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Uwe Gellert Zur Explizierung strukturierender Prinzipien mathematischer Unterrichtspraxis Zusammenfassung 121 Der Beitrag setzt an mathematikdidaktischen Forschungsarbeiten an, die wie folgt zusammenge- fiihrt werden: Erstens ist die Praxis schulischen Mathematikunterrichts durch eine nicht auf be- stimmte Unterrichtsformen beschrankte implizite Strukturierung gekennzeichnet, zweitens werden die Unterrichtsstrukturen durch interaktive Mechanismen erzeugt und drittens bewirkt die Impli- zitheit der Strukturierung eine differenzielle Zuweisung von Lernmoglichkeiten. Auf das von B. Bernstein eingefiihrte theoretische Konstrukt pedagogic device wird Bezug genommen, urn zu ei- ner systematischen Betrachtung der Wirkungsweisen und Folgen ,unsichtbarer' mathematischer Unterrichtspraxis zu gelangen. Abstract The paper is building on research reports which in synthesis show that school mathematics prac- tice is implicitly structured; that the structures of this practice are re-generated by interactive me- chanisms in the classroom; and that the implicit structuring is related to differential access to and participation in academically valued practices. By drawing on B. Bernstein's concept of the peda- gogic device, the modes of operation and the consequences of an ,invisible' mathematics teaching practice are systematically reconstructed. 1 Einleitung Der vorliegende Beitrag verfolgt ein theoretisches Interesse. Es wird der Frage nachge- gangen, ob, in welchem MaBe und, gegebenenfalls, wie die strukturierenden Prinzipien mathematischer Unterrichtspraxis in der Praxis des Mathematikunterrichts - also im We- sentlichen: von der Mathematiklehrerin oder dem Mathematiklehrer - aufgedeckt wer- den konnen, ohne durch diese Explizierung Lernprozesse zu be- oder zu verhindern. Da- zu wird zunachst problematisiert, welche Effekte eine implizite Strukturierung von Ma- thematikunterricht rur die SchUlerinnen und SchUler zeitigen kann. AnschlieBend wird darauf fokussiert, auf welchen Ebenen des Unterrichts diese Effekte, verrnittelt durch die Lehrerhandlungen, wirksam werden. 1m dritten Teil werden Positionen benannt, von de- nen aus es moglich ist, auf eine zwangslaufig implizite Strukturierung von Lernprozes- sen zu schlieBen. AbschlieBend wird ein theoretischer Standpunkt umrissen, von dem aus die scheinbare Ambiguitat von Implizitheit und Explizitheit von Strukturmerkmalen des Mathematikunterrichts aufgelost werden kann. Flir einen theoretisch interessierten Beitrag mag auf den ersten Blick verwundern, an wie vielen Stellen auf Ausschnitte aus der Lern- und Unterrichtswirklichkeit zuruckge- griffen wird. Diese Ausschnitte werden im vorliegenden Beitrag nicht als empirische Da- (JMD 30 (2009) H. 2, S. 121-146)

Zur Explizierung strukturierender Prinzipien mathematischer Unterrichtspraxis

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Uwe Gellert

Zur Explizierung strukturierender Prinzipien mathematischer Unterrichtspraxis

Zusammenfassung

121

Der Beitrag setzt an mathematikdidaktischen Forschungsarbeiten an, die wie folgt zusammenge­fiihrt werden: Erstens ist die Praxis schulischen Mathematikunterrichts durch eine nicht auf be­stimmte Unterrichtsformen beschrankte implizite Strukturierung gekennzeichnet, zweitens werden die Unterrichtsstrukturen durch interaktive Mechanismen erzeugt und drittens bewirkt die Impli­zitheit der Strukturierung eine differenzielle Zuweisung von Lernmoglichkeiten. Auf das von B. Bernstein eingefiihrte theoretische Konstrukt pedagogic device wird Bezug genommen, urn zu ei­ner systematischen Betrachtung der Wirkungsweisen und Folgen ,unsichtbarer' mathematischer Unterrichtspraxis zu gelangen.

Abstract

The paper is building on research reports which in synthesis show that school mathematics prac­tice is implicitly structured; that the structures of this practice are re-generated by interactive me­chanisms in the classroom; and that the implicit structuring is related to differential access to and participation in academically valued practices. By drawing on B. Bernstein's concept of the peda­gogic device, the modes of operation and the consequences of an ,invisible' mathematics teaching practice are systematically reconstructed.

1 Einleitung

Der vorliegende Beitrag verfolgt ein theoretisches Interesse. Es wird der Frage nachge­gangen, ob, in welchem MaBe und, gegebenenfalls, wie die strukturierenden Prinzipien mathematischer Unterrichtspraxis in der Praxis des Mathematikunterrichts - also im We­sentlichen: von der Mathematiklehrerin oder dem Mathematiklehrer - aufgedeckt wer­den konnen, ohne durch diese Explizierung Lernprozesse zu be- oder zu verhindern. Da­zu wird zunachst problematisiert, welche Effekte eine implizite Strukturierung von Ma­thematikunterricht rur die SchUlerinnen und SchUler zeitigen kann. AnschlieBend wird darauf fokussiert, auf welchen Ebenen des Unterrichts diese Effekte, verrnittelt durch die Lehrerhandlungen, wirksam werden. 1m dritten Teil werden Positionen benannt, von de­nen aus es moglich ist, auf eine zwangslaufig implizite Strukturierung von Lernprozes­sen zu schlieBen. AbschlieBend wird ein theoretischer Standpunkt umrissen, von dem aus die scheinbare Ambiguitat von Implizitheit und Explizitheit von Strukturmerkmalen des Mathematikunterrichts aufgelost werden kann.

Flir einen theoretisch interessierten Beitrag mag auf den ersten Blick verwundern, an wie vielen Stellen auf Ausschnitte aus der Lern- und Unterrichtswirklichkeit zuruckge­griffen wird. Diese Ausschnitte werden im vorliegenden Beitrag nicht als empirische Da-

(JMD 30 (2009) H. 2, S. 121-146)

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ten verstanden, aus denen - gemaB welcher Forschungslogik auch immer - theoretische Konstrukte abgeleitet werden. Die Ausschnitte ubernehmen vielmehr die Funktion von Vignetten. Sie stellen in sich abgeschlossene Szenen aus Protokollen dar und geben so einen Eindruck uber das theoretisch zu durchdringende Phanomen. Dariiber hinaus die­nen sie gleichsam als Kristallisationskerne fur die theoretische Arbeit; sie versinnbildli­chen vorab die theoretisch zu gewinnende Erkenntnis.

2 Problematisierung

Die folgende Problematisierung setzt bei Forschungsarbeiten an, in denen Sach-, Model­lierungs- und eingekleidete Problemloseaufgaben eine zentrale Rolle spielen, da auf die­se Weise das zu erorternde Thema schnell umrissen werden kann. Ein stoffdidaktischer oder konkreter curricularer Gegenstand steht jedoch nicht im Zentrum meiner Aufmerk­samkeit. Die Unsicherheit vieler Schiilerinnen und Schuler zur Bedeutung und Funktion von ,Realitatsbeziigen im Mathematikunterricht' ist nur ein Ausdruck einer prinzipiellen impliziten Strukturierung schulischen Mathematikunterrichts. 1

Haufig wird beklagt (z.B. Palm, 2008; Verschaffel, Greer & De Corte, 2000; Yoshi­da, Verschaffel & De Corte, 1997), dass Schiilerinnen und Schiiler beim Losen von Ma­thematikaufgaben, die so formuliert sind, dass sie ein auBerschulisches Alltagsproblem zu thematisieren vorgeben, zu stark algorithmisch vorgehen und die Zwange der Wirk­lichkeit auBer Acht lassen: Rechenergebnisse werden nicht sinnvoll gerundet, Material­eigenschaften vernachlassigt, nicht-teilbare Einheiten geteilt. In diesem Zusammenhang wird haufig auch darauf verwiesen, dass es Schiilerinnen und Schulern gelingt, aus der Ladung eines Schiffs das Alter des Kapitans zu berechnen: Sur un bateau if y a 26 mou­tons et 10 chevres. Quel es ['age du capitaine? (Baruk, 1985; IREM, 1980). Auch hier heiBt es dann, die Schiilerinnen und SchUler lieBen ein sinnhaftes Vorgehen vermis sen. Freudenthal (1982) setzt diesem Schluss entgegen, dass auch den SchUlerinnen und Schiilern die Absurditat der Fragestellung vermutlich nicht verborgen bleibt. Sie subli­mieren das Unverstandliche, in dem sie es in einen quasi-magischen marchenhaften Kontext uberfiihren, in dem per Addition gleichsam ,mathemagisch' zu einer Antwort ge1angt werden kann.

Cooper & Dunne (2000) werfen die Kritik am Schiilerverhalten beirn Losen von Sachaufgaben auf die Konstrukteure solcher Art Aufgaben zurUcI2: Die vorgeblich reali­tatsnahen Aufgaben und ihre Muster10sungen selbst werden als realitatsverzerrend er­kannt. Cooper und Dunne illustrieren diese Kritik an einer realitatsnahen Aufgabe aus britischen Vergleichsarbeiten (siehe Abbildung 1):

FUr wertvolle Hinweise zum Manuskript danke ich Gotz Krummheuer und zwei weiteren Gut­achtem. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Verhaltnis von Mathematik, Gesellschaft und Technologie und mit curricularen Konzeptionen, die explizit auf dieses Verhaltnis rekurrieren, wie etwa ,Mathematische Modellbildung', wlirde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. An dieser Stelle sei auf eigene und ausgewiihlte Arbeiten anderer verwiesen (Gellert & lablonka, 2007; Gellert, Jablonka & Keitel, 2001; Keitel, Kotzmann & Skovsmose, 1993; Verstappen, 1996).

Explizierung strukturierender Prinzipien

This Is the sign in a lift at an office block:

o

o

This lift can carry up to

14 people

o

o

In the morning rush. 269 people want to go up in this lift.

How many times must it go up!

