Ernst‐Moritz‐Arndt Universität Greifswald Institut für Deutsche Philologie Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft Sommersemester 2007 Seminar: Theorien der Interpersonalen Kommunikation Dörthe Hein
Herbert Blumer als Schüler und Nachfolger von George Herbert Mead ‐
Die Formulierung des Symbolischen Interaktionismus
Sebastian Thielke
334900
Wolgaster Straße 8, 17489 Greifswald
Kommunikationswissenschaft/ Anglistik/ Amerikanistik
2. Semester
31.08.2007
1
Inhaltsangabe
1. Einleitung 2
2. Herbert Blumer als Student von Mead 3 2.1. Meads Grundlage der symbolischen Interaktion 3
2.2. Die Essenz für Blumer 4
3. Der Symbolische Interaktionismus nach Herbert Blumer 5 3.1. Die drei Kernprämissen 7
3.2. Die Kernvorstellungen des Symbolischen Interaktionismus 8
3.2.1. Beschaffenheit der Menschlichen Gesellschaft 9
3.2.2. Beschaffenheit der sozialen Interaktion 10
3.2.3. Beschaffenheit von Objekten 11
3.2.4. Der Mensch als handelnder Organismus 12
3.2.5. Beschaffenheit des menschlichen Handelns 13
3.2.6. Verkettung von Handlungen 14
4. Die Bedeutung von Meads und Blumers Thesen für die Kommunikationswissenschaften – Ein Fazit 16 Literaturverzeichnis 17
2
1. Einleitung
„Die symbolische Welt (wird) durch permanente Revisionen und Neudefinitionen und
wechselseitige Aushandlungen (negotiations) kommunikativ geschaffen …“1. In diesem
Punkt ragt die Arbeit des symbolischen Interaktionismus über den Pragmatismus von
George Herbert Mead heraus. Sein Schüler und Nachfolger Herbert Blumer befasste
sich ausführlich mit dem Phänomen der symbolischen Interaktion, wie sie einst Mead
erklärte und definierte. Er entwickelte die Theorie weiter und gab ihr einen neuen
Namen – der symbolische Interaktionismus. Dennoch kann man die Verbindung zu
diesem Werk auch immer zu Mead ziehen, ja meistens ist es sogar sein Ansatz, der in
diesem Zusammenhang genannt wird. Doch wo liegen nun die Grenzen, die Einflüsse
und Besonderheiten zwischen George Herbert Meads und Herbert Blumers Arbeiten?
Hat Blumer sich nur bei Mead bedient und dann seinen Stempel drunter gesetzt oder
ist sein Werk eine Weiterführung der Gedanken und Arbeit Meads?
Diese Arbeit soll einen kleinen Einblick geben, welche Grundüberlegungen beide
Wissenschaftler verfolgen und sie soll zeigen, dass Meads Werk durch Blumer
fortgesetzt wurde.
Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit dem wissenschaftlichen und
universitären Zusammenhang zwischen Mead und Blumer. Außerdem gibt er einen
kurzen und groben Abriss der Arbeit Meads und welche Essenz Blumer aus Meads
Arbeit gezogen hat.
Im zweiten Teil dieser Arbeit wird ein genaues Licht auf die Entwicklung und
Formulierung des Symbolischen Interaktionismus selbst geworfen. Es werden die
Zusammenhänge zu Meads Arbeit beleuchtet und kurz zu den einzelnen Bedeutungen
etwas gesagt. So werden die drei Prämissen erklärt und die Kernvorstellungen
erläutert, die die Prämissen untermauern.
Der letzte Teil der Arbeit bringt die beiden Theorien in den Zusammenhang mit der
Kommunikationswissenschaft und zeigt kurz, wie bedeutungsvoll die Theorien für das
Verständnis von Kommunikation sind.
1 Schützeichel, Rainer: Soziologische Kommunikationstheorien. 1. Auflage Konstanz 2004. S. 106
3
2. Herbert Blumer als Student von Mead
Herbert Mead klingt in allen Ohren als Urvater des symbolischen Interaktionismus.
