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"Streitfragen! - Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog" Je stärker sich Unternehmen, Politik und Regulatoren mit der konkreten Umsetzung der Energiewende beschäftigen, desto mehr offene Fragen brechen auf. Die Öffentlichkeit beginnt sich für die technischen Aspekte zu interessieren, und der kommende Winter erscheint vielen als erster realistischer Belastungstest für den ambitionierten Zeitplan der Bundesregierung. Die Beiträge führen auch in dieser Ausgabe die Debatte über die Zukunftsfragen der Energie- und Wasserwirtschaft intensiv und transparent mit neuen Argumenten, Sichtweisen und Kompromisslinien weiter.
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Streitfragen!Die energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 02|2011
s.04Ist Der Markt nocH zu retten?
Hildegard Müller, BDEW, und Prof. Dr. Justus Haucap, Monopolkommission, diskutieren nötige Weichen stellungen für ein neues Marktdesign
stresstest für DIe Infrastruktur19 Experten im Gespräch über notwendige Infrastrukturen, technische Realitäten und das Marktdesign von morgen
s.38Das 50,2-Hertz-ProbleM
Ludger Meier vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) sieht die Stabilität der Elektrizitätsversorgung gefährdet
DreI fragen an Dr. frItz HolzWartH
Der Leiter der Unterabteilung WA I Wasserwirtschaft im Bundesumweltministerium plädiert für eine transparentere Preispolitik in der Wasserwirtschaft
s.60
je stärker sich Unternehmen, Politik und Regulatoren mit der ganz konkreten Umsetzung der Energiewende beschäftigen, desto mehr offene Fragen brechen auf. Die Öffentlichkeit beginnt sich für die technischen Aspekte zu interessieren, und der kommende Winter erscheint vielen als erster realistischer Belastungstest für den ambitionierten Zeitplan der Bundesregierung.
Fest steht schon jetzt: Wenn wir unsere Infrastruktur umfassend ausbauen und modernisieren wollen, brauchen wir ein Investitionsklima, das attraktiv ist. Wir müssen unseren europäischen Nachbarn beweisen, wie man den Umbau mit wettbewerbsfähigen Renditen, hohen Investitionsquoten und auf höchstem technologischem Niveau realisiert – kurz: als Wohlstands und Wachstumsmodell.
Dieses Wachstumsmodell hat bei uns immer dann funktioniert, wenn der Staat die Ziele vorgab, sich aber in die Instrumente nicht einmischte. Heute geht der Trend in die andere Richtung. Wenige Jahre nach der Liberalisierung wachsen die Staatsanteile, nimmt die Regulierungsdichte zu. Die Funktion von Märkten und Preisen gerät unter Druck. Die ursprünglich sinnvolle Subventionslogik des EEG und der Einspeisevorrang werden bei zunehmenden Anteilen der Erneuerbaren an der Stromerzeugung zum Problem. Und bei den konventionellen BackupKapazitäten beginnt schon jetzt eine teilweise hektisch geführte Diskussion über Kapazitätsmechanismen als Ausgleich für ausbleibende Investitionsanreize aus dem Markt. Der BDEW wird das Thema mit der gebotenen Sorgfalt analysieren.
Die Herausforderungen der Energiewende müssen jetzt unternehmerisch bearbeitet werden. Der Primat der Politik galt für die Ziele, der Primat der Effizienz gilt für die Umsetzung. Die Beiträge in diesem Heft eröffnen die Debatte über diese Fragen. Bei der Lektüre wünsche ich Ihnen viel Spaß und neue Einsichten.
Ihre
Hildegard Müller
01Streitfragen 02|2011
Johannes Kindler, Bundesnetzagentur, und Boris Schucht, 50Hertz Transmission, diskutieren, welche Veränderungen der Rahmenbedingungen notwendig sind, damit die Energiewende gelingt
S.42» Probleme mit WindParkS
müSSen vor dem Start gelöSt Werden!«
Dr. Martin Grundmann von der ARGE Netz GmbH möchte die öffentliche Akzeptanz für Windparks erhöhen
S.32 Wie viel Freiheit brauchen netzbetreiber?
S.22» Wir müSSen Städte oPtimieren, nicht einzelne häuSer«
Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA), über intelligente Sparkonzepte
S.16Wie viel Staat verträgt der endkundenmarkt Für energie?
Jost Geweke, Süwag Energie AG, und Andreas Mundt, Bundeskartellamt, im Streitgespräch
02 Streitfragen 02|2011
S.04
S.10
S.12
S.16
S.22
S.27
S.28
S.32
S.38
S.42
S.44
S.46
S.50
S.52
S.54
S.60
zukunFt deS energiemarkteS
iSt der markt noch zu retten?Hildegard Müller, BDEW, und Prof. Dr. Justus Haucap, Monopolkommission, diskutieren nötige Weichenstellungen für ein neues Marktdesign
» PreiSSignale Sind der SchlüSSel zum umbau deS energieSyStemS«Dr. Felix Matthes vom ÖkoInstitut Berlin spricht sich für spezifische Kapazitätsmechanismen aus
die zukunFt deS konventionellen kraFtWerkSParkSDie Consentec GmbH hat die Anforderungen an die Flexibilitäten im Jahr 2020 erforscht
Wie viel Staat verträgt der endkundenmarkt Für energie?Jost Geweke, Süwag Energie AG, und Andreas Mundt, Bundeskartellamt, im Streitgespräch
FokuS eFFizienz
» Wir müSSen Städte oPtimieren, nicht einzelne häuSer«Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA), über intelligente Sparkonzepte
drei Fragen an klauS JeSSe Der Präsident des Bundesindustrieverbands Deutschland Haus, Energie und Umwelttechnik e.V. (BDH) beschreibt die Voraussetzungen für eine beschleunigte Sanierung des Gebäudebestands
» energieSParen Steht ganz oben auF der tageSordnung« Bundesminister Dr. Peter Ramsauer erläutert den Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand
FokuS inFraStruktur
Wie viel Freiheit brauchen netzbetreiber? Johannes Kindler, Bundesnetzagentur, und Boris Schucht, 50Hertz Transmission, über Regulierung und Renditen
daS 50,2-hertz-ProblemLudger Meier vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) sieht die Stabilität der Elektrizitätsversorgung gefährdet
» Probleme mit WindParkS müSSen vor dem Start gelöSt Werden!«Dr. Martin Grundmann von der ARGE Netz GmbH möchte die öffentliche Akzeptanz für Windparks erhöhen
drei Fragen an eine WindPark-anWohnerinAngelika Kutschbach fühlt sich vom Lärm der Windmühlen massiv gestört
FokuS erzeugung
kraFtWerke Für die zukunFt Klaus Dieter Rennert, Hitachi Power Europe, und Dr. Roland Fischer, Siemens AG, über Herausforderungen der Energiewende aus Sicht der Hersteller
PoWer to gaSEin Beitrag zur Energiewende
»Wir laSSen die viSion realität Werden«Paul van Son, Dii GmbH, über den Stand und die Zukunft des DesertecProjekts
PerSPektive euroPa
»die energieWende bringt vorteile«Generaldirektor Philip Lowe, EUKommission, erläutert den Standpunkt der EU zum Energiebinnenmarkt
WaSSerWirtSchaFt
drei Fragen an dr. Fritz holzWarthDer Leiter der Unterabteilung WA I Wasserwirtschaft im Bundesumweltministerium plädiert für eine transparentere Preispolitik in der Wasserwirtschaft
03Streitfragen 02|2011
04 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
» auF dieSe Subvention Sollten Wir ver-zichten.«
» inveStitionS-anreize Sind notwendig.«
05zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
Herr Haucap, als Vorsitzender der Monopolkom-mission befassen Sie sich intensiv mit der Wett-bewerbssituation auf den Energiemärkten. Zu-letzt haben Sie deutliche Verbesserungen auf der Stromerzeugungsseite festgestellt. Kann man das als Entwarnung verstehen?
ProF. dr. JuStuS haucaP Von Entwarnung möchte ich nicht sprechen. Es hat aber unübersehbare Verbesserungen gegeben.
Zum Beispiel?
haucaP Es geht im Wesentlichen um vier Punkte. E.ON hat auf Druck der EUKommission Erzeugungskapazitäten verkaufen müssen. Außerdem sind der österreichische und der deutsche Erzeugungsmarkt so eng zusammengewachsen, dass man von einer vollständigen Marktintegration sprechen kann. Das sorgt für mehr Wettbewerb. Hinzu kommt der Verkauf der STEAG an eine Gruppe von Stadtwerken. Und schließlich hat die Abschaltung der acht Kernkraftwerke nach Fukushima die Angebotskonzentration bei der Stromerzeugung verringert.
Frau Müller, Ihre Mitgliedsunternehmen machen also alles richtig …
hildegard müller Die Unternehmen würden aktuell gern noch viel mehr machen. Aber die jetzigen Investitionsbedingungen sind einfach unsicher. Die bisherige Entwicklung bestätigt aber, dass die Branche
auf einem sehr guten Weg ist. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass wir in Deutschland einen der wettbewerbsintensivsten Strommärkte in Europa haben.
haucaP Das ist aus meiner Sicht eher ein Beleg für die großen Defizite auf anderen europäischen Märkten.
müller Das ist auch mein Punkt!
Wenn die Branche auf einem sehr guten Weg ist, dann ist ein zunehmender Wettbewerb auf der Erzeugungsseite also ein Selbstläufer …
haucaP Ein Selbstläufer ist es noch nicht. Neue Erzeugungskapazitäten entstehen nicht von alleine. Die Markteintrittsschwelle liegt noch immer hoch, und es ist keineswegs trivial, ein Kraftwerk zu bauen und zu betreiben.
Mit ihrem Kraftwerksinvestitionsprogramm will die Bundesregierung gezielt die kleineren Markt-teilnehmer motivieren, Kraftwerke zu bauen. Ist das sinnvoll?
müller Investitionsanreize sind zur Unterstützung der Energiewende notwendig und richtig. Jedoch sollte ein Kraftwerksförderprogramm möglichst breit für alle Unternehmen nutzbar sein und nicht nur für solche, die weniger als fünf Prozent Marktanteil haben. Gerade gestern hat sich mit diesem Thema unser Vorstand beschäftigt. Die Branche ist sich einig in der Auffassung, dass die FünfProzentKlausel nicht zielführend ist.
› Investitionsanreize für neue Kraftwerke, der Netzausbau und die Förderung der Erneuerbaren bieten reichlich Diskussionsstoff für die Hauptgeschäftsführerin des BDEW und den Chef der Monopolkommission.
06 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
haucaP Ich halte das gesamte Kraftwerksinvestitionsprogramm für problematisch. Mir hat noch niemand überzeugend darlegen können, dass Steuergelder fließen müssen, um den Bau von Kraftwerken anzureizen. Auf diese Subvention sollten wir verzichten.
müller Es geht hier nicht um eine Subvention. Es geht vielmehr um den Ausgleich der Nachteile, die deutsche Unternehmen durch die ambitionierten Klimaschutzziele und den Emissionshandel erleiden.
Welche Nachteile?
müller Im Jahr 2009 beschloss die EU, die CO2Emissionszertifikate ab 2013 kostenpflichtig zu versteigern. Damals wurde zugesagt, dass die deutsche Energiewirtschaft eine Förderung als Ausgleich bekommen kann, da sie die Klimaziele überproportional erfüllt. Außerdem muss ich Herrn Haucap ganz eindeutig widersprechen. Die Aussichten, ein neues konventionelles Kraftwerk rentabel zu betreiben, sind ab 2020 äußerst gering. Mit dem steigenden Anteil der erneuerbaren Energien, die bei der Einspeisung ins Netz Vorrang genießen, wird sich das Problem noch verschärfen. Die Auslastung fossiler Kraftwerke wird nach einem BDEW
Gutachten um durchschnittlich 40 Prozent sinken. Mit dem Kraftwerksinvestitionsprogramm ist es keinesfalls getan. Es bedarf mittelfristig zusätzlicher Anreize.
haucaP Warum das? Die ForwardMärkte zeigen seit dem Wegfall der acht Kernkraftwerke einen klaren Preistrend nach oben. Das sollte den Anreiz erhöhen, neue Kraftwerke zu bauen. Außerdem müssen bei der fortschreitenden Integration der europäischen Märkte Kraftwerke nicht unbedingt in Deutschland gebaut werden, das kann auch im benachbarten Ausland sein.
müller Mit zusätzlichen Anreizen meine ich auch nicht zusätzliches Geld. Es geht vielmehr um das Marktdesign der Zukunft.
haucaP Wenn Sie damit auf Kapazitätsmärkte anspielen, kann ich nur warnen. Ich bin eher skeptisch, ob wir die wirklich brauchen. Markteingriffe sind nur als allerletztes Mittel akzeptabel.
07zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
» daS hauPtProblem Sind die genehmi-gungSverFahren.«
» die Politik Sollte keine voreiligen entSchei-dungen treffen.«
08 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
müller Darum mahne auch ich zur Besonnenheit. Wir brauchen keine Schnellschüsse. Erst gestern hat sich der BDEWVorstand darauf geeinigt, dass für eine abschließende Beantwortung der Frage nach Kapazitätsmechanismen ein umfassendes Monitoring der Energiewende Voraussetzung ist. Dieser Prozess muss einen ganzheitlichen Ansatz unter Einbeziehung der Marktintegration der erneuerbaren Energien, des Netzausbaus und des europäischen Binnenmarktes bein halten. Es muss insgesamt ein neues Marktdesign entwickelt werden. Angesichts der langfristigen Planungshorizonte in der Energiewirtschaft sollten die Ergebnisse spätestens bis zum Jahr 2015 vorliegen. Aus Sicht meiner Branche ist es daher wichtig, dass die Politik keine voreiligen Entscheidungen trifft.
Die Energiewende erfordert enorme Anstrengun-gen beim Netzausbau. Wird der Netzausbau so schnell vorangehen, wie es erforderlich ist?
haucaP Das Problem ist nicht der Bau an sich. Die langwierigen Genehmigungsverfahren und die gesellschaftlichen Widerstände wiegen viel schwerer.
Könnten höhere Netzrenditen den Ausbau be-schleunigen?
haucaP Nein. Mit Renditeerhöhungen löst man die Probleme nicht. Die Hauptprobleme sind die Genehmigungsverfahren und die gesellschaftliche Akzeptanz.
müller Das sehe ich anders. Die Rendite ist sehr wohl ein Thema. Natürlich sind die langen Genehmigungsverfahren und die Akzeptanzprobleme große Hindernisse. Daran müssen wir gemeinsam mit der Politik arbeiten. Aber wenn die Renditen nicht stimmen, hilft das alles nichts. Die Netzbetreiber müssen an den internationalen Kapitalmärkten Investoren finden. Das geht nur, wenn die Renditen im internationalen Vergleich attraktiv sind. Und das sind sie bislang nicht.
Sprechen wir über das EEG. Ist die Photovoltaik überfördert?
müller Es ist da ja bereits einiges passiert, die Vergütungen sind innerhalb von knapp zwei Jahren drastisch gesunken und sinken zum Jahreswechsel erneut. Dennoch sehe ich weiteren Anpassungsbedarf. Mehr als die Hälfte der ErneuerbarenFörderung fließt zurzeit in
09zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
3,5 Prozent der Stromerzeugung mit Photovoltaik. Es geht da um ein ganz grundsätzliches Problem. Das ErneuerbareEnergienGesetz war als Instrument der Markteinführung okay. Doch jetzt müssen Marktelemente ins System. Das mit der jüngsten Novelle eingeführte Marktprämienmodell ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. 13 Jahre nach der Liberalisierung würden wir sonst den falschen Weg einschlagen.
haucaP Das Modell belastet allein die Verbraucher und beschert den Betreibern Zusatzgewinne. Eigentlich sollte das Marktprämienmodell den Anreiz schaffen, in den Bau von Speichern zu investieren. Ich glaube nicht, dass das Modell diesen Zweck erfüllen wird.
müller Sie können nicht von heute auf morgen den Schalter komplett umlegen. Um die Erneuerbaren an den Markt heranzuführen, bedarf es einer Reihe von Schritten. Daher muss das EEG als lernendes System ständig weiterentwickelt werden.
haucaP Ich hätte da einige Vorschläge. Als Erstes muss der nahezu unbegrenzte Einspeisevorrang fallen. Wir pressen mitunter Strom aus erneuerbaren Quellen ins System, den niemand haben will. Das führt zu nega
tiven Preisen. Mit anderen Worten: Man bekommt Geld dafür, wenn man sich erbarmt, den Strom abzunehmen. Das ist für mich eine Art Müllentsorgung, für die alle Verbraucher zahlen. Das darf so nicht weitergehen. Als Nächstes brauchen wir eine Mengensteuerung statt der festen Vergütung nach dem ErneuerbareEnergienGesetz. Man könnte etwa die Stromversorger und gegebenenfalls auch die Netzbetreiber verpflichten, 35 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen abzunehmen. Die Versorger könnten untereinander mit GrünstromQuoten handeln. Wer die Quote nicht einhält, dem drohen Strafzahlungen.
Frau Müller, stellen Sie sich die künftige Förde-rung der Erneuerbaren auch so vor?
müller Ich will mich da noch nicht auf den nächsten Schritt festlegen. Grundsätzlich halte ich aber eine Mengensteuerung über Quoten für denkbar. Unser Verband befasst sich gerade sehr konkret mit verschiedenen Modellen. Wir werden unsere Vorstellungen in Kürze in die Diskussion einbringen.
In Auszügen erschienen im „Handelsblatt“ vom 04.11.2011
hildegard müller ist seit 2008 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Von 2005 bis 2008 war die DiplomKauffrau Staatsministerin im Bundeskanzleramt.
ProF. dr. JuStuS haucaPist seit 2008 Vorsitzender der Monopolkommission. Die Kommission berät die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen. Haucap ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Düsseldorf und Gründungsdirektor des Düsseldorf Institute for Competition Economics.
10 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
» PreiSSignale Sind der SchlüSSel zum umbau deS energieSyStemS.«
Sie sagen: Der Verzicht auf Atomstrom wird nicht zu gravierenden Problemen für die Energiesicherheit und den Kli-maschutz führen. Dafür sorgen aus Ih-rer Sicht existierende Marktmechanis-men. Was meinen Sie damit?
dr. Felix mattheS Der Ausstieg aus der Kernenergie wird zu einem Zeitpunkt vollzogen, an dem der bestehende Kraftwerkspark noch erhebliche Reserven und Flexibilitäten hat und in den nächsten Jahren eine ganze Reihe neuer konventioneller und regenerativer Kraftwerkskapazitäten ans Netz gehen werden, für die die Investitionsentscheidungen – aus ganz verschiedenen Gründen – in den letzten fünf Jahren gefallen sind. Ob die existierenden Preissignale des StromGroßhandelsmarktes ausreichend sind, um auch Investitionen in neue Anlagen zu ermöglichen, ist theoretisch und praktisch umstritten. Anders sieht es bei den Emissionen aus. Hier haben wir mit dem Emissionshandelssystem der EU ein Inst
rument, das die Einhaltung der Emissionsziele garantiert. Es existiert eine feste Obergrenze für die Gesamtemissionen, damit ergeben sich eine Knappheit bei den entsprechenden Emissionszertifikaten und ein Preis für Emissionen. Der Atomausstieg führt so nicht zu einer stärkeren Belastung des Klimas, für die langfristige Gewährleistung der Versorgungssicherheit werden wir allerdings auch neue Marktmechanismen in Betracht ziehen müssen.
Sie sagen auch: Ein neues Marktdesign ist für Investitionen in CO2-arme, fos-sile Kraftwerke wichtig und langfristig eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Transformation der Erneuerba-ren in das Energiesystem. Wie sieht die-ses Marktdesign aus?
›Das Vorhalten von Kraftwerkskapazität wird heute nicht honoriert. Das sollte sich ändern, um eine robuste und vergleichsweise preiswerte Stromversorgung sicherzustellen, meint der Wissenschaftler Dr. Felix Matthes.
mattheS Heute verdienen Stromerzeugungsanlagen ihr Geld im Wesentlichen über den Verkauf von Energie auf dem sogenannten Kilowattstundenmarkt. Das funktioniert, da wir vor allem aus Monopolzeiten über ausreichend dimensionierte Kraftwerkskapazitäten verfügen. Trotz des massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien werden wir aber zumindest auf mittlere Frist noch einige neue konventionelle Kraftwerke zur Deckung der Lastnachfrage benötigen. Investitionen in diese Kraftwerke stehen vor dem Problem, dass im heutigen Markt letztlich die Bereitstellung von Kraftwerkskapazitäten nicht honoriert wird. So kann man entweder abwarten, dass die Preise für Kilowattstunden aus Knappheitsgründen so hoch werden, dass Investitionen in neue Kraftwerke sich wieder lohnen, oder einen Markt für Kraftwerkskapazitäten schaffen, über den ein Preis und somit Einkommen für die Bereitstellung von Kraftwerksleistung auf wettbewerblicher Basis geschaffen wird.
11zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
dr. Felix mattheSist Forschungskoordinator Energie und Klimapolitik beim ÖkoInstitut e.V., Berlin.
Sie sagten während des BDEW-Kon-gresses 2011, die Kosten der Energie-wende seien überschaubar, trotz der enormen Herausforderungen, die mit dem Systemwechsel einhergehen.
mattheS Zunächst wird auch das „Weiter so“ im Zeitalter steigender Brennstoff und CO2Preise zu erheblichen Kosten führen. Für den anstehenden Systemwechsel werden in den nächsten Jahren zusätzliche Kosten entstehen, vor allem für die Förderung der erneuerbaren Energien. Langfristig werden moderate Zusatzkosten für die Infrastruktur und Speicherung anfallen. Insgesamt und bei intelligenter Ausgestaltung der Energiewende werden diese Effekte für Haushalte mittelfristig bei unter drei Cent je Kilowattstunde liegen, für die Industrie eher bei einem Cent. Und diese Kosten entstehen weniger durch das beschleunigte Auslaufen der Kernenergie, hier reden wir über Preiseffekte von 0,5 Cent und darunter, als durch die Dekarbonisierung des Stromversorgungssystems. Und für eine klimafreundliche Stromerzeugung ohne KohlendioxidEmissionen und ohne Kernkraftrisiken sind die genannten Zusatzkosten ein guter Deal, gerade wenn man in Betracht zieht, dass ein klimafreundliches Energiesystem uns langfristig auch wirtschaftlich weniger verletzbar macht.
Brauchen wir zukünftig mehr Markt oder mehr Staat, um die energiepoliti-schen Ziele umzusetzen und das Klima zu schützen?
mattheS Die abstrakte Frage von Markt oder Staat greift zu kurz. Wenn der Staat für bestimmte Sachverhalte wie Klimaschutz, Versorgungssicherheit oder Verteilungseffekte verantwortlich gemacht
wird, dann bilden staatliche Rahmensetzungen und Zielvorgaben einen unverzichtbaren Ausgangspunkt jeglicher Veränderung. Spannend wird es dann bei der Umsetzung dieser Rahmenvorgaben. Die zentrale Frage ist hier, wo und mit welchem Ziel wettbewerblich erzeugte Preissignale eine zentrale Steuerungsgröße für die notwendigen Anpassungen des Energiesystems bilden sollten. Wenn man wie ich glaubt, dass an vielen Stellen die Entdeckungsfunktion solcher Preissignale unverzichtbar ist, müssen intelligent und marktlich erzeugte Preissignale eine Kernkomponente der entsprechenden politischen Instrumente bilden. Das heißt aber auch, dass wir in einigen Bereichen, z.B. bei der Förderung erneuerbarer Energien und im Bereich der Energieeffizienz, wohl über einige Zeit auch noch komplementäre Regulierungsansätze brauchen werden.