Abb. 1: Realitiitsnahe Aufgabe "Fahrstuhl" (SEAC, 1992)

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Ais korrekte Losung akzeptiert das Bewertungsschema zu dieser Aufgabe die Zahl 20. Von den zu testeten Schtilerinnen und Schtilem wird also verlangt, das Ergebnis der Di­vision 269: 14 in Hinblick auf die Fahrstuhlsituation sinnvoll aufzurunden. Sie mlissen also, nachdem sie die zur Situation passende arithmetische Operation gewahlt und die Angaben fehlerlos in den Taschemechner eingegeben haben, von der mathematischen Berechnung wieder zur Fahrstuhlgeschichte zurUckwechseln. Es wird von ihnen dabei jedoch verlangt, genau das richtige MafJ an Realitat zu berucksichtigen, und was ,rich­tig' ist, gibt der Test vor. Unberucksichtigt muss bleiben, ob mit dem Fahrstuhl tatsach­lich immer 14 Personen fahren oder ob nicht einige Wartende ungeduldig werden und auf die Treppen ausweichen. Auch mogen manche Personen mehr Platz beanspruchen, etwa wegen des Rollstuhls, in dem sie sitzen. All diese Oberlegungen mlissen auBen vor bleiben; sie stellen ein zu hohes MaB an Realismus dar - wie sollte man dies im Rahmen eines standardisierten Tests bewerten (Gellert & Jablonka, 2002a, 2002b)? Und aus der Perspektive angewandter Mathematik ist das fUr die Aufgabe gewlinschte Vorgehen oh­nehin unzureichend: Das Problem des Schlangestehens ist der probabilistischen Theorie nicht unbekannt, die Losungen aber erheblich komplexer (Gross & Harris, 1998). Die an Schtilerinnen und Schtilem gelibte Kritik, Alltagszusammenhange bei vermeintlich reali­tatsnahen Aufgaben nicht ausreichend zu berucksichtigen, mag berechtigt sein oder nicht. Dies lasst sich vor dem Hintergrund so1cher Art Aufgaben jedoch kaum entschei­den.

Eine sozio-kognitve Deutung der Relation von Alltagszusammenhangen, realitatsbe­zogenen Mathematikaufgaben und den Losungsmustem von Schtilerinnen und Schtilem nehmen Reusser & Stebler (1997) vor. Sie interpretieren das kritisierte und auch von ih­nen beobachtete Schtilerverhalten als pragmatisch-funktionale Strategie:

As a result of schooling, students' behaviour is pragmatically functional if they take into ac­count any information they can draw from both problem texts and contexts. That is, their ma­thematical sense-making is functional ifthey actively and continuously construct a mental rep­resentation not only of the specific task [ ... ], but also of the social-contextual situation which they are in [ ... ]. As a consequence, to neglect ,realistic' interpretations of word problems, in the first sense, is often functional because it leads to correct and expected solutions. The strat­egy, thus, has its rational core in a socio-cognitve setting of schooling comprising both specific textual and situational factors. (Reusser & Stebler, 1997,325)

124 Uwe Gellert

SchUlerinnen und SchUler stellen ihr Alltagswissen und ihren Alltagsverstand zuriick, da dies bei dem meisten Sachaufgaben eine erfolgreiche, wenn nicht die zu favorisierende Herangehensweise darstellt. Der Text der jeweiligen Mathematikaufgabe erscheint hier­bei als dem Kontext des schulischen Mathematikunterrichts untergeordnet. Somit wird die kognitionspsychologische Perspektive aufgebrochen und es riicken soziologische Er­klarungsansatze in das Augenmerk. Insbesondere wird auf die besondere Situation im Unterricht hingewiesen, in der SchUlerinnen und SchUler handeln. Diese theoretische Verschiebung bewirkt, dass bei der Beschreibung des Phiinomens weniger auf die Schwierigkeiten und UnzuHinglichkeiten als auf die Ressourcen und Kompetenzen der SchUlerinnen und SchUler geblickt wird (Askew, 2008; Moschkovich, 2002).

Eine ahnliche Distanz zu kognitionspsychologischen Erklarungsversuchen stellen auch Wyndhamn & Saljo (1997) her. Sie verweisen darauf, dass zur Orientierung in der Unterrichtssituation eine Fahigkeit benotigt wird, die eher sprachlich-diskursiver Art ist:

Our results show that making realistic considerations is clearly within reach of all students. They accept - and are able to produce - different interpretations of the relationship between the claims made in the problems and the outside reality. Instead, the decisive issue operating seems to be the defmition of the situation [ ... ] that the students assume is relevant in the par-ticular context in which they are acting, and [ ... ] the premises for the interactive ritual in which they are involved. The ability to orientate oneself in terms of what contracts of communication are relevant and to identify how to take meaning from written (and spoken) statements is a competence that is social and discursive rather than narrowly cognitive. (Wyndhamn & Sliljo, 1997,379)

1m richtigen Einschatzen der Unterrichtssituation, in einer angemessenen Situationsdefi­nition, so Wyndhamn & Saljo (1997), liegt der Schliissel zurn erwiinschten Umgang mit realitatsbezogenen Mathematikaufgaben. Es bleibt zunachst offen, wie diese Orientie­rungsfahigkeit ausgebildet wird und warum sie nicht gleichmaJ3ig auf die SchUlerinnen und SchUler verteilt ist beziehungsweise welches die Mechanismen des Mathematikun­terrichts sind, die zu ihrer Ungleichverteilung beitragen. Festgehalten werden kann, dass Wyndhamn & Saljo (1997) einer soziolinguistischen Betrachtungsweise den Weg berei­ten.

In einer solchen soziolinguistischen Perspektive ist stets die Einsicht enthalten, dass die Fahigkeit der linguistischen Codierung und Decodierung nicht gleichmaBig fiber SchUlerinnen und SchUler aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten verteilt ist. Die erste Bedeutungsebene des Sozio-linguistischen liegt in der sozialen Art der Vermittlung von Flihigkeiten begriindet; dieses bewirkt jedoch noch keine Abgrenzung von etwa so­ziokulturellen (haufig Arbeiten Vygotskys aufgreifenden) Sichtweisen. Die zweite Be­deutungsebene des Sozio-linguistischen beruht auf einem gesellschaftlichen Struktura­lismus: In der Schule und im Unterricht spiegeln sich gesellschaftliche Sozial- und Machtstrukturen wider. Ais Referenzrahmen soziolinguistisch verorteter mathematikdi­daktischer Forschung (z. B. Adler, 2001; Atweh, Bleicher & Cooper, 1998; Cooper & Dunne, 2000; Hoadley, 2007; Lerman & Zevenbergen, 2004; Morgan, 1998; Morgan,

Explizierung strukturierender Prinzipien 125

Tsatsaroni & Lerman, 2002) dienen im Wesentlichen die Arbeiten Hallidays (1978, 1985) und Bernsteins (1990,1996).3

Beispielsweise konnen Cooper & Dunne (2000) im Kontext britischer Vergleichsar­beiten nachweisen, dass Schtilerinnen und Schtiler aus niederen sozialen Schichten bei vorgeblich realitatsnahen Mathematikaufgaben erheblich schlechter abschneiden als Schtilerinnen und SchUler aus der Mittelschicht, wahrend dieser Unterschied fUr inner­mathematisch formulierte Aufgaben deutlich geringer ist. Anscheinend gelingt es diesen Iugendlichen nicht, bei vorgeblich realitatsnahen Aufgaben das richtige Ma/3 an Reali­tatsbezug zu tinden. Dabei belegen die Analysen von Cooper & Dunne (2000), dass Iu­gendliche aus niederen sozialen Schichten nicht etwa einen zu geringen Bezug zu ihrem Alltagswissen herstellen, sondern dass sie tendenziell zu lange an ihrem Alltagswissen haften bleiben. Sie stellen die auBermathematische tiber die mathematische Sachlogik und konnen dano ihr mathematisches Wissen nicht adaquat demonstrieren.

Diese These wird von Cooper & Dunne (2000) in qualitativen stimulierten Re­Interviews mit den getesteten Schtilerinnen und Schtilern bestatigt. Zur Illustration seien hier Ausschnitte aus Re-Interviews mit zwei Iugendlichen (Diane - Middle-class; Mike - Working-class) angefiigt. Ais Stimulus des Interviews diente die in der Abbildung 2 dargestellte Aufgabe aus den Vergleichsarbeiten.

Wahrend sich Diane im Re-Interview auf den Aufgabentext bezieht und ihre Alltags­erfahrungen - ironisch gebrochen - nur am Ende des Ausschnitts explizit einbezieht, scheint Mike seinen Alltagserfahrungen Prioritat tiber die Daten zu geben (siehe Abbil­dung 3).

Es sei an dieser Stelle vennerkt, dass das Konstrukt der Situationsdefinition eine zentrale Stel­lung in mathematikdidaktischen Forschungsarbeiten, die sich in ihren theoretischen Grundla­gen am Symbolischen Interaktionismus orientieren, einnimmt. Insbesondere der Tenninus der "Aushandlung" von Situationsdefinitionen in der Unterrichtsinteraktion ist in diesem Zusam­menhang wesentlich. Proponenten eines interaktionistischen Forschungsansatzes weisen je­doch explizit darauf hin, dass auf diese Weise hierarchische MachtverhaItnisse, die bei der so­ziolinguistischen Betrachtung bedeutsam sind, aus dem Blick geraten:

Aus der Perspektive des Symbolischen Interaktionismus wird bei unterschiedlichen Situationsdefiniti­onen eine gemeinsame Situationsdefinition interaktiv ausgehandelt. FUr nicht-institutionelle Interakti­onen triffi diese Vorstellung wohl zu. [ ... ] BezUglich der Interaktion in der Institution Schule muB die­se Vorstellung korrigiert werden; denn hier gewinnt die Situationsdefinition des Lehrers einen norrna­tiven Charakter. (Voigt, 1984, 39)

Der interaktionistische Aushandlungsbegriff ist freilich hiiufig kritisiert worden. 1m Hinblick auf seine Verwendung im schulischen Kontext sind vor allem zwei Kritikpunkte zu nennen. (a) Der Aushand­lungsbegriffunterstelle das Ideal eines symmetrischen Diskurses und verkenne das Machtgefalle zwi­schen Lehrer und SchUlem in der Institution Schule. [ ... ] Dem unter (a) genannten makrosoziologi­schen Gesichtspunkt sozialen Machtgefalles ist aus der interaktionistischen Perspektive nur schwer zu begegnen. Er fallt gleichsam aus ihrem "Blickwinkel". (Krummheuer, 1992, 30f.)

In dieser Forschungstradition stellt die Asymmetrie von Interaktion ein situatives Moment dar, das rekonstruiert, nicht aber vor dem Hintergrund hierarchischer Gesellschaftsstrukturen inter­pretiert wird.

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The children in Year 6 (ondIKt a traffic survey outside the school rOt' I hour.

Type Number th.t pused 111 one hour

car 7S bu$ 8 lorry 13 van 26

Whon _iling ouuido the $chool dley try to docido on the likelIhood mn ~ lorT)' will go by in die neln minute.

Put a rl~ round how hkely It I, thlit .. lorry will go by .n the next minute.

