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427 Zur Geschichte der Pastorella Konrad Ruhland Als Schulmusiker eines musischen Gym- nasiums der Benediktiner zu Niederaltaich hatte ich die angenehme Pflicht, alle Jahre wieder für ein solennes Weihnachtskon- zert zu sorgen. Eine eher doch zweifelhaft angenehme Aufgabe, wenn man bedenkt, was junge Leute heute musikalisch so bewegt. Neben alten Volksliedern der Region Niederbayern sah ich mich musikhisto- risch interessiert wie ich bin in zahlrei- chen Klosterarchiven Bayerns und Öster- reichs um und suchte nach musikalischen Formen, die mir aufgrund meiner musik- wissenschaftlichen Tätigkeit schon sehr früh begegnet sind, nämlich nach soge- nannten Pastorellen. Ich sammelte, schrieb auf und ab, stellte Querverbindungen her und blieb bei einzelnen Sujets oder Stoffen hängen. So sammelte ich z.B. das alte Weihnachtslied Resonet in laudibus vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, stieß auf ungeahnte Kompo- sitionen und Ausformungen dieser mittel- alterlichen Cantio. Das Ergebnis war eine viel beachtete CD mit dem Titel Resonet in laudibus – Geschichte eines Weihnachts- liedes. Immer aber stieß ich auf Pastorel- len, die ich dann oft nur nach dem Titel und der Besetzung notierte. Mittlerweile zähle ich zwischen 500 und 600 Pastorellen, die in meinem Notenkeller vielleicht der Ewig- keit harren. Wie kommt es zur Pastorella? Ein kurzer geschichtlicher Blick zurück ist nötig. Weihnachten ist, so könnte man sagen, ein Fest der deutschsprachigen Völ- ker. Es gibt zu diesem Fest eine unendlich große Fülle von Musik – Weihnachtsmu- sik. Verweilen wir nur einen kurzen Augen- blick bei speziellen Sammlungen mit Weih- nachtsmusik, Sammel- wie Individualdru- cken, die nur Musik für Weihnachten zum Inhalt haben: Das Moosburger Graduale, Hand- schrift von 1360, mit ca. 40 Weihnachts- Cantionen Wolfgang Figulus (um 1525-1591): Vetera nova Carmina Sacra et Selecta de Natale Domini Nostri Jesu Christi, Zwanzig artige und kurze "Weihnachtsliedlein", 1 Frankfurt/Oder 1575 Cornelius Freundt (um 1535-1591): Weihnachtsliederbuch des Cornelius 2 Freundt, Zwickau um 1580, 28 Tonsätze Johann Stadlmayr (um 1575-1648): Moduli symphoniaci, Innsbruck 1629, 14 motettische Sätze, meist fünfstimmig mit Instrumenten Johann Stadlmayr: Odae sacrae Jesu Christo Servatori, Innsbruck 1638, 17 motettische Sätze, meist fünfstimmig mit Instrumenten Valentin Molitor (1637-1713): Odaege- nethliacae ad Christi cunas, Kempten 1668, 15 motettische Sätze, meist mit Instrumenten Pál Esterhazy (1635-1713): Harmonia caelestis, Budapest 1711, viele Weih- 3 nachtsstücke unter den 55 Werken Es ist schon erstaunlich, dass man die- sem Fest ganze Sammlungen von Musik widmete: einfache Lieder, Motetten, Kanta- ten, Konzerte, Pastoralmessen. Die wohl früheste deutsche Pastoralmesse ist Augus - tin Plattners Missa super Joseph lieber Joseph mein. Letzteres Lied ist die bekannte Verdeutschung von Resonet in laudibus. Im 17. Jahrhundert vollzieht sich dann infolge der sich schnell ausbreitenden Generalbasspraxis das Auseinandertriften von höchster Kunstmusik und einfachster mehrstimmiger Musik mit Begleitung, der sog. Gebrauchsmusik für breitere Schich- ten. Zugleich nimmt im Laufe des 17. und besonders des 18. Jahrhunderts die Weih- nachtsmusik immer mehr zu. Die sog. Pas- torella ist nun in unseren Landen überall anzutreffen. In manchen Musikarchiven SMZ 46/6, 2003

