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Polyposis nasi

Hausarzt, Facharzt oder Krankenhaus?Nasenpolypen gelten als Sonderform der chronischen Rhinosinusitis. Männer sind in etwa doppelt so häu� g betro� en wie Frauen, und die Inzidenz steigt im Alter. Wann reichen die klinische Diagnostik und die konser vative Therapie aus? Wann ist welche Zusatzdiagnostik notwendig, wann die Überweisung zum HNO-Facharzt indiziert? Wann muss operiert werden? Antworten auf diese Fragen � nden Sie im nachfolgenden Beitrag.

− Nasenpolypen sind ödematöse Schleimhautausstülpungen auf dem Boden einer chronischen Entzündung (Abb. 1). Daher gilt die Polyposis nasi als Sonderform der chronischen Rhinosi-nusitis [1]. Die Pathogenese der Polypo-sis nasi ist letztlich bis heute unklar. Ein gesteigerter Entzündungssto� wechsel mit veränderten Zytokinmustern und eine Dysregulation der lokalen Immun-funktion spielen eine relevante Rolle.Bakterien, Pilze, Allergene und Super-antigene scheinen einen verstärkenden (aber nach neuesten Erkenntnissen nicht ursächlichen) Charakter zu haben [2].

Wie häu� g sind Nasenpolypen?Während die Prävalenz von symptoma-tischen und asymptomatischen Nasen-polypen auf 32% geschätzt wird, liegt die Inzidenz für eine symptomatische Poly-posis nasi bei etwa 0,63 Patienten pro 1000 Einwohnern und Jahr. Männer sind etwa doppelt so häu� g betro� en wie Frauen, und die Inzidenz steigt zum hö-heren Alter hin mit einem Altersgipfel bei 50–59 Jahren [3, 4]. Bei Kindern ist die Erkrankung sehr selten und kann dann hinweisend auf systemische Er-krankungen wie eine zystische Fibrose oder ziliäre Dyskinesie sein [5].

Welche Erscheinungsformen werden unterschieden?Pathohistologisch lassen sich neutrophi-le von eosinophilen Polypen unterschei-den, wobei letztere mit einem schwere-ren Krankheitsverlauf und einer höhe-ren Rezidivfreudigkeit einhergehen [2].

Es besteht neben der genannten zys-tischen Fibrose und ziliären Dyskinesie eine relevante Assoziation zum Asthma bronchiale sowie anderen chronischen Erkrankungen der unteren Atemwege, unter denen fast zwei Drittel der Polypo-sis-Patienten leiden [6]. Besteht zusätz-lich eine Analgetika-Intoleranz, was in etwa 25% der Fall ist, spricht man von

der Samter- bzw. Widal-Trias oder von einer „Aspirin-exacerbated respiratory disease (AERD)“ [7, 8]. Zur allergischen Rhinitis hingegen besteht o� enbar kein ätiologischer Zusammenhang [9].

Druck auf GesichtsschädelDie seltene Maximalausprägung der Po-lyposis nasi wird Woakes-Syndrom genannt: Hierbei kommt es durch den chronischen Druck der Polypen zu einer Verbreiterung des Gesichtsschädels mit Knochenausdünnung [10] (Abb. 3, S. 41).

Eine ätiologisch und klinisch abzu-grenzende Sonderform von Nasenpoly-pen stellen die in der Regel einseitigen, solitären Antrochoanalpolypen dar, die vermutlich aus Kieferhöhlenzysten ent-stehen, über den mittleren Nasengang nach dorsal wachsen und die Choane verlegen. Sie treten gehäu� im Jugend-alter auf und werden primär chirurgisch entfernt [5].

Abb. 1 Nasenendo-skopie bei chronischer Rhinosinusitis mit Poly-posis: Großer Polyp (P)

im mittleren Nasengang. L = laterale Nasenwand,

PU = Processus un-cinatus, MM = polypös

veränderte mittlere Nasenmuschel,

S = Nasenseptum.

PU

MMS

P

L

Priv.-Doz. Dr. med. Christian S. Betz Leitender Oberarzt und Lehrbeauftragter Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Klinikum der Universität München, Campus Großhadern

Koautor: Dr. med. Thomas Braun, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-,Ohrenheilkunde, Klinikum der Universität,München-Großhadern

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Abb. 2a und 2b Mittlerer Nasengang links vor (a) und nach Polypektomie (b) im Rahmen einer minimal-invasiven, Endoskop-kontrollierten chirurgischen Sanierung der Polyposis nasi.

a b©Ch

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Hyperplastische Rachenmandeln (Adenoide) werden im Allgemeinen Sprachgebrauch zwar auch synonym als

„Polypen“ bezeichnet, haben jedoch mit den hier beschriebenen Nasenpolypen nichts gemein.