Man bringt ihn im Zusammenhang mit „symbolischer Interaktion“. Doch wo genau
liegt sein Anteil an dem Ganzen? Mead selbst hat während seines ganzen Lebens nie
selbst ein Werk verfasst oder eine zusammenhängende Arbeit über seine Forschung
und Vorlesungen geschrieben. Das einzige was der Nachwelt erhalten blieb, sind die
Aufzeichnungen und Skripte seiner Studenten. Auch ihn in direkten Zusammenhang
mit dem Begriff des symbolischen Interaktionismus zu bringen, ja ihn als „Erfinder“ des
selbigen darzustellen, wäre nicht richtig. Grundsätzlich kann man sagen, dass George
Herbert Mead der Begründer der symbolischen Interaktion ist. Der symbolische
Interaktionismus hingegen ist eine „Fortsetzung jenes lockeren interdisziplinären
Geflechts von Theoretikern, Sozialforschern und Sozialreformern an der University of
Chicago, welches in der eigentlichen Institutionalisierungsphase der amerikanischen
Soziologie zwischen 1890 und 1940 bestimmend für das Fach war“. 2
Doch woher kommt der Begriff des symbolischen Interaktionsmus? Hier nun kommt
ein Student und späterer Nachfolger Meads zum Zuge. „Namentlich ist dieser Ansatz
auf Herbert Blumer zurückzuführen, der als Schüler und Lehrstuhlnachfolger Meads in
Chicago gewirkt hat.“ 3 So ist es also kein Wunder, dass dieser Begriff immer wieder
mit Mead in Verbindung gebracht wird. Blumer ist somit Schöpfer des Wortes aber
Mead ist anscheinend immer noch grundlegend der Vater des Gedankens.
2.1. Meads Grundlage der symbolischen Interaktion
Im Gegensatz zu gängigen Sozial‐ und Kommunikationstheorien bringt Mead die
Anfänge der Kommunikation und somit auch den symbolischen Interaktion in
Verbindung mit naturgeschichtlichen Grundlagen. Er macht keinen Unterschied
zwischen „…subhumanen und humanen Gemeinschaftsformen…“.4
2 Joas, Hans: Symbolischer Interaktionismus‐ Von der Philosophie des Pragmatismus zu einer soziologischen Forschungstradition. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (1988), S.419 3 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 209 4 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 211
4
Für den Beginn einer Gesellschaft oder eines sozialen Geflechts und der Probleme, mit
denen sich eine solche Gemeinschaft auseinandersetzen muss, führt Herbert Mead
den Begriff der „Geste“ ein. Die auftretenden Störungen und Probleme müssen mit
Hilfe der Anderen bewältigt werden. Um die Kooperation für die Bewältigung zu
schaffen, müssen die Anderen „informiert“ werden. „Der Begriff ‚Geste‘ kann mit
jenen Anfängen gesellschaftlicher Handlungen gleichgesetzt werden, die als Reize für
die Reaktionen anderen Wesen dienen." 5 Doch genau hier findet dann die Aufteilung
der Überlegungen Meads in humane und subhumane Gemeinschaften statt. Mead
sieht diesen Teil der Kommunikation nämlich als nicht‐signifikant an, was nichts
anderes bedeutet als unbewusste Kommunikation und somit wie bereits erwähnt nur
der subhumanen Gemeinschaftsform zuzuschreiben. Doch was unterscheidet nun den
Menschen vom Tier?
Hierfür führt Mead das signifikante Symbol ein. „Von einem signifikantem Symbol kann
man sprechen, wenn ein Zeichen oder eine symbolische Geste beim anderen
Individuum die gleiche Vorstellung über die dahinterliegende Bedeutung hervorruft
wie im Erzeuger und somit die gleiche Reaktion auslöst.“6 Der Unterschied zur nicht‐
signifikanten Geste ist eindeutig. Die signifikante Geste oder besser das signifikante
Symbol unterliegen der Interpretation. Es findet eine Generalisierung einer Situation
auf einen bestimmt Sinn statt. Mead stellt in seinen Überlegungen weiterhin fest, dass
die Kommunikation der Faktor ist, welcher zur Entwicklung des Menschen zum
sozialen Wesen geführt hat, weil die typische menschliche Kommunikation und
Interaktion über signifikante Symbole stattfindet.
2.2. Die Essenz für Blumer
Als Schüler von Mead war Blumer bestens vertraut mit seinen Vorlesungen und
Forschungen. Doch grundlegend muss man sagen, dass Blumer nicht wirklich das Werk
von Mead weitergeführt hat, nein er hat sich einen Teil aus der Arbeit Meads
herausgenommen und diesen genauer betrachtet und weiter bearbeitet.
5 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 212 6 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 19
5
Den Ansatz, dem sich Blumer verschrieben hat, nannte er ganz einfach symbolischer
Interaktionismus.
So kann man also auch sagen, dass der symbolische Interaktionismus eine der sechs
Hauptrichtungen der Arbeit von Mead darstellt aber grundlegend eine „… klare
Verkürzung seines Gesamtwerkes…“7 ist.
Doch was genau hat Blumer in seine Arbeit bzw. in seinen Ansatz einfließen lassen? Es
ist der Ansatz für die Bedingungen des Handelns, welchen er mit Mead teilt und den er
weiter ausgearbeitet hat. „Menschen handeln nicht, weil sie sich funktional zur
Strukturbedingungen verhalten, sondern weil sie den Bedingungen eine Bedeutung
geben und damit die Bedingungen selbst schaffen.“8 Dieser Prozess wird ins Zentrum
der Theorie von Blumer gestellt. Weiterhin sehen beide Arbeiten, sowohl die von
Mead als auch die von Blumer, Bedeutungen als Produkt von sozialen Prozessen an.
