Vertretung der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino
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Foto des Titelblatts: Cédric Puisney, « L'habit fait le magistrat « , CC BY-NC-ND 2.0
CURIA-News Jahrbuch 2016
Seit September 2011, wird basierend auf dem gemeinsam durchgeführten Monitoring der
europäischen Gesetzgebung und des Rechtsetzungsprozesses, der Newsletter „Curia
News“ erstellt. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Projekt der Vertretung der
Europaregion Tirol - Südtirol - Trentino in Brüssel.
Gemeinsames Ziel ist es, die Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts zu
verfolgen, um eine periodische Sensibilisierung für das Recht der Europäischen Union zu
bewirken.
Dieses Jahrbuch ist neben dem periodischen Newsletter ein weiteres Instrument, um über
die Judikatur von 2016 zu informieren und als Nachschlagewerk die Erkenntnisse in den
bedeutendsten Sachbereichen aufzuzeigen.
Innsbruck, Bozen, Trient und Brüssel, Jänner 2017
Fritz Staudigl
Klaus Luther
Fabio Scalet
i
INHALTSVERZEICHNIS
DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF (EuGH) ......................................................... 1
URTEILE 2016 .................................................................................................... 3
Freier Warenverkehr .......................................................................................... 3
Die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen das
Unionsrecht ........................................................................................................................ 3
Freizügigkeit und Freizügigkeit der Arbeitnehmer ............................................. 5
Die mit der Androhung der Nichtigkeit verbundene Verpflichtung, grenzüberschreitende
Rechnungen in einer bestimmten Sprache zu erstellen, verstößt gegen das Unionsrecht .............. 5
Luxemburg hat dadurch gegen Unionsrecht verstoßen, dass es die Gewährung einer
Studienbeihilfe für Kinder von Grenzgängern an die Bedingung geknüpft hatte, dass der
Grenzgänger zur Zeit des Beihilfeantrags mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in
Luxemburg gearbeitet hat .................................................................................................... 6
Im Bereich grenzüberschreitender sozialer Vergünstigungen kann ein Kind in einer neu
zusammengesetzten Familie als Kind des Stiefelternteils angesehen werden. In diesem Bereich
wird das Kindsverhältnis nicht im rechtlichen Sinne, sondern im wirtschaftlichen Sinne definiert,
womit das Kind eines Stiefelternteils, der berufstätiger Grenzgänger ist, Anspruch auf eine soziale
Vergünstigung hat, wenn dieser Stiefelternteil tatsächlich zu seinem Unterhalt beiträgt ............... 8
Rechtsvorschriften über Ansprüche auf Altersruhegeld, die Wanderarbeitnehmer gegenüber
Arbeitnehmern, die den Staat nicht verlassen, benachteiligen, verstoßen gegen das Unionsrecht 10
Beendet ein Arbeitnehmer von sich aus sein Arbeitsverhältnis, hat er Anspruch auf eine finanzielle
Vergütung, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise nicht verbrauchen konnte
...................................................................................................................................... 11
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ............................................................... 12
Die neue Richtlinie der Europäischen Union über Tabakerzeugnisse ist gültig ............................ 12
Landwirtschaft und Fischerei ........................................................................... 14
Ein Gesetz zur Einführung eines Mindestverkaufspreises pro Alkoholeinheit verstößt gegen das
Unionsrecht, sofern weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen erlassen werden können ... 14
Der Gerichtshof bestätigt, dass die Kennzeichnung von Zitrusfrüchten mit der Angabe von
Konservierungsmitteln und anderen bei der Behandlung nach der Ernte verwendeten chemischen
Stoffen verbindlich ist ........................................................................................................ 16
Die Kommission kann die Mitgliedstaaten verpflichten, alle Pflanzen, die von der Bakterie Xylella
fastidiosa befallen sein können, auch ohne Befallssymptome zu entfernen, wenn sie sich in der
Nähe von Pflanzen befinden, die bereits von dieser Bakterie befallen sind ................................ 18
Nichtdiskriminierung ........................................................................................ 20
ii
Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, alle Unionsbürger, die sich in seinem Hoheitsgebiet
aufhalten, in gleichem Maß vor Auslieferung zu schützen wie seine eigenen Staatsangehörigen .. 20
Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr ................................ 22
Die Niederlassungsfreiheit steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Genehmigung für die
Ausübung eines Gewerbes auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt, wenn diese
Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes der öffentlichen
Gesundheit verfolgt ........................................................................................................... 22
Nach dem Unionsrecht dürfen Konzessionen, die für die Ausübung von Touristik- und
Freizeittätigkeiten in im öffentlichen Eigentum stehenden Gebieten erteilt worden sind, nicht
automatisch verlängert werden, wenn kein Verfahren zur Auswahl der Bewerber stattgefunden hat
...................................................................................................................................... 24
Ein Geschäftsinhaber, der der Öffentlichkeit kostenlos ein WiFi-Netz zur Verfügung stellt, ist für
Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht verantwortlich ................................................ 26
Das Verleihen elektronischer Bücher (E-Books) kann unter bestimmten Voraussetzungen dem
Verleihen herkömmlicher Bücher gleichgestellt werden .......................................................... 27
Die Dienstleistungsrichtlinie steht dem Erfordernis entgegen, bei Stellung eines
Genehmigungsantrags die mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden
Genehmigungsregelung verbundenen Kosten zu zahlen ......................................................... 28
Öffentliche Aufträge ......................................................................................... 29
Ein offenes System von Vereinbarungen, das von einer öffentlichen Behörde für den Einkauf von
Gütern verwendet wird, entspricht nicht einem Auftrag im Sinne des Rechts der Europäischen
Union .............................................................................................................................. 29
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ............................................ 30
Das Unionsrecht gestattet die Inhaftierung eines Asylwerbers, wenn dies aus Gründen der
öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist ....................................... 30
Ein Tatverdächtiger kann in einem Schengen-Staat erneut strafrechtlich verfolgt werden, wenn die
frühere Strafverfolgung in einem anderen Schengen-Staat ohne eingehende Ermittlungen
eingestellt worden ist ........................................................................................................ 32
Der Gerichtshof bekräftigt, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten während der ersten
drei Monate ihres Aufenthalts bestimmte Sozialleistungen versagt werden dürfen ..................... 33
Die Dublin-III-Verordnung gestattet den Mitgliedstaaten, eine Person, die um internationalen
Schutz ansucht, in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen, unabhängig davon, ob es
sich um den für die Bearbeitung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat oder einen anderen
Mitgliedstaat handelt ......................................................................................................... 34
Der Gerichtshof äußert sich zum Verhältnis zwischen der Freizügigkeit von Personen, denen
internationaler Schutz gewährt wurde, und den Maßnahmen, die darauf abzielen, die Integration
dieser Personen zu erleichtern ............................................................................................ 36
iii
Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf Familienzusammenführung ablehnen, wenn sich aus
einer Prognose ergibt, dass der Zusammenführende während des Jahres nach der Antragstellung
nicht über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügen wird ................................. 37
Rechtsangleichung ........................................................................................... 39
Ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht muss, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union
bereits eine eindeutige Antwort auf eine Frage gegeben hat, selbst alles Erforderliche tun, damit
diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird ................................................................ 39
Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften des
Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, findet auf Insolvenzverfahren
Anwendung ...................................................................................................................... 40
Das Unionsrecht schützt den europäischen Markt vor kosmetischen Mitteln, deren Bestandteile in
Tierversuchen bestimmt worden sind ................................................................................... 41
Der Betreiber einer Website kann ein berechtigtes Interesse daran haben, bestimmte
personenbezogene Daten der Nutzer zu speichern, um sich gegen Cyberattacken zu verteidigen 42
Soziale Sicherheit ............................................................................................. 44
Das Vereinigte Königreich kann verlangen, dass Bezieher von Kindergeld und der Steuergutschrift
für Kinder ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben ......................................... 44
Sozialpolitik ..................................................................................................... 45
Der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Verträge zur Deckung eines dauerhaften Bedarfs
im Bereich der Gesundheitsdienste verstößt gegen Unionsrecht .............................................. 45
Staatliche Beihilfen .......................................................................................... 46
Das Gericht bestätigt, dass eine Garantie, die ein Mitgliedstaat einer Bank im Rahmen ihrer Umstrukturierung
gewährt hat, eine staatliche Beihilfe darstellt, die jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar ist ........................ 46
Das Gericht bestätigt die Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung der von
Frankreich, Irland und Italien für die Tonerdegewinnung gewährten Steuerbefreiungen angeordnet
wurde .............................................................................................................................. 47
Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, die implizite unbeschränkte Bürgschaft des
französischen Staates zugunsten des Institut Français du Pétrole als staatliche Beihilfe einzustufen,
für nichtig ........................................................................................................................ 49
Das deutsche Gesetz von 2012 über erneuerbare Energien (EEG 2012) umfasste staatliche
Beihilfen .......................................................................................................................... 50
Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden staatlichen Beihilfe ist als Umgestaltung
dieser Beihilfe und damit als neue Beihilfe anzusehen ............................................................ 51
Steuerrecht ...................................................................................................... 53
Flugscheine, die nicht benutzt wurden und für die keine Erstattung erfolgt, sind
mehrwertsteuerpflichtig ..................................................................................................... 53
iv
Umwelt und Verbraucher ................................................................................. 54
Das Gericht der EU bestätigt die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, mit dem die Kommission einen
Antrag auf Überprüfung der Zulassung des Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die genetisch
veränderte Sojabohnen enthalten, als unbegründet abgelehnt hat .......................................... 54
Unionsbürgerschaft .......................................................................................... 55
Das Gericht bestätigt, dass die geplante europäische Bürgerinitiative zur Förderung der
Entwicklung der von nationalen Minderheiten bevölkerten geografischen Gebiete nicht registriert
werden kann .................................................................................................................... 55
Verkehr ............................................................................................................ 56
Die nationalen Behörden üben eine allgemeine Aufsicht zur Gewährleistung der Fluggastrechte aus,
sind jedoch nicht verpflichtet, aufgrund individueller Beschwerden tätig zu werden ................... 56
Wettbewerb ..................................................................................................... 57
Der Lizenznehmer eines Patents muss die vereinbarte Gebühr auch dann zahlen, wenn er die
patentierte Technologie nicht verletzt .................................................................................. 57
1
DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF (EuGH)
Der EuGH ist das oberste Rechtsprechungsorgan der EU. Er gewährleistet, dass das EU-Recht in
allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt und angewendet wird und hat mit seinen Urteilen die
europäische Integration in vielen Bereichen vorangetrieben.
Aufgaben und Zuständigkeit
Die Regeln über die Errichtung und Tätigkeit des Gerichtshofs sind im Vertrag von Lissabon
enthalten. Das Verfahren wird hingegen in den Verträgen, dem Protokoll über die Satzung des
Gerichtshofs, der Verfahrensordnung und der zusätzlichen Verfahrensordnung des EuGH geregelt.
Der Gerichtshof kann in Rechtsstreitigkeiten zwischen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und den
EU-Organen entscheiden; aber auch Privatpersonen, Unternehmen oder Organisationen können
sich mit einer Rechtssache an den Gerichtshof wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass ein
Organ der EU ihre Rechte verletzt hat.
Der Gerichtshof der Europäischen Union befasst sich vorwiegend mit:
1) Vorabentscheidungsersuchen, bei denen ein nationales Gericht, das Zweifel hinsichtlich
der Auslegung oder Gültigkeit einer Rechtsvorschrift der EU hat, den Gerichtshof zu Rate
zieht.
2) Vertragsverletzungsklagen, die von der Europäischen Kommission oder einem EU-
Mitgliedstaat eingeleitet werden, wenn ein (anderer) EU-Mitgliedstaat seinen
Verpflichtungen gemäß EU-Recht nicht nachkommt.
3) Nichtigkeitsklagen, die ein EU-Mitgliedstaat, der Rat, die Kommission oder auch das
Europäische Parlament gegen Rechtsvorschriften der EU beantragen können, wenn sie der
Ansicht sind, das diese rechtswidrig sind. Auch Privatpersonen haben die Möglichkeit die
Aufhebung eines bestimmten Rechtsakts zu fordern, wenn sie davon unmittelbar
beeinträchtigt werden. Für Nichtigkeitsklagen von Einzelpersonen, ist im ersten Rechtszug
das Europäische Gericht zuständig.
4) Untätigkeitsklagen, die zur Überprüfung der Untätigkeit eines Organs, einer Einrichtung
oder einer sonstigen Stelle der EU eingereicht werden können. Die Zuständigkeit für
Untätigkeitsklagen ist zwischen dem Gerichtshof und dem Gericht nach denselben Kriterien
aufgeteilt wie bei Nichtigkeitsklagen.
5) Rechtsmittel, die gegen Urteile und Beschlüsse des Gerichts eingelegt werden können.
Zusammensetzung
Der EuGH verfügt über 28 Richter (einen pro EU-Mitgliedstaat) sowie elf Generalanwälte. Diese
haben die Aufgabe, öffentlich und in voller Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu den Rechtsachen
Stellung zu beziehen, mit denen sich der Gerichtshof befasst. Die Regierungen der EU-
2
Mitgliedstaaten ernennen sowohl die Richter als auch die Generalanwälte im gegenseitigen
Einvernehmen. Eine Amtsperiode dauert jeweils sechs Jahre und ist verlängerbar.
Verfahrenssprache
Um zu gewährleisten, dass jeder EU-Bürger Rechtshandlungen in seiner Sprache vornehmen kann,
kann der Kläger jede der 24 Amtssprachen der EU als Verfahrenssprache wählen. Bei
Vorabentscheidungsverfahren ist die Sprache des Mitgliedstaats des anfragenden Gerichts
Verfahrenssprache. Bei Verhandlungen gibt es je nach Bedarf Übersetzungen in die verschiedenen
Amtssprachen der EU. Die Richter beraten in einer gemeinsamen Sprache, traditionell dem
Französischen. Auch die Verfahrensdokumente werden zudem ins Französische übersetzt, das nach
wie vor die interne Amtssprache des EuGH ist.
Verfahrensspesen
Das Verfahren vor dem EuGH ist spesenfrei. Die Anwaltsspesen müssen hingegen von den
Prozessparteien selbst getragen werden. Falls eine Partei außerstande ist, die Spesen für das
Verfahren ganz oder teilweise zu bestreiten, kann sie Prozesshilfe in Anspruch nehmen.
Das Europäische Gericht (EuG) und das Gericht für den öffentlichen Dienst der
Europäischen Union
Das Gericht der Europäischen Union und das Gericht für den öffentlichen Dienst der EU bilden
gemeinsam mit dem EuGH das Gerichtssystem der EU.
Das Europäische Gericht (früher „Gerichtshof erster Instanz“) wurde 1988 – als Teil des Organs
„Gerichtshof“ – zur Entlastung des EuGH geschaffen. Jeder Mitgliedstaat stellt mindestens einen
Richter. Fälle, die keine besondere Komplexität aufweisen, können von einem Einzelrichter
entschieden werden. Das EuG entscheidet in Rechtsachen, die von Privatpersonen, Unternehmen
und bestimmten Organisationen vorgelegt wurden und Rechtsachen im Bereich des
Wettbewerbsrechts.
Für besondere Sachgebiete haben das Europäische Parlament und der Rat auch die Möglichkeit
Fachgerichte einzurichten.
Das 2005 geschaffene Gericht für den öffentlichen Dienst ist hingegen für Rechtsstreitigkeiten
zwischen der EU und ihren Bediensteten zuständig.
3
URTEILE 2016
Freier Warenverkehr
Die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen das
Unionsrecht
(Urteil in der Rechtssache C-148/15 Deutsche Parkinson Vereinigung e.V./Zentrale zur Bekämpfung
unlauteren Wettbewerbs)
Eine deutsche Selbsthilfeorganisation, die die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und
deren Familien verbessern möchte, hat mit einer niederländischen Versandapotheke ein
Bonussystem ausgehandelt, das ihre Mitglieder in Anspruch nehmen können, wenn sie bei dieser
Apotheke verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente
kaufen.
Ein deutscher Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vertrat die Auffassung, dass
dieses Bonussystem gegen die deutsche Regelung verstößt, die einen einheitlichen
Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel vorsieht. Auf Antrag dieses
Vereins untersagte das Landgericht Düsseldorf der Selbsthilfeorganisation, das Bonussystem bei
ihren Mitgliedern zu bewerben. Diese wandte sich daraufhin an das Oberlandesgericht
Düsseldorf, das seinerseits den Gerichtshof mit der Frage befasst hat, ob die Festlegung
einheitlicher Apothekenabgabenpreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mit dem
freien Warenverkehr vereinbar ist.
Mit seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 antwortete der Gerichtshof, dass die betreffende
Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt.
Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise wirkt sich nämlich auf in anderen Mitgliedstaaten
ansässige Apotheken stärker aus, so dass der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus
anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse. Hierzu
führte der Gerichtshof aus, dass der Versandhandel für ausländische Apotheken ein wichtigeres
bzw. eventuell sogar das einzige Mittel darstellt, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen
Markt zu erhalten. Zweitens kann der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer
Wettbewerbsfaktor für traditionelle Apotheken sein, die besser in der Lage sind, Patienten durch
Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln
sicherzustellen.
Grundsätzlich kann zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der
Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden, doch ist die betreffende Regelung zur
Erreichung dieser Ziele nicht geeignet.
Es konnte insbesondere nicht nachgewiesen werden, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher
Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland
sichergestellt werden kann.
Zudem liegen keine Belege dafür vor, dass sich die Versandapotheken ohne die betreffende
Regelung einen Preiswettbewerb liefern könnten, so dass wichtige Leistungen wie die
4
Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären, weil sich die Zahl der
Präsenzapotheken in Folge verringern würde. Andere Wettbewerbsfaktoren, wie die individuelle
Beratung der Patienten durch Personal vor Ort könnten den traditionellen Apotheken nämlich
eventuell dabei helfen, konkurrenzfähig zu bleiben.