Zur Geschichte der Pastorella - media.repro-mayr.demedia.repro-mayr.de/25/66025.pdfManchmal wird auch die Sonata, das instrumentale Vorspiel, als Pastorella bezeichnet. Die "instrumentale"

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Zur Geschichte der PastorellaKonrad Ruhland

Als Schulmusiker eines musischen Gym-nasiums der Benediktiner zu Niederaltaich hatte ich die angenehme Pflicht, alle Jahre wieder für ein solennes Weihnachtskon-zert zu sorgen. Eine eher doch zweifelhaft angenehme Aufgabe, wenn man bedenkt, was junge Leute heute musikalisch so bewegt.

Neben alten Volksliedern der Region Niederbayern sah ich mich – musikhisto-risch interessiert wie ich bin – in zahlrei-chen Klosterarchiven Bayerns und Öster-reichs um und suchte nach musikalischen Formen, die mir aufgrund meiner musik-wissenschaftlichen Tätigkeit schon sehr früh begegnet sind, nämlich nach soge-nannten Pastorellen.

Ich sammelte, schrieb auf und ab, stellte Querverbindungen her und blieb bei einzelnen Sujets oder Stoffen hängen. So sammelte ich z.B. das alte Weihnachtslied Resonet in laudibus vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, stieß auf ungeahnte Kompo-sitionen und Ausformungen dieser mittel-alterlichen Cantio. Das Ergebnis war eine viel beachtete CD mit dem Titel Resonet in laudibus – Geschichte eines Weihnachts-liedes. Immer aber stieß ich auf Pastorel-len, die ich dann oft nur nach dem Titel und der Besetzung notierte. Mittlerweile zähle ich zwischen 500 und 600 Pastorellen, die in meinem Notenkeller vielleicht der Ewig-keit harren.

Wie kommt es zur Pastorella?

Ein kurzer geschichtlicher Blick zurück ist nötig. Weihnachten ist, so könnte man sagen, ein Fest der deutschsprachigen Völ-ker. Es gibt zu diesem Fest eine unendlich große Fülle von Musik – Weihnachtsmu-sik. Verweilen wir nur einen kurzen Augen-blick bei speziellen Sammlungen mit Weih-nachtsmusik, Sammel- wie Individualdru-cken, die nur Musik für Weihnachten zum Inhalt haben:

Das Moosburger Graduale, Hand-schrift von 1360, mit ca. 40 Weihnachts-Cantionen

Wolfgang Figulus (um 1525-1591): Vetera nova Carmina Sacra et Selecta de Natale Domini Nostri Jesu Christi, Zwanzig artige und kurze "Weihnachtsliedlein",

1Frankfurt/Oder 1575Cornelius Freundt (um 1535-1591):

Weihnachtsliederbuch des Cornelius 2Freundt, Zwickau um 1580, 28 Tonsätze

Johann Stadlmayr (um 1575-1648): Moduli symphoniaci, Innsbruck 1629, 14 motettische Sätze, meist fünfstimmig mit Instrumenten

Johann Stadlmayr: Odae sacrae Jesu Christo Servatori, Innsbruck 1638, 17 motettische Sätze, meist fünfstimmig mit Instrumenten

Valentin Molitor (1637-1713): Odaege-nethliacae ad Christi cunas, Kempten 1668, 15 motettische Sätze, meist mit Instrumenten

Pál Esterhazy (1635-1713): Harmonia caelestis, Budapest 1711, viele Weih-

3nachtsstücke unter den 55 WerkenEs ist schon erstaunlich, dass man die-

sem Fest ganze Sammlungen von Musik widmete: einfache Lieder, Motetten, Kanta-ten, Konzerte, Pastoralmessen. Die wohl früheste deutsche Pastoralmesse ist Augus-tin Plattners Missa super Joseph lieber Joseph mein. Letzteres Lied ist die bekannte Verdeutschung von Resonet in laudibus.