Außerdem behandelt Blumer in seiner Arbeit die gleiche oder zumindest eine ähnliche
Fragestellung, wie sie Mead vor ihm formulierte, „… wie es Menschen gelingt, ihre
Handlungen aufeinander anzupassen.“9 Mead erklärte damals, dass sich die
Handelnden den Sinn durch Handlungen gegenseitig anzeigen. Hier geht Blumer nun
einen Schritt weiter und sagt, dass die Individuen in der Interaktion gemeinsame
Symbole erschaffen, an denen sie sich orientieren, woran sich ihre Handlungen
bestätigen, die revidiert werden können und auch wieder neue Bedeutungen
zugewiesen bekommen können. Grundlegend nimmt Herbert Blumer also den Zweig
von Meads Forschung, welcher sich mit der symbolvermittelten Interaktion
beschäftigte.
3. Der Symbolische Interaktionismus nach Herbert Blumer
Die vorrangegangenen Beschreibungen haben gezeigt, dass die Grundlage des
symbolischen Interaktionismus eindeutig bei Mead liegt.
7 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 209 8 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 46 9 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 44
6
Herbert Blumer hat sich die Idee von Mead zu Basis genommen und daraus einen
Begriff formuliert, der in der heutigen Zeit allgemeinen Anklang gefunden hat. Zwar
bezeichnet Blumer seine Formulierung als „… barbarische Wortschöpfung…“10, aber er
schaffte trotzdem einen allgemeingültigen Begriff, der sowohl als Fachterminus für
sein Werk gilt, als auch in vielen Mead‐Rezeptionen und anderen fachbezogenen
Werken Anklang findet. So finden wir zum Beispiel auch bei Habermas eine Variante
als „…symbolvermittelte Interaktion…“11.
Doch Herbert Blumer formulierte nicht nur einen Begriff, der das Werk, oder besser
einen Teil des Werkes von Herbert Mead bezeichnet. Nein, Blumer verfeinert die
Theorien Meads in der Richtung der „sybolic interaction“. Im Gegensatz zu Mead
schaffte Blumer es eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema herauszugeben. Die
Theorie des symbolischen Interaktionismus wurde unter dem Deutschen Titel „Der
methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus“ 1973 veröffentlich und
gilt seit dem als Gründungsdokument für diese Theorie.
Die genaue Formulierung der Theorie des symbolischen Interaktionismus basiert nach
Blumer auf drei einfachen Prämissen.
1. Prämisse:
Menschen behandeln Dinge und Andere aufgrund der Bedeutung, die diese
für sie haben.
2. Prämisse:
Diese Bedeutungen entstehen in der Interaktion.
3. Prämisse:
Sie werden in der Auseinandersetzung mit der Welt benutzt und geändert.
Man kann diese 3 Prämissen auch als die philosophischen Kernprämissen des
symbolischen Interaktionismus betrachten. Auf diesen Prämissen ruht das gesamte
Werk Blumers.
10 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 209 11 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 209
7
3.1. Die drei Kernprämissen
Diese Prämissen sind die Grundlage des symbolischen Interaktionismus nach Blumer.
„Die erste Prämisse besagt, dass Menschen ‚Dingen‘ gegenüber auf der Grundlage der
Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitzen. Unter ‚Dingen‘ wird hier alles
gefasst, was der Mensch in seiner Welt wahrzunehmen vermag – physische
Gegenstände, wie Bäume oder Stühle; andere Menschen, wie eine Mutter oder einen
Verkäufer; Kategorien von Menschen, wie Freunde oder Feinde; Institutionen, wie eine
Schule oder eine Regierung; Leitideale wie individuelle Unabhängigkeit oder
Ehrlichkeit; Handlungen anderer Personen, wie ihre Befehle oder Wünsche; und solche
Situationen, wie sie dem Individuum in seinem täglichen Leben begegnen.“12 Hier liegt
ein großer Unterschied zu üblichen Auffassungen soziologischer Theorien. Viele
Theorien nehmen Bedeutungen und im speziellen die Bedeutungen von Dingen als
gegeben hin. Sie gehen nicht näher auf diese ein. Hier bricht Blumer mit der üblichen
Konvention und stellt diesen Prozess der Bedeutung als Zentrum seiner Theorie hin.