Wie verhält es sich mit den sich bereits im Bau befindenden Kohlekraftwerken?
mattheS Das Geld dafür ist im Wesentlichen ausgegeben und die meisten werden wohl auch in Betrieb gehen. Langfristig passen sie jedoch nicht ins System und wir werden uns darauf einstellen müssen, in zwanzig oder dreißig Jahren eine Diskussion zu bestehen, dass diese Kraftwerke deutlich vor dem Ende ihrer technischen Lebensdauer wieder aus dem Markt gedrängt werden müssen. Spätestens dann werden sie sich wohl als schwere Hypothek erweisen.
Das heißt aber auch, dass Strom teurer wird, wodurch sich der Bau neuer Anla-gen oder die stärkere Auslastung ande-rer Anlagen eher lohnt?
mattheS Die erstgenannte Variante beruht zu einem erheblichen Teil auf der Hoffnung, dass Strommärkte wie im Lehrbuch funktionieren sowie sich Politik und Investoren vollkommen rational verhalten. Sie wird aber auch zu hohen Verteilungseffekten führen. Also höheren Preisen für die Stromkunden und erheblichen Zusatzerträgen vor allem für die Besitzer bestehender Kraftwerke. Die zweite Variante, die Schaffung von spezifischen Kapazitätsmechanismen, wird wahrscheinlich zu robusteren und vor allem preiswerteren Ergebnissen führen. Vor allem, wenn man die sogenannten Kapazitätsmechanismen auf neue Kraftwerke beschränkt.
Können wir uns langfristig auf diese bestehenden Mechanismen verlassen oder brauchen wir Optionen? Sie spre-chen in diesem Zusammenhang unter anderem von selektiven Kapazitäts-mechanismen. Was ist das und worin unterscheidet es sich vom Kapazitäts-markt?
mattheS Kapazitätsmärkte im klassischen Sinne bzw. wie beispielsweise im Nordosten der USA umgesetzt, honorieren die Bereitstellung von Kapazitäten für alle Kraftwerke, also sowohl die bestehenden als auch die benötigten NeubauKraftwerke. Wenn das Ziel vor allem darin besteht, zusätzliche Kraftwerkskapazitäten zu schaffen, so kann es sich – auch im Sinne der Stromkunden – als vorteilhaft erweisen, nur die Bereitstellung neuer Kraftwerksleistung über einen entsprechenden Kapazitätsmechanismus zu honorieren; dies bezeichnen wir als selektiven Kapazitätsmechanismus. Die Ausgestaltung solcher Mechanismen ist in sehr verschiedenen Varianten möglich, hierzu gibt es derzeit eine intensive Diskussion.
12 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
Die europäische und insbesondere die deutsche Stromversorgung werden künftig maßgeblich durch die Nutzung erneuerbarer Energien (EE) geprägt. Der Ausbau der EEErzeugung wird – neben der Nachfrageentwicklung – zur Leitgröße für die weitere Entwicklung der Stromerzeugungsstruktur.
Dies gilt nicht nur in politischer, sondern auch in technischer Hinsicht: Aufgrund der witterungsbedingt schwankenden Erzeugungscharakteristik wesentlicher EETechnologien wie Wind und Solar
energie steigen die Anforderungen an die Flexibilität der übrigen Systemkomponenten.
Vor diesem Hintergrund hat das Konsortium von Consentec GmbH und dem Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft (IAEW) der RWTH Aachen im Auftrag des BDEW untersucht, wie die Flexibilitätsoptionen auf der Angebotsseite der Stromversorgung so ausgestaltet werden können, dass diese Versorgung auch bei weiter steigendem EEAusbau jederzeit gesichert ist.
die zukunFt deS konventionel-len kraFtWerkS-ParkS
›Der Kraftwerkspark muss künftig ganz neue technische Flexibilitätsanforderungen erfüllen, um die politischen Vorgaben der Energiewende zu erfüllen. Dr. Christian Zimmer erläutert die Ergebnisse eines für den BDEW erstellten Gutachtens.
13zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
Die Studie betrachtet konkret die Jahre 2020 und 2030, in denen gemäß dem Energiekonzept der Bundesregierung der EEAnteil am deutschen Bruttostromverbrauch 35 Prozent bzw. 50 Prozent erreichen soll. Die Stromnachfrage soll im gleichen Zeitraum gegenüber 2008 um zehn Prozent (2020) bzw. 15 Prozent (2030) sinken. Als Variantenrechnung wird alternativ ein Verharren der Nachfrage auf dem Niveau von 2008 betrachtet.
Zur Sicherung der Versorgung mit Elektrizität wird – analog zu den aktuellen politischen Vorgaben und der gängigen Beurteilungspraxis der Bundesregierung – gefordert, dass die Deckung der Stromnachfrage jederzeit mit inländisch verfügbaren Erzeugungskapazitäten gewährleistet, das heißt eine ausreichende „gesicherte Leistung“ in Deutschland vorgehalten werden kann.
Auf den durch zunehmende Erzeugung aus erneuerbaren Energien entstehenden erheblichen Netzausbaubedarf wurde an anderer Stelle bereits umfangreich hingewiesen. Hier wird unterstellt, dass dieser notwendige Ausbau zeitgerecht erfolgt.
reSiduallaSt beStimmt FlexibilitätSbedarF
Die wichtigste Kenngröße, um den Bedarf an flexiblen Erzeugungs und Speichertechnologien zu bestimmen, ist die sogenannte Residuallast, die sich aus der Differenz von Nachfrage und nicht disponibler Erzeugung ergibt.
Das Gros des realisierbaren EEPotenzials entfällt auf EEAnlagen, deren Erzeugung von der Wettersituation abhängt (Windkraft und Solarenergie). Die starke Fluktuation dieser Erzeugung dominiert daher den Verlauf der Residuallast.
Kurzfristige Schwankungen der Residuallast führen zu einem erhöhten Bedarf an Regelleistung, die – zumindest für die Fälle, in denen kurzfristig eine Erhöhung der Erzeugungsleistung notwendig wird (sogenannte positive Regelleistung) – in konventionellen Kraftwerken vorgehalten werden muss.
Im Bereich weniger Stunden kann die Residuallast künftig um 30 – 45 Gigawatt ansteigen. Solche Situationen sind zwar technisch grundsätzlich beherrsch
bar. Die bisherige Praxis der Erzeugungsplanung auf Basis von ViertelstundenMittelwerten je Bilanzkreis stellt die hierfür notwendige Synchronisierung einer Vielzahl unabhängig betriebener Erzeugungsanlagen jedoch nicht sicher, so dass die Etablierung entsprechender Markt und Organisationsprozesse eine erhebliche Herausforderung darstellt.
Darüber hinaus treten im Jahresverlauf hohe und teilweise lange andauernde Erzeugungsdefizite auf, wenn z.B. aufgrund von Flauten die witterungsabhängige EEErzeugung zeitweise nur einen geringen Beitrag zur Nachfragedeckung leisten kann. Einzelne Defizitphasen, in denen diese Lücken von den sicher verfügbaren konventionellen Erzeugungsanlagen nicht kompensiert werden können, erreichen im Jahr 2020 eine Dauer von 20 Stunden, 2030 von über 200 Stunden. Bei stagnierender (anstatt sinkender) Stromnachfrage können bereits 2020 Defizitphasen von fünf Tagen Dauer auftreten.
Daneben entstehen aber auch temporäre Erzeugungsüberschüsse, wenn z.B. in Starkwindphasen die nicht disponible Erzeugung die Nachfrage übersteigt.
kurzFriStSPeicher und demand Side management reichen nicht auS
Es gibt viele Optionen, um diese Defizite und Überschüsse zu bewältigen: z.B. Technologien und Maßnahmen zur Anpassung der Nachfrage an das Erzeugungsangebot, das heißt Demand Side Management (DSM), Nutzung der Flexibilität von Batterien in Elektrofahrzeugen, aber auch Stromspeicher wie Pumpspeicherkraftwerke oder neue Speichertechnologien sowie Potenziale zur Flexibilisierung von KWKFernwärmeSystemen.
Diesen Optionen ist gemeinsam, dass sie eine Verschiebung der Nachfrage um realistischerweise nur wenige Stunden bewirken können. Da einzelne Phasen zusammenhängender Erzeugungsdefizite aber deutlich länger sind, kann durch Nutzung dieser
dr. chriStian zimmer ist Senior Consultant bei Consentec. Im Auftrag von Netzbetreibern, Behörden und Verbänden befasst er sich mit Fragen des Netzzugangs und Netzbetriebs, des Marktdesigns sowie der Regulierung in der Energieversorgung.
14 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
Technologien voraussichtlich nur ein marginaler Beitrag zur Reduktion der maximalen Defizitleistungen erzielt werden.
zuSätzliche konventionelle erzeugungSkaPazität iSt erForderlich – aber eventuell nicht WirtSchaFtlich
Somit können diese Flexibilitätspotenziale zwar einen Beitrag zur Optimierung des Stromversorgungssystems leisten. Lange Phasen hoher Erzeugungsdefizite erfordern allerdings zusätzlich unabdingbar einen erheblichen Zubau konventioneller Erzeugungskapazität (Neubau oder Retrofit). Über die aktuell in Bau befindlichen Kraftwerke hinaus (ca. zwölf Gigawatt) werden bis 2020 ca. sechs bis acht Gigawatt und bis 2030 ca. 19 Gigawatt benötigt. Gelingt es nicht, die Nachfrage zu reduzieren, werden sogar zusätzliche 16 Gigawatt (2020) bzw. 32 Gigawatt (2030) erforderlich. Dies ist unabhängig vom angenommenen Ausbau von Pumpspeicherwerken, DSM usw. Weiterer Zubaubedarf kann durch unzureichenden Netzausbau entstehen.
So notwendig der Zubau bzw. Erhalt konventioneller Kraftwerkskapazität ist, so unsicher ist allerdings dessen Wirtschaftlichkeit unter den aktuellen Marktbedingungen. Dies resultiert zum einen aus der Volatilität der EEErzeugung, die den residualen Energiebedarf viel stärker reduziert als die zu deckenden Leistungsspitzen. Zum anderen wirkt sich hier das angenommene Kriterium der Versorgungssicherheit aus, weil Erzeugungskapazität für den „Grenzfall“ vorgehalten werden muss, diese aber aufgrund der im Regelfall bestehenden Optimierungsmöglichkeiten durch internationalen Stromhandel nur selten zum Einsatz kommt. Die Auslastung vieler Kraftwerke wird dadurch so gering, dass eine Refinanzierung der dringend benötigten Investitionen allein über den Absatz erzeugter elektrischer Energie unrealistisch erscheint.
Verschiedentlich wird vorgeschlagen, zur Reduktion des Bedarfs an Kraftwerkskapazität künftig auch grenzüberschreitende Reserven zu berücksichti
gen. Allerdings kann ein solcher Ansatz nur ein langfristiges Ziel sein, denn er erfordert eine verbindliche Koordination der nationalen Energiepolitiken – was z.B. angesichts des international uneinheitlichen Umgangs mit dem Reaktorunglück in Fukushima kurzfristig nicht realistisch scheint.
Bis zum Jahr 2030 ist es kosteneffizient und ökologisch akzeptabel, überschüssige und nicht speicherbare EEErzeugung fallweise abzuregeln. Dies betrifft hohe Leistungsspitzen, die aber so selten auftreten, dass lediglich auf weniger als 0,5 Prozent der potenziellen EEErzeugung verzichtet werden muss.
Alternativ bestünde die Möglichkeit, sämtliche Stromüberschüsse zu speichern und zeitversetzt zu nutzen. Die einzige aus heutiger Sicht hierfür praktikable Technologie ist die Methanisierung, das heißt die Umwandlung in synthetisches Gas und Speicherung im Erdgasnetz. Weil zur Rückverstromung wiederum Gaskraftwerke benötigt werden, würde dies jedoch den Bedarf an konventioneller Kraftwerkskapazität nicht reduzieren.
