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Seewlfe 721 Fred McMason 1 Zum Kampf gestellt Die Hauptpersonen des Romans: Ferris Tucker baut einen Brandsatz nach, doch der entpuppt sich als sehr wirkungsvolle Rauchbombe. Clint Wingfield stellt voller Entsetzen fest, da das Schiepulver in den Fssern unbrauchbar ist. Edwin Carberry entsinnt sich einer alten List um Angreifer durch Nagelbretter abzuschrecken. Alfonso de Albuquerque ein Nachkomme des berüchtigten Eroberers hat alle Englnder und greift sie erbarmungslos an. Philip Hasard Killigrew seine Geduld ist ziemlich schnell am Ende, als er auf den überheblichen und arroganten Albuquerque trifft. An diesem frühen Januarmorgen erinnerte kaum noch etwas an den vormaligen Zustand der Schebecke. Da sie im Sturm gekentert und fast gesunken war, sah man ihr nicht mehr an. Und doch hatten diese gewaltigen Kaventsmnner ihr mehr zugesetzt, als es anfangs den Anschein hatte. Es war mancherlei zu Bruch gegangen, was vorher übersehen worden war. Jetzt stand wieder eine unangenehme berraschung bevor. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, sah es schon am Gesicht des Schiffszimmermannes Ferris Tucker. Was gibt es, Ferris? fragte er ahnungsvoll, noch bevor Ferris etwas sagen konnte. Ich fürchte, Sir, unsere kostbaren Brandstze sind grtenteils beim Teufel. Ein Unglück kommt selten allein, seufzte Hasard. Dann la mal hren, was anliegt. 1. Nachdem die Schebecke kenterte, sagte Ferris langsam, drang natürlich Wasser in ausnahmslos alle Rume ein, selbst in die, die gut abgeschottet waren. Ja, und die Pulverkammer stand ebenfalls unter Wasser. Da mu es passiert sein. Du willst damit sagen, da die Brandstze alle unbrauchbar geworden sind? Sie waren doch extra verpackt. Wasser hat einen kleinen Kopf, meinte Ferris. Es findet durch jede noch so kleine Ritze seinen Weg. Das stimmt allerdings. Hasards Blick verlor sich für ein paar Sekunden in der Ferne. Der Verlust der Brandstze beschftigte ihn. Sie waren sozusagen die ultimative Waffe, wenn sie einem Gegner gegenüberstanden, der übermchtig und nicht mit herkmmlichen Waffen zu schlagen war. Stets hatten diese, dem Griechischen Feuer hnlichen Brandstze bei den Gegnern für Angst und Panik gesorgt. Leider gab es sie aber nur im fernen Reich der Mitte, im Land der Groen Khan, und dieses Land lag nun einmal nicht auf ihrem Kurs. Bist du sicher, da alle Brandstze unbrauchbar geworden sind? fragte er schlielich. Ganz sicher bin ich mir natürlich nicht. Einige haben etwas viel Wasser abgekriegt, andere weniger. Aber etliche sind ganz sicher verdorben oder unbrauchbar. Woraus schliet du das, Ferris? Die Pappschicht ist feucht. Wasser ist eingedrungen, wie es den Anschein hat,

Zum Kampf gestellt, Fred McMason

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Seewölfe 721 Fred McMason 1 Zum Kampf gestellt

Die Hauptpersonen des Romans: Ferris Tucker � baut einen Brandsatz nach, doch der entpuppt sich als sehr wirkungsvolle Rauchbombe. Clint Wingfield stellt voller Entsetzen fest, daß das Schießpulver in den Fässern unbrauchbar ist. Edwin Carberry � entsinnt sich einer alten List um Angreifer durch Nagelbretter abzuschrecken. Alfonso de Albuquerque � ein Nachkomme des berüchtigten Eroberers haßt alle Engländer und greift sie erbarmungslos an. Philip Hasard Killigrew �seine Geduld ist ziemlich schnell am Ende, als er auf den überheblichen und arroganten Albuquerque trifft.

An diesem frühen Januarmorgen erinnerte kaum noch etwas an den vormaligen Zustand der Schebecke. Daß sie im Sturm gekentert

und fast gesunken war, sah man ihr nicht mehr an. Und doch hatten diese gewaltigen Kaventsmänner ihr mehr zugesetzt, als es anfangs

den Anschein hatte. Es war mancherlei zu Bruch gegangen, was vorher übersehen worden war.

Jetzt stand wieder eine unangenehme Überraschung bevor. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, sah es schon am Gesicht des

Schiffszimmermannes Ferris Tucker. �Was gibt es, Ferris?� fragte er ahnungsvoll, noch bevor Ferris etwas sagen konnte. �Ich fürchte, Sir, unsere kostbaren Brandsätze sind größtenteils beim Teufel.�

�Ein Unglück kommt selten allein�, seufzte Hasard. �Dann laß mal hören, was anliegt.�

1.

�Nachdem die Schebecke kenterte�, sagte Ferris langsam, �drang natürlich Wasser in ausnahmslos alle Räume ein, selbst in die, die gut abgeschottet waren. Ja, und die Pulverkammer stand ebenfalls unter Wasser. Da muß es passiert sein.� �Du willst damit sagen, daß die Brandsätze alle unbrauchbar geworden sind? Sie waren doch extra verpackt.� �Wasser hat einen kleinen Kopf�, meinte Ferris. �Es findet durch jede noch so kleine Ritze seinen Weg.� �Das stimmt allerdings.� Hasards Blick verlor sich für ein paar Sekunden in der Ferne. Der Verlust der Brandsätze beschäftigte ihn. Sie waren sozusagen die ultimative Waffe, wenn sie einem Gegner

gegenüberstanden, der übermächtig und nicht mit herkömmlichen Waffen zu schlagen war. Stets hatten diese, dem Griechischen Feuer ähnlichen Brandsätze bei den Gegnern für Angst und Panik gesorgt. Leider gab es sie aber nur im fernen Reich der Mitte, im Land der Großen Khan, und dieses Land lag nun einmal nicht auf ihrem Kurs. �Bist du sicher, daß alle Brandsätze unbrauchbar geworden sind?� fragte er schließlich. �Ganz sicher bin ich mir natürlich nicht. Einige haben etwas viel Wasser abgekriegt, andere weniger. Aber etliche sind ganz sicher verdorben oder unbrauchbar.� �Woraus schließt du das, Ferris?� �Die Pappschicht ist feucht. Wasser ist eingedrungen, wie es den Anschein hat,

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und muß das Pulver oder was immer darin ist, verklebt haben.� �Dann laß mal ein paar Brandsätze holen.� Der Moses Clint Wingfield rannte schon los. Als er .wieder zurückkam, trug er ein halbes Dutzend Brandsätze unter dem Arm, die er schweigend dem Seewolf übergab. Hasard betrachtete die rohrähnlichen Dinger genau. Manche waren gut ein Yard lang und nannten sich Flammenbäume. Andere waren kürzer, die die Bezeichnung Pfirsichblüte trugen. Insgesamt gab es drei verschiedene Arten, die jedoch alle gleichermaßen überaus gefährlich waren. Das Feuer, das sie auslösten, war mit Wasser nicht mehr zu löschen. Das Zeug brannte selbst auf dem Wasser weiter. Ummantelt waren die Papphülsen mit festem und dickem Papier, auf dem allerlei Schriftzeichen in chinesischer Sprache standen. Durch aufgemalte Symbole in Form von brennenden Bäumen oder feuerspeienden Drachen ließen sie sich voneinander unterscheiden. Am unteren Ende, wo sich die Lunten befanden, waren die Brandsätze jetzt weich und pappig. Feuchte Flecken hatten sich gebildet, und man konnte sie mühelos in der Hand zerdrücken. �Daß die nicht mehr funktionieren, ist mir durchaus klar�, sagte Hasard. �Wirklich schade darum. Wir sollten sie ins Sonnenlicht legen und trocknen lassen. Wenn das geschehen ist, werden wir probehalber einen abfeuern. Möchte nur wissen, wie das Zeug hergestellt wird�, fügte er noch hinzu. Darauf wußten weder Ferris Tucker noch Al Conroy eine Antwort. �Es ist dem Griechischen Feuer sehr verwandt�, sagte der Stückmeister Al Conroy. �Aber es ist eben doch etwas anders.� �Ja, eins der bestgehüteten Geheimnisse der Chinesen�, meinte Ferris. �Die Bestandteile kennen wir ungefähr, nicht aber die genaue Mischung, auf die es ankommt, und ohne die es nicht funktioniert. Jedenfalls ist Naphta in der Mischung, Kalk, Holzkohle, Schwefel und

ein wenig Harz, natürlich auch feinkörniges Schießpulver.� Er legte die feuchten Brandsätze auf Deck aus, damit die Sonne sie trocknen konnte. Al Conroy starrte sie sinnend und nachdenklich an, wollte etwas sagen, schüttelte dann aber nur stumm den Kopf. �Denkst du das gleiche wie ich?� fragte Ferris, dem der nachdenkliche Blick auf die Brandsätze nicht entgangen war. �Vielleicht�, sagte Al bedächtig. �Ich habe gerade überlegt, wie es im Innern dieser Dinger eigentlich aussehen mag.� �Genau das dachte ich auch. Man sollte so ein Ding, wenn es trocken ist und nicht gezündet hat, mal auseinandernehmen.� Hasard hob ein wenig ratlos die Schultern. �Das steht euch natürlich frei. Aber gebt euch nicht der Illusion hin, so einen Brandsatz nachbauen zu können. Mir erscheint das sehr kompliziert. Die Chinesen haben jahrelang daran gebastelt, bis etwas Vernünftiges zustande kam. Außerdem glaube ich kaum, daß wir die erforderlichen Ingredienzien an Bord haben.� �Naphtha haben wir, Harz auch. Solch Zeug hat der Kutscher in seinem Knochenkasten. An Holzkohle fehlt es auch nicht. Schießpulver haben wir, und den Schwefel nehmen wir von dem Zeug, mit dem immer die Wasserfässer ausgeschwefelt werden.� �Und den Kalk?� �Den nehmen wir aus der Bilge�, sagte Al trocken. �Wie bitte?� �Wir haben Steine als Ballast an Bord. Darunter sind auch ein paar Kalksteine.� �Eure Zuversicht möchte ich haben�, sagte Hasard kopfschüttelnd. �Ohne Zuversicht geht nichts, Sir. Einen Versuch ist es immerhin wert.� �Nun gut, versucht es. Allerdings glaube ich nicht an Wunder.� Daran glaubten Ferris und Al auch nicht, aber nachsehen wollten sie dennoch. Der Moses Clint, ein eifriges Bürschchen, erhob sich sofort, die erforderlichen Utensilien beim Kutscher zu ordern, doch Ferris winkte lachend ab.

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�Nicht so eilig, junger Mann. Noch kennen wir die Bestandteile nicht genau, und der Kutscher ist bekannt dafür, daß er seinen Medizinkasten nur höchst ungern plündert. Aber wenn du etwas tun willst, kannst du schon mal das Abschußgestell für die Brandsätze an Deck bringen und aufstellen.� Der Moses verschwand eilig und brachte das Gewünschte. Das Abschußgestell war aus Bronze und hatte ein Rohr, das sich beliebig in jede Richtung drehen ließ. Zur Not ließen sich die Brandsätze allerdings auch mit einem Holzstab verlängern und aus einer leeren Flasche abfeuern, deren Hals man in die gewünschte Richtung drehte. Das Abschußgestell arbeitete jedoch wesentlich präziser. Da bis zum völligen Trocknen der Brandsätze ohnehin noch ein paar Stunden vergehen würden, unternahmen Ferris und Big Old Shane wieder mal einen Kontrollgang durch alle Räumlichkeiten. Sie hatten hart gearbeitet und die Schebecke wieder auf Vordermann gebracht. Neue Masten waren geriggt worden, Rumpfschäden ausgebessert und die Räume trockengelenzt. Es war eine einzige Plackerei und Knochenarbeit gewesen. Und dabei hatten ihnen auf der kleinen Insel noch die eingeborenen Negritos kräftig zugesetzt. So war es kein Wunder, daß es immer noch kleine Sachen gab, die der Reparatur bedurften oder ganz einfach in der Eile übersehen worden waren. Der Profos Edwin Carberry schloß sich ihnen an, und so nahmen sie sich noch einmal die Pulverkammer genauer vor, wo unter anderem auch die Brandsätze lagerten. �Vom Schießpulver ist so gut wie gar nichts verdorben�, stellte Ferris fest, als sie eins der Fässer öffneten. Carberry langte hinein, nahm eine Handvoll heraus und betrachtete das Pulver. �Völlig trocken�, stellte er fest. �Zur Sicherheit sollten wir aber noch ein paar andere Fässer öffnen.�

Bei der Überprüfung stellte sich heraus, daß nur in eins der vielen Fässer etwas Wasser eingedrungen war. Hier war das Pulver an der Oberfläche zusammengebacken und steinhart. �Das nehmen wir mit an Deck�, entschied der Profos. �Wenn wir die oberste Schicht abkratzen, können wir den Rest vielleicht noch gebrauchen. Das Wasser scheint nicht durchgedrungen zu sein.� Die Fässer wurden wieder sorgfältig verschlossen, danach Musketen, Tromblons und Pistolen überprüft. Auch hier mußte einiges aussortiert und zur weiteren Reinigung nach oben an Deck gebracht werden. Die Brandsätze lagerten in einer extra langen Kiste, in der sich wiederum eine kleinere Kiste befand. Alles war gut verpackt, und auf den ersten Blick schien die Kiste fugenlos dicht zu sein. Und ausgerechnet hier war das Wasser eingedrungen! Shane wuchtete die Kiste zur Seite und stellte sie so, daß das Sonnenlicht hell in die Kammer hereinfallen konnte, um die Kiste zu beleuchten. �Da ist ein feiner Riß�, sagte Ferris, �so fein, daß man Mühe hat, ihn zu erkennen. Erstaunlicherweise ist nicht einmal das Holz aufgequollen. Deshalb habe ich auch nicht damit gerechnet, daß hier Wasser eindringen konnte.� Jetzt wurden alle Brandsätze herausgenommen und untersucht. Schüttelte man sie, gaben sie Geräusche von sich, als würde feiner Kies hin und hergeworfen. Hörte man das Geräusch nicht, durften sie davon ausgehen, daß die Brandsätze nicht mehr einwandfrei in Ordnung waren. Zum Glück fanden sie nur noch zwei der höllischen Biester, die ihren Geist offenbar aufgegeben hatten. Die anderen schienen in Ordnung zu sein. �Insgesamt acht Brandsätze�, sagte Shane. �Sechs haben wir ja noch an Deck.� Er nahm die beiden zur Seite und legte sie auf die Planken. Die Kiste wurde umgestaut und ebenfalls an Deck gebracht, damit sie abgedichtet

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werden konnte. Gleichzeitig sollte sie auch total austrocknen. �Nichts mit weiterem Faulenzen�, sagte Carberry. �Wir haben noch eine Menge zu tun, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind.� �Gerade die halten am meisten auf�, murmelte Ferris. Die Pulverkammer blieb offen, damit die Sonne sie noch weiter trocknen konnte. Oben an Deck brannte inzwischen die Sonne heiß von einem fast wolkenlosen Himmel. An der westlichen Kimm standen wie Wattetupfer ein paar kleine Wölkchen. Unter den Wolken war das Meer fast schwarz, während es hier türkisfarben und teils dunkelblau war. Die Dünung wiegte die Schebecke sanft von einer Seite zur anderen. Die Segel standen voll und bei. Shane brachte die beiden ausgemusterten Brandsätze nach achtern. Ferris und der Profos trugen inzwischen all das an Deck, was dringend noch überholt und nachgesehen werden mußte. Hasards Söhne übernahmen zusammen mit Roger Brighton, dem Iren Higgy und Al Conroy das Säubern der Musketen, Tromblons und Pistolen. Ferris widmete sich dem Abdichten des winzigen Risses in der Kiste, und Will Thorne hatte sowieso immer Arbeit. Er war mit dem Ausbessern und Lieken eines Segels beschäftigt, und diese Arbeit nahm den ältesten Mann an Bord stundenlang in Anspruch. Will Thorne war einer von denen, die absolut korrekte Arbeit lieferten, und bei ihm ging nichts raus, das nicht einwandfrei in Ordnung war. Thorne arbeitete immer still im Hintergrund, aber sehr pedantisch und mit einer Akribie, die man als hundertprozentig bezeichnen konnte. Bis die Waffen gesäubert und eingefettet waren, wurde es Mittag, und die Arbeit für kurze Zeit unterbrochen. Der Kutscher und Mac hatten Pfefferbohnen mit frischem Fleisch zubereitet, und da langten alle kräftig zu. Kurz nach dem Mittagessen war auch die meiste Arbeit beendet, und das Zeug wurde wieder in den Kammern verstaut. Ferris

hatte die Kiste für die Brandsätze inzwischen abgedichtet. Zu diesem Zeitpunkt waren auch die Brandsätze wieder knochentrocken.

* Der Schiffszimmermann wog ein paar prüfend in der schwieligen Hand. Er schüttelte sie ein bißchen, doch das vertraute Geräusch blieb aus. �Der dürfte nicht mehr zünden�, sagte Ferris. Hasard nickte und schüttelte auch ein paar der anderen, die ebenfalls �stumm� blieben. �Unternehmen wir einen Versuch�, sagte er, �damit es später im Ernstfall keine bösen Überraschungen gibt.� Bevor Ferris den einen Brandsatz in das Abschußgestell legte, schnitt er die Hälfte der Lunte ab und steckte sie in die Tasche. �Können wir später noch brauchen�, kommentierte er. �Die Lunten sind auch ganz anders als unsere.� Clint Wingfield kam mit einer brennenden Lunte aus der Kombüse, drückte ein bißchen daran herum, bis sie nur noch glimmte und reichte sie dann Ferris Tucker. Um das Abschußgestell scharten sich etliche Arwenacks, die gespannt zusahen. Das Gestell wurde so ausgerichtet, daß der Brandsatz keinen Schaden anrichten konnte, falls er wider Erwarten doch funktionierte. Ferris preßte das glimmende Luntenstück an das andere und trat zur Seite, als es zu knistern und zu fauchen begann. �Er funktioniert doch nicht�, schrie Paddy Rogers. Die Lunte brannte schnell ab, funkensprühend, knisternd und wild hin her zuckend. Normalerweise hätte jetzt ein greller Pfeifton erklingen und das Ding mit atemberaubender Geschwindigkeit abheben müssen. Das Pfeifen blieb aus, das Abheben ebenfalls. Noch einmal knisterten Funken, bevor sie endgültig erloschen: Von da an

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bewegte sich der Brandsatz auch nicht mehr. �Genau das habe ich mir gedacht�, sagte Ferris. �Wenn sie erst einmal feucht geworden sind, taugen sie nicht mehr zum Feuern. Man kann bestenfalls noch damit werfen.� �Was wohl niemanden beeindrucken würde�, meinte der Seewolf. �Aber ihr könnt noch einen zweiten Versuch unternehmen.� Der nächste Versuch, bei dem Ferris wiederum einen Teil der Lunte abkniff, verlief ebenso kläglich. Die Lunte war das einzige an dem Brandsatz, was einwandfrei funktionierte. Sie brannte schnell ab, und damit war alles erledigt. Auch der zweite Brandsatz rührte sich nicht von der Stelle. �Damit können wir die anderen sechs ebenfalls abschreiben�, sagte Al Conroy. �Sie sind unbrauchbar, und sie werden auch später nicht mehr zu verwenden sein.� �Dann nehmen wir sie auseinander�, schlug Ferris vor. Ein paar Arwenacks drängten sich um die beiden und waren schon recht neugierig, denn bisher hatte noch keiner von ihnen den Inhalt eines Brandsatzes gesehen. Sehr vorsichtig und äußerst behutsam entfernte Ferris zunächst das dicke Papier von dem Papprohr. Es bestand aus mehreren Schichten, die sehr eng gewickelt und verklebt waren. Immer mehr kamen zum Vorschein, bis die Hülse ganz dünn wurde. Den Rest schnitten sie vorsichtig mit dem Messer auf. Ferris, Al und Hasard starrten das Zeug an, was ihnen da entgegenquoll. Die Hülse war in zwei Kammern unterteilt, die aber durch ein kleines Loch miteinander verbunden waren. �Das hier in der unteren Kammer, wo die Lunte endet, ist einwandfrei Schießpulver�, sagte Al Conroy sehr bestimmt. �Jetzt ist es natürlich durch die Nässe stark verklebt.�

Mit dem Finger drückte er das verkrustete Zeug auseinander und nickte dann wie zur Bestätigung. �Und was ist das?� fragte Hasard und deutete auf ein paar winzige Kugeln in unterschiedlichen Farben. Eingebettet waren sie in eine gelbliche Masse, die ebenfalls verklebt war. �Das dürfte das eigentliche Geheimnis sein�, erläuterte Al. �Das Pulver entzündet sich durch die brennende Lunte, und da es nur einen winzigen Ausweg hat, kann es nicht explodieren. Es jagt den Brandsatz deshalb in den Himmel. Sobald das Pulver abgebrannt ist, erreicht der Brandsatz seine Gipfelhöhe. In diesem Augenblick zündet der obere Teil vermutlich durch die Resthitze. Das Ding platzt auf und alles fällt brennend vom Himmel und regnet ab.� �Das dürfte das eigentliche Problem bei der Sache sein�, vermutete der Seewolf. �Und das haben die Chinesen wohl auch sehr lange berechnet. Es liegt an der ganz korrekten Dosierung. Nicht zuviel, und nicht zu wenig. Die Mischung muß genau stimmen. Jetzt fragt sich nur noch, woraus die Kugeln bestehen, die so klappern, wenn man das Ding ein wenig schüttelt.� �Aus den Zusätzen, die wir vorhin schon genannt hatten. Ich nehme an, es wird zu einer Masse gerührt, einer Art Paste, dann in winzige Kügelchen gerollt und getrocknet.� Ferris nickte dazu eifrig. �So sehe ich das auch, Sir. In der oberen Kammer befindet sich nochmals eine Dichtung, oder wie man das nennen will. Sie besteht ebenfalls aus stark gedrehtem Papier, das erst dann durchbrennt, wenn das Pulver im unteren Teil abgebrannt ist.� �Und das wollt ihr nachbauen?� fragte Hasard. Er gab sich Mühe, seine Stimme nicht ironisch oder gar spöttisch klingen zu lassen, denn in der Hinsicht waren seine Arwenacks mitunter sehr empfindlich. Ferris schien jedoch etwas Spott herauszuhören. �Du zweifelst natürlich daran, Sir�, stellte er fest.