Link zum vollständigen Urteil
5
Freizügigkeit und Freizügigkeit der Arbeitnehmer
Die mit der Androhung der Nichtigkeit verbundene Verpflichtung, grenzüberschreitende
Rechnungen in einer bestimmten Sprache zu erstellen, verstößt gegen das
Unionsrecht
(Urteil in der Rechtssache C-15/15 New Valmar BVBA/Global Pharmacies Partner Health Srl)
Diese Rechtssache betrifft einen Rechtsstreit zwischen einer Gesellschaft mit Sitz im
niederländischen Sprachgebiet Belgiens und einer in Italien ansässigen Gesellschaft wegen
unbezahlter Rechnungen. Die italienische Gesellschaft hat die Nichtigkeit dieser Rechnungen mit
der Begründung geltend gemacht, dass diese gegen Sprachvorschriften verstießen, die ihrer
Ansicht nach zwingendes belgisches Recht darstellen. Nach einer flämischen Regelung müssen
nämlich Unternehmen mit Sitz in dem genannten Sprachgebiet die niederländische Sprache
verwenden, wenn sie u.a. gesetzlich vorgeschriebene Urkunden und Papiere abfassen. Alle
Standardangaben und die allgemeinen Geschäftsbedingungen auf den genannten Rechnungen
waren aber nicht in niederländischer, sondern in italienischer Sprache abgefasst. Im Laufe des
Verfahrens übermittelte die flämische der italienischen Gesellschaft eine niederländische
Übersetzung der Rechnungen. Das mit dieser Sache befasste belgische Gericht wies darauf hin,
dass die streitigen Rechnungen gleichwohl nach wie vor nichtig seien.
Die flämische Gesellschaft machte geltend, dass die Sprachenregelung gegen das Unionsrecht,
insbesondere gegen die Vorschriften über den freien Warenverkehr verstoße. Vor diesem
Hintergrund hat die Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent) dem Gerichtshof
eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
In seinem Urteil vom 21. Juni 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass die fragliche
Sprachenregelung tatsächlich eine Beschränkung des freien Warenverkehrs in der Europäischen
Union darstellt.
Indem eine Regelung den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit vorenthält, eine
Sprache, die sie alle beherrschen, für die Abfassung ihrer Rechnungen frei zu wählen, und indem
sie ihnen eine Sprache vorschreibt, die nicht zwingend derjenigen entspricht, deren Verwendung
sie für ihre vertraglichen Beziehungen vereinbart haben, kann eine solche Regelung die Gefahr
des Bestreitens und der Nichtzahlung der Rechnungen erhöhen.
Der Gerichtshof stellte außerdem fest, dass die fragliche Regelung über das hinausgeht, was zur
Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele erforderlich ist, und daher nicht als verhältnismäßig
angesehen werden kann.
Link zum vollständigen Urteil
6
Luxemburg hat dadurch gegen Unionsrecht verstoßen, dass es die Gewährung einer
Studienbeihilfe für Kinder von Grenzgängern an die Bedingung geknüpft hatte, dass der
Grenzgänger zur Zeit des Beihilfeantrags mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in
Luxemburg gearbeitet hat
(Urteil in der Rechtssache C-238/15 Maria do Céu Bragança Linares Verruga u. a. / Ministre de
l'Enseignement supérieur et de la Recherche)
Nach luxemburgischem Recht konnten Kinder von Grenzgängern, die in Luxemburg
unselbständig oder selbständig beruflich tätig sind, eine finanzielle Studienbeihilfe unter der
Voraussetzung beantragen, dass der Grenzgänger zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens
fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet hat. Dieses Erfordernis eines
ununterbrochenen Mindestarbeitszeitraums von fünf Jahren wurde im Juli 2013 infolge eines
Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Giersch eingeführt und im Juli 2014 durch eine
flexiblere Regelung ersetzt.
Der in der Rechtssache klagende Sohn von Grenzgängern (der selbst nicht in Luxemburg
wohnhaft ist) beantragte bei den luxemburgischen Behörden die Gewährung einer
Studienbeihilfe. Der Tribunal administratif Luxemburg, legte daraufhin dem Gerichtshof die Frage
vor, ob das Erfordernis der ununterbrochenen Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren mit dem
Unionsrecht vereinbar ist.
In seinem Urteil von 14. Dezember 2016 wies der Gerichtshof darauf hin, dass es für Studenten,
die im luxemburgischen Hoheitsgebiet wohnen, kein solches Erfordernis gibt. Der Gerichtshof
nahm deshalb das Vorliegen einer Ungleichbehandlung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten
an.
Der Gerichtshof anerkannte, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, mit der fraglichen Regelung
sicherzustellen, dass der Grenzgänger eine hinreichende Verbundenheit mit diesem Mitgliedstaat
aufweist, um der Gefahr von „Stipendientourismus“ entgegenzutreten. Der Gerichtshof erachtete
deshalb das Erfordernis der Mindestarbeitsdauer des in Luxemburg arbeitenden Elternteils, der
Grenzgänger ist, als solches für angemessen, da es dazu geeignet ist, eine Verbundenheit des
Arbeitnehmers mit der luxemburgischen Gesellschaft sowie die angemessene Wahrscheinlichkeit
dafür zu belegen, dass der Student später nach Luxemburg zurückkehren wird.
Dagegen stellte der Gerichtshof fest, dass das Erfordernis einer ununterbrochenen
Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten
Ziels erforderlich ist.
Dieses Erfordernis erlaubt den zuständigen Behörden nämlich die Gewährung einer Beihilfe nicht,
wenn die Eltern, von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, in der Zeit vor der
Antragstellung für eine erhebliche Dauer in Luxemburg gearbeitet haben. Da solche
Unterbrechungen die Verbundenheit zwischen Luxemburg und dem Antragsteller der Beihilfe
nicht lösen, kam der Gerichtshof zum Ergebnis, dass das Erfordernis, fünf Jahre lang
ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet zu haben, eine Beschränkung darstellt, das über das
hinausgeht, was zur Erreichung des von Luxemburg verfolgten rechtmäßigen Ziels (nämlich die
Zahl der Hochschulabsolventen in der luxemburgischen Bevölkerung zu erhöhen) notwendig ist.
Der Gerichtshof hat deswegen entschieden, dass das Erfordernis einer ununterbrochenen
Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt und
somit gegen das Unionsrecht verstößt.
7
Link zum vollständigen Urteil
8
Im Bereich grenzüberschreitender sozialer Vergünstigungen kann ein Kind in einer neu
zusammengesetzten Familie als Kind des Stiefelternteils angesehen werden. In diesem
Bereich wird das Kindsverhältnis nicht im rechtlichen Sinne, sondern im wirtschaftlichen
Sinne definiert, womit das Kind eines Stiefelternteils, der berufstätiger Grenzgänger ist,
Anspruch auf eine soziale Vergünstigung hat, wenn dieser Stiefelternteil tatsächlich zu
seinem Unterhalt beiträgt
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-401/15 bis C-403/15 Noémie Depesme u. a. / Ministre de
l'enseignement supérieur et de la recherche)
Zwischen Juli 2013 und Juli 2014 konnten nach luxemburgischem Recht Kinder von
Grenzgängern, die in Luxemburg unselbständig oder selbständig beruflich tätig sind, eine
finanzielle Studienbeihilfe unter der Voraussetzung beantragen, dass der Grenzgänger zum
Zeitpunkt der Antragstellung mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg
gearbeitet hatte.
Die KlägerInnen lebten jeder in einer neu zusammengesetzten Familie, die jeweils aus der
genetischen Mutter und dem Stiefvater besteht (der genetische Vater lebt entweder von der
Mutter getrennt oder ist verstorben). Alle drei beantragten für das Studienjahr 2013/2014 in
Luxemburg Studienbeihilfen, weil ihr jeweiliger Stiefvater dort seit mehr als fünf Jahren
ununterbrochen gearbeitet hatte (keine der Mütter arbeitete hingegen zu dieser Zeit dort). Die
luxemburgischen Behörden lehnten diese Anträge mit der Begründung ab, dass die KlägerInnen
rechtlich nicht „Kinder“ eines berufstätigen Grenzgängers seien, sondern nur „Stiefkinder“.
Gegen diese Entscheidungen erhoben die drei Studenten Klage. Der mit diesen Klagen befasste
Cour administrative du Luxembourg (Verwaltungsgerichtshof Luxemburg) hat daraufhin dem
Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob im Bereich sozialer Vergünstigungen der Begriff „Kind“ auch
Stiefkinder einschließen muss. Anders gesagt, geht es um die Frage, ob das Kindsverhältnis
nicht im rechtlichen, sondern im wirtschaftlichen Sinne aufzufassen ist.
In seinem Urteil vom 15. Dezember 2016 wies der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass nach
der Unionsverordnung Nr. 492/200131, Arbeitnehmer aus einem Mitgliedstaat in jedem anderen
Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten, die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie
die inländischen Arbeitnehmer genießen müssen. Er führte weiter aus, dass auf dem Gebiet der
Unionsbürgerschaft Kinder durch die Richtlinie 2004/3842 als die Verwandten in gerader
absteigender Linie des Ehegatten oder des Lebenspartners definiert werden, die das 21.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird.
Der Gerichtshof stellte klar, dass die Kinder des Ehegatten oder des anerkannten
Lebenspartners eines Grenzgängers als dessen Kinder angesehen werden können, um in den
Genuss einer sozialen Vergünstigung wie einer Studienbeihilfe kommen zu können, zumal auch
die Richtlinie 2014/54/EU3, die nach den hier streitigen Fällen in Kraft getreten ist, bestätigt,
1 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1). 2 Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35). 3 Richtlinie 2014/54/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der Freizügigkeit zustehen (ABl. 12014, L 128, S. 8).
9
dass der Begriff „Familienangehörige“ auch die Familienangehörigen von Grenzgängern erfasst.
Link zum vollständigen Urteil
10
Rechtsvorschriften über Ansprüche auf Altersruhegeld, die Wanderarbeitnehmer
gegenüber Arbeitnehmern, die den Staat nicht verlassen, benachteiligen, verstoßen gegen
das Unionsrecht
(Urteil in der Rechtssache C-515/14 Kommission/Zypern)
Das Unionsrecht gewährleistet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union4. Für
Wanderarbeitnehmer besteht die Möglichkeit der Zusammenrechnung aller Versicherungszeiten,
um im Bereich der sozialen Sicherheit die Einheit ihrer beruflichen Laufbahn zu garantieren5.
Nach Ansicht der Kommission benachteiligen die zyprischen Rechtsvorschriften
Wanderarbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Beschäftigung nur in Zypern ausüben.
Nach diesen Rechtsvorschriften erhält ein Beamter, der, ohne das 45. Lebensjahr vollendet zu
haben, aus dem zyprischen öffentlichen Dienst ausscheidet, um eine berufliche Tätigkeit in einem
anderen Mitgliedstaat auszuüben oder eine Tätigkeit bei einem Unionsorgan oder einer anderen
internationalen Organisation aufzunehmen, nur einen pauschalierten Betrag und verliert seine
Anwartschaft auf das Altersruhegeld. Bei Beamten, die weiter in Zypern einer Berufstätigkeit
nachgehen, ist dies indessen nicht der Fall.
Nach Ansicht Zyperns könnten Änderungen der Voraussetzungen für die Gewährung von
Vorteilen bei der sozialen Sicherheit das Gleichgewicht des zyprischen Systems gefährden, das
das Gleichgewicht der dienstrechtlichen Regelung für die Beamten unter Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit schützen soll.
Mit dem Urteil vom 21. Januar 2016, gab der Gerichtshof der Vertragsverletzungsklage der
Kommission statt.
Der Gerichtshof stellte zunächst mit Hinweis auf den Vertrag fest, dass Wanderarbeitnehmer
nicht deshalb ihre Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere
Leistungen erhalten dürfen, weil sie das ihnen durch den Vertrag verliehene Recht auf
Freizügigkeit ausgeübt haben. Der Gerichtshof hob sodann hervor, dass die staatliche Regelung
der Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch Beamte entgegensteht oder die Ausübung für sie
weniger attraktiverscheinen lassen könnte und daher ein Hindernis für die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer darstellt.
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass eine nationale Regelung eine gerechtfertigte Beschränkung
einer Grundfreiheit darstellen kann, wenn sie durch wirtschaftliche Gründe, mit denen ein im
Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, bestimmt wird. Erlassen die zuständigen
nationalen Stellen eine Maßnahme, die von einem im Unionsrecht verankerten Grundsatz
abweicht, müssen sie in jedem Fall nachweisen, dass diese Maßnahme geeignet ist, zu
gewährleisten, dass das geltend gemachte Ziel erreicht wird, und sie nicht über das hierfür
Erforderliche hinausgeht. Nach Ansicht des Gerichtshofs fehlt es im vorliegenden Fall an einer
solchen Beweisführung.
Link zum vollständigen Urteil
4 Art. 45 Abs.1 AEUV. 5 Art. 48 AEUV.
11
Beendet ein Arbeitnehmer von sich aus sein Arbeitsverhältnis, hat er Anspruch auf eine
finanzielle Vergütung, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise
nicht verbrauchen konnte
(Urteil in der Rechtssache C-341/15 Hans Maschek / Magistratsdirektion der Stadt Wien – Personalstelle
Wiener Stadtwerke)
Ein Beamter der Stadt Wien, wurde auf seinen Antrag mit Wirkung zum 1. Juli 2012 in den
Ruhestand versetzt. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand verlangte der Beamte von seinem
Arbeitgeber, ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu
zahlen; er sei nämlich kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand erneut erkrankt. Sein Arbeitgeber
wies diese Forderung mit der Begründung zurück, nach der Besoldungsordnung der Stadt Wien
habe ein Arbeitnehmer, der von sich aus das Arbeitsverhältnis beende – u.a. indem er die
Versetzung in den Ruhestand beantrage –, keinen Anspruch auf eine solche Vergütung.
Das angerufene Verwaltungsgericht Wien möchte vom Gerichtshof wissen, ob eine solche
Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2003/886 vereinbar ist.
In seinem Urteil von 20. Juli 2016 wies der Gerichtshof darauf hin, dass nach dieser Richtlinie
jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat und
dass dieser Anspruch einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union
darstellt. Wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist,
bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, hat der Arbeitnehmer nach der Richtlinie
Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser fehlenden
Möglichkeit jeder Genuss des Urlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird.
Der Gerichtshof führte dazu aus, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
keine Rolle spielt.
Der Gerichtshof stellte fest, dass die Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach
denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis infolge seines Antrags auf Versetzung in den
Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem
Ende dieses Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung
für nicht genommenen Urlaub hat.
Damit die praktische Wirksamkeit dieses Anspruchs auf Jahresurlaub gewährleistet wird, hat der
Gerichtshof folgenden Grundsatz aufgestellt: Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis
beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während
eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt
bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, hat keinen Anspruch
auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten
Jahresurlaub, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.
Link zum vollständigen Urteil
6 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte
der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9).
12
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts
Die neue Richtlinie der Europäischen Union über Tabakerzeugnisse ist gültig
(Urteile in den Rechtssachen C-358/14 Polen/Parlament und Rat, C-477/14 Pillbox 38 (UK) Limited/Secretary
of State for Health und C-547/14 Philip Morris Brands SARL u.a/Secretary of State for Health)
Ziel der neuen Richtlinie von 2014 über Tabakerzeugnisse7 ist es, ausgehend von einem hohen
Schutz der menschlichen Gesundheit das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für
Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu erleichtern und dabei die Verpflichtungen der
Union aus dem Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs8
einzuhalten. Die Richtlinie sieht u.a. ein ab dem 20. Mai 2020 geltendes Verbot des
Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma und die
Vereinheitlichung der Etikettierung und der Verpackung von Tabakerzeugnissen vor. Sie führt
zudem eine Sonderregelung für elektronische Zigaretten ein.
Polen beanstandete mit Unterstützung durch Rumänien vor dem Gerichtshof das Verbot von mit
Menthol versetzten Zigaretten (Rechtssache C-58/14). In zwei weiteren Rechtssachen (C-477/14
und C-547/14) befragte der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division
(Administrative Court) den Gerichtshof zur Gültigkeit einer Reihe von Bestimmungen der
Richtlinie über Tabakerzeugnisse.
Mit seinen Urteilen vom 4. Mai 2016 wies der Gerichtshof die Klage Polens ab und bestätigte die
Gültigkeit der Richtlinienbestimmungen.
Was zunächst das Verbot von mit Menthol versetzten Zigaretten betrifft, wies der Gerichtshof
darauf hin, dass Menthol durch sein angenehmes Aroma die Tabakerzeugnisse attraktiver für die
Verbraucher machen soll und dass die Verringerung der Attraktivität dieser Erzeugnisse dazu
beitragen kann, die Prävalenz des Tabakkonsums und die Abhängigkeit sowohl unter neuen als
auch unter kontinuierlichen Rauchern zu reduzieren.
Was die Vereinheitlichung der Etikettierung und der Verpackung von Tabakerzeugnissen betrifft,
stellte der Gerichtshof klar, dass das Verbot, auf der Kennzeichnung der Packung, der
Außenverpackung und dem Tabakerzeugnis selbst Elemente oder Merkmale anzubringen, die
geeignet sind, ein Tabakerzeugnis zu bewerben oder zu dessen Konsum anzuregen, zum einen
geeignet ist, die Verbraucher vor den mit dem Tabakgebrauch verbundenen Gefahren zu
schützen und zum anderen nicht über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Erreichung des
verfolgten Ziels erforderlich ist.
Die Sonderregelung für elektronische Zigaretten, die den Herstellern und Importeuren besondere
Pflichten auferlegt, wie z.B. die verpflichtende Anmeldung neuer Produkte bei den nationalen
Behörden, die Beifügung von Warnhinweisen und eines Beipackzettels, die Erstattung jährlicher
Berichte sowie das besondere Verbot von Werbung und Sponsoring, verstößt auch nicht gegen
den Grundsatz der Gleichbehandlung.