Bis 2030 hätten umfangreiche Investitionen in die Methanisierung allerdings nur einen marginalen ökologischen Nutzen und wären nach derzeitigem Stand nicht wirtschaftlich. Zudem besteht mit den sogenannten EEElektroheizern eine alternative Möglichkeit der Nutzung von Überschussstrom, die freilich vorwiegend der Wärmeversorgung zugutekäme.
Um beim Stromverbrauch EEAnteile von weit über 50 Prozent zu erreichen, werden Techniken wie die Methanisierung jedoch langfristig unabdingbar, weshalb Forschung und Entwicklung in diesem Bereich vorangetrieben werden sollten. Angesichts ihres erwarteten geringen Wirkungsgrads ist bei der Bewertung von EEAusbauzielen dann zu beachten, dass die EEErzeugung deutlich stärker als der angestrebte EEAnteil an der Nachfragedeckung steigen muss.
techniken Wie die methaniSierung Sind langFriStig unabdingbar.
15zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
Szenario 2030: Wie viel Strom müSSen die erneuerbaren erzeugen?
Abhängig von der Nachfrageentwicklung steigen die Anforderungen an die Stromerzeugung durch die erneuerbaren Energien. Für die Nachfrageentwicklung wird im „Basisszenario“ entsprechend den Annahmen des Energiekonzepts 2010 ein stetig abnehmender Strombedarf unterstellt. Im Szenario eines konstanten Strombedarfs wird vom Stromverbrauch 2008 ausgegangen.
– 10 %– 15 %
50 %
50 %
35 %35 %
600
TWh
500
400
300
200
100
2020
BaSiSSzenario konStante nachfrage
BruttoStromverBrauch
ee-erzeugung
20202008 2030 2030
16 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
JoSt geWekeverantwortet im Vorstand der RWETochter Süwag Energie AG, Frankfurt/Main, das Vertriebsressort. Seine Karriere begann er nach dem Jurastudium bei der E.ON Ruhrgas AG. Im BDEW engagiert Geweke sich als Vorsitzender des Lenkungskreises Vertrieb.
andreaS mundtist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamts. In die Behörde trat er im Jahr 2000 ein. Vorher arbeitete der Jurist im „Leitungsstab Neue Bundesländer“ des Bundeswirtschaftsministeriums und war als Referent bei der FDPBundestagsfraktion tätig.
17zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011
» unSer geSchäFt Wird unSicherer und riSkanter.«
» auch andere Branchen müSSen mit unSicherheiten leBen.«
18 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS
Herr Mundt, Herr Geweke, der Wettbewerb der Energieversorger um den Endkunden scheint sich positiv zu entwickeln – zu diesem Schluss kam zum Beispiel die Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten. Allerdings wird bisher Wett-bewerb vor allem an der Preisentwicklung gemes-sen und an der Quote der Kunden, die den Anbie-ter wechseln. Ist das noch zeitgemäß?
andreaS mundt Beim Kartellamt gehen wir schon lange darüber hinaus. Wenn man beurteilen will, ob Wettbewerb funktioniert, muss man immer viele Parameter betrachten, man braucht die Gesamtschau. Wettbewerb lässt sich auch über die Qualität und den Service austragen, nicht nur über den Preis. Wenn ich mir die Endkundenebene ansehe, haben wir zusammen mit der Bundesnetzagentur eine Menge getan und eine Menge erreicht. Zum Beispiel haben wir heute den freien und reibungslosen Wechsel des Anbieters, in einigen Marktgebieten kann der Endkunde unter mehr als 100 Anbietern auswählen.
JoSt geWeke Für die Kunden spielt der Preis nicht immer die entscheidende Rolle. Ein Beispiel: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima wollten viele Kunden Grünstrom – sie hatten keinen Überblick über das gesamte Angebot und verlangten nicht den günstigsten Strom, sondern sind ihrer Überzeugung gefolgt. Der Lieferant wurde nach Charakter, Marke oder Identität ausgewählt. Und etablierte – aber sozusagen nichtgrüne – Unternehmen sind gar nicht mehr gefragt worden. Leider ist die Einsicht, dass es neben dem Preis viele weitere Wettbewerbsfaktoren gibt, noch nicht überall angekommen.
Dass der Wettbewerb funktioniert, haben wir auch nach der TeldafaxPleite gesehen: Viele Kunden sind nicht bei dem Versorger geblieben, der einspringen musste, sondern haben sich sofort einen neuen Anbieter gesucht. Dass das Wechseln heute so reibungslos möglich ist, hat übrigens auch das Verhältnis unserer Branche zum Kartellamt deutlich entspannt.
Herr Mundt, ist also alles bestens geregelt, haben Sie als Wettbewerbshüter nichts mehr zu tun im Energiesektor?
mundt Wir schauen ja nicht nur auf die Endkundenmärkte. Bei der Erzeugung, im Erstabsatzmarkt, haben wir es nach wie vor mit vermachteten Strukturen zu tun. Im Endkundenbereich muss man auch differenzieren. Bei der Grundversorgung ist noch nicht alles Gold, was glänzt. Darüber hinaus gibt es in anderen Bereichen durchaus noch gefangene Kunden, die nicht wechseln können. Ich denke an Heizstrom und Fernwärme – da existiert kein Wett bewerb. Hier brauchen wir die verschärfte Missbrauchsaufsicht nach § 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Speziell den Bereich Fernwärme sehen wir uns derzeit im Rahmen einer Sektoruntersuchung an.
Netzentgelte und staatliche Lasten machen je nach Energieart bis zu zwei Drittel des Endprei-ses aus. Damit ist für den Anbieter der Spielraum für Preisdifferenzierungen relativ gering – und er dürfte weiter schrumpfen. Wie wird sich das auf den Wettbewerb auswirken?
›Wie viel Regulierung verträgt der Endkundenmarkt für Energie, welche Bereiche sollten dem Spiel der Marktkräfte überlassen werden? Ein Wettbewerbshüter und ein Energiemanager diskutieren.
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geWeke In unserem Unternehmen fühlen wir uns manchmal wie die Inkassoabteilung der Finanzbehörden: Wir ziehen viel Geld ein für andere, bildlich gesprochen bekommen wir aber vom Verbraucher für jede Veränderung die Prügel. Und wenn Kunden nicht zahlen können, tragen wir die Forderungsausfälle – die können wir nicht weiterreichen. Ich bin mal gespannt, was 2012 an neuen Belastungen kommt. Die EEGUmlage wird ja nur graduell steigen, bei den Netzentgelten kann es anders kommen. Unter Umständen können wir unsere Preise dann kaum noch halten. Wenn die Margen kleiner werden und das Geschäft durch viele exogene Faktoren riskanter wird, kann nur der im Wettbewerb bestehen und wirtschaftlich erfolgreich Vertrieb betreiben, der beispielsweise seine Vertriebskanäle ganz bewusst auswählt und die Prozesskosten im Griff behält.
mundt Da findet ein Stück weit eine Normalisierung statt, denn auch andere Branchen müssen mit Unsicherheiten leben. Ungewöhnlich ist hier nur, dass die Unsicherheit staatlich induziert wird. Aber eins ist richtig: Beim Strompreis sind wir ein Stück weit um die Früchte der Liberalisierung gebracht worden. Seit 1999 ist der Strompreis geringfügig gestiegen, aber der Staatsanteil am Endpreis ist von 25 auf 46 Prozent angewachsen. Die Leute bekommen das Gefühl vermittelt, dass die Liberalisierung nichts gebracht habe.Eine zentrale Rolle spielt dabei die Umlage für erneuerbare Energien. Die führt zu vielen Verwerfungen, und das Verhältnis zwischen EEGUmlage und Strompreis ist bemerkenswert: Bei einem Börsenpreis von 5,6 Cent für die Kilowattstunde steigt die Umlage nächstes Jahr auf knapp 3,6 Cent. Am Ende stimmen die Preissignale von der Strombörse nicht mehr! Da sieht man schon, wo etwas passieren muss. Die Politik hat das gemerkt, aber bisher sind die Gegenmaßnahmen von einer gewissen Mutlosigkeit geprägt.
» Wir Fühlen unS manchmal Wie die inkaSSoabteilung der Finanzbehörden.«
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Stichwort erneuerbare Energien – hier wird ja noch diskutiert, wie die schwankende Einspei-sung beherrschbar gemacht werden kann. Dann fällt meistens schnell der Begriff Kapazitätsmärk-te. Herr Geweke, was bedeutet das für Energielie-feranten?
geWeke Zum einen hat die Versorgungssicherheit in den nächsten zwei bis drei Jahren nichts mit Kapazitätsmärkten zu tun, denn das ist ein mittel bis langfristiges Thema. Zum anderen: Ja, es braucht so einen Mechanismus, um Stabilität sicherzustellen. Aber es müssen Marktmechanismen sein, die diesen Prozess begleiten. Das erfordert allerdings viel Transparenz und langfristige Planbarkeit für Investitionen. Es wäre aus meiner Sicht ein Riesenfehler, zu sagen: Das ist eine staatliche Aufgabe, wir müssen das regulieren, weil es sonst nicht funktioniert. Eine QuasiRegulierung der Erzeugung würde auf die Einkaufskonditionen der Energielieferanten durchschlagen, das hätte gravierende Auswirkungen auf den Wettbewerb im Endkundenmarkt.
mundt Wir reden über Kapazitätsmärkte, weil wir davon ausgehen, dass die Investitionsanreize nicht groß genug sein werden, um neue Projekte anzustoßen. Vielleicht sollten wir einfach ein bisschen warten, ob diese Anreize wirklich ausbleiben. Denn das ist in der Tat ein langfristiges Thema, schon weil der Zubau von Kraftwerken gar nicht so schnell geht. Ich bin nicht überzeugt, dass der Staat das organisieren muss. Denn dann regulieren wir nicht mehr nur die Netze, sondern auch die Produktion – und das sollten wir nicht wollen. Im Moment befassen wir uns damit, wie so etwas aussehen kann, und sehen uns Beispiele im Ausland an. Da gibt es eine große Vielfalt von Lösungen.
Gehen wir von der deutschen Diskussion auf die europäische Ebene. Dort lautet das Ziel: Voll-endung des europäischen Energie-Binnenmark-tes. Das bedeutet letztendlich eine Harmonisie-rung der Endkundenmärkte. Wie wird sich das in Deutschland auswirken?
geWeke Ich wäre froh, wenn ich eine Glaskugel hätte und damit in die Zukunft schauen könnte. Auf jeden Fall glaube ich, dass es europaweit zu einer wei
» Wir Sollten nicht die glei-chen Fehler machen Wie im geSundheitSWeSen.«
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teren Stärkung von Verbraucherrechten kommen wird. Wie das in den einzelnen Ländern umgesetzt wird, muss sich zeigen. In Deutschland gibt es ja eine Neigung, EUAnforderungen sehr schnell und besonders vollständig zu erfüllen. Das kann die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen durchaus beeinflussen. Es wird auch Auswirkungen auf Geschäftsprozesse geben. Wir müssen jetzt schon zweimal im Jahr aufgrund der regulatorisch und gesetzlichen Veränderungen die ITProzesse anfassen – wenn ich sehe, was das kostet, und mir dann eine europäische Stufe obendrauf denke, ahne ich, was auf uns zukommt. Die Frage wird sein, welche Unternehmen sich das noch leisten können. Das wird sich auf die Wettbewerbsintensität auswirken.
