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Falt Samstag, 15.10.2016 0,80 EUR UNABHÄNGIG · ÜBERPARTEILICH HILDESHEIM Vor Haus 2, direkt zwischen zwei Gullys, befindet sich eine sehr beliebte Spur für Fahrräder. Ebenfalls vor Haus 2, direkt zwischen zwei Gullys, hat gestern jemand eine Bierflasche zertrümmert, deren Scherben sich nun durch jedes ankommende Rad bohren. Ich überlege, sie wegzuräumen, aber die immer wiederkehrende Tragik der ankommenden Radfahrer_ innen fasziniert mich, und was bleibt mir, wenn nicht mal das? Es ist Samstag, der Samstag nach der Party und Fachbereich 2 besteht heute aus Zombies. Man sieht sie nur selten, muss den richtigen Moment abpassen, wenn sie langsam mit müden, unkoordinierten Bewegungen vom Kartoffelwaschhaus ins Burgtheater schlurfen. Weder pompöse Schilder noch laute Musik machen auf die Geschehnisse hinter den Hausmauern aufmerksam. Es passieren vermutlich Dinge, aber nur, wenn man hingeht. Ich warte eine Weile bis vor mir, endlich, in knöchelfreien Jeans, weil sie keine Kälte spüren, eine Gruppe Studierende auftaucht und in Richtung Festivalzentrum schlendert. Die lange Nacht haftet an ihnen, macht sich in Form ungewaschener Haare, Augenringe und blasser Haut bemerkbar, und sie schaffen es, dennoch (oder dadurch?) schön auszusehen. Vielleicht sind es gar keine Zombies, sondern Vampire. Es dauert kaum eine Minute, bis sie wieder im Schutz des Festivalzentrums verschwunden sind, weg vom Sonnenlicht, und den Campus wieder in eine trostlose, verlassene Burg verwandeln. Eine Wespe schwirrt um mich herum, die bei dem Wetter doch eigentlich schon tot sein müsste. Zombiewespe, denke ich. Und jetzt? Jetzt sind wir bereit für die nächste Party. Schwierig wird es dann erst, wenn man selbst zu diesen Vampiren oder Zombies gehört, das Sonnenlicht anfängt, wehzutun und man sich nicht mehr daran erinnert, was man letzte Woche getan hat. Doch für heute Nacht ist Vollmond angesagt, und bei Vollmond kann ja eigentlich nichts schief gehen. Und vielleicht kehren dann auch endlich die Werwölfe an die Domäne zurück. MAM Zombieapokalypse!! Party Kolumne Als ob im Berghain einer durchfegt Festivalauſtakt, prophylak- tisch mit Voltaren-Schmerzgel eingecremt, Bändchen um- geschnallt, Zehner an der Bar investiert, Essen nachgeholt, Gossip Schnaps, zu spät auf die Liste für Senf eingetragen, Mist, Warum denn so ernst wird vorzei- tig abgebrochen, wieder an die Bar, dann Sex Floor, geht so, im Club wird mit Platten auf- gelegt, Bambi hängt Kopfüber, Kommilitone sucht nach Dro- gen, schon wieder an der Bar, aber die Mucke ist gut, also ab auf den Dancefloor, Booty sha- kin‘, geiler Track, und dann das… »Damit kann die Party beginnen. Spiel mit Spotify Premium ein Song nach dem anderen ab. Jetzt fehlen nur noch deine Freunde.« In Zeiten, in denen nach dem nächsten großen Ding nach Youtube gesucht wird, durchtränken Partys Momente der Ernüchterung. a picture of my inner surface Zwietracht Hildesheim seine eigene spiegelung betrachten in den augen der fotographen. eine perfekte oberflächenpolitur: die geste. in ewiger wiederholung: die geste. choreogra- phiertes stehen, choreographiertes sitzen, choreogra- phiertes schweigen. von dem versuch, einen absoluten augenblick zu insze- nieren, von der lang- samkeit des erzählens und über die befreien- de kraft des pathos. nicht mehr und nicht weniger als eine werbe- kampagne vom inneren, nach außen getragenen kreis: you float like a feather / in a be- autiful world / i