[certain ~ry 1lkA1ly likely unldcety Impoulbl~ I

They <1150 try to decide on the likelihood thlit ~ car will go by in die neln

minute.

Put > rinz round how likely it I. Nt a car will &0 by In d", ""xl minute.

I cerQin Wlr'llikel'l likely \lnhk~y

Abb. 2: Realitatsnahe Aufgabe "StrafJenverkehr" (SEAC, 1993)

Uwe Gellert

Diane - refers to given data - both marks awarded

Responses: lorry - unlikely; car - very likely

Mike - refers to everyday experience - no marks

Responses: lorry - impossible; car - certain

Be: Diane:

Be: Diane:

Right, why have you chosen those two? Well, because in an hour, if there were, if there were 60 minutes in an hour, then if there were only thirteen lorries in one hour, it's not very likely that, urn, you're going to get a lorry just in one minute. And the cars - cos there were 75 cars, more than one a minute, so it's more li-kely that you'd [pauses, stops]. It's not certain though? It's not certain but there's, I mean, - I don't know, there could be a traffic jam [laugh-ing].

Mike:

Be: Mike:

A traffic survey outside the school. One hour. [He mutters; he reads under his breath.] Impossible. Cos it would proba­bly take him a minute just to get past. Right, why have you put those two then? Cos, lorries, you don't come across lor­ries very often, only if they've been de­livered (sic) somewhere, or something like that. But cars, people use them all the time and things.

Abb. 3: Gegeniiberstellung der Interviews mit Diane und Mike (Cooper & Dunne, 2000, 56!)

Auch in anderen Passagen aus den Interviews mit Mike zeigt sich, dass er immer dort, wo er bei den Aufgaben auf Alltagserfahrungen zuruckgreifen kann, dies auch tut und

Explizierung strukturierender Prinzipien 127

sich auf diese Weise in der Regel den Weg zu einer als korrekt ausgezeichneten Antwort versperrt. Die Alltagserfahrungen der SchUlerinnen und SchUler aus sozial niederen Schichten scheinen diese Kinder und Jugendlichen eher beim Losen realitatsnaher Ma­thematikaufgaben zu behindern, als dasssie eine Hilfe und einen Startpunkt darstellen. Es gelingt ihnen nicht in ausreichendem MaB, den Text realitatsnaher Aufgaben zu de­codieren und qua Decodierung die in den Aufgaben jeweils mitgelieferte Antworterwar­tung zu erkennen. Ahnliches findet Theule Lubienski (2000a, 2000b, 2002), die ihren Mathematikunterricht im Sinn der NCTM-Standards-Reform gestaltet, urn qualitativ mogliche differentielle Effekte in Bezug auf Leistung und Einstellung bei den SchUle­rinnen und SchUlern explorieren zu konnen. Unter anderem schlieBt sie:

Lower-SES [socioeconomic status] students were more likely to use language and ,common­sense' reasoning that was closely tied to the context of the problems. [ ... ] Higher-SES students were more likely to contribute in relation to abstract, strictly mathematical contexts and to use generalized language and reasoning. (Theule Lubienski, 2000b, 396)

These students [the students with lower socioeconomic status] sometimes approached the problems in ways that allowed them to miss the generalized mathematical point intended by me and the text. The higher SES students were more likely to approach the problems with an eye toward the intended, overarching, mathematical ideas. As an illustration, in a pizza-sharing problem designed to help students learn about fractions, Sue and other lower SES students ex­pressed concern about who might arrive late to the restaurant and talked about sharing pizza in terms of getting ,fIrsts' and ,seconds.' These students were very sophisticated in their consid­eration of multiple, real-world variables but did not encounter the intended ideas about frac­tions on their solution paths. (Theule Lubienski, 2002, 116)

Die Decodierung, darauf verweisen Wyndhamn & Saljo (1997), stellt keine genuin kog­nitive mathematische Leistung dar. Sie ist Ausdruck einer sozial vermittelten Gewoh­nung an einen bestimmten, eben schulmathematischen, pseudo-realitatsnahen Diskurs.

In eigenen Forschungsarbeiten (Gellert, 2008) kann diese soziolinguistische Erkennt­nis tiber die soziale Ungleichverteilung von Decodierungsfahigkeiten auf das Losen von Problemaufgaben im Mathematikunterricht ausgeweitet werden. Auch bei Problemauf­gaben, fUr deren Bearbeitung die SchUlerinnen und SchUler auf kein ihnen bekanntes Verfahren zurUckgreifen konnen, gelingt es manchen SchUlerinnen und SchUlern nicht, sich yom eigenen Alltagswissen in angemessener Weise zu distanzieren. 1m folgenden Beispiel mit einer SchUlerin und drei SchUlern einer sechsten Hauptschulklasse, die die in der Abbildung 4 dargestellte Aufgabe IOsen, wird dies deutlich. Der Aufgabentyp ist der SchUlergruppe unbekannt; im vorangegangenen Mathematikunterricht wurden keine ahnlichen Aufgaben gestellt.

Hannah, Sabrina und Katharina fahren in die Ferien. Die eine fahrt nach Sildfrankreich, die andere in den Bayerischen Wald, die dritte an die Nordsee. Folgendes ist bekannt: • Sabrina leiht sich von dem Madchen, das in den Bayerischen Wald fahrt, eine Schnorchel-

ausriistung. • Die, die in den Bayerischen Wald fahrt, und Katharina fahren mit den Eltern in Urlaub. • Sabrina nimmt mehr Koffer mit in den Urlaub als die, die nach Sildfrankreich fahrt. Welches Madchen hat welches Urlaubsziel?

Abb. 4: Problemaufgabe (vgl. Gellert, 2008, 216)

128 Uwe Gellert

Nachdem ein SchUler der Gruppe die Aufgabe vorgelesen hat, entspinnt sich das folgen­de von der Mathematiklehrerin nicht unterbrochene Gruppengesprach (vgl. Gellert, 2008,216f.):

Ron: Darf ich mal? Sabrina leiht sich von diesem Madchen, die nach Bayem fahrt, die Schnorchel?

Ben: Das ist ne Taucherausrtistung, wie, iihm, wie Taucherbrille, Schnorchel und ... Ron: Ja, Schnorchel. Ben: Oder, oder das gibt ja auch andere Taucherausrtistungen. Entweder Schnorchel oder

irgendwie so Gasmask, Gasmasken. Ron: Dann fahrt, glaub ich, diese Sabrina irgendwie an die Ostsee oder so. Ben: Aber da steht doch an die Nordsee! Ron: Nordsee, mein ichja. Jan: Aber sie kann ja auch nach Siidfrankreich fahren, weil da ist ist ja bestimmt wann. Ron: Nee, nicht so. Ben: Okay. Es gibt Sabrina und ... Jan: ... die fahrt entweder nach Siidfrankreich oder an die Nordsee. Ron: Ja, weil die sich die Schnorchelausrtistung leiht. Ben: Oder zum Bayrischen Waldo Jan: 1m Bayrischen Wald kann man gar nicht ... 1m Bayrischen Wald ist nur ein Fluss und

im Fluss kann man nicht ... Bea: Sabrina leiht sich doch die Tauchausrtistung und dann wiirde ich sagen, Sabrina fahrt

doch an die Nordsee. Ben: Ja, also, in Siidfrankreich ist auch See. Jan: Mhm, da ist auch'n Meer, da kann man ... Ben: Siidfrankreich ist wanner. Jan: Mhm, da kann man gut baden. Ben: Nordsee, die Nordsee ist irgendwie ... Jan: Also ich wiirde eher in Siidfrankreich tauchen, aber das weiB manja nicht. Ron: Siidfrankreich! Die fahren ja nicht extra furs Baden nach Siidfrankreich! Ich wiirde

eher Nordsee sagen. Bea: Ich auch. Ben: Ich wiirde sagen, Siidfrankreich. Weil's da wanner ist und das Wasser ist besser. Das

Wasser ist sauberer. Jan: Und auBerdem, wer schon mal in der Nordsee war und dadrin geschwommen ist,

weiB auch ungefahr, wie die aussieht. Ron: Ja, aber die Nordsee, da gehen doch viel mehr baden. Jan: Ja, aber tauchen ... Ben: Tauchen! Da baden sie ja nur! Ron: Dann schreib ich jetzt auf. Sabrina, Siidfrankreich.

Dieser Gesprachsausschnitt ist durch eine hohe argumentative Dichte gekennzeichnet. Die SchUlerin und die SchUler gehen aufeinander ein; als Argumente werden die Was­serqualitat, der Badebetrieb, die Reisedistanz und die Charakteristika der Reiseziele an­gefiihrt. Es wird so lange diskutiert, bis sich die Mehrheit der SchUler von Siidfrankreich als dem Reiseziel von Sabrina iiberzeugt zeigt.

Eine solche Fonn der Argumentation ist typisch fur gelungene auBerschulische All­tagskommunikation; im Mathematikunterricht jedoch ist der Austausch solcher Art Ar­gurnente weder immer hilfreich noch sinnvoll. Meist gilt es im Mathematikunterricht, moglichst schnell die wichtigen von den iiberfliissigen Angaben zu trennen und, im vor-

Explizierung strukturierender Prinzipien 129

liegenden Aufgabenbeispiel, die logische Struktur des Gegebenen zu durchschauen. Fur Mathematikaufgaben sind Wasserqualitlit und Badebetrieb in der Regel nicht von Bedeu­tung - und bildungserfolgreiche Sechstkllissler wissen dies. Bildungserfolgreiche SchU­lerinnen und SchUler haben gelernt, Mathematikunterricht, auch wenn er sich alltagsnah und angewandt gibt, nicht mit der auBerschulischen Erfahrungswelt zu verwechseln.

Letztlich hlingt es von der jeweiligen curricularen Konzeption der Mathematiklehre­rin oder des Mathematiklehrers ab, welche Bedeutung dem nicht-formalen Inhalt zuge­messen wird. Gorgorio, Planas & Vilella (2002) zeigen an mehreren Unterrichtsbeispie­len, wie Schiilerinnen und SchUler dadurch in einen Konflikt miteinander geraten, dass sie die Bedeutung des Alltagskontexts und der formalen Mathematik unterschiedlich ein­schlitzen. In einer solchen Konfliktsituation sind Lehrerhandlungen als kritisch anzuse­hen. Zur Illustration sei hier eine von Gorgorio, Planas & Vilella (2002) dokumentierte Unterrichtssequenz angefuhrt. 1m Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema ,Propor­tionalitat' hatte die Lehrerin als Hausaufgabe gestellt, ein Back- oder Kochrezept mitzu­bringen. Lediglich eine Schiilerin brachte tatslichlich ein Rezept in die Schule. Das Re­zept bezog sich auf eine Pastete fur 6 Personen und fiihrte, neben anderem, als Zutat 250 gr. Fleisch auf. Die Lehrerin stellte die Aufgabe, die Zutaten fur 11 Personen zu berech­nen (Gorgorio, Planas & Vilella, 2002, 47).