7 Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. L 127, S.1). 8 Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, am 21. Mai 2003 in Genf unterzeichnet.
13
Link zum vollständigen Urteil
14
Landwirtschaft und Fischerei
Ein Gesetz zur Einführung eines Mindestverkaufspreises pro Alkoholeinheit verstößt gegen
das Unionsrecht, sofern weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen erlassen
werden können
(Urteil in der Rechtssache C-333/14, Scotch Whisky Association u.a. / Lord Advocate)
2012 verabschiedete das schottische Parlament ein Gesetz über den Mindestpreis für
alkoholische Getränke in Schottland. Dieser Mindestpreis ist von jedermann einzuhalten, der in
Schottland aufgrund einer Konzession alkoholische Getränke im Einzelhandel verkaufen darf. Er
errechnet sich anhand einer Formel, die den Alkoholgehalt und das Alkoholvolumen in dem
Erzeugnis berücksichtigt.
Das schottische Gesetz soll die Gesundheit und das Leben von Menschen schützen. Ein
Mindestpreis pro Alkoholeinheit hätte nämlich zur Folge, dass der zurzeit geringe Preis
bestimmter stark alkoholhaltiger Getränke steigen würde. Diese Art von Getränken wird häufig
von Verbrauchern mit Alkoholproblemen gekauft. Nach Ansicht des schottischen Gesetzgebers
ließe sich dieses Ziel mit steuerlichen Maßnahmen nicht mit demselben Erfolg erreichen.
Hersteller alkoholischer Getränke haben gegen dieses Gesetz Klage erhoben. Ihrer Ansicht nach
sei das Gesetz eine mit dem Unionsrecht unvereinbare mengenmäßige Beschränkung des
Handelsverkehrs und ließen sich die mit dem Gesetz verfolgten Ziele auf weniger einschränkende
Weise durch steuerliche Maßnahmen verwirklichen. In diesem Zusammenhang möchte der
Oberste Gerichtshof Schottlands wissen, ob die Einführung eines Mindestpreises mit dem
Unionsrecht vereinbar sei.
In seinem Urteil vom 23. Dezember 2015 vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass sich die
schottischen Rechtsvorschriften sehr einschränkend auf den Markt auswirken. Dies könnte
vermieden werden, wenn anstelle einer Maßnahme, die einen Mindestverkaufspreis pro
Alkoholeinheit vorschreibt, eine steuerliche Maßnahme mit dem Ziel einer Erhöhung des Preises
für Alkohol eingeführt würde.
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass diese Maßnahme geeignet ist, alkoholhaltigen Getränken
aus anderen Mitgliedstaaten den Zugang zum britischen Markt zu erschweren. Dieser Umstand
sei ausreichend, um sie als Hindernis für den freien Warenverkehr einzustufen. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich eine solche Maßnahme nur mit Gründen des
Gesundheitsschutzes rechtfertigen, wenn sie gemessen an dem mit ihr verfolgten Ziel
verhältnismäßig ist.9 Auch wenn die Vorgabe eines Mindestpreises pro Alkoholeinheit geeignet
ist, den Alkoholkonsum zu verringern, ist das Vorgehen wie das in Schottland nicht gerechtfertigt,
wenn die Gesundheit ebenso wirksam durch weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen
geschützt werden kann.
Nach Auffassung des Gerichtshofes kann eine fiskalische Maßnahme, mit der die Steuern auf
alkoholische Getränke erhöht werden, weniger einschränkend sein, da es den
Wirtschaftsteilnehmern die Freiheit belässt, ihren Verkaufspreis selbst festzulegen.
9 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 26. April 2012, ANETT (C-456/10).
15
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass es letztlich dem nationalen Gericht obliegt, festzustellen,
ob andere Maßnahmen als die, die das schottische Gesetz vorsieht, geeignet sind, die Gesundheit
und das Leben von Menschen ebenso wirksam zu schützen wie die derzeitige Rechtsvorschrift,
gleichzeitig aber den Handel von Waren innerhalb der Union weniger einschränken.
Link zum vollständigen Urteil
16
Der Gerichtshof bestätigt, dass die Kennzeichnung von Zitrusfrüchten mit der Angabe von
Konservierungsmitteln und anderen bei der Behandlung nach der Ernte verwendeten
chemischen Stoffen verbindlich ist
(Urteil in der Rechtssache C-26/15P, Spanien / Kommission)
Nach einer Unionsrechtsvorschrift über die Vermarktung von Zitrusfrüchten (nämlich Zitronen,
Mandarinen und Orangen) müssen Packstücke von diesen Früchten eine Kennzeichnung tragen,
die gegebenenfalls Angaben der zur Behandlung nach der Ernte verwendeten
Konservierungsmittel oder sonstigen chemischen Stoffe enthält.10 Mit Erlass dieser Vorschrift
wollte die Kommission die ordnungsgemäße Anwendung des Unionsrechts über
Lebensmittelzusatzstoffe gewährleisten. Hierzu wich sie von einer nicht zwingenden Norm11 der
UN/ECE12 ab, die vorsieht, dass die Angabe der Verwendung von Konservierungsmitteln nur
erforderlich ist, wenn die Vorschriften des Einfuhrlandes es vorschreiben. Die Klage Spaniens auf
Nichtigerklärung dieser Vorschrift hat das Gericht der Europäischen Union im Jahr 2014
abgewiesen.13 Gegen dieses Urteil hat Spanien beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt, mit
dem es seine Aufhebung begehrt.
Mit seinem Urteil vom 3. März 2016 wies der Gerichtshof das Rechtsmittel Spaniens in vollem
Umfang zurück.
Nach Auffassung des Gerichtshofs hat das Gericht zu Recht angenommen, dass die fragliche
Vorschrift in Bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig ist. Er bestätigte die Feststellung des
Gerichts, dass es vernünftig ist, dass der Verbraucher über die Behandlung von Zitrusfrüchten
nach der Ernte aufgeklärt wird, da diese Früchte gegenüber anderen Früchten mit sehr viel
höheren Dosen chemischer Stoffe behandelt werden dürfen und ihre Schale auf verschiedene
Weise in Lebensmittel für Menschen gelangen kann.
Der Gerichtshof hob ferner hervor, dass das Gericht zu Recht angenommen hat, dass die Prüfung
eines etwaigen Wettbewerbsnachteils im Rahmen der Beurteilung, ob der
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt wurde, keine Rolle spielt. Die von der streitigen Vorschrift
betroffenen Erzeuger von Zitrusfrüchten befinden sich nämlich nicht in einer Situation, die mit
jener von Erzeugern anderer Früchte und Gemüsesorten vergleichbar ist.
Im Übrigen hindert die Tatsache, dass weder die besonderen Rechtsvorschriften betreffend die
nach der Ernte verwendeten Konservierungsmittel und anderen chemischen Stoffe noch die
Rechtsvorschriften über die Information der Verbraucher, die eine besondere Kennzeichnung der
in der landwirtschaftlichen Behandlung verwendeten Pestizide vorschreiben, die Kommission
nicht am Erlass einer Vermarktungsnorm, die u.a. das Interesse der Verbraucher an einer
zielgerichteten und transparenten Information sowie Empfehlungen in Bezug auf die UN/ECE-
Normen berücksichtigt. Insbesondere steht diese Tatsache nicht dem Erlass einer Vorschrift
durch die Kommission entgegen, die eine Kennzeichnung von Zitrusfrüchten mit Angabe der nach
der Ernte erfolgten Behandlungen vorsieht.
10 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 123/2007 des Rates für Sektoren Obst und Gemüse und
Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ABl. L 157, S. 1. 11 Norm UN/ECE FFV-14 über die Vermarktung und die Kontrolle der Handelsqualität von Zitrusfrüchten. 12 Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen. 13 Urteil des Gerichts vom 13. November 2004, Spanien/Kommission (T-481/11).
17
Link zum vollständigen Urteil
18
Die Kommission kann die Mitgliedstaaten verpflichten, alle Pflanzen, die von der Bakterie
Xylella fastidiosa befallen sein können, auch ohne Befallssymptome zu entfernen, wenn sie
sich in der Nähe von Pflanzen befinden, die bereits von dieser Bakterie befallen sind
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-78/16, Giovanni Pesce u. a./Presidenza del Consiglio dei Ministri
u. a., und C-79/16, Cesare Serinelli u. a./Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento della Protezione
Civile u. a.)
Die Richtlinie 2000/2914 soll ein hohes Pflanzenschutzniveau gewährleisten, um das Verbringen
von Schadorganismen, zu denen Xylella fastidiosa gehört, in die Union zu verhindern. Xylella ist
eine phytopathogene Bakterie, die viele Pflanzen befällt und ihren Tod durch Austrocknung
verursachen kann. Sie wurde erstmals 2013 in Europa an Olivenbäumen in der Region Apulien
beobachtet.
2015 erließ die Kommission einen Beschluss,15 in dem sie die Mitgliedstaaten verpflichtete,
Wirtspflanzen der Bakterie Xylella unabhängig von ihrem Gesundheitszustand auf einer Fläche
mit einem Radius von 100 Metern um die von der Bakterie befallenen Pflanzen unverzüglich zu
entfernen. Im Einklang mit dem Beschluss wies der Servizio Agricoltura della Regione Puglia
(Landwirtschaftlicher Dienst der Region Apulien) mehrere Eigentümer von Olivenhainen an, die
von der Xylella befallenen Olivenbäume sowie alle Wirtspflanzen auf der genannten Fläche zu
fällen.
Das mit der Sache befasste Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht
für die Region Latium, Italien) hat den Vollzug der Anordnung, die in der Nähe der befallenen
Olivenbäume befindlichen Pflanzen zu entfernen, ausgesetzt und den Gerichtshof nach der
Vereinbarkeit des Beschlusses der Kommission mit dem Unionsrecht gefragt.
In seinem Urteil vom 16. Juni 2016 bestätigte der Gerichtshof die Vereinbarkeit des Beschlusses
der Kommission mit der Richtlinie im Licht des Vorsorgeprinzips und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit.
Der Gerichtshof hob hervor, dass wissenschaftliche Gutachten zwar keinen Nachweis eines
sicheren Kausalzusammenhangs zwischen der Xylella und der raschen Austrocknung der
Olivenbäume erbracht haben, doch besteht nach diesem Gutachten ein signifikanter
Zusammenhang zwischen der Bakterie und der Erkrankung der Olivenbäume. Das
Vorsorgeprinzip kann daher den Erlass von Schutzmaßnahmen, wie der Entfernung der
befallenen Pflanzen, rechtfertigen, auch wenn insoweit wissenschaftliche Ungewissheiten
fortbestehen. Die Entfernung der Wirtspflanzen in der Nähe befallener Pflanzen steht auch im
engeren Sinne in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem Pflanzenschutz verfolgten Ziel.
Schließlich hob der Gerichtshof hervor, dass ein Entschädigungsanspruch der Eigentümer der
gefällten Olivenbäume nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil weder die Richtlinie noch der
Beschluss der Kommission eine entsprechende Regelung enthält; die Charta der Grundrechte der
Europäischen Union könnte nämlich unter bestimmten Umständen die Zahlung einer
14 Richtlinie 2000/29/EG des Rates vom 8. Mai 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse (ABl. L 169, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2002/89/EG des Rates vom 28. November 2002 (ABl. L 355, S. 45). 15 Durchführungsbeschluss (EU) 2015/789 der Kommission vom 18. Mai 2015 über Maßnahmen zum Schutz der Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Xylella fastidiosa (ABl. L 125, S. 36).
19
„angemessenen Entschädigung“ gebieten. Der Beschluss der Kommission kann daher nicht aus
diesem Grund als ungültig angesehen werden.
Link zum vollständigen Urteil
20
Nichtdiskriminierung
Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, alle Unionsbürger, die sich in seinem Hoheitsgebiet
aufhalten, in gleichem Maß vor Auslieferung zu schützen wie seine eigenen
Staatsangehörigen
(Urteil in der Rechtssache C-182/15, Aleksei Petruhhin)
Ein estnischer Staatsangehöriger war auf der Website von Interpol zur Fahndung
ausgeschrieben. Er wurde am 30. September 2014 in der Stadt Bauska (Lettland) festgenommen
und kam in Untersuchungshaft. Am 21. Oktober 2014 stellte Russland bei den lettischen
Behörden einen Auslieferungsantrag. Darin hieß es, dass die Strafverfolgung von dem Esten
eingeleitet worden sei und dass er wegen versuchten bandenmäßigen Handels mit einer großen
Menge von Betäubungsmitteln in Haft zu nehmen sei. Nach russischem Recht kann diese Straftat
mit einer Gefängnisstrafe von 8 bis 20 Jahren geahndet werden.
Die Generalanwaltschaft von Lettland genehmigte die Auslieferung des estischen Staatsbürgers
an Russland. Der betroffene Este beantragte jedoch die Aufhebung dieser Entscheidung, weil er
der Meinung war, aufgrund des zwischen den baltischen Staaten geschlossenen
Übereinkommens über Rechtshilfe und die Rechtsbeziehungen in Lettland die gleichen Rechte
wie ein lettischer Staatsbürger zu haben. Da das lettische Recht Auslieferungen eigener
Staatsbürger grundsätzlich verbiete und Lettland seine Bürger gemäß dem Abkommen mit
Russland nicht dorthin ausliefern dürfe, sei Lettland verpflichtet, ihn vor einer ungerechtfertigten
Auslieferung zu schützen.
Vor diesem Hintergrund wollte der Oberste Gerichtshof Lettlands vom EuGH wissen, ob bei der
Anwendung eines zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat geschlossenen
Auslieferungsabkommens die Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Hinblick auf
das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das Freizügigkeits-
und Aufenthaltsrecht der Unionsbürger in den Genuss der Vorschrift kommen müssen, die eine
Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen verbietet.
Im Urteil vom 6. September 2016 wies der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der estnische
Staatsangehörige als Unionsbürger von dem Recht auf Freizügigkeit in der Union Gebrauch
gemacht hat, indem er sich nach Lettland begab, so dass seine Situation in den
Anwendungsbereich der Verträge und damit unter den Grundsatz des Verbots der
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit fällt.
Mangels Unionsrechtsvorschriften über die Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und einem
Drittstaat ist es jedoch wichtig, die Gefahr der Straflosigkeit zu bekämpfen und gleichzeitig die
Unionsbürger vor Maßnahmen zu schützen, die ihnen ihr Recht auf Freizügigkeit verwehren
können.
Ein Mitgliedstaat, in dem sich ein Unionsbürger, der Staatsangehöriger eines anderen
Mitgliedstaats ist, begeben hat, ist verpflichtet, im Fall eines Auslieferungsantrags eines
Drittstaats den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, zu
informieren und ihm gegebenenfalls auf sein Ersuchen den Unionsbürger zu übergeben, sofern
21
dieser Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung dieser Person wegen im
Ausland begangener Straftaten zuständig ist.
Link zum vollständigen Urteil
22
Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr
Die Niederlassungsfreiheit steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Genehmigung
für die Ausübung eines Gewerbes auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt,
wenn diese Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes
der öffentlichen Gesundheit verfolgt
(Urteil in der Rechtssache C-293/14, Gebhart Hiebler/Walter Schlagbauer)
Der Oberste Gerichtshof beschloss das Verfahren betreffend einer anhängigen Rechtssache zu
einer gewerberechtlichen Regelung auszusetzen und dem Gerichtshof zwei Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen.
Zunächst wurde gefragt, ob die Richtlinie 2006/12316 dahin auszulegen ist, dass die Ausübung
eines Gewerbes wie des Rauchfangkehrers insgesamt vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie
ausgenommen ist, weil dieses Gewerbe auch die Erfüllung von Aufgaben der „Feuerpolizei“
umfasst. Mit der zweiten Frage wollt man wissen, ob die Art. 10 und 15 der Richtlinie 2006/123
einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Genehmigung zur Ausübung des
Rauchfangkehrergewerbes insgesamt auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt.
In seinem Urteil vom 23. Dezember 2015, stellte das Gericht fest, dass die Aufgaben der
„Feuerpolizei“ nur helfende Tätigkeiten bei der Ausübung öffentlicher Gewalt umfassen, da die
Rauchfangkehrer nicht über eigene Vollzugs-, Verbots- oder Zwangsbefugnisse gegenüber ihren
Kunden verfügen. Hieraus folgt, dass die von den Rauchfangkehrern durchgeführten Aufgaben
der „Feuerpolizei“ als solche nicht mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden sind und
deshalb nicht gemäß dieser Bestimmung vom Anwendungsbereich der Richtlinie
„Dienstleistungen“ ausgenommen sind. Darüber hinaus fielen diese Aufgaben selbst dann in
den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn sie als mit der Erfüllung einer Dienstleistung
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse verbunden eingestuft werden müssten. Es wird in
der Richtlinie ausdrücklich angegeben, dass die aufgestellten Regeln grundsätzlich auf alle
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse anwendbar sind, da von ihrem
Anwendungsbereich nur nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
ausgenommen sind.
Hinsichtlich der zweite Frage, stellte der Gerichtshof fest, dass unter bestimmten Bedingungen
sowohl Art. 10 als auch Art. 15 der Richtlinie die Möglichkeit vorsehen, eine territoriale
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungstätigkeiten zu rechtfertigen.
Diesen Bedingungen wären: die Beschränkung stellt keine Diskriminierung aufgrund der
Staatsangehörigkeit dar; sie ist ferner durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses
gerechtfertigt; sie ist zur Verwirklichung des verfolgten Ziels geeignet. Schließlich geht sie nicht
über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist und kann nicht durch andere
weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zu dem gleichen Ergebnis führen.