DiagnostikDe� nitionsgemäß besteht eine chroni-sche Rhinosinusitis, wenn mindestens zwei der folgenden Symptome vorliegen (dabei zumindest eines der beiden ersten Symptome und für zumindest zwölf Wochen):

− nasale Obstruktion,

− Rhinorrhoe,

− Gesichtsschmerz/-druck,

− Hyp-/Anosmie [11].

FORTBILDUNG_SCHWERPUNKT

Die nicht-polypöse chronische Rhino-sinusitis unterscheidet sich von der poly-pösen Form (Polyposis nasi) durch Ab-wesenheit bzw. Vorhandensein von rhinoskopisch oder nasenendoskopisch sichtbaren Polypen, halb durchscheinen-den, gräulich-blassen Strukturen, die zu-meist im mittleren Nasengang ihren Aus-gang nehmen und sich in der Regel farb-lich von der gesunden, rosafarbenen Schleimhaut abgrenzen (Abb. 1). Im an-gloamerikanischen Sprachraum sind zur Abgrenzung dieser beiden Formen der chronischen Rhinosinusitis die Abkür-zungen „CRSwNP“ bzw. „CRSsNP“ („Chronic rhinosinusitis with/without nasal polyps“) gebräuchlich [11].

Basierend auf dem rhinoskopischen bzw. endoskopischen Befund kann eine Gradeinteilung, z. B. nach Lund und Mackay,Mackay,Mackay vorgenommen werden:

− Grad 0: keine Polypen sichtbar,

− Grad 1: Polypen im mittleren Nasen-gang,

− Grad 2: Polypen außerhalb des mittle-ren Nasengangs ohne komplette Ver-legung der Nasenhaupthöhle,

− Grad 3: komplette Verlegung der Na-senhaupthöhle [1].

Die Veranlassung bildgebender Verfah-ren (z. B. Röntgen oder Computertomo-gra� e der Nasennebenhöhlen) ist bei Erstdiagnose von Nasenpolypen i. d. R.nicht sinnvoll, da die Diagnose meist kli-nisch gestellt werden kann und sich aus der Bildgebung zunächst keine thera-peutische Konsequenz ergibt [11].

Therapie der Polyposis nasi

Was kann der Hausarzt tun?Besteht nach den o.g. Symptomkonstel-lationen der V. a. eine chronische Rhino-sinusitis (mit oder ohne Nasenpolypen), werden topische Steroide (z.B. Mometa-son- oder Fluticason-Nasenspray) und eine Salzwasser-Nasendusche verordnet (jeweils Evidenzgrad I a, Empfehlungs-grad A). Tritt nach vier Wochen eine Ver-besserung ein, wird die � erapie fortge-setzt, ansonsten ist eine Überweisung zum HNO-Facharzt indiziert [11].

Cave: „Red Flags“, die eine andere Diagnose nahelegen, z. B. benigne oder maligne Neubildungen, Meningoenze-phalozelen oder entzündliche Kompli-kationen, und eine unverzügliche fach-ärztliche Abklärung erfordern, sind:

− einseitige Symptome,

− Epistaxis,

− starke Krustenbildung,

− Kakosmie,

− orbitale Symptome (z. B. periorbitales Ödem oder Erythem, Bulbusverlage-rung, Augenmuskelparesen, Doppel-bilder, Visusverlust),

− starker Stirnkopfschmerz oder Stirn-schwellung,

− Meningismus oder eine andere neuro-logische Symptomatik [11].

Welche Optionen hat der HNO-Facharzt?Bei geringen Beschwerden und eher leichtgradiger Polyposis erfolgt die Fort-

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führung der konservativen � erapie mit topischen nasalen Steroiden [11]. Stellt sich hierunter keine Besserung ein oder bestehen bereits initial deutliche Be-schwerden oder eine höhergradige Poly-posis, sollte eine Eskalation der konser-vativen � erapie mit oralen Steroiden er-folgen (z. B. Methylprednisolon 60 mg absteigend über zwei Wochen; Evidenz-grad I a, Empfehlungsgrad A [11]).

Wann orale Antibiotika?Eine orale Antibiotikatherapie mit Ma-kroliden, z. B. Doxycyclin oder Roxi-thromycin, die eine zusätzliche antient-zündliche Komponente besitzen, sollte ggf. erwogen werden. Sie hat aber ver-mutlich nur einen geringen E� ekt (Emp-fehlungsgrad C sowohl für eine Kurz-zeittherapie über weniger als vier Wo-chen [widersprüchliche Studienlage] als auch für eine Langzeittherapie über mehr als zwölf Wochen [Evidenzgrad III]). Nasenduschen können eine symp-tomatische Erleichterung bewirken (Evi-denzgrad I b, Empfehlungsgrad D [11]). Bei Analgetika-Intoleranz und Rezidiv-Polyposis sollte eine adaptive Deaktivie-rung erwogen werden, um die Rezidiv-rate zu senken (Evidenzgrad II, Empfeh-lungsgrad C [11]).

