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FAU-Proseminar: Die Copernicanische Wende � Ein Motiv zur Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft, 7. Sitzung, Do 01.12.11, Pierre Leich _________________________________________________________________

Protestantische Reaktionen auf Copernicus

Die Bibel greift an mehreren Stellen auf die Auffassung zurück, dass die Erde ruht

und die Sonne sich bewegt. Am bekanntesten ist eine Stelle aus Josua:

Damals [...] redete Josua mit dem Herrn; dann sagte er in Gegenwart der Israeliten: Sonne, bleib stehen über Gibeon und du, Mond, über dem Tal von Ajalon! - Und die Sonne blieb stehen und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte. [...] Die Sonne blieb also mitten am Himmel stehen und ihr Untergang verzögerte sich, ungefähr einen ganzen Tag lang.1

Während nach katholischer Auffassung die Bibel der Interpretation durch die Kirche

bedarf, wollte sich gerade die protestantische Kirche stärker auf den Wortlaut der

Heiligen Schriften stützen. 1517 kam es zum offenen Bruch zwischen Martin Luther (1483-1546) und Rom. Josua war es denn auch, den Luther in seiner Tischrede vom 4. Juni 1539 zitiert, als er gegen Copernicus Stellung bezieht:

Es ward gedacht eines newen Astrologi / der wolte beweisen / das die Erde bewegt würde und umbgienge / Nicht der Himmel oder das Firmament / Sonne und Monde / Gleich als wenn einer auff einem Wagen oder in einem Schiff sitzt und den Beume gingen umb und bewegten sich. Aber es gehet jtz also / Wer das wil klug sein/ der sol jm etwas eigens machen / das mus das aller beste sein / wie ers machet / Der Narr wil die gantze kunst Astronomiae umbkeren / Aber wie die heilige Schrift anzeiget / so hies Josua die Sonne stillstehen / und nicht das Erdreich.2

Auch Philipp Melanchthon (1497-1560) äußerte sich 1541 sehr kritisch:

Manche halten es für eine hervorragende Leistung, wenn sie verrückte Sachen

machen, wie dieser sarmatische Sternforscher, der die Erde bewegt und die Sonne anhält. Wahrlich, weise Herrscher sollten die Zügellosigkeit der Geister zähmen.

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Die zweite Ablehnung des Copernicanischen Weltsystems findet sich in den Initia

doctrinae physicae von 1549. Melanchthon führt aus:

Aber hier haben einige, sei es aus Neuerungssucht, sei es um ihre geistigen Fähigkeiten zur Schau zu stellen, die Behauptung aufgestellt, die Erde bewege sich, und sie bestehen darauf, dass weder die achte Sphäre noch die Sonne sich bewege;

während sie andererseits den übrigen Himmelssphären Bewegung zuschreiben,

versetzen sie sogar die Erde unter die Sterne. Diese Spielereien sind keineswegs neue Erfindungen. Noch heute existiert das Buch des Archimedes über die Sandzählung,

worin er berichtet, Aristarch habe den widersinnigen Satz gelehrt, die Sonne stehe still und die Erde kreise um die Sonne. Auch wenn scharfsinnige Wissenschaftler vieles um der geistigen Übung willen untersuchen, so ist es dennoch nicht anständig, in aller

Öffentlichkeit unsinnige Lehrmeinungen zu vertreten, und das Beispiel stiftet Schaden.

Ein lauterer Charakter nimmt die von Gott aufgezeigte Wahrheit ehrerbietig an, gibt sich damit zufrieden, dankt Gott dafür, dass er ein Licht angezündet hat und in den

1 Josua X,10-12. 2 Martin Luther, Tischreden, Sämtliche Werke, hg. v. J.K. Irmischer, Bd. 62, Frankfurt a.M./Erlangen

1854, S. 319. 3 Philipp Melanchthon, Opera quae supersunt omnia. Vol. IV, Braunschweig 1837, S. 679; deutsch

zitiert bei G. Rarig, Die Tat des Copernicus, Leipzig/Jena/Berlin 1962, S. 53.

