denn?] – Ich würde mir das auf der Ebene Familie/Jugend wünschen. Bildung gehört mit rein. Es gehört natürlich die Innenverwaltung mit rein, Justiz gehört mit rein. Das ist ressortübergreifend, aber wie gesagt, wir brauchen so eine Art Runden Tisch, um uns mal kooperativ auszutauschen, wie wir eigentlich so ein Lan-deskonzept aufstellen wollen. Wir brauchen dringend Geld. Wir werden nur aus dem Bund finanziert. Mit unserer Personal-stelle können wir diese Familien – – Das ist unheimlich zeit- und arbeitsintensiv, weil wir punktuell in manchen Fällen auch mit Jugendlichen direkt arbeiten. Das sind Prozesse von zwei, drei Jahren. Das heißt, wir brauchen dringend Personalstellen, und da ist vom Bund nichts mehr zu kriegen. Wir brauchen von Berlin Personalstellen. Konzepte haben wir, aber wir haben zu wenig Personal. Und was wir brauchen, ist ein Austausch, wirklich einen Runden-Tisch-Austausch. Die Eh-renamtlichen sind genannt worden, in den Communitys passiert unheimlich viel, und insofern plädiere ich erst mal für so einen Fach-Runden-Tisch, damit man so ein Landeskonzept mal stricken und mit diesen entsprechenden Abgrenzungen zuordnen kann. – Danke! Vorsitzender Benedikt Lux: Vielen Dank, Frau Dantschke! – Vielen Dank an Sie vier, dass Sie geredet haben, und dass wir hier erstmalig in so einer Situation zusammenkommen und mit den vier wichtigen Trägern in dem Bereich im Verfassungsschutzausschuss sprechen. Sie sehen uns alle zutiefst beeindruckt und dankbar für die Informationen, aber auch für die Handlungsaufträge, für den Blick, wie die nächsten Schritte sein können, an Berlin gerichtet, an den Senat – nicht nur an den Innensenat; es ist uns allen hier immer klar gewesen, dass das eine senatsressortübergreifende Aufgabe ist, die wir intensivieren müssen. Ich kann Ihnen nur noch einmal herzlichen Dank dafür sagen, dass Sie uns zur Verfügung standen! – [Beifall] Die Besprechungspunkte 2 a und b sind erledigt. 2 c vertagen wir und warten, bis das Wort-protokoll da ist. Da werden wir bestimmt noch mal tiefer arbeiten können. Punkt 3 der Tagesordnung

a) Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2082 Spielräume auf Landesebene für den Schutz von Hinweisgeber/-innen nutzen (I) (Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Hinweisgeber/-innen)

0079 VerfSch Haupt InnSichO(f) Recht

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b) Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2083 Spielräume auf Landesebene für den Schutz von Hinweisgeber/-innen nutzen (II)

0080 VerfSch Haupt InnSichO(f) Recht

Vertagt. Punkt 4 der Tagesordnung

Besondere Vorkommnisse

Siehe Inhaltsprotokoll. Punkt 5 der Tagesordnung

Verschiedenes

Siehe Inhaltsprotokoll.