wish i was special / you‘re so fucking special. LL Ceci n’est pas un désert!!! Julia Buchberger, Christo- pher Dippert, Lisa Schwabe Diese Staubwarnung geht raus an alle Wüstenfüch- se unter euch. Es kitzelt nämlich in der Nase und legt sich auf Haare und Kleidung. Die working class wärmt sich auf für das Funktionieren in der Leis- tungsgesellschaft. Harder, better, faster, stronger. Dann wird der Blaumann abgestreift, das Gesicht mit Schlamm eingerieben und wirklich ein ganzer Berg Sand in der Garage hinter den alten Kutsch- ständen aufgetürmt. In dem riesigen Sandkasten entstehen zu meinen Fü- ßen Mondlandschaften. Der Sound dazu ist fabu- lous! Die beiden Performenden sind ganz nah, man hört sie atmen, spürt die An- strengung, die das Bewe- gen der Sandmassen ver- ursacht. Und genau das macht den Menschen aus. Denn um nichts weniger geht es hier: Wer sind wir und warum? Wo sind unsere physischen Gren- zen? Wie beeinflusst die Umwelt, wer du bist? Der Weg zum Cyborg ist nicht mehr lang. Das war groß. Denn das hier ist keine Wüste. JUH Handmade Futuristisch Adventure Nackt Desperate housewife Appetitanreger Nachschlag Fast Food Hildesheimelig #inspirational #nofilter #wokeuplikethis (Fleisch)Salat!? Lotta Bohde, Maren Seidel Es ist schon unangenehm, mit einer offensichtlich psychisch labilen Haus- frau und zehn fremden, eingeschüch- terten Gästen an einem Tisch zu dinieren, betretenes Schweigen inklu- sive. Das ist allerdings zu toppen: Den Dinner-Gästen wird viel nackte Haut, dekoriert mit einer Salatgarnitur vor- gesetzt, von der es auch zu essen gilt. Es heißt ja, mit Nacktheit ist nicht mehr zu schocken. Zu schocken wohl nicht, so ganz kalt scheint es aber doch niemanden zu lassen. Immer- hin, alle essen mit. Mehr oder weni- ger, und nur mithilfe von Alkohol. Am Ende will ja niemand als Spiel- verderber_in dastehen. Die »Bitte erlöst mich!«- Sticker auf jeder Stirn sind nicht zu übersehen. HDM .doc Doku- mentarfilme PROJEKTSEMESTER 2016 Das Dok-Buffet ist angerichtet. Eineinhalb Stunden werden mehr oder weniger inti- me Häppchen in fein dosierten 24 Bilder pro Sekunde präsentiert. Von der medita- tiven Zubereitung der Frühlingsrolle, die als Sinnbild des isolierten Familienlebens einer vietnamesischen Familie in Deutsch- land fungiert, über die Preiselbeeren, die beim inneren Tanz, kurz Butoh, von den Lippen der Performenden perlen, bis zum Couscous-Salat, der von der zweitplat- zierten Bachelor-Teilnehmerin Daniela in ihrer Küche zubereitet wird. Während all dem Gehacke und Gebrate konnte es sich das Publikum auf Sitzsäcken bequem ma- chen oder den abgedunkelten Raum für ein Power-Nap nutzen, während vereinzelt ein Magenknurren durch die Reihen zieht. Leider gleichen manche Beiträge mehr ei- ner 5-Minuten-Terrine, als einer deftigen Hausmannskost. TWE Warum denn so Ernst? Die Figur des Jokers ist uns allen spätes- tens seit Nolans Bat- man ein Begriff. Nico Franke inszeniert seinen Joker sehr nahe an der Vorlage von Heath Ledger, über- nimmt teilweise sogar Zitate aus dem Film. Neu ist, dass in seinem Stück das Thea- ter kein sicherer Raum mehr ist. Franke zwingt einem nichts auf und er bricht ab, wenn es zu viel wird. Wie in der gestrigen Vorführung passiert. Man sieht immer schon am Anfang, wer die Performance noch nicht gesehen hat und wer schon. Die schon mal drin waren lachen nicht. Nie. Und das hat seinen Grund. jnT Grenzerfahrung Verstörend Make Up Nico Franke Unfassbar: Terror, Sex-Papst, Hitler! Danke Merkel ...