Somit ergibt sich für Blumer eine Aufteilung in drei Bereiche, in denen sich Dinge
definieren und Bedeutungen für das einzelne Individuum haben. Der erste Bereich
wäre somit die physische Umwelt bzw. physikalische Objekte. Alle Dinge die wir
wahrhaftig greifen, fühlen und berühren können, zählen in diesen Bereich. Dann gibt
es für Blumer den Bereich der sozialen Umwelt bzw. der sozialen Objekte. Hierzu
zählen die Personen die uns umgeben, die Gesellschaft die sie bilden und anderen
personengebundenen Vorstellungen. Der letzte Bereich in der Definition von Dingen
umfasst die sogenannte abstrakte Umwelt bzw. abstrakte Objekte. Hierin sind alle
Objekte eingefasst, die Prinzipien, Ideologien und ähnliches darstellen.
„Die zweite Prämisse besagt, dass die Bedeutung solcher Dinge aus der sozialen
Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr
entsteht.“ 13 Hier wird nichts anderes beschrieben, als dass Bedeutungen soziale
Produkte von Interaktionen sind, die im ständigen Wechsel von Handeln und Definition
erschaffen werden.
12 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 81 13 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 81
8
Bedeutungen entstehen, weil wir sie im stetigen Wechsel und durch den andauernden
Einfluss von Interkation immer wieder erschaffen und neu definieren. Es ist eindeutig
festzuhalten, dass hier wieder die Bedeutung von Objekten, Dingen und Handlungen
im Mittelpunkt stehen.
„Die dritte Prämisse besagt, dass die Bedeutungen in einem interpretativen Prozess,
den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt,
gehandhabt und abgeändert werden.“14 In dieser Prämisse spiegelt sich wieder, dass
Bedeutungen durch den Handelnden in einem sogenannten Interpretationsprozess
gebraucht werden. Bei dieser Prämisse ist dann auch eindeutig die Vorarbeit Meads zu
dieser Thematik zu erkennen. Blumer erklärt den Prozess ähnlich wie es Mead vor ihm
mit der Symbolbildung getan hat „… der Handelnde zeigt sich selbst die Gegenstände
an, auf die er sein Handeln richtet. Er wählt also aus, ordnet und strukturiert die Dinge,
indem er ihnen eine bestimmte Bedeutung verleiht.“15 Zu den drei Prämissen kann
zusammenfassend gesagt werden, dass es die sogenannte Handlungsvoraussetzung
geben muss. Alle die miteinander interagieren sind an diese Voraussetzung gebunden.
Hier nun findet wieder ein Konsens zwischen Mead und Blumer statt. Betrachtet man
die drei Prämissen im Zusammenhang mit der These der Rollenübernahme nach Mead,
dann kann man folgende Aussage zum gesamten Sachverhalt aufstellen: „…: die innere
Kommunikation eines jeden Beteiligten an der Interaktion ist Reaktion auf die innere
Kommunikation jedes anderen Beteiligten. Das Ergebnis dieser wechselseitigen
Berücksichtigung der Bedeutung der Dinge, die die Handelnden sich anzeigen, ist eine
gemeinsame symbolische Definition der Situation“.16 Diese Betrachtung veranlasst
Blumer, die sogenannten Kernvorstellungen des symbolischen Interaktionismus zu
formulieren.
3.2. Die Kernvorstellungen des Symbolischen Interaktionismus
Herbert Blumer entwickelte die Kernvorstellungen als Grundlage und zur Erklärung der
drei Prämissen, welche er für den symbolischen Interaktionismus erstellt hat. 14 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 81 15 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 47 16 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 47
9
Die Kernvorstellungen geben Auskunft und Definition von sechs Sachverhalten. Die
erste Kernvorstellung beschäftigt sich mit der Beschaffenheit von Gesellschaft bzw. mit
der Beschaffenheit vom menschlichen Zusammenleben. Die zweite Kernvorstellung
gibt genauere Angaben zu der sozialen Interaktion und welche Bedingungen und
Voraussetzungen diese hat. Die dritte Kernvorstellung befasst sich ausschließlich mit
der Definition des Objekts bzw. des ‚Dinges‘, welches in der ersten Prämisse auftaucht.
Die vierte Kernvorstellung betrachtet den Menschen unter dem Aspekt des
handelnden Individuums. Die fünfte Kernvorstellung hat den Fokus auf die Handlung
selbst gelegt. Hier geht es hauptsächlich um die Beschaffenheit des menschlichen
Handelns. Die sechste und letzte Kernvorstellung befasst sich dann mit der
sogenannten Verkettung von Handlungen.
3.2.1. Beschaffenheit der menschlichen Gesellschaft
Die Aussage der ersten Kernvorstellung lautet ganz einfach: „…dass menschliche
Gruppen und Gesellschaften im Grunde nur in der Handlung bestehen.“17 Die
Aussagen, die in diesem einfachen Satz zu finden sind, kann man wie folgt formulieren.