Im 17. Jahrhundert vollzieht sich dann infolge der sich schnell ausbreitenden Generalbasspraxis das Auseinandertriften von höchster Kunstmusik und einfachster mehrstimmiger Musik mit Begleitung, der sog. Gebrauchsmusik für breitere Schich-ten. Zugleich nimmt im Laufe des 17. und besonders des 18. Jahrhunderts die Weih-nachtsmusik immer mehr zu. Die sog. Pas-torella ist nun in unseren Landen überall anzutreffen. In manchen Musikarchiven

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Zur Geschichte der Pastorella

SMZ 46/6, 2003SMZ 46/6, 2003

Zur Geschichte der Pastorella

erscheint jetzt sogar ein eigener Schuber oder ein eigenes Fach Pastorella in den Notenschränken.

Was ist nun die "Pastorella"?

Im 17. und 18. Jahrhundert gab es im baye-risch-böhmisch-österreichischen Raum eine musikalische Form, die in der heuti-gen Praxis so gut wie unbekannt und ver-gessen ist: die Pastorella. Diese sog. Hir-tenarien fanden vom ersten Adventsonn-tag bis zum Dreikönigsfest als Kirchenmu-sik Verwendung; ein Brauch, der sich im 17. Jahrhundert herausbildete und bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts lebendig blieb. Meist sind die Pastorellen in deut-scher Sprache oder sogar in der Mundart komponierte Weihnachtslieder. Auch latei-nische Arien kommen vor. Die Besetzung weist in den meisten Fällen Solostim-me(n), Chor, verschiedene Instrumente und Orgelcontinuo auf.

Oft handelt es sich auch nur um einfa-che Weihnachtslieder, die in ein festliches musikalisches Gewand gekleidet, d. h. mit Instrumentalbegleitung versehen wurden. Dies war gewöhnlich die Arbeit der Dorf-schullehrer, der ludi magistri, die ja meist auch den kirchlichen Organisten- und Chor-leiterdienst versahen, ja überhaupt die Musiker eines Dorfes schlecht hin waren.

In musikalischer Hinsicht handelt es sich bei dieser Art von Weihnachtsmusik um eine wichtige Nahtstelle zwischen figu-raler Kirchenmusik und wirklicher Volks-musik, deren gegenseitige Befruchtung sich hier ganz besonders gut nachweisen

4und begreifen lässt.

Die Textgestaltung der Pastorellen

Textlich handelt es sich bei den Pastorellen naturgemäß um eine übersetzte Weise des Weihnachtsevangeliums. Erzählt und kom-mentiert wird das Weihnachtsgeschehen, wie es dort geschildert wird. Dies geschieht in szenenartigen, mehrteiligen Stücken, aber auch in einfachen Strophenliedern.

Der Inhalt kann sein: die Verkündigung an die Hirten, die Aufforderung, nach Beth-lehem zu gehen, der Gang nach Bethle-

hem selbst (Transeamus!), die Beschen-kung und Anbetung des Christkindes vor der Krippe, der Zug der drei Könige und ihre Anbetung mit den drei außergewöhnli-chen Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe oder auch persönliche Gebets- und Besinnungstexte, um nicht zu sagen Meditationen.

Mit der Textgestaltung hängt auch die musikalische Form aufs Engste zusam-men:

1. Chor-Strophenlied2. Sologesang nur mit Orgel oder mit

Instrumenten3. Chor mit Instrumenten4. Sologesang – Chor – mit Instrumen-

ten (kantatenartig)Oft ist die Form der Pastorella: Sonata

(Vorspiel) – Rezitativ – Aria – Chorus. Manchmal wird auch die Sonata, das instrumentale Vorspiel, als Pastorella bezeichnet.