Zombieapokalypse!! Party - … · de kraft des pathos. nicht mehr und nicht weniger als eine werbe- kampagne vom inneren, ... maren seidel Es ist schon unangenehm, mit einer offensichtlich

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Falt Samstag, 15.10.2016 0,80 EUR

U n a b h ä n g i g · ü b e r pa r t e i l i c h

h i l d e s h e i mVor Haus 2, direkt zwischen zwei Gullys, befindet sich eine sehr beliebte Spur für Fahrräder. Ebenfalls vor Haus 2, direkt zwischen zwei Gullys, hat gestern jemand eine Bierflasche zertrümmert,

deren Scherben sich nun durch jedes ankommende Rad bohren. Ich überlege, sie wegzuräumen, aber die immer wiederkehrende Tragik der ankommenden Radfahrer_innen fasziniert mich, und

was bleibt mir, wenn nicht mal das? Es ist Samstag, der Samstag nach der Party und Fachbereich 2 besteht heute aus Zombies. Man sieht sie nur selten, muss den richtigen Moment abpassen, wenn sie langsam mit müden, unkoordinierten Bewegungen vom Kartoffelwaschhaus ins Burgtheater schlurfen. Weder pompöse Schilder noch laute Musik machen auf die Geschehnisse hinter den Hausmauern aufmerksam. Es passieren vermutlich Dinge, aber nur, wenn man hingeht. Ich warte eine Weile bis vor mir, endlich, in knöchelfreien Jeans, weil sie keine Kälte spüren, eine Gruppe Studierende auftaucht und in Richtung Festivalzentrum schlendert. Die lange Nacht haftet an ihnen, macht sich in Form ungewaschener Haare, Augenringe und blasser Haut bemerkbar, und sie schaffen es, dennoch (oder dadurch?) schön

auszusehen. Vielleicht sind es gar keine Zombies, sondern Vampire. Es dauert kaum eine Minute, bis sie wieder im Schutz des Festivalzentrums verschwunden sind, weg vom Sonnenlicht, und den Campus wieder in eine trostlose, verlassene Burg verwandeln. Eine Wespe schwirrt um mich herum, die bei dem Wetter doch eigentlich schon tot sein müsste. Zombiewespe, denke ich. Und jetzt? Jetzt sind wir bereit für die nächste Party. Schwierig wird es dann erst, wenn man selbst zu diesen Vampiren oder Zombies gehört, das Sonnenlicht anfängt, wehzutun und man sich nicht mehr daran erinnert, was man letzte Woche getan hat. Doch für heute Nacht ist Vollmond angesagt, und bei Vollmond kann ja eigentlich nichts schief gehen. Und vielleicht kehren dann auch endlich die Werwölfe an die Domäne zurück. MAM

Zombieapokalypse!! PartyKolumne

als ob im berghain einer durchfegtFestivalauftakt, prophylak-tisch mit Voltaren-Schmerzgel eingecremt, Bändchen um-geschnallt, Zehner an der Bar investiert, Essen nachgeholt, Gossip Schnaps, zu spät auf die Liste für Senf eingetragen, Mist, Warum denn so ernst wird vorzei-tig abgebrochen, wieder an die Bar, dann Sex Floor, geht so, im Club wird mit Platten auf-gelegt, Bambi hängt Kopfüber, Kommilitone sucht nach Dro-gen, schon wieder an der Bar, aber die Mucke ist gut, also ab auf den Dancefloor, Booty sha-kin‘, geiler Track, und dann das…

»Damit kann die Party beginnen. Spiel mit Spotify Premium ein Song nach dem anderen ab. Jetzt fehlen nur noch deine Freunde.«

In Zeiten, in denen nach dem nächsten großen Ding nach Youtube gesucht wird, durchtränken Partys Momente der Ernüchterung.

a picture of my inner surface Zwietracht hildesheimseine eigene spiegelung betrachten in den augen der fotographen. eine perfekte oberflächenpolitur: die geste. in ewiger wiederholung: die geste. choreogra-phiertes stehen, choreographiertes sitzen, choreogra-phiertes schweigen. von dem versuch, einen absoluten augenblick zu insze-nieren, von der lang-samkeit des erzählens und über die befreien-de kraft des pathos. nicht mehr und nicht weniger als eine werbe- kampagne vom inneren, nach außen getragenen kreis: you float like a feather / in a be-autiful world / i wish i was special / you‘re so fucking special. LL