Das Gericht wies auch darauf hin, dass die staatliche Regelung die Abgrenzung der
geografischen Gebiete nicht unmittelbar festlegt und für diese Abgrenzung nicht mittels
kohärenter Kriterien einen Rahmen mit dem Ziel festlegt, eine gleichmäßige Verteilung der
Wahrnehmung sowohl der privatwirtschaftlichen Tätigkeiten als auch der Aufgaben der
„Feuerpolizei“ durch die Rauchfangkehrer in diesen Gebieten sicherzustellen. In Ansicht des
Gerichts besteht daher die Gefahr, dass bei der Umsetzung der Regelung keine gleichmäßige
Verteilung der Ausübung der privatwirtschaftlichen Rauchfangkehrertätigkeiten über das
16 Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt
23
gesamte betroffene Gebiet und somit auch kein entsprechendes Niveau des Schutzes der
öffentlichen Gesundheit auf der Gesamtheit dieses Gebiets sichergestellt ist.
Link zum vollständigen Urteil
24
Nach dem Unionsrecht dürfen Konzessionen, die für die Ausübung von Touristik- und
Freizeittätigkeiten in im öffentlichen Eigentum stehenden Gebieten erteilt worden sind,
nicht automatisch verlängert werden, wenn kein Verfahren zur Auswahl der Bewerber
stattgefunden hat
(Urteil in der Rechtssache C-458/14, Promoimpresa Srl / Consorzio dei comuni della Sponda Bresciana del
Lago di Garda e del Lago di Idro u. a.)
Die Dienstleistungsrichtlinie17 erlaubt den Mitgliedstaaten, die Ausübung einer
Dienstleistungstätigkeit einer Genehmigungsregelung zu unterwerfen und die Zahl der
verfügbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen oder der
verfügbaren technischen Kapazitäten zu begrenzen.
In Italien sieht die nationale Regelung eine generelle automatische Verlängerung der Laufzeit
von Konzessionen vor, die ohne vorheriges Auswahlverfahren für die touristische Nutzung von
im öffentlichen Eigentum stehenden Gütern an Meeren und Seen (u. a. von Stränden) erteilt
worden waren. Trotz dieser Rechtsvorschriften wurde privaten Touristikunternehmen von den
italienischen Behörden die Verlängerung ihrer Konzessionen verweigert. Die betroffenen
Unternehmen erhoben dagegen Klage. Die mit diesen Klagen befassten italienischen Gerichte
haben an den Gerichtshof die Vorabentscheidungsersuchen gerichtet, um die Gesetzauslegung
des Artikels 12 der Dienstleistungsrichtlinie zu erhalten.
Mit dem Urteil vom 14. Juli 2016 betonte der Gerichtshof zunächst, dass es dem nationalen
Gericht obliegt zu prüfen, ob die Zahl der italienischen Konzessionen aufgrund der Knappheit
der natürlichen Ressourcen begrenzbar ist. Der Gerichtshof wies sodann darauf hin, dass die
Vergabe von Konzessionen zur wirtschaftlichen Nutzung von in öffentlichem Eigentum
stehenden Gebieten an Meeren und an Seen aufgrund eines neutralen und transparenten
Verfahrens zur Auswahl der Bewerber (das u. a. angemessen bekannt zu machen ist) erfolgen
muss.
Artikel 12 der Richtlinie erlaubt zwar den Mitgliedstaaten, bei der Festlegung der Regeln für das
Auswahlverfahren zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu berücksichtigen – wie u. a.
das berechtigte Vertrauen der Inhaber von Genehmigungen, die von ihnen getätigten
Investitionen amortisieren zu können –. Solche Gründe können jedoch keine automatische
Verlängerung von Genehmigungen rechtfertigen, wenn bei deren erstmaliger Vergabe kein
Auswahlverfahren durchgeführt worden ist.
Der Gerichtshof stellte schließlich klar, dass Artikel 12 der Richtlinie einer nationalen Maßnahme
entgegensteht, die vorsieht, dass Konzessionen, die für die Ausübung von Touristik- und
Freizeittätigkeiten in im öffentlichen Eigentum stehenden Gebieten am Meer und an Seen erteilt
worden sind, automatisch verlängert werden, ohne dass ein Verfahren zur Auswahl der
Bewerber stattgefunden hat.
Falls die Richtlinie nicht anwendbar ist, ist Artikel 49 AEUV dahin auszulegen, dass er nationalen
Rechtsvorschriften, die vorsehen, dass laufende Konzessionen, die in Bezug auf im öffentlichen
17 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen
im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36).
25
Eigentum stehende Güter zum Zweck der Ausübung von Touristik- und Freizeittätigkeiten erteilt
worden sind, automatisch verlängert werden, soweit an diesen Konzessionen ein eindeutiges
grenzüberschreitendes Interesse besteht.
Link zum Urteil des Gerichtshofs
26
Ein Geschäftsinhaber, der der Öffentlichkeit kostenlos ein WiFi-Netz zur Verfügung stellt,
ist für Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht verantwortlich
(Urteil in der Rechtssache C-484/14 Tobias Mc Fadden/Sony Music Entertainment Germany GmbH)
In Deutschland betreibt ein Bürger ein Geschäft für Licht- und Tontechnik, in dem er kostenlos
ein öffentlich zugängliches WiFi-Netz bereitstellt, um die Aufmerksamkeit potentieller Kunden
auf seine Waren und Dienstleistungen zu lenken. Über dieses Netz wurde im Jahr 2010 ein
musikalisches Werk, für das ein japanischer Elektronikkonzern die Rechte innehat, rechtswidrig
zum Herunterladen angeboten. Das mit dem Rechtsstreit zwischen dem japanischen
Elektronikkonzern und dem Bürger befasste Landgericht München I vertrat die Ansicht, dass der
Bürger selbst die betreffenden Urheberrechtsverletzungen nicht begangen habe. Es hielt jedoch
seine mittelbare Haftung für diese Rechtsverletzungen für denkbar, da er sein WiFi-Netz nicht
gesichert hatte. Da es Zweifel hatte, ob die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr18
einer solchen mittelbaren Haftung entgegensteht, hat es dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen
vorgelegt.
In seinem Urteil vom 15. September 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass ein Anbieter, der der
Öffentlichkeit unentgeltlich ein WiFi-Netz zur Verfügung stellt, um die Aufmerksamkeit
potentieller Kunden auf die Waren oder Dienstleistungen eines Geschäfts zu lenken, damit einen
„Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie erbringt. Die Haftung von
Vermittlern, die Dienste der reinen Durchleitung von Daten anbieten, ist durch die Richtlinie
allerdings beschränkt, und zwar dann, wenn Dritte eine rechtswidrig begangene Handlung
vornehmen und folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt haben: 1. Der Anbieter von
Diensten hat die Übermittlung nicht veranlasst. 2. Er hat den Adressaten der Übertragung nicht
ausgewählt. 3. Er hat die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert. Diese
drei Voraussetzungen liegen bei dem Bürger vor, daher hat der Urheberrechtsinhaber gegen ihn,
den Anbieter, keinen Anspruch auf Schadenersatz. Der EuGH wies in seiner Entscheidung aber
nochmal ausdrücklich darauf hin, dass es der Richtlinie nicht zuwiderläuft, wenn
Urheberrechtsinhaber bei einer innerstaatlichen Behörde oder einem innerstaatlichen Gericht die
Anordnung beantragen, mit der dem Anbieter aufgegeben wird, jeder Urheberrechtsverletzung
durch seine Kunden ein Ende zu setzen oder solchen Rechtsverletzungen vorzubeugen.
Der Gerichtshof stellte auch fest, dass eine Anordnung, mit der dem Anbieter die Sicherung des
Internetanschlusses durch ein Passwort aufgegeben wird, geeignet erscheint, ein Gleichgewicht
zwischen den Rechtsinhabern an ihrem geistigen Eigentum einerseits und dem Recht der
Anbieter von Internetzugangsdiensten auf unternehmerische Freiheit und dem Recht der
Internetnutzer auf Informationsfreiheit andererseits herzustellen. Um den Abschreckungseffekt
zu gewährleisten, ist es allerdings erforderlich, dass die Nutzer, um nicht anonym handeln zu
können, ihre Identität offenbaren müssen, bevor sie das erforderliche Passwort erhalten.
Link zum vollständigen Urteil
18 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche
Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt
(„Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178, S. 1).
27
Das Verleihen elektronischer Bücher (E-Books) kann unter bestimmten Voraussetzungen
dem Verleihen herkömmlicher Bücher gleichgestellt werden
(Urteil in der Rechtssache C-174/15 Vereinigung Openbare Bibliotheken/Stichting Leenrecht)
In den Niederlanden fällt das Verleihen von E-Books nicht unter die Regelung, die für das
öffentliche Verleihen herkömmlicher Bücher gilt. Zurzeit stellen die öffentlichen Bibliotheken E-
Books über das Internet auf der Grundlage von Lizenzvereinbarungen mit den Rechtsinhabern
zur Verfügung.
Ein niederländischer Verband, in dem alle öffentlichen Bibliotheken in den Niederlanden
zusammengeschlossen sind, ist der Ansicht, dass die Regelung für herkömmliche Bücher auch
für das Verleihen von E-Books gelten müsse. Vor diesem Hintergrund erhob sie gegen eine
Stiftung, die mit der Erhebung der Urhebervergütung betraut ist, eine entsprechende
Feststellungsklage. Die Klage des Verbandes betrifft das nach dem „One-copy-one-user“-Modell
organisierte Verleihen, bei dem eine digitale Buchkopie in der Form verliehen wird, dass diese
Kopie auf dem Server einer öffentlichen Bibliothek abgelegt und es dem Nutzer ermöglicht wird,
diese durch Herunterladen auf seinem eigenen Computer zu reproduzieren, wobei nur eine
einzige Kopie während der Leihfrist heruntergeladen werden kann und der Nutzer nach Ablauf
der Leihfrist die von ihm heruntergeladene Kopie nicht mehr nutzen kann.
Eine Richtlinie der Union aus dem Jahr 200619, die unter anderem das Vermiet- und Verleihrecht
in Bezug auf Bücher behandelt, sieht vor, dass das ausschließliche Recht, das Vermieten oder
Verleihen eines Buchs zu erlauben oder zu verbieten, dem Urheber des Werks zusteht. Die
Mitgliedstaaten können jedoch hinsichtlich des öffentlichen Verleihwesens Ausnahmen von
diesem ausschließlichen Recht vorsehen, sofern zumindest die Urheber eine angemessene
Vergütung erhalten. Damit stellt sich die Frage, ob diese Ausnahme auch auf das Verleihen von
E-Books nach dem „One-copy-one-user“-Modell Anwendung findet.
In seinem Urteil von 10. November 2016 stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass es keinen
zwingenden Grund dafür gibt, das Verleihen von digitalen Kopien und von unkörperlichen
Gegenständen in jedem Fall vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Diese
Schlussfolgerung wird im Übrigen durch das mit der Richtlinie verfolgte Ziel gestützt, wonach
das Urheberrecht an neue wirtschaftliche Entwicklungen angepasst werden muss. Außerdem liefe
ein vollständiger Ausschluss des digitalen Verleihens vom Anwendungsbereich der Richtlinie dem
allgemeinen Grundsatz zuwider, der ein hohes Schutzniveau für die Urheber vorschreibt.
Dem Gerichtshof zufolge erfasst der Begriff des „Verleihens“ im Sinne der Richtlinie auch das
„One-copy-one-user“-Modell.
Link zum vollständigen Urteil
19 Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und
Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. 2006, L 376, S. 28).
28
Die Dienstleistungsrichtlinie steht dem Erfordernis entgegen, bei Stellung eines
Genehmigungsantrags die mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden
Genehmigungsregelung verbundenen Kosten zu zahlen
(Urteil in der Rechtssache C-316/15 Timothy Martin Hemming, unter der Firma „Simply Pleasure Ltd“
handelnd, u. a. / Westminster City Council)
Der Rekursbewerber ist Inhaber einer Lizenz, die ihm den Betrieb von Sexshops in Westminster
gestattet. Für die Erteilung von Lizenzen für solche Etablissements ist in dieser Gemeinde der
Stadtrat von Westminster zuständig. Nach britischem Recht hat jeder, der einen Antrag auf
Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz stellt, eine von der zuständigen Behörde festgelegte
angemessene Gebühr zu entrichten. Diese Gebühr besteht aus zwei Teilen, einem für die
Antragsbearbeitung (der bei einer Ablehnung des Antrags nicht erstattet wird) und einem (sehr
viel höheren) für die Verwaltung der Lizenzregelung (der bei einer Ablehnung des Antrags zu
erstatten ist).
Nach Auffassung des Rekurswerbers hat der Stadtrat von Westminster, indem er die Zahlung
des zweiten Teils der Gebühr vorschrieb, gegen die Dienstleistungsrichtlinie20 verstoßen. Gemäß
dieser Richtlinie müssen die Kosten, die sich aus den Genehmigungsverfahren ergeben,
vertretbar und zu den Kosten des Verfahrens verhältnismäßig sein und dürfen diese nicht
übersteigen. Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs fragt, ob der zweite Teil der
Gebühr für einen Antragsteller gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßende
„Kosten“ darstellt, soweit der Betrag dieser Gebühr die Kosten der Antragsbearbeitung
übersteigt.
In seinem Urteil von 16. November 2016 antwortete der Gerichtshof, dass das Unionsrecht der
Erhebung einer Gebühr, von der ein Teil den mit der Verwaltung der Genehmigungsregelung
verbundenen Kosten entspricht, entgegensteht, und zwar auch dann, wenn dieser Teil bei einer
Ablehnung des Antrags zu erstatten ist.
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass der Umstand, dass eine Gebühr zu zahlen ist, eine
finanzielle Verpflichtung und damit „Kosten“ im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie darstellt,
unabhängig davon, dass der Betrag bei einer Ablehnung des Antrags später zurückerlangt
werden kann. Keinesfalls darf, so der Gerichtshof, der Betrag solcher Kosten die Kosten des in
Frage stehenden Genehmigungsverfahrens übersteigen. Der Gerichtshof hatte nämlich bereits
die Gelegenheit, im Hinblick auf eine Bestimmung des Unionsrechts klarzustellen, dass die
berücksichtigten Kosten nicht die Ausgaben für die allgemeine Überwachungstätigkeit der
betreffenden Behörde einschließen dürfen. Diese Erwägung gilt erst recht für die in der
Dienstleistungsrichtlinie genannten „Kosten der Verfahren“.
Link zum vollständigen Urteil
20 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).
29
Öffentliche Aufträge
Ein offenes System von Vereinbarungen, das von einer öffentlichen Behörde für den
Einkauf von Gütern verwendet wird, entspricht nicht einem Auftrag im Sinne des Rechts
der Europäischen Union
(Urteil im Fall C-410/14, Dr. Falk Pharma GmbH/ DAK-Gesundheit)
Eine deutsche Krankenkasse wendet ein Vergabeverfahren an, bei dem eine unbegrenzte Zahl
an Teilnehmern während der gesamten Laufzeit der Ausschreibung in den Vertrag einsteigen
kann. Dieses Verfahren sieht den Einstieg aller an der Ausschreibung interessierten
Unternehmen, die die Zulassungsbedingungen erfüllen, in die Vereinbarungen vor. Somit ist es
möglich mit all diesen Unternehmen identische Verträge mit vorbestimmten und nicht
verhandelbaren Konditionen abzuschließen. Des Weiteren können auch nach dem ersten
Vertragsabschluss andere Unternehmen, die die Zulassungsbedingungen erfüllen, zu den
gleichen Konditionen während der gesamten Laufzeit der Ausschreibung in den Vertrag
einsteigen.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Fall dem EuGH vorgelegt, mit der Frage, ob die
Richtlinie 2004/18/EG so zu interpretieren ist, dass es sich bei dem beschriebenen
Vergabeverfahren (und dem einzigen Vertragsabschluss) um eine öffentliche Ausschreibung
handelt.
Im Urteil vom 2. Juni 2016 bemerkte der EUGH, dass es das Ziel der Richtlinie 2004/18/EG ist,
der Bevorzugung inländischer Wirtschaftsteilnehmer entgegenzuwirken. Der EuGH stellte fest,
dass das Risiko, inländische Wirtschaftsteilnehmer zu bevorzugen, eng mit der Auswahl
verbunden ist, die der öffentliche Auftraggeber unter den zulässigen Angeboten vorzunehmen
beabsichtigt, sowie mit der Ausschließlichkeit, die sich für den Wirtschaftsteilnehmer, dessen
Angebot angenommen wurde, oder – im Fall einer Rahmenvereinbarung – für die
Wirtschaftsteilnehmer, deren Angebote angenommen wurden, aus dem erteilten Zuschlag ergibt,
was Sinn und Zweck eines öffentlichen Vergabeverfahrens ist.
Strebt folglich eine öffentliche Einrichtung an, mit allen Wirtschaftsteilnehmern, die die
betreffenden Waren zu den von ihr vorgegebenen Bedingungen anbieten wollen, Lieferverträge
zu schließen, so hat die fehlende Auswahl eines Wirtschaftsteilnehmers, an den ein Auftrag mit
Ausschließlichkeit vergeben wird, zur Folge, dass das Tätigwerden dieses öffentlichen
Auftraggebers nicht den präzisen Regeln der Richtlinie 2004/18 unterworfen werden muss, um
zu verhindern, dass er bei der Auftragsvergabe inländische Wirtschaftsteilnehmer bevorzugt.
Ein solches Verfahren unterliegt, soweit sein Gegenstand ein eindeutiges grenzüberschreitendes
Interesse aufweist, den Grundregeln des AEUV, insbesondere den Grundsätzen der
Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer sowie dem sich daraus
ergebenden Transparenzgebot, das eine angemessene Bekanntmachung verlangt. Die
Mitgliedstaaten verfügen dabei in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden über einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass von Maßnahmen zur
Gewährleistung der Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des
Transparenzgebots.