Herr Mundt, wagen Sie einen Blick in die Glas-kugel?
mundt Die Kugel ist leider trüb. Aber ich möchte festhalten, dass der EnergieBinnenmarkt als letztendliches Ziel ausgerufen worden ist. Ob er tatsächlich bis 2014 kommt, werden wir sehen. Heute ist die Situation die, dass wir bei unserer Betrachtung der Märkte Österreich einbeziehen, weil die Grenzkuppelstellen gut genug ausgebaut sind. Wie das weitergeht, müssen wir abwarten. Ob viele ausländische Unternehmen auf den deutschen Markt drängen werden? Bisher zeigen die niedrigen Wechselraten, dass der Verbraucher eher träge reagiert. Andererseits könnten deutsche Versorgungsunternehmen im EUBinnenmarkt vom bundesweiten Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren. Denn mit dem Grünstrom haben sie ein Produkt, das es in anderen Ländern in dem Umfang gar nicht gibt. Ökostrom aus Frankreich können Sie so gar nicht beziehen. Aber kein Mensch kann heute prognostizieren, wie die Entwicklung am Ende genau verläuft.
Der europäische Energiebinnenmarkt mag in der ferneren Zukunft liegen, ganz konkret wird in Brüssel an einer neuen Energieeffizienz-Richt-linie gearbeitet. Hier setzt man stark auf das Ord-nungsrecht und Regulierung. Müssten wir nicht im Gegenteil mehr auf den Markt vertrauen?
geWeke Wenn wir CO2Reduzierung und Klimaschutz ernst nehmen, finde ich es logisch und konsequent, dass eine EnergieeffizienzRichtlinie erlassen wird. Wichtig ist: Genau genommen betrifft die Energieeffizienz vor allem den Endkunden. Brüssel fokussiert sich aber, so scheint es mir, darauf, die Energiebranche ein Stück weit für die Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie zwangszuverpflichten. So gibt es die Idee, dass Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) für eine jährliche Energieeinsparung von 1,5 Prozent bei ihrem Endkunden sorgen müssen.
Für mein Unternehmen haben wir das mal durchgerechnet. Wenn wir beispielsweise den Strombedarf jährlich um 1,5 Prozent senken müssten, dürften Jahr für Jahr 40 000 Haushalte gar keinen Strom mehr verbrauchen. Das zeigt, wie herausfordernd die Aufgabe ist, und wir bohren da ein sehr dickes Brett. Bei den Leuten ist das Thema nämlich noch gar nicht angekommen: Wenn EVUs einen Infoabend zur Energieeffizienz anbieten, kommen 15 Leute – Kochveranstaltungen des gleichen EVUs sehen ein Vielfaches an Interessenten. Bei Geschäftskunden verhält es sich ähnlich. Auch da ist es bei den momentanen Energiepreisen äußerst mühselig, die Kunden für Energieeffizienz zu interessieren.
Herr Mundt sprach eben von Chancen durch neue Produkte wie Grünstrom. Herr Geweke, welche Chance hätte ein Versorger noch, neue Produk-te zu gestalten, wenn die Steuerung von Strom-einspeisung und -verbrauch mehr oder weniger vollständig durch die Netzbetreiber erfolgen wür-de? Wer sollte diese Aufgabe Ihrer Meinung nach übernehmen?
geWeke Wissen Sie, Netzbetreiber können viel und müssen auch viel können. Wir müssen alle darauf achten, dass wir die Aufgaben richtig priorisieren und zuordnen. Ich sehe es als mögliche Aufgabe der Vertriebe, für die Netzbetreiber das Steuern von Bedarf und Nachfrage, das Loswerden von Überangeboten an Energie abzuwickeln. Da kann ich mir ganz neue Partnerschaften und auch Produkte und Dienstleistungen – Stichwort „Demand Side Management“ – vorstellen.
Herr Mundt, wie viel zusätzliche Regulierung ver-trägt der Energiesektor eigentlich noch? Wo sehen Sie die Grenze?
mundt Die Energiewende hat ein neues regulatorisches Fundament gelegt. Jetzt muss die Politik sehen, dass die verbleibenden Regulierungsaufgaben maßvoll wahrgenommen werden. Die Aufgabe lautet, den Rahmen richtig zu setzen und nicht über das Ziel hinauszuschießen. Denn dann müssen Sie ständig nachjustieren. Ein Beispiel dafür ist der Gesundheitsmarkt: Der ist in allen Facetten durchreguliert – und jedes Jahr ist die Politik gefordert, ein neues Gesetz zu machen, weil die Kosten wieder aus dem Ruder laufen und vieles nicht funktioniert. Wir sollten im Energiebereich nicht die gleichen Fehler machen. Wettbewerb ist auch nach der Energiewende weiterhin möglich.
22 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz
» Wir müSSen Städte oPtimieren, nicht einzelne häuSer.«
Mit übergreifenden, intelligenten Konzepten lässt sich auch der Konflikt zwischen Wärmedämmung und Denkmalschutz entschärfen, meint Dr. Thomas Welter.
›
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Heizung und Warmwasserbereitung in Gebäu-den stehen für etwa 40 Prozent des Endenergie-verbrauchs in Deutschland. Bisher sind aber nur wenige Prozent des Gebäudebestands energetisch saniert. Kommen wir hier mit dem derzeitigen Instrumentarium weiter – oder brauchen wir neue Lösungen?
dr. thomaS Welter Die Architekten engagieren sich schon sehr lange für energieeffizientes Planen und Bauen, sowohl im Neubau als auch im Bestand. Der Bund Deutscher Architekten hat zusammen mit allen anderen Verbänden und Kammern der planenden Berufe bereits 2009 das sogenannte KlimaManifest initiiert und verabschiedet. Da ging es darum zu formulieren: Was müssen wir in unseren Städten machen? Wir reden bewusst von Städten, nicht von einzelnen Gebäuden. Die energetische Optimierung von Städten ist ein komplexes Gefüge aus der Optimierung einzelner Gebäude, von ganzen Quartieren und einer Neuordnung des Verkehrs. Wir müssen die Erzeugung, Verteilung und den Verbrauch von Energie verändern, da gibt es keine einfachen Lösungen.
Aktuell betrachtet der Gesetzgeber in erster Linie das einzelne Gebäude. So schreibt die Energieein-sparverordnung von 2009 grob gesagt vor, dass Hauseigentümer alte Heizungen austauschen und den Dachboden dämmen müssen. Ist das der beste Weg zu Energieeinsparung und CO2-Reduktion?
Welter Meines Erachtens müssen wir noch viel öfter quartiersbezogene Lösungen finden. Dazu brauchen wir bei der Förderung ein System, wo nicht mehr nur das Einzelprojekt gefördert wird, etwa über einen günstigen Kredit, sondern auch die Planung und Umsetzung einer Optimierung für ein gesamtes Gebiet.
Wenn jemand die Initiative ergreift, private Eigentümer in einem Quartier zusammenzuführen und mit ihnen ein neues Konzept zu entwickeln, z.B. für Energiecontracting oder für die Nutzung des Wärmeüberschusses einer nahe gelegenen Fabrik, dann erfordert das Planung, Konsultation und Moderation – und dieser Prozess muss finanziert werden. Das wäre aus unserer Sicht eine typische Aufgabe für eine Förderbank, deshalb sollten die Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau künftig solche Leistungen berücksichtigen. Bekanntlich befinden sich drei Viertel des Wohnungsbestands in den Händen von privaten Eigentümern, die aber meist wenig Erfahrung mit der Materie haben. Deshalb braucht es Fachleute, die quartiersbezogen Energiesparpotenziale erkennen, Konzepte entwickeln und die privaten Eigentümer für intelligente Lösungen gewinnen können.
Das reine „Einpacken“ von Gebäuden in Styropor und Dämmwolle stößt technisch und ästhetisch ohnehin an Grenzen, Stichwort Denkmalschutz. Wie lässt sich der Konflikt zwischen Wärmedäm-mung und Baukultur entschärfen?
Welter Der Gegensatz „Dämmen versus Baukultur“ entsteht nur dann, wenn man die Steigerung der Energieeffizienz auf das einzelne Gebäude fokussiert und in jedem Haus den Verbrauch senken will. Bei Baudenkmalen ist es offensichtlich, dass eine einfache Außendämmung nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Oder nehmen Sie die historischen Ortskerne mit denkmalgeschützten Fachwerkhäusern, deren Energieeffizienz man nur bedingt verbessern kann. Da wäre die Frage eher, ob es in der Nähe Einheiten mit einem Energieüberschuss gibt, den man in der Altstadt verwenden kann. Wenn man eine Stadt als Ganzes betrachtet, lässt sich möglicherweise bei anderen Gebäuden durch Wärmedämmung so viel Energie sparen, dass man sich die weniger effizienten historischen Gebäude sozusagen leisten kann und unter dem Strich trotzdem die CO2Bilanz verbessert. Dasselbe gilt für wertvolle Bausubstanz, die nicht unter Denk
dr. thomaS Welterist Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Der Volkswirt war zuvor als Wirtschaftsreferent bei der Bundesarchitektenkammer tätig. Der BDA setzt sich für lebenswerte und vitale Städte ein und versteht sich als führende Plattform für baukulturelle Debatten.
25FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011
malschutz steht, z.B. die Gründerzeitviertel. Da kommt man am Ende vielleicht mit einer teilweisen Dämmung aus, etwa des Dachstuhls oder der Gartenfassade, und mit neuen Fenstern. Im Rahmen einer maßgeschneiderten komplexeren Lösung für das gesamte Quartier kann so unter Umständen die historisch wertvolle Außenfassade verschont bleiben.
Welche Rolle spielt der technische Fortschritt für die energetische Sanierung von Gebäuden?
Welter Technischer Fortschritt bringt neue Produkte, die durch Standardisierung immer günstiger werden. Nehmen wir das Beispiel Blockheizkraftwerke – die waren vor zehn Jahren etwas Besonderes und wurden nur im größeren Rahmen eingesetzt. Aber mittlerweile gibt es MiniBlockheizkraftwerke fürs Einfamilienhaus.
In der Art, wie wir heute Gebäude energieeffizienter machen, steckt noch viel Innovationspotenzial. Es gibt die Möglichkeit, dünnere DämmMaterialien zu entwickeln, und die technischen Probleme der Innendämmung sind potenziell überwindbar. Heute ist das Dämmen in mehrfacher Hinsicht problematisch: Da ist der Energieaufwand bei der Herstellung der Materialien, der in eine ehrliche und wahre Energiebilanz mit eingerechnet werden muss. Hinzu kommt die Entsorgungsfrage: Lassen sich DämmMaterialien in 30, 40 Jahren problemlos entsorgen oder stellen sie ein Umweltproblem dar?
Wird das Wohnen durch die Energiewende teurer?
Welter Wir rechnen mit steigenden Energiepreisen, das treibt die Nebenkosten nach oben. Mieter in Häusern mit niedriger Energieeffizienz werden davon besonders betroffen sein. Wir müssen uns fragen: Wie können wir gleichzeitig die CO2Reduktion erreichen und die Mieten bezahlbar halten? Im Gebäudebestand
» meineS erachtenS müSSen Wir noch viel öFter quartierS-bezogene löSungen Finden.«
26 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz
brauchen wir eine gesunde Mischung: Energetische Sanierung da, wo es sich lohnt. Und da, wo Bestände z.B. aus den Fünfziger und Sechzigerjahren energetisch und funktional nicht mehr in Ordnung sind, müssen wir Gebäude unter Umständen abreißen und durch hochwertige Neubauten ersetzen.
Neubau ist ein gutes Stichwort: 2009 hat die Wohnbautätigkeit den tiefsten Stand seit der Wie-dervereinigung erreicht, die Erholung verläuft schleppend. Wie können wir künftig energieeffi-zienten neuen Wohnraum in der benötigten Grö-ßenordnung schaffen?
Welter Wir haben in den vergangenen Jahren beobachtet, dass der Neubau den altersbedingten Abgang vom Bestand und die noch steigende Nachfrage nach Wohnraum nicht kompensiert, wir haben also zu wenig Neubau. Da wirken verschiedene Faktoren, u.a. das Zinsniveau und die Verfügbarkeit von Grundstücken. Natürlich spielen auch die Kosten eine Rolle, und die werden durch das Hochschrauben der Anforderungen an den Neubau beeinflusst. Wir sagen: Eine Verschärfung der Anforderungen muss sich am technischen Fortschritt orientieren. Sie darf nicht zu schnell passieren und für jeden Neubau sozusagen die Energieeffizienz eines Leuchtturmprojekts vorschreiben. Denn die Praxis zeigt, dass diese besonders anspruchsvollen, meist von großen Wohnungsgesellschaften realisierten Projekte sich wirtschaftlich nur durch Quersubventionierung aus dem restlichen Bestand tragen. Daran sehen wir, dass es eine Grenze gibt. Wir können das nicht mit der Masse der Gebäude machen.