Ceci n’est pas un désert!!!Julia buchberger, christo-pher dippert, lisa schwabeDiese Staubwarnung geht raus an alle Wüstenfüch-

se unter euch. Es kitzelt nämlich in der Nase

und legt sich auf

Haare und Kleidung. Die working class

wärmt sich auf für das Funktionieren in der Leis-tungsgesellschaft. Harder, better, faster, stronger. Dann wird der Blaumann abgestreift, das Gesicht mit Schlamm eingerieben und wirklich ein ganzer Berg Sand in der Garage hinter den alten Kutsch-ständen aufgetürmt. In dem riesigen Sandkasten

entstehen zu meinen Fü-ßen Mondlandschaften. Der Sound dazu ist fabu-lous!Die beiden Performenden sind ganz nah, man hört sie atmen, spürt die An-strengung, die das Bewe-gen der Sandmassen ver-ursacht. Und genau das macht den Menschen aus. Denn um nichts weniger

geht es hier: Wer sind wir und warum? Wo sind unsere physischen Gren-zen? Wie beeinflusst die Umwelt, wer du bist? Der Weg zum Cyborg ist nicht mehr lang. Das war groß. Denn das hier ist keine Wüste. juh

Handmade Futuristisch Adventure

NacktDesperate housewife Appetitanreger

Nachschlag Fast Food Hildesheimelig

#inspirational #nofilter #wokeuplikethis

(Fleisch)Salat!?lotta bohde, maren seidel Es ist schon unangenehm, mit einer offensichtlich psychisch labilen Haus-frau und zehn fremden, eingeschüch-terten Gästen an einem Tisch zu dinieren, betretenes Schweigen inklu-sive. Das ist allerdings zu toppen: Den Dinner-Gästen wird viel nackte Haut, dekoriert mit einer Salatgarnitur vor-gesetzt, von der es auch zu essen gilt.

Es heißt ja, mit Nacktheit ist nicht mehr zu schocken. Zu schocken wohl nicht, so ganz kalt scheint es aber doch niemanden zu lassen. Immer-hin, alle essen mit. Mehr oder weni-ger, und nur mithilfe von Alkohol. Am Ende will ja niemand als Spiel-verderber_in dastehen. Die »Bitte erlöst mich!«- Sticker auf jeder Stirn sind nicht zu übersehen. HDM

.doc Doku-mentarfilmeproJektsemester 2016Das Dok-Buffet ist angerichtet. Eineinhalb Stunden werden mehr oder weniger inti-me Häppchen in fein dosierten 24 Bilder pro Sekunde präsentiert. Von der medita-tiven Zubereitung der Frühlingsrolle, die als Sinnbild des isolierten Familienlebens einer vietnamesischen Familie in Deutsch-land fungiert, über die Preiselbeeren, die beim inneren Tanz, kurz Butoh, von den Lippen der Performenden perlen, bis zum Couscous-Salat, der von der zweitplat-zierten Bachelor-Teilnehmerin Daniela in ihrer Küche zubereitet wird. Während all dem Gehacke und Gebrate konnte es sich das Publikum auf Sitzsäcken bequem ma-chen oder den abgedunkelten Raum für ein Power-Nap nutzen, während vereinzelt ein Magenknurren durch die Reihen zieht. Leider gleichen manche Beiträge mehr ei-ner 5-Minuten-Terrine, als einer deftigen Hausmannskost. TWe

Warum denn so Ernst?

Die Figur des Jokers ist uns

allen spätes-tens seit Nolans Bat-

man ein Begriff. Nico Franke inszeniert seinen Joker sehr nahe

an der Vorlage von Heath Ledger, über-nimmt teilweise sogar Zitate aus dem Film. Neu ist, dass in seinem Stück das Thea-ter kein sicherer Raum mehr ist. Franke zwingt einem nichts auf und er bricht ab, wenn es zu viel wird. Wie in der gestrigen Vorführung passiert. Man sieht immer schon am Anfang, wer die Performance noch nicht gesehen hat und wer schon. Die schon mal drin waren lachen nicht. Nie. Und das hat seinen Grund. jnT

Grenzerfahrung Verstörend Make Up

nico Franke

Unfassbar:terror, sex-papst, hitler!danke merkel ...

PublikumsrügeKaterstimmung ist Konsensstimmung. Das mag ent-schuldigen, weshalb zum Auftakt von PROSANOVA-Po-tentiale nur 2 Personen erschienen – FALTBLATT-Vertre-terIn inklusive. Aber auch später: keiner da. Es gibt nur ein einzelnes Literaturevent beim ST8 – das FALTBLATT berichtete – und es kommt niemand. Was ist da los? Wur-de genug kommuniziert (überall hängt das Programm des offenen Büros), hat die Veranstaltung nicht genug Sex-Appeal (dagegen sprechen die smarten und attrakti-ven Bella-MitgliederInnen, Kuchen und Getränke), sind die Besuchenden des St8 zu höflich, wollen das arbeits-ame Treiben nicht unterbrechen oder besteht bei ihnen einfach kein Interesse? Wir vermuten letzteres, könnten nachfragen, aber haben einfach mal keine Lust. Selbst Schuld. Wenn ihr nicht mit der Literatur talkt, talkt die Literatur auch nicht mehr zu euch (wie Meta!). Die Bella sieht das entspannter als wir. Trotzdem habt ihr was ver-passt. LOK