Die "instrumentale" Fassung

Immer wirkt die instrumentale Umgebung der vokalen Vorlage, die Fassung, wie die Fassung eines Edelsteins an einem Ring. Die kann sich ändern, glanzvoller oder auch glanzloser werden, der Stein aber – das Juwel – bleibt.

So wird z.B. ein einfaches Strophenlied Die Hirten freuten sich aus St. Justina bei Mittenwald an der Drau, durch das Hinzu-fügen von 2 Violinen, Posthorn und Orgel aus der Hand von P. Martin Goller OSB aus Fiecht (Tirol) zu einer kunstvollen, selte-nen Pastorella. Bei einfachen Arien oder auch Strophenliedern genügt oft schon die Einrahmung mit einem Vor- und Nach-spiel. Dramatische Gestaltung ist an sich schon gegeben, wenn dialogartige For-men von Gesprächen des Engels mit den Hirten oder der Hirten untereinander vor-liegen.

Betrachten wir einige Wandlungsbei-spiele, die den Werdegang einer Pasto-rella zeigen. Da gibt es aus Schladming eine Pastorella, die für 2 Singstimmen, 2 Violinen und Orgel vertont ist. Im Jahr darauf erklingt diese Pastorella unter Hin-

zufügung von 2 Hörnern, also in einem klanglich reicheren Gewand. Aus dem Stift Nonnberg liegt eine Pastorella für eine Singstimme mit Instrumenten vor. Später wird dieser Aria eine weitere Singstimme hinzugefügt. Wieder liegt eine Bereiche-rung der klanglichen Mittel vor. Aber auch die Reduktion eines Instrumentalappara-tes auf eine solistische Orgel kommt nicht selten vor. Vielleicht geschieht dies in Ermangelung des geforderten Instrumen-tariums – ein Notbehelf, der trotzdem manchmal erstaunt.

Da die instrumentalen Besetzungen bei den Pastorellen von ganz besonderem Interesse sind, sei hier ein kleiner Exkurs über die vorzugsweise verlangten Instru-mente gegeben. Natürlicherweise stehen die Streichinstrumente im Vordergrund, auch wenn der pastorale Bereich der Hir-ten und das königlich-hoheitliche Gesche-hen oft ganz absonderliche Instrumente zur Darstellung der jeweiligen Klangwelt verlangt.

Die Instrumente treten meist paarweise auf, wenn sie nicht gerade in solistischer Funktion gefordert sind:! Violine I und II! Viola I und II, sogar scordierte (ver-

stimmte) Violen! Violoncello, Violon, Viola da gamba,

Kontrabass! Viola d'amore I und II, Violetta! Violino piccolo (sonst nur in barocker

Kunstmusik)! Flauto als Blockflöte oder als Querflöte! Oboe! Fagotto pastoralis! Dudelsack – Bock – Lyripipium! Hörner I und II (cornu)! Clarini I und II (Trompeten)! Posthorn – Halter-Horn! solistische Posaune, meist in Alt-Lage

Als wohl seltenstes Instrument ist öfters das Hirtenhorn, eine Art kleines Alphorn ver-langt, dessen verschiedenste Bezeichnun-gen hier angeführt seien: tuba pastoritia, tuba pastoralis, tuba pastorum, cornu pas-toritio, tromba pastoritia, Hütterhorn, Drilutn – dri Lutn – drei Laute, Büchel – Büffel.

Der Tonvorrat dieser Instrumente waren die Obertöne 3 – 4 – 5 – 6 – 8, notiert als g – c' – e' – g' – c''. Aus diesen Tönen wurde die bekannte, typische Motivik der Pastorellen gespeist, die aus vielen gebundenen Dreiklängen bestand, die der Naturtonreihe bestens gelegen sind.