Link zum Urteil des Gerichtshofs
30
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
Das Unionsrecht gestattet die Inhaftierung eines Asylwerbers, wenn dies aus Gründen der
öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist
(Urteil in der Rechtssache C-601/15, J.N./Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie)
Im Jahr 1995 stellte ein Asylwerber in den Niederlanden einen ersten Asylantrag, der im Jahr
1996 abgelehnt wurde. In den Jahren 2012 und 2013 stellte derselbe Asylwerber erneute
Anträge. Im Jahr 2014 lehnte der Staatssekretär den letzten dieser Anträge ab und verhängte
ein Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren. Von 1999 bis 2015 wurde der Asylwerber in
21 Fällen wegen verschiedener Straftaten (insbesondere Diebstähle) zu Geld- und
Freiheitsstrafen verurteilt. Zuletzt wurde er 2015 festgenommen. Er wurde erneut zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt und nach deren Verbüßung als Asylwerber inhaftiert. Während der
Verbüßung der Freiheitsstrafe hatte er nämlich einen vierten Asylantrag gestellt.
In diesem Kontext hat der mit der Klage befasste niederländische Staatsrat dem Gerichtshof eine
Frage vorgelegt. Er fragt nach der Gültigkeit der Richtlinie 2013/3321, nach der ein Asylwerber
inhaftiert werden kann, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen
Ordnung erforderlich ist.
Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 15. Februar 2016 zunächst fest, dass die in der
Richtlinie vorgesehene Inhaftierung einer von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl
dienenden Zielsetzung tatsächlich entspricht. Er wies darauf hin, dass der Schutz der nationalen
Sicherheit und der öffentlichen Ordnung auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer
beiträgt. Nach der Grundrechtecharta der EU hat jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit,
sondern auch auf Sicherheit.
Angesichts des Rechts auf Freiheit und der Schwere des in einer Inhaftierung bestehenden
Eingriffs hebt der Gerichtshof hervor, dass sich die Einschränkungen der Ausübung dieses Rechts
auf das absolut Notwendige beschränken müsse.
Er fügte hinzu, dass der Begriff der öffentlichen Sicherheit sowohl die innere als auch die äußere
Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst. Infolgedessen können die Beeinträchtigung des
Funktionierens der Einrichtung des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das
Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen
Beziehungen die öffentliche Sicherheit berühren.
Der Gerichtshof führte schließlich aus, dass die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 2013/33
eingeräumte Befugnis, Personen aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen
Ordnung zu inhaftieren, nicht gegen das Schutzniveau der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt, die die Inhaftierung einer Person gestattet, gegen
die ein Ausweisungsverfahren „im Gange“ ist.
Im Ergebnis stellte der Gerichtshof fest, dass die Gültigkeit der Richtlinie 2013/33 durch die
Gestattung solcher Inhaftierungsmaßnahmen, deren Umfang aufgrund der Erfordernisse der
Verhältnismäßigkeit eng begrenzt sind, nicht in Frage gestellt wird.
21 RL 2013/33/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen.
31
Link zum vollständigen Urteil
32
Ein Tatverdächtiger kann in einem Schengen-Staat erneut strafrechtlich verfolgt werden,
wenn die frühere Strafverfolgung in einem anderen Schengen-Staat ohne eingehende
Ermittlungen eingestellt worden ist
(Urteil in der Rechtssache C-486/14 Piotr Kossowski)
Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft einem Beschuldigten vor, in Hamburg eine schwere
räuberische Erpressung begangen zu haben. Das Landgericht Hamburg lehnte die Eröffnung des
Hauptverfahrens jedoch mit der Begründung ab, dass dem der Grundsatz ne bis in idem, wie er
im Schengen-Raum gilt, entgegenstehe. Nach diesem Grundsatz darf eine Person wegen
derselben Straftat nicht zweimal verfolgt oder bestraft werden. Im vorliegenden Fall hatte die
Kreisstaatsanwaltschaft Kołobrzeg in Polen, wo der Beschuldigte wegen einer anderen Straftat
festgenommen worden war, wegen derselben Tat bereits ein Ermittlungsverfahren gegen ihn
eröffnet und dieses mangels hinreichenden Tatverdachts endgültig eingestellt. In Polen wurden
keine eingehenderen Ermittlungen durchgeführt.
Das von der Staatsanwaltschaft Hamburg angerufene Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg
ersucht den Gerichtshof um Präzisierung der Tragweite des Grundsatzes ne bis in idem. Es
möchte insbesondere wissen, ob der Beschuldigte der Beschluss der polnischen
Staatsanwaltschaft, welcher ohne eingehende Ermittlungen22 erlassen wurde, einer erneuten
Strafverfolgung wegen derselben Tat in Deutschland entgegenstünde.
In seinem Urteil vom 29. Juni 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass der Grundsatz ne bis in
idem das Ziel verfolgt, einem Betroffenen zu garantieren, dass er sich, wenn er in einem
Schengen-Staat verurteilt worden ist und die Strafe verbüßt hat oder gegebenenfalls endgültig
freigesprochen worden ist, im Schengen-Raum bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass
er in einem anderen Schengen-Staat wegen derselben Tat verfolgt wird. Dieser Grundsatz
verfolgt jedoch nicht das Ziel, einen Verdächtigen davor zu schützen, dass er möglicherweise
wegen derselben Tat in mehreren Schengen-Staaten aufeinanderfolgenden Ermittlungen
ausgesetzt ist.
Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem auf einen Einstellungsbeschluss, den die
Justizbehörden eines Schengen-Staates ohne jede eingehende Prüfung des dem Angeschuldigten
vorgeworfenen rechtswidrigen Verhaltens erlassen haben, liefe dem Zweck des Raums der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der in der Bekämpfung der Kriminalität besteht,
offensichtlich zuwider und könnte das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander
gefährden. Daher hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass der vorliegende Beschluss der
Staatsanwaltschaft, mit dem das Strafverfahren beendet und das Ermittlungsverfahren gegen
eine Person (ohne die Auferlegung von Sanktionen) endgültig eingestellt wird, nicht als
rechtskräftige Entscheidung im Sinne des Grundsatzes ne bis in idem eingestuft werden kann,
wenn aus der Begründung dieses Beschlusses hervorgeht, dass dieses Verfahren eingestellt
wurde, ohne dass eingehende Ermittlungen durchgeführt worden wären.
Link zum vollständigen Urteil
22 Nach Ansicht des Oberlandesgerichts unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache im Hinblick hierauf von der
Rechtssache, in der das Urteil des Gerichtshofs vom 5. Juni 2014, M, (C-398/12), ergangen ist.
33
Der Gerichtshof bekräftigt, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten während der
ersten drei Monate ihres Aufenthalts bestimmte Sozialleistungen versagt werden dürfen
(Urteil in der Rechtssache C-299/14 Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen / Jovanna García-Nieto
u.a.)
Deutsche Rechtsvorschriften sehen vor, dass Ausländer während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts
grundsätzlich von sozialen Leistungen ausgeschlossen sind. Deswegen hat ein deutsches Jobcenter
abgelehnt, einem spanischen Bürger und seinem Sohn für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in
Deutschland Leistungen der Grundsicherung nach deutschem Recht zu gewähren.
Im Rahmen der Klage, die der spanische Staatsangehörige gegen die Entscheidung des Jobcenters erhoben
hat, fragte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen den EuGH, ob Art. 24 der Richtlinie 2004/3823 und
Art. 4 der Verordnung Nr. 883/200424 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der
Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger
Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der
„Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden.
Mit seinem Urteil von 25. Februar 2016 bekräftigte der Gerichtshof seine neuere Rechtsprechung25, wonach
ein Mitgliedstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten während der ersten drei Monate ihres
Aufenthalts von bestimmten Sozialleistungen ausschließen kann.
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass Unionsbürger nach der „Unionsbürgerrichtlinie“ das Recht auf
Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten haben, wobei sie
lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein müssen und ansonsten keine
weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen brauchen. Da die Mitgliedstaaten von
Unionsbürgern während dieses Zeitraums nicht verlangen dürfen, dass sie über ausreichende Mittel zur
Bestreitung des Lebensunterhalts und eine persönliche Absicherung für den Krankheitsfall verfügen, erlaubt
die Richtlinie den Mitgliedstaaten, zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Systeme der sozialen
Sicherheit den betreffenden Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts jegliche
Sozialhilfeleistungen zu verweigern.
Link zum vollständigen Urteil
23 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG. 24 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. 25 Urteile des Gerichtshofs vom 15. September 2015, Alimanovic (C-67/14) und vom 11. November 2014, Dano (C-333/13).
34
Die Dublin-III-Verordnung gestattet den Mitgliedstaaten, eine Person, die um internationalen
Schutz ansucht, in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen, unabhängig davon,
ob es sich um den für die Bearbeitung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat oder einen
anderen Mitgliedstaat handelt
(Urteil in der Rechtssache C-695/15 PPU Shiraz Baig Mirza/Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal)
Im August 2015 reiste ein pakistanischer Staatsangehöriger rechtswidrig aus Serbien in das
ungarische Hoheitsgebiet ein und stellte dort einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Während das Verfahren lief, verließ er den ihm von den ungarischen Behörden zugewiesenen
Aufenthaltsort. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015 schlossen diese Behörden die Prüfung seines
Antrags mit der Begründung ab, dass der Antragsteller ihn stillschweigend zurückgenommen
habe.
In der Folge wurde er in der Tschechischen Republik aufgegriffen, als er versuchte, nach
Österreich zu gelangen. Die tschechischen Behörden ersuchten Ungarn, ihn wiederaufzunehmen;
Ungarn entsprach diesem Ersuchen. Der pakistanische Staatsangehörige stellte daraufhin in
Ungarn einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Am 19. November 2015 wiesen die
ungarischen Behörden diesen Antrag ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig zurück. Sie
vertraten nämlich die Ansicht, dass Serbien für den Antragsteller ein sicherer Drittstaat sei.
Der pakistanische Staatsangehörige hat dagegen Klage erhoben. Das beauftragte Gericht möchte
vom Gerichtshof wissen, ob ein Asylwerber in einen sicheren Drittstaat zurück- oder ausgewiesen
werden kann, obwohl die tschechischen Behörden offenbar nicht über die ungarische Regelung
und Praxis der Überstellung von Personen, die um internationalen Schutz ansuchen, in sichere
Drittstaaten unterrichtet wurden.
In seinem Urteil vom 17. März 2016 stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass ein Mitgliedstaat
das Recht, eine Person, die um internationalen Schutz ansucht, in einen sicheren Drittstaat
zurück- oder auszuweisen, auch ausüben kann, nachdem er im Rahmen eines
Wiederaufnahmeverfahrens seine Zuständigkeit nach der Dublin-III-Verordnung26 für die
Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz bejaht hat, der von einer Person gestellt wurde,
die diesen Mitgliedstaat verlassen hat, bevor über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz
in der Sache entschieden worden war.
Sodann stellte der Gerichtshof fest, dass die Dublin-III-Verordnung im Rahmen des Verfahrens
zur Wiederaufnahme einer Person, die um internationalen Schutz ansucht, den zuständigen
Mitgliedstaat (in diesem Fall Ungarn) nicht verpflichtet, den überstellenden Mitgliedstaat
(Tschechische Republik) über den Inhalt seiner nationalen Regelung im Bereich der Zurück- oder
Ausweisung von Antragstellern in sichere Drittstaaten oder seine Verwaltungspraxis in diesem
Bereich zu unterrichten.
Schließlich entschied der Gerichtshof, dass das Recht der um internationalen Schutz
ansuchenden Person darauf, dass in einer Situation wie der hier in Rede stehenden abschließend
über ihren Antrag entschieden wird, sei es im Rahmen des unterbrochenen Verfahrens oder sei
26 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L180, S.31)
35
es im Rahmen eines neuen Verfahrens, in dem sein Antrag nicht als Folgeantrag behandelt wird,
nicht impliziert, dass der zuständige Mitgliedstaat daran gehindert
ist, den Antrag für unzulässig zu erklären, oder dass er die Prüfung des Antrags in einem
bestimmten Verfahrensstadium wiederaufnehmen muss.
Link zum vollständigen Urteil
36
Der Gerichtshof äußert sich zum Verhältnis zwischen der Freizügigkeit von Personen,
denen internationaler Schutz gewährt wurde, und den Maßnahmen, die darauf abzielen, die
Integration dieser Personen zu erleichtern
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-443/14 und C-444/14, Kreis Warenhof / Ibrahim Alo und Amira
Osso / Region Hannover)
Nach der Richtlinie der Union27 müssen die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen,
denen sie den subsidiären Schutzstatus28 zuerkannt haben, in ihrem Hoheitsgebiet unter den
gleichen Bedingungen und Einschränkungen gestatten wie für andere Nicht-EU-Bürger, die sich
rechtmäßig dort aufhalten.
Nach deutschem Recht wird die Aufenthaltserlaubnis von Personen mit subsidiärem
Schutzstatus, die soziale Leistungen beziehen, mit der Auflage verbunden, ihren Wohnsitz an
einem bestimmten Ort zu nehmen (im Folgenden: Wohnsitzauflage). Mit dieser Auflage kann
unter anderem das Ziel verfolgt werden, die Integration von Nicht-EU-BürgerInnen in die
deutsche Gesellschaft zu erleichtern.
Zwei syrischen StaatsbürgerInnen wurde in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt. Ferner
wurde ihnen eine Wohnsitzauflage erteilt, die sie vor den deutschen Gerichten anfechten.
Mit seinem Urteil vom 1. März 2016 stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass die Richtlinie die
Mitgliedstaaten verpflichtet, den Personen, denen sie den subsidiären Schutzstatus zuerkannt
haben, nicht nur zu gestatten, sich in ihrem Hoheitsgebiet frei zu bewegen, sondern auch, dort
ihren Wohnsitz zu wählen. Folglich stellt eine diesen Personen erteilte Wohnsitzauflage eine
Einschränkung der durch die Richtlinie gewährleisteten Freizügigkeit dar.
Der Gerichtshof hob weiters hervor, dass Personen mit subsidiärem Schutzstatus in Bezug auf
die Wahl ihres Wohnsitzes grundsätzlich keiner strengeren Regelung unterworfen werden dürfen
als andere Nicht-EU-BürgerInnen, die sich regelmäßig im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.
Gleichwohl hielt der Gerichtshof es für zulässig, eine Wohnsitzauflage nur Personen mit
subsidiären Schutzstatus zu erteilen, wenn diese sich im Hinblick auf das mit der fraglichen
nationalen Regelung verfolgte Ziel nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation anderer
Nicht-EU-BürgerInnen, die sich regelmäßig in den betreffenden Mitgliedstaaten aufhalten, oder
von Angehörigen dieses Staates objektiv vergleichbar ist.
Das Bundesverwaltungsgericht wird prüfen müssen, ob Personen mit subsidiärem Schutzstatus,
die Sozialhilfe beziehen, in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als
andere Nicht-EU-BürgerInnen, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und Sozialhilfe
beziehen. Sofern sich diese beiden Personengruppen im Hinblick auf das Ziel, die Integration von
Nicht-EU-BürgerInnen in Deutschland zu erleichtern, nicht in einer vergleichbaren Situation
befinden, steht die Richtlinie einer Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus
zur Förderung ihrer Integration nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn die Auflage nicht für
andere Nicht-EU-BürgerInnen gilt, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten.
Link zum vollständigen Urteil
27 Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9). 28 Der subsidiäre Schutzstatus kann Nicht-EU-Bürgern gewährt werden, die nicht als Flüchtlinge eingestuft werden, aber aus ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen internationalen Schutz benötigen.
37
Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf Familienzusammenführung ablehnen, wenn
sich aus einer Prognose ergibt, dass der Zusammenführende während des Jahres nach der
Antragstellung nicht über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügen wird
(Urteil in der Rechtssache C-558/14, Mimoun Khachab / Subdelegación del Gobierno en Álava)
Die Familienzusammenführungsrichtlinie29 soll die Zusammenführung von Familienangehörigen
fördern, die keine EU-BürgeInnen sind. Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten u.a. dem
Ehegatten des Zusammenführenden die Einreise und den Aufenthalt gestatten, sofern bestimmte
Bedingungen erfüllt sind. Die Mitgliedstaaten dürfen einen Antrag auf Familienzusammenführung
ablehnen oder gegebenenfalls den Aufenthaltstitel eines Familienangehörigen entziehen oder
seine Verlängerung verweigern, wenn die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen nicht oder
nicht mehr erfüllt sind.
Nach spanischem Recht darf eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung nicht
erteilt werden, wenn zweifelsfrei festgestellt wird, dass keine Aussicht auf eine Beibehaltung der
finanziellen Mittel des Zusammenführenden im Laufe des ersten Jahres nach dem Tag der
Antragstellung besteht.
Einem Angehörigen eines Nicht-EU-Staates, der in Spanien wohnt und dort eine Erlaubnis zum
langfristigen Aufenthalt besitzt, wurde im März 2012 der Nachzug seiner Ehegattin zwecks
Familienzusammenführung verweigert. Der Widerspruch und die Klage gegen die
Ablehnungsentscheidung wurden u.a. mit der Begründung abgewiesen, dass nichts darauf
hindeute, dass der Antragsteller während des Jahres nach Stellung des Antrags auf
Familienzusammenführung über ausreichende Einkünfte verfügen werde.
Das zuständige Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht für das Baskenland) hat
Zweifel, ob die spanische Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist. Es fragt sich, ob es für einen
Anspruch auf Familienzusammenführung ausreichen muss, dass der Zusammenführende zum
Zeitpunkt der Antragstellung über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte verfügt, oder
ob auch die Frage berücksichtigt werden darf, ob er über diese Einkünfte noch während des
Jahres nach diesem Zeitpunkt verfügen wird.