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�Ein bißchen schon, aber das ist keinesfalls abwertend gemeint. Ich fürchte nur, daß es eine äußerst schwierige Angelegenheit wird, die sich nicht so einfach berechnen läßt.� �Berechnen läßt sich alles�, sagte der Stückmeister mit der größten Selbstverständlichkeit. �Man muß nur wissen, wie man es berechnet.� �Ihr tut ja gerade so, als habt ihr alle Weisheiten dieser Welt gefressen�, sagte Carberry. �Wenn das so einfach wäre, dann hätte jeder Seegurken-Kapitän solche Dinger an Bord. Ich halte jede Wette, daß ihr es nicht schafft.� Ferris und Al blickten sich kurz an. �So, er hält jede Wette�, meinte Ferris. �Dann sollten wir ihm doch mal das Gegenteil beweisen. Um was willst du denn wetten?� Noch bevor der Profos etwas sagen konnte, schob sich bereits Smoky zwischen die Männer. �Für Wetten aller Art bin ich zuständig, und ich wette ebenfalls, daß ihr es nicht schafft, genau wie Ed auch. Die Dinger sind viel zu kompliziert, als daß man sie einfach nachbauen kann.� �Sag' ich doch die ganze Zeit�, knurrte Ed. �Aber die beiden Weisen aus dem Morgenland wissen ja alles besser.� �Wetten wir beide gegen Al und Ferris um ein Fäßchen Rum�, schlug Smoky sogleich vor. �Der Verlierer zahlt den Gegenwert in die Bordkasse. Entweder ihr oder wir.� �Klar�, sagte Ferris mit einem schiefen Grinsen, �und dann wird das Fäßchen später gemeinsam gelenzt, wie?� �So ist es�, tönte der Profos und grinste sich eins hinter der vorgehaltenen Hand. So kam er in jedem Fall zu einem kräftigen Schluck, egal, wie die Wette ausging. �So ist es aber nicht�, meinte Ferris. �Die Verlierer sind selbstverständlich vom Umtrunk ausgeschlossen, sonst hat die Wette keinen Sinn. Einverstanden?� Ed und Smoky wechselten einen Blick. Der Decksälteste nickte. �Die Wette können wir ruhig eingehen, Ed. Die beiden bringen das sowieso nicht fertig.�

Davon war schließlich auch Carberry überzeugt, und so stimmte er zu und besiegelte alles mit Handschlag. Carberry erbot sich, an der Herstellung der neuen Brandsätze mitzuwirken, wurde aber von Ferris abgeschmettert. �Geht nicht�, erklärte er trocken. �Du hast gegen uns gewettet, also kann dir nur daran liegen, die Wette zu gewinnen.� �Heißt das etwa�, fragte Ed drohend, �daß du mir unterstellst, ich würde die Arbeit sabotieren, was wie?� �Nenn es, wie du willst�, erwiderte Ferris gemütlich. �Al, Shane und ich werden das übernehmen, und sonst keiner. Aber du kannst beim Kutscher ja die erforderlichen Utensilien holen, wenn du unbedingt dabei sein willst.� �Bin ich hier Profos auf diesem Kahn, oder Laufjunge?� fragte Ed. Er erhielt keine Antwort, und so wandte er sich grollend ab, ging dann aber doch gemeinsam mit Clint Wingfield zum Kutscher und lümmelte dort so lange vor der Kombüse herum, bis es dem Kutscher auffiel und er fragend die Augenbrauen hochzog. �Ist was?� fragte der Kutscher. �Ich brauche ein bißchen Naphtha�, sagte Ed. �Nicht viel, nur so ein kleines bißchen.� �Willst du das etwa in Ermangelung von Rum trinken? Das Zeug ist nur für die Lampen da. Außerdem rußt es fürchterlich.� �Al und Ferris brauchen es.� �Weißt du überhaupt, was das ist?� �Klar, so'n Öl, das aus der Erde kommt und fürchterlich stinkt.� Der Kutscher nickte, holte ein Kännchen und füllte etwas von dem übelriechenden Zeug ab, das er Ed übergab. Nicht lange, und der Profos kreuzte abermals auf. �Kannst du etwas Holzkohle entbehren?� erkundigte er sich. �Nicht viel, nur ...� �... so ein kleines bißchen�, ergänzte der Kutscher. �Weiß schon Bescheid.� Der Profos erhielt seine Holzkohle und zog wieder ab.

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Als er zum dritten Mal aufkreuzte, runzelte Mac Pellew die Stirn und sah den Kutscher an. �Hast du vielleicht noch etwas Harz übrig�, fragte Ed. �Nicht viel ...� �Was zum Teufel, hat das alles zu bedeuten?� fauchte der Kutscher. �Alle Augenblicke kreuzt du hier auf und verlangst die unglaublichsten Sachen. Was willst du mit dem Zeug?� �Wir bauen Brandsätze nach.� �Was bauen sie?� fragte Mac Pellew grämlich. �Sie bauen Brandsätze nach�, brüllte der Kutscher. �Haha�, sagte Mac, doch es klang gar nicht nach einem Lachen. �Da werden sie sich aber schnell die Finger verbrennen. Brandsätze kann man nicht nachbauen, schon gar nicht mit Harz.� �Was verstehst du Erbsenzähler schon von Brandsätzen�, sagte der Profos. �Soviel wie eine Seekuh vom Jakobsstab.� �Das ist doch alles Unsinn�, meinte der Kutscher. �Harz habe ich nicht mehr viel, nur noch etwas in der Medizinkiste.� �Soll ja auch nicht viel sein.� Der Kutscher gab seufzend nach und brachte ein paar Bröckchen Harz zum Vorschein. Aber damit war es längst noch nicht getan. Ed nervte sie nach ein paar Minuten bereits wieder. �Schwefel hab' ich ganz vergessen. Ohne Schwefel geht gar nichts. Das muß alles zu einem Brabbel zusammengerührt werden.� �Noch was?� fragte der Kutscher grantig. �Dürfen es vielleicht noch ein paar Kakerlaken sein, die das Fliegen lernen wollen? Woher soll ich all das Zeug nehmen?� �Ich hab' auch noch ein paar Knochen übrig�, ließ Mac sich vernehmen. �Vielleicht könnt ihr die auch noch gebrauchen.� Er lachte meckernd und hielt das für einen guten Witz, doch dem Profos war nicht nach Witzen zumute. �Vielleicht nehmen wir deine dürren Knochen�, sagte er hämisch. �Die passen genau in so einen Brandsatz rein.�

Der Kutscher opferte auch noch etwas Schwefel, hob dann aber drohend den Zeigefinger. �Damit ist es dann aber genug, Mister Carberry. Falls ihr noch Gold und Diamanten braucht, dann holt die euch vom Mond.� Der Profos zog mit einem Fluch auf den Lippen ab und schickte Clint nach unten, um Kalkstein zu holen. �Von euch Geizhälsen brauche ich nichts mehr�, sagte er noch über die Schulter hinweg. Inzwischen rührten Al, Ferris und Shane das Zeug zu einer klebrigen und übelriechenden Substanz zusammen, während sich Carberry grollend in eine Ecke verholte, weil er angeblich nur störte. Inzwischen hatten sie auch die anderen Brandsätze aufgeschlitzt und das Innere entfernt. Das alles lag jetzt in einer kleinen Holzkiste und trocknete langsam an der Sonne. Ferris nahm ein großes Stück Papier und schmierte etwas von der Substanz auf das Blatt. Es trocknete ziemlich schnell. �Was soll das?� fragte Shane. �Es ist nur ein Versuch. Wenn das Zeug trocken ist, werde ich das Papier zusammenrollen und mit Takelgarn umwickeln. Dreht man es fest genug zusammen, müßte die Mischung eigentlich einen höllischen Knall abgeben.� �Na, das möchte ich aber bezweifeln�, sagte Al. �Ich meine natürlich, wenn man in einen winzigen Schlitz ein Stückchen Lunte steckt und es entzündet�, verbesserte Ferris sich. �Der Dampf oder Rauch, der sich dabei bildet, kann nicht schnell genug entweichen, und dann knallt es eben. Es muß nur fest genug gewickelt werden.� Shane bezweifelte das ebenfalls, und Hasard sah sehr skeptisch drein, als die drei Feuerwerker über das Funktionieren diskutierten. Aber in Tuckers Schädel hatte sich bereits etwas festgesetzt, und das ließ ihn jetzt nicht mehr los.

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Innerhalb kurzer Zeit war das Papier knochentrocken und mit einer dünnen Schicht der Mischung bezogen. Ferris faltete und kniff es erst der Länge nach, bis das Gebilde fast so hart wie Holz war. Er faltete es noch kleiner zusammen und umwickelte es dann mit Takelgarn, das er fest anzog. Bevor er das letzte Garn um das Ding wickelte, schob er ein winziges Stück der Lunte hinein und betakelte auch das. Das Ding sah jetzt wie eine kleine Wurst aus, die man in ein kleines Netz gestopft hatte. Mac Pellew erschien an Deck, um den Abfallkübel auszuleeren. Wie immer hielt er dabei prüfend einen Daumen hoch, um die Windrichtung festzustellen. Das war eine Angewohnheit, die dem Profos mächtig auf den Geist ging. Es erinnerte ihn lebhaft an den Wikinger mit seiner Marotte, ständig seinen Helm statt seinen Schädel zu kratzen. �Hast du Bilgenwanze immer noch nicht kapiert, daß ein Blick auf die Segel genügt, um zu wissen, woher der Wind weht, was, wie?� fragte er den verdutzten Mac. �Nein, hast du natürlich nicht, auch wenn der Wind dir die Haare vom Schädel reißt. Du mußt erst immer deinen dämlichen Daumen hochrecken und ihn auch noch naß machen.� Carberrys Laune war heute nicht die beste. Ihm war eine Laus über die Leber gelaufen, und er kannte nicht einmal genau den wahren Grund dafür. Mac stellte den Kübel hin und ging zu den drei Männern hinüber, die auf den Planken hockten und eifrig beschäftigt waren. �Das halte ich, wie ich will�, sagte er. �Auch wenn dir das nicht in den Kram paßt.� Das brachte den Profos noch mehr in Braß, doch er sagte nichts und schwieg verbiestert. Das war der Zeitpunkt, als Ferris Tucker sein kleines Experiment startete und die Lunte entzündete.

2.

Mac hatte von alldem keine Ahnung, und so fuhr er herum, als an Deck ein lautes Zischen erklang. Auf den Planken sah er ein zusammengeschnürtes, wurstähnliches Päckchen liegen, das jetzt schlagartig lebendig wurde. Selbst Ferris hatte nicht mit diesem durchschlagenden Erfolg gerechnet. Er wollte noch nach dem Ding greifen, doch das entzog sich blitzschnell seinem Griff und wurde selbständig. Es begann um sich selbst zu kreiseln, versprühte dabei kleine Funken und Blitze und raste wie ein Irrwisch über Deck, genau auf Mac zu, der in grotesken Sprüngen zu hüpfen begann und vor Schreck einen lauten Schrei ausstieß. Die Arwenacks waren genauso verblüfft wie Mac, denn das Ding begann jetzt ein eigenständiges Leben zu führen. Es kreiselte fauchend, zischend und knallend über die Planken, und sein irrwitziger Kurs ließ sich überhaupt nicht berechnen. Immer wieder knallte es dumpf. Rauch und Funken sprangen hoch, und mal sprang es in die eine Ecke, dann sofort wieder in die andere, oder es raste auf ein paar verdatterte Arwenacks zu, die vor Schreck nicht ausweichen konnten. Die Bewegungen wurden immer schneller, immer wilder, und schon bald wurde aus dem Staunen Entsetzen, zumal das Ding fürchterlich laut knallte und immer wieder explodierte. Hasard sah mit starrem Blick auf das kleine fauchende und tobende Ungeheuer, das jetzt Roger Brighton vor die Beine sprang. Der hüpfte in einem wilden Satz auf das Schanzkleid und duckte sich, als wieder eine Explosion zu hören war. �Teufelswerk�, ächzte Old O'Flynn und brachte sich auf dem Holzbein humpelnd schleunigst in Sicherheit, um nicht von diesem Dämon der Hölle gefressen zu werden. Erneut flitzte es auf Mac Pellew zu, der sich von allen Teufeln des Fegefeuers verfolgt sah. Funken sprühten vor ihm auf.

Seewölfe 721 Fred McMason 9 Zum Kampf gestellt

Mac vollführte einen wilden Satz, schrie laut und gellend, weshalb sich der Profos schüttelte vor Lachen. Dann rannte er in seinem Schreck davon, knallte gegen den Abfallkübel und riß ihn um. Beide landeten auf den Planken, und ein Teil des Inhalts landete auf Mac's Schädel. Das Ding, das wie ein wildgewordener und unberechenbarer Frosch in alle Richtungen hüpfte, lag jetzt still, stieß ein letztes leises Zischen aus und blieb dann reglos und ziemlich zerfetzt auf den Planken liegen. Die aufgeplatzten Enden waren schwarz verkohlt, und es rührte sich nicht mehr von der Stelle. Auf der Schebecke herrschte total verblüfftes Schweigen, und in manchen Gesichtern stand noch deutlich der Schreck. Ferris selbst war über den Erfolg ebenso verdattert und verblüfft. Hasard räusperte sich die Kehle frei und sah Ferris an. �Bißchen unvorsichtig von dir, Ferris�, sagte er tadelnd. �Darauf war niemand vorbereitet. Das hätte leicht ins Auge gehen können. Stell dir nur vor, die Segel oder etwas anderes hätten Feuer gefangen.� �Es hätte kein Feuer gegeben, Sir�, erwiderte der Schiffszimmermann mit fester Stimme. �Ganz bestimmt nicht. Ich rechnete damit, daß es ein paarmal knallen würde, allerdings nicht mit den wilden und unkontrollierten Zuckungen, die es vollführte. Aber ich glaube, wir sind um eine Erfahrung reicher geworden. Man kann Schießpulver auch in ganz anderer Form verwenden. Die Chinesen sind schon lange vor uns darauf gekommen.� �Die Wirkung war jedenfalls verblüffend�, faßte Hasard zusammen. �Ich gebe selbst zu, daß ich mich erschreckt habe.� Ferris nickte dazu. �Man könnte die Wirkung noch verstärken, wenn man Papier damit noch mehr sättigt, es trocknet und hart umwickelt. Je härter, je stärker dürfte die Wirkung sein.� Hasard dachte ein paar Augenblicke nach.

�Stell dir vor, man würde solche Dinger bei einem Enterkampf auf das Deck des Gegners werfen, Ferris. Ich bin sicher, daß die Kerle nach allen Seiten nur so davonflitzen würden.� �Haben wir ja auch getan�, erwiderte Ferris mit einem breiten Grinsen. �Niemand war darauf vorbereitet, und Mac ...� Er brach ab und ging zu Mac Pellew hinüber, der sich Abfall und Matsch aus dem Gesicht wischte und immer noch an allen Gliedern zitterte. Er half ihm vorsichtig auf die Beine, während der Profos kopfschüttelnd und grinsend den Abfallkübel schnappte und ihn über Bord leerte. Ein paar matschige Überreste fegte er durch die Speigatte hinterher. Jetzt erst hatten die anderen begriffen, daß keine unmittelbare Gefahr mehr von dem höllischen Ding ausging, und fast jeder atmete erleichtert auf. Ferris sammelte die Überreste ein und betrachtete sie eingehend. Sie sahen aus wie verbranntes und zerfetztes Papier, das an den jeweiligen Knotenstellen aufgerissen war. Es war noch warm und roch nach Schießpulver. �Das war ein toller Effekt�, sagte Carberry. �Da kann ich dem Sir nur beipflichten: Auch mir hat es einen Schrecken eingejagt. Das wäre doch eine Überraschungswaffe gegen angreifende Piraten.� �Eigentlich war das nur ein zufälliges Nebenprodukt�, meinte Ferris, �es fiel mir nur so ein. Wir wollten ja versuchen, die Brandsätze nachzubauen, denn die sind wichtiger als dieser Kracher.� �Trotzdem sollte man das nicht aus den Augen verlieren. Solche Dinger sorgen für Angst, Schrecken und Verwirrung. Die Kerle würden glatt das Kämpfen im ersten Schreck vergessen, und man könnte das ausnutzen, um sie blitzschnell abzuräumen.� �Das wäre möglich�, überlegte Ferris. Auch Hasard war dafür, sich mit ähnlichen Dingen ruhig weiter zu beschäftigen, denn wenn Ferris etwas anfing, kam meist auch etwas Vernünftiges dabei heraus.

Seewölfe 721 Fred McMason 10 Zum Kampf gestellt

Al und dem Zimmermann ging es aber vordringlich um den Nachbau der Brandsätze, obwohl Ferris jetzt ein Ding von Riesengröße im Schädel herumspukte und ihn nicht mehr losließ. Im Geiste sah er vor sich ein armdickes und entsprechend langes Monstrum, das schlagartig ein paar Dutzend Kerle an den Rand des Wahnsinns trieb, wenn es auf den Planken herumhüpfte, Funken spie und entsetzlich laut knallte. Verbissen arbeiteten sie weiter, klebten Papier zu Rollen, setzten kleine Bodenstücke für die Kammern ein und ließen sie trocknen. Aus der Pulvermischung wurden kleine Kugeln gedreht und das alles schließlich in die Papphülsen gefüllt. Sie gingen dabei mit allergrößter Sorgfalt vor, waren sich aber immer noch nicht sicher, ob die Dinger wirklich funktionieren würden. �Ich glaube, wir werden die Wette verlieren�, flüsterte Al Conroy leise, weil der Profos in der Nähe herumlungerte. Ferris schob gerade eine kleine Lunte in die Hülse. �Glaube ich nicht�, raunte er verbissen. �Wir kriegen das schon hin, und wir werden die Wette gewinnen.� Big Old Shane hegte ebenfalls leichte Zweifel am Gelingen. �So ganz überzeugt bin ich doch noch nicht davon. Es ist eine verdammt schwierige Angelegenheit.� Der erste Brandsatz war inzwischen fast fertig. Der Seewolf verließ das Achterdeck und sah sich das Gebilde etwas skeptisch an. �Hat verteufelte Ähnlichkeit mit den richtigen�, stellte er nach einem langen Blick fest. �Hoffentlich beschränkt sich das nicht nur auf das Äußere. Immerhin handelt es sich um eine ultimative Waffe, von der wir gar nicht genug haben können.� �Man müßte das Ding ausprobieren�, sagte Ferris. �Aber wo?� �An Deck jedenfalls nicht�, sagte Hasard. �Das ist mir zu riskant. Explodiert er, dann können wir von der Schebecke Abschied nehmen.�

Ferris und Al brauchten eine geraume Weile, um den Seewolf davon zu überzeugen, daß das Ding zumindest fliegen würde und somit auch keine Gefahr für das Schiff bestand. Sie brannten schon richtig darauf, den Brandsatz auszuprobieren. �Nun gut�, gab Hasard schließlich , nach. �Aber wir sollten schon ein festes Ziel haben, auf das wir feuern können.� Das Ziel bot sich schon etwas später an.

* �Land voraus!� Der Ausruf ließ schlagartig alle herumfahren. Im tonnenförmigen Mastkorb, einer Erfindung Carberrys, stand der Madingo Batuti. Er zeigte seine schneeweißen Zähne und deutete mit der Hand voraus. An der Kimm war jedoch nur ein schmaler und recht dunstiger Streifen zu erkennen, der alles mögliche sein konnte, wenn man flüchtig hinsah. Für die meisten sah der Streifen wie Nebel aus, oder eine kleine Wolkenbank, die sich tief unter die Kimm gesenkt hatte. Die Schebecke lag zu diesem Zeitpunkt auf Ostkurs, und da der Wind nördlich einfiel, segelte sie auf Steuerbordbug liegend mit Backbordhalsen. Erst nach und nach schälten sich Konturen heraus, und aus dem dunstigen Strich wurde ein schmaler Landstreifen. Auch sanft ansteigende Hügel waren nach einer weiteren Weile bereits zu erkennen. �Da haben wir ja ein Ziel�, sagte Ferris Tucker. �An einer unbewohnten Ecke könnten wir ja dicht unter Land gehen, um zu erproben, welche Treffsicherheit unsere neuen Brandsätze haben.� �Bisher sehe ich nur einen�, meckerte Carberry herum, �und das wird bestenfalls ein Rohrkrepierer.� �Bis wir unter Land sind�, belehrte Ferris seinen Freund, �haben wir mindestens drei gebastelt. Du kannst noch etwas Schießpulver holen�, sagte er dann zu dem Moses. �Das Zeug hier ist zu bröselig.

Seewölfe 721 Fred McMason 11 Zum Kampf gestellt

Nimm gutes, körniges Pulver aus einem der Fässer.� Das Bürschchen mit dem blonden Haarschopf verschwand eilig, um Pulver abzufüllen. Als Clint jedoch zurückkehrte, malte sich Bestürzung auf seinem Gesicht, und er sah die Männer fassungslos an. �Was ist?� fragte der Profos. �Hast du ein Gespenst in der Pulverkammer gesehen, einen Pulvergeist vielleicht?� Das Bürschchen schüttelte den Kopf und war ganz blaß. �Das Schießpulver ist verdorben, Mister Profos, Sir.� Seine Gesichtsfarbe wechselte, und jetzt hatte er einen knallroten Schädel. Carberry sah Ferris, dann Al, und schließlich kehrte sein Blick wieder zu dem Moses zurück. Er stemmte die Arme in die Hüften � bei ihm ein Zeichen drohender Gefahr � und musterte das Bürschchen von oben bis unten, bis es noch verlegener wurde. �Hör mal zu, Kleiner�, grollte er dann. �Für die Witze an Bord bin ich zuständig, klar? Auch für die faulen Witze. Das ist bei uns schon Tradition. Wenn du aber weiterhin so faule Witze erzählst, dann, so fürchte ich, wird dir mal dein kleiner Affenarsch durchgeklopft. Ist das klar?� �Aber es ist wahr, ich habe es doch selbst gesehen, als ich Pulver abfüllte.� �Dann hast du was Falsches gesehen�, sagte Ferris ruhig, um den Moses nicht weiter zu erschrecken. �Wir haben vorhin zu dritt die Fässer kontrolliert, und da war alles in bester Ordnung.� �Jawohl, das haben wir�, tönte Ed. �Oder hast du vielleicht heimlich an einer Buddel genuckelt?� �Ganz bestimmt nicht, Mister Profos, Sir. Ich weiß, daß ihr nachgesehen habt, aber inzwischen muß etwas ganz Furchtbares passiert sein. Ich kann es beschwören.� �Nun mal ruhig�, sagte der Seewolf, der unvermittelt neben den Männern auftauchte. Er legte dem Moses die Hand auf die Schulter, weil der Kleine ganz durch den Wind war, und nickte ihm zu.