Teacher: Who wants to begin? Do we know how much meat we have to buy? Nadia: (raises her hand) May I go to the blackboard? (she goes. and writes) 458'333333 .... Teacher: grams of meat? Nadia: Shall I put the other ingredients? Teacher: Wait, let us finish with the meat. Are we going to buy 458'333333 .... grams of meat? Joel: (shouting disgustedly) She is crazy! (Nadia erases the 3 's and writes 458 '3) Joel: And what is that ,thing' over the 3? Nadia: You shut up! Teacher: Wait Nadia. Let us hear what Joel wants to say. Joel, good manners, please. Could

you please tell us what's the matter? Joel: She has never been shopping! We buy 500 grams, and everybody eats a little more! Nadia: But you are inventing a new problem, it is for II people, not for 12!

Es stellt sich in dieser Situation die Frage, wie der Konflikt zwischen Nadia und Joel derart aufgelost werden kann, dass in dieser Auflosung eine Lernmoglichkeit fur die Schulklasse entsteht. Polarisierend lassen sich zwei Alternativen gegenuber stellen. Ei­nerseits ist es moglich, dass die Lehrerin Mathematik als ein Hilfsmittel darstellt, mit dem Alltagsftagen beantwortet werden konnen. Nimmt man solch eine Position ein, so kann die Logik des Alltags der mathematischen Logik ubergeordnet erscheinen: Joels Einkaufsstrategie erscheint dann bedeutsamer als Nadias. Schulmathematik wird somit als kontextuell und informal konfiguriert und erhlilt ihre Bedeutung in mannigfaltigen auBermathematischen Kontexten. Andererseits kann der auBermathematische Kontext den Schiilerinnen und Schiilern als ein Startpunkt fur den Weg in die formale Mathema­tik dienen. Dies bedeutet, dass der alltagsnahe Kontext in der Aufgabenbearbeitung und dem Unterrichtsgesprlich sukzessive an Bedeutung verliert. Dies wird bei Nadia etwa in der verwendeten mathematischen Symbolik deutlich. Mathematische Bedeutung entsteht dann im formalen (schul-)mathematischen System selbst.

130 Uwe Gellert

Zwischenrestimee: Die implizite Strukturierung des Mathematikunterrichts wirft fUr Schiilerinnen und SchUler Schwierigkeiten auf. Diese sind nicht auf besondere Unter­richtsformen beschrankt. Sie sind identifizierbar in individuellen SchUlerlosungen vor­geblich realitatsnaher Mathematikaufgaben, in kollektiven Bearbeitungsprozessen prob­lemhaltiger Mathematikaufgaben sowie in Klassengesprachen. Dowling (1998) argu­mentiert, dass diese Schwierigkeiten in der Art der Mathematikaufgaben, die rur ein be­stimmtes Verstandnis von Mathematikunterricht stehen, angelegt sind und dass dieses Verstandnis von Mathematikunterricht in einem engen Bezug zu makrostrukturellen ge­sellschaftlichen Hierarchien steht und letztendlich zur Reproduktion gesellschaftlicher Verhaltnisse beitragt. So stringent Dowling (1998) diese Argumentation aufbaut und so einleuchtend sich seine Einsichten darstellen: Seine Perspektive begrundet eine eher sta­tische Sicht auf die Praxis des Mathematikunterrichts, in der weder die SchUlerinnen und SchUler noch die Mathematiklehrerinnen und -lehrer funktionale Handlungsspielraume besitzen. Es sind jedoch gerade die konstitutiven Praktiken der im Mathematikunterricht Agierenden, die eine Vermittlung makrosozialer Beziehungen im Mikrosozialen des Un­terrichts bewerkstelligen. Mehan (1992) folgend lassen sich Unterrichtsstrukturen nur dann verstehen, wenn die interaktionalen Mechanismen untersucht werden, die diese Strukturen erzeugen. Auf diese interaktionalen Mechanismen, insbesondere auf die kon­stitutiven Praktiken der Mathematiklehrerinnen und -lehrer, wird im nachsten Abschnitt fokussiert.

3 Fokussierung: Alltag und Mathematik in der In­struktionspraxis

Gorgori6, Planas & Vilellas (2002) Unterrichtsbeispiel (s.o.) kann als ein Hinweis darauf gelesen werden, durch welche Elemente der Instruktionspraxis ambivalente und unklare SchUlervorstellungen von dem jeweils von der Lehrperson balancierten Verhaltnis von Mathematik und Alltag bewirkt werden. In dem diskutierten Beispiel stellen sich die Aufforderungen der Lehrerin diesbewglich durchaus widerspruchlich dar. Einerseits wahlt sie 11 Personen als Zielzahl aus, vermutlich gerade urn die SchUlerinnen und SchUler zu symbolisch fixierten Berechnungen zu bewegen. Andererseits verweist das materiale Vorliegen des Rezepts stark auf ,reale' Uberlegungen bei der Verkostigung von Gasten. Moglicherweise mochte sie mit den SchUlerinnen und SchUlern die Bedeu­tung von Mathematisierungen erortern. Den SchUlerinnen und SchUlern wird somit zu­nachst eine uneindeutige Botschaft Ubermittelt. Zudem bleibt das Uneindeutige von der Lehrerin (bewusst) unbenannt.

In eigenen Unterrichtsstudien (Gellert, 2008; Gellert & HUmmer, 2008; Gellert & Jablonka, in press) wurde deutlich, dass das ,unbenannte Uneindeutige' die Praxis des Mathematikunterrichts auf mehreren Ebenen durchdringt und sich nicht auf bestimmte curriculare Konzeptionen rur den Mathematikunterricht beschrankt. Implizit kann blei­ben:

Explizierung strukturierender Prinzipien 131

a) welcher Art die Mathematik ist, die unterrichtet wird (eher algorithmisch, eher mathematisch-strukturell, eher heuristisch oder eher an Anwendungen orientiert),

b) in welchem Verhaltnis die unterrichtete Schulmathematik zur Wissenschaftsdis­ziplin Mathematik und zum Alltagswissen steht,

c) worin eine erfolgreiche Teilnahme am Mathematikunterricht besteht und was ei­nen erwartungsgemaBen Schiilerbeitrag auszeichnet.

Diese drei Punkte dienen im Folgenden als Folie, auf der die Argumentation ausgebreitet wird. Sie erfahren weiter unten eine systematische theoretische Anbindung.

In Gellert & HUmmer (2008) analysieren wir Teile des Unterrichtsgesprachs einer besonderen Unterrichtsstunde in Mathematik. Es handelt sich bei dieser Stunde um die erste Unterrichtsstunde nach den Sommerferien, am Beginn des neuen Schuljahrs, einer fiinften Gymnasialklasse. Die Schiilerinnen und Schiller sind in einer neuen Lemurnge­bung und Lemgruppe versammelt. Der Lehrer und die Schiilerinnen und Schiiler kennen sich noch nicht; einige Schtilerinnen und Schiller sind einander bekannt, da sie gemein­sam eine Grundschulklasse besucht haben. Diese erste Unterrichtsstunde ist einem gro­Beren Datenkorpus entnommen, der die vollstandigen Videographien der ersten zehn Wochen des Schuljahrs sowie Kopien von Arbeitsmaterialien, Schiilerheften und Klas­senarbeiten urnfasst. Der Datenkorpus ist Teil und Grundlage einer laufenden intematio­nalen Vergleichsstudie zur sozialen Konstruktion von Leistungsdifferenzen im Mathe­matikunterricht (Jablonka, Gellert, Knipping & Reid, 2008; Knipping, Reid, Gellert & lablonka, 2008).

Ausschnitte dieser Unterrichtsstunde werden im vorliegenden Beitrag als Illustration herangezogen, urn zu diskutieren, in welchem MaB und in welcher Weise Implizitheit auf den oben benannten drei Ebenen die schulmathematische Unterrichtspraxis kenn­zeichnet (bzw. kennzeichnen kann). Da, wie gesagt, auf lediglich eine Unterrichtsstunde eingegangen wird, zielen die Ausflihrungen dabei nicht auf eine empirische Erkenntnis tiber Mathematikunterricht, sondem versuchen stattdessen, die Leserin oder den Leser fUr die nachfolgenden theoretischen Uberlegungen zu sensibilisieren und zu interessie­reno

Diese erste Unterrichtsstunde des Schuljahrs beginnt der Lehrer unmittelbar dadurch, dass er den Schiilerinnen und Schiilem die Regeln eines Strategiespiels flir zwei Spieler offenbart ("la course it 20"; Brousseau, 1975, 3), in dem es darum geht, beim abwech­selnden Zahlen zuerst "zwanzig" aussprechen zu konnen, wobei bei jedem Zahlschritt eine Zahl tibersprungen werden kann.4

4

Lehrer:

Nicole: Lehrer: Nicole: Lehrer:

Jaa, also ihr seid die herlichtigte fiinfhe, aah hah schon was von euch gehOrt al­lerhand, und wont jetzt euch son hisschen testen mach ich immer oh ihr auch his zwanzig zahlen konnt. [Schuler lachen.] Also das ist ja gnmdsatzliche Voraus­setzung urn hier her zu kommen his zwanzig zu zahlen so denn wont ich mal fragen wer traut sich denn zu his zwanzig zu zahlen? [SchUler melden sich, la­chen.] Okay jaa, du hist die? Nicole. Nicole, okay also du traust dir zu his zwanzig zu zahlen. Ja. Dann wOrd ich das geme mal hOren.

Das Zeichen ,,>" weist auf eine zeitliche Uberlappung von Redebeitragen hin.

132

> Nicole: > Lehrer:

Nicole: Lehrer: Nicole: Lehrer: Nicole: Lehrer:

Nicole: Lehrer: Nicole: Lehrer: Nicole: Lehrer: Nicole:

Uwe Gellert

Gut, eins zwei dr Zwei, achso tschuldigung ich hab ganz vergessen zu sagen, wir ziihlen

abwechselnd, ja? Okay. Ja? Wollen wir noch mal anfangen? Ja, eins. Zwei. Drei. Fiinf, ach, hab ich auch wieder vergessen. [Schuler lachen.] Aiihm, man darf ei­ne Zahl iiberspringen, ne? Also wenn ich wenn du sagst drei dann darf ich die Vier iiberspringen und kann gleich fiinf sagen. Okay. Mhm, wollen wir noch mal anfangen? Hm, ems. Zwei. Drei. Fiinf. Sechs.