Mit seinem Urteil vom 21. April 2016 erklärte der Gerichtshof die spanischen Rechtsvorschriften
für mit der Richtlinie vereinbar.
Auch wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich die Befugnis einräumt, zu prüfen,
ob die Voraussetzung fester, regelmäßiger und ausreichender Einkünfte des
Zusammenführenden über den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf
Familienzusammenführung hinaus fortbestehen wird, kann sie nicht dahin ausgelegt werden,
dass sie einer solchen Befugnis entgegensteht. Die Richtlinie sieht nämlich ausdrücklich vor, dass
die Mitgliedstaaten die Regelmäßigkeit der Einkünfte prüfen müssen. Der Zusammenführende
muss nicht nur nachweisen, dass er zum Zeitpunkt der Prüfung seines Antrags auf
Familienzusammenführung über ausreichende Einkünfte verfügt, sondern diese Einkünfte
müssen auch fest und regelmäßig sein, was eine prognostische Prüfung dieser Einkünfte durch
die zuständige nationale Behörde voraussetzt.
29 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12).
38
Link zum vollständigen Urteil
39
Rechtsangleichung
Ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht muss, nachdem der Gerichtshof der
Europäischen Union bereits eine eindeutige Antwort auf eine Frage gegeben hat, selbst
alles Erforderliche tun, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird
(Urteil in der Rechtssache C-689/13, Puligienica Facility Esco SpA (PFE)/Airgest SpA)
Im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Unternehmen über die Rechtmäßigkeit der
Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags hat der Consiglio di giustizia amministrativa
per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) beschlossen,
das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung
vorzulegen.
Unter anderem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist,
dass es, nachdem der Gerichtshof eine von ihm gestellte Frage nach der Auslegung des
Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits eine
eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht, selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese
Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.
In seinem Urteil vom 5. April 2016 hielt der Gerichtshof fest, dass die praktische Wirksamkeit
von Art. 267 AEUV geschmälert würde, wenn es dem nationalen Gericht verwehrt wäre, das
Unionsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs
unmittelbar anzuwenden.
Das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts
anzuwenden hat, ist angehalten, für ihre volle Wirksamkeit zu sorgen, indem es
erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift aus
eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung
dieser Vorschrift auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes
verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.
Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen wäre nämlich jede Bestimmung
einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis
unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde,
dass dem für dessen Anwendung zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits
zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um von innerstaatlichen
Rechtsvorschriften abzuweichen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit
der Unionsnormen bilden.
Abschließend stellte der Gerichtshof fest, dass Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine
Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, nachdem der Gerichtshof eine ihm von
ihr gestellte Frage nach der Auslegung des Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der
Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits eine eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht,
selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.
Link zum vollständigen Urteil
40
Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften
des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, findet auf
Insolvenzverfahren Anwendung
(Urteil in der Rechtssache C-377/14, Ernst Georg Radlinger und Helena Radlingerová / Finway a.s.)
Im August 2011 schloss ein tschechisches Ehepaar mit der Gesellschaft Smart Hypo einen
Vertrag über einen Verbraucherkredit in Höhe von umgerechnet ca. 43 300 Euro. Sie
verpflichteten sich, an die Kreditgeberin den Kredit in 120 Monatsraten zurückzuzahlen und ihr,
für den Fall, dass es ihnen nicht gelänge, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen,
bedeutende Vertragsstrafen zu zahlen. Im September 2011 forderte die Gesellschaft Finway, an
die Smart Hypo ihre Forderungen gegen das Ehepaar abgetreten hatte, das Ehepaar auf, ihr
unverzüglich die gesamte Schuld einschließlich Zinsen, Kosten und Vertragsstrafen
zurückzuzahlen. Dies wurde damit begründet, dass die Eheleute sie bei Abschluss des Vertrags
nicht darüber informiert hätten, dass eine Zwangsvollstreckung wegen eines Betrags von
umgerechnet ca. 160 Euro in ihr Grundeigentum angeordnet worden sei.
Im April 2013 eröffnete der Krajský soud v Praze (Regionalgericht Prag, Tschechische Republik)
ein Insolvenzverfahren über das Ehepaar.
In diesem Zusammenhang hat das zuständige Gericht dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt. Erstens, ob die Vorschriften des Unionsrechts über den
Verbraucherschutz den tschechischen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die es dem
Insolvenzgericht nicht erlauben, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer in einem
Verbrauchervertrag festgelegten Vertragsklausel zu prüfen. Zweitens, ob das nationale Gericht
von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Informationen über Verbraucherkreditverträge, die in
diesen aufgeführt sein müssen, klar und prägnant angegeben worden sind.
Mit seinem Urteil vom 21. April 2016 bejahte der Gerichtshof diese Fragen. Er befand, dass die
Richtlinie über missbräuchliche Klauseln30 der nationalen Regelung entgegensteht, welche es
dem Gericht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht erlaubt, den missbräuchlichen
Charakter einer in einem Verbrauchervertrag festgelegten Klausel zu prüfen, obwohl das Gericht
über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.
Außerdem stellte der Gerichtshof fest, dass nach der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge31
ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über Forderungen aus einem solchen Vertrag
anhängig ist, ebenfalls von Amts wegen prüfen muss, ob die Informationen über den Kredit (wie
beispielsweise der effektive Jahreszins), die in diesem Vertrag aufgeführt sein müssen, in klarer
und prägnanter Form angegeben worden sind.
Link zum vollständigen Urteil
30 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S.29). 31 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133, S. 66, und Berichtigungen im ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl 2011, L 234, S. 46).
41
Das Unionsrecht schützt den europäischen Markt vor kosmetischen Mitteln, deren
Bestandteile in Tierversuchen bestimmt worden sind
(Urteil in der Rechtssache C-592/14 European Federation for Cosmetic Ingredients/Secretary of State for
Business, Innovation and Skills u. a.)
Drei Mitglieder des Wirtschaftsverbandes, welcher Hersteller von in kosmetischen Mitteln
verwendeten Bestandteilen in der Europäischen Union vertritt, führten außerhalb der Union
Tierversuche durch, um kosmetische Mittel, die bestimmte Bestandteile enthalten, in China und
in Japan verkaufen zu können. Der Wirtschaftsverband erhob bei einem britischen Gericht eine
Klage, um klären zu lassen, ob sich die drei Unternehmen strafbar machen, wenn sie kosmetische
Mittel auf den britischen Markt bringen, deren Bestandteile durch diese Tierversuche bestimmt
wurden.
Die Verordnung über kosmetische Mittel32 untersagt das Inverkehrbringen von Mitteln, deren
Bestandteile zur Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durch Tierversuche bestimmt
worden sind. Der Wirtschaftsverband machte geltend, dass kein Verstoß gegen diese Verordnung
vorliege, wenn die Tierversuche durchgeführt worden seien, um die Rechtsvorschriften von
Drittländern einzuhalten. Der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division
(Administrative Court) ersucht den Gerichtshof um Klärung dieser Frage.
Mit seinem Urteil vom 21. September 2016, gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass das
Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln auf dem Unionsmarkt, bei denen einige Bestandteile
durch Tierversuche außerhalb der Union bestimmt worden sind, um diese Mittel in Drittländern
vermarkten zu können, verboten werden kann, wenn die bei diesen Versuchen gewonnenen
Daten verwendet werden, um die Sicherheit der betreffenden Mittel im Hinblick auf ihr
Inverkehrbringen auf dem Unionsmarkt nachzuweisen.
Unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und der mit der Verordnung verfolgten Ziele führte
der Gerichtshof aus, dass diese darauf abzielt, Bedingungen für den Zugang von kosmetischen
Mitteln zum Unionsmarkt festzulegen und ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten,
wobei zugleich durch das Verbot von Tierversuchen für das Wohlergehen der Tiere gesorgt
werden soll. Der Gerichtshof stellte hierzu fest, dass nur bei den Tierversuchsergebnissen, die in
dem Sicherheitsbericht für das kosmetische Mittel angeführt sind, davon ausgegangen werden
kann, dass sie sich auf Versuche beziehen, die zur Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung
durchgeführt worden sind. Unerheblich ist daher, dass es dieser Tierversuche bedurfte, um die
Vermarktung kosmetischer Mittel in Drittländern zu ermöglichen.
Link zum vollständigen Urteil
32 Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel (ABl. 2009, L 342, S. 59).
42
Der Betreiber einer Website kann ein berechtigtes Interesse daran haben, bestimmte
personenbezogene Daten der Nutzer zu speichern, um sich gegen Cyberattacken zu
verteidigen
(Urteil in der Rechtssache C-582/14 Patrick Breyer / Bundesrepublik Deutschland)
Ein deutscher Bürger klagt vor deutschen Gerichten dagegen, dass die von ihm abgerufenen
Websites von Einrichtungen des Bundes seine Internetprotokoll-Adressen („IP-Adressen“)
aufzeichnen und speichern. Von diesen Einrichtungen werden die IP-Adressen der Nutzer
aufgezeichnet und gespeichert, um sich gegen Cyberattacken zu wappnen und eine
Strafverfolgung zu ermöglichen.
Der deutsche Bundesgerichtshof möchte vom Gerichtshof wissen, ob in diesem Zusammenhang
auch „dynamische“ IP-Adressen33 für den Betreiber der Website personenbezogene Daten
darstellen, so dass sie den für solche Daten vorgesehenen Schutz genießen.
Mit seinem Urteil von 19. Oktober antwortete der Gerichtshof zunächst, dass eine dynamische
IP-Adresse, die von einem „Anbieter von Online-Mediendiensten“ (d. h. vom Betreiber einer
Website, hier den Einrichtungen des Bundes) beim Zugriff auf seine allgemein zugängliche
Website gespeichert wird, für den Betreiber ein personenbezogenes Datum darstellt, wenn er
über rechtliche Mittel verfügt, die es ihm erlauben, den Nutzer anhand der Zusatzinformationen,
über die dessen Internetzugangsanbieter verfügt, bestimmen zu lassen.
Zweitens antowortete der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer Regelung eines Mitgliedstaats
entgegensteht, nach der ein Anbieter von Online-Mediendiensten personenbezogene Daten eines
Nutzers dieser Dienste ohne dessen Einwilligung nur erheben und verwenden darf, soweit ihre
Erhebung und ihre Verwendung erforderlich sind, um die konkrete Inanspruchnahme der Dienste
durch den betreffenden Nutzer zu ermöglichen und abzurechnen, ohne dass der Zweck, die
generelle Funktionsfähigkeit der Dienste zu gewährleisten, die Verwendung der Daten über das
Ende eines Nutzungsvorgangs hinaus rechtfertigen kann.
Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist nach dem Unionsrecht u. a. rechtmäßig, wenn
sie zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung
Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten
übermittelt werden, erforderlich ist, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und
Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen.
Die deutsche Regelung schränkt nach ihrer in der Lehre überwiegend vertretenen Auslegung die
Tragweite dieses Grundsatzes ein, indem sie es ausschließt, dass der Zweck, die generelle
Funktionsfähigkeit des Online-Mediums zu gewährleisten, Gegenstand einer Abwägung mit dem
Interesse oder den Grundrechten und Grundfreiheiten der Nutzer sein kann. Der Gerichtshof hob
in diesem Zusammenhang hervor, dass die Einrichtungen des Bundes, die Online-Mediendienste
anbieten, ein berechtigtes Interesse daran haben könnten, die Aufrechterhaltung der
33 Eine „dynamische“ IP-Adresse ist eine IP-Adresse, die sich bei jeder neuen Internetverbindung ändert. Anders als statische IP-Adressen erlauben dynamische IP-Adressen es nicht, anhand allgemein zugänglicher Dateien eine Verbindung zwischen einem Computer und dem vom Internetzugangsanbieter verwendeten physischen Netzanschluss herzustellen.
43
Funktionsfähigkeit der von ihnen allgemein zugänglich gemachten Websites über ihre konkrete
Nutzung hinaus zu gewährleisten.
Link zum vollständigen Urteil
44
Soziale Sicherheit
Das Vereinigte Königreich kann verlangen, dass Bezieher von Kindergeld und
der Steuergutschrift für Kinder ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben
(Urteil in der Rechtssache C-308/14 Kommission/Vereinigtes Königreich)
Bei der Kommission gingen zahlreiche Beschwerden von sich im Vereinigten Königreich
aufhaltenden nicht britischen EU-Bürgern ein. Diese beschwerten sich darüber, dass sich die
zuständigen britischen Behörden weigerten, ihnen bestimmte soziale Leistungen zu gewähren,
weil sie kein Aufenthaltsrecht in diesem Land besäßen.
Die Kommission hat daraufhin gegen das Vereinigte Königreich eine Vertragsverletzungsklage
erhoben, da die britischen Rechtsvorschriften eine Ungleichbehandlung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit bewirken würden. Sie hat darauf hingewiesen, dass die britischen
Rechtsvorschriften bei einem Antrag auf bestimmte soziale Leistungen eine Prüfung
vorschreiben, ob sich der jeweilige Antragsteller rechtmäßig im Vereinigten Königreich aufhalte.
Die Kommission hielt diese Bedingung für diskriminierend und für mit dem Geist der genannten
Verordnung unvereinbar, die lediglich auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragstellers
abstelle.
In seinem Urteil vom 14. Juni 2016 wies der Gerichtshof die Klage der Kommission ab. Er stellte
zunächst fest, dass die in Rede stehenden Leistungen solche der sozialen Sicherheit sind und
damit in den Geltungsbereich der Verordnung fallen.
Sodann wies der Gerichtshof das Hauptargument der Kommission zurück, wonach die britischen
Rechtsvorschriften eine zusätzliche Voraussetzung zu der in der Verordnung vorgesehenen
Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts aufstellten. Er wies insoweit darauf hin, dass das
Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der Verordnung keine notwendige
Voraussetzung für den Anspruch auf die Leistungen ist, sondern eine „Kollisionsnorm“, die die
gleichzeitige Anwendung verschiedener nationaler Rechte vermeiden und verhindern soll, dass
Personen, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, der Schutz vorenthalten wird. Sie legt
somit nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf die
Leistungen fest. In diesem Rahmen spricht nichts dagegen, dass die Gewährung von
Sozialleistungen an Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind, von dem Erfordernis abhängig
gemacht wird, dass diese die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im
Aufnahmemitgliedstaat erfüllen. Zu dem von der Kommission hilfsweise vorgetragenen
Argument, dass die Prüfung des Aufenthaltsrechts eine Diskriminierung darstelle, stellte der
Gerichtshof fest, dass die Voraussetzung des Rechts auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich
eine Ungleichbehandlung bewirkt, weil die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats sie
leichter erfüllen können als die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten.
Diese Ungleichbehandlung kann jedoch durch ein legitimes Ziel wie etwa die Notwendigkeit, die
Finanzen des Aufnahmemitgliedstaat zu schützen, gerechtfertigt werden, sofern sie nicht über
das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Link zum vollständigen Urteil
45
Sozialpolitik
Der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Verträge zur Deckung eines dauerhaften
Bedarfs im Bereich der Gesundheitsdienste verstößt gegen Unionsrecht
(Urteil in der Rechtssache C-16/15, María Elena Pérez López / Servicio Madrileño de Salud)
In Spanien hat eine Krankenschwester mittels identisch formulierter befristeter Arbeitsverträge
zwischen Februar 2009 und Juni 2013 ununterbrochen für ein Krankenhaus gearbeitet. Ihre
Ernennung wurde mit der „Ausführung bestimmter zeitlich begrenzter, konjunktureller oder
außerordentlicher Dienste“ gerechtfertigt.
Als sie von der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses informiert wurde, erhob sie Klage gegen
die Entscheidung. Nach ihrer Auffassung dienten ihre aufeinanderfolgenden Ernennungen nicht
der Deckung eines konjunkturellen oder außerordentlichen Bedarfs der Gesundheitsdienste,
sondern entsprachen in Wirklichkeit einer dauerhaften Tätigkeit. Das spanische
Verwaltungsgericht hat den Gerichtshof gefragt, ob die spanische Regelung, die die
Verlängerung befristeter Arbeitsverträge im Bereich der Gesundheitsdienste zulässt, gegen die
Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (eine Vereinbarung, nach der die
Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, um Missbräuchen durch die Verwendung
aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge vorzubeugen und die Prekarisierung der Lage
der Beschäftigten zu verhindern) verstößt.
Mit seinem Urteil vom 14. September entschied der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer
nationalen Regelung entgegensteht, die die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge zur
Deckung eines zeitweiligen Personalbedarfs ermöglicht, während dieser Bedarf in Wirklichkeit
ständig besteht.
Der Gerichtshof erkannte, dass die vorübergehende Vertretung eines Arbeitnehmers zur
Deckung eines zeitweiligen Bedarfs einen sachlichen Grund der Verlängerung befristeter
Arbeitsverträge darstellen kann. Er stellte jedoch fest, dass die Verträge nicht für ständige und
dauerhafte Aufgaben verlängert werden können, die zur normalen Tätigkeit des festen
Krankenhauspersonals gehören. Der sachliche Grund muss die Erforderlichkeit der Deckung
eines zeitweiligen und nicht eines ständigen Bedarfs konkret rechtfertigen können.
In diesen Fall ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die aufeinanderfolgenden Ernennungen
offensichtlich nicht auf einem bloß zeitweiligen Bedarf des Arbeitgebers beruhen. Der
Gerichtshof wies ferner darauf hin, dass für die spanische öffentliche Verwaltung keinerlei
Verpflichtung zur Schaffung von Planstellen besteht und dass es ihr freisteht, die Stellen durch
die Ernennung von für eine Übergangszeit beschäftigten Kräften zu besetzen, und zwar ohne
eine Beschränkung der Dauer der Verträge oder der Anzahl ihrer Verlängerungen.