�Du hast dich bestimmt geirrt, Junge. Nur ein Faß ist verdorben, die anderen sind in Ordnung.� Clint nahm allen Mut zusammen und sah Hasard in die eisblauen Augen. �In dem einen Faß ist nur die oberste Schicht körnig und trocken, Sir. Darunter ist alles steinhart.� Die Männer sahen sich besorgt an. Der Profos räusperte sich die Kehle frei und hustete dann dezent. �Das kann doch nicht sein�, sagte er und krächzte wieder. �Wir haben das Zeug doch in der Hand gehabt.� �Vermutlich nur die oberste Schicht�, sagte Hasard. Daraufhin nickte Carberry sehr kläglich, und Ferris Tucker senkte verlegen den Blick. Shane, der ebenfalls an der Kontrolle teilgenommen hatte, strich mit der Rechten nachdenklich über seinen grauen Bart. �Stimmt�, sagte er leise, �nur die oberste Schicht. Wir gingen davon aus, daß ...� Hasard unterbrach ihn mit einer Handbewegung. �Das sehen wir uns selbst einmal an. Vertrauen ist gut, Kontrolle aber noch besser. Von dem Schießpulver hängt schließlich unser Leben ab, nicht wahr?� Drei Männer folgten ihm ziemlich kleinlaut, als er zur Pulverkammer ging und das Schott öffnete. Der Moses folgte ihnen. Die kleine Pulverschaufel trug er noch in der Hand. �Dieses Faß ist es, Sir�, sagte Clint leise und deutete auf ein Pulverfaß, das wieder sorgfältig verschlossen war. Hasard öffnete es und griff probeweise mit der Hand hinein. Er fühlte körniges, trockenes Pulver zwischen seinen Finger und sah den Moses dabei an. �Weiter unten, Sir.� Clint reichte ihm die kleine Schaufel. Der Seewolf räumte die obere Schicht beiseite, eine knappe Schaufeltiefe, dann stieß er auf steinharten Untergrund. Dort war das Pulver wie gebacken und so fest daß die Schaufel einen hellen Klang von sich gab.

Seewölfe 721 Fred McMason 12 Zum Kampf gestellt

Ferris stand schluckend daneben. Der Profos sagte kein Wort, und Big Old Shane strich wieder durch seinen Bart. �Damit können wir nichts mehr anfangen�, sagte Hasard. �Nur gut, daß Clint es rechtzeitig bemerkt hat. Würden wir uns in einem Gefecht befinden, dann gute Nacht, Senores. Wir könnten dann mit unserem Leben abschließen.� �Ein unverzeihlicher Fehler�, murmelte Ferris bedrückt. �Sonst sind wir immer exakt, und jetzt ...� �Ich will euch keinen Vorwurf machen�, sagte Hasard. �Ich selbst hätte mich wahrscheinlich auch damit begnügt, ein paar Hände voll abzuräumen, und wäre gar nicht auf die Idee verfallen, daß das Pulver weiter unten unbrauchbar ist. Hoffentlich ist dieses Faß eine Ausnahme, sonst sehe ich schwarz.� Ferris ging wortlos zum nächsten Faß und öffnete es. Sein Gesicht war etwas faltig geworden, die Lippen hatte er zusammengepreßt, daß sie nur noch ein schmaler Strich waren. �Deiner Aufmerksamkeit haben wir viel zu verdanken�, sagte der Seewolf zum Moses. �Die Überraschung hätte für uns tödlich verlaufen können, Junge.� Clint sagte nichts. Ihm war es peinlich, daß den anderen ein nachlässiger Fehler unterlaufen war und sie jetzt recht bedrückt herumstanden. Beim zweiten Faß fühlte Hasard, daß sich langsam, aber sicher seine Haare aufrichteten. Er stieß mit der Schaufel tief hinein und prellte sich das Handgelenk. Auch hier war wieder das klirrende Geräusch zu hören, als er auf eine steinharte Masse stieß. �Verdammt noch mal!� entfuhr es ihm. �Wie ist das nur möglich?� �Ich weiß im Augenblick keine Antwort darauf�, sagte Ferris. �Die Fässer müssen sich mit Seewasser von unten her vollgesogen haben. Als das Wasser dann ablief, erreichte es die oberen Schichten nicht mehr. Wir haben die Fässer anschließend ja sofort an der Sonne getrocknet.�

Das dritte Faß war an der Reihe. Zwei Handbreit körniges Pulver, dann folgte wieder die schon sattsam bekannte Granitschicht. �Wenn das so weitergeht�, sagte Hasard erbittert, �dann haben wir bestenfalls Pulver für zwei oder drei Ladungen. Danach müssen wir vor jedem Schnapphahn flüchten, oder unsere letzten Brandsätze einsetzen, aber das will ich nicht riskieren. Ein Witz ist das! Wir, die Arwenacks, kneifen aus, weil wir kein Pulver mehr haben. Und das ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, wo wir uns der Küste nähern, wo unsere guten Freunde, die Portugiesen, auf uns warten.� �Tut mir wirklich leid, Sir�, sagte Ferris kaum hörbar. �Es hätte wirklich nie passieren dürfen.� Shane und der Profos nickten ebenfalls schuldbewußt. Sie ließen doch ziemlich die Köpfe hängen. �Beim Kentern muß in der Pulverkammer ein Hohlraum entstanden sein, eine große Luftblase�, führte Ferris aus. �Als das Wasser langsam ablief, befand sich der obere Teil der Fässer an der Luft, und von unten drang Seewasser ein, so wie ich erst schon gesagt habe.� �Schon gut�, erwiderte der Seewolf. �Wir müssen von dem Pulver retten, was noch zu retten ist, oder wir müssen unseren Kurs ändern und an der Westküste Sumatras vorbeisegeln, aber gerade das wollte ich vermeiden, weil es für uns ein Umweg ist.� Ferris hebelte weitere Fässer auf und erlebte immer wieder die gleiche Pleite dabei. Sobald die Schaufel ein Stückchen in dem Pulver verschwunden war stieß sie auf Widerstand, und jeder wußte, was das bedeutete. Shane nahm ein leeres Faß und füllte das Pulver, das noch brauchbar war, mit der Schaufel um. Viel war es allerdings nicht, was da zusammenkam. Alles in allem hatten sie nach Durchsicht der letzten Fässer gerade mit Mühe und Not ein knappes halbes Faß zusammengebracht. Eines der Fässer mit dem unbrauchbaren Zeug brachten sie nach oben an Deck.

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Die anderen Arwenacks hatten mittlerweile schon erfahren, was mit dem Pulver passiert war, und daß ihnen die Hölle bevorstand, falls sie auf portugiesische Schiffe stießen. Am meisten bedrückt war Al Conroy, der Waffen- und Stückmeister, der es sich selbst nicht verzieh, nicht genauer kontrolliert zu haben. Das mußte erst so einem gewitzten Bürschchen wie dem Moses auffallen. Mit dem Kuhfuß stocherte er mißmutig in dem verkleisterten und steinharten Zeug herum, bis er ein paar Stücke losbrach und sie auf den Planken zerkleinerte. �Wir feuern einen Probeschuß ab�, sagte Hasard. �Ich möchte wissen, ob das Pulver noch funktioniert, wenn es zerstoßen wird.� �Ich fürchte, es wird nicht mehr richtig zünden�, entgegnete Al. �Die Substanz des Pulvers dürfte durch das Seewasser restlos verdorben sein.� �Wir versuchen es trotzdem. Ladet eine Culverine damit.� �Mit oder ohne Kugel?� �Mit Kugel, um den Effekt besser beobachten zu können.� Die Culverinen, die vorübergehend nach dem Kentern ein paar Tage auf dem Meeresgrund gelegen hatten, waren wieder geputzt und glänzten matt im Licht der Sonne. Ein Siebzehn-Pfünder wurde in das Rohr geschoben, die Kammer mit Pulver gefüllt, die Kugel festgerammt. Hasard sah zum Land hin. Es war jetzt deutlicher zu erkennen und nicht mehr so dunstig. Aber ein Schuß aus der Culverine mußte meilenweit zu hören sein und konnte Aufmerksamkeit erregen. Er wandte sich an Dan O'Flynn, der mit dem Spektiv das Land in Augenschein nahm. �Kannst du etwas erkennen, Dan? Ansiedlungen, Fischerdörfer, oder ein paar Leute?� �Nein, nichts. Es scheint alles wie unberührt zu sein. Nicht einmal Fischerboote sind zu sehen. Auf etliche

Meilen scheint hier keine Menschenseele zu hausen.� Hasard nickte. Der nördliche Küstenteil von Malaysia war allem Anschein nach nicht bewohnt, oder höchstens weiter im Landesinnern mochten ein paar Stämme existieren. �Fertig?� fragte er. �Fertig, Sir�, bestätigte Al Conroy. Das Rohr war auf See gerichtet und zielte nach Norden. Dan O'Flynn stand bereit, um sich die Stelle zu merken, wo die Kugel einschlagen und eine Fontäne hochreißen würde. Er war sich sicher, daß sie nicht einmal zweihundert Yards weit fliegen würde. Al Conroy blies die Lunte an, während die Arwenacks herumstanden und auf ein Wunder warteten. Als er sie auf das Zündkraut preßte, war ein feines Knistern zu hören. Die Funken fraßen sich durch und erreichten das Pulver. Das Knistern wurde lauter, aus dem Rohr drang eine Rauchfahne, erst graublau, dann schmutzig-braun. In das Knistern mischte sich ein gefährliches Zischen. Ein langer Funkenregen schoß aus dem Rohr. Ziemlich wirkungslos brannte das Pulver dann ab, bis das Deck in fetten schwarzen Qualm gehüllt war, den erst der Wind langsam vertrieb. �Wunderbar�, sagte der Seewolf trocken. �Ein hervorragender Schuß. Ein potentieller Gegner hätte spätestens jetzt den ersten Lachkrampf gekriegt. Stellt euch einmal eine solche Breitseite vor! Da geht doch bei den anderen das große Gipsen um, wenn wir selbst im Qualm dastehen und praktisch blind sind.� �Ich habe nichts anderes erwartet�, knurrte Al. �Bei Schwarzpulver zersetzen sich Schwefel und Salpeter, wenn es mit Seewasser in Berührung kommt. Der Rest taugt nichts mehr.� Das Rohr der Culverine qualmte immer noch und stieß eine üble dunkle Wolke aus. Auch der Geruch wurde langsam unerträglich. Hasard war verbiestert, obwohl er sich noch recht unverbindlich gab. Aber sie

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sahen es an seinen eisblauen Augen, in denen es jetzt zu glitzern begann. �Was jetzt?� fragte er. Die Frage war eigentlich an keinen direkt gerichtet, aber Don Juan, der Spanier, griff sie auf. �Es bleiben nicht viel Möglichkeiten�, meinte er. �Eine davon hast du schon angesprochen: Kursänderung, und dann an der Westküste Sumatras entlang in die Bandasee segeln. Oder weiter durch die Straße von Malakka, mit dem Risiko, auf Portugiesen zu treffen, die dort so zahlreich wie in Indien vertreten sind. Die erste Möglichkeit ist ein Umweg, denn wir müssen wieder ein Stück zurück.� �Oder wir segeln dicht unter der Ostküste von Sumatra weiter�, schlug Dan O'Flynn vor. �Dort ist die Wahrscheinlichkeit, auf Portugiesen zu treffen, weitaus geringer, denn sie halten sich mehr auf der anderen Seite auf, wo sie auch ihre Befestigungen haben.� �Ich weiche nicht gern vom einmal eingeschlagenen Kurs ab�, meinte Hasard. �Wir können eine Breitseite abfeuern, dann haben wir, wie man so schön sagt, unser Pulver verschossen.� �Noch haben wir die Brandsätze, Sir, für den Notfall natürlich.� �Ja, das ist ein Argument.� �Und die neugebauten ebenfalls�, sagte Ferris Tucker. Diesmal lächelte der Seewolf knapp und flüchtig. �Quod erat demonstrandum�, sagte er spöttisch. �Was meint der Sir?� fragte Carberry den Kutscher, der immerhin ein gelehrter Mann war und sich mit lateinischen Sprüchen auskannte. �Er meint, was zu beweisen wäre.� �Na, dann sollen sie es doch beweisen, aber auf englisch und nicht immer in dieser verdammten Labersprache.� �Gebildete Leute geben oftmals Weisheiten in Latein von sich�, sagte der Kutscher würdevoll. �Vielleicht trifft das eines Tages auch mal auf dich zu.� �Hab' nicht vor, Papst zu werden�, knurrte der Profos.

�Wäre auch der unrühmliche Untergang der Religion, du als Papst.� Conroy und Finnegan kratzten mit ziemlich mürrischen Gesichtern das Rohr aus und husteten, wenn ihnen Reste des beizenden Qualmes in die Lungen drangen. Das Rohr war verklebt und verkrustet, und die Pulverrückstände ließen sich nur sehr mühsam entfernen. �Sollen wir jetzt mal mit dem demonstrandum anfangen?� fragte Ferris Tucker. �Wir sind bald unter Land, und da haben wir auch ein Ziel.� �Meinetwegen�, sagte Hasard, der sich von dem Experiment nicht allzu viel versprach. �Baut die Dinger weiter. Später versuchen wir es einmal.�

3. Die Schebecke hielt jetzt genau auf das Land zu, das so einsam und verlassen vor ihnen lag, als habe es noch nie ein Mensch betreten. Die Vegetation war tropisch, von sattgrüner Farbe. Die Strände waren weiß und lang und glitzerten vom Kalk winziger Muscheln wie Diamanten, wenn die Sonne sie beschien. Kleine Landzungen sprangen überall vor. Die meisten waren mit hohen Kokosnußpalmen bewachsen, und hin und wieder gab es auch riesige Haine davon, wie wildwuchernde Plantagen. In dieser Idylle fehlten die Menschen, denn hinter den Stränden begann dichter Verhau, wilder Dschungel oftmals, der sich über die Hügel bis zu fernen Bergen fortsetzte. Die einzigen Lebewesen waren Seevögel, die die leeren Strände bevölkerten oder die in den seenahen Hügeln ihre Nester hatten. Schon bei der ersten Annäherung stoben sie massenweise auf und erhoben sich unter lautem Gezeter in die Luft. Wie eine riesige Wolke flatterten sie aufgescheucht davon. �Ein meilenweites Erkennungszeichen�, sagte Hasard, als die Vögel unter lautem Gekreische aufstoben. �Das ist genauso

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gut, als würde man einen Schuß aus der Culverine abfeuern.� Leichte, kaum schaumige Wellen liefen auf die flachen Strände zu und verloren sich im Sand. Weit vor ihnen, auf einer kleinen Huk, stand eine einsame Palme, deren Wipfel vom Wind gebeutelt waren. Die Blätter waren vom Sturm zerfranst und die Nüsse längst abgefallen. Sie trotzte der anlaufenden Brandung und war schief gewachsen. �Das wäre ein Ziel�, sagte Ferris Tucker. �Dadurch könnten wir unter Beweis stellen, ob die neuen Dinger funktionieren.� �Vergiß nicht�, mahnte Hasard, �daß ihr ebenfalls von dem verklebten Schießpulver genommen habt. Ich möchte euch nur eine riesengroße Enttäuschung ersparen.� �Wir haben aber auch zum Teil körniges genommen�, sagte Ferris. �Ich bin trotzdem vom Erfolg überzeugt. Und außerdem können wir die Dinger gerade in unserer jetzigen Situation bitter nötig gebrauchen.� �Gut, probieren wir es jetzt aus. Wir gehen noch etwas dichter unter Land und nehmen die Segel weg, damit wir ein relativ ruhiges Ziel vor Augen haben.� Carberry war schon ganz bei der Sache und purrte die Kerle hoch. �Habt ihr nicht gehört, ihr Bilgenratten�, rief er. �Fiert die Rahmten weg, hurtig, hurtig. Schließlich geht es außerdem noch um eine Wette, deren Bezahlung jetzt fällig wird.� Smoky beeilte sich so, daß er fast mit dem Schädel an den Fockmast geknallt wäre, hätte Stenmark ihn nicht gerade noch festgehalten. Der Decksälteste war sich seines Sieges absolut sicher. Die Rahruten wurden abgefiert, bis die Schebecke nur noch leicht in der See dümpelte. Die Entfernung bis zu der einsamen Palme betrug etwa dreihundert Yards. Für einen normalen Brandsatz war das ein Klacks, und so wurde Ferris vom Seewolf gefragt, ob ihm diese Distanz genüge, oder sie dichter heransegeln sollten.

�Das reicht, muß reichen�, sagte Ferris, der den ersten Brandsatz bereits im Abschußgestell liegen hatte. �Die Huk da vorn ist etwa so lang wie ein mittleres Schiff, und die Palme sehe ich einfach als Großmast an.� �Er hatte schon immer eine rege Phantasie�, raunte der Profos Smoky zu. �Vielleicht krabbeln im Sand noch ein paar Krebse, die er als Besatzung identifiziert. Das Fäßchen können wir getrost schon zumindest im Geist ausnuckeln. Das wird doch nie etwas.� �Nie�, versicherte Smoky lebhaft. Vorsorglich standen etliche Arwenacks mit Sandpützen und Schwabbern bereit, um das Feuer über Bord zu fegen, oder es zumindest eindämmen zu können, falls ein Unglück geschah. In so einem Fall mußte blitzartig gehandelt werden. �Das nennt sich nun Freundschaft�, tönte der Kutscher hinter ihnen. �Ihr zweifelt an seinem Können.� �Wir doch nicht�, entrüstete sich der Profos. �Nun ja, wir meinen eben nur, daß es nicht so klappt wie bei den echten Dingern. Mit Freundschaft hat das nichts zu tun, Kutscher. Ferris ist doch ein Genie, er wird das schon hinkriegen. Und wenn nicht ...� Der Rest war ein verschwörerisches Grinsen. �Jaja�, meinte der Kutscher. �Audacter Calumniare semper aliquid haeret.� �Langsam gehst du mir mit deinen verdammten Sprüchen mächtig auf den Geist�, knirschte Ed. �Kein Mensch kapiert das wieder.� �Verleumde kühn, etwas bleibt immer hängen�, sagte der Kutscher hoheitsvoll. �Na, dann Prost, ihr Zweifler.� �Könnt ihr mal euren Schnabel halten�, fauchte Ferris. �Das Gelaber zieht einem ja den letzten Nerv. Ich muß mich konzentrieren.� �Ruhe!� befahl der Seewolf. �Stört Al und Ferris jetzt nicht. Es geht nicht nur um eine Spielerei. Verstanden, Mister Carberry?� �Aye, aye, Sir, verstanden.�

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Während das Schiff leicht dümpelnd vor der Küste lag, richtete Ferris ein letztes Mal den Brandsatz aus. Neben ihm stand das blonde Bürschchen mit einer glimmenden Lunte und verfolgte begierig jeden Handgriff. Ferris nahm ihm die Lunte aus der Hand und drückte sie auf die andere Lunte des Brandsatzes. Die Arwenacks hielten unwillkürlich den Atem an.

* Es war wie bei den normalen chinesischen Brandsätzen auch. Das Ding sprühte knisternd Funken, begann dann zu fauchen und hob im spitzen Winkel ab. Hinter sich her zog es eine Qualmspur, nicht so bläulich wie die der anderen, sondern schwarzgrau. Auch das Tempo entsprach in etwa dem der anderen Dinger. Atemlos wurde der Flug verfolgt, als das Ding jaulend auf die Huk zuschoß und sich ihr blitzschnell näherte. Ein paar rissen die Arme hoch und brüllten laut: �Hurra�. Anschließend folgte die Ernüchterung. Dicht vor dem Ziel platzte der Brandsatz mit einem berstenden Knall auseinander. Normalerweise hätte es jetzt Feuer vom Himmel regnen müssen, Feuer in vielen bunten Farben, doch in dem Ding steckte der Satan persönlich. Es zerbarst mit einer unglaublichen Wucht dicht vor der Palme und begann dann unter pechschwarzer Qualmentwicklung zu rauchen. Der schwarze Qualm wurde immer dichter, stickiger und hüllte die Landzunge zur Verblüffung der Arwenacks so ein, bis eine kompakte Nebelwand von schwarzer Farbe entstand. Die einsame Palme hüllte sich in Rauch, die grüne Vegetation verschwand zusehends unter einer dichten Qualmglocke, und innerhalb kurzer Zeit bestand die Landzunge nur noch aus einer schwarzwogenden Fläche, deren Boden nicht mehr zu sehen war.