Gruppen bestehen immer aus handelnden Personen. Die Handlungen, die diese
Personen ausführen, bestehen immer aus Aktivitäten von Individuen, die sich mit
ablaufenden Situationen auseinander setzen. Entweder können Personen allein oder
gemeinsam Handeln. Das Handeln wird immer zugunsten oder als Repräsentation von
Organisationen oder Gruppen anderer Individuen vollführt. Dies erfolgt immer unter
der Berücksichtigung der gegebenen Situation. Die formulierte These hierfür lautet
schlicht, dass Gesellschaften in einem fortlaufenden und andauernden Prozess der
wechselseitigen Abstimmung der Aktivitäten ihrer Mitglieder bestehen. Mit dieser
These wendet sich Blumer eindeutig gegen zwei vorherrschende Konzepte der
Auffassung von Gesellschaft. Das erste Konzept sieht Gesellschaft als Kultur an. Der
führende Vertreter hierfür war William Graham Sumner und seine funktionalistischen
Theorien der Kulturanthropologie. Das zweite Konzept stammt hauptsächlich von
Talcott Parsons und seiner strukturfunktionalistischen Theorie.
17 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 85
10
Gegen beide Richtungen machte Blumer dann die einfache Aussage: „Gleichgültig, ob
man Kultur als Konzept nun als Brauch, Tradition, Norm, Wert, Regel oder ähnliches
definiert, sie ist eindeutig abgeleitet von dem, was die Menschen tun. Ähnlich bezieht
sich soziale Struktur in jedem ihrer Aspekte, wie sie durch folgende Begriffe wie soziale
Position, Status, Rolle, Autorität und Ansehen wiedergegeben werden, auf
Beziehungen, die aus der Interaktion zwischen verschiedenen Personen abgeleitet
sind.“18 Diese Aussage bezieht sich nicht nur allein auf die zwei Konzepte der
Gesellschaft, sondern macht noch einen wichtigeren Faktor in Blumers Arbeit deutlich.
Blumer hat mit dieser Aussage auch gleichzeitig seine Auffassung von Normen, Regeln
und Gesetzen dargestellt. Blumers These zufolge, sind Normen, Regeln, Gesetze und
Ideologie nicht die Grenzen, die eine Gesellschaft definieren, sondern entstehen erst
aus der Interaktion und Kommunikation innerhalb dieser Gesellschaft. Damit steht er
natürlich im Gegenspruch zu den gängigen Annahmen, dass die Normen, Regeln,
Werte und Ideologie die Gesellschaft formen und schaffen.
3.2.2. Beschaffenheit der sozialer Interaktion
„Das Zusammenleben in Gruppen setzt notwendigerweise Interaktion zwischen den
Gruppenmitgliedern voraus; oder, anders ausgedrückt: eine Gesellschaft besteht aus
Individuen, die miteinander interagieren.“19 Nun diese Aussage über die zweite
Kernvorstellung mag recht einfach erscheinen, beinhaltet aber einen großen Teil der
Gesamtarbeit Blumers. Dieser Teil definiert nun genau die Interaktion und im
speziellen die soziale Interaktion. Eine genauere Beleuchtung dieser Aussage zeigt nun
folgenden Sachverhalte und somit Inhalte der zweiten Kernvorstellung auf.
Das Zusammenleben in Gruppen setzt Interaktion voraus. Die Aktivitäten von
Mitgliedern einer Gruppe erfolgt vorwiegen in Bezug aufeinander. Die soziale
Interaktion formt menschliches Verhalten und hat somit eine zentrale Bedeutung. Der
Einzelne muss seine Handlungsabsicht in gewisser Hinsicht mit den Handlungen
anderen in Einklang bringen.
18 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 86 19 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 86
11
Auf der Grundlage von Handlungen anderer kann das handelnde Individuum seine
Absichten fallen lassen, abändern, prüfen, aussetzen, verstärken oder durch andere
ersetzen.
Die soziale Interaktion wird in einem zweifachen Prozess vollführt:
1. Anderen anzeigen, wie sie handeln sollen.
2. Selbstinterpretation der Anzeigen, die von anderen gegeben wurden
Bei dieser Aufteilung des Prozesses beeinflusst nun wieder der Ansatz Meads die These
Blumers. Mead beschreibt in seiner Arbeit bzw. in seiner Auffassung, dass die
Teilnehmer einer Interaktion in der Lage seien müssen, die Rolle des Gegenübers
einzunehmen.