In diesem farbenreichen Instrumenta-rium fehlen auch nicht die sogenannten Kinderspielzeuginstrumente aus der Berchtesgadener Holzwarenerzeugung: tintinabulum (Glockenspiel), cuculus (Ku-ckuck), Pfeiferl und Schellen.

Der "liturgische" Ort und die "liturgische" Verwendung

Betrachtet man den Bestand in seiner Gän-ze, dann wird man leicht feststellen kön-nen, dass es geradezu eine Leidenschaft der Musiker war, jedes Jahr eine neue Pas-torella in der Kirche vorstellen zu können, um von Advent bis Dreikönig immer wieder an den Festgehalt mit seinen subjektiven Gestimmtheiten zu erinnern und sie prä-sent zu machen.

Musizierende Hirten, Böhmen verm. 19. Jahrhundert, Privatbesitz

Fortsetzung auf Seite 442

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Zur Geschichte der Pastorella

erscheint jetzt sogar ein eigener Schuber oder ein eigenes Fach Pastorella in den Notenschränken.

Was ist nun die "Pastorella"?

Im 17. und 18. Jahrhundert gab es im baye-risch-böhmisch-österreichischen Raum eine musikalische Form, die in der heuti-gen Praxis so gut wie unbekannt und ver-gessen ist: die Pastorella. Diese sog. Hir-tenarien fanden vom ersten Adventsonn-tag bis zum Dreikönigsfest als Kirchenmu-sik Verwendung; ein Brauch, der sich im 17. Jahrhundert herausbildete und bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts lebendig blieb. Meist sind die Pastorellen in deut-scher Sprache oder sogar in der Mundart komponierte Weihnachtslieder. Auch latei-nische Arien kommen vor. Die Besetzung weist in den meisten Fällen Solostim-me(n), Chor, verschiedene Instrumente und Orgelcontinuo auf.

Oft handelt es sich auch nur um einfa-che Weihnachtslieder, die in ein festliches musikalisches Gewand gekleidet, d. h. mit Instrumentalbegleitung versehen wurden. Dies war gewöhnlich die Arbeit der Dorf-schullehrer, der ludi magistri, die ja meist auch den kirchlichen Organisten- und Chor-leiterdienst versahen, ja überhaupt die Musiker eines Dorfes schlecht hin waren.

In musikalischer Hinsicht handelt es sich bei dieser Art von Weihnachtsmusik um eine wichtige Nahtstelle zwischen figu-raler Kirchenmusik und wirklicher Volks-musik, deren gegenseitige Befruchtung sich hier ganz besonders gut nachweisen

4und begreifen lässt.

Die Textgestaltung der Pastorellen

Textlich handelt es sich bei den Pastorellen naturgemäß um eine übersetzte Weise des Weihnachtsevangeliums. Erzählt und kom-mentiert wird das Weihnachtsgeschehen, wie es dort geschildert wird. Dies geschieht in szenenartigen, mehrteiligen Stücken, aber auch in einfachen Strophenliedern.

Der Inhalt kann sein: die Verkündigung an die Hirten, die Aufforderung, nach Beth-lehem zu gehen, der Gang nach Bethle-

hem selbst (Transeamus!), die Beschen-kung und Anbetung des Christkindes vor der Krippe, der Zug der drei Könige und ihre Anbetung mit den drei außergewöhnli-chen Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe oder auch persönliche Gebets- und Besinnungstexte, um nicht zu sagen Meditationen.

Mit der Textgestaltung hängt auch die musikalische Form aufs Engste zusam-men:

1. Chor-Strophenlied2. Sologesang nur mit Orgel oder mit

Instrumenten3. Chor mit Instrumenten4. Sologesang – Chor – mit Instrumen-

ten (kantatenartig)Oft ist die Form der Pastorella: Sonata

(Vorspiel) – Rezitativ – Aria – Chorus. Manchmal wird auch die Sonata, das instrumentale Vorspiel, als Pastorella bezeichnet.