Der Qualm begann sich erst nach etlichen Minuten ein wenig zu lichten und strebte zerfasernd in die Höhe. Aber selbst dabei hüllte er noch alles ein und ließ die Umrisse der Palme nur vage erkennen. Hasard war tief beeindruckt. Die anderen standen da und starrten auf den unheimlichen Pilz, der über der Huk wie ein dunkles Gespenst hin und her waberte. �Mist�, sagte Ferris ih die Stille hinein. �Ich gebe zu, daß ich die Wette verloren habe. Der Erfolg hat sich doch nicht eingestellt.� �Tut mir leid�, sagte der Profos, ohne diesmal zu heucheln. �Ich hätte es dir und uns ja gern gewünscht. Immerhin hat es eine Menge schwarzen Qualm gegeben, und die Huk ist immer noch nicht genau zu erkennen.� Al Conroy hob hilflos die Schultern. �Ein bißchen Qualm ist ein schwacher Trost. Immerhin hat das Ding zumindest sein Ziel gefunden und raste nicht unkontrolliert davon.� Hasard sagte vorerst gar nichts. Er stand nur da und blickte unverwandt auf die schwarzen Wolken. Am Boden glaubte er ein leichtes Glühen zu erkennen, aber er konnte sich auch irren. Er drehte sich erst dann um, als der dichte Qualm nach fünf, sechs Minuten langsam höher zog und zerfaserte. �Was wollt ihr eigentlich?� fragte er. �Ich selbst bin mit dem Erfolg durchaus zufrieden. Stellt euch nur einmal vor, ein Schiff wird von diesem Ding getroffen. Was passiert dann?� Ben Brighton, der ebenfalls auf die Landzunge blickte, brauchte nicht lange zu überlegen. �Das Schiff hüllt sich in Qualm, und zwar in so schwarzen und dichten Qualm, daß an Bord praktisch jeder wie blind ist. Die Besatzung hat keine Sicht mehr, und es dauert sehr lange, bis man wieder einiges erkennt. Das würde uns zu einem enormen Vorsprung verhelfen und uns jederzeit aus unmittelbarer Gefahr bringen.� �Sehr richtig. So sehe ich das auch�, sagte der Seewolf. �Was ihr da

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zusammengebastelt habt, ist einfach genial. Und das alles mit Hilfe von verkrustetem Schießpulver. Meine Hochachtung. Ihr anderen solltet mal darüber nachdenken.� �Stimmt�, gab der Profos zu. Er schluckte ein wenig. �Das verschafft uns tatsächlich einen Vorteil. Außerdem rechnet niemand mit so einem äh ... Dings ... Rauchdings. Wenn uns so etwas um die Ohren fliegt, würden wir auch ganz schön dumm dastehen.� Jetzt brach die Begeisterung auch bei den anderen durch, zumal der schwarze Qualm immer noch zu sehen war. Die Palme war jetzt zu erkennen, doch die Vegetation am Boden war noch immer dunkel, und die Schwaden krochen zäh in Kniehöhe am Boden entlang. �Und die Wette?� fragte Smoky kleinlaut. Der Seewolf fällte ein salomonisches Urteil. �Das Fäßchen spendiere ich, und ihr vergeßt eure Wette. Es ist ja nicht so, daß wir keinen Erfolg hatten. Also stoßen wir später auch gemeinsam darauf an. Einverstanden?� Und ob sie einverstanden waren! �Sehr weise�, ließ sich Smoky vernehmen. �So hat jeder etwas davon. Die Wette ist ungültig. Ferris, Al und Shane haben etwas Neues erfunden, und das muß begossen werden.� �Jetzt stellt sich die Frage�, sagte Ferris nachdenklich, �ob das nicht nur ein Zufall war. Ich schlage vor, wir probieren noch einen weiteren aus, um später keine Pleite zu erleben. So eine neue Sache muß doch erst einmal genau erprobt werden.� �Wenn der zweite auch funktioniert, sind wir auf dem richtigen Weg�, sagte Al Conroy, der jetzt ebenfalls begeistert war. �Und es bereitet uns keine große Mühe, weitere von den Dingern herzustellen. Damit können wir eine Menge Schiffe einnebeln und uns in der Zwischenzeit in aller Ruhe empfehlen. Der Gegner hat kein Ziel mehr, wenn er in schwarzem Qualm steht.� �Gut, dann noch einmal das gleiche�, meinte Hasard. �Als Ziel nehmen wir abermals die Landzunge mit der Palme. Ich

bin wirklich sehr gespannt, ob der gleiche Effekt erzielt wird.� �Mich wundert nur, daß die Dinger so haargenau geradeaus fliegen�, meinte Matt Davies. �Eigentlich müßten sie doch durch die Luft schwirren wie wildgewordene Hummeln. Oder sie müßten zur Seite hin ausbrechen.� Ferris erklärte es ihm. �Das Führungsrohr muß eine gewisse Länge haben, sonst fliegen die Brandsätze unkontrolliert in der Gegend herum. So aber beschleunigen sie in dem Rohr und halten die Flugbahn ein, die sie draufhaben. Allerdings feuern die chinesischen Brandsätze noch genauer.� �Die Chinesen haben sie ja auch nicht in ein paar Stunden entwickelt.� �Nein, sie haben jahrelang daran gearbeitet, bis sie soweit waren.� �Dann könnt ihr euch geehrt fühlen�, meinte Matt Davies. Ein paar Augenblicke später, die Schebecke dümpelte immer noch an fast der gleichen Stelle, wurde das zweite �Ding� in das Abschußgestell geschoben und gezündet. Ferris nahm abermals sehr genau Maß, ehe er die Lunte an den kurzen Docht drückte. �Ich glaube, man kann die Reichweite beliebig verändern, indem man ganz einfach die Pulvermenge anders dosiert. Man kann sie natürlich auch wesentlich größer bauen.� Es war der Stückmeister, der das nachdenklich sagte und dabei schon an eine weitere Verbesserung dachte. �Sicher kann man das�, erwiderte Ferris über die Schulter. �Fragt sich nur, ob einem die Dinger bei einer gewissen Größe nicht um die Ohren fliegen und explodieren.� �Das müßte man mal ausprobieren.� Der Brandsatz zischte los, als die Lunte Funken durch das Abschußgestell sprühte. In dem kleinen Bronzerohr entwickelten sich dunkle Dämpfe. Diesmal war ein winziger Feuerschein zu sehen, als das Ding losraste und erneut Kurs auf die Palme nahm.

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Der Effekt war wiederum derselbe. Dicht über dem zerfaserten Wipfel gab es einen lauten Knall. Anstatt der bunten Flammenzungen entwickelte sich dichter, pechschwarzer Qualm, der innerhalb weniger Augenblicke alles einhüllte und unsichtbar werden ließ. Hasard versuchte, sich die Landzunge ebenfalls als Schiff mittlerer Größe vorzustellen. Es fiel ihm nicht einmal so schwer. Wer da jetzt �an Bord� war, der war praktisch blind und hatte keine Sicht mehr auf das, was um ihn herum vorging. Wenn sie jetzt an den Geschützen standen, dann konnten sie nur blindlings feuern und mußten sich auf einen Zufallstreffer verlassen. Aber das war eine reine Glückssache. Sie selbst hätten sich jetzt mit der Schebecke entweder klammheimlich empfehlen oder in den schwarzen Nebel hineinschießen können, wobei sie sicher sein durften, ein paar Treffer anzubringen. Alles war jetzt schwarz, und das zog sich in die Länge, bis die Landzunge nur noch als vager Umriß zu erkennen war. In der Schwärze zuckten winzige Blitze auf, lautlos und gespenstisch, wie Leuchtkäfer, die aufglühten und wieder erloschen. Ob sie Schaden anrichteten, war nicht zu erkennen. �Das sind die kleinen Kügelchen�, erläuterte der Stückmeister. �Sie explodieren nicht, sie verglimmen nur. Aber der Abschreckungseffekt dürfte damit erreicht sein.� Hasard nickte, während er beobachtete. �So sehe ich das auch. Eine höllische Bescherung ist das.� Er drehte sich um und gab Pete Ballie einen schnellen Wink. �Dichter unter Land, Pete. Ich will mir das aus der Nähe ansehen.� Dan O'Flynn zog sich grinsend sein Hemd über den Oberkörper, als die Schebecke dichter unter Land ging. �Ah, du willst in dem Qualm rumwaten�, sagte der Profos. �Wenn der Sir gestattet, gehe ich mit und melde mich von Bord.� Der Sir gestattete es lächelnd.

Dort wo das Wasser so klar war, daß man bis auf den Grund sehen konnte, sprangen die beiden über Bord und. schwammen die kurze Strecke bis zu der Landzunge. Aus der Sicht der anderen waren sie verschwunden, als sie an Land gingen. Sie schienen sich im starken dunklen Nebel zu verflüchtigen. Carberry zog angewidert die Nase hoch und hatte alle Mühe, Dan O'Flynn in dem dichten Nebel zu erkennen. Er tastete sich weiter vor, bis er gegen den Stamm der Palme prallte. Alles war voller schwarzer Schlieren, die keine Sicht gestatteten. Der Geruch, den Naphtha, Schwefel und das andere Zeug verströmten, ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Dicht neben sich hörte er Dan's Stimme. Sie klang gedämpft und schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. �Man sieht ja kaum noch die Hand vor den Augen.� Dan sagte es hustend und würgend. �Kannst du die Schebecke sehen?� fragte Ed. �Nein, nicht mal ihre Umrisse.� �Stell dir vor, dies wäre jetzt ein Schiff und wir stünden an den Geschützen, Dan. Da sieht man doch verdammt alt aus, was, wie?� �Das kannst du laut sagen. Ein Ziel aufzunehmen ist einfach unmöglich geworden. Der verdammte Qualm erstickt einen fast.� Sie standen jetzt dicht nebeneinander und blickten auf den Boden, wo erneut schwarze Nebelschwaden über dem Grund wallten, sich ausbreiteten und langsam in die Höhe strebten. Trotz des üblen Geruches harrten sie aus und beobachteten alles sehr genau, denn schließlich waren sie hier, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Carberry bückte sich und zuckte zurück, als dicht vor seiner Nase ein winziger Blitz an seinem Amboßkinn vorbeischoß. Gleichzeitig war ein leises Knistern zu hören.

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Der Funke bewirkte eine neue Qualmwolke, die sich noch verstärkte, als weitere Funken stoben. �Einfach toll�, rief er hustend aus. �Die kleinen Kugeln erzeugen immer wieder neuen Qualm, wenn sie explodieren. Das geht solange, bis sie ausgeglüht sind.� Der Rauch wurde noch fetter, noch widerlicher und war kaum noch zum Aushalten. Wie blind irrten sie durch den Nebel, obwohl sie genau wußten, wo sie sich befanden. Nur ein paar Yards weiter begann auf jeder Seite der Huk das Meer. Schließlich hielten sie es nicht mehr aus und taumelten zum Wasser. Dort war es wieder hell, und auch die Schebecke war jetzt klar und deutlich zu erkennen. Sie hatte ein Segel gesetzt und trieb unendlich langsam an ihnen vorbei. An Deck standen winkende Arwenacks. Die beiden winkten zurück und sahen sich um. Hinter ihnen befand sich eine kleine Welt aus dunklem Qualm, die in den Konturen verschwamm und nur schwer als Landzunge zu identifizieren war. Es sah aus wie nach einem fürchterlichen Brand, wenn der dunkle Rauch noch aus der Asche stieg. �Nichts wie an Bord�, sagte Dan würgend. �Das ätzt und brennt wie das Höllenfeuer. Aber die Wirkung ist einfach umwerfend, das läßt sich nicht bestreiten.� Sie schwammen zum Schiff zurück und enterten auf, froh, wieder frische Luft atmen zu können. �Das ist die reinste Hölle�, sagte Dan und erklärte haarklein, was sie in dem Qualm empfunden hatten. �Die kleinen Kugeln erzeugen also immer wieder aufs neue Rauchwolken?� fragte der Seewolf. �So ist es. Mir haben sie fast die Bartstoppeln abgesengt�, bestätigte der Profos. �Ich bin auf eine draufgetreten, doch das half nicht. Sie knisterte trotzdem weiter, und sie qualmen selbst auf dem Wasser noch eine ganze Weile.� �Das wäre dann auf den Planken eines Schiffes etwa dasselbe. Man sieht die

Blitze erst, wenn es zu spät ist. Die Rauchentwicklung ist ja mehr als enorm.� Al, Ferris und Big Old Shane hörten gespannt zu. �Und die Sicht aus der Pestwolke?� wollte Ferris wissen. �Im Zentrum keine Sicht. Da ist alles finster wie im Holzkohlensack. Wir haben nicht einmal die Umrisse des Schiffes gesehen.� �Dann sollten wir mehr von den Dingern anfertigen�, sagte Hasard, �und zwar nach dem gleichen Muster. Wir segeln also auf unserem Kurs weiter, auch mit weniger Schießpulver. Schließlich haben wir noch die Flaschenbomben, im äußersten Fall die chinesischen Brandsätze und zur Not eben diese Dinger, die so unheimlich viel Rauch entwickeln. Ich glaube, daß wir damit auch dann durchkommen, wenn es kritisch werden sollte.� �Ich werde noch ein paar spezielle Schuhe anfertigen�, sagte der Profos. �Wir müssen eben mit Haken und Ösen kämpfen, wenn wir so knapp dran sind. Bei einem Enterkampf hat es bisher immer Tränen gegeben, sobald die Nagelschuhe im Einsatz waren.� Die Arwenacks wußten, was er meinte und grinsten sich eins. Carberrys spezielle Schuhe waren längliche Nagelbretter, die unter dem Schanzkleid ausgelegt wurden. Wer sich an einem Fall hinüber schwingen ließ und in den Nagelbrettern landete, hatte nichts mehr zu lachen, zumal der Gegner sie erst sah, wenn es bereits zu spät war. Auch damit hatten sie schon gute Erfahrungen gesammelt.

4. Die Küste veränderte sich kaum, als sie dicht unter Land daran vorbeisegelten. Nur an Backbord war jetzt Land zu sehen. Sumatra lag irgendwo hinter der südlichen Kimm. Sie würden erst mehr sehen, wenn sich die Straße von Malakka verengte. Der Seewolf wollte auch nicht ausweichen und vor den Portugiesen flüchten, solange noch keine in Sicht waren, denn vorerst hatten sie noch ein kleines Problem.

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�Mit dem Proviant sieht es schlecht aus, Sir�, sagte der Kutscher am späten Nachmittag. �Das letzte Fleisch gab es heute, und dir ist sicher aufgefallen, daß es Pökelfleisch war. In den Fässern ist noch etwas Mehl, Öl haben wir auch genug, aber an allem anderen fehlt es jetzt doch sehr. Das meiste ist leider verdorben, als unser Schiffchen kieloben trieb.� �Ist mir bekannt, -Kutscher, war aber auf dem Törn durch die Andamanensee nicht zu ändern. Deshalb wollte ich ja so schnell wie möglich diesen Küstenstrich erreichen. Sobald wir ein Fischernest oder einen ähnlichen Ort entdecken, laufen wir ihn an und kaufen Proviant ein. Wie steht es mit dem Trinkwasser?� Der schmalbrüstige Kutscher hob die Schultern. �Auch nicht viel besser, Sir. Es fängt schon an, bitter zu schmecken. Ein Zeichen, daß sich kleine Algen darin festgesetzt haben. Wir haben die Fässer zwar ausgeschwefelt, aber es läßt sich bei der großen Hitze leider nicht vermeiden, daß es zu faulen anfängt.� �Wir werden schon bald einen Ort erreichen�, versprach der Seewolf. �Weiter südlich ist die Küste bewohnt, das ist uns bekannt von unserer letzten Reise.� �Und Portugiesen sitzen da auch herum�, bemerkte der Kutscher in seiner trockenen Art. �Die werden sich freuen, an Engländer ihren Proviant zu verkaufen.� �Wir haben uns schon oft mit den Portus arrangiert, sogar in Indien, wo sie eine Vormachtsstellung haben. Vielleicht ist es auch hier möglich. Muß ja nicht direkt in Malakka selbst sein.� Der Kutscher, ein belesener Mann, war da etwas skeptisch. �Hier haben sich ein paar ganz ausgekochte Burschen festgesetzt, Sir, wenn mich meine Kenntnisse nicht im Stich lassen. Der Portugiese Alfonso de Albuquerque hat den größten Teil der malaiischen Küste schon vor -zig Jahren erobert und sich hier niedergelassen. Wir hatten bereits damals Schwierigkeiten mit den hier ansässigen Portugiesen, wenn auch nicht gerade ausgesprochene

Feindseligkeiten. Der Bursche hat damals auch die Malabarküste vereinnahmt.� �Er lebt aber nicht mehr�, sagte Hasard lächelnd. �Er starb anno fünfzehnhundertfünfzehn in Goa, und das liegt schon fünfundachtzig lange Jahre zurück.� �Aber da sind noch seine Nachfahren und andere, die sich hier angesiedelt haben.� �Mag sein. Möglicherweise sind sie heute nicht mehr so hitzköpfig wie früher. Wir werden schon Proviant auftreiben, und was das Trinkwasser betrifft, sehen wir uns einfach mal an Land um.� Der Kutscher war zufrieden und begab sich wieder in die Kombüse, um dort herumzuwerkeln. Der Küstenstrich begann sich jetzt unmerklich zu verändern. Zwar blieb die urwaldähnliche Vegetation noch die gleiche, doch tauchten jetzt überall kleine und große Inseln auf, malerische Flecken in einem leuchtenden Meer von fast kupferner Farbe. Hasard ließ den Abstand zur Küste vergrößern, denn den Inseln waren mitunter tückische Korallenbänke mit ihren messerscharfen Zacken vorgelagert, die ein Schiff von vorn bis hinten aufschlitzen konnten. Einmal tummelte sich ein Hai ganz in ihrer Nähe. Es war ein großes, gefräßiges und gefährliches Exemplar mit einer gewaltigen Dreiecksflosse, die langsam durchs Wasser schnitt. �Ein hungriger und aufdringlicher Bursche�, sagte Blacky. �Aber an uns dürfte er sich wohl die Zähne ausbeißen.� Aus dem Abfallkübel fischte er eine große Schwarte Pökelfleisch hervor und warf sie ins Wasser. Die Reaktion des Räubers war erstaunlich. Das Platschen im Wasser war noch zu hören, als der Hai mit einem wilden Biß zuschnappte. Das Pökelfleisch verschwand hinter einer Doppelreihe messerscharfer Zähne und wurde augenblicklich verschlungen. Aus Jux warf Blacky ein Stück Holz hinterher.

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Ein Zuschnappen, ein Zucken, und schon verschwand es in dem gefräßigen Riesenmaul. Der Hai schien sich noch mehr zu erhoffen, denn er blieb hartnäckig an der Steuerbordseite. Einmal hob er seinen Schädel ein Stück aus dem Wasser, als wolle er seiner Forderung Nachdruck verleihen. �So ein Bursche gibt eine Menge saftiger Steaks�, sagte der Profos nachdenklich. �Weshalb sollte man das nicht umgekehrt versuchen � anstatt daß wir ihn füttern, soll er uns füttern. Wir haben doch sowieso kein Fleisch mehr an Bord, und Hai ist außerdem ein Leckerbissen.� Der größte Teil der Mannschaft lehnte jetzt am Schanzkleid und blickte auf das Monstrum, das ihnen unbeirrbar folgte. Bill und Sam Roskill blickten den Profos fragend an. �Meinst du wirklich, Ed?� �Natürlich. Die Gelegenheit ist günstig. Wer weiß, wann wir wieder etwas Vernünftiges zwischen die Zähne kriegen. Das nächste Fischerdorf kann noch hundert Meilen entfernt sein.� Dem Profos lief schon das Wasser in der Futterluke zusammen, wenn er an das saftige Fleisch dachte. �Dann hole ich die Haken�, sagte Bill und verschwand augenblicklich unter Deck. Hasard war der gewaltige Räuber ebenfalls nicht entgangen. �Warum nicht�, sagte er. �Wenn jetzt einer von euch über Bord fällt, kann er sich darauf verlassen, von den Zähnen zermalmt zu werden. Drehen wir den Spieß eben um. Seid aber vorsichtig. Die Biester sind noch gefährlich, wenn sie fast tot sind.� Urplötzlich begann an Bord das Jagdfieber, das auf alle übergriff. Bill kehrte mit zwei mächtigen Eisenhaken und einer langen Leine zurück. Mit diesen Haken hatten sie schon einmal einen Hai gefangen, und dieser hier nahm alles an Ködern an, was man ihm bot. Er scheute nicht einmal vor Holzstücken zurück. Die Haken wurden miteinander verbunden, bis sie einem Draggen ähnlich sahen.

�Fünf Yards ist der Bursche lang�, sagte Jan Ranse. �Mit dem dürften wir einige Mühe haben.� �Mac, hol ein paar Köderstücke�, rief Ed. �Nimm von dem Pökelfleisch, das Zeug mag sowieso keiner.� Mac Pellew wollte sein Pökelfleisch energisch gegen den Vorwurf verteidigen, aber Ed packte ihn am Kragen und schob ihn auf die Kombüse zu, wo Mac maulend verschwand. Er brachte zwei große Brocken mit, die Carberry sehr sorgfältig an den Draggen spießte. Er preßte sie so tief hinein, daß überall die spitzen Eisenzacken hervorstachen. Jeder andere Fisch hätte den Köder verweigert, aber der Hai war eine unersättliche Freßmaschine und schlang alles in sich hinein, und so würde er auch nicht zögern, zuzuschnappen. Durch lange Erfahrung mit Haien gewitzt, belegten sie erst die Leine an einem Poller, gaben zwanzig Yards Lose und packten den Rest mit den Fäusten. Carberry warf den Köder schwungvoll über Bord.

