Dr. med. Wolfgang Dörr
Facharzt für Allgemeinmedizin
Lehrbeauftragter am Institut für Allgemeinmedizin
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt am Main
Akademische Forschungs- und Lehrpraxis der
Goethe-Universität in Rödermark
Beschwerden im Bereich des Thorax
Symptom orientiertes Vorgehen in der
Allgemeinmedizin
Herr Doktor,
ich hab s
am Herz
Themenübersicht und Lernziele
1) Systematik und Kasuistik
2) Fallbeispiele aus der Allgemeinpraxis
(interaktiv, unter Anwendung der Besonderheiten
allgemeinmedizinischer Diagnostik)
3) Asthma bronchiale und COPD in der Allgemeinmedizin
Systematik und Kasuistik
Thoraxbeschwerden
muskuloskelettal Haut gastroent. kardiovaskulär pulmo somatoform
Tietze-Syndrom
Herpes
Zoster GERD akutes Koronarsyndrom Lungenembolie Da-Costa-
NPPL & degenerative
WS-Veränderungen Pankreatitis Peri-Myokarditis Pneumothorax Syndrom
Osteoporose
Boerhaave-
syndrom CMP Pleuropneumonie
Wirbelfraktur diss. Aortenaneurysma Tumore
Interkostalneuralgie Asthma / COPD
gripp. Infekt
Pleuraerguss
Symptome in der Praxis:
Thoraxbeschwerden,
Dyspnoe,
Dämpfung, kein
Atemgeräusch,
aufgehobener
Stimmfrenitus
links basal
(Ellis-Damoiseausche-
Linie links)
Spannungspneumothorax
Symptome in der Praxis:
plötzlicher Thoraxschmerz,
Dyspnoe, oberer Einfluss-
stau, kein Atemgeräusch,
hypersonorer Klopfschall,
kein Stimmfrenitus links,
Tachykardie,
respiratorische
Insuffizienz, Schock
64-jähriger Patient, der mit funktionellen abdominalen Beschwerden in die Sprechstunde kommt.
EA: Diabetes mellitus, diabetische Polyneuropathie
EKG-Befund: Myokardinfarkt
Procedere: Akut-PCI innerhalb von 30 Minuten, Stent.. P. musste wegen Kammerflimmerns kurz vor
der PCI reanimiert werden.
45-jähriger Patient kommt mit retrosternalem Engegefühl, in den linken Arm ausstrahlend,
in die Sprechstunde. Ein vor zwei Wochen angefertigtes EKG zeigte einen Normalbefund.
Aktuell : neu aufgetretener Linksschenkelblock. Nach den Leitlinien der DGK entspricht dieser
Befund einem STEMI. Noteinweisung, PCI mit Stent.
Muskuloskelettale Beschwerden
des Thorax in der Hausarztpraxis:
Interkostalneuralgie
BWS-Syndrom
Bandscheibenvorfall im BWS-Bereich
Symptome: Bewegungs- und evtl.
Atemabhängigkeit ; häufig Klopf- oder
Druckschmerz; ggf. neurologische Defizite
Sonderfall: Tietze-Syndrom: sternocostale,
druckschmerzhafte Schwellung 2.,3. Rippe
Atemw.-Lungenkrkh.
W. Petermann Paderborn
Jahrgang 33 Nr.7/2007,S. 269-274
Knickbildung in der BWS
durch Sinterfrakturen von
3 benachbarten Wirbelkörpern
Akute Symptomatik: heftiger,
infarktähnlicher Thoraxschmerz mit
Atemnot
Wirbelfraktur bei Osteoporose
Ein Fall aus der Praxis:
55-jährige Patientin mit plötzlichen, linksthorakalen Schmerzen; der
Notarzt wird alarmiert. Dieser vermutet einen Myokardinfarkt. Nach
entsprechender Notversorgung wird die Patientin in die
kardiologische Abteilung einer Klinik transportiert. Hier wird sofort
eine Koronarangiopraphie durchgeführt. Diese ist ohne Befund.
Nach Entlassung aus der Klinik wird ambulant eine
Röntgenaufnahme der BWS angefertigt.