Daher entschied der Gerichtshof, dass die spanische Regelung, indem sie trotz eines
strukturellen Mangels an Planstellen die Verlängerung von befristeten Verträgen zur Deckung
eines ständigen und dauerhaften Bedarfs zulässt, gegen die Rahmenvereinbarung verstößt.
Link zum Urteil des Gerichtshofs
46
Staatliche Beihilfen
Das Gericht bestätigt, dass eine Garantie, die ein Mitgliedstaat einer Bank im Rahmen ihrer
Umstrukturierung gewährt hat, eine staatliche Beihilfe darstellt, die jedoch mit dem
Unionsrecht vereinbar ist
(Urteil in der Rechtssache T-427/12, Österreich / Kommission)
Mit Beschlüssen vom 25. Juli 201234 und 5. Februar 201335 genehmigte die Kommission die
Umstrukturierung einer deutschen Bank. Sie stellte fest, dass bestimmte Maßnahmen des
Freistaats Bayern und Deutschlands zugunsten dieser Bank sowie eine dieser deutschen
Geschäftsbank von Österreich gewährte Finanzierungsgarantie in Höhe von 2,6 Mrd. Euro
staatliche Beihilfen im Sinne des Unionsrecht darstellten, die aber unter Berücksichtigung der
Zusagen Deutschlands und vorbehaltlich der von der Kommission verhängten Auflagen mit dem
Binnenmarkt vereinbar seien.
Österreich hat gegen diese Beschlüsse Nichtigkeitsklage erhoben, soweit sie die
Finanzierungsgarantie von 2,6 Mrd. Euro betreffen. Österreich habe niemals die Absicht gehabt,
der deutschen Bank eine Beihilfe zu gewähren. Insbesondere habe die Kommission zu Unrecht
das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt. Sollte es sich tatsächlich um eine staatliche
Beihilfe handeln, müsse sie für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden.
Mit dem Urteil vom 28. Januar 2016 wies das Gericht die Klage ab.
Das Gericht wies darauf hin, dass die deutsche Bank 67,08 % der Anteile einer österreichischen
Finanzgruppe bis zu deren Notverstaatlichung Ende 2009 hielt. Im Dezember 2009 verstaatlichte
Österreich diese Finanzgruppe, damit angesichts der prekären finanziellen Situation dieser Bank
Maßnahmen ergriffen werden. In diesem Kontext wurden die Anteile der Finanzgruppe von den
Aktionären zum symbolischen Preis von einem Euro pro Aktionär zu 100 % auf die Republik
Österreich übertragen. Im Rahmen des zwischen Österreich und der deutschen Bank
geschlossenen Kaufvertrags verpflichtete sich die deutsche Bank, dass ihre bestehenden
Kreditlinien zur konzerninternen Finanzierung in Höhe von 2,6 Mrd. Euro zugunsten der
Finanzgruppe bis Ende 2013 auf den Konten der Finanzgruppe verbleiben. Aufgrund dieser
Tatsache erhielt die deutsche Bank von Österreich eine Garantie über die Rückzahlung dieser
Finanzierung, so dass sie das Risiko, dem sie im Fall einer (künftigen) Zahlungsunfähigkeit der
Finanzgruppe ausgesetzt wäre, reduzierte.
Nach Ansicht des Gerichts hat die Kommission keinen Rechtsfehler begangen, als sie zu dem
Ergebnis kam, dass dieser Vorteil eine staatliche Beihilfe für die deutsche Bank darstellte und
diese mit ihrer Umstrukturierungsmitteilung und demzufolge mit dem Binnenmarkt vereinbar
war. Das Gericht stellte insbesondere fest, dass die Klage beim Handelsgericht Wien, die den
Erwerb der Finanzgruppe durch die deutsche Bank im Jahr 2007 betrifft, keinen Einfluss auf die
Frage hat, ob die fragliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt.
Link zum vollständigen Urteil
34 Beschluss C(2012) 5062 final vom 25. Juli 2012.
35 Beschluss (EU) 2015/657 vom 5. Februar 2013.
47
Das Gericht bestätigt die Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung der
von Frankreich, Irland und Italien für die Tonerdegewinnung gewährten Steuerbefreiungen
angeordnet wurde
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-50/06 RENV II Irland/Kommission und T-69/06 RENV II Aughinish
Alumina/Kommission, in der Rechtssache T-56/06 RENV II Frankreich/Kommission sowie in den verbundenen
Rechtssachen T-60/06 RENV II Italien/Kommission und T-62/06 RENV II Eurallumina/Kommission)
In Irland, Italien und Frankreich gibt es jeweils nur einen Tonerdehersteller. Die drei
Mitgliedstaaten befreiten diese Unternehmen von der Verbrauchsteuer auf die bei der
Tonerdegewinnung verwendeten Mineralöle. Der Rat genehmigte die Befreiungen. Die
Genehmigungen wurden verlängert und galten bis zum 31. Dezember 2006.
In der Folge stellte die Kommission jedoch fest, dass diese aus staatlichen Mitteln finanzierten
Maßnahmen den begünstigten Unternehmen einen Vorteil verschafften, selektiv seien, den
Wettbewerb verfälschten und den Gemeinsamen Markt beeinträchtigten. Sie erließ daher 2005
eine Entscheidung,36 in der sie feststellte, dass die von Frankreich, Irland und Italien gewährten
Befreiungen für schwere Mineralöle, die zur Tonerdegewinnung verwendet würden, rechtswidrige
staatliche Beihilfen dargestellt hätten.
Die Entscheidung der Kommission von 2005 wurde vom Gericht der Europäischen Union auf eine
im Jahr 2006 von den drei Mitgliedstaaten erhobene Klage hin im Jahr 2007 wegen Verstoßes
gegen die Begründungspflicht für nichtig erklärt.37 Die Kommission legte dagegen ein
Rechtsmittel ein, woraufhin der Gerichtshof38 das Urteil des Gerichts 2009 wegen Verstoßes
gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und Verletzung der Verteidigungsrechte
aufhob und die Rechtssachen an das Gericht zurückverwies.
2012 entschied das Gericht erneut und erklärte die Entscheidung der Kommission von 2005 für
nichtig,39 weil mit ihr die Rechtswirkungen der vorausgegangenen Entscheidungen des Rates, die
Befreiungen zu genehmigen, teilweise zunichtegemacht worden seien. Bei der Prüfung der
Klagegründe stellte das Gericht u.a. fest, dass die streitigen Befreiungen nicht den
Mitgliedstaaten, sondern dem Rat zuzurechnen seien und daher keine staatlichen Beihilfen
darstellten.
Die Kommission legte ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts ein, woraufhin es 2013 vom
Gerichtshof aufgehoben wurde. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Gesichtspunkt der
Zurechenbarkeit der Befreiungen nicht von den Parteien aufgeworfen, sondern vom Gericht von
Amts wegen berücksichtigt worden sei, wozu es aber nicht befugt gewesen sei. Außerdem sei
die Kommission durch Entscheidungen des Rates, mit denen einem Mitgliedstaat die
Genehmigung zur Vornahme einer Befreiung erteilt werde, nicht daran gehindert, zu prüfen, ob
die Befreiung eine staatliche Beihilfe darstelle.40 Der Gerichtshof verwies die Rechtssachen daher
erneut an das Gericht zurück.
36 Entscheidung 2006/323/EG der Kommission vom 7. Dezember 2005 über die Befreiung von der Verbrauchsteuer auf Mineralöle, die als Brennstoff zur Tonerdegewinnung in den Regionen Gardanne und Shannon und auf Sardinien verwendet werden, durch Frankreich, Irland und Italien (ABl. 2006, L 119, S. 12). 37 Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2007, Irland u. a./Kommission (verbundene Rechtssachen T-50/06, T-56/06, T-62/06, T-62/06, T-69/06). 38 Urteil des Gerichtshofs vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a. (C-89/08 P). 39 Urteil des Gerichts vom 21. März 2012, Irland u. a./Kommission (verbundene Rechtssachen T-50/06 RENV, T-56/06 RENV, T-60/06 RENV, T-62/06 RENV und T-69/06 RENV. 40 Urteil des Gerichtshofs vom 10. Dezember 2013, Kommission/Irland u. a. (C-272/12 P).
48
In seinem Urteil vom 21. April 2016 stellte das Gericht fest, dass die Entscheidung der
Kommission gültig ist und die staatlichen Beihilfen deshalb zurückzufordern sind.
Zunächst kam das Gericht dem Urteil des Gerichtshofs von 2013 nach und stellte fest, dass die
Kommission trotz der Genehmigung des Rates befugt war zu prüfen, ob die von den drei
Mitgliedstaaten gewährten Befreiungen eine staatliche Beihilfe darstellten.
Das Gericht stellte auch fest, dass die Kommission klar dargelegt hat, warum die streitigen
Befreiungen geeignet waren, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den
Wettbewerb auf dem Markt zu verfälschen.
Schließlich stellte das Gericht fest, dass die Kommission nicht gegen den Grundsatz des
Vertrauensschutzes verstoßen hat. Obwohl das Verfahren übermäßig lange gedauert hat,
erklärte das Gericht, dass es aber kein außergewöhnlicher Umstand ist, der geeignet wäre, bei
den betroffenen Unternehmen ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der streitigen
Beihilfen zu begründen.
Link zum vollständigen Urteil
49
Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, die implizite unbeschränkte Bürgschaft
des französischen Staates zugunsten des Institut Français du Pétrole als staatliche Beihilfe
einzustufen, für nichtig
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-479/11 und T-157/12
Frankreich und IFP Énergies nouvelles/Kommission)
Im Jahr 2006 wurde das Institut Français du Pétrole (jetzt IFP Énergies nouvelles [IFP Neue
Energien]) in eine juristische Person des öffentlichen Rechts umgewandelt, und zwar in ein
öffentliches Industrie- und Handelsunternehmen (établissement public à caractère industriel et
commercial, EPIC). Im Jahr 2011 erklärte die Kommission in einem Beschluss, dass dem IFP mit
der Verleihung dieses Status eine unbeschränkte staatliche Bürgschaft für sämtliche Tätigkeiten
gewährt worden sei. Die Kommission war der Meinung, dass das IFP nämlich durch die implizite
und unbeschränkte Bürgschaft im Rahmen seiner Beziehungen zu Kunden und Lieferanten einen
tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteil erlangt habe, der selektiv sei, da seine Wettbewerber, die
den allgemeinen Insolvenzverfahren unterlägen, keine vergleichbare Staatsbürgschaft erhielten.
Frankreich und das IFP begehren vor dem Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung
des Beschlusses der Kommission. Sie tragen u. a. vor, dem IFP werde keine implizite
unbeschränkte Bürgschaft gewährt, und selbst wenn dies der Fall wäre, stelle diese Bürgschaft
keine staatliche Beihilfe dar.
In seinem Urteil von 26 Mai 2016 wies das Gericht zunächst darauf hin, dass die implizite und
unbeschränkte Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC ein Wesensmerkmal des Status dieser
Unternehmen ist und sich u. a. daraus ergibt, dass sie nicht den allgemeinen Insolvenzverfahren
unterliegen.
Sodann stellte das Gericht fest, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass das IFP im
Rahmen seiner Beziehungen zu den Lieferanten durch die Bürgschaft einen wirtschaftlichen
Vorteil erlangt.
Die Kommission hat nämlich geltend gemacht, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs werde
das Bestehen eines Vorteils für die EPIC vermutet und somit schon durch das bloße Vorliegen
einer Staatsbürgschaft dargetan. Für das Gericht hängt jedoch die Möglichkeit, sich auf eine
Vermutung zu stützen, von der Plausibilität der Hypothesen ab, auf denen die Vermutung beruht.
Im vorliegenden Fall verneint das Gericht die Plausibilität der Hypothesen, auf denen die
Annahme der Kommission beruht, dass das IFP bei seinen Beziehungen zu Lieferanten und
Kunden über einen wirtschaftlichen Vorteil verfüge.
Das Gericht erklärte daher den Beschluss der Kommission für nichtig, soweit darin die aus dem
Status des IFP als EPIC resultierende Bürgschaft als staatliche Beihilfe eingestuft wird.
Link zum vollständigen Urteil
50
Das deutsche Gesetz von 2012 über erneuerbare Energien (EEG 2012) umfasste staatliche
Beihilfen
(Urteil in der Rechtssache T-47/15 Deutschland/Kommission)
In diesem Rechtsstreit wandte sich Deutschland gegen die Feststellung der Kommission, dass
das deutsche Gesetz von 2012 über erneuerbare Energien (EEG 2012)41 staatliche Beihilfen
umfasste, auch wenn die Kommission diese Beihilfen letztlich größtenteils gebilligt hatte.42
Das EEG 2012 sah43 eine Förderregelung zugunsten der Unternehmen vor, die Strom aus
erneuerbaren Energiequellen und aus Grubengas erzeugen (EEG-Strom). Es garantierte diesen
Erzeugern einen höheren Preis als den Marktpreis. Zur Finanzierung dieser Fördermaßnahme sah
es eine „EEG-Umlage“ zulasten der Versorger vor, die Letztverbraucher belieferten; in der Praxis
wurde sie auf die Letztverbraucher abgewälzt.44 Bestimmte Unternehmen wie die
stromintensiven Unternehmen des produzierenden Gewerbes („SIU“) konnten jedoch in den
Genuss einer Begrenzung dieser (abgewälzten) Umlage kommen, um ihre internationale
Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die EEG-Umlage war den überregionalen
Übertragungsnetzbetreibern von Hoch- und Höchstspannungsnetzen (ÜNB) zu zahlen, die den
EEG-Strom zu vermarkten hatten.
In ihrem Beschluss vom 25. November 2014 stellte die Kommission fest, dass die im EEG 2012
vorgesehene Förderung von Unternehmen, die Strom aus erneuerbaren Energiequellen
erzeugten, zwar eine staatliche Beihilfe darstelle, aber mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Zudem
stufte sie die Verringerung der EEG-Umlage für stromintensive Unternehmen als staatliche
Beihilfe ein. Da sie der Ansicht war, dass die Verringerungen größtenteils mit dem Unionsrecht
vereinbar seien, ordnete sie nur die Rückforderung eines begrenzten Teils an.
In seinem Urteil vom 10. Mai 2016 wies das Gericht alle Argumente zurück, mit denen
Deutschland die Nichtigerklärung der Feststellung der Kommission zu erreichen suchte.
Das Gericht stellte fest, dass die Kommission zu Recht angenommen hatte, dass die Verringerung
der EEG-Umlage den stromintensiven Unternehmen einen Vorteil im Sinne der
Unionsvorschriften über staatliche Beihilfen verschaffte. Sie befreite diese Unternehmen nämlich
von einer Belastung, die sie normalerweise hätten tragen müssen.
Zudem ist die Kommission zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass im Rahmen des EEG 2012
staatliche Mittel zum Einsatz kamen, da die aus dem EEG 2012 resultierenden Mechanismen
hauptsächlich das Ergebnis der Umsetzung einer vom Staat durch das EEG 2012 festgelegten
Politik zur Unterstützung der Erzeuger von EEG-Strom waren.
Link zum vollständigen Urteil
41 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien vom 28. Juli 2011 (BGBl. 2011 I S.1634). 42 Beschluss (EU) 2015/1585 der Kommission vom 25. November 2014 über die Beihilferegelung SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN) [Deutschlands zur Förderung erneuerbaren Stroms und stromintensiver Unternehmen] (ABl. 2015, L 250, S.122, vgl. auch Pressemitteilung IP/14/2122 der Kommission). 43 Dieses Gesetz galt vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Juli 2014. Ab dem 1. August 2014 wurde es durch das EEG 2014 ersetzt, das die Kommission mit Beschluss vom 23. Juli 2014 billigte (vgl. Pressemitteilung IP/14/867 der Kommission). 44 Diese Belastung machte 20 bis 25% des Gesamtbetrags der Rechnung eines durchschnittlichen Letztverbrauchers aus.
51
Die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden staatlichen Beihilfe ist als
Umgestaltung dieser Beihilfe und damit als neue Beihilfe anzusehen
(Urteil in der Rechtssache C-590/14 P. Dimosia Epicheirisi Ilektrismou AE (DEI) / Alouminion tis Ellados
VEAE)
Im Jahr 1960 schloss DEI, ein öffentlicher Stromversorger, mit Alouminion, einem auf die
Herstellung von Aluminium spezialisierten griechischen Unternehmen, einen Vertrag, aufgrund
dessen Alouminion ein Vorzugstarif für die Lieferung von Elektrizität gewährt wurde. Der Vertrag
sollte am 31. März 2006 enden, sofern er nicht gemäß seinen Bestimmungen verlängert wurde.
Mit Beschluss vom 23. Januar 1992 vertrat die Kommission die Ansicht, dass der Alouminion
mit diesem Vertrag gewährte Vorzugstarif eine mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche
Beihilferegelung darstelle.
DEI kündigte den Vertrag zum 1. April 2006. Alouminion focht diese Kündigung vor den
griechischen Gerichten an. Mit einer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen
Anordnung vom 5. Januar 2007 setzte das mit einem Richter besetztes erstinstanzliches Gericht
Athen, die Wirkungen dieser Kündigung vorläufig aus. DEI legte dagegen ein Rechtsmittel beim
Kollegialgericht erster Instanz Athen ein, das durch Beschluss vom 6. März 2008 mit Wirkung
von diesem Datum den Vertrag von 1960 auflöste. Mit Beschluss vom 13. Juli 2011 vertrat die
Kommission die Ansicht, dass Griechenland Alouminion rechtswidrig eine staatliche Beihilfe
gewährt habe, da Alouminion nach der ersten einstweiligen Anordnung des griechischen
Gerichts im Zeitraum vom 5. Januar 2007 bis zum 6. März 2008 weiterhin in den Genuss des
Vorzugstarifs gekommen sei. Diese Beihilfe sei als neue Beihilfe anzusehen und sei mit dem
Binnenmarkt unvereinbar, da sie gewährt worden sei, ohne vorher bei ihr angemeldet worden
zu sein.