* Die Dreieckflosse schnitt einmal kurz unter, tauchte aber sofort wieder auf. Der Hai reagierte schon auf das Klatschen im Wasser. Dicht vor seiner Nase versank der Köder im Meer. Mit einer wilden Schwanzbewegung tauchte der Hai ab, und im glasklaren Wasser konnten sie erkennen, wie er sich den Brocken schnappte und gierig verschlang. Anschließend schwamm er noch dichter an die Bordwand heran. �Na, der gefällt mir aber�, sagte Carberry empört. �Frißt unsere Eisenhaken und rührt sich nicht. Wie finde ich das denn?� Was der Hai da soeben verschluckt hatte, schien ihn nicht weiter zu berühren, wie die Arwenacks fassungslos feststellten. Jetzt aber wollte es der Profos ganz genau wissen. �Holt durch und belegt�, rief er aufgebracht. �Und zupft mal ein bisschen

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kräftig an der Leine. Paßt aber gut auf, wenn er reagiert.� Die Leine wurde durchgeholt, bis sie ähnlich einer Ankertrosse auf und nieder stand. Fast senkrecht hing sie dem Hai jetzt aus dem gewaltigen Maul, und jetzt endlich reagierte er, als sich der Draggen irgendwo festsetzte. Der Ruck war so jäh und wild, daß es sie trotz aller Vorsicht beinahe von den Beinen geholt hätte. Seitlich brach der gewaltige Räuber plötzlich aus, um tiefer abzutauchen. �Fiert nach!� schrie der Profos. Die Leine sauste wie eine Schlange um den Poller. Das Holz begann bereits zu qualmen. Der Räuber tauchte tief ab, wurde dann aber am weiteren Tauchen gehindert. Von jetzt an wurde alles zu einem einzigen Kraftakt, der nicht nur Stärke, sondern auch Nerven erforderte. Kaum war der Hai abgetaucht, so jagte er als gigantischer Schatten auch schon wieder an die Oberfläche, bis sie ihn deutlich erkennen konnten. Er tobte wild und ungebärdig durch das Wasser, schäumte es auf und brachte die Schebecke fast aus dem Kurs. Das Spiel wiederholte sich. Der riesige Körper tauchte aus dem Wasser, und sie sahen sein weitgeöffnetes Maul mit den Zahnreihen im Sonnenlicht aufblitzen. Die Leine schien mittlerweile in seinem Magen zu hängen. Immer wieder schnappten die gewaltigen Zahnreihen zu. Durchholen, nachfieren, so ging es fast pausenlos. Inzwischen hielten mehr als ein Dutzend Fäuste die Leine. �Er beißt sie durch�, schrie Blacky. �Gleich sind wir den Burschen los.� Don Juan erschien mit einer Muskete auf dem Deck und beugte sich weit über das Schanzkleid. Auch die Zwillinge, Hasard und Philip, tauchten mit geladenen Musketen auf. �Der entgeht uns nicht mehr�, versicherte Jung Hasard. �Bevor er die Leine durchbeißt, erwischen wir ihn noch.�

Es war schwierig, das tobende und mörderisch um sich schlagende Ziel anzuvisieren. Es war bei den schnellen Bewegungen fast unmöglich. Sie hatten die Leine gerade wieder durchgeholt, als der Riesenleib aus dem Wasser schnellte. Mit einem donnernden Knall klatschte er an den Rumpf der Schebecke, glitt dann von ihr ab und raste mit einem schnellen Schwanzschlag in die Tiefe. Don Juan hatte schon den Zeigefinger gekrümmt, doch es ging alles so schnell, daß er nicht abdrücken konnte. Jetzt war der Schatten wieder unter Wasser verschwunden, und wie es schien, zog er nun nach der anderen Seite hinüber, unter dem Kiel der Schebecke hindurch. Den Arwenacks brannten die Handflächen. Der große Fisch zerrte mit einer unglaublichen und mörderischen Kraft. Eine halbe Stunde ging das jetzt so. Abtauchen, hochschnellen, zerren an der Leine und Rammstöße gegen den Schiffsrumpf. Einmal war die Erschütterung so hart, daß die Masten wackelten. Der Hai schaffte es auch tatsächlich, die Schebecke etwas aus dem Kurs zu zerren und sie seitlich zu versetzen. �Das gibt es doch nicht�, sagte Pete Ballie, der am Ruder stand. �Der zieht uns glatt aus dem Kurs.� �Mit der Zeit tobt er sich aus�, erwiderte Hasard. �Und wenn er uns in Richtung offene See zieht, ist es auch nicht weiter schlimm. Wir werden ihn bald erwischen.� �Sieht aber kaum danach aus, Sir. Augenblicklich scheint er sich genau unter dem Kiel aufzuhalten.� �Ja, das scheint so.� An Deck kehrte für Augenblicke totale Ruhe ein. Die Leine hing ein wenig durch, aber alle warteten gespannt darauf, daß der Fisch wieder zu toben begann. Er ließ sich Zeit und würgte wahrscheinlich an seinem eisernen Haken, den er nicht los wurde. �Die Ruhe vor dem Sturm�, sagte Jeff Bowie. Er hatte seine linke Hakenprothese um die Leine gelegt, genau wie Matt

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Davies, der den Eisenhaken jedoch rechts trug. Die Leine glitt schnell und reibungslos durch den Haken und konnte nichts verletzen. Allerdings hatten beide mitunter das Gefühl, der Ruck würde ihnen die Schultern ausrenken. �Zieht mal ein bißchen�, sagte Ed. �Ich habe so das lausige Gefühl, als würde der Bursche gar nicht mehr dran hängen.� Er hing aber noch dran, wie er es ihnen gleich bewies, und zwar mit einer solchen Attacke, daß der kleine Luke Morgan durch den Ruck einfach davonflog und über die Planken segelte. Dann war er wieder da, etwas erholt und besser bei Kräften, wie es schien, und begann erbarmungslos zu toben. An Steuerbord jagte er wie ein harpunierter Wal aus dem Wasser, stieg fast senkrecht in die Höhe und fiel dann zurück. Das Wasser spritzte auf und durchnäßte sie von oben bis unten. Für Batuti, den Mandingo aus Gambia, war in diesem Augenblick die Gelegenheit günstig. Unbemerkt von den anderen hatte er seinen Langbogen geholt, jene fürchterliche Waffe, mit der er Brand- und Pulverpfeile auf eine Entfernung von mehr als vierhundert Yards verschießen konnte. Der Bogen war gespannt, und der Pfeil sirrte von der Sehne, als der schwere Körper ins Wasser zurückfiel. Ein kurzes Zischen war zu hören. Dann bohrte sich der Pfeil in den Leib des Haies und alles verschwand unter Wasser. Dort war jetzt eine rötlich gefärbte Wolke zu sehen, die schnell größer und größer wurde. Die schaumige Spur verschwand im Kielwasser, wo sie durchgewirbelt wurde und einen rosigen Streifen bildete. Der Mandingo hatte schon den zweiten Pfeil auf der Sehne. Er lauerte total angespannt. Was sich dann nur ein paar Lidschläge später aus dem Wasser katapultierte, ließ sie alle zusammenzucken. Ein riesiges, bluttriefendes Maul tauchte auf. Zähne waren zu sehen, so gewaltig, daß die Männer ein Schauer überlief, und

ein Auge, das sie von der Seite her ausdruckslos anstarrte. Das Riesenmaul klappte mit einem hallenden Schlag zu. Batuti feuerte den zweiten Pfeil ab. Die Gelegenheit nutzten auch Don Juan, Jung Hasard und sein Bruder Philip im selben Moment. Drei Musketenschüsse krachten gleichzeitig. Feiner Pulverdampf wölkte auf, und drei Kugeln fanden ihr Ziel. Alle Männer wichen zurück, als das Maul sich hallend schloß und zuklappte. Sie sahen noch, wie auch der zweite Pfeil sein Ziel fand und sich in die empfindliche Nase bohrte. Damit war die gewaltige Energiereserve des Fisches offenbar erschöpft. Was folgte, war nur noch ein mehrmaliges Aufbäumen in wilden und zuckenden Bewegungen, ein verzweifeltes Hochschnellen und ein kraftloses Zurückfallen in. ein Element, das sich blutrot färbte. Neben dem Schiffsrumpf kochte und brodelte es. Dunkle Wolken stiegen aus der Tiefe nach oben, riesige Schatten, die sich nach allen Seiten ausbreiteten. �Holt ein!� rief Carberry schnaufend. �Das ist ja fast schlimmer, als den Nordkaper zu jagen. So tobt nicht mal ein Blauwal.� Zwei Segel wurden eingeholt, als die Masse des Haies langsam achteraus im blasenwerfenden Kielwasser auftauchte. Die Leine ließ sich nur mit äußerster Kraftanstrengung einholen, und es ging erst leichter, als Hasard den Befehl zum Beidrehen gab. Die Schebecke ging an den Wind, bis sich ihre Fahrt aufhob. Achteraus schwamm ein gigantischer, noch leicht zuckender und monströs wirkender Körper auf dem Wasser. Er war blutüberströmt und wälzte sich träge in der schwachen Dünung. Hand über Hand wurde er eingeholt, bis er an der Steuerbordseite längsseits lag. �Mann, war das ein Bursche�, sagte Carberry, �ein Brocken, der uns ganz schön zugesetzt hat. Jetzt müssen wir ihn nur noch an Bord hieven.� �Nur noch�, meinte Luke Morgan, der vorhin über die Planken gesaust war. �Nur

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noch ist gut. Das Monstrum kriegen wir doch gar nicht aus dem Wasser.� Batuti schoß einen weiteren Pfeil an einer Leine ab und traf das hintere Ende des Fisches. Der Pfeil bohrte sich tief hinein. Mit flinken Fingern knüpfte er eine starke Leine an die erste und belegte sie an einem Poller. Der Hai schien davon nichts mehr zu merken. Seine Bewegungen wurden immer träger, bis sie schließlich ganz aufhörten, und er sich nur noch auf dem Wasser wiegte. Aber immer noch strömten ganze Bäche von Blut aus seinem Leib, die das Wasser bis weit achteraus rötlich färbten. Die Leine mit dem Haken wurde ebenfalls verlängert und ein dritter Pfeil in den Körper gejagt. Fast alle Fäuste packten zu und zogen den Hai heran, bis er sich ein Stückchen aus dem Wasser hob. Das riesige Maul öffnete sich dabei noch einmal. Durch den Riesenkörper lief ein kaum merkliches Beben und Zittern. Erst eine vierte Leine ermöglichte es ihnen, den Körper weiter hochzuhieven, bis er von der Wasseroberfläche eine Handbreit frei, war. �Haie�, rief Dan O'Flynn vom Achterdeck. �Zwei oder drei, ganz in der Nähe. Paßt gut auf!� Durch die heftigen Bewegungen im Wasser und den enormen Blutverlust hatten sich unbemerkt andere hungrige Haie eingefunden. Die Freßmaschinen begannen die Schebecke vorsichtig und noch abwartend in einem langen Bogen zu umkreisen. Die Flossen ragten aus dem Wasser, die mächtigen Schatten waren verzerrt unter Wasser zu er- kennen. Die wilde Jagd hatte sie angelockt, und jetzt wollten sie ihren Anteil an der großen Beute. Ihre Kreise wurden langsam enger. Drei kapitale Burschen waren es, die sich jetzt vor der Schebecke tummelten. Inzwischen hievten die Männer weiter. Vier andere standen dabei und nahmen die

Haie aufs Korn, die noch näher aufschwammen. Ein Schuß aus Don Juans Muskete vertrieb sie für kurze Zeit, und der eine zog eine dünne Blutspur hinter sich her. Das hielt ihn jedoch nicht von einem Überraschungsangriff ab. Irrsinnig schnell heranjagend schoß der Hai auf die Schebecke zu, verbiß sich in dem toten Hai und begann sich wild zu schütteln, bis er einen großen Brocken herausgefetzt hatte. Das Wasser trübte sich. Fleischreste, Fasern und Blut bildeten eine dunkle Brühe. An der Seite des Haies klaffte ein großes Loch. Der andere war auf Tiefe mit seiner Beute gegangen und schluckte dort gierig den großen Brocken hinunter. Die beiden anderen schien das mächtig aufzuregen. Einer schnellte sich aus dem Wasser und schnappte mit seinen mörderischen Zähnen blitzartig zu. Auch er fetzte noch ein Stück aus dem Kadaver, ehe er in der Tiefe des Meeres verschwand. Der zweite Hai schaffte nur noch eine halbe Körperdrehung, als ihm die Beute vor der Nase buchstäblich weggezogen wurde. Mit einem schweren Aufklatschen fiel er ins Wasser zurück. Inzwischen tauchten weitere Haie auf, und bald begann es von ihnen nur so zu wimmeln. Aber da hatten sie ihre Beute schon an Bord, und die anderen Haie hatten das Nachsehen.

5. Die Sonne neigte sich dem Westen zu und schien ins Meer einzutauchen. Rötliche Strahlenkränze funkelten auf dem Wasser. Die große Scheibe wurde rötlich, schließlich orangerot und erhielt dann einen lila Schimmer, der sich in weitentfernten Wolkenbänken widerspiegelte.

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In dieser Ecke wurde es schnell Nacht. Sie kam fast übergangslos, sobald die Sonne unterging. An Deck wurde verbissen geschuftet. Der Moses brachte vorsorglich ein paar Lampen herbei und hängte sie auf, denn in wenigen Minuten würde die kurze Dämmerung einsetzen, der die Dunkelheit folgte. �Ein etwas kleinerer Hai hätte es auch getan�, sagte Mac Pellew mürrisch. �Aber nein, wir müssen ja immer gleich die großen Kaventsmänner aus dem Bach holen.� �Quatsch nicht soviel�, knurrte der Profos. �Ich habe noch nie erlebt, daß die Haie sich der Größe nach anbieten. Schnippel lieber ein paar große Brocken ab.� Der Hai wurde fachmännisch zerlegt. Sein Magen war so gut wie leer, wie sie überrascht feststellten. Außer einem kleinen Fisch fanden sich darin nur der Köder samt Haken, ein Stück Holz und ein großes Stück Pökelfleisch. Kein Wunder, daß er so gierig nach allem geschnappt hatte, was man ihm zuwarf. �Nach dem Kampf knurrt mir der Magen�, sagte Paddy Rogers, der es immer mit dem Essen hatte. �Wie wär's, Mac, wenn du inzwischen ein paar saftige Stücke in die Pfanne hauen würdest? Wir übernehmen deine Arbeit selbstverständlich.� �Wie darf's denn sein?� erkundigte sich Mac säuerlich. �Gebraten, gebacken, gedünstet, gekocht oder mariniert? Du brauchst es nur zu sagen, Paddy. Ich kann dir auch den ganzen Hai auf einmal zubereiten, falls die anderen damit einverstanden sind.� Mac zog dann aber doch ab, um Fischfleisch zu braten, denn auch die anderen hatten inzwischen Hunger, und so nahmen Mac und der Kutscher gleich ein paar große Stücke in einem Holzzuber mit. Schon bald drang ein schmackhafter Duft über Deck, während die Schebecke in die Nacht hineinsegelte. Das meiste vom Hai war zu handlichen Portionen zerschnitten worden. Der Rest wanderte über Bord. Daran konnten sich

die Haie laben, die der Schebecke immer noch unermüdlich folgten. Danach gab es Hai satt, und selbst der verfressene Paddy Rogers kam nicht zu kurz. In dieser Nacht hielt der Seewolf einen größeren Abstand von der Küste, denn immer wieder tauchten Riffe, Inseln und winzige Atolle auf. Auch gab es hier viele Sandbänke, die meist wegen des glitzernden Mondlichtes erst zu spät bemerkt wurden. Die Küste war schließlich nur noch ein dunkler, kaum sichtbarer Strich, der sich endlos in die Länge zog. Hasard ging in dieser Nacht nur ein paar Stunden unter Deck, um zu schlafen, und noch vor Sonnenaufgang war er wieder auf dem Achterdeck. Jack Finnegan hatte das Ruder übernommen, und Don Juan war ebenfalls schon wach. �Schon ausgeschlafen?� fragte Hasard den Spanier. �Mir genügen fünf Stunden. Mehr brauche ich nicht. Meist bin ich auch mit vier Stunden zufrieden.� �Geht mir auch so. Schlaf ist ein Gevatter des Todes�, sagte der Seewolf lachend. Ben Brighton und Dan O'Flynn erschienen etwas später, und auch von den anderen tauchten bald die meisten auf. Über den Hügeln der malaiischen Halbinsel wurde es dämmerig. Zartes Gelb schob sich hervor und ließ die dschungelartige Vegetation für Augenblicke goldfarben erblühen. Winzige Lichtblitze zuckten am Himmel, und schon bald schob sich ein Stück der Sonnenscheibe zwischen die Hügel. Das Strahlen blendete sie vorübergehend. Es war ein fast überirdischer Glanz, der Reflexe auf das Wasser zauberte und es in ein Meer aus flüssigem Silber verwandelte. Inseln lagen wie Perlen vor ihnen. Es wurden immer mehr, die endlos lange Ketten bildeten. Ein paarmal waren in einsamen Buchten Inseln zu erkennen, die Bienenkörben glichen. Da wuchs ein dicht bewachsener Felsen mitten aus dem Wasser, dem sich eine

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langgestreckte Landzunge anschloß. Auf der Landzunge standen ein paar Palmen, deren Wipfel sich im Morgenwind wiegten. Auch hier war wieder kein Mensch zu sehen. �Der ganze Küstenstrich ist unbewohnt�, sagte Hasard. �Das erstaunt mich umso mehr, je weiter wir nach Süden auf Malakka zusegeln. Wenn ich mich recht entsinne, hat es hier vor etlichen Jahren noch eine Menge Ansiedlungen, Orte und Fischerdörfer gegeben.� �Den Eindruck hatte ich auch�, gab Ben Brighton zu. �Das ist schon reichlich merkwürdig.� Eine Stunde später änderte sich das jedoch. Dan O'Flynn sichtete ein winziges Dorf, genauer gesagt ein Inseldorf, wie sie hier durchaus üblich waren. Vor dem Hintergrund der weiter östlich aufragenden Berge lag eine flache Insel, zweigeteilt, und nur durch ein schmales Wasserband miteinander verbunden. Auf der Insel standen Hütten, deren Dächer mit Palmwedeln gedeckt waren. Zwischen den Hütten standen hohe Kokospalmen in einer Anordnung, die darauf hindeutete, daß man sie früher sorgfältig gepflanzt hatte. Der Sand der Insel schimmerte. grell im Sonnenlicht. Durch das Spektiv waren Vogelschwärme zu erkennen, die dort nisteten. �Sieht verlassen aus�, meinte Hasard. �Oder kannst du etwas erkennen, Dan?� �Keine Menschenseele. Es liegen auch keine Boote dort, wo normalerweise eigentlich welche liegen müßten. Die Seevögel deuten darauf hin, daß die Insel schon seit längerem verlassen ist.� �Aber die Hütten sind noch gut erhalten�, wandte Hasard ein. �Sieht aus, als sei das doch noch nicht so lange her.� Don Juan blickte ebenfalls ausgiebig durch den Kieker. �Nein, kein Mensch�, bestätigte er. �Kein Fischerboot, absolut nichts außer den Vögeln. Aber zwischen den Hütten steht eine Säule, kann auch ein Gedenkstein sein.�

�Kursänderung�, sagte der Seewolf. �Wir segeln in den schmalen Wasserlauf und sehen uns das an. Da vorn scheint das Wasser tief genug zu sein, dort gehen wir kurz vor Anker.� Die Schebecke hatte kaum Tiefgang, wenn sie unbeladen war, und so konnten sie ein ganzes Stück in den Wasserarm hineinsegeln, ehe sie Anker setzten. Niemand zeigte sich auf dem langgestreckten Inselchen. In den Palmen rauschte der Wind, und an den Strand liefen kleine Wellen an, die sich im hellen Sand verloren. Die Zeit schien hier stehengeblieben zu sein, und selbst die Seevögel, die hier nisteten, waren zu träge zum Auffliegen. Sie hockten in einer dichten Kolonie beieinander und ließen sich durch die Anwesenheit des Schiffes nicht in ihrer Ruhe stören. �Jolle abfieren?� fragte Carberry. Hasard winkte flüchtig ab. �Nicht nötig, nimmt zuviel Zeit in Anspruch. Die paar Yards können wir durch das Wasser waten.� Über die Rüste sprangen sie ins brusthohe und glasklare Wasser. Carberry folgte ihnen, und Bob Grey sprang ebenfalls hinterher. Hasard und Don Juan gingen voran, auf eine gedeckte Hütte zu, deren leichte Holztür vom Wind bewegt wurde. Die Hütte war leer bis auf zwei irdene Töpfe, die auf einem lose aufgesetzten Kalksteinherd standen. In einer Ecke lag eine hölzerne Kumme, sonst nichts. In der nächsten Hütte war es ähnlich. Ein paar alltägliche Utensilien lagen herum. Die Hütten erweckten einerseits den Eindruck, als seien sie fluchtartig verlassen worden, andererseits wurde der Seewolf aber das Gefühl nicht los, als würden die geheimnisvollen Bewohnerin regelmäßigen Abständen auf die Insel zurückkehren. Das sagte er auch Don Juan de Alcatraz. �Ja, so sieht es aus�, meinte der Spanier nachdenklich. �Ich habe vorhin auch ein paar Spuren im Sand bemerkt. Offenbar aber haben sich die Einwohner in ihren

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Booten zurückgezogen. Vermutlich drüben zum Festland. Nur der Grund ist mir nicht klar.� �Daran rätsele ich auch noch herum�, gab Hasard zu. �Sehen wir uns mal den Gedenkstein an, möglicherweise gibt der Aufschluß. es kann auch ein Dorf sein, das einem heiligen Tabu unterliegt und nur zu gewissen Zeiten besucht wird.� �Dagegen sprechen eigentlich die vielen Hütten, Juan. Es sind mehr als zwei Dutzend.� �Stimmt, genau sechsundzwanzig.� Da die andere Seite der Hütte offen war, um für Kühlung zu sorgen, konnten sie gleich hindurchgehen. Ein paar Augenblicke später standen sie vor der Säule. Sie war schon von Sonne, Wind und Regen angenagt und verwittert. Sie trug auch eine Inschrift, doch die ließ sich nicht mehr entziffern. �Die Inschrift hat jemand bewußt verunstaltet�, sagte Don Juan. �Weißt du, was das hier ist?� �Irgendwo habe ich mal eine gesehen�, sagte Hasard sinnend. �Das ist eine Padrao, eine steinerne Wappensäule, wie sie die Portugiesen auf ihren Eroberungszügen immer dort aufstellen, wo sie Land beanspruchen oder es in Besitz nehmen.� �Ähnlich wie es die lieben Spanier auch tun�, bemerkte Hasard etwas bissig. Don Juan war dadurch nicht zu erschüttern. Als Generalkapitän der spanischen Krone hatte er schon lange die Fronten gewechselt, weil ihm die Inquisition seiner Landsleute seit geraumer Zeit zum Hals heraushing. So war er ein Freund des Mannes geworden, den er jahrelang gnadenlos gejagt hatte � den Seewolf Philip Hasard Killigrew. �Die erste hat in Malaysia Don Alfons de Albuquerque aufstellen lassen. Das Land hier gehörte früher einmal zum buddhistischen Reich der Sriwidjaja und später zum nicht minder mächtigen hinduistischen Reich Majapahit. Das war die Zeit, als sich der Islam hier stärker

auszubreiten begann. Zu seinen Vorposten gehörte das Sultanat von Malakka, das gegen vierzehnhundert entstand. Hundertzehn Jahre später haben dann die Portus Städte und Länder geplündert, und der Sultan Malakka hatte nichts mehr zu sagen. Hier gab es einmal ganz phantastische Reichtümer, doch davon ist nicht mehr viel geblieben. Die Häfen der größeren Städte sind längst versandet, und der blühende Handel hat ein Ende gefunden. Es gab Kriege zwischen den Sultanen und den Portugiesen, aber am Schluß siegten die Portus dann doch.� �Was du nicht alles weißt�, murmelte Hasard beeindruckt. �Zwischen Portugal und Spanien bestand Personalunion. Wir hatten hier auch die Hand im Spiel gehabt.� �Also wieder mal die Konquistadoren, die alles auf dem Gewissen haben. Und du meinst, sie sind hier auch gewesen?� �Mit absoluter Sicherheit. Darauf deutet die Steinsäule hin. Man hat hier versucht, die Eingeborenen, wahrscheinlich Muslims, gegen ihren Willen zu bekehren. Und da ein Muslim sich nicht oder nur sehr selten bekehren läßt, haben sie alles im Stich gelassen, die Konsequenzen gezogen und sind verschwunden.� �Und die heilige Säule geschändet.� �So ist es. Es muß für sie ein Alptraum gewesen sein.� �Die Hütten sind noch nicht alt�, gab Hasard zu bedenken. �Sie werden vermutlich öfter wieder neu aufgebaut.� �Was soll das alles?� �Die Leute bleiben eine Weile hier, nehme ich an, und in unregelmäßigen Abständen werden hier auch die Portugiesen aufkreuzen. Wenn das der Fall ist, verlassen die Leute ihre Insel und flüchten zum Festland, bis die verhaßten Eroberer verschwunden sind. Die stehen dann hier rum und ziehen lange Gesichter. Das dürfte sich periodisch wiederholen.� �Demnach schaffen sie es nicht, die Eingeborenen unter Kontrolle zu bringen.� �Jedenfalls nicht die Inselbewohner. Die flüchten, sobald sie nur eine Mastspitze an