Die "instrumentale" Fassung

Immer wirkt die instrumentale Umgebung der vokalen Vorlage, die Fassung, wie die Fassung eines Edelsteins an einem Ring. Die kann sich ändern, glanzvoller oder auch glanzloser werden, der Stein aber – das Juwel – bleibt.

So wird z.B. ein einfaches Strophenlied Die Hirten freuten sich aus St. Justina bei Mittenwald an der Drau, durch das Hinzu-fügen von 2 Violinen, Posthorn und Orgel aus der Hand von P. Martin Goller OSB aus Fiecht (Tirol) zu einer kunstvollen, selte-nen Pastorella. Bei einfachen Arien oder auch Strophenliedern genügt oft schon die Einrahmung mit einem Vor- und Nach-spiel. Dramatische Gestaltung ist an sich schon gegeben, wenn dialogartige For-men von Gesprächen des Engels mit den Hirten oder der Hirten untereinander vor-liegen.

Betrachten wir einige Wandlungsbei-spiele, die den Werdegang einer Pasto-rella zeigen. Da gibt es aus Schladming eine Pastorella, die für 2 Singstimmen, 2 Violinen und Orgel vertont ist. Im Jahr darauf erklingt diese Pastorella unter Hin-

zufügung von 2 Hörnern, also in einem klanglich reicheren Gewand. Aus dem Stift Nonnberg liegt eine Pastorella für eine Singstimme mit Instrumenten vor. Später wird dieser Aria eine weitere Singstimme hinzugefügt. Wieder liegt eine Bereiche-rung der klanglichen Mittel vor. Aber auch die Reduktion eines Instrumentalappara-tes auf eine solistische Orgel kommt nicht selten vor. Vielleicht geschieht dies in Ermangelung des geforderten Instrumen-tariums – ein Notbehelf, der trotzdem manchmal erstaunt.

Da die instrumentalen Besetzungen bei den Pastorellen von ganz besonderem Interesse sind, sei hier ein kleiner Exkurs über die vorzugsweise verlangten Instru-mente gegeben. Natürlicherweise stehen die Streichinstrumente im Vordergrund, auch wenn der pastorale Bereich der Hir-ten und das königlich-hoheitliche Gesche-hen oft ganz absonderliche Instrumente zur Darstellung der jeweiligen Klangwelt verlangt.

Die Instrumente treten meist paarweise auf, wenn sie nicht gerade in solistischer Funktion gefordert sind:! Violine I und II! Viola I und II, sogar scordierte (ver-

stimmte) Violen! Violoncello, Violon, Viola da gamba,

Kontrabass! Viola d'amore I und II, Violetta! Violino piccolo (sonst nur in barocker

Kunstmusik)! Flauto als Blockflöte oder als Querflöte! Oboe! Fagotto pastoralis! Dudelsack – Bock – Lyripipium! Hörner I und II (cornu)! Clarini I und II (Trompeten)! Posthorn – Halter-Horn! solistische Posaune, meist in Alt-Lage

Als wohl seltenstes Instrument ist öfters das Hirtenhorn, eine Art kleines Alphorn ver-langt, dessen verschiedenste Bezeichnun-gen hier angeführt seien: tuba pastoritia, tuba pastoralis, tuba pastorum, cornu pas-toritio, tromba pastoritia, Hütterhorn, Drilutn – dri Lutn – drei Laute, Büchel – Büffel.

Der Tonvorrat dieser Instrumente waren die Obertöne 3 – 4 – 5 – 6 – 8, notiert als g – c' – e' – g' – c''. Aus diesen Tönen wurde die bekannte, typische Motivik der Pastorellen gespeist, die aus vielen gebundenen Dreiklängen bestand, die der Naturtonreihe bestens gelegen sind.

In diesem farbenreichen Instrumenta-rium fehlen auch nicht die sogenannten Kinderspielzeuginstrumente aus der Berchtesgadener Holzwarenerzeugung: tintinabulum (Glockenspiel), cuculus (Ku-ckuck), Pfeiferl und Schellen.