Außerdem verunsichern die steigenden Ansprüche an Neubauten die Investoren. Wer damit rechnen muss, dass ein heute nach dem Stand der Technik energetisch optimiertes Haus in zwei Jahren schon von gestern ist, wird sich zurückhalten. Wir plädieren dafür, dass die Regulierung sich langsamer entwickelt. Deshalb halten wir es für gefährlich, die Energieeinsparverordnung von 2009 im kommenden Jahr schon wieder zu ändern. Es wäre sinnvoller, die Vorgaben weniger hektisch anzupassen oder aber prognostizierbare Veränderungsschritte einzubauen, z.B. eine Steigerung der Energieeffizienz um jährlich fünf Prozent.
Sie fordern eine neue Förderstruktur und mehr Augenmaß bei der Verschärfung der Anforderun-gen an die Energieeffizienz von Gebäuden. Lässt sich damit verhindern, dass die Energiewende an Heizung und Warmwasser scheitert?
Welter Mindestens genauso wichtig finde ich, dass die Kürzungen bei den Stadtumbauprogrammen aufhören müssen. Denn diese Programme haben den quartiersbezogenen Ansatz sehr gefördert. Kommunen waren dadurch in der Lage, neue Projekte anzuschieben. Untersuchungen haben gezeigt: Ein Euro Städtebauförderung führt zu sieben Euro privaten Investitionen. Wir kriegen die Energiewende – und die anderen anstehenden Herausforderungen, etwa die Folgen der demografischen Entwicklung – nur in den Griff, wenn wir die Programme zur Städtebauförderung stabil halten oder sie sogar wieder aufstocken.
» eS Wäre Sinnvol-ler, die vorgaben Weniger hektiSch anzuPaS-Sen.«
27FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011
drei Fragen an klauS JeSSe
klauS JeSSe ist seit 2006 Präsident des Bundesindustrieverbands Deutschland Haus, Energie und Umwelttechnik e.V. (BDH). Die Mitgliedsunternehmen des BDH erwirtschafteten im Jahr 2010 weltweit einen Umsatz von 12,2 Milliarden Euro und beschäftigten rund 62 000 Mitarbeiter. Jesse arbeitet für einen der führenden Anbieter der Heizungsindustrie: In der Vaillant Group verantwortet er die weltweite Tätigkeit des Geschäftsbereichs Vaillant.
03WaS Sollte der Staat tun – brauchen Wir änderungen deS rechtlichen rahmenS, der SteuergeSetze und der Förder-Politik?
Grundsätzlich vertritt der BDH die Ansicht, dass das Ordnungsrecht über die Energieeinsparverordnung (EnEV) oder das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien im Wärmebereich zwar eine positive Wirkung für den Neubau hat, für den Bestand aber nur bedingt durchsetzbar ist. Unsere Forderung an die Optimierung des Ordnungsrechts lautet, auf Zwangsmaßnahmen zu verzichten. Sie sind am Markt nicht durchzusetzen und aufgrund des Bestandsschutzes rechtlich gesehen fragwürdig oder sogar unrealistisch. Stattdessen fordern wir eine attraktive Politik der Anreize. Konkret meint das den Dreiklang der Förderungen, bestehend aus KfWFörderung, Marktanreizprogramm und Steuerabschreibung. Bei der Steuerabschreibung setzen wir übrigens nicht auf die umfassende Sanierung von Gebäuden nach dem Modell der Bundesregierung, sondern besonders auf die Abschreibung von Teilsanierungen. Die von der Bundesregierung geforderte umfassende Sanierung können – bedingt durch Investitionsvolumina für ein kleines Haus von 150 Quadratmetern von über 50 000 Euro – nur drei bis fünf Prozent der Bevölkerung stemmen. Dagegen würden Teilsanierungen, die zwischen 10 000 und 25 000 Euro zu realisieren sind, pro Investitionsfall bereits Einsparungen von 30 Prozent und mehr erlauben.
02hauSbeSitzer Sind unSicher, ob Sie ihre inveStitionen reFinan-zieren können. Wie kann die induStrie dazu beitragen, daSS die energetiSche Sanierung Sich häuFiger rechnet?
Der BDH hat Zahlen erhoben, aus denen hervorgeht, dass in Deutschland lediglich zwölf Prozent der 19,5 Millionen installierten Wärmeerzeuger effizient arbeiten und erneuerbare Energien nutzen. Hier haben wir also per se einen großen Handlungsbedarf. Wenn man die notwendigen Investitionen für eine Dämmung und den Aufwand für technische Sanierung gegenüberstellt, so ist die Investition in Technik – und damit die Amortisierungszeit – deutlich geringer.
Die Unternehmen, die im BDH organisiert sind, haben weltweit die Technologieführerschaft inne. Technischer Standard ist derzeit die Brennwerttechnik. Hier werden Nutzungsgrade von bis zu 98 Prozent erzielt. In der Gasanwendung ist der nächste Innovationsschritt die dezentrale KraftWärmeKopplung oder, mit anderen Worten, die stromerzeugende Heizung. Eine weitere effiziente Technologie ist die Wärmepumpe. Hier können je nach Wärmequelle aus einem Anteil Strom bis zu vier Anteile Wärmeenergie aus der Umwelt gewonnen werden.
01WaS Sind die gründe Für den inveStitionSStau bei der ener-getiSchen Sanierung deS ge-bäudebeStandS, und Wie kann abhilFe geSchaFFen Werden?
Ein wesentlicher Aspekt sind die unsteten Förderbedingungen. Das hat die Verbraucher verunsichert. Um diesen für die Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien kontraproduktiven Trend umzukehren, bedarf es einer Verstetigung.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das im Frühjahr von der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Steuerabschreibungsmodell für Renovierungsmaßnahmen an Wohngebäuden, das von den Bundesländern aufgrund von rein haushaltspolitischen Erwägungen ausgebremst wurde. Solange hier unklar ist, wie es mit dem Modell der Steuerabschreibung weitergeht, halten sich die Verbraucher mit Investitionen natürlich zurück. Ein weiterer Grund für den Rückgang von Investitionen in anspruchsvolle und effiziente Anlagentechnik sind sicherlich auch die stark schwankenden Energiepreise der letzten Jahre. Die folgenden Zahlen belegen diese Entwicklung: 2008 lag der Anteil neu installierter Heizungsanlagen, die sowohl effizient heizen als auch erneuerbare Energien nutzen, bei 45 Prozent. 2011 beträgt dieser Prozentsatz gerade noch 22 Prozent.
29FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011
Alle reden über den Umbau der Stromversor-gung, aber kaum jemand widmet sich mit der gleichen Energie den Themen Effizienz und Wär-me. Warum nicht? Will niemand das Wort „spa-ren“ aussprechen?
dr. Peter ramSauer Es stimmt, dass wir für den Umbau der Stromversorgung auf regenerative Energien und für den Ausstieg aus der Kernenergie eine Vielzahl von Gesetzen erlassen haben. Das steht vielleicht in der Öffentlichkeit im Vordergrund und die anderen Maßnahmen rücken etwas in den Hintergrund. Aber auch im Bereich Energieeffizienz haben wir viel getan. In unserem Eckpunktepapier „Energieeffizienz“ haben wir vereinbart, den Primärenergieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 2008 zu senken. Dabei soll der Wärmebedarf des Gebäudebestandes bis 2020 ebenfalls um 20 Prozent gesenkt werden. Der Endenergieverbrauch im Bereich Verkehr soll bis 2020 um zehn Prozent reduziert werden. Das sind ehrgeizige Ziele, die nur gemeinsam mit der Industrie zu schaffen sind. Wir unterstützen auch das von der EU formulierte Ziel, die Energieeffizienz im Gebäudebereich bis 2020 um 20 Prozent zu steigern. Dazu werden besonders die CO2Gebäudesanierungsprogramme beitragen, die wir über 2011 hinaus verlängert und mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr sehr gut ausgestattet haben. Zudem haben wir den Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden vorgelegt, der jetzt mit den Ländern im Vermittlungsausschuss diskutiert wird. Auch das sind weitere Anreize zum energieeffizienten Sanieren. Das Thema Energiesparen steht also ganz oben auf der politischen Tagesordnung.
Das nationale Energiekonzept sieht vor, bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu haben. Dafür ist die Verdopplung der energe-tischen Sanierungsrate von ein auf zwei Prozent erforderlich. Momentan liegt diese im Gebäude-bestand laut Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) zwischen 0,9 bis 1,3 Prozent jährlich. Wel-ches sind die „längsten Hebel“, um diese enorme Steigerung zu schaffen? Wie bewerten Sie die Kos-ten der verschiedenen Effizienzinstrumente für Eigentümer und Mieter?
ramSauer Wir wollen die Sanierungsquote erhöhen und setzen dabei auf die Stärkung des Wohneigentums und auf freiwillige Anreize – erstens durch die KfWFörderung und zweitens durch die geplanten Steuererleichterungen. Durch die Energieausweise haben wir für mehr Transparenz in Sachen Energieverbrauch gesorgt. Energieeffizienz ist inzwischen ein wichtiges Kriterium beim Kaufen und Mieten. Die Nachfrage nach energieeffizienten Objekten wird auf dem Immobilienmarkt dadurch immer stärker. Aber auch mit Verbesserungen im Mietrecht wollen wir die Investitionsfreudigkeit der Immobilienbesitzer steigern. Klar ist, dass die Kosten für die Sanierung des Gebäudebestands fair auf Mieter und Vermieter verteilt werden müssen. Eigentümer und Mieter profitieren ja auch beide. Die Investitionskosten sinken wegen der Förderung und anschließend kann man sich über niedrigere Nebenkosten und mehr Wohnkomfort freuen – durch den Energieeinspareffekt.
› 2050 soll der deutsche Gebäudebestand kaum noch klimaschädliche Emissionen verursachen. Wie kann dieser Kraftakt gelingen? Fragen an den zuständigen Bundesminister Dr. Peter Ramsauer.
dr. Peter ramSauerist seit 2009 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und stellvertretender Vorsitzender der CSU.
30 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz
Der „Energie- und Klimafonds“, in dem auch die Mittel für das sogenannte CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm gebündelt sind, soll zukünftig vollständig auf den Einnahmen aus der Verstei-gerung der CO2-Emissionszertifikate basieren. Aus heutiger Sicht lassen sich die geplanten Ein-nahmen jedoch schon für 2012 nicht erreichen, da der Preis für die Zertifikate aller Voraussicht nach nicht so hoch sein wird wie von der Bundesregie-rung angenommen. Wie werden Sie die Finanzie-rung des Fonds zukünftig sichern?
ramSauer Die Preisentwicklung für CO2Zertifikate hat im Jahre 2011 extreme Schwankungen aufgewiesen. Eine Erklärung hierfür ist, dass in den Jahren 2009 und 2010 die Emissionen im Emissionshandelssektor EUweit unter der Gesamtmenge an Zertifikaten lagen. Dies war vor allem eine Auswirkung der Finanz und Wirtschaftskrise. Zudem gab es in den osteuropäischen Ländern Überhänge aus der dortigen Umstellung der Wirtschaftssysteme. Bis Anfang Oktober 2011 wurden rund 35 Millionen Zertifikate versteigert. Die Gesamterlöse aus diesen Versteigerungen betrugen für 2011 bislang 502 Millionen Euro, dies entspricht etwa 14,5 Euro je Zertifikat. Die Prognosen gehen für 2012 von einer auskömmlichen Einnahmesituation für den EKF aus. Im Fall eines Finanzierungsdefizits besteht für das Sondervermögen gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie und Klimafonds“ (EKFG) die Möglichkeit, ein Liquiditätsdarlehen aus dem Bundeshaushalt zu erhalten.