Beide "zahlen" gemaB den Regeln weiter. Der Lehrer gewinnt und fragt in die Klasse, ob es "hier andere Kandidaten gibt, die bis zwanzig zahlen konnen". In den nachsten 7 min. verlieren nach und nach acht weitere Schiilerinnen und Schiiler gegen den Lehrer und es entwickelt sich eine Wettkampfatmosphare der Art "wir gegen den Lehrer", was vom Lehrer auch forciert wird.

Der zehnte Schiiler (Hannes) hat sich Notizen gemacht, auf die er beim "Zahlen" ge­gen den Lehrer zuriickgreift - und gewinnt. Nachdem Hannes "zwanzig" gesagt hat, schlieBt sich die folgende Passage an:

Lehrer:

Hannes: Lehrer:

Torsten: Lehrer:

Jaa prima. [Schiller applaudieren.] Hast dir das gerade aufgeschrieben oder hast du das schon dabei gehabt? Wusstest du, dass du heute Ich hab geguckt welche Zahlen du immer nimmst. Aha. Du hast dir das gemerkt, jaa, habt ihr das gemerkt oder welchen Trick er jetzt draufhatte? Ja demen Trick. Jaja, was ist denn da da der Trick dabei?

Hannes wird in dieser Szene vom Lehrer gelobt und anschlieBend gefragt, wie er zu sei­nen Aufzeichnungen gekommen sei. Anscheinend hat er in den vorangegangenen Durch­laufen erkannt, dass der Lehrer immer wieder die gleichen Zahlen ausspricht, und sich diese Zahlen notiert, urn sie dann gleichsam gegen den Lehrer einzusetzen. Wieso diese Zahlen zum Gewinn fuhren, ist noch unklar. Konsequenterweise bezeichnet der Lehrer die Gewinnstrategie an dieser Stelle als Trick.

Mit der Bezeichnung der Gewinnstrategie als Trick wird das vom Lehrer und den Schiilerinnen und Schiilem betriebene "Bis-20-zahlen" als Alltagshandlung eingeordnet. Wahrend im Mathematikunterricht Strategiespiele in der Regel mathematisch dekonstru­iert und mathematische Gewinnstrategien expliziert werden, ist im auBerschulischen All­tag ein grundlegend anderes Verhalten zu beobachten: Man behalt den fur das Gewinnen hinreichenden Trick moglichst lange geheim, da nach Aufdeckung des Tricks das Spiel seinen Reiz einbiiBt. Mit dieser Einordnung als Alltagshandlung geht einher, dass vom

Explizierung strukturierender Prinzipien 133

Lehrer fur die SchUlerinnen und SchUler im Unklaren gelassen wird, welche Funktion diesem Strategiespiel fur die thematische Abfolge des Mathematikunterricht zukommt oder ob es sich bei dieser Aktivitat gar urn eine "mathematiknahe" Form des Miteinan­der-Bekanntrnachens handelt, die in keiner Beziehung zur Thematik des nachfolgenden Mathematikunterrichts steht. Mit dieser Unklarheit geht einher, dass es zu diesem Zeit­punkt der Unterrichtsstunde fUr die SchUlerinnen und SchUler so aussieht, als bestiinde die erfolgreiche Teilnahme am Mathematikunterricht darin, das Zahlspiel gegen den Lehrer zu gewinnen, mit welchen Mitteln auch immer.

Dass dies nicht der Fall ist, wird im weiteren Ablauf der Stunde - zumindest fur den distanzierten Beobachter - deutlich. Nachdem der Lehrer im Gesprach mit den SchUle­rinnen und SchUlern die "Gewinnzahlen" 17, 14, 11, 8, 5 und 2 (vom Lehrer als "die wichtigsten Zahlen" bezeichnet) erarbeitet und diese an die Tafel schreibt, ohne jedoch sicher zu stellen, dass die sich nicht am Gesprach beteiligenden SchUlerinnen und Schu­ler die Gewinnstrategie verstanden haben, variiert er das Zahlspie1 und weist die SchUle­rinnen und SchUler an, in Partnerarbeit die neue Gewinnstrategie zu identifizieren. Die Spiel-Variation besteht darin, dass nun auch zwei Zahlen ubersprungen werden durfen.

Nach 10 min. beendet der Lehrer die lebhafte Partnerarbeit (wahrend der viele Schu­ler mehr dam it beschaftigt sind, ihren Partner zu besiegen, als mit ihm gemeinsam im Spiel die Gewinnstrategie zu identifizieren) und fordert die SchUlerinnen und SchUler auf, gegen ihn zu "spielen". Die ersten sechs SchUlerinnen und Schuler verlieren gegen den Lehrer, bevor es dem siebten Kind, Lena, gelingt, zu gewinnen. Nachdem Lena "zwanzig" gesagt hat, schlieBt sich die folgende Passage an:

Lehrer:

Lena: Lehrer: Lena:

Lehrer: Lena: Lehrer: Lena:

Lehrer:

Ja gut. [Schiiler applaudieren.] Gut dann wollen wir nochrnal die anderen jetzt gar nicht auf die Folter spannen, Lena, erzahl mal wie hast du was haste rausge­funden, was ist bei diesem Spiel wichtig? Ja also, wir haben das zu zweit rausgefunden. Ja. Wir haben die vier wichtigsten Zahlen rausgekriegt also auBerdem muss der an­dere anfangen damit man gewinnt. Wollen wir mal von hinten anfangen? Von hinten? Nee. Nee? Okay, dann sag mal. Okay, ahm, also wenn der andere anfangt dann muss er eins zwei oder drei sa­gen dann kann man immer vier sagen. [Lehrer schreibt 4 an die Tafel.] Wenn der andere fiinf sechs oder sieben sagt dann kann man acht sagen. [Lehrer schreibt 8 an die Tafel.] Und wenn der andere neun zehn oder elf sagt dann kann man zwOlf sagen. [Lehrer schreibt 12 an die Tafel.] Und wenn der andere drei­zehn vierzehn oder fiinfzehn sagt dann kann man sechzehn sagen. [Lehrer schreibt 16 an die Tafel.] Und dann kann der andere ja siebzehn achtzehn oder neunzehn und dann kann ich zwanzig sagen. Ja, prima. Ja was ich besonders prima [mde ist, du hast ja ich habe nur gefragt was sind die wichtigen Zahlen, aber du hast automatisch das gleich super erklart. Ja also dasss ist schon ganz prima. Also oft sagen sagt man nur das Ergebnis das Ergebnis ist, einige trauen sich nicht aber du hast das gleich freiwillig erklart. So wiinsche ich mir das. Okay, so, und du hast auch schon gesagt, diesmal ist es nicht der der nicht der der anfangt sondem der zweite der gewinnt, wenn er es richtig macht. Ja, okay.

134 Uwe Gellert

Mit Bezug auf die oben genannten Ebenen (a), (b) und (c) zeigt sich im Vergleich der beiden Passagen, in denen der Lehrer mit Hannes und Lena (und fur alle) tiber das Stra­tegiespiel reflektiert, dass die Schiilerinnen und SchUler tiber essentielle Aspekte dieses Mathematikunterrichts in gewisser Weise im Unklaren gelassen werden. Zwar Hisst sich fur Schiilerinnen und SchUler, die gleichsam "zwischen den Zeilen lesen" konnen, die vom Lehrer intendierte Unterrichtspraxis identifizieren, gleichwohl offenbart der Lehrer diese Praxis seinen SchUlerinnen und Schiilern nur implizit oder ruckblickend. Wer die impliziten Hinweise nicht entdeckt oder nicht decodieren kann, fUr den bleibt wahrend der Problem16seaktivitat unbenannt und unklar,

a) ob es sich bei dem Spiel urn eine Aktivitat zur sozialen Annliherung oder urn ein als Wettkampfspiel prasentiertes mathematisches Problem handelt,

b) ob folglich nach einem Trick gesucht oder eine mathematische Strategie "heuris­tisch" erarbeitet werden solI und

c) ob sich folglich erfolgreiche Teilnahme an diesem Unterricht dadurch auszeich­net, dass man im Spiel gewinnt oder dass man eine Gewinnstrategie mathema­tisch begrundet.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die in den Reflexionen des Lehrers co­dierten Orientierungen beziiglich der Ebenen (a), (b) und (c) von allen Schiilerinnen und Schiilern erfasst werden. Almliche zweifel auBert auch Civil (2002, 50), deren Schiile­rinnen und Schiiler offensichtlich nicht erkennen, was die Lehrerin als Gewinnstrategie akzeptiert: "my winning strategy works with C [her partner]". Theule Lubienskis (2000b) Untersuchungen legen nahe, dass insbesondere die vom Lehrer gefiihrten Klas­sengesprache und die darin impliziten Hinweise auf die Regularien und die jeweils in­tendierte Rollenverteilung im Mathematikunterricht tendenziell von den Schiilerinnen und Schiilern sozialschichtspezifisch differentiell verstanden werden:

The relatively open nature of our class discussions called for students to take intellectual risks as they explored, shared, and analyzed mathematical ideas. Lower-SES students seemed more fearful of saying or believing the wrong thing - they desired more specific direction from me and the texts. The higher-SES students were more comfortable with the more open nature of my pedagogy, feeling confident to make sense of ideas being debated and to defend their own ideas in the face of opposition. (Theule Lubienski, 2000b, 398)

Anscheinend bewirkt die implizite Strukturierung mathematischer Unterrichtspraxis eine graduelle Desorientierung mancher Schtilerinnen und SchUler. Betont sei an dieser Stel­le, dass die Ausbalancierung von Implizitheit und Explizitheit auf allen drei Ebenen im Wesentlichen durch den Lehrer erfolgt - oder eben nicht erfolgt, wie Schtittes (2009) Analysen zur Implizitheit bei der Einfiihrung neuer mathematischer Begriffe im Mathe­matikunterricht zeigen. Auch Jablonkas (2004) vergleichende Analysen von Mathema­tikunterricht in Deutschland, Hongkong und den U.S.A dokumentieren Muster impliziter Strukturierung. Das "unbenannte Uneindeutige" der Regeln und Normen fUr legitime Schtilerhandlung bewirkt, dass die Handlungsspielraume bestimmter Schiilerinnen und Schiiler besonders stark eingeschrankt sind. Auf diese Weise konstruiert und rekon­struiert der Lehrer nicht nur die Machthierarchie zwischen Lehrenden und Lernenden im Unterricht, sondern etabliert auch ein Gefalle an Beteiligungsmoglichkeiten fUr die Schiilerinnen und Schiiler.