Für sonstige, teils noch eingesetzte � erapeutika, z. B. Dekongestiva, Anti-mykotika, Mukolytika, Phytotherapeu-tika oder Anti-IgE, bestehen keinerlei oder gar eine negative Evidenz [11]. Von . Von . Vihrer Verordnung ist daher abzuraten. Für Leukotrienantagonisten ist die Stu-dienlage derzeit noch widersprüchlich [11–13].

Akute Exazerbationen der Polyposis nasi werden analog der akuten Rhino-sinusitis behandelt [11].

Auch wenn die Polyposis nasi o� en-bar nicht mit der allergischen Rhinitis assoziiert ist, emp� ehlt die Leitlinie

„Rhinosinusitis“ der Deutschen Gesell-scha� für Hals-, Nasen- und Ohrenheil-kunde, Kopf- und Halschirurgie bei al-len Formen der chronischen Rhinosinu-sitis eine � ankierende Allergieabklä-rung und ggf. -therapie, u. a. da eine al-lergische Sensibilisierung ein negativer Prognosefaktor nach Nasennebenhöh-leneingri� en ist [8].

Operative Sanierung der Polyposis nasiBei ausbleibender oder unzureichender Besserung unter konservativer � erapie erfolgt die operative Sanierung der Po-lyposis nasi [11]. Hierbei ist letztlich ein individuell angepasstes chirurgisches Vorgehen erforderlich [8].

Die endonasale, minimal-invasive funktionelle Nasennebenhöhlenchirur-gie (Abb. 2), bei der Ventilation und Drainage des Nebenhöhlensystems ver-bessert werden, u. a. auch damit topische Steroide besser ihren Wirkort erreichen können, ist e� ektiv und führt zu einer ausgeprägten und langfristigen Verbes-serung der Beschwerden [8]. Da aller-dings eine klare Überlegenheit im Ver-gleich zu reinen Polypektomien und einer intensivierten medikamentösen � erapie nach den Maßstäben der evi-denzbasierten Medizin bisher nicht ge-zeigt werden konnte, sollten unbedingt vor einer chirurgischen � erapie die o. g. Optionen der konservativen � erapie ausgeschöp� werden [8].

Nach operativer Sanierung der Na-sennebenhöhlen verbessert sich die Le-bensqualität fast aller betro� enen Pati-enten mit Polyposis nasi [14]. Sympto-matische Rezidive treten allerdings in 20–60% der Fälle auf [8].

Vor Nasennebenhöhleneingri� en bei Polyposis nasi sollten Schnittbilder in mindestens zwei Ebenen vorliegen [8]. Das Untersuchungsverfahren der Wahl ist hierbei die Computertomogra� e (CT)

auf Grund der Darstellung knöcherner Strukturen. Die digitale Volumentomo-gra� e (DVT) etabliert sich zunehmend als vermutlich gleichwertige Alternative [8]. Die Magnetresonanztomogra� e (MRT) kommt in erster Linie zusätzlich bei intrakraniellen und orbitalen Kom-plikationen in Betracht [8].

Literatur unter mmw.de

Für die Verfasser:Priv.-Doz. Dr. med. Christian S. BetzLeitender Oberarzt und LehrbeauftragterKlinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Klinikum der Universität MünchenCampus GroßhadernMarchioninistr. 15 D-81377 MünchenE-Mail: [email protected]

Fazit für die PraxisGrundlage der Therapie der Polyposis nasi sind konservative Maßnahmen mit den gut wirksamen topischen und ora-len Steroiden [8]. Bei Versagen der kon-servativen Therapie verbessert die operative Sanierung der Nasenneben-höhlen die Lebensqualität fast aller be-tro� enen Patienten [14]. Eine Heraus-forderung bleibt die Rezidivfreudigkeit der Erkrankung in 20–60% der Fälle [8].

KeywordsNasal polyps – What the general practitioner should know

Nasal polyp – chronic rhinosinusitis –primary care – management

Abb. 3 Maximal-form der

chronischen Rhinosinusitis

mit Polyposis (sog. Woakes-Syndrom)

mit kompletter Verlegung der

Nasenhaupt- und Nebenhöhlen so-wie Ausdünnung des umliegenden

Knochens. RB = Rhinobasis,

O = Orbita, KH = Kieferhöhle,

S = Nasenseptum. ©Ch

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RB

O

KH

S

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