Mit einem Urteil von 2014 erklärte das Gericht der Europäischen Union den Beschluss der
Kommission für nichtig, weil seiner Auffassung nach diese Beihilfe als bestehende Beihilfe
einzustufen war.
Mit seinem Urteil von 26. Oktober 2016 hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und
verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Gericht zurück.
Erstens erklärte der Gerichtshof, dass das Gericht die Rechtsprechung des Gerichtshofs falsch
ausgelegt und dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es entschieden hat, dass die
erste vom griechischen Gericht erlassene einstweilige Anordnung nicht als Einführung oder
Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe angesehen werden könne. Hierzu stellte der
Gerichtshof fest, dass die Gültigkeitsdauer einer bestehenden Beihilfe einen Gesichtspunkt
darstellt, der die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Binnenmarkt durch die
Kommission beeinflussen kann.
Der Gerichtshof schloss daraus, dass die Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer bestehenden
Beihilfe als Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe anzusehen ist und daher eine neue Beihilfe
darstellt.
Zweitens wies der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die nationalen Gerichte über die
Einhaltung des Unionsrechts im Bereich staatlicher Beihilfen wachen und einer Verpflichtung
zur loyalen Zusammenarbeit mit den Unionsorganen unterliegen. Ein mit einem Rechtsstreit
über einen Vertrag befasstes nationales Gericht ist nämlich verpflichtet, der Kommission alle
Maßnahmen anzuzeigen, die die Auslegung und die Durchführung dieses Vertrags betreffen und
die sich auf das Funktionieren des Binnenmarkts, auf den Wettbewerb oder auch nur auf die
52
tatsächliche Geltungsdauer bestehender Beihilfen für einen bestimmten Zeitraum auswirken
können.
Link zum Urteil des Gerichtshofs
53
Steuerrecht
Flugscheine, die nicht benutzt wurden und für die keine Erstattung erfolgt, sind
mehrwertsteuerpflichtig
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-250/14 und C-289/14, Air France-KLM und Hop!-Brit
Air/Ministère des Finances et des Comptes publics)
Von einem französischen Luftfahrtsunternehmen in Frankreich durchgeführte Inlandsflüge
unterliegen einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 5,5 %. Seit dem Jahr 1999 führte ein
französisches Luftfahrtsunternehmen an den französischen Fiskus keine Mehrwertsteuer mehr
auf den Verkaufserlös aus den Flugscheinen ab, die von den Fluggästen nicht benutzt wurden
und für die keine Erstattung erfolgte. Da die Finanzverwaltung diese Flugscheine für
mehrwertsteuerpflichtig ansah, erließ sie gegen das Luftfahrtsunternehmen
Nacherhebungsbescheide in Höhe von 4 Millionen Euro (ohne Verzugszinsen) für einen Zeitraum
von drei Jahren.
Außerdem erbrachte eine Tochtergesellschaft des französischen Luftfahrtsunternehmens im
gleichen Zeitraum Beförderungsleistungen für Fluggäste im Rahmen eines mit dem
französischen Luftfahrtsunternehmen geschlossenen Franchisevertrages. Letzterer oblagen
Vertrieb und Verwaltung der Flugscheine für die von der Tochtergesellschaft betriebenen Linien.
Für verkaufte, aber nicht benutzte Flugscheine zahlte das französische Luftfahrtsunternehmen
jährlich einen pauschalen Ausgleich, der einem prozentualen Anteil von 2 % des auf den im
Rahmen des Franchisevertrages betriebenen Linien erzielten Jahresumsatzes (einschließlich der
Mehrwertsteuer) entsprach. Da die Tochtergesellschaft für diesen Pauschalbetrag keine
Mehrwertsteuer abführte, erließ die Finanzverwaltung auch gegen sie Nacherhebungsbescheide.
Der französische Conseil d’État fragt sich, ob Flugscheine, die nicht benutzt werden, der
Mehrwertsteuer unterliegen können.
In seinem Urteil vom 23. Dezember 2015 bejahte der Gerichtshof diese Frage.
Er wies zunächst darauf hin, dass die Mehrwertsteuer anfällt, sobald zum einen der von dem
Kunden an die Fluggesellschaft gezahlte Betrag unmittelbar mit einer Leistung (im vorliegenden
Fall der Beförderung als Fluggast) verbunden ist und zum anderen die betreffende Leistung
erbracht wird. Der Gerichtshof führte jedoch weiter aus, dass die Gegenleistung für den beim
Erwerb des Flugscheins entrichteten Preis nicht von der körperlichen Anwesenheit des
Fluggastes beim Anbordgehen abhängt, sondern in dem sich daraus ergebenden Recht des
Fluggastes besteht, in den Genuss der Durchführung der Beförderungsleistung zu kommen,
unabhängig davon, ob er dieses Recht wahrnimmt. Der Gerichtshof präzisiert insoweit, dass der
Mehrwertsteueranspruch mit der Vereinnahmung des Preises für den Flugschein entsteht.
Außerdem stellte der Gerichtshof fest, dass dann, wenn ein Dritter die Flugscheine einer
Fluggesellschaft im Rahmen eines Franchisevertrags vertreibt und an Letztere für ausgegebene
und verfallene Flugscheine einen Pauschalbetrag zahlt, auch auf diesen Pauschalbetrag
Mehrwertsteuer anfällt.
Link zum vollständigen Urteil
54
Umwelt und Verbraucher
Das Gericht der EU bestätigt die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, mit dem die
Kommission einen Antrag auf Überprüfung der Zulassung des Inverkehrbringens von
Erzeugnissen, die genetisch veränderte Sojabohnen enthalten, als unbegründet abgelehnt
hat
(Urteil in der Rechtssache T-177/13 TestBio Tech u. a. / Kommission)
2009 beantragte ein Unternehmen, Lebensmittel, Lebensmittelzutaten und Futtermittel in den
Verkehr bringen zu dürfen, die genetisch veränderte Sojabohnen enthalten. Die Europäische
Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) äußerte 2012 die Auffassung, dass genetisch
veränderte Sojabohnen bei bestimmungsgemäßer Verwendung in Bezug auf ihre möglichen
Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf die Umwelt ebenso sicher seien
wie herkömmliche (d. h. nicht genetisch veränderte) Sojabohnen. Auf Grundlage dieser
„befürwortenden“ Stellungnahme der EFSA ließ die Kommission das Inverkehrbringen von
Erzeugnissen, die veränderte Sojabohnen enthalten, aus ihnen bestehen oder aus ihnen
gewonnen werden, mit Beschluss vom 28. Juni 2012 zu.
Drei deutsche Nichtregierungsorganisationen, die sich gegen das Inverkehrbringen solcher
Erzeugnisse aussprechen, beantragten bei der Kommission eine interne Überprüfung dieses
Zulassungsbeschlusses. Sie beanstanden u. a. die Feststellungen der Kommission, dass
veränderte Sojabohnen herkömmlichen Sojabohnen im Wesentlichen entsprächen und die
toxikologischen und immunologischen Risiken nicht hinreichend begutachtet worden seien. Die
Kommission lehnte die Anträge 2013 als unbegründet ab.
Die drei Organisationen ersuchten daraufhin das Gericht der Europäischen Union, die Ablehnung
ihres Antrags auf Überprüfung des Zulassungsbeschlusses für nichtig zu erklären. Es war das
erste Mal, dass das Gericht über einen Beschluss der Kommission entschieden hat, der über
einen Antrag auf interne Überprüfung nach der „Aarhus-Verordnung“ in der Sache ergangen ist.
Diese Verordnung regelt u. a. die Voraussetzungen für den Zugang von
Nichtregierungsorganisationen zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten.
Mit seinem Urteil vom 15. Dezember 2016 wies das Gericht die Klage der drei Organisationen ab
und den Beschluss bestätigte, mit dem die Kommission den Antrag auf Überprüfung der
Zulassung des Inverkehrbringens als unbegründet abgelehnt hat.
Das Gericht bestätigte zudem, dass die Bestimmungen, auf die sich die Zulassung des
Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die genetisch veränderte Sojabohnen enthalten, stützt, in
vollem Umfang zu den Bereichen des Umweltrechts gehören, die von der „Aarhus-
Verordnung“ erfasst sind, und dass diese Zulassung somit Gegenstand einer internen
Überprüfung sein kann. Zudem sei es den Organisationen nicht gelungen, Zweifel zu wecken,
mit denen die Feststellungen der Kommission entkräftet werden könnten, wonach 1) sich die
Zusammensetzung der genetisch veränderten Sojabohnen und die der herkömmlichen
Sojabohnen nicht erheblich unterschieden, und zwar weder in statistischer noch in biologischer
Hinsicht, 2) die mögliche Toxizität der genetisch veränderten Sojabohnen angemessen bewertet
worden sei und 3) das von genetisch veränderten Sojabohnen ausgehende Allergierisiko
angemessen bewertet worden sei.
Link zum vollständigen Urteil
55
Unionsbürgerschaft
Das Gericht bestätigt, dass die geplante europäische Bürgerinitiative zur Förderung der
Entwicklung der von nationalen Minderheiten bevölkerten geografischen Gebiete nicht
registriert werden kann
(Urteil in der Rechtssache T-529/13 Balázs-Árpád Izsák und Attila Dabis/Kommission)
Nach dem EU-Vertrag können Unionsbürger, wenn es sich um mindestens eine Million Bürger
aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten handelt, die Initiative ergreifen und die
Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse dem Unionsgesetzgeber vorzuschlagen, zur
Umsetzung der Verträge einen Rechtsakt zu erlassen („europäische Bürgerinitiative“). Bevor die
Organisatoren beginnen können, die erforderliche Anzahl an Unterschriften zu sammeln, müssen
sie die europäische Bürgerinitiative bei der Kommission registrieren lassen, die insbesondere
ihren Gegenstand und ihre Ziele prüft. Die Kommission kann die Registrierung insbesondere
dann ablehnen, wenn der Gegenstand der Bürgerinitiative offenkundig nicht in einen Bereich
fällt, in dem sie befugt ist, dem Unionsgesetzgeber einen Rechtsakt vorzuschlagen.
Im Juni 2013 wurde der Kommission eine geplante Bürgerinitiative namens „Kohäsionspolitik für
die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ vorgelegt. Mit dieser
Initiative soll erreicht werden, dass die Kohäsionspolitik der Union denjenigen geografischen
Gebieten besondere Aufmerksamkeit widmet, die sich in ihren ethnischen, kulturellen, religiösen
oder sprachlichen Merkmalen von ihrer Umgebung unterscheiden („Regionen mit nationalen
Minderheiten“). Der Initiative zufolge entsprechen Regionen mit nationalen Minderheiten nämlich
nicht zwingend Verwaltungseinheiten, die befugt sind, Mittel, Ressourcen und Programme dieser
Politik in Anspruch zu nehmen.
Mit Beschluss vom 25. Juli 201345 hat die Kommission es abgelehnt, die geplante Initiative zu
registrieren, weil sie offenkundig nicht in einen Bereich falle, in dem sie dem Unionsgesetzgeber
einen Rechtsakt vorzuschlagen befugt sei. Herr Izsák und Herr Dabis haben daraufhin beim
Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben.
Mit seinem Urteil von 10. Mai 2016 stellte das Gericht fest, dass der Begriff „Region“ im Kontext
der Kohäsionspolitik der Union unter Beachtung der politischen, administrativen und
institutionellen Situation in den Mitgliedstaaten zu bestimmen ist. Folglich kann die Union keinen
Rechtsakt erlassen, mit dem – wie von der Initiative vorgeschlagen – ohne Rücksicht auf diese
Situation versucht würde, Regionen mit nationalen Minderheiten festzulegen.
Das Gericht führt weiter aus, dass die Erhaltung der ethnischen, kulturellen, religiösen oder
sprachlichen Besonderheiten bestimmter Gebiete kein Ziel ist, das den Erlass eines Rechtsakts
auf der Grundlage der Kohäsionspolitik der Union rechtfertigen könnte.
Das Gericht stellte schließlich fest, dass sich der mit der Initiative vorgeschlagene Rechtsakt
nicht dazu eignet, die durch die nationalen Minderheiten repräsentierte kulturelle Vielfalt zu
schützen, und er daher nicht im Rahmen der Kulturpolitik der Union erlassen werden kann.
Link zum vollständigen Urteil
45 Beschluss K(2013) 4975 endg. der Kommission vom 25. Juli 2013, mit dem der Antrag auf Registrierung der Bürgerinitiative „Kohäsionspolitik für die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ zurückgewiesen wird.
56
Verkehr
Die nationalen Behörden üben eine allgemeine Aufsicht zur Gewährleistung der
Fluggastrechte aus, sind jedoch nicht verpflichtet, aufgrund individueller Beschwerden
tätig zu werden
(Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-145/15 und C-146/15 K. Ruijssenaars, A. Jansen und J.H. Dees-Erf
/ Staatssecretaris van Infrastructuur en Milieu)
Die Verordung (EG) Nr. 261/2004 enthält eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und
Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder
großer Verspätung von Flügen. Bei Annullierung eines Fluges wird den betroffenen Fluggästen
vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen eingeräumt.
Des Weiteren hat jeder Mitgliedstaat eine Stelle zu benennen, die für die Durchsetzung dieser
Verordnung zuständig ist. Jeder Fluggast kann bei einer benannten Stelle Beschwerde wegen
eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben.
In den Niederlanden wurde der Staatssekretär als zuständige nationale Stelle benannt. In diesem
Rahmen verfügt er über eine allgemeine Befugnis, Durchsetzungsmaßnahmen zu erlassen,
insbesondere wenn eine Fluggesellschaft sich systematisch weigert, die Fluggäste zu
entschädigen. Es ist ihm hingegen nicht erlaubt, Durchsetzungsmaßnahmen auf Antrag eines
Fluggasts, der ihn mit seinem Fall befasst, zu erlassen.
Einige Fluggäste haben beim Staatssekretär beantragt, Durchsetzungsmaßnahmen gegen ein
Luftfahrtunternehmen zu erlassen, was dieser verweigerte. Der Staatsrat (Raad van State)
zweifelt an der Zuständigkeit des Staatssekretärs für den Erlass von Durchsetzungsmaßnahmen
in Einzelfällen aufgrund eines Antrags von Fluggästen und befragt hierzu den Gerichtshof.
In seinem Urteil vom 17. März 2016 legte der Gerichtshof zuerst den Begriff der „Beschwerde“
aus. Er ist der Auffassung, dass unter diesem Begriff eher Hinweise zu verstehen sind, die zur
ordnungsgemäßen Anwendung der Verordnung im Allgemeinen beitragen sollen, ohne dass die
Stelle verpflichtet wäre, aufgrund solcher Beschwerden tätig zu werden, um das Recht jedes
einzelnen Fluggastes auf Erhalt einer Ausgleichsleistung zu gewährleisten. Der Begriff der
„Sanktionen“ bezeichnet Maßnahmen, die als Reaktion auf Verstöße ergriffen werden, die die
Stelle in Ausübung ihrer allgemeinen Aufsicht aufdeckt, und nicht verwaltungsrechtliche
Durchsetzungsmaßnahmen, die in jedem Einzelfall zu ergreifen sind.
Infolgedessen war der Gerichtshof der Ansicht, dass die zuständige nationale Stelle grundsätzlich
nicht verpflichtet ist, Durchsetzungsmaßnahmen gegen ein Luftfahrtunternehmen zu erlassen,
um es dazu anzuhalten, die dem Fluggast nach der Verordnung Nr. 261/2004 zustehende
Ausgleichsleistung zu zahlen. Die Mitgliedstaaten haben dennoch, angesichts der Ziele der
Verordnung, die Möglichkeit, zum Ausgleich eines unzureichenden Schutzes der Fluggastrechte
die Stelle zu ermächtigen, Maßnahmen auf individuelle Beschwerden hin zu ergreifen.
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57
Wettbewerb
Der Lizenznehmer eines Patents muss die vereinbarte Gebühr auch dann zahlen, wenn er
die patentierte Technologie nicht verletzt
(Urteil in der Rechtssache C-567/14 Genentech Inc. / Hoechst GmbH und Sanofi-Aventis Deutschland GmbH)
Im Jahr 1992 gewährte ein deutsches Unternehmen einem im Pharmasektor tätigen
Unternehmen eine nicht ausschließliche weltweite Lizenz für die Nutzung eines aus dem
menschlichen Cytomegalovirus abgeleiteten patentierten Enhancers. Das Unternehmen nutzte
diesen Enhancer lediglich, um die Transkription eines Abschnitts der DNS zu erleichtern, der
seinerseits zur Herstellung eines Arzneimittels erforderlich ist. Mit dieser Art der Verwendung des
Enhancers hat das Unternehmen die lizenzierten Patente nicht verletzt. Deshalb hat sie sich
geweigert, einen Teil der vereinbarten Gebühr zu zahlen.
Die mit der Rechtssache befasste Cour d’appel de Paris möchte vom Gerichtshof wissen, ob unter
diesen Umständen Genentech mit dieser Gebühr im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht der Union
ungerechtfertigte Kosten auferlegt werden.
In seinem Urteil vom 7. Juli 2016 stellte der Gerichtshof fest, dass das Wettbewerbsrecht der
Union es nicht verbietet, die Zahlung einer Gebühr für die Verwendung einer Technologie auch
dann vorzusehen, wenn diese Verwendung zu keiner Patentverletzung führt und die Technologie
bei einer rückwirkenden Nichtigerklärung des Patents sogar als nie geschützt gilt. Der Grund
dafür liegt darin, dass die Gebühr den Preis darstellt, der vom Lizenznehmer für die kommerzielle
Nutzung der patentierten Technologie in der Gewissheit, dass der Lizenzgeber keine
Verletzungsklage gegen ihn erheben wird, zu zahlen ist.
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