Explizierung strukturierender Prinzipien 135

4 Argumente gegen die Explizierung des Impliziten

Anscheinend kann die Implizitheit von Struktunnerkmalen der mathematischen Unter­richtspraxis verhindem, dass alle Schiilerinnen und SchUler stimmige Orientierungen dariiber ausbilden, welcher Art Wissen in den verschiedenen Momenten des Mathema­tikunterrichts behandelt wird, wie sich dieses Wissen in vorhandene Wissensstrukturen einpassen liisst, was iiberhaupt von ihnen erwartet wird, urn letztlich erfolgreich am Ma­thematikunterricht teilnehmen zu konnen. Man mag an dieser Stelle institutionskritisch argumentieren und die Implizitheit der Strukturmerkmale von Mathematikunterricht, verbunden mit sozialschichtdifferentiellen Decodierungsfahigkeiten der Schiilerinnen und SchUler, als konstitutives Moment einer auf Selektion zielenden sozialen Organisa­tion auffassen (die dann tendenziell zu gesellschaftlicher Reproduktion beitragt). In die­sem Fall konnte jeder Versuch, Strukturierungsmerkmale von Mathematikunterricht den Schiilerinnen und Schiilem transparent zu machen, als ein subversives Unterfangen ver­standen werden, das darauf zielt, die Mechanismen der Selektion zu irritieren.

Anderenfalls verspricht die Explizierung von Strukturierungsmerkmalen, dass die Schiilerinnen und Schiiler eine verbesserte Kenntnis davon erlangen, was von ihnen im Mathematikunterricht erwartet wird und welcher Art die erwiinschten Beitrage zum Un­terricht sind. Wenn die Schiilerinnen und SchUler besser dariiber in Kenntnis gesetzt werden, was von ihnen erwartet wird, so die These, dann konnen sie diesen Erwartungen auch besser gerecht werden.

In Hinblick auf den Lemprozess sind zu dieser These von (mindestens) zwei theore­tischen Standpunkten aus Zweifel angebracht. Brousseau (1984) beschreibt vor dem Hintergrund seines theoretischen Konstrukts ,didaktischer Vertrag', wie eine stark expli­zite Instruktionspraxis Lemen verhindem kann. Er nennt dieses Phanomen:

"Topaze-Effect": Under the constraints of the didactical contract, when manipulating the mea­ning of the pupils' behaviour, the teacher is led, in certain circumstances, to empty the learning situation of all cognitive content. (Brousseau, 1984, 111)

Je expliziter der Lehrer oder die Lehrerin benennt, was von den Schiilerinnen und SchU­lem verlangt wird, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Lemen stattfindet. Durch die Explizierung wird es den Schiilerinnen und Schiilem moglich, sich an den oberflachli­chen Merkmalen der erwarteten Antworten oder Losungen zu orientieren, ohne sich kognitiv mit den mathematischen Inhalten auseinander zu setzen. Einen ahnlichen Ge­danken formulieren Damerow, Elwitz, Keitel & Zimmer (1974), die riickblickend auf damalige konzeptionelle Uberlegungen im Bereich der Didaktik des Sachrechnens (,Zer­legungsverfahren', ,Simplex-Komplex-Konzeption') kritisieren:

Die beschriebenen Reformversuche im methodischen Bereich des traditionellen Sachrechnens zielen darauf ab, dem Schiiler die Losungsprobleme, die eine Sachaufgabe stellt, immer mehr zu erleichtem und mit der Bereitstellung universeller Losungsschemata und -programme schlieBlich nahezu abzunehmen. Diese Tendenz muB auf grundsatzliche Kritik stoBen, wenn gerade in einer moglichst se1bstandigen Bewaltigung der Losungsprobleme der eigentliche LernprozeB erblickt wird. (Damerow et aI., 1974, 138)

136 Uwe Gellert

Aus einem semiotischen Theorierahmen beschreibt Ernest (2006, 2008), wie insbesonde­re das Lemen von Mathematik immer dann gefahrdet ist, wenn allgemeingtiltige Regeln zu frtih expliziert werden. Aus seiner Perspektive kann schulisches Mathematiklernen als Einfiihrung in eine bestimmte diskursive Praxis verstanden werden, die durch ein be­stimmtes System von Zeichen und Rege1n konstituiert ist. Werdenjedoch die Regeln ex­plizit benannt, bevor sie anhand von Demonstrationsbeispielen und analogen Aufgaben sukzessive verinnerlicht wurden, so droht, was Ernest (2006, 74) als "General-Specific paradox" eingefiihrt hat:

If a teacher presents a rule explicitly as a general statement, often what is learned is precisely this specific statement, such as a definition or descriptive sentence, rather than what it is meant to embody: the ability to apply the rule to a range of signs. Thus teaching the general leads to learning the specific, and in this form it does not lead to increased generality and functional power. (Ernest, 2008, 70)

Was Ernest hier auf mathematische Zeichen und Regeln und damit auf den "instmktio­nalen Diskurs" (Bernstein, 1990, 186) bezieht, kann womoglich auf den "regulativen Diskurs" tibertragen werden. Auch hier werden Rege1- und Zeichenkenntnis vermutlich eher am Beispiel gelernt als durch bloBes AuBern und Befolgen der generellen Verhal­tensregel.

5 Explizierung von Strukturmerkmalen des Ma­thematikunterrichts

1m folgenden Abschnitt wird zunachst die Reichweite der genannten Argumente gegen die Expliziemng von Implizitem diskutiert. Auf diese Diskussion aufbauend kann dann das bisher noch vage als ,Implizites' Bezeichnete prazisiert werden. Dazu wird der theo­retische Begriff des "pedagogic device" eingefiihrt und in seiner Tragweite eingeschatzt. 1m Anschluss daran wird abgeleitet, dass erfolgreiche Teilhabe am Mathematikunterricht die Bewusstheit tiber Stmkturiemngsmerkmale der mathematischen Unterrichtspraxis voraussetzt.

5.1 Reichweite der genannten Argumente gegen Explizierung

Brousseaus (1984) und Ernests (2008) Warnungen vor Explizitheit erscheinen in dem jeweils aufgespannten theoretischen Rahmen berechtigt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Rahmen geeignet sind, urn das fokussierte Phanomen, die ungleich verteilte Einsicht in die impliziten Stmkturierungen von Mathematikunterricht, umfassend zu durchdringen.

Von dem semiotischen Standpunkt aus, den Ernest formuliert, rUckt die Unterschied­lichkeit von Schulkindern und ihren differentiellen Zugangen zu Zeichensystemen ten­denziell aus dem Blick:

The theory of semiotic systems [i.e., a set of signs/a set of rules for sign use and production/an underlying meaning structure, incorporating a set of relationships between these signs] pro­vides a model for describing the teaching and learning of mathematics in school. In learning

Explizierung strukturierender Prinzipien 137

any school mathematics topic in the form of a semiotic system, learners are inducted into a discursive practice involving the signs and rules of that system. (Ernest, 2008, 69).

Ob das "General-Specific paradox" auch auf die impliziten Regeln fUr die Teilnahme an der Praxis des Mathematikunterrichts gilt, kann eher bezweifelt werden. Denn in diesem Fall konnen die spezifischen Unterrichtssituationen derart von Widerspriichlichkeiten und unklarem Uneindeutigen gepragt sein, dass sieh das Allgemeine nieht ohne weiteres erschlieBt (Gellert & Hummer, 2008). Eine Ubertragung der Theorie (schul-) mathemati­scher Zeiehen und der fUr sie geltenden Regeln und darin enthaltenen mathematischen Bedeutungsstrukturen auf die Strukturierungsmerkmale der (schul-) mathematischen Un­terrichtspraxis erscheint als wenig passend, da sich die grammatische Strenge des ersten nieht mit der teils inkoharenten Vielschiehtigkeit des zweiten vertragt.

Brousseau (1984, 1986) sieht den didaktischen Vertrag als einen groBtenteils implizi­ten Verbund gegenseitiger Verpflichtungen von Lemenden und Lehrenden, wobei mit dem Attribut "didaktisch" wiederum auf das schulmathematische Wissen gezielt wird. Brousseau notiert einige unmittelbare Bestandteile des Vertrags:

The teacher is expected to create the conditions which are sufficient for the acquisition of knowledge, and he must 'recognize' this acquisition when it occurs The pupil is expected to be able to satisfY these conditions The didactical relationship must be maintained at all costs The teacher therefore ensures that previous acquisition of knowledge together with the new conditions provide possibilities for the pupil to acquire the new knowledge. (Brousseau, 1984, 112)

Zwar fUhrt Brousseau (1990) im Weiteren den Begriff des Milieus ein. Aber dieser fun­giert als kognitives Merkmal des Schtilers oder der SchUlerin und als materielle Umge­bung im Rahmen der betraehteten didaktischen Situation. Wir finden also auch bei Brousseau eine Fokussierung auf Lemprozesse, bei der diejenigen Aspekte der Unter­richtspraxis, die mit der soziolinguistischen Verfasstheit der Schtilerinnen und SchUler in Zusammenhang stehen, aus dem Blickfeld geraten. In anderen Worten: Es ist prinzipiell zweifelhaft, ob die Bedingungen, die einem idealisierten Schuler das Mathematiklemen ermoglichen, fUr aIle produktiv und hilfreich sind. Damit das Implizite des didaktischen Vertrags der Ermogliehung mathematischen Lemens zutraglich sein kann, muss es den Schtilerinnen und Schtilem jederzeit moglich sein, dieses zu decodieren. 1st dies nicht der Fall, so droht der Topaze-Effekt tatsachlich einzutreten, und zwar immer dann, wenn Mathematiklehrerinnen und Mathematiklehrer ihre Hilfestellungen im Unterricht nicht auf die Deeodierung des didaktischen Vertrags beziehen, sondem auf die Losung der ge­stellten Mathematikaufgaben.

5.2 "The pedagogic device" (Bernstein, 1996)

Die These, dass die Schtilerinnen und SchUler dann den an sie gestellten Erwartungen besser gerecht werden konnen, wenn sie uber diese Erwartungen besser in Kenntnis ge­setzt werden, kann nunmehr prazisiert werden. Nicht auf die Antworterwartungen, die durch Mathematikaufgaben und sachbezogene Lehrerfragen fur Schulerinnen und SchU­ler mehr oder weniger implizit mitformuliert werden, bezieht sich die These, sondem auf

138 Uwe Gellert

die Strukturierungsmerkmale von Mathematikunterricht, wie sie oben postuliert und in Beispielen dargestellt wurden. Mit der Explizierung von Strukturierungsmerkmalen wird den Schillerinnen und Schillern kein Weg der oberflachlichen, sich an auBerlichen Auf­falligkeiten orientierenden und Lemen verhindernden Losungsfindung vorgezeichnet. Vielmehr werden manche der Schillerinnen und Schiller, so die These, durch die Expli­zierung von Strukturierungsmerkmalen von Mathematikunterricht erst in die Lage ver­setzt, das Lernangebot wahmehmen zu konnen.