Der Ernste Artikel!Biedermeier oHne BrAndstiFter

Als Ludwig Eichrodt und Adolf Kußmaul Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Gottlieb Biedermaier durch Gedicht-Veröffentlichungen ins Leben rie-fen, beabsichtigten sie mithilfe dieser Figur die Bürgerlichkeit und den Kleingeist ihrer älteren Zeitgenossen zu karikieren. Dass Biedermeier im Laufe der Jahre jedoch zu einer allseits ak-

zeptierten Lebenseinstellung (schließlich sogar zur Bezeich-nung einer ganzen Epoche) ohne jegliche negative Konnotation mutierte, damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Der Rückzug ins eigene Privatleben, unabhängig vom politischen System, die Be-sinnung auf sich selbst, Familie und Freunde, auf die »schönen Künste«: Die Vorstellung, dass bereits junge Menschen ein Le-ben unter diesen Punkten für erstrebenswert halten könnten - wahrscheinlich undenkbar für die beiden. Es heißt, dass sich Menschen

in Phasen des Umbruchs schon immer gern ins Private

zurückgezogen haben. Es heißt, das sogenannte Homing oder Cocooning wür-de gerade wieder einen Aufschwung erleben. Es heißt, vor allem die Jugend sei unpolitisch, sehne sich nach Sicherheit, nach Struktur in diesen unruhigen Zeiten. Und wir? Analysieren all das, nebenbei den selbst gemachten Bio-Quinoa-Salat löffelnd, die neus-

ten Secondhand-Teile der Anderen anerkennend abnickend, über die sich schleichend ablösenden Ecken der „Refugees Welcome“-Sticker auf un-seren analogen und digitalen Kalendern strei-chend, und fühlen uns nicht angesprochen. Wer freiwillig auf einem Kulturcampus studiert, dem kann der Wunsch nach Sicherheit und Struktur bekanntermaßen nicht allzu nahe liegen. Stattdessen beeinflusst die so gern erörterte cultural studies correctness unser Denken und spricht aus beinahe allem, was wir tun oder sa-gen. Diskussionen begleiten den Uni-Alltag, und falls der Zündstoff dann doch mal ausgeht, wird abends in Bars und WGs wieder aufgetankt und das Gespräch neu angeheizt. Und das alles ist doch wohl ziemlich politisch! Mag sein – allerdings auf eine sehr bequeme Art und Weise. So treffen bei den alltäglichen kleinen Auseinandersetzungen selten wirklich verschie-dene Welten aufeinander. Wir sind uns einig, dass Geflüchtete nach Deutschland kommen dürfen sollten, dass Parolen wie die von AFD und Pegida untragbar sind oder dass viel mehr Men-schen Zugang zu Kultur bekommen sollten. Klar, kleine Differenzen und unterschiedlich starke Ausprägungen kommen vor, im Großen und Ganzen studiert hier aber ein meinungstechnisch

ziemlich synchronisierter Haufen. Als Wohl-stands-Aktivisten reden wir lieber (und zwar am liebsten miteinander) als uns wirklich für etwas einzusetzen. Die Wenigsten von uns haben Kon-takt zu Studierenden anderer Campi bzw. zu kul-turferneren Menschen. Wir halten uns zwar für weltoffen – aber wieviel Ahnung haben wir wirk-lich von unserer Umwelt? Wieviele von uns enga-gieren sich in einem Nicht-Domäne-Kontext? Dabei birgt das Eiland Domäne in seiner Kom-primiertheit ja durchaus das Potenzial, sich hier intensiv mit Themen zu beschäftigen und Ideen zu entwickeln, um deren Zweckhaftigkeit dann außerhalb dessen zu erproben. Das kann durch-aus auch durch künstlerische Arbeiten passie-ren, zum Beispiel bei öffentlichen Festivals wie dem State of the Art. Wenn sich die Programm- punkte aber vorrangig mit Themen wie Selbst- inszenierung, der eigenen Mutter, Freundschaft oder Rückbesinnung beschäftigen, sind die Bie-dermeier-Vergleiche nur schwer zu dementieren.Bzw. wie notwendig ist es wirklich, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, bevor man sich den Problemen der Welt widmen kann?