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Menschen bewahrt, und denkt darüber nach, wie man durch dieses Licht zu Gott

gelange und wie man in der Erkenntnis der Wahrheit sein Leben führe und bessere.4

Emil Wohlwill machte erstmals darauf aufmerksam, dass die nur ein Jahr später

(1550) erschienene zweite Auflage der Initia in den Äußerungen zu Copernicus

eingreifende Änderungen aufweist.

4 Corpus Reformatorum, 13,216; zitiert nach Walter Thüringer, Paul Eber (1511-1569).

Melanchthons Physik und seine Stellung zu Copernicus; in: Heinz Scheible, Melanchthon in seinen

Schülern (= Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 73), Wiesbaden 1997, S. 306.

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Entdeckung des Teleskops

Am 25. September 1608 schrieb die Behörde von Zeeland an die zeeländischen

Delegierten der Generalstaaten in Den Haag und stellt einen Brillenmacher aus Middelburg vor, der ein neues Instrument erfunden hatte:

Die verclaert seekere conste te hebben daer mede men seer verre alle dingen can sien al oft die naer bij waeren bij middel van gesichten van glasen, dewelke hij pretendeert een niewe inventie is.5

The bearer of this letter declares to have a certain art with which one can see all things very far away as if they were nearby, by means of sights of glasses, which he pretends to be a new invention.6

Zu dieser Zeit fanden am Hof von Fürst Moritz von Oranien sowohl eine Friedens-konferenz im spanisch-niederländischen Krieg wie auch ein Besuch des Botschafters

von Siam statt. Als Ergebnis gibt es ein französisches Flugblatt, das diese Vorfüh-rung festgehalten hat:

A few days before the departure of Spinola from The Hague a spectacle-maker from Middelburg, a humble and God-fearing man, presented to His Excellency [Count Maurits], certain glasses by means of which one can detect and see distinctly things three or four miles removed from us as if we were seeing them from a hundred paces. From the Tower in The Hague, one clearly sees, with the said glasses the Clock of Delft and the windows of the Church of Leiden, despite the fact that these cities are distant from The Hague one-and-a-half, and three-and-a-half hours by road, respectively. When the States-[General] heard about these glasses, they asked His Excellency [Count Maurits] to see them, and he did sent them these, saying that with these glasses they would see the tricks of the enemy. Spinola too saw them with great astonishment and said to Prince [Frederick] Hendrik: From now on I can no longer be safe, for you will see me from afar. To which the prince replied: We shall forbid our men to shoot at you. The master [spectacle-] maker of the said glasses was given three hundred guilders, and was promised more for making others, with the command not to teach the said art to anyone. This he promised willingly, not wishing that the enemies would be able to avail themselves of them against us. The said glasses are very useful in sieges and similar occasions, for from a mile or more away one can detect all things as distinctly as if they were very close to us. And even the stars which ordinarily are invisible to our sight and our eyes, because of their smallness and the weakness of our sight, can be seen by means of this instrument.7

5 Zitiert nach: Albert van Helden, The Invention of the Telescope, Transaction of the American

Philosophical Society, Bd. 67 (1977), no. 4, Philadelphia 1977, S. 35f. 6 Huib J. Zuidervaart, The �true inventor� of the telescope. A survey of 400 years of debate; in:

Sven Dupré, Albert van Helden, Rob van Gent, Huib Zuidervaart, The Origins of the Telescope, History of Science and Scholarship in the Netherlands, volume 12, Amsterdam/Chicago 2010, S. 11.

7 Erstmals publiziert von Drake, The Unsung Journalist (1976); Übersetzung nach: Huib J.

Zuidervaart, The �true inventor� of the telescope. A survey of 400 years of debate; in: Sven Dupré, Albert van Helden, Rob van Gent, Huib Zuidervaart, The Origins of the Telescope, History

of Science and Scholarship in the Netherlands, volume 12, Amsterdam/Chicago 2010, S. 13f.