Der "liturgische" Ort und die "liturgische" Verwendung

Betrachtet man den Bestand in seiner Gän-ze, dann wird man leicht feststellen kön-nen, dass es geradezu eine Leidenschaft der Musiker war, jedes Jahr eine neue Pas-torella in der Kirche vorstellen zu können, um von Advent bis Dreikönig immer wieder an den Festgehalt mit seinen subjektiven Gestimmtheiten zu erinnern und sie prä-sent zu machen.

Musizierende Hirten, Böhmen verm. 19. Jahrhundert, Privatbesitz

Fortsetzung auf Seite 442

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Zur Geschichte der Pastorella

SMZ 46/6, 2003SMZ 46/6, 2003

Zur Geschichte der Pastorella

Selten hat man noch genauere Anga-ben wie auf die Epistel des III. Sonntags im Advent oder pro ultimo die Adventus (für den letzten Tag im Advent). Überhaupt zeigt erst der erläuternde Pastoral-Zusatz die Verwendung einer bestimmten Musik in der Advent- und Weihnachtszeit an. So finden wir in Drucken wie in Handschriften einer bestimmten Gattung immer wieder auch Hinweise einer besonderen Eignung zur Weihnachtszeit.

Stellvertretend seien hier zwei Anmer-kungen gemacht, die in diesem Zusam-menhang für uns interessant sind. So fin-det sich in einer Gottesdienstordnung des Klosters Reutberg (bei Bad Tölz) eine Notiz: So lang das Khrippel in der Khirchen stehet, pflegen die Schwestern nach der Vesper einen Weihnacht-Gesang zu sün-

5gen. Hierbei kann es sich nur um eine Pas-torella handeln, wie wir es auch für viele andere Klöster nachweisen können.

Die andere Anmerkung bezieht sich auf das Stift Kremsmünster, wo es einmal heißt: Aria Pastoritia pro Tabula, das ist Hir-tengesang de animo in omnibus lato et hila-ri. Solt i woana oda lacha? Ein Beleg dafür, dass auch bei Tisch in der Adventzeit Pas-torellen musiziert wurden.

Neben den zahlreichen Beispielen einer Sonata Pastorella zeigt auch fol-gende Tatsache, dass oft reine Instrumen-talmusik für die Weihnachtszeit vorkommt: In vielen Drucken von Concerti und Sym-phoniae sind am Schluss ihrer Reihe meist zwei Stücke mit einem Zusatz als Con-certo pastorale oder Symphonia pastorale enthalten. Belege dafür sind Werke von Joseph Joachim Benedikt Münster aus Rei-chenhall, Marian Königsperger aus Prüfe-ning oder Valentin Rathgeber aus dem

6Kloster Banz.

Christnacht", "Lied am Neujahrstag anno 1773", "Weihnachtslied oder Krippenlied", "bey der ersten Messe in der Nacht", "Aria am Sylvestertag vom Schulmeister gesun-gen während dem Offertorio 1773", "Aria in Adventu", "Ad festum Natalitiae ad Sanctis-simam noctem", "Aria Tempore adventu domini", "Aria pro adventu", "Aria pro ultimo die Adventus", "Mariä Herbergsuche", "der um Herberg bittende hl. Joseph", "Lustiges Hirtenlied", "Teutsches Adventgesang", "Gesang auf die heilige Adventzeit", "Canti-lena pro Adventu", "Adventode", "Offerto-rium germanicum Pastoritium", "Cantus Nataliticus", "Aria de Mativitae D. N. J. Ch.", "Cantilena germanica", "Cantus pastoricus ad gaudia", "Pastorell-Lied", "Cantus de Adventu", "Gesang auf die Geburt Christi", "Motetto pastorale", "Einfältiges bäuerli-ches Weihnachtslied" (Kremsmünster), "fiat suavis pastorella", "Einfältige Hirten-gedanken über die gnadenreiche Geburt des göttlichen Welt-Heilandes".