Von MarEIKE KöHLEr

Hallo, ich bin‘s. Ich komme nicht aus den Kulturwissenschaften. Ich bin heute trotzdem hier, bei euch. In eu-rem Wohnzimmer, auf eurem »Dis-kursfestival«.Im Wohnzimmer, da fühlst du dich zuhause. Geborgen. Kannst streiten. Kannst dich vertragen. Da steht eine Holzpalette – dein Tisch. Ein grau gepolstertes Sofa vor hellblauen Ka-cheln – dein Sitzplatz. Ein Holzregal mit Bilderrahmen – deine Erinne-rung. Ein Hund schlendert vorbei. Heute ist die Universität dein Wohn-zimmer. Deine Bühne, dein Kon-zertsaal. Hier kennt jeder deinen Puls. 76 – 89 – 82 – 96 – 76 – 74 – 81 – 92 – 98 – 77 – 111. Jakob Hüffel nimmt deinen Puls ab und addiert die Werte, die in der nächsten Stunde nach und nach verbraucht werden. Janne Schröder sitzt an diesem Abend auf dem Boden der Wellblechbühne zwischen 50 Personen. Janne ist neu in Hildesheim, studiert Kulturwis-senschaften, Theater und Literatur. »Auf einmal werden die Hörsäle zu Bühnen umgestaltet. Der Uni-Kom-plex wird etwas sehr Persönliches.« Die 21-jährige Bremerin möchte »se-hen, was passiert« und »die lange Arbeit der Studierenden würdigen«. »Dieser Ort hat einen inspirierenden Effekt: Was werde ich die nächsten drei Jahre machen?«Im Bühnenraum entstehen Gemein-schaften, das Verhältnis zueinander verändert sich. Du gehst in den Raum – Mahsima Kalweit und Milan Lu-gerth verbrauchen in »Routines« dei-ne Zeit, deinen Puls und verschalten Körper und Musik. Der Clou: Ohne das Publikum keine Musik. Du gehst

raus und denkst: Hey, die kenne ich alle, wir haben doch gemeinsam ge-rade ein Stück produziert. Das ist ein besonderes Gefühl von Gemeinschaft und Vertrautheit, welches Mashima, Milan und Jakob schaffen.»Theater ist ein Raum, der nur statt-findet, wenn Zuschauer und Akteure gleichzeitig anwesend sind. Wenn nur zehn Zuschauer kommen und alle nur einen Puls von 70 abgeben, werden wir nur mit diesen 70 performen«, sagt Mahsima Kalweit.In den Künsten stecken die Themen unseres Lebens, dein Puls, dein Körper. Man muss nur hinhören und wahr-nehmen, etwa wenn sich Terren-ce Johnson mit Zeit auseinander-setzt und Räume schafft, in denen wir Zeit erleben. Oder wenn sich der Besuch aus Gießen mit Erinnerung befasst und den Soundtrack deines Lebens in Sekunden vorträgt (von Liedzeilen aus »I wanna be daylight in your eyes« bis »Ground control to Major Tom«)Die große Hürde ist, wie in den Vor-jahren, sicher der Weg zur Domäne. Hildesheimer stolpern nicht zufäl-lig herein in dieses Wohnzimmer. Dabei sind es Themen mitten aus dem Leben, die Studentinnen und Studenten mit szenischen, mit musi-kalischen, mit literarischen Mitteln aufgreifen. Es ist eine große Chance, an diesem Ort Fragen und Irritation zuzulassen. Denn, wie Professorin Geesche Wartemann sagt: Rätsel sind erlaubt. von ISa Lange

Isa Lange ist engagierte Stabschefin der Pressestelle Universität Hildesheim.

Look-A-LikEein tAg AuF dem stAte oF tHe Art Gastbeitrag

Otto / Julian A.

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nach: Was heißt Acht auf Italienisch?

Redaktion und Lektorat

Magnus Rust, Luca Lienemann, Mareike Köhler,Hannah del Mestre, Judith Hördt, Marius Hoffmann, Lasse Kohl-

meyer, Marie Minkov, Jan-Niclas Thul, Theresa Weininger

LayoutPaul Olfermann

V.i.S.d.P.Magnus Rust

GastbeitragIsa Lange

Auflagepro Ausgabe 333 Stück

Nach einer idee vonAnn-Kristin Tlusty und

Marvin Dreiwes

s/o an Guido

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Wiedereröffnung am 26.10.2016

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