Sind Steuervorteile nicht die beste Möglichkeit, um Eigentümer zu motivieren? Sehen Sie noch Einigungsmöglichkeiten mit den Ländern und welche ähnlich wirksamen Alternativen gibt es im Falle eines endgültigen Scheiterns?
ramSauer Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Einigung mit den Ländern kommen. Ich sehe eine steuerliche Förderung als wichtige Ergänzung des bestehenden staatlichen Förderinstrumentariums an. Bis vor kurzem war das Schicksal des Gesetzes aufgrund des Widerstands der Länder ungewiss. Jetzt ist das Gesetz im Vermittlungsausschuss gelandet, wie ich es von Anfang an wollte. Einige Länder wie Bayern haben bereits signalisiert, die Steuererleichterungen zu unterstützen. Es geht aber nicht nur um die entstehenden Steuermindereinnahmen. Auf der Bauministerkonferenz haben die Länder signalisiert, dass sie bei der Umsetzung einer steuerlichen Förderung teilweise andere Vorstellungen haben.
Der Entwurf des Bundeshaushaltsplans 2012 sieht vor, die bundesweite Städtebauförderung im kommenden Jahr von 455 Millionen Euro auf 410 Millionen Euro, also um weitere zehn Prozent, zu kürzen. Bereits 2011 wurden die Mittel um 155 Millionen gekürzt. Ist das seit Jahren erfolgreiche Stadtumbau-Programm jetzt nicht stark gefähr-det? Befürchten Sie nicht in künftig vom demogra-fischen Wandel besonders betroffenen Regionen deutlich höhere Wasserpreise, Abwassergebühren und Fernwärmepreise, wenn die Anpassung der Infrastruktur an den sinkenden Bedarf nicht mehr gefördert wird?
ramSauer Mit der Städtebauförderung haben wir seit 40 Jahren ein sehr erfolgreiches Instrument. Bund, Länder und Kommunen gestalten darüber gemeinsam den städtebaulichen Wandel vor Ort. Egal, ob das demografisch, wirtschaftlich, sozial oder energetisch bedingt ist. Seit 1971 hat der Bund rund 14 Milliarden Euro für die Städtebauförderung bereitgestellt. Länder und Kommunen steuern in etwa das Gleiche bei, und die Investitionen lösen etwa das Achtfache an privaten Investitionen aus.
Die Ausstattung der Programme der Städtebauförderung hängt natürlich mit der Haushaltssituation des Bundes zusammen. Die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen Sparmaßnahmen wirken sich auf alle Haushaltstitel aus. Zunächst war die Sparvorgabe, die Programme zu halbieren. Wir hätten nächstes Jahr dann nur rund 265 Millionen Euro gehabt. Ich begrüße die Entscheidung des Parlaments sehr, die Programme der Städtebauförderung auf dem Niveau von 455 Millionen Euro zu verstetigen. Für die Förderung der Kommunen steht damit nächstes Jahr mehr Geld bereit als dieses Jahr: 455 Millionen Euro für die sechs
31FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011
Programme der Städtebauförderung plus 92 Millionen Euro für das neue Programm zur energetischen Stadtsanierung. Damit kann man sehr gut arbeiten. Und: Kein Programm ist gefährdet, vielmehr konnten alle erhalten werden. Die Programme der Städtebauförderung sind auch bereits stark darauf ausgerichtet, Auswirkungen des demografischen Wandels abzumildern. So erfolgt z.B. mit dem Programm „Stadtumbau“ eine Anpassung der Wohnquartiere oder mit dem Programm „Kleinere Städte und Gemeinden“ eine besondere Förderung der Kooperation zur besseren Nutzung und Erhaltung der Infrastruktur im ländlichen Raum. Wasser bzw. Abwasserinfrastruktur ist dagegen kein Thema der Städtebauförderung – hier stehen die örtlichen Versorger in der Pflicht.
Unser StädtebauPaket von 547 Millionen Euro ist vor dem Hintergrund der anstehenden Herausforderungen ein wichtiges Signal an die Kommunen: Der Bund ist und bleibt ein verlässlicher Partner.
Eine große Herausforderung ist der Spagat zwi-schen Klimaschutz und Kulturschutz – beides zu-sammen ist oft nicht erreichbar. Wäre es möglich, die Altstadt von Regensburg auf einen Nullener-
giestandard zu bringen? Was sagen Sie denen, die eine ästhetische Verarmung befürchten und sich auch um den Denkmalschutz sowie allgemein um eine lebenswerte städtische Umwelt Sorgen ma-chen – wenn wir unsere Städte komplett in Styro-por verpacken?
ramSauer Man muss beim Bauen immer eine Vielzahl von Interessen und Anforderungen unter einen Hut bringen. Denkmalpflege und Energieeffizienz ist nur eines von vielen Kriterienpaaren, das in Übereinstimmung zu bringen ist. Das ist in der Tat oft ein Dilemma. Man muss da mit Augenmaß und Sachverstand rangehen. Nicht jedes Gebäude kann auf modernsten Standard gebracht werden, ohne dabei Schaden zu nehmen. Und nicht nur ästhetisch, das kann durchaus an die Substanz gehen. Unsere historischen Gebäude sind ein wunderbares und wertvolles Erbe, das wir nicht gefährden dürfen. Ich will deshalb weg von der Betrachtung einzelner Gebäude hin zu einer Betrachtung des Quartiers, so dass in der Summe etwas Sinnvolles für das Klima herauskommt. Dazu kommt, dass sich auch im Bereich der Heiz und Haustechnik viel entwickelt – je umweltfreundlicher die Energie produziert wird, desto weniger wichtig wird zum Beispiel die Dämmung für die Klimabilanz.
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» bei der rendite rangieren Wir euroPaWeit im unteren drittel.«
» die klage iSt der gruSS deS kaufmannS.«
boriS Schuchtist Sprecher der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission. Das Unternehmen betreibt im Norden und Osten Deutschlands ein Leitungsnetz von rund 9 750 km Länge und gehört dem belgischen Netzbetreiber Elia und dem australischen Infrastrukturfonds IFM.
JohanneS kindlerist Vizepräsident der Bundesnetzagentur. Die Behörde hat die Aufgabe, durch Liberalisierung und Deregulierung den Wettbewerb unter anderem auf dem Elektrizitätsmarkt voranzutreiben. Zuvor war er im Bundeskanzleramt in der Energie, Außenwirtschafts und Wettbewerbspolitik tätig.
34 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur
Herr Schucht, aus der Sicht eines Übertragungs-netzbetreibers: Wie fällt Ihre bisherige Bilanz der Regulierung in Deutschland aus?
boriS Schucht Die deutschen Übertragungsnetze sind die qualitativ besten auf der Welt, wir haben die niedrigsten Störzeiten. Das ist die Folge langjährigen verantwortungsvollen Investierens und Be treibens dieser Netze. Wir brauchen aber einen regulatorischen Rahmen, der uns das auch in Zukunft wirtschaftlich ermöglicht.
Die Regulierung hat Anlaufschwierigkeiten gehabt. Einige Dinge haben sich bereits eingespielt und verbessert, trotzdem haben wir erst den halben Weg geschafft. Es gab in den vergangenen Jahren einige Defizite. Beispielsweise konnten wir als effizient arbeitender Netzbetreiber nur eine Eigenkapitalrendite von minus 1,4 Prozent im Durchschnitt der letzten fünf Jahre erreichen. Das zeigt, dass es noch klare Probleme in der Regulierung gibt. Aber wir sind gemeinsam mit der Bundesnetzagentur und den zuständigen Ministerien auf dem Weg, diese Defizite zu identifizieren und zu beheben. Die Energiewende ist der richtige Anlass, um über den regulatorischen Rahmen zu reden und ihn kontinuierlich zu verbessern.
Herr Kindler, teilen Sie die Einschätzung, dass es noch Nachholbedarf gibt?
JohanneS kindler Ich meine, dass die Regulierung bereits heute gut funktioniert, sie hat im Ausland enorm an Ansehen gewonnen. Wichtige internationale Investoren versichern mir, dass sie einen sehr guten Eindruck vom „Netzstandort“ Deutschland haben. Verschiedene haben sich bereits engagiert, andere stehen kurz davor. Die von Herrn Schucht für sein Unternehmen genannte Rendite kann ich nicht kommentieren. Insgesamt haben wir aber in Deutschland ein einmaliges Verhältnis von Rendite und nachhaltiger Investitionssicherheit geschaffen, wo jeder Netzbetreiber und jeder Investor eine faire Rendite bekommt, wenn er sein Unternehmen einigermaßen effizient führt. Ich betone: eine faire Rendite – nicht weniger, aber auch nicht mehr!
Herr Schucht, welche Verbesserungen mahnen Sie konkret an?
Schucht Beispielsweise funktioniert in der Regulierungspraxis für Neuinvestitionen noch nicht alles so, dass die richtigen Anreize gesetzt werden. Aber hier hat die Bundesnetzagentur positive Signale ausgesandt, gut so.
Wir stehen vor großen Investitionen, allein in die Übertragungsnetze werden wir in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich rund 20 Milliarden Euro investieren müssen. Wenn wir die Energiewende wollen, müssen wir den Rahmen so setzen, dass am Ende nicht gilt: Wer investiert, verliert. Da gibt es noch einige Probleme zu lösen.
› Seit sechs Jahren reguliert die Bundesnetzagentur den Betrieb der Übertragungsnetze. Welche Veränderungen der Rahmenbedingungen sind nötig, damit die Energiewende gelingt? Ein Streitgespräch.
35 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011
Dazu kommen noch sehr viele Kleinigkeiten, etwa die Kosten für Forschung und Entwicklung. Öffentlichkeit und Politik fordern von uns, dass wir neue Technologien einsetzen sollen, etwa für ein Overlay Grid, die zukünftigen HochleistungsStromautobahnen. Das werden wir aber nur dann umsetzen können, wenn wir die Forschungs und Entwicklungskosten regulatorisch angemessen anerkannt bekommen. Die EU hat das erkannt und klare Forderungen gestellt, das ist aber in der deutschen Regulierung noch nicht ganz angekommen.
kindler Das Grundprinzip der Bundesnetzagentur lautet: Für jedes Problem findet sich eine Lösung. Forschung und Entwicklung sind normalerweise Aufgaben der Anlagenbauer, das wird über den Anlagenpreis abgegolten und vom Netzbetreiber auf die Preise umgelegt. Wenn ein Netzbetreiber eigenständig Forschung und Entwicklung betreibt, wird man Möglichkeiten finden, das angemessen zu vergüten. Dem werden wir uns nicht verweigern.
Die Bundesnetzagentur hat die Eigenkapital-verzinsung für Neuinvestitionen soeben auf rund neun Prozent festgesetzt und versteht das als deutlichen Anreiz für Versicherungen, Pen-sionsfonds und andere Großanleger, in deut-sche Energie infrastruktur zu investieren. Herr Schucht, überzeugt Sie das?
Schucht Zumindest wurde damit vermieden, ein fatales Signal an die Finanzmärkte zu senden – das wäre bei einer weiteren Absenkung der Verzinsung ohne die gleichzeitige Beseitigung aller regulatorischen Defizite der Fall gewesen. Wo die richtige Höhe der Verzinsung liegt, entscheidet am Ende der Kapitalgeber. Ich kann Ihnen sagen: Internationale Investoren schauen nur auf die Rendite nach Steuern, da stehen wir jetzt bei sieben Prozent und rangieren im europäischen Vergleich im unteren Drittel. Auf der Habenseite steht natürlich, dass Deutschland hohe Sicherheit bietet. Ob das reicht, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber: Die EliaGruppe hat sich gerade in den USA mit zehn Prozent an der „Atlantic Wind Connection“ beteiligt, auch „GoogleProjekt“ genannt. Da hat uns der Regulierer bei einem meiner Einschätzung nach sogar günstigeren Risikoprofil eine Nachsteuerrendite von 12,6 Prozent zugestanden. Wo möchten Sie das Geld für Ihre Altersvorsorge angelegt sehen – in Deutschland zu rund sieben Prozent oder in den USA zu mehr als zwölf Prozent?
kindler Die Netzbetreiber handeln gern nach dem Grundsatz: Die Klage ist der Gruß des Kaufmanns. Natürlich möchten sie mehr Rendite. Mir ist aber um neue Investoren nicht bange. Derzeit herrscht in Europa und weltweit ein „Anlagenotstand“, das liegt auch daran, dass die Märkte seit Jahren mit billigem Geld geflutet werden. Viele Pensionskassen und Versicherungen suchen sichere, vernünftig verzinste Anlagen.