Befund: Spontanfraktur des 5. BWK bei Osteoporose.
Fallbeispiele aus der Allgemeinpraxis
(interaktiv, unter Anwendung der
Besonderheiten allgemeinmedizinischer
Diagnostik)
Patient A, 64 Jahre alt
Herr A kommt montags wegen Rückenschmerzen im
BWS-Bereich in die Sprechstunde. Er war am Sonntag
(gestern) wegen dieser Beschwerden bereits beim
Notarzt.
Der Notarzt hat nach kurzer Untersuchung die Diagnose
akutes BWS-Syndrom gestellt , den Patienten
“eingerenkt“ und Diclofenac Tabletten rezeptiert.
Wie gehen Sie weiter vor?
Anamnese:
Frage:
Sie kommen wegen Rückenschmerzen,
seit wann haben Sie diese Schmerzen,
sind die Schmerzen im BWS-Bereich bewegungs- oder atemabhängig,
haben Sie auch Schmerzen ohne Bewegung oder ohne zu atmen ?
Antwort des Patienten:
die Schmerzen sind vor allem atemabhängig,
weniger in Ruhe. Deshalb tippte der Notarzt
auch auf eine Beteiligung der Interkostalnerven
rechte Brustkorbseite. Beim Atmen bekomme
der Patient auch etwas weniger Luft.
Frage:
Hatten Sie plötzlich Schmerzen oder
entwickelten sich die Schmerzen langsam?
wie ist der Schmerzcharakter?
Antwort des Patienten:
der Schmerz entstand plötzlich. Es ist ein stechender Schmerz im Rücken rechts.
Eigenanamnese: keine Kinderkrankheiten in Erinnerung; als Jugendlicher immer gesund; seit ca. 10 Jahren ist ein Vorhofflimmern bekannt ; seit 2 Jahren Bluthochdruck, mit ACE-Hemmer gut eingestellt
eine Antikoagulation habe er aus Überzeugung abgelehnt, da er beim Sport eine hohe Sturzgefahr habe. Er sei voll belastungsfähig und könne seinen Sport problemlos ausüben.
Familienanamnese:
der Vater sei nach einem Schlaganfall verstorben.
Der Sohn des Patienten sei wegen einer Psychose in Behandlung.
Soziale Anamnese:
Bankkaufmann im Ruhestand, verheiratet
Medikamenteneinnahme: Ramipril 5mg/die
Was denken Sie?
Wie gehen Sie weiter vor ?
Untersuchungsbefund:
Kopf/Hals : o.B.
Thorax: seitengleiche Atmung, AF 18/min,
RR 130/80mmHg, Puls 92/min,
vesikuläres AG, sonorer KS,
diskretes Pleurareiben rechts basal,
Stimmfrenitus gleich, keine Dämpfung
Abdomen: o.B.
Extremitäten: o.B.
Neurologie: o.B.
Was würden Sie tun, wie gehen Sie weiter vor ?
Würden Sie die Therapie des Notarztes
weiterführen?
Deshalb kommt der Patient in die Praxis!!!
Wir haben eine Konstellation aus
a) Vorhofflimmern in der Anamnese
b) atemabhängigen Schmerzen rechte Thoraxseite
c) Pleurareiben rechts ohne Ergussbildung oder
Pneumoniezeichen (keine feuchten RGs, Stimmfrenitus
o.B.)
Verdachtsdiagnose: Lungenembolie
Procedere:
EKG: absolute Arrhythmie bei VHF,
S in I und Q in III
Weitere Untersuchungen :
D-Dimere und Spiral-CT
Es handelt sich um einen abwendbar
gefährlichen Verlauf !
Weiteres Vorgehen:
Noteinweisung ins Krankenhaus
Krankenhausbefund: D-Dimere erhöht,
Lungenembolie im CT
Folgerung
Gründliche Anamnese, genaue physikalische Untersuchung führen zur Verdachtsdiagnose eines abwendbar gefährlichen Verlaufes.
Hier ist auch die Grenze des Fachgebietes Allgemeinmedizin erreicht. Der Patient muss weiter überwiesen werden.