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der Kimm sehen und sind verschwunden. Sie narren die Portugiesen damit und treiben sie andererseits zur Weißglut, denn nicht alle werden ihrem bekehrenden Zugriff entgehen.� �Das muß wahrhaftig ein Alptraum sein, eine ständige Heimsuchung�, meinte Hasard. �Die Inselbewohner sind ausschließlich Fischer. Ihnen dürfte das nicht allzu viel ausmachen. Nur der Hüttenbau dürfte sie nerven, denn die Portus lassen in ihrer Wut nichts ganz und werden die Hütten regelmäßig zerstören oder verbrennen.� �Demnach scheinen die Portus hier erst kürzlich einen Besuch abgestattet zu haben.� �Möglich, ich kenne die Abstände nicht und weiß nicht, wie lange die Fischer sich auf dem Festland verstecken.� �Sie bekehren also mit Feuer, Schwert und Kruzifix, und sie machen auch vor diesen armen Eingeborenen nicht halt.� �Wie fast überall auf der Welt.� Der Profos trat mit dem Fuß gegen die Säule. Aber sie war so tief in den Sand gegraben, daß sie nicht nachgab. �Man sollte diesen Hinkelstein ausgraben und ihn den Rübenschweinen an die Köpfe werfen�, sagte er grollend. �Das hilft weder uns, noch den anderen, Ed. Es schadet nur den Eingeborenen, denn die müssen es schließlich büßen.� Sie sahen sich noch ein paar Hütten an, doch es war überall dasselbe. Es gab hin und wieder irdenes Geschirr oder neu errichtete Kochstellen, mehr nicht. Es fand sich auch außer den Vögeln kein Lebewesen, und die Vögel hatten sich längst daran gewöhnt, daß sie hin und wieder Besuch erhielten, der nicht lange blieb. �Wir segeln weiter�, sagte Hasard. �Ich bin sicher, daß wir noch auf mehr solche verlassenen Inseln stoßen werden. Und einmal gelangen wir dorthin, wo die Leute nicht mehr flüchten können, und sie Steuern für die Portugiesen zahlen müssen. Oder etwa nicht?� �Natürlich�, sagte Don Juan spöttisch. �Sobald sie bekehrt sind, gehören sie der

Christenheit an und müssen ihre Abgaben zahlen, an Hausschweine, Nüssen oder Dienstleistungen, oder was immer. Mit dem Christentum haben sie Rechte und Pflichten erworben.� �Pflichten wohl eine ganze Menge, Rechte kaum. Sie werden doch nur schamlos ausgebeutet.� �So ist es�, sagte Don Juan. �Und deshalb mag ich meine Landsleute so gern und die Portugiesen auch, die um keinen Deut besser sind. Verstehst du jetzt, weshalb mir die Kerle bis hier oben stehen?� �Das habe ich schon lange begriffen�, sagte Hasard trocken. Nach einem letzten Rundgang, der ihnen keine neuen Erkenntnisse mehr brachte, kehrten sie an Bord zurück, brachen den Anker aus dem Grund und segelten weiter.

6. Auf ihrem weiteren südlichen Kurs trafen sie immer wieder auf kleine Inseln, die bebaut, aber nicht bewohnt waren. Am nächsten Tag gab es dann eine Überraschung. Es war Nils Larsen, der aus dem Ausguck ein paar Fischerboote sichtete. Insgesamt waren es vier kleine Boote, die draußen vor der Küste im seichten Wasser dümpelten. Davor gab es eine kleine Insel mit kleinen Hütten. Sie kamen bis auf knapp eine Meile heran, dann wurden sie gesichtet. Vielleicht hatten die Fischer in der Mittagspause gedöst oder nicht achtgegeben. Jedenfalls brach unter den Fischern fast eine Panik aus. Auf der Insel rannten Leute durcheinander. �Die haben wir aber mächtig erschreckt�, sagte Hasard. �Mit dem Erscheinen eines Schiffes haben sie offenbar nicht gerechnet.� Die Fischer ließen sogar ihre Netze im Stich, in denen sie anscheinend einen beachtlichen Fang hatten. Sie ließen die Netze einfach slippen, setzten die kleinen dreieckigen Segel und nahmen überstürzt und überhastet Kurs auf die Insel.

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Dort waren jetzt auch ein paar Kinder zu erkennen. Viele Leute waren nicht auf dem Inselchen, höchstens ein Dutzend. �Winkt ihnen mal zu�, rief Hasard. �Vielleicht erkennen sie, daß wir keine bösen Absichten haben.� Die Arwenacks begannen zu winken. Doch die Leute waren mißtrauisch, und auch die Fischer waren nicht zu überzeugen, daß sie friedliche Leute vor sich hatten. Sie rannten immer noch aufgescheucht herum, bis die Fischer das kleine Eiland erreicht hatten. Die Boote wurden nicht einmal auf den Strand gezogen. Sie lagen auf dem Sand, und schon rannte alles, was Beine hatte hinüber und schwang sich in die Boote. Jeweils vier Leute kletterten überhastet in die Boote, die sofort wieder in tieferes Wasser geschoben wurden. �Das ist ja direkt panische Angst�, sagte Hasard. �Was müssen die Portugiesen bloß mit den Leuten angestellt haben?� �Wahrscheinlich haben sie einige von ihnen umgebracht�, erklärte Don Juan, �sonst würden sie nicht so voller Angst flüchten. Sollen wir hinterher und uns erkundigen?� Hasard überlegte nicht lange. �Nein�, entschied er dann, �das würde sie nur noch mehr ängstigen. Wir lassen sie ziehen.� Die Boote legten jetzt ab. Die Segel wurden wieder gesetzt, und dann rundeten sie die Westspitze der kleinen Insel und hielten auf die fernen Hügel am Festland zu. Hasard sah, daß sie immer wieder ängstliche Blicke zurückwarfen und anscheinend heilfroh waren, daß ihnen niemand folgte. Dort, wo sie auf das Festland stießen, schien es nicht bewohnt zu sein, jedenfalls waren keine Behausungen zu erkennen. Das besagte aber nicht, daß es dort keine Dörfer gab. Sie hatten sie vielleicht nur tiefer ins Landesinnere verlegt und benutzten sie als zweite Heimat, wenn die Portugiesen auftauchten,

Schon weit achteraus sahen sie, wie die Boote jetzt an Land stießen. Kinder, Frauen und Männer rannten in den dichten Dschungel hinein und waren bald darauf verschwunden. Die Boote blieben einsam am Strand zurück. �Die Portus üben hier ein Regime des Schreckens und des Terrors aus�, sagte Ben Brighton. �Offenbar haben sie die ganze Küste bis zur Südspitze unter Kontrolle. Wenn das so ist, dann dürften wir uns noch auf einiges gefaßt machen.� Ben, immer ein ruhiger und besonders sorgsam abwägender Mann, deutete direkt nach Süden hinunter. �Vielleicht wäre es doch besser, die Ostküste Sumatras anzuliegen und an ihr entlang zu segeln�, meinte er bedächtig. �Auf diese Weise dürften wir eine Konfrontation mit den Portus vermeiden.� �Und wo nehmen wir Proviant her?� fragte der Seewolf. �Dort gibt es sicher auch Fischerdörfer, deren Einwohner nicht gleich bei unserem Anblick flüchten.� �Das wissen wir aber nicht genau.� �Stimmt, das wissen wir nicht�, murmelte Ben. �Von dem Hai können wir schließlich auch nicht ewig leben.� Wiederum einen Tag später befanden sie sich auf der Höhe von Penang, einer großen Insel mit malerischen Bergen und einem riesigen Tempel, der fast schneeweiß aus dem Grün herausragte. Erst wollte Hasard die Insel anlaufen, doch die Strände waren leer und verlassen, und es zeigte sich kein Mensch. Es waren auch keine Hütten zu sehen. �Bewohnt ist die Insel�, sagte Don Juan, �aber wahrscheinlich auch nur im Innern, wo die Tempelspitze zu sehen ist. Bis wir da aber jemanden auftreiben, kann eine lange Zeit vergehen.� �Wir segeln noch ein Stück weiter. Irgendwo treffen wir Leute, die nicht gleich Hals über Kopf flüchten, wenn sie uns sehen.� Für die Arwenacks war inzwischen kleine Gefechtsbereitschaft angeordnet worden,

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weil sie jetzt früher oder später auf Portugiesen stoßen würden. So waren die Culverinen mit dem restlichen Pulver geladene und auch ein paar Brandsätze lagen bereit. Der Ausguck war jetzt ebenfalls ständig besetzt, und mit dem Spektiv wurde pausenlos die See rundherum abgesucht. Tucker und Conroy bastelten unterdessen unermüdlich weiter an den neuen Brandsätzen. Sie hatten bereits acht dieser Dinger angefertigt und schufen noch mehr davon. Als sie noch nördlich von Kuala Selango standen, meldete sich der Ausguck. �Ortschaft an Backbord voraus!� meldete Piet Straaten, der blonde Holländer. Noch weit voraus entdeckten sie eine halbe Stunde später von Deck aus die Ortschaft. Es gab ein paar Lehmhütten, kleine Rundhäuser und zwei weiße, offenbar aus Ziegeln gebaute Häuser. Der Ort war in riesige Palmenhaine eingebettet und wirkte sehr friedlich. Einen Hafen gab es nicht, nur eine kleine Anlegestelle, die aus einer hölzernen Pier bestand. An ihr lagen etliche kleine Boote, und zwei weitere dümpelten weit draußen auf See. Hasard hieb mit der rechten Faust in die linke Handfläche, als er sah, daß auch hier eine gewisse Unruhe und Nervosität herrschte. Die Fischer holten ihre Netze ein, ein paar Einwohner liefen zusammen und gestikulierten wild. Der Ort schien aus dem Häuschen zu sein, als die Schebecke Kurs auf die kleine Pier nahm. �Das darf doch nicht wahr sein�, sagte der Seewolf. �Ist denn hier alles verrückt geworden? Die Leute verschwinden schon wieder.� Einige Frauen nahmen ihre Kinder und verschwanden zwischen den Hütten, als gingen sie hinein. In Wirklichkeit verließen sie den Ort auf einem Schleichpfad, der weiter östlich in .en Dschungel führte. Die Männer schienen noch unentschlossen und wußten offenbar nicht, wie sie dieses Schiff einordnen sollten.

Aber ihr angeborenes Mißtrauen ließ sie schnell handeln. Sie rotteten sich zusammen, zeigten immer wieder auf das heransegelnde Schiff und beschlossen dann offenbar, den anderen zu folgen. Einige von ihnen gaben sich den Anschein von lässiger Gleichgültigkeit, aber etliche andere hatten es furchtbar eilig. Während die erste Gruppe ohne Eile und fast unauffällig davonschlenderte, rannte die zweite panikartig davon und verschwand ebenfalls auf dem .Schleichpfad im Dschungel. �Wieder nichts�, sagte Don Juan. �Wohin wir auch kommen, stets sind die Ortschaften verwaist. Wir sollten mal die englische Flagge zeigen. Vielleicht bewirkt das etwas.� �Einen Versuch ist es wert�, sagte Hasard. Bill setzte die Flagge mit dem Georgskreuz, und sie wurde auch von einigen Männern zweifellos gesehen. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, daß sie weiterhin flüchteten und verschwanden. Möglicherweise hatten sie die Flagge auch noch nie gesehen, oder waren von den Portugiesen auf ähnliche Art geleimt worden. Die verstanden es ebenfalls hervorragend, eine Flagge zu zeigen, die ihnen nicht gehörte. Kurze Zeit später war der Ort wie ausgestorben. Nur ein paar Hühner und Gänse tummelten sich zwischen den Hütten, und ein räudiger Köter blieb mit eingekniffenem Schwanz unschlüssig stehen. Er kläffte ein paarmal und gab dann Ruhe. �Wir legen trotzdem an�, sagte Hasard erbittert. �Und wenn ich hier bis zum Sankt Nimmerleinstag warten muß. Ich will endlich herausfinden, was hier los ist.� Als sie dichter an die Pier heransegelten, erkannten sie wieder einen Padrao, jene steinerne Säule, die sie auch schon auf der einen Insel entdeckt hatten. Das portugiesische Wappen war noch gut erhalten. Der Padrao war höher und größer als jener andere, und an seinem steinernen Sockel lag ein Gebilde, das ein

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Blumenstrauß sein konnte, oder eine etwas mißglückte Girlande aus Hibiskusblüten. Die Blumen waren verwelkt, aber dennoch gut zu erkennen. Dicht vor der Pier sprangen Carberry und Smoky an Land und nahmen die Leinen wahr, die sie um kleine, hölzerne Poller legten. Der Profos löste eins der Boote, damit die Schebecke Platz hatte und machte es weiter vorn fest. Hasard blickte auf die Hütten, die jetzt leer dastanden, wie die beiden festeren Häuser auch. Der gelbbraune Köter war der einzige, der keine Angst zu haben schien. Er näherte sich der Schebecke, bis er Plymmie entdeckte, und als die Wolfshündin ein heiseres Knurren ausstieß, kniff er den Schwanz ein und trollte sich lautlos. Hinten bei den Hütten blieb er stehen und äugte mißtrauisch und ängstlich herüber. Seine Angst bezog sich aber mehr auf die Hündin als auf die Männer. �Da liegen wir nun�, stellte Carberry fest, �aber wie geht es jetzt weiter?� �Wir warten, und zwar warten wir solange, bis einer von den Helden hier auftaucht. Wir wollen nichts weiter, als ihnen etwas abkaufen. Dann segeln wir weiter. Außerdem möchte ich herausfinden, was hier gespielt wird.� Also warteten sie und blickten immer wieder zum Dschungel hinüber. Niemand ging an Land, um die Leute nicht zu erschrecken, die sie sicher heimlich beobachteten. Zwei Stunden verstrichen, in denen sich nichts rührte. Lediglich der gelbbraune Köter faßte etwas Zutrauen, seit er von Plymmie nicht mehr angeknurrt wurde. Der Schimpanse Arwenack turnte im Großmast herum und versuchte, mit dem Aracanga-Papagei Sir John zu spielen, doch der entzog sich dem haarigen Zugriff jedes Mal mit wildem Gezeter. Einmal strich er ab und zog über die Hütten hinweg, wobei er die unsichtbaren Leute mit den übelsten Schimpfwörtern belegte und eine weitere Tirade von sich gab, die Carberry ihm beigebracht hatte.

�Braßt an, ihr Rübenschweine�, krächzte er, auf dem Dach einer Hütte hockend und mit den Flügeln wild schlagend. �Gevatter, hau dem Kerl was aufs Maul.� Sir John hockte weiterhin da, kreischend üble Wörter von sich gebend und fluchend wie ein Rohrspatz. Vor der Hütte stand der Köter und kläffte ihn an. Vielleicht war es der fluchende und schimpfende Papagei, der die ganze Szenerie etwas entkrampfte, und der die Leute von der Harmlosigkeit der Fremden überzeugte. Jedenfalls tauchte etwas später hinter einer der Hütten ein Gesicht auf, das 'ängstlich zu der Schebecke lugte. Das Gesicht gehörte einem kleinen, etwas mickrig geratenem Kerlchen, das noch unentschlossen schien, sich weiter zu nähern. Hinter ihm entdeckte Hasard eine zweite Gestalt, mißtrauisch und sehr vorsichtig herüberblickend. Als er jedoch das narbige Gesicht mit dem riesigen Amboßkinn sah, das dem Profos gehörte, zuckte er erschreckt zurück. Carberry bemühte sich um ein freundliches Grinsen, was ihm auch einigermaßen gelang. Hasard winkte den beiden Gestalten freundlich zu. Die Geste sollte bedeuten, daß sie sich gefahrlos nähern konnten. Zur Verblüffung der Arwenacks kamen die beiden tatsächlich heran. Der Mickrige verneigte sich sogar und legte dabei beide Hände auf die Brust. Der andere dienerte nur ein bißchen und starrte mit unverhohlener Neugier erst auf die Männer, dann auf das merkwürdige Schiff. �Euer Diener, Herr�, laberte der Mickrige in einem schlecht verständlichen Portugiesisch. Er verneigte sich abermals und wies auf den Padrao und ganz besonders auf den Blumenstrauß, womit er wohl ausdrücken wollte, daß sie ihn immer gut gehegt, gepflegt und verehrt hatten. In den Gesten ließ sich Untertänigkeit und Demut erkennen, aber auch Angst vor den unberechenbaren Herren. Hasard flankte mit einem kurzen Sprung über das Schanzkleid, ging auf die beiden zu und gab ihnen unbefangen die Hand.

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�Wir sind keine Portugiesen�, sagte er, und wurde von den beiden auch sofort verstanden. �Wir sind Engländer, und wir wollen von euch nur ein bißchen Proviant, zu einem guten Preis.� Mit der Bezeichnung Engländer konnten die beiden nicht viel anfangen, wohl aber mit der Bemerkung, daß sie keine Portugiesen seien. In den Gesichtern malte sich Erleichterung. Der Mickrige grinste schwach. Seine Blicke irrten immer noch ungläubig hin und her. �Männer von Albuquerque?� fragte er schließlich. Hasard legte ihm leicht die Hand auf die Schulter und schüttelte energisch den Kopf. �Albuquerque ist lange tot�, sagte er ruhig. �Schon sehr lange.� �Hat sich offenbar wie eine Legende gehalten�, sagte Ben. �Die Angst vor diesem Mann haben sie wahrscheinlich schon mit der Muttermilch eingesogen.� �Dom Alfredo lebt�, sagte der Kleine ernsthaft. �Als der Mondgeist halbvoll war, kam er mit seinen Männern.� Der halbvolle Mondgeist löste bei den Arwenacks Heiterkeit aus, zumal jeder das auf seine Art interpretierte. Das Kerlchen meinte damit sicher den letzten Halbmond, was etwa drei Wochen her war. �Dann gibt sich ein anderer für ihn aus�, sagte Hasard. Aber er stieß damit auf taube Ohren. Immer wieder wurde steif und fest behauptet, daß Albuquerque lebe, und er mit seinen Männern in unregelmäßigen Abständen die Küsten heimsuche. Hasard konnte das nicht glauben, aber anscheinend entsprach es doch den Tatsachen, auch wenn sich das noch so widersinnig anhören mochte. �Wahrscheinlich irgendein Kapitän der Portugiesen, der hier auf seine Art und Weise Angst und Schrecken verbreitet�, meinte Don Juan. �Er hat sich den berüchtigten Namen zu eigen gemacht, um die Bevölkerung einzuschüchtern.� �Anders kann es nicht sein.�

Hasard wandte sich wieder dem gesprächigen Mickrigen zu, der jetzt keine Scheu mehr zeigte. �Was tun die Portugiesen hier?� wollte er wissen. Der Mann zeigte auf die große Steinsäule. �Sie haben uns das Land weggenommen. Wo die Säulen stehen, sind die Leute bekehrt worden, aber nicht alle. Es leben viele Muslims hier, aber viele sind auch Christen geworden.� �Und wenn sie nicht Christen werden wollten?� Dem Mann fehlte dafür offenbar das richtige Wort, und so deutete er gestenreich an, was die Portugiesen mit Aufmüpfigen taten, ganz besonders mit Muslims, die sich der Gewalt nicht beugen wollten. Durch die Gesten erfuhr Hasard mehr als genug. �Sie brennen also alles nieder, verwüsten die Hütten und foltern etliche von euch zu Tode. Oder sie hängen sie auf und verbrennen sie auf dem Scheiterhaufen.� �So ist es.� �Und genauso habe ich es mir gedacht�, sagte Don Juan bitter. �Sie bekehren auf Teufel-komm-raus, und wer nicht zum christlichen Glauben übertritt, der wird gefoltert und gepeinigt, durch das Schwert gerichtet oder verbrannt.� �Oder er wählt aus Angst das Kruzifix, um von alledem verschont zu bleiben.� Als der Seewolf hochblickte, sah er immer mehr Einwohner, die sich ihnen zögernd, aber dennoch scheu bis auf eine gewisse Distanz näherten. Etwa hundert Yards vor dem Schiff blieben die meisten jedoch stehen und trauten sich nicht weiter. �Ihr braucht keine Angst vor uns zu haben�, wiederholte Hasard noch einmal eindringlich. �Wir sind keine Portugiesen, und wir haben auch nicht vor, jemanden zu zwingen, einen anderen Glauben anzunehmen. Sag das deinen Leuten. Wir führen nichts Böses im Schild. Wir sind Engländer, Engländer, verstehst du?� Der Kleine nickte noch etwas zaghaft, musterte wieder die Männer. und drehte sich dann zu den anderen um.