Das, was bis hierin als Strukturierungsmerkmale oder als fur die Schillerinnen und Schiller auf drei Ebenen des Mathematikunterrichts Implizites bezeichnet wurde, ist von Bernstein (1996, 39-53) als "pedagogic device" theoretisch detailliert beschrieben (und von Singh (2002) ausfiihrlich diskutiert) worden. Bernstein zielt darauf, die impliziten Regeln des padagogischen Diskurses (nicht nur) im Schulunterricht begrifflich zu fassen und miteinander in Beziehung zu setzen. Dies intendiert letztendlich, die Praxis des Un­terrichts und die in dieser Praxis zu beobachtbaren Handlungen einzubinden in ein for­males Modell, in dem die dieser Praxis Struktur gebenden Regeln immer auch in Relati­on zu gesellschaftlichen Strukturen gesehen werden konnen. Dieser Zusammenhang ist es, der eine niihere Betrachtung des theoretischen Konstrukts ,pedagogic device' be son­ders bedeutsam erscheinen lasst. Bernstein fuhrt diesen Begriff wie folgt ein:

This device has internal rules which regulate the pedagogic communication which the device makes possible. Such pedagogic communication acts selectively on the meaning potential. By meaning potential we simply mean the potential discourse that is available to be pedagogized. The pedagogic device regulates fundamentally the communication it makes possible, and in this way it acts selectively on the meaning potential. The device continuously regulates the i­deal universe of potential pedagogic meanings in such a way as to restrict or enhance their re­alizations. (Bernstein, 1996, 41f.)

Die dem pedagogic device inharenten Rege1n, die zum einen bestimmen, was im Ma­thematikunterricht kommunizierbar ist, und zum anderen, wie diese Kommunikation vonstatten geht, stehen Bernstein zufolge in einem hierarchischen Verhaltnis. An obers­ter Stelle stehen Verteilungsregeln:

The function of the distributive rules is to regulate the relationships between power, social groups, forms of consciousness and practice. Distributive rules specialize forms of knowledge, forms of consciousness and forms of practice to social groups. Distributive rules distribute forms of consciousness through distributing different forms of knowledge. (Bernstein, 1996, 42)

Mit Rtickblick auf die oben geschilderte Unterrichtsszene am Anfang eines funften Schuljahrs lasst sich feststellen, dass diese Gymnasialklasse in einen dieser Schulform entsprechenden anspruchsvollen Mathematikunterricht eingefiihrt wird; keineswegs wird zunachst vom Lehrer tiberprtift, ob die Schillerinnen und Schiller etwa die in der Grund­schule vermittelten algorithmischen Rechenverfahren beherrschen. Stattdessen werden die Gymnasiasten in eine Schulmathematik eingefuhrt, die sich von der Schulmathema­tik anderer Schulformen faktisch abhebt. Es wird auf diese Weise einem Bildungsideal gefolgt, das sich an der Ausformung mathematischer Kreativitat und der Selbststandig­keit des Denkens orientiert. Die schichtspezifischen Zugangsmoglichkeiten zu diesem Bildungsideal sind in bildungssoziologisch ausgerichteten Arbeiten nachgezeichnet wor-

Explizierung strukturierender Prinzipien 139

den (Anyon, 1981; de Abreu, 2000; Hyde, Else-Quest, Alibali, Knuth & Romberg, 2006).

Den Verteilungsregeln nachgeordnet steht das, was Bernstein (1996, 42) als "rekon­textualizing rules" bezeichnet und was in Ermangelung einer nicht-simplifizierenden Obersetzung im Weiteren als Rekontextualisierungsregeln tibernommen wird. Die Re­kontextualisierungsregeln regulieren, wie der das verteilte Wissen vermittelnde Unter­richtsdiskurs gestaltet wird:

Pedagogic discourse is constructed by a recontextualizing principle which selectively appro­priates, relocates, refocuses and relates other discourses to constitute its own order. In this sense, pedagogic discourse can never be identified with any of the discourses it has recontex­tualized. (Bernstein, 1996,47)

Ais zwei wesentliche Diskurse und die darin eingebundenen spezifischen Wissensfor­men, auf die im Mathematikunterricht rekurriert und auf die in ihm in rekontextualisier­ter Form Bezug genommen wird, fungieren zum einen die Mathematik als Wissen­schaftsdisziplin und zum anderen das auBerschulische Weltwissen5

• Die Organisation und Struktur mathematischen Wissens wird dabei nicht einfach in reduzierter oder ver­mrzter Form im Mathematikunterricht abgebildet, es wird stattdessen ein eigener Dis­kurs gepflegt, der auch seinen eigenen Prinzipien folgt und den man in Abgrenzung zur (akademischen, universitaren) Mathematik auch als Schulmathematik bezeichnen kann:

Virtually none of current school mathematics has been the subject of leading edge mathemati­cal research in the past century or two, except for foundational purposes unsuitable for teach­ing. Second, given the choice of any particular formulation of a mathematical theory, there is no limit to the number of ways of recontextualising it as a school mathematics topic in the planned mathematics curriculum. (Ernest, 2006, 73)

Schulmathematik folgt mithin einer curricularen und nicht allein einer mathematischen Logik. Auch wenn Teile des schulmathematischen Curriculums stark einer mathemati­schen Systematisierung folgen, so hat das unterrichtete rnathematische Wissen dennoch eine "didaktische Transposition" (Chevallard, 1985) erfahren und zeigt sich letztendlich systematisiert gemliB einer "mathematikdidaktischen Praxeologie" (Chevallard, Bosch & Gascon, 1997; Barbe, Bosch, Espinoza & Gascon, 2005).

Der andere wesentliche Diskurs, auf den Mathematikunterricht haufig rekurriert, stellt das (auBerschulische) Weltwissen dar. Hierbei beobachtbare Effekte, wie eine Un­klarheit auf Schiilerseiten tiber das richtige MaB des einzubeziehenden Weltwissens, wurden oben illustriert. Dowling (1996, 1998) merkt an, dass im Mathematikunterricht das Weltwissen, die Welterfahrung und das auBerschulische Leben stets unter einem ma­thematischen Blickwinkel betrachtet werden, der "der Welt" eine mathematische Struk­tur gleichsam tibersttilpt und "die Welt" der mathematischen Sicht unterordnet. Er be­schreibt, wie auf diese Weise ein doppelter Mythos erzeugt wird:

Auch im auBerschulischen Weltwissen fmden sich mathematische Elemente. Diese sind hierin jedoch ihrer strengen disziplinaren Anordnung entbunden und in einen anderen Funktionsrah­men mit verschobenen Relevanzen eingebettet; siehe dazu z.B. Moschkovich & Brenner (2002).

140 Uwe Gellert

The mathematical gaze has effected a recontextualising of domestic (and other) practices, such that the principles for their elaboration are more or less structured by mathematical, that is, e­soteric domain6 principles. Domestic activities, then, are not, in themselves, incorporated into the public domain of school mathematics. Rather, the esoteric domain of school mathematics casts a mythologizing gaze onto these activities, imposing its own structure on them and thus constructing settings for its public domain. The settings may be constituted as mythical planes of participation. In this schema, subjects are constructed as optimally behaving according to mathematical principles in the elaboration of their own interests. Alternatively, the settings may be constituted as mythical planes for description. Here, subjects' interests are more or less ignored. Rather, the planes are populated by objects which can be organised into mathematical relationships with each other, whilst retaining a trace of their non-mathematical significations. In this latter case, the mythical plane is constituted as referring to, rather than as constituting the domestic activity. (Dowling, 1996,407)

1m Mathematikunterricht geht es also, wenn tiberhaupt, nicht urn das (auBerschulische) Weltwissen an sich, sondem stets urn dieses Wissen aus dem Blickwinkel der Mathema­tik. Das Weltwissen erscheint aus seinem ursprtinglichen Praxiskontext gelDst und in­nerhalb einer neuen Ordnung, der Schulmathematik, kontextualisiert. Dies fiihrt zwangs­laufig zu Bedeutungsverschiebungen. Ais bedeutsam ist in diesem Zusammenhang anzu­sehen, dass diese Bedeutungsverschiebungen nicht von allen Schtilerinnen und Schtilem erkannt werden - was in den obigen Unterrichtsbeispielen ersichtlich ist (Nachahmung eines Tricks vs. Begrtindung einer Strategie; Begrundung aus dem Weltwissen vs. logi­sche Verkntipfung von Aussagen). Die Problematik des Einbezugs von Weltwissen und der Ausbildung von durch Weltwissen erzeugten Vorstellungsbildem scheint insbeson­dere im Schulfach Mathematik virulent zu sein. Niss (2006) fuhrt dies auf die abstrakte Struktur der Mathematik zurUck:

Abstraction and abstractness constitute potential learning obstacles, not because of the absence or remoteness of experiential features within abstraction or abstractness, but, on the contrary, exactly because of the very presence and interference of such features in the abstract( ed) do­mains. In contrast, pure abstractness as found in games such as chess, go, or card games - i.e. abstractness without conceptual relations to any experiential domain, and hence without any obligations to reconcile existing experiences with the state of affairs in the abstract domain -does not seem to constitute cognitive learning obstacles of the same kind as with abstract( ed) systems related to well-known other systems as we have them in mathematics. (Niss, 2006, 55f.)

Man kann diesen Passus so verstehen, dass die curriculare Entscheidung, in der Schul­mathematik Mathematik an auBerschulische Erfahrung und Weltwissen anzubinden, ver-

6 Urn schulmathematische Handlungsfelder unterscheiden zu konnen, differenziert Dowling (1998, 132-137) diese gemiiJ3 einer Inhaltsdimension und einer Ausdrucksdimension. Der Ma­thematikunterricht bewegt sich auf seiner esoteric domain, wenn sowohl der Inhalt als auch sein Ausdruck mathematischer Art sind, beispielsweise wenn es fUr die Schiilerinnen und SchUler gilt, schulalgebraische Terme zu vereinfachen. Bewegt er sich auf seiner public do­main, so werden im Mathematikunterricht auBermathematische Themen in Alltagssprache ver­handelt, etwa wenn die Schiilerinnen und Schiiler Einkaufssituationen simulieren. Da es sich jedoch urn Simulationen im Mathematikunterricht handelt, unterliegen die entsprechenden Schiilertatigkeiten einer mathematischen und nicht einer alltagspragmatischen Ordnung (vgl. Gellert & lablonka, in press).

Explizierung strukturierender Prinzipien 141

antwortlich dafUr sei, dass eine doppelte Rekontextualisierung stattfindet. Eine Schulma­thematik, die auf "pure abstractness" zielte, hatte dies nicht notig und konnte sich damit begnugen, Schulmathematik als propiideutische Mathematik zu rekontextualisieren.

Aus den Rekontextualisierungsregeln werden fUr die Unterrichtspraxis Bewertungs­regeln abgeleitet. Nach Bernstein (1996, 43) konstituieren Bewertungsregeln die Unter­richtspraxis, da es das Ziel jeglicher piidagogischer Praxis ist, Kriterien fUr die Teilhabe an dieser Praxis zu vermitteln:

In broad tenus, evaluative rules are concerned with recognising what counts as valid acquisi­tion of instructional (curricular content) and regulative (social conduct, character and manner) texts. (Singh, 2002, 573)

An der Stelle der oben dokumentierten Unterrichtsszene, an der der Lehrer Lenas Unter­richtsbeitrag mit den Worten: "So wUnsche ich mir das", lobt und dieses Lob begrtindet, wird nicht nur Lena, sondern allen SchUlerinnen und Schulern angezeigt, wie ein Unter­richtsbeitrag zu formulieren ist, damit er vom Lehrer vollstiindig anerkannt wird.

Fur Bernstein stellt die kontinuierliche Bewertung des Unterrichtsgeschehens den Schlussel zum Verstiindnis der Unterrichtspraxis dar:

Evaluation condenses the meaning of the whole [pedagogic] device. We are now in a position where we can derive the whole purpose of the device. The purpose of the device is to provide a symbolic ruler for consciousness. (Bernstein, 1996,50)

In dieser Sicht stellen die Bewertungsregeln gleichsam das zentrale Steuerungsprinzip des Unterrichts dar. Da die SchUlerinnen und SchUler als Lernende prinzipiell nur be­dingt Einsicht darin haben konnen, welches mathematische Wissen in welcher Weise re­kontextualisiert ihnen im schulischen Mathematikunterricht zu vermitteln gedacht wird, ermoglicht ihnen die kontinuierliche Bewertung ihrer Unterrichtsbeitriige eine Anniihe­rung an diese Intentionen. Die Bewertungsregeln stellen fUr die SchUlerinnen und SchU­ler somit den Schlussel zur erfolgreichen Teilhabe an der Praxis Mathematikunterricht dar, denn sie indizieren, rnehr oder weniger deutlich, die Kriterien fUr die Produktion erwtinschten sozialen und inhaltsbezogenen Texts. Aus ihrer empirischen Untersuchung von Mathematikunterricht in sudafrikanischen Grundschulen und mit Verweis auf Mo­rais' & Mirandas (1996) Studien in Portugal zieht Hoadley (2007, 704) einen entspre­chenden Schluss: "All of this work stresses the explication of the evaluative criteria as the key aspect of pedagogic practice that promotes higher levels of learning of all stu­dents."

Wenn gemiiB Bernstein (s.o.) der pedagogic device als "symbolic ruler for consci­ousness" dient, so zielt dies auf die Strukturierungsmerkmale von Unterricht. Je nach­dem, in welchem MaBe implizit die dem pedagogic device inhiirenten Verteilungs-, Re­kontextualisierungs- und Bewertungsregeln in der Unterrichtspraxis bleiben, zeigen sich die Strukturierungsmerkmale des Unterrichts den SchUlerinnen und SchUlern mehr oder weniger deutlich. SchUlerinnen und SchUler, fUr die sich die Strukturierung des Mathe­matikunterricht nicht offenbart, tappen gewissermaBen im Dunkeln: Sie finden keine Hinweise, in welchem MaB ihrem Weltwissen bei der Bearbeitung realitiitsnaher Ma­thematikaufgaben Relevanz zukommt, sie konnen nicht sicher zwischen der Einkleidung und dem Eingekleidetem unterscheiden, sie glauben den Vorgaben des Lehrers zu folgen und irren bereits beztiglich der Rahrnung ihrer Tatigkeiten. Licht in dieses Dunkel zu

142 Uwe Gellert

bringen, hieBe, die Strukturierungsmerkmale des jeweiligen Mathematikunterrichts zu explizieren. Und, wie Bauman (2000, 213) anmerkt: "Redundanz ist fUr das richtige Funktionieren jedes kulturellen Codes ganz wesentlich." Vor dem Hintergrund des von Ernest (2006) geschilderten "General-Specific-paradox" (s.o.) meint Explizierung hier weniger eine verallgemeinerte Verlautbarung dieser Merkmale, als eine Unterrichtspra­xis, in der die Strukturierungsprinzipien erstens offenbar und zweitens zum Thema von Reflexion werden. So berichtet Bourne (2003) von einer Lehrerin, der es erfolgreich ge­lingt, durch einen deutlichen, nicht nur sprachlich vermittelten Wechsel zwischen for­meller und informeller Interaktion, den Unterschied zwischen dem Alltagsdiskurs und der im Englischunterricht geforderten Bildungssprache zu verdeutlichen. Entsprechende Untersuchungen zum Mathematikunterricht stellen ein Forschungsdesiderat dar.

6 Konklusion

Dieser Beitrag versteht sich als Theorieentwicklung in der Mathematikdidaktik. Dem liegt ein Verstandnis von Theorieentwicklung zugrunde, das Lerman (2006, 9) mit den folgenden Worten beschreibt: ,,[M]athematics education knowledge, as a sub-field of education, will grow both within discourses and by the insertion of new discourses in pa­rallel with existing ones." Inwieweit mein Beitrag als Einfiihrung einer neuen theoreti­schen Perspektive oder als Weiterentwicklung eines bestehenden theoretischen Diskur­ses aufzufassen ist, stellt sich als Frage der Institutionalisierung von theoretischen Dis­kursen. Flir die bundesdeutsche Mathematikdidaktik kann diese Institutionalisierung, was die Position soziologischer und soziolinguistischer Theorierahmen anbetrifft, eher als informell bezeichnet werden, wahrend der soziologische und soziolinguistische Dis­kurs in der Mathematikdidaktik international auch formal institutionalisiert ist. Je nach Bezug ist die Frage also anders zu beantworten.

Das Potenzial des Begriffs "pedagogic device" fUr die theoretische Durchdingung von Mathematikunterricht stellt sich zusammengefasst wie folgt dar. Die Strukturierung von Mathematikunterricht bleibt in dieser Praxis prinzipiell ein StUck implizit. Dies ist zum einen auf die Eigenart von Lernprozessen zurUckzufllhren, dass, wer immer eine Einsicht anstrebt, nicht ex ante sagen kann, worin diese Einsicht besteht. Sowohl Ernests "General-Specific-paradox" als auch Brousseaus "Topaze-Effect" interpretieren diesen Zusammenhang. Zum anderen werden die Strukturierungsprinzipien von Mathematikun­terricht, die Regeln mathematischer Unterrichtspraxis, implizit gehalten, ohne dass dafUr eine Notwendigkeit (im Sinne der Ermoglichung von Lernprozessen) besteht. Der theo­retische Begriff des "pedagogic device" (Bernstein, 1996) umfasst eine Hierarchisierung von regulativen Prinzipien, die eine systematische Beschreibung und Durchdringung von Unterrichtspraxis ermoglichen. Wenn davon die Rede ist, dass piidagogische Praxis ex­pliziter gestaltet werden moge, dann meint dies nicht die Vorgabe von Losungen oder vorschnelle Generalisierungen, sondern die Ermoglichung der Einblicknahme in die Strukturierungsprinzipien von Mathematikunterricht fUr alle am Mathematikunterricht Beteiligten. Bernstein (1996, 112) spricht in diesem Zusammenhang von "visible peda­gogic practice", wenn die Strukturierungsmerkma1e von Unterricht expliziert werden, und von "invisible pedagogic practice" , wenn sie implizit und damit den Schiilerinnen und Schlilern im Wesentlichen unbekannt bleiben. Visible pedagogic practice verschafft

Explizierung strukturierender Prinzipien 143

Klarheit tiber die Art der hierarchischen Beziehung zwischen Lehrem und Schiilem, tiber unterrichtliche Organisationsregeln (Anordnung des Lemstoffs, thematische Vorge­hensweise) und insbesondere tiber die Kriterien fUr die erfolgreiche Beteiligung am Ma­thematikunterricht.

Zum Abschluss sei angemerkt, dass die Explizierung des pedagogic device nicht dar­auf zielt, dass aIle Schiilerinnen und Schtiler den Unterrichtsregeln besser folgen. Aber ohne Bewusstheit tiber die Strukturierungsmerkmale von Mathematikunterricht ist es fUr Schiilerinnen und Schiiler schwerlich moglich, bewusst und produktiv Regeln zu tiber­schreiten. Walkerdine (1989) schreibt dazu:

We shall explore the effect of a certain kind of confidence in rule-challenging procedures on the teacher's evaluation of perfonnance. The classroom relies on both behavioural and organ­isational rules, but there are also those rules [ ... ] which are internal to the organisation of ma­thematical knowledge itself. To be successful, children must follow the procedural rules. Ho­wever, teachers perceive breaking set as the challenging of the propositional rules. They read it as ,natural flair'. [ ... ] To challenge the rules of mathematical discourse is to challenge the au­thority of the teacher in a sanctioned way. Both rule-following and rule-breaking are received - albeit antithetical- fonns of behaviour. (Walkerdine, 1989, 130)

Walkerdines Beobachtung von erfolgreichem Schiilerverhalten im Mathematikunterricht wird in den oben erwahnten eigenen Unterrichtsanalysen bestatigt. Auch in diesen Un­tersuchungen wird deutlich, dass manche der yom Lehrer als leistungsstark angesehenen Schiilerinnen und Schiiler die Fahigkeit ausgepragt haben, sich tiber Unterrichtsregeln in einer bestimmten Art hinwegzusetzen, die bewirkt, dass ihnen der RegelverstoB positiv ausgelegt wird. Es kann vermutet werden, dass diese Schtilerinnen und Schiiler die Wir­kungsweise des pedagogic device bereits in Ansatzen verstanden haben.

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Adresse des Autors

Prof. Dr. Uwe Gellert Freie Universitat Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Rabelschwerdter Allee 45 14195 Berlin

Manuskripteingang: 10. September 2008 Typoskripteingang: 11. Mai 2009