Fortsetzung von Seite 429:

In der Liturgie war der Platz für volks-sprachliche Hirtenweisen an Stelle des Gra-duale, vor und nach der Predigt, als Offerto-rium oder Kommuniongesang, auch ein-fach unter dem Rorate. Aber auch als Aria in der Vesper oder Andacht fand die Pasto-rella häufig Verwendung. Am meisten aber war sie gedacht als Hirtenmusik in der mit-ternächtlichen Christmette. So lauten denn die originalen Angaben: "Krippellied in der Mötten zu singen" (Maria Taferl 1735), "am Weihnachtstage vor der Predigt", "Pasto-rallied zum Graduale oder Offertorium", "vom Weihnachtstage bis zum Lichtmess-tag", "Bey dem Offertorio und nach der Wandlung", "unter dem Rorate zu singen", "Anno 1774 in der Metten gemacht", "Weih-nachtslied bei der Vesper", "am III. Dreikö-nigstag", "Predigtlied im Advent", "Kirchen-lied im Advent unter dem Rorate", "Predigt-lied zur Weihnachtszeit", "Lied in der

Auch wenn sich heute vieles von dieser Musik für die Liturgie nicht mehr eignet, so tut sich doch gerade jetzt ein anderes brei-tes Verwendungsfeld auf, wenn man an die verschiedenen Andachten und Wortgot-tesdienste der Advent- und Weihnachtszeit denkt. Vor allem aber können diese Pasto-rellen in vielfacher Hinsicht in den heute so zahlreichen Advent- und Weihnachtssin-gen eingebaut werden. Gerade hier hätten diese Stücke, die oft sehr leicht ausführbar sind – auch wenn man sie sacht bearbeitet – einen hervorragenden Platz. So hätten manche Gruppen beim Zusammenwirken von Sängern und Instrumentalisten die Möglichkeit, einmal vergangene Musik-schätze ihrer näheren Heimat quasi denk-malpflegerisch wieder ins Bewusstsein zu rücken. Eine solche Begegnung kann bei intensiverer Beschäftigung nur zum Gewinn für alle Beteiligten werden.

Anmerkungen:

1) Vgl. dazu Franz Götz: Das Weihnachtslie-derbuch des Wolfgang Figulus von 1585. Facharbeit im Leistungskurs Musik des Musischen Gymnasiums der Benediktiner zu Niederaltaich 1986.

2) Neuausgabe von Konrad Ameln: Weih-nachtsliederbuch des Cornelius Freundt. Kassel 1934.

3) Neuausgabe von Pál Esterhazy: Harmonia caelestis 1711 (Musicalia Danubiana 10). Budapest 1989.

4) Vgl. dazu die von Konrad Ruhland in der Reihe Musik aus Ostbayern herausgege-benen Pastorellen (Heft 2, 27, 30, 39 und 51), Altötting 1987f.

5) Robert Münster im Beiheft der CD Musica Bavarica MB 212 mit Musik aus dem Fran-ziskanerinnenkloster Reutberg.

6) Joseph Joachim Benedikt Münster: Con-certatio pastoritia XI und XII (Musik aus Ost-bayern 15). Altötting 1988.

Pastorellen auf Tonträgern

! Resonet in laudibus – Legende eines Weihnachtsliedes, Niederaltaicher Scholaren, Ltg. Konrad Ruhland. CD Sony Classical GmbH 1994 (SK 66242)! Weihnachtsmusik aus Röhrnbach, Mädchen-Dreigesang des Schulheims St. Gottard Nie-

deraltaich, Familie Ruhland, Ltg. Konrad Ruhland. LP hg. Kath. Pfarrkirchenstiftung Röhrnbach und Bayerischer Rundfunk 1985 (B 3405).