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Indem er die Hände vor den Mund legte, rief er seinen Leuten etwas in einer unverständlichen Sprache zu. Immer hastiger redete er auf sie ein, bis einige schließlich zögernd nickten. �Wir sind Feinde der Portugiesen und Spanier�, rief Don Juan. Das löste bei den meisten einen plötzlichen Jubel aus, den die Arwenacks erleichtert registrierten.

* Damit war der Bann offenbar gebrochen, und da die Fremden keine Anstalten unternahmen, etwas mit Gewalt zu fordern, sondern gleichbleibend freundlich waren und sogar Geschenke verteilten, strömte bald das ganze Dorf zusammen. Hasard gab ihnen Gold- und Silberstücke und verteilte auch ein paar Messer und Beile, die sehr gefragt waren und einen wertvollen Besitz darstellten. So fast nebenbei erfuhren sie dann auch, was sich ganz besonders an der malaysischen Westküste abspielte. In unregelmäßigen Abständen trafen immer wieder portugiesische Karavellen ein. Soldaten kamen an Land und schnappten sich die Leute, um sie zum Christentum zu bekehren. Padres zeigten ihnen Kruzifixe und zwangen sie, ihrem jetzigen heidnischen Glauben abzuschwören und zum Christentum überzutreten. Die Muslims weigerten sich, wurden daraufhin in Schweinehäute eingenäht, oder mit Schweineblut übergossen, gepeinigt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Half das nichts, wurden mit Feuer und Schwert ganze Landstriche verwüstet, Hütten in Brand gesteckt und das Vieh abgeschlachtet. Nach dem Vieh waren die Menschen an der Reihe, die ihre Rettung in der Flucht suchten. Andere Eingeborene resignierten und traten unter dem Zwang zum Christentum über. Teilweise erlernten sie auch die portugiesische Sprache, um den neuen

Herren gefällig zu sein, die überall ihre steinernen Säulen als Zeichen der Herrschaft aufstellten. Manche verwüsteten in ihrer Ohnmacht diese Säulen und mußten es bitter büßen. Die Inquisition jagte sie erbarmungslos und rottete sie aus. Aber die neuen Herren konnten nicht überall gleichzeitig sein, und so kehrten die Leute wieder in ihre angestammte Heimat zurück, bis die Portugiesen wieder auftauchten, um nach ihren �Schützlingen� zu sehen. Dann begann der Leidensweg erneut, und sie verließen vorübergehend ihre Inseln oder kleinen Orte. Meist wiederholte sich das so lange, bis die Eingeborenen schließlich aufgaben und sich der neuen Herrschaft unterordneten. Hasard schluckte hart, als er das alles hörte. �Die Leute reden ständig von Albuquerque�, sagte er, �obwohl dieser Mann längst das Zeitliche gesegnet hat. Wer mag sich nur hinter seinem Namen verbergen, um weiter Angst und Schrecken zu verbreiten?� �Irgendeiner, der Unsterblichkeit vortäuscht�, spottete Don Juan. �Ein Generalkapitän der portugiesischen Krone etwa. Für den war der Name ein Symbol, und damit überzeugte er die unbedarften Leute von der unvorstellbaren Macht.� �So wird es wohl sein�, sagte Hasard. �Vielleicht lernen wir diesen ehrenwerten Senhor sogar persönlich kennen.� �Ich bin nicht unbedingt scharf darauf.� �Ich auch nicht.� Alle beide ahnten nicht, daß sie schon bald die Bekanntschaft des ehrenwerten Mannes machen sollten, und das noch viel schneller, als ihnen lieb war. Helfen konnten sie den Leuten nicht, es lag nicht in ihrer Macht, mit einer kleinen Schebecke gegen eine Armee portugiesischer Hitzköpfe und Weltverbesserer zu kämpfen. Aber sie konnten den Portugiesen viele kleine Nadelstiche zufügen, wie sie es auch gegen die Spanier taten. Und viele kleine Stiche

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brachten mit der Zeit auch eine große Wunde, wie sie längst festgestellt hatten. Die Eingeborenen versorgten sie mit Proviant und frischem Trinkwasser. Sie schleppten Obst und Gemüse herbei, gaben ihnen riesige Langusten, Krebse und Hummer, bis der Kutscher lachend abwinkte. An diesem Tag erfuhren sie eine ganze Menge über das Land, ihre Eingeborenen und die fremden Herren, vor denen die meisten kuschten. Am Abend lud Hasard zu einer kleinen Feier ein, und jetzt wurde auch bei der Gelegenheit das Fäßchen gelenzt, um das Carberry und Ferris Tucker gewettet hatten. Die Leute tauten langsam auf, und in dem Ort verbreitete sich vorübergehend wieder Freude, denn sie hatten lange nicht mehr gelacht. Die Feier fand im Dorf statt und dauerte bis spät in die Nacht. An Bord aber blieben Ausgucks zurück und wurden zusätzliche Wachen aufgestellt, um sicherzugehen, daß nicht unvermittelt Portugiesen auftauchten. Es blieb jedoch alles ruhig, und so konnten sie in der Frühe des nächsten Morgens lossegeln. Die Malaien standen am Ufer und winkten ihnen nach. �Bedauernswerte Leute�, sagte Hasard, �die unter der Knute irgendwelcher Tyrannen ständig um ihre ärmliche Existenz bangen müssen. Aber eines Tages wird man sie von dieser Geißel befreien. Vielleicht sind es sogar die Holländer, die hier immer wieder auftauchen, seit sie sich auf den Molukken festgesetzt haben.� �Zu wünschen wäre es ihnen�, sagte Don Juan, �obwohl damit wahrscheinlich eine Tyrannei nur die andere ablöst. Aber das muß erst die Zukunft zeigen.� Sie segelten weiter an der Küste entlang. Hasard wollte nicht nach Sumatra ausweichen, obwohl sie jetzt genügend Proviant an Bord hatten. Er suchte nicht die Konfrontation, aber er scheute sie auch unter den gegebenen Umständen nicht und ließ alles auf sich zukommen.

An diesem Vormittag wurde weit voraus ein Boot gesichtet, das schnell nach Süden ablief, als es die Schebecke sichtete. Es war eine größere Jolle mit guten Segeleigenschaften, die auch hoch am Wind segeln konnte. Durch das Spektiv waren drei oder vier Männer zu erkennen. �Fischer sind das ganz bestimmt nicht�, meinte Dan O'Flynn, der die Seekarten vor sich ausgebreitet hatte und sie intensiv studierte. �Nein, das sind keine Fischer�, erwiderte der Seewolf, �obwohl sie in der gleichen Weise vor uns flüchten wie die anderen auch. Sie haben auch kein Angelzeug und keine Netze dabei.� �Wo stehen wir jetzt eigentlich?� fragte Don Juan. O'Flynn brauchte nicht lange zu überlegen. �Etwa dreißig Meilen vor Kuala Selangor, wenn man sich auf die Karten hier verlassen kann, und falls meine Navigation stimmt.� �An letzterem hege ich keinen Zweifel. Wir sind jetzt tiefer im Süden der Malakka-Straße, und da wäre es doch durchaus möglich, daß es sich um Portugiesen handelt.� Hasard setzte das Spektiv ab. Er konnte nicht mehr viel erkennen. Die Jolle lief schnell ab, und so verlor er auch die Männer darin bald aus den Augen. �Könnten durchaus Portugiesen sein�, meinte er. �Sie führen mit der Jolle wahrscheinlich so eine Art Patrouillenfahrt durch, wie wir es in Great Abaco auf dem Stützpunkt tun. Da wird das Revier abgesegelt und darauf geachtet, daß alles seine Ordnung hat.� �Aber sie flüchten vor uns, das ist ganz offensichtlich. Sie haben den Kurs geändert, als sie uns sahen.� �Neugier ist mitunter tödlich. Sie laufen erst einmal ab, um uns später aus einem Versteck heraus zu beobachten.� �Männer von Albuquerque, dem Geist, den es nicht gibt�, spottete Dan O'Flynn. Kurz darauf war die Jolle irgendwo im Inselgewirr verschwunden und wurde auch nicht mehr gesichtet.

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7.

Es gab ihn doch, diesen legendären Dom Alfonso de Albuquerque. Aber es war nicht jener Mann, der einen Feldzug im Persischen Golf durchgeführt und der abwechselnd mit List und Gewalt ein Imperium geschaffen hatte. Dadurch war Portugal die erste wirtschaftspolitische Macht der Erde geworden und beherrschte einen Teil des Atlantiks, des Indischen Ozeans und des westlichen Pazifiks, und war auf dem besten Weg, seinen Herrschaftsbereich immer weiter auszudehnen. Dieser Dom Alfonso, oder auch Alfonso, wie er unterschiedlich genannt wurde, war ein Abkömmling des großen Eroberers, ein Urenkel, der das Erbe seiner Vorfahren verwaltete, ausbaute und mit strenger Hand regierte. Was das Äußere betraf, so stand er seinem berüchtigten Urgroßvater in nichts nach. Dom Alfonso war ein großgewachsener, herrischer Mann, der keinen Widerspruch duldete. Er hatte ein strenges, äußerst hartes Gesicht mit dämonisch blitzenden Augen, und er trug einen langen Vollbart, in dem Pfeffer und Salz vorherrschten. Der Schnauzbart war noch pechschwarz, aber der Bart war von silbrigen Fäden durchzogen und am unteren Ende von fast weißgrauer Farbe. Er trug immer schwarze Kleidung, was das Dämonische an seiner Person noch unterstrich, und auf dem Kopf trug er ein schwarzes Barett, wie es auch die Gelehrten ihrer Zeit zu tragen pflegten. Schwarze Kniebundhosen und schwarze Schnallenschuhe mit silbernen Spangen vervollständigten seine Kleidung. Auf der Höhe von Kuala Selangor kreuzte er mit seiner Karavelle vor der Küste. Inspektionsfahrten nannte Dom Alfonso das, an denen er, meist von Malakka kommend, immer höchstpersönlich teilnahm. Seine Karavelle war aus fast schwarzem Holz gebaut und ein stark armiertes

Fahrzeug, das keinen Gegner zu fürchten hatte. Seine Leute waren von ihm höchstpersönlich ausgesucht und aus dem harten Holz geschnitzt, das die Seesoldaten ausmachte. Sie waren gleichzeitig harte Soldaten und ebenso harte Seeleute, die ihr Handwerk verstanden. Bei seinen Inspektionsfahrten pflegte Dom Alfonso mitunter selbst mit harter Hand durchzugreifen, befahl eigens ernannten Richtern, die Ketzer abzuurteilen, oder ließ Scheiterhaufen errichten. Er geisterte wie ein Dämon durch die Orte und Städte, über die er befahl, und war überall gefürchtet. Meist verbargen sich die Leute bei seinem Anblick angstvoll oder verkrochen sich in ihre Häuser und Hütten, weil den harten Augen nichts entging und sich jeder angeklagt fühlte, den sein Blick traf oder auch nur streifte. �Zurück zur Küste�, befahl er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. �Die Padres sollen an Land gehen und sich das Viertel vornehmen, in das sich die Muslims geflüchtet haben. Wenn auch nur einem der Padres ein Haar gekrümmt wird, gehen anschließend die Soldaten an Land. Mir ist zugetragen worden, daß sich etliche Muslims in das Viertel abgesetzt haben.� Der Erste Offizier, ebenfalls hager und bärtig, beeilte sich, den neuen Kurs abzusetzen, als ein Läufer vor dem Achterdeck erschien. Gleichzeitig meldete der Ausguck eine Jolle. Der Läufer konnte das nur noch bestätigen, ehe er wieder verschwand. Dom Alfonso ließ sich ein Spektiv geben. Wie ein geheimnisvoller Gelehrter stand er in seinem schwarzen Umhang auf dem Achterdeck, setzte den kostbaren Kieker an und sah in die angegebene Richtung. �Eine Jolle von uns, die von Norden nach Süden segelt�, sagte er zu seinem Ersten Offizier. �Gehen Sie hart an den Wind und warten Sie ab, was der Kurier zu melden hat.� Daß die Jolle eine Neuigkeit brachte erkannte Dom Alfonso de Albuquerque an dem roten Wimpel, den sie am Fockmast führte.

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Der Kurs der Karavelle wurde abermals geändert, und sie ging hoch an den Wind, bis ihre Fahrt abnahm. Die Jolle näherte sich schnell und legte schwungvoll an der Karavelle an, von der eine Jakobsleiter heruntergelassen wurde. Der Jollenführer begab sich sofort zum Achterdeck, salutierte dort vorschriftsmäßig und verbeugte sich anschließend. �Was gibt es?� fragte Albuquerque mit harter Stimme. �Wir sichteten ein etwas merkwürdiges Schiff, Dom Alfonso. Es segelt nur noch ein paar Meilen weiter nördlich von unserer augenblicklichen Position und nähert sich rasch. Es hält Kurs Süden.� Dom Alfonsos Blick brannte sich in den Augen des Jollenführers fest. Die dunklen, fast schwarzen Augen blitzten empört. �Was verstehen Sie unter einem merkwürdigen Schiff?� fuhr er den zusammenzuckenden Mann an. �Für Schiffe aller Art gibt es klare und einwandfreie Definitionen. Ist es eine Karavelle, eine Galeone, oder eine Xeracke?� �Das ließ sich nicht bestimmen, Dom Alfonso. Es ist ein mittelgroßer Dreimaster, wahrscheinlich auch ruderbar, sehr schlank mit einem durchgehenden Deck und auf beiden Seiten stark armiert. Es führt an Pfahlmasten Rahruten mit Lateinerbesegelung.� �Zeigt es eine Flagge?� �Keine Flagge, Dom Alfonso.� Albuquerque legte die Stirn in Falten und sah den Jollenführer weiterhin scharf an. �Sie müssen sich irren. Ihrer Beschreibung nach muß es sich um eine Art Schebecke handeln, wie sie aus dem Mittelmeerraum stammen. Eine Piratenschebecke, aber die tauchen nicht in der Straße von Malakka auf. Der Seeweg wäre viel zu weit.� �Ich beschreibe nur das, was wir alle gesehen haben, Dom Alfonso�, sagte der Jollenführer unterwürfig. �Hmmm. Welchen Kurs läuft das Schiff?� �Südkurs, dicht unter der Küste, Dom Alfonso.�

Der dämonisch wirkende Mann überlegte nicht lange. �Kursänderung!� befahl er, ohne zu zögern. �Steuern Sie die Landzunge oberhalb der Ortschaft an. Wir werden uns dahinter verbergen und das Schiff in Augenschein nehmen. Gefechtsbereitschaft. Jeder Mann geht sofort auf seinen Posten.� An Deck herrschte plötzlich eine emsige Tätigkeit. Leute rannten hin und her. Die Kanonen waren ausgerannt. Holzkohlebecken und Lunten wurden an Deck gebracht. Die Pulveraffen streuten Sand auf die Planken. Innerhalb von wenigen Augenblicken verwandelte sich die Karavelle des Alfonso de Albuquerque in eine feuerspeiende Festung. Hinter der Landzunge lauerten sie mehr als eine Stunde lang, dann tauchte das �merkwürdige� Schiff endlich auf. Dom Alfonso mußte sich eingestehen, daß der Jollenführer mit seiner Beschreibung recht hatte. Dom Alfonso starrte fast haßvoll auf die Schebecke, die langsam und fast gemütlich heransegelte. �Tatsächlich, ein algerisches Piratenschiff, eine Schebecke aus dem Mittelmeer�, sagte er. �Was hat sie hier zu suchen?� Die Offiziere blickten durch die Spektive, gespannt, erregt, weil sich nur selten fremde Schiffe in diese Ecke verirrten. Sie waren auch etwas beunruhigt. �Die Kerle auf dem Schiff sehen wie Engländer aus�, wagte der Zweite Offizier einzuwenden. �Engländer?� fragte Dom Alfonso gedehnt. �Ausgerechnet Engländer? Das sind neben den Muslims meine besten Freunde.� Er haßte die Engländer, er haßte sie wie nur ein Mann hassen konnte, denn die Engländer hatten ihm vor Jahren einmal eine Niederlage bereitet, die er nie vergessen würde. Sie hatten ihn gedemütigt, ihn, den Nachkommen des großen Albuquerque, den Beherrscher fast aller Meere der Welt. Sein scharfkantiges Gesicht verzerrte sich. das Spektiv in seinen Händen wackelte hin

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und her, und er beherrschte sich nur noch sehr mühsam. . �Es könnten Engländer sein�, sagte er schließlich mit heiserer Stimme. �Bastarde, die sich in der Welt herumtreiben und unser Monopol anzutasten wagen. Die Brut gehört vernichtet, sie muß ausgerottet werden, bei Gott, man muß sie von der Erde tilgen, diese dreimal verfluchten Engländer, die der Satan im Zorn gezeugt hat.� �Was befehlen Sie, Dom Alfonso?� fragte der Erste Offizier, dem der grenzenlose Haß nur allzu gut bekannt war. �Sollen wir sofort angreifen, sobald sie die Landzunge passieren?� Im ersten Impuls, geboren aus dem Haß, wollte Albuquerque zustimmen, doch dann winkte er ab. �Nein, wir sind ihnen turmhoch überlegen. Ich will erst wissen, wer sie sind, und will sie winseln hören, wenn es wirklich Engländer sind. Ich will sie demütigen, so wie sie mich einst vor vielen Jahren gedemütigt und beleidigt haben.� �Wie Sie befehlen, Dom Alfonso.� Der Erste, selbst ein harter Mann, verbeugte sich und trat zwei Schritte zurück, wie Dom Alfonso es liebte. Er gab die Befehle an den Zweiten weiter, der sie dem Dritten Offizier übermittelte. Der gab sie schließlich an den Läufer, damit der an Deck die erforderlichen Chargen unterrichten konnte. Es war die gleiche Leier, wie auch die Spanier sie pflegten, denn Dom Alfonso konnte nicht schließlich einen niedrigen Dienstrang persönlich ansprechen, und so lief jedesmal eine mehr als umständliche Prozedur ab. Der alte Pedant winkte wieder den Ersten herbei. Er tat das mit einer unwilligen Kopfbewegung. �Noch etwas, De Almeira: Wir stoßen vor, sobald ich das Zeichen dazu gebe. Halten Sie die Kerle auf Trab, damit sie bei Schoten und Fallen stehen. Der Vorstoß muß blitzartig erfolgen. Wir werden das Schiff erst stellen. Gefeuert wird nur auf meinen ausdrücklichen Befehl.�

De Almeira zelebrierte einen Kratzfuß, trat zurück, doch da winkte ihn der Alte schon wieder herbei. Fast verschwörerisch raunte er: �Wir haben gute Leute an Bord. Möglicherweise lassen wir das Schiff sogar unbeschädigt und werden es entern. Wenn auch gottverdammte Bastarde an Bord sind � es ist ein schönes Schiff, und es wäre sehr schade darum.� Der dritte Kratzfuß folgte. Der Offizier trat zurück nach der üblichen Verbeugung. Von nun blickte Dom Alfonso nur noch durch das Spektiv und beobachtete die Gestalten darauf. Es war wahrhaftig ein schönes, schlankes und sicher auch sehr schnelles Schiff, das gut in seine Flotte passen würde. Wirklich ein Jammer, überlegte er, würde man es einfach auf Tiefe schicken. Es konnte später mal als Kurierschiff in der Straße von Malakka seinen Dienst versehen. Zudem war es ausnehmend gut armiert, wie er sah. Auf Back- und Steuerbord hatte es jeweils sechs Culverinen und war zusätzlich noch vorn und achtern mit schwenkbaren Drehbassen bestückt. Durch die Optik des Kiekers konnte er schon fast die Gesichter erkennen. Der schwarzhaarige Mann auf dem Achterdeck, ein breitschultriger Kerl, war offensichtlich der Kapitän. Er hatte schwarze lange Haare, die an den Schläfen silbergrau waren. Etliche andere Kerle waren blond und somit ganz sicher Engländer. Weiter erkannte er zwei Männer, die statt Hände eiserne Haken trugen, und einen weiteren, schon alten Burschen, der auf einem Holzbein an Deck herumhumpelte. Ein paar Augenblicke lang war er verunsichert. Eine Kopfbewegung holte den Ersten herbei. �Sehen Sie sich mal die Männer mit den Haken an�, sagte er. �Da ist auch einer mit einem Holzbein. Das könnten doch Piraten sein, Gesindel, das sich hier herumtreibt, um sich zu bereichern. Strolche, die Dörfer und Städte überfallen und plündern.� �Das ist durchaus möglich, Dom Alfonso�, pflichtete der Erste höflich bei. �Es mögen

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durchaus Piraten sein, aber wenn sie es sind, dann sind es englische Piraten, die irgendwo das Schiff erbeutet haben. Ich kenne die Engländer, genau so sehen sie aus.� �Dann bleibt alles so, wie befohlen�, erklärte Albuquerque. �Das Schiff wird im Handstreich genommen.� �Wie Sie befehlen, Dom Alfonso.�

8. Es war natürlich wieder einmal Dan O'Flynns Verdienst, der sie rechtzeitig warnte, und dessen Adleraugen nichts entging. Noch immer segelten sie ziemlich dicht unter der Küste entlang und mußten nur noch hin und wieder kleinen Korallenbänken ausweichen. Old O'Flynn, Dans Vater mit dem wettergegerbten Gesicht und dem Holzbein, verkündete schon seit geraumer Zeit seine prophetischen Unkereien und orakelte wieder mal. �Da ist was im Busch�, sagte er. �Ich habe so ein mulmiges Gefühl, das ich mir nicht erklären kann. Irgendwo lauert eine Gefahr auf uns, das spüre ich überdeutlich.� Die Unkereien des �Admirals�, wie die Zwillinge ihn nannten, waren durchaus nicht immer haltlose Spinnereien, sondern manchmal auch sehr ernst zu nehmen. Sehr oft hatten sie sich später als Tatsachen erwiesen, und so sollte es auch diesmal sein. Auf irgendeine unerklärliche Art fühlte Old Donegal vorher immer etwas, und wenn es sein Holzbein war, das ihn angeblich zwickte. Hasard kannte seinen Schwiegervater zur Genüge, der oft eine Gefahr angekündigt hatte, der sie dann auch tatsächlich ausgesetzt waren. Er ließ den Ausguck mit zwei Mann besetzen, zumal jetzt in der Ferne auch noch ein größerer Ort auftauchte. Er glaubte sogar, in der Ferne die Spitze einer Kirche zu sehen. �Hast du wirklich so ein Gefühl, oder sagst du das nur, weil lange Zeit nichts passiert ist?� fragte Dan.