Umgekehrt muss der allgemeinmedizinisch tätige Arzt die Methoden Anamnese- und Befunderhebung detailliert beherrschen, um den abwendbar gefährlichen Verlauf zu erkennen.
Weiterer Fall:
Patient B, 57 Jahre alt
Herr B kommt um 12:00 Uhr nach der
Vormittagssprechstunde unangemeldet in die
Praxis, um auf Wunsch seiner Partnerin kurz
eine Frage zu stellen.
Seit gestern habe er im Abstand von einigen
Stunden ein Ziehen in der rechten Brustseite.
Wie verhalten Sie sich, was ist bzgl.
Anamnese und Befund wichtig ?
Anamnese:
AA: Seit gestern im Abstand von zunächst
7 Stunden, dann ca. 3-4 Stunden ein Ziehen
in der rechten Thoraxseite (> 20 Minuten ).
Die Beschwerden sind nicht atemabhängig,
bei körperlicher Belastung (seit gestern aber
nur geringe Belastung) änderten sie sich
nicht. Zur Zeit sei er ohne Beschwerden.
EA: Immer gesund, Kinderkrankheiten: Masern,
Mumps, Windpocken, zeitweilig grippale Infekte.
FA: Vater mit 65 Jahren durch Schlaganfall gestorben,
in der Familie kein Diabetes oder sonstige Risiko-
faktoren. Der Patient ist Nichtraucher, kein Sport.
SA: Manager, lebt mit Lebenspartnerin zusammen,
ein Sohn (dieser ist gesund), keine Allergien, keine
Medikamenteneinnahme.
Untersuchungsbefund:
Gesamtstatus o.B.
Wie gehen Sie weiter vor ?
Was hätten Sie weiter unternommen?
Procedere im konkreten Fall:
P. wurde wegen instabiler Angina pectoris
unter der Diagnose „akutes Koronarsyndrom“
als Notfall in die Notaufnahme des nächsten
Krankenhauses mit Katheter-
Interventionsmöglichkeit eingewiesen.
Instabile Angina pectoris : erstmalig(de novo) und/oder in Ruhe(at rest) oder Crescendo aus
stabiler A.p. (Plaqueruptur),
kein Nitroeffekt, > 20 min.
stabile Angina pectoris : reproduzierbar durch körp. Belast.,
prompte Nitrowirkung, 5-10 min.
Warum akutes Koronarsyndrom bei normalem EKG ?
Akutes Koronarsyndrom
Instabile Angina pectoris
Myokardinfarkt
Plötzlicher Herztod
Akutes Koronarsyndrom
EKG Biomarker
STEMI ST-Hebung Anstieg
NSTEMI keine ST-Hebung Anstieg
Instabile A. p. keine ST-Hebung kein Anstieg
Reihenfolge des Anstieges infarkttypischer Markerproteine
(Enzyme)
Troponin T / I (TnI / TnT/ Tsens.)
CK / CKMB (Quotient CKMB= 6 – 20 % der Gesamt - CK)
GOT
LDH
HBDH
Was kann die Allgemeinmedizin leisten?
genaue Anamnese !!
Erkennen des abwendbar gefährlichen
Verlaufes !
Wie entwickelte sich der Fall weiter?
Der P. wurde als Notfall im Krankenhaus aufgenommen.
Auch hier normales EKG , Troponin T negativ
Nach zwei Stunden ST-Hebung im EKG (STEMI), schwere Angina pectoris
Koronarangiographie
Befund: Verschluss des RIVA
PCI, Stent
Nach 3 Tagen AHB
Wie wird der Patient nach Entlassung aus der
AHB hausärztlich weiter betreut?
Hausärztliche Weiterbehandlung nach ACS
Medikamentöse Therapie: ß- Blocker, ASS, Statin,
(z.B. Clopidogrel 75mg/die) zeitlich begrenzte, duale
Thrombozytenfunktionshemmung zur Prävention eines
Stentverschlusses; anschließend ASS lebenslang
kardiologische Kontrollen jedes Jahr
strenge Einstellung der Risikofaktoren
(LDL-Cholesterin, RR, Übergewicht, Koronarsport)
Sekundärprävention!