3.2.3. Beschaffenheit von Objekten
Die dritte Kernvorstellung befasst sich nun direkt mit dem Objekt oder wie Blumer es
in seiner ersten Prämisse formulierte mit dem ‚Ding‘. Beim symbolischen
Interaktionismus selbst gibt es keine eine Welt, sondern nur Welten, die Individuen
sich selbst und füreinander konstruieren. Diese Welten bestehen aus Objekten. „Zu
den Objekten ist alles zu zählen, was angezeigt werden kann, alles, auf das man
hinweisen oder auf das man sich beziehen kann ‐ …“20. „Die Bedeutung von Objekten
für eine Person entsteht im wesentlichen aus der Art und Weise, in der diese ihr
gegenüber von anderen Personen, mit denen sie interagiert, definiert worden sind“21.
Aus diesen beiden Aussagen Blumer lässt sich der Konsens entwickeln, dass Objekte
immer Produkte von symbolischer Interaktion sind. Außerdem nimmt, wie bereits
weiter oben unter den drei Prämissen erwähnt, Blumer eine Einteilung der
sogenannten Dinge bzw. Objekte vor. So erstellt er die Kategorie des physikalischen
Objekts, die Kategorie des sozialen Objekts und die Kategorie des abstrakten Objekts.
Die Schlussfolgerungen aus dieser Kernvorstellung kann man dann wie folgt
formulieren.
20 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 90 21 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 90
12
Will man das Handeln von Menschen verstehen, muss man ihre Welt von Objekten
bestimmen. Objekte müssen in Bezug auf ihre Bedeutung als soziale Schöpfungen
betrachtet werden.
Somit ist dann auch die Grundaussage für diese Kernaussage eindeutig. „Das
Menschliche Zusammenleben ist ein Prozess, in dem Objekte geschaffen, bestätigt,
umgeformt und verworfen werden.“22
3.2.4. Der Mensch als handelnder Organismus
Für diese Kernvorstellung nimmt Blumer nun direkten Bezug zu seinem Lehrer Mead.
Er verbindet hier dessen Arbeit mit seiner. Blumer definiert den Menschen als einen
Organismus, der nicht wie Tiere in einer festgelegten Reiz‐Reaktion‐Kette funktioniert:
„…sondern der anderen etwas anzeigt und deren Anzeigen interpretiert. Er kann dies,
wie Mead eindringlich gezeigt hat, nur aufgrund der Tatsache tun, daß er ein `Selbst`
besitzt.“23 Blumer geht in diesem Gedanken noch weiter und sagt: „…, daß ein Mensch
Gegenstand seiner eigenen Handlung sein kann“24. Hier fließt die Formulierung des
Selbst nach Mead vollständig in die Arbeit von Blumer mit ein. Grundlegend kann man
also zur vierten Kernvorstellung sagen, dass nach Blumer der Mensch einen Charakter
hat, der der symbolischen Interaktion nach Mead entspricht. Der Mensch ist in der
Lage, sowohl auf nicht‐symbolischer als auch auf symbolischer Ebene zu reagieren
bzw. zu interagieren. Dies kann er nur, weil er laut Mead‘ scher Auffassung ein ‚Selbst‘
hat. Das bedeutet, dass er Gegenstand seiner eigenen Handlungen sein kann und dass
er sich selbst zum Objekt bzw. Ding machen kann. Er handelt sich selbst und steuert
sein Handeln anderen gegenüber auf Grundlage dessen, wie er sich selbst sieht. Dabei
entwickelt sich das Selbst‐Objekt aufgrund von sozialer Interaktion. Diese Entwicklung
setzt voraus, dass die Person bzw. das handelnde Individuum in der Lage ist, sich von
außerhalb selbst zu betrachten. Die Grundidee hier ist die Fähigkeit zur
22 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 91 23 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 92 24 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 92
13
Rollenübernahme, wie Mead sie formulierte. Es können die verschiedensten Rollen
eingenommen werden. So kann die Person als bestimmtes Individuum handeln, als
organisierte Gruppe oder als abstrakte Gemeinschaft bzw. als generalisierter Andere.
Durch das Selbst ist der Mensch in der Lage mit sich selbst zu interagieren und er ist
fähig zum Prozess des Selbst‐Anzeigens.
Diese Aussagen führen zu dem Konsens von Mead und Blumer, dass der Mensch kein
einfacher reagierender Organismus ist, sondern als handelnder Organismus zu
betrachten ist, der seine Handlungslinien basierend auf der Grundlage dessen formt,
was er in Betracht zieht, anstatt nur eine Reaktion auf das Einwirken einiger Faktoren
auf seine Organisation freizusetzen.