Aber da brauste der Alte gleich auf. �Hab' ich jemals schon etwas angekündigt, das anschließend Humbug war�, wetterte er. �Schon oft�, versicherte Dan trocken. �Du hast Meermänner und grüne Nixen gesehen, und in Wirklichkeit war das nur Seetang. Du hast sogar schon rote Affen gesehen.� �Halt lieber die Klüsen offen�, riet der Alte erbost. �Irgendetwas kommt auf uns zu, das ist ganz sicher. Schon hinter der nächsten Ecke kann das Unheil lauern.� �Hier gibt's aber keine Ecken, nur einen geraden Küstenverlauf mit ein paar Inseln, Korallen und Sandbänken.� �Aber es gibt kleine Buchten, falls deine Falkenaugen das übersehen haben.� �Richtig, das stimmt.� �Na also, dann widersprich nicht dauernd. Auch in den Buchten können Gefahren lauern. Laß dir das von deinem Vater gesagt sein.� �Ich werde schon aufpassen�, versicherte Dan grinsend. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als Dan O'Flynn plötzlich zusammenzuckte. Er kniff die Augen schmal und starrte auf eine Landzunge, die sich ein paar hundert Yards weit ins Meer schob, und die so dicht bewachsen war, daß man dahinter nichts erkennen konnte. Selbst die beiden Ausgucks bemerkten noch nichts. Dan O'Flynn kam es aber so vor, als würde sich zwischen den Palmen und dem dichten Gestrüpp etwas bewegen, und er glaubte auch, eine Mastspitze zu erkennen. Er verließ seinen Platz und rannte zum Fockmast. �Peil mal die Landzunge genau an, Stenmark�, rief er dem Schweden zu, �und du auch, Bill. Da liegt irgendetwas. Sieht wie eine Mastspitze aus. Und was da flattert, könnte durchaus ein Segel sein. Ihr habt doch den besseren Überblick.� Hasard war jetzt ebenfalls alarmiert und hellhörig geworden. Natürlich bot die Landzunge ein ideales Versteck. Solche Huks waren oft von Piraten bevorzugte Verstecke, die dann blitzartig

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herausschossen und über ihr Opfer herfielen. Sie hatten es mehr als ein dutzendmal erlebt. Mit dem Spektiv überzeugte sich Hasard ebenfalls. Er reichte es Dan, als der wieder zurückkehrte. �Wahrscheinlich hast du recht, Dan. Die Ausgucks sehen noch nichts, weil die Vegetation hinter der Huk außergewöhnlich hoch ist. Die Huk ist auch mehr ein Hügel, der ins Meer ragt.� �Ich bin von Geburt an mißtrauisch�, sagte Dan. �Da hatte ich schon immer Angst, daß mir meine Amme die Milch wegsäuft oder sich mein Breichen einverleibt. Da ist ein Mast zu sehen, Sir, oder der Teufel soll mich holen.� Fast gleichzeitig kam aus dem Ausguck die Meldung, die ihren Verdacht bestätigte. �Mastspitze und ein Stück Segeltuch�, rief Bill. �Na, wer sagt es denn?� meinte Hasard. �Wer sich so hinter einer Landzunge verbirgt, will nicht gesehen werden. Und weshalb nicht?� �Weil er uns einen Goldschatz anvertrauen will�, sagte Dan mit einem schiefen Grinsen. �Oder einen Begrüßungsschluck.� �Aus den Kanonen.� �Ganz recht. Die guten Leute ahnen aber nicht, was wir wissen, und so ist die Überraschung nur noch eine halbe Überraschung. Möglicherweise hat die vor uns flüchtende Jolle etwas damit zu tun.� �Portugiesen?� �Könnte doch sein, oder?� Das konnte Dan schlecht abstreiten, und so nickte er nur. �Erhöhte Alarmbereitschaft�, rief der Seewolf. �Hinter der Landzunge liegt jemand zu unserer Begrüßung. Wir werden die Grüße auf unsere Art und Weise höflich erwidern.� Im Nu war jeder auf Gefechtsstation. Die Schebecke änderte nur ganz leicht den Kurs, beschrieb einen kleinen Bogen und segelte auf die Huk so zu, daß sich der Abstand zum Land etwas vergrößerte.

Dadurch hatten sie mehr Spielraum für eine Verteidigung. Der mögliche Gegner hatte eine längere Strecke zu überwinden. Jeder war jetzt darauf gefaßt, angegriffen zu werden, und jeder der Arwenacks war auch darauf eingerichtet und dementsprechend vorbereitet. Nur noch ein paar hundert Yards bis zu der Landzunge. Aber jetzt ließ es sich einwandfrei ausmachen, daß dort Segeltuch im Wind flatterte. Das Segeltuch bewegte sich heftiger, und nun schob sich auch die Mastspitze so weit vor, daß sie hinter einer hohen Palmengruppe verschwand. Die anderen schickten sich an, blitzschnell hervorzustoßen. Dann war es soweit.

* Eine fast schwarze Karavelle schob sich hinter der Huk hervor und hielt Kurs aufs offene Meer, um der Schebecke den Weg zu verlegen. Hasard erkannte auf den ersten Blick, daß es ein portugiesisches Schiff war, eine Kriegskaravelle mit sehr dunkel gelohtem Tuch und Kerlen an Bord, die entschlossen genug aussahen und ganz gewiß keine Duckmäuser waren. Auf dem Achterdeck stand eine Gestalt, die einem Gelehrten glich. Groß, hager, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Barett auf dem Schädel und einem langen Bart, dessen unteres Ende bereits eisgrau war, während in den anderen Barthaaren eine Mischung aus Pfeffer und Salz dominierte. Die Gestalt war beeindruckend, imposant und strahlte Autorität aus. Hasard wußte mit instinktiver Sicherheit, wen er hier vor sich hatte. Es mußte jener dämonisch wirkende Mann sein, der sich mit dem Namen des Eroberers Albuquerque schmückte, und der das ganze Land vom Süden Malaysias bis hinauf nach Südindien terrorisierte und mit eiserner Fuchtel regierte.

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Die beiden so ungleichen Männer sahen sich einen Augenblick an. Albuquerque blickte in ein dunkelbraunes Gesicht mit eisblauen Augen, die nicht die geringste Überraschung verrieten, die nicht einmal erstaunt blickten. Der Seewolf sah so aus, als habe er genau mit diesem Überfall gerechnet. Auf seinen Lippen lag andeutungsweise ein spöttisches Lächeln. Hasard sah fast kohlschwarze Augen von einer Intensität, wie man sie nur bei Negroiden fand, oder auch bei Malaien. Der Blick des finsteren Mannes brannte sich in dem seinen fest, und der Seewolf glaubte, die Seele dieses Mannes total ausloten zu können. Das war der Herrschertypus, der Tyrann, der über Leichen ging, der sich brutal über alles hinwegsetzte, der keine Furcht kannte und der anderen seinen Willen aufzwang. Wenn sie nicht gehorchten, würde er erbarmungslos töten oder töten lassen. Die Stimme war tief und fest, mit der sie angepreit wurden. �Ihr seid Engländer�, rief Dom Alfonso. �Ihr befindet euch widerrechtlich in portugiesischem Hoheitsbereich. Streicht die Flagge und ergebt euch, sonst lasse ich das Feuer eröffnen.� Auf beiden Schiffen wurden Segel weggenommen. Die Karavelle drehte ein wenig bei, bis sie auf Parallelkurs lag und ihre Rohre auf die Schebecke zeigten. Allerdings zeigten auch sechs Rohre auf die Karavelle, die davon zehn auf jeder Seite hatte. �Hier gibt es keinen Hoheitsbereich�, sagte Hasard ruhig, aber entsprechend laut. �Als Engländer erkennen wir Ihre jedenfalls nicht an. Wir sind freie Leute, freie Männer, ebenso frei wie die Meere, auf denen wir segeln.� �Ihr seid Piratenpack�, dröhnte es zurück, �Bastarde, die unseren Handel untergraben wollen, die Küste und Städte plündern.� �Mit Feuer, Schwert und Kruzifix�, rief Hasard. �Geben Sie uns den Weg frei.� �Ihr gebt also zu, daß ihr Engländer seid?� �Natürlich, und wir sind stolz darauf. Wir zwingen niemandem unseren Glauben auf, wir bekehren keine Leute, und wir bringen

auch keinen um, der sich nicht unserer Religion anschließt.� Die letzten Worte klangen höhnisch, und sie stießen Dom Alfonso auch dementsprechend sauer auf. Er lachte hohl und unheilverkündend. �Wißt ihr Teufelspack, wen ihr vor euch habt?� �Keine Ahnung�, sagte Hasard. �Es interessiert uns auch nicht weiter. Wir wollen nur unseren Kurs fortsetzen.� Die Antwort war ein Schuß vor den Bug, vor dem eine Wassersäule aufstieg wie eine Kaskade. Nachdem der Donner verklungen war, rief Dom Alfonso: �Ihr redet mit Alfonso de Albuquerque, ihr englischen Bastarde.� �Der von den Toten auferstanden ist?� höhnte der Seewolf. �Den Gottvater persönlich zur Erde geschickt hat, um dort nach dem Rechten zu sehen?� Die fanatisch-dämonischen Augen funkelten zornig. �Ich bin der Urenkel des großen Alfonso de Albuqerque�, schrie der schwarzgekleidete Mann. �Ein Mann, dem Malakka gehört, und der es verwaltet. Ich wiederhole noch einmal: Streicht die Flagge, ihr Bastarde, oder ihr werdet den Tag eurer Geburt verfluchen.� �Er nun wieder�, tönte der Profos. �Der nimmt sich tatsächlich ernst, diese aufgeriggte Bilgenratte.� Dom Alfonso verstand ihn nicht. Die �Unterhaltung� wurde auch auf Portugiesisch geführt. Aber er sah, daß einige dieser Bastarde laut lachten, und das versetzte ihn in rasenden Zorn. Die Karavelle schwang herum, der Bug schien sie rammen zu wollen, aber Hasard gab keinen Feuerbefehl, genau wie auch der Urenkel des großen Eroberers keinen gab. Die Absicht war klar. Die Kerle wollten entern. �Laßt sie kommen�, sagte Hasard ruhig. Das war der Augenblick, wo der Bug sie fast berührte, dann aber wieder auf Parallelkurs ging. Die Entfernung war

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allerdings bis auf wenige Yards geschrumpft.

9. Die Arwenacks hatten in unzähligen Schlachten bewiesen, von welchem Kaliber sie waren, und das stellten sie jetzt erneut unter Beweis. Drüben schwangen Falle hin und her. Enterhaken wurden durch die Luft gewirbelt, und eine ganze Meute wilder Kerle begann mit dem Enterkampf. Sie trauten sich viel zu, hatten Schiffshauer in den Fäusten oder auch Tromblons und verstanden es, damit umzugehen. Gleich ein halbes Dutzend Kerle schwangen an Fallen herüber, pendelten über dem Deck und ließen sich wie Trauben fallen. Was die Portugiesen nicht wußten, war die Tatsache, daß schon lange Nagelbretter für sie bereit lagen. Der Profos hatte sich des alten Tricks ausgiebig bedient. Vorsorglich hatte er auf die Planken hinter dem Schanzkleid auch noch Öl ausgegossen, bestes Olivenöl, wie der Kutscher lautstark bedauert hatte, aber sie hatten kein anderes. Augenblicke später ging es zur Sache. Die Arwenacks waren mit Spillspaken, Belegnägeln, Schiffshauern und Tromblons bewaffnet. Batuti schwang seinen mörderischen Morgenstern, und Ferris Tucker besann sich wieder auf seine überlange Axt, mit der sich große Breschen in die Phalanx der Angreifer schlagen ließen. Doch das erste halbe Dutzend Portugiesen erlebte eine herbe Enttäuschung, und den anderen erging es nicht viel besser. Drei Kerle sausten gleichzeitig mit ihren Stiefeln in die Nagelbretter und brüllten los, als hätten sie den Verstand verloren. Sie ließen vor Schmerz ihre Schiffshauer fallen, und auch die Pistolen konnten sie nicht in den Fäusten halten. Sie standen nur da, wobei ihnen das Wasser in die Augen schoß und die langen Nägel durch ihre Stiefelsohlen in die Beine drangen.

Sie waren unfähig sich zu bewegen, um sich aus den heimtückischen Dingern befreien zu können. Für den absolut unkonventionell kämpfenden Mac Pellew war es daher ein schon fast sadistisches Vergnügen, sich ihrer anzunehmen. Er tat das mit Hilfe einer riesigen gußeisernen Pfanne, die er den steckengebliebenen Kerlen mit aller Kraft auf die Schädel schlug. Küchengeräte waren ohnehin Macs Lieblingswaffen, und die gab es in der Kombüse überreichlich. Der erste Kerl kriegte die Riesenpfanne an die Stirn und sackte in den Nagelbrettern zusammen. Den zweiten erwischte der harte Gong ebenfalls und schickte ihn zu Boden. Der dritte wollte weiterhüpfen, aber die Bretter waren schwer, und er schaffte nicht mal ein halbes Yard, als ihn ein Waffeleisen traf. Zwei weitere sprangen von den Fallen genau auf jene Stellen, wo das öl ausgegossen worden war. Sie rasten gleich mit einem Affenzahn weiter, der Lächerlichkeit preisgegeben und von Edwin Carberry, dem Profos, bereits liebevoll erwartet. Der Profos hielt eine Spillspake in der Faust und lauerte auf den ersten, der an ihm vorbeiflitzte, am Schanzkleid Halt suchte und vergeblich herumstrampelte. Carberry hieb zu wie beim Karnickelschlachten. Er drosch dem Kerl die Spillspake ins Genick, hievte ihn hoch und warf ihn über Bord. Immer mehr Portus landeten in den tückischen Nagelbrettern und wehrten entsetzt und laut brüllend die Schläge ab, die sie erwarteten. Es wurde mit Haken und Ösen gekämpft, wie der Profos und Ferris schon vorher angekündigt hatten. Innerhalb kürzester Zeit lagen auf Deck der Schebecke mehr als ein Dutzend Portugiesen. Etliche andere waren bereits über Stag gegangen oder schwammen fluchend im Wasser.

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Albuquerque sah zu seinem größten Entsetzen ein, daß sie hier auf ein paar eisenharte Kerle gestoßen waren, die sich mit allen möglichen Tricks zur Wehr setzten. Warum diese Kerle nicht mit den Geschützen feuerten, blieb ihm unerklärlich. Sie hatten dazu Gelegenheit, nutzten sie aber nicht, sondern kämpften lieber mit den Fäusten, Messer oder Spaken. Er selbst hatte sich mit der Karavelle in eine Lage manövriert, aus der er nicht feuern konnte, ohne seine eigenen Leute zu treffen. Sie standen oder lagen direkt vor seinen Rohren. Mit Donnerstimme befahl er, die Taue zu kappen, damit die beiden Schiffe sich voneinander lösten. Er wollte erst aus sicherer Entfernung die Schebecke beschießen, und dann möglichst an Bug oder Heck. Die Taue wurden gekappt, beide Schiffe drifteten langsam auseinander. Die Arwenacks nutzten die Gelegenheit, um auch die restlichen Kerle an Bord ihres Schiffes noch in die Mangel zu nehmen. Viele von ihnen verloren die Nerven, als sie sahen, daß die Distanz beider Schiffe immer größer wurde und sie auf einsamem Posten standen. Da gab es nichts mehr zu entern und zu erobern, und so sprangen ein paar von ihnen einfach über Bord. Nur ein kleines Häuflein von fünf, sechs Mann kämpfte unverdrossen weiter. Einen schnappte sich Carberry, gab ihm eine Kopfnuß und schickte ihn mit einem weiteren Schlag zur Bordwand, wo der Mann prompt in einem der Nagelbretter landete. Sein gellender Aufschrei ging den anderen durch und durch. �Du wirst nie ein Fakir�, sagte Carberry und setzte ihm die Faust wie eine Dampframme auf den Schädel, �die schreien nämlich nicht.� Es dauerte nicht lange, dann flog einer nach dem anderen über Bord. Das war der Zeitpunkt, wo Dom Alfonso sich

entschloß, das Feuer auf die Schebecke zu eröffnen. Was ihm beim Enterkampf nicht gelungen war, das wollte er jetzt mit den Geschützen nachholen.

10. �Feuer! Schießt sie zusammen�, schrie der Portugiese wild. �Auf was wartet ihr noch!� Die Kanoniere visierten die Schebecke an, doch auf diesem Schiff schien der leibhaftige Satan mitzusegeln. Noch bevor die Breitseite aufdröhnte, löste sich von der Schebecke ein kleiner, heulender und jaulender Gegenstand. Ein zweiter und ein dritter folgten sofort. Die Dinger näherten sich wahnsinnig schnell, und dann knallte es auch schon ohrenbetäubend, als würde über ihnen der Himmel in einer einzigen Detonation auseinanderfliegen. Dom Alfonso glaubte an den Teufel, als sich urplötzlich Finsternis über die Karavelle senkte, eine Finsternis, die anfänglich dunklem Nebel glich, dann aber pechschwarz wurde. Fassungslos sah er sich um. Er blickte in wallende schwarze Wolken, die sein Schiff von allen Seiten einhüllten, und die immer wieder vom Deck aufwallten wie riesige Pilze. �Feuer�, schrie er, und zum ersten Mal verspürte er so etwas wie Angst, als alles um ihn herum immer dunkler wurde. Sein Befehl wurde auch noch befolgt. Eine Breitseite dröhnte auf, die die Karavelle hart überkrängen ließ. Aber die Kanoniere feuerten nur, weil sie den Befehl dazu hatten. Sie sahen nichts, nicht einmal die Umrisse des Engländers, der irgendwo vor oder neben ihnen liegen mußte. Dafür hörten sie den Abschuß von der Schebecke umso besser und spürten ihn noch deutlicher. Ein berstender Knall ließ sie in dieser fürchterlichen Nebelwand zusammenzucken. Splitter flogen ihnen um

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die Ohren, und beim zweiten Knall begann irgendwo Wasser ins Schiff zu strömen. Sie rannten wild durcheinander, voller Panik, von grauenhafter Angst erfüllt, und sie stießen überall an, denn es wurde immer schwärzer um sie herum. Der Satan selbst war bei ihnen an Bord erschienen. Noch einmal folgte ein schmetternder Schlag. Danach herrschte geisterhafte Stille, die nur durch das ständige Rauschen unterbrochen wurde. Langsam begann die Karavelle nach Steuerbord zu krängen. Das war der Augenblick, wo Dom Alfonso entnervt aufgab. Er wollte nur noch weg aus dieser Finsternis, und befahl mit brüllender Stimme, ein Boot abzufieren, was sich bei der Dunkelheit allerdings als so gut wie unmöglich erwies. Zu seinem Glück nahm eine Jolle, die als Beobachter fungierte, Kurs auf die Karavelle und holte ihn von Bord, nachdem er sich lautstark bemerkbar gemacht hatte. Im Schutz der pechschwarzen Nebelwand verschwand die Jolle wieder, und so konnte Dom Alfonso sich mit ein paar Offizieren noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Er sah beim Absegeln weder die Schebecke noch sein eigenes Schiff, denn über der See hing eine gewaltige dunkle Wolke, die von einem riesigen schwarzen Pilz gekrönt wurde. Tief beschämt, aber einem Wutanfall nahe, verließ er klammheimlich den fürchterlichen Schauplatz und empfahl sich. Er hatte die zweite Niederlage durch die Engländer erlitten, aber er schwor ihnen blutige Rache.

* �Die haben genug�, sagte Ferris zufrieden. �Die ersticken im Rauch und sehen nichts mehr.� Drüben wummerte eine Breitseite los, aber damit hatte der Seewolf längst gerechnet und rechtzeitig verholt.

So schlugen die zehn Eisenkugeln nur nutzlos ins Meer und wirbelten das Wasser zu Säulen auf. Langsam begann es dunkel zu werden. Der schwarze Pilz über der See breitete sich aus und verwandelte sich in eine schwarze Nebelbank, hinter der absolut nichts mehr zu sehen und zu erkennen war. So entging ihnen auch das Absetzmanöver des großmäuligen Dom Alfonso. Etwas später knallte drüben eine Jolle ins Wasser. Blind umhertastende Männer hatten sie einfach über Bord geworfen und sprangen jetzt hinterher, um ebenfalls im schwarzen Nebel zu verschwinden. �Zwei Treffer haben sie eingesteckt�, sagte der Seewolf. �Aber der Qualm hat sie total geschafft. Wir werden uns das Schiffchen jetzt einmal aus der Nähe ansehen. Die Portugiesen haben das Feld geräumt.� Im Wasser schwammen noch einige Gestalten, die sich auffallend still verhielten, um nicht entdeckt zu werden, obwohl man sie längst gesehen hatte. Hasard ließ sie schwimmen. Er vergriff sich nie an Schiffbrüchigen, die sie in gewissem Sinne auch waren. Als die schwarzen Nebel sich langsam verzogen, legten sie mit der Schebecke bei der Karavelle an. Wasser strömte ins Schiff, es sackte allmählich zur Seite, aber Ferris bohrte noch zusätzlich ein paar Löcher hinein, damit sie auch wirklich absoff. Inzwischen räumten die Arwenacks die langsam sinkende Karavelle aus und wurden in der Pulverkammer fündig. Fässer voller Pulver und Proviant wechselten zur Schebecke über, und für eine Stunde lang herrschte Hektik. Sie versorgten sich reichlich mit allem und brachten auch noch zweihundert Eisenkugeln an Bord. Von den Portugiesen war keiner mehr zu sehen. Auch die Jolle hatte das Dunkel der Nacht geschluckt. �Das war's�, sagte Carberry. �Die alten Tricks haben sich wieder einmal bewährt.� �Die neuen auch�, meinte Ferris. Sie sahen zu, wie die Karavelle langsam auf Tiefe ging, wie sich Strudel um sie

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bildeten und sie immer mehr Wasser zog, bis sie sich schließlich auf die Seite legte und unterging.

Da hatten sie sich aber schon längst von ihr gelöst und segelten weiter durch die Straße von Malakka, der Bandasee entgegen...

E N D E