Was sagt Behavioral Economics zuMigrationsfragen?
Alice Antunes und Rafael Lalive
Universität Lausanne
April 2016
Ausgangslage
• Viele Staaten regeln Ein- und Auswanderung
• Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?
• Behavioral Economics: beurteilen wir denselben Sachverhalt unterschiedlich?
Wie werden Regeln gemacht?Traditionelle Sicht
• Information
– z.B. Massenimmigrationsinitiative:
• Kosten und Nutzen der Einwanderung aus dem EU Raum; SECO zu Arbeitsmarkt (Favre et al. 2014), Wohnungsmarkt, …
• Entscheidung
– Individuell: Abwägen der Vor- und Nachteile
– Gesellschaft: Abstimmung an der Urne, Medianwählerin entscheidet
Wie werden Regeln gemacht?Behavioral Economics
• Identität– Ich fühle mich wohl, wenn die Welt meiner Identität entspricht
(Akerlof und Kranton, 2000)
– Bin ich ein Weltbürger oder doch eher lokal verwurzelt?
• Vertrauen– Zentraler Bestandteil des Sozialkapitals
– Wie stark vertrauen sie anderen Nationalitäten?
• Kultur– Menschen sind in Gruppen organisiert; klare Grenzen (Cacault, Goette,
Lalive, Thoenig, 2015)
– Gruppen entwickeln eigene Präferenzen oder soziale Normen über den Prozess der kulturellen Evolution
Ein Test dieser Idee
• (Mutter-)Sprache ist ein wichtiges Merkmal der Gruppenzugehörigkeit
• In der Schweiz leben verschiedene Sprachgruppen
• Wie stimmen Nachbarn auf beiden Seiten der Sprachgrenze zu Migrationsfragen ab?– Masseneinwanderungsinitiative, 2014– Ausschaffungsinitiative, 2010
Deutschschweizer
Wie gut ist der Test?
• Nationale Abstimmungen– Identischer Inhalt
– Vergleichbare Auswirkung
• Sprachgrenze ist– Keine Kantonsgrenze
• Gleiche Gesetze und Schulsysteme
• Vergleichbar: Ausländeranteil, Kriminalitätsrate, Asylzentren
– Keine ökonomische Grenze• Beide Sprachen werden gesprochen
• Vergleichbare Arbeitsnachfrage (Eugster et al. 2015)
Beispiel 1:Masseneinwanderungsinitiative
Worum geht es?
• Art. 121a– “Die Schweiz steuert die Zuwanderung von
Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.“– Kontingente– Vorrang für Schweizerinnen und Schweizer
• Regelung der Zuwanderung
• Abstimmung am 9.2.2014– Stimmbeteiligung: 56 %– Angenommen mit 50.3 % JA
Figure 1: Map of Swiss municipalities shaded according to vote in favor or against initiative to curb mass immigration (Feb 9, 2014)
Figure 2: Percent in favor of initiative to curb immigration depending on distance to language border. Left of zero = French part, right of zero = German speaking part.
Beispiel 2:Ausschaffungsinitiative
Worum geht es?
• Art. 121 Abs. 3-6: – Verlust des Aufenthaltsrechts wenn verurteilt wegen
schwerer Delikte sowie Sozialbmissbrauch
• Regelung über Landesverweis
• Abstimmung am 28.11.2010– Stimmbeteiligung: 53%
– Angenommen mit 52% JA
Figure 3: Map of Swiss municipalities shaded according to vote in favor or against the initiative to evict criminal immigrants
Figure 4: Percent in favor of initiative to evict criminal immigrants depending on distance to language border. Left of zero = French part, right of zero = German speaking part.
Wo stehen wir?
• Röstischwelle
– Zustimmung zu restriktiver Einwanderungspolitik steigt, sobald wir die Sprachgrenze überschreiten
– Kaum erklärbar mit Ausländeranteil und Kriminalität
• Wie steht es denn mit
– Identität?
– Vertrauen?
– Einschätzung ethnischer Diversität?
“Ich sehe mich als Weltbürger”Zustimmung (%)
65%
70%
75%
80%
85%
90%
Deutsch Französisch Italienisch
Anmerkung: Auswertung nach Sprachregion.Quelle: World Values Survey, 2007
“Wie stark trauen sie Ausländern?”Vollständig oder teilweise (%)
Anmerkung: Auswertung nach Sprachregion.Quelle: World Values Survey, 2007
64%
66%
68%
70%
72%
74%
76%
Deutsch Französisch Italienisch
“Ethnische Vielfalt bereichert mein Leben”Starke Zustimmung (%)
Anmerkung: Auswertung nach Sprachregion. Alternative “ethnische Vielfalt erodiert die Einheit eines Landes. Quelle: World Values Survey, 2007
30%
35%
40%
45%
50%
55%
Deutsch Französisch Italienisch
Zusammenfassung
• Abstimmungen bestimmen das Leben vieler Menschen in der Schweiz
• Entscheide zu Migrationsfragen haben eine kulturelle Komponente
• Sprachgruppen unterscheiden sich bezüglich Identität, Vertrauen, und Wertschätzung ethnischer Vielfalt
• Sprachgrenze wird zur Entscheidungsgrenze
Vielen Dank
Referenzen
• Sprache und Kultur– The Demand for Social Insurance: Does Culture Matter?, The
Economic Journal, 2011 (with Beatrix Eugster, Andreas Steinhauer, and Josef Zweimüller)
– Culture and Unemployment, with Beatrix Eugster, Andreas Steinhauer, and Josef Zweimüller
• Gruppenprozesse– Do We Harm Even if We Don't Need To? Frontiers in psychology,
2015 (with Maria Paula Cacault, Lorenz Goette and Mathias Thoenig).
– Know Thy Neighbor: Costly Information Can Hurt Cooperation in Dynamic Networks, PLOSone, 2014 (with Alberto Antonioni, Maria Paula Cacault and Marco Tomassini).
• (Links führen zu den Artikeln)