3.2.5 Beschaffenheit des menschlichen Handelns
„Im wesentlichen besteht das Handeln einen Menschen darin, daß er verschiedene
Dinge, die er wahrnimmt, in Betrachtung zieht und auf der Grundlage der
Interpretation dieser Dinge eine Handlungslinie entwickelt. Die berücksichtigten Dinge
erstrecken sich auf solche Sachen wie seine Wünsche und Bedürfnisse, seine Ziele, die
verfügbaren Mittel zu ihrer Erreichung, die Handlungen und die antizipierten
Handlungen anderer, sein Selbstbild und das wahrscheinliche Ergebnis einer
bestimmten Handlungslinie.“25 Hier nun verfolgt Blumer eine Vertiefung der Thematik
des Prozesses der Selbst‐Anzeige und der Schaffung von Welten durch Objekte und die
Bedeutung der Objekte in diesen geschaffenen Welten.
Der Mensch steht einer Welt gegenüber, die er interpretiert. Er muss sein Handeln
aufbauen und steuern, anstatt sie nur in Reaktionen auf Faktoren, die auf ihn
einwirken, freizusetzen. Das Wesen des Handelns beruht also auf der Wahrnehmung
und Interpretation von Dingen aus der Umwelt des Menschen. Dabei wird sein
Verhalten durch den Prozess des Anzeigens und Interpretierens geformt und
gesteuert. Die Charakteristika menschlichen Handelns kann man wie folgt beschreiben:
Menschen begegnen einem ständigen Fluss von Situationen, das Handeln des
Menschen ist auf der Grundlage ihrer Wahrnehmung aufgebaut, die Einschätzung und
25 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 95
14
Interpretation des Wahrgenommenen führt zu Handlungslinien und der
Handlungsprozess muss erschlossen werden, um das Handeln zu verstehen.
Ein besonderer Aspekt in der fünften Kernvorstellung ist die Verbindung von Objekten
bzw. Dingen mit Umwelt und Welt. „Nur unter der Bedeutung, die die Individuen den
Objekten beimessen, werden diese Teil ihrer Umwelt. Dadurch wird eine abstrakte
Welt zu einer konkreten Welt, von der aus allein das Handeln des Menschen zu
verstehen ist.“26 Der Mensch ist also nicht einer Umwelt ausgesetzt und reagiert und
agiert in ihr, wie sie es ihm auferlegt, nein die Welt wird durch seine Interpretation
erschaffen und geformt. Das Handeln des einzelnen Individuums schafft die Welt
dieses Individuums. „Interaktion ist Interpretation.“27 Um das Individuum zu
verstehen, muss man also seine Welt kennen. Die Erschaffung von Welten gilt nicht
nur für den einzelnen Menschen, sie gilt auch für Kollektive und Gemeinschaften. So
kann man zum Beispiel sagen, dass das Kollektiv einer Fußballmannschaft sich als mit
seinen speziellen Begriffen, Zielen und Handlungen eine eigene Welt erschaffen hat.
Die Schlussfolgerung aus der Beziehung Objekt, Handelnder und Welt ergibt sich nun
fasst von selbst. Die Welt in der wir leben, ist eine Schnittmenge von Individualwelten
und somit nicht nur eine Welt sondern mehrere Welten.
3.2.6 Verkettung von Handlungen
Diese Kernvorstellung erscheint nun mehr als eine Art „Verkettung“ von allen
vorrangegangenen Kernvorstellungen und zielt im speziellen auf das gemeinsame
Handeln in einer Gesellschaft ab. „Der überwiegende Teil sozialen Handelns in einer
menschlichen Gesellschaft, besteht in der Form sich wiederholender Muster gemeinsamen Handelns. In
den meisten Situationen, in denen Menschen in bezug aufeinander handeln, haben sie im voraus ein
festes Verständnis, wie sie selbst handeln wollen und wie andere handeln werden. Sie haben
gemeinsame und vorgefertigte Deutungen dessen, was von der Handlung des Teilnehmers erwartet
wird, und dementsprechend ist jeder Teilnehmer in der Lage, sein eigenes Verhalten durch solche
Deutungen zu steuern.“28
26 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 52 27 Ables, Hans: Interaktion, Identität, Präsentation. In: Studientexte zur Soziologie. Band 1. Opladen/ Wiesbaden 1998. S. 53 28 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 97f
15
Gemeinsames Handeln entsteht also durch gegenseitiges Aufeinander‐Abstimmen der
Handlungslinien der Beteiligten. Man darf dabei das gemeinsame Handeln auf gar
keinen Fall als eine Summe von Teilhandlungen betrachten. Vielmehr muss man sagen,
dass gemeinsames Handeln immer einen spezifischen Charakter hat und dass
gemeinsames Handeln immer einen Entwicklungsprozess durchläuft. Dieser Prozess ist
dadurch gekennzeichnet, dass eine Verdopplung des Benennens und der
Interpretation erfolgt. Außerdem müssen die Teilnehmer des gemeinsamen Handelns
ihre jeweiligen Handlungen auch hier steuern, indem sie die Bedeutungen ausbilden
und benutzen. Kurz gesagt, sie müssen innerhalb des gemeinsamen Handelns
interpretieren und interagieren. Ein bedeutendes Charakteristikum für die Verkettung
von Handlungen bzw. für das gemeinsame Handeln ist, dass in Fällen des
gemeinsamen Handelns man immer sagen kann, dass dieses wiederkehrend und stabil
ist. Man kann von einem wiederkehrenden Muster des gemeinsamen Handelns
sprechen und der Tatsache, dass gemeinsames Handel eine natürliche und wesentliche
Form des menschlichen Zusammenlebens darstellt. Jedoch ist zu beachten, dass die
volle Breite der menschlichen Gesellschaft nicht nur Ausdruck der vorgefertigten
Formen gemeinsamen Handelns ist. Vielmehr gilt „Es ist der soziale Prozess des
Zusammenlebens, der die Regeln schafft und aufrechterhält, und es sind nicht die
Regeln, die das Zusammenleben schaffen und erhalten.“29
Ein weiteres Charakteristikum ist die Tatsache, dass eine mannigfaltig
zusammengesetzte Gruppe von Teilnehmern, die in einem Netzwerk verschiedene
Positionen innehaben, ihr Handeln auf der Grundlage der Benutzung gegebener Sets
von Bedeutungen eingeht. Somit ist klar, dass Netzwerke und Institutionen nicht
aufgrund innerer Dynamik funktionieren. Sie funktionieren, weil Personen auf
verschiedenen Positionen handeln. Das Funktionieren und die Entwicklung von
Institutionen werden durch den Interpretationsprozess bestimmt.
Als letzter anzumerkender Punkt für die Verkettung von Handlungen und dessen
Eigenheiten, bleibt der Punkt, dass jeder Fall gemeinsamen Handelns aus dem
Hintergrund früherer Handlungen hervorgeht. Menschen die eine neue gemeinsame
Handlung bilden wollen, greifen immer auf schon bestehende Sets von Bedeutungen
29 Blumer, Herbert: Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1973. S. 99
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und Interpretationsentwürfen zurück. Nur radikal unterschiedliche und belastende
Situationen führen zur Neubildung von Handlungsformen.
4. Die Bedeutung von Meads und Blumers Thesen für die
Kommunikationswissenschaft – Ein Fazit
Die vorangegangenen Teile dieser Arbeit beschäftigten sich nun mit Blumers
Entwicklung des symbolischen Interaktionismus und den Einfluss Meads auf diese
Ausarbeitung. Das die Grundidee Meads maßgeblich die Arbeit und Überlegungen
Blumers beeinflusst, ja sogar unterstützt hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Mead
legte den Grundstein für einen wichtigen Aspekt der heutigen Kommunikation, indem
er die symbolische Interaktion beschrieb. Er schuf ebenfalls eine hervorragende Basis,
durch seine Definition von Zeichen, Geste und Symbol, welche in der heutigen
Kommunikationswissenschaft immer noch breiten Anklang finden und eine
Grundvoraussetzung für das Verständnis von Kommunikation darstellt. Doch muss
erwähnt werden, dass Mead genauso wenig wie Blumer versucht hat die eigentliche
Kommunikation, ihre Ursprünge und Funktion zu beschreiben.
Bei Mead ist die symbolische Interaktion ein kleiner Teil seiner These des
Sozialbehaviorismus. Er sieht die Kommunikation als spezialisierte Form der
Interaktion an und verweist in diesem Fall natürlich darauf, dass ohne die Interaktion
und somit ohne Kommunikation keine Gesellschaft bzw. Gemeinschaft existieren
kann. „Fundamental ist zweitens, dass aller Kommunikation ein
Kooperationsmechanismus zu Grunde liegt.“30 Die Definition die Mead hier gibt,
basiert auf seiner soziologischen Ansicht. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen,
dass sowohl die symbolische Interaktion und die Verfeinerung der selbigen, der
symbolischen Interaktionismus grundlegende Thesen und Aussagen liefern, die
Kommunikation beschreiben und darstellen, einerseits die Ausarbeitung der
Interaktion und ihre Spezialisierung als Kommunikation und andererseits die
Einbettung des Symbols, dessen Bedeutung und Zuweisung und tragende Rolle in der
Interaktion bzw. Kommunikation. Beide Arbeiten und Thesen sowohl die von Mead als
auch die von Blumer sind wegweisend für das Verständnis von Kommunikation.
30 Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas: Grundkurs Kommunikationswissenschaft. München 2001. S. 211
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Literaturverzeichnis
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gesellschaftliche Wirk‐lichkeit, Band 1. Reinbek: Rowohlt
Burkart, Roland (April 2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und
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