» die regulierung Funktioniert heute gut.«
» da Sehe ich noch gewiSSe ProBleme.«
36 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur
» die verSorgungS-Sicherheit iSt in dieSem Winter geWährleiStet.«
» in deutSchland könnten zwei regio-nen ProBlematiSch werden.«
Im Augenblick herrscht sicherlich noch Vorsicht. Aber die Ersten haben schon zugegriffen, und weitere werden folgen, da bin ich mir sicher.
Im Übrigen hat bisher jedes Netz, das verkauft wurde, einen Abnehmer gefunden. Zeigen Sie mir einen Bereich der gewerblichen Wirtschaft, der dem Wettbewerb ausgesetzt ist und der eine solche Kombination von Sicherheit und Rendite bietet – wir haben bisher kein Beispiel finden können. Und was die USA betrifft, so stelle ich mich gerne jeder Diskussion. Sowohl in puncto Stabilität der Netze als auch in puncto Finanzierung. Auch bei uns werden gerade Finanzinvestoren mit einer „Leverage“ arbeiten, die insgesamt stattliche zweistellige Renditen ermöglicht. Übrigens überlegt die Bundesnetzagentur auch, wie Bürger finanziell am Netzausbau partizipieren können. Wir
könnten uns vorstellen, Bürgerfonds vorzuschlagen, die natürlich sehr seriös gestaltet werden müssen. Das würde die Vermögensbildung fördern, denn eine vergleichbare Rendite finden Sie momentan bei keiner anderen seriösen Anlageform. Und für die Akzeptanz wäre es ebenfalls günstig.
Nicht nur Investoren wollen Sicherheit – auch der Verbraucher hat ein Recht darauf, nämlich auf Ver-sorgungssicherheit. In diesem Winter steht den Netzen eine Belastungsprobe bevor, vor allem als Folge der Abschaltung von acht Atomkraftwerken im Zuge des Moratoriums. Wie stellen sich Regu-lierer und Netzbetreiber darauf ein?
37 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011
kindler Wir gehen nach bestem Wissen und Gewissen davon aus, dass die Versorgungssicherheit in diesem Winter gewährleistet ist. Wir haben uns die Entscheidung, auf die Wiederinbetriebnahme eines bereits stillgelegten Kernkraftwerks zu verzichten, nicht leicht gemacht. Nach menschlichem Ermessen haben wir die nötigen Sicherungen eingebaut. Wir haben in Deutschland etwa 1 000 Megawatt an zusätzlicher Kraftwerkskapazität identifiziert, und nochmals dieselbe Kapazität aus Österreich. Das sollte als Sicherheitspuffer reichen. Dass die Situation allgemein fragiler geworden ist, wissen wir, das war aber schon vor Fukushima und dem Moratorium so.
Schucht Es gibt in Deutschland zwei Regionen, in denen es problematisch werden könnte: Süddeutschland und der Großraum Hamburg. Im Norden ist 50Hertz zuständig. Dort ist als Großkraftwerk nur noch Brokdorf in Betrieb und wir haben leider die Nordleitung von Schwerin nach Hamburg noch nicht. An kalten Wintertagen mit wenig Wind haben wir in der Region ein Spannungsproblem, doch wir sind vorbereitet. Beispielsweise reden wir mit Kunden über das Abschalten von Lasten in den Spitzenzeiten, etwa von Stahlwerken und Aluminiumproduktionen, um zusätzliche Sicherheit und Spielräume zu schaffen. Insofern glauben wir, dass die Situation sehr angespannt sein wird, aber in einem vertretbaren Rahmen bleibt.
39 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011
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daS 50,2 hertz- ProblemAn den wachsenden Anteil von Strom aus Solar- und Windkraftwerken muss sich unser Energiesystem erst noch anpassen – sonst ist die Stabilität der Elektrizi-tätsversorgung gefährdet. Der Ingenieur Ludger Meier beschreibt die Herausforderungen.
40 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur
Was bedeutet der massive Zubau der Erneuerbaren am deutschen Strommix für die Netzinfrastruktur bzw. für die Netz- und Systemstabilität?
ludger meier Die Erzeugungsstandorte werden zukünftig nicht mit den bisherigen übereinstimmen. Es ist klar, dassdamit auch auf die Netze völlig neue Herausforderungen zukommen. Der Fokus der dezentralen Einspeisung, zumeist auf Photovoltaik(PV) und Windbasis, liegt in den Verteilnetzen und dort in den lastfernen Gebieten. Größere Erzeugungsleistungen mit Anschluss an das Höchst oder gegebenenfalls Hochspannungsnetz sollen durch On/OffshoreWindparks oder die großen Solarparks bereitgestellt werden. Es ist unstrittig, dass der Netzanschluss all dieser Erzeugungsanlagen neue Leitungen für den Energietransport erforderlich macht. Gemäß der bisherigen Gesetzeslage muss die Netzinfrastruktur so ausgelegt werden, dass auch selten auftretende Leistungsspitzen der regene
wandel auch einen Technologiewandel – vereinfacht gesagt – vom Synchrongeneratorbasierten zum Umrichterbasierten Erzeugungssystem. Netzrelevante Merkmale, die von den Synchronmaschinen per se erbracht wurden, sind künftig nicht mehr bzw. nur noch in geringerem Umfang vorhanden, dafür kommen andere Merkmale hinzu, die es erst noch einzuordnen und mit Blick auf einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb näher zu untersuchen gilt. Dass wir beispielsweise mit den Ergebnissen einer Studie zur 50,2HertzProblematik ein Vorgehen gefunden haben, stimmt mich jedoch optimistisch, dass wir die Herausforderungen beim Umbau und der Weiterentwicklung der Netze meistern werden. Allerdings hätte ich die Bitte, dass in künftige Entscheidungen zu Erzeugung oder Netz mit den technischen Verantwortlichen im Vorfeld beraten wird, da die Systemreserven bereits mehr und mehr aufgezehrt wurden.
Wie dramatisch ist vor diesem Hinter-grund das 50,2-Hertz-Problem? Droht im Winter 2012 ein Blackout?
meier Frequenzschwankungen zwischen etwa 49,9 Hertz und 50,1 Hertz sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Die Frequenz von 50,2 Hertz liegt 0,1 Hertz oberhalb von diesen Maximalwerten und entspricht einer Leistungsdifferenz im Ver bundnetz je nach tatsächlich angeschlossener Erzeugungsleistung von ca. drei Gigawatt und somit dem Leistungsbedarf zweier Großstädte. Ereignisse, die zu diesen großen Lastabschaltungen führen und damit zum Frequenzanstieg auf über 50,2 Hertz, treten selten auf. (Erläuterungen hierzu und zum auftretenden JoJoEffekt siehe gelber Kasten). Die BlackoutDiskussion im Zusammenhang mit der Still legung von Kernkraftwerken steht nicht in direktem Zusammenhang mit dieser 50,2HertzThematik. Die aktuelle Situation in den deutschen Übertragungsnetzen ist wesentlich durch das KKW Moratorium bestimmt. Gefährdungen der Systemsicherheit konnten durch umfas
rativen Erzeugung über das Netz transportiert beziehungsweise verteilt werden können. Dies sollten wir in Frage stellen, da der Ausbau sehr teuer wird und nicht effizient sein muss. Vergleichbar wäre der Sachverhalt mit einem Gesetz zum Ausbau des Straßennetzes, in dem auch zu Spitzenzeiten kein Stau entstehen darf – wünschenswert, jedoch kostspielig.
Wie lösen wir das Problem sonst?
meier Zusätzlich zur Erweiterung der Netzinfrastruktur ist ein anderes physikalisches Verhalten der „neuen“ Erzeugungslandschaft zu berücksichtigen. Einerseits haben wir die starke Volatilität von PV oder Windenergieerzeugung, die dem Erfordernis eines stabilen elektrischen Systems nach einer sekundengenauen Leistungsbalance von Erzeugung und Verbrauch zunächst nicht gerecht wird, zumindest solange nicht, bis im nennenswerten Umfang Energiespeicher zur Verfügung stehen. Andererseits bedeutet der Erzeugungs
50,2 hertz und der Jo-Jo-eFFekt
Alle PhotovoltaikAnlagen, die nach dem 1.9.2005 an das Niederspannungsnetz angeschlossen wurden, trennen sich bei Überschreitung der Netzfrequenz von 50,2 Hertz unverzüglich vom Netz. Damit ergeben sich erhebliche Risiken für den Netzbetrieb. Wird die Netzfrequenz von 50,2 Hertz zu einem Zeitpunkt mit hoher dezentraler Einspeisung überschritten, schalten sich im Extremfall zeitgleich mehrere Gigawatt an PVEinspeiseleistung ab. Der entsprechende Leistungssprung kann sehr viel höher sein als die europaweit vorgehaltene Primärregelleistung, so dass die Leistungsfrequenzregelung die Netzfrequenz nicht mehr stabilisieren kann. Zudem kann ein zeitgleiches Wiederzuschalten der dezentralen Erzeugungsanlagen bei einer Frequenzerholung zu einem erneuten Überschreiten der Frequenz von 50,2 Hertz und damit zu einem erneuten Abschalten der Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz und zum „JoJoEffekt“ führen. Die Netz und Systemstabilität wäre dann akut gefährdet.Die aktuelle „50,2 HzStudie“, die die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber, der Bundesverband Solarwirtschaft und das FNN in Auftrag gegeben hatten, zeigt Lösungsvorschläge zur Überwindung von Auswirkungen eines hohen Anteils dezentraler Einspeiser auf die Netzstabilität bei Überfrequenz auf. Laut Empfehlungen der Studie müssen rund neun Gigawatt in den Photovoltaikbestandsanlagen nachgerüstet werden.
41 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011
sende Eingriffe der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber in die Erzeugung zum Glück bisher vermieden werden. Vorsorglich sind auch Szenarien für den bevorstehenden Winter untersucht worden, um die Herausforderungen für den sicheren Übertragungsnetzbetrieb bewältigen zu können. Die Szenarien zeigen durchaus Einzelfälle, in denen die Stromversorgung nicht als sicher beherrschbar eingestuft werden kann. Um beispielsweise Spannungshaltungsproblemen begegnen zu können, ist eine gezielte regionale Blindleistungseinspeisung notwendig. Hier wäre zusätzliche Kraftwerksleistung in Süddeutschland erforderlich oder die massive Bereitstellung dieser Blindleistung, beispielsweise durch Kondensatorbänke oder durch Nutzung nicht mehr in Betrieb befindlicher Kraftwerke als Phasenschieber. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber bereiten sich daher sehr intensiv auf die Situation vor, beispielsweise mit sogenannten Lastabschaltungsszenarien oder auch Mitarbeitertrainings. Ich hoffe natürlich, dass wir auch im kommenden Winter eine hohe Versorgungssicherheit und zuverlässigkeit aufrechterhalten können und Deutschland seinen europäischen Spitzenplatz verteidigt.
Um die Auswirkungen eines hohen Anteils dezentraler Einspeiser auf die Netzstabilität bei Überfrequenz zu überwinden, empfiehlt die aktuelle 50,2-Hertz-Studie (siehe Hintergrund-kasten) rund neun Gigawatt