Herr B ist heute voll arbeitsfähig. Nach einer
Reihe von Gesprächen in der Praxis hat er
die Grenzerfahrung Herzinfarkt mental gut
verarbeitet.
Patientin C, 66 Jahre alt
• AA: seit 2 Tagen Husten, Fieber, extrem schlapp
• EA: immer gesund, KK nicht erinnerlich, geht
selten zum Arzt
• FA: Vater am Herzinfarkt verstorben, Mutter
hatte Brustkrebs
• SA: Rentnerin, lebt mit dem Ehemann, dieser ist
starker Raucher
Thorax: seitengleich beatmet, AF 28/min (Ruhedyspnoe),
sonorer KS, feuchte, ohrnahe RGs ausgedehnt
linker Oberlappen,
diskrete Dämpfung links apikal, Stimmfrenitus links
verstärkt , Bronchialatmen links,
RR 90/6o mmHg, HF:110/min, schlechter AZ
Diagnose: akute Pneumonie
Procedere?( CRB-65 Score ) stationäre Einweisung:
abwendbar gefährlicher Verlauf
Leitsymptom Husten und Dyspnoe
Asthma bronchiale und COPD
in der Allgemeinmedizin
Definition des Asthma bronchiale
Asthma bronchiale ist eine chronisch-
obstruktive,reversible,variable Atemwegs-
erkrankung mit Entzündung und
Schleimbildung
Asthmatypen
1) Exogen-allergisches Asthma bronchiale
2) Intrensic Asthma bronchiale
3) Gemischtförmiges Asthma bronchiale
Asthma-Schweregrade
Bezeichnung Symptome FEV1 bzw. PEF
(in % vom Sollwert)
1, intermittierend Tag: < 1 pro Woche
Nacht: ≤ 2 pro Monat
≥ 80 %
<20% PEF-Variab.
2, persistierend, leicht
Tag: < 1 täglich
>1 x pro Woche
Nacht: > 2 pro Monat
≥ 80 %
20-30% PEF-Variab.
3, persistierend, mittelgradig Tag: täglich
Nacht:> 1 pro Woche
60−80 %
20-30% PEF-Variab.
4, persistierend, schwer Tag: ständig
Nacht: häufig
≤ 60 %
>30% PEF-Variab.
DAL/DGP Leitlinie 2007
COPD - Definition
Verhinderbare und behandelbare Erkrankung
Charakterisiert durch eine Atemwegsobstruktion
Nicht voll reversibel
Typischerweise progredient
Assoziiert mit abnormer Entzündungsreaktion
In erster Linie durch Zigarettenrauch verursacht
Signifikante extrapulmonale Effekte
C. Vogelmeier C et al. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der DGP. Pneumologie 2007; 61: e1-e40
Schwere-grad
I: leicht II: mittel III: schwer IV: sehr schwer
Charak-teristika
• FEV1/VK < 70%
• FEV1 ≥ 80%
• mit/ohne Symptomatik
• FEV1/VK < 70%
• 50% ≤ FEV1< 80%
• mit/ohne Symptomatik
• FEV1/VK < 70%
• 30% FEV1< 50%
• mit/ohne Symptomatik
• FEV1/VK < 70%
• FEV1 ≤ 30% oder
• FEV1 < 50% und chronische respiratorische Insuffizienz, Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz
Vermeidung von Risikofaktoren, Grippe- und Pneumokokken-Schutzimpfung. Zusätzlich bei Bedarf kurzwirksamer Bronchodilatator
Zusätzliche Dauertherapie mit einem oder mehreren langwirksamen Bronchodilatatoren, Rehabilitation.
Zusätzlich inhalative Glukokortikoide bei wieder-kehrenden Exazerbationen.
Zusätzlich Langzeitsauer-stofftherapie bei respirato-rischer Insuffizienz. Prüfen, ob chirurgische Behandlung angezeigt ist.
© Deutsche Atemwegsliga e.V. 2007
Schweregrade und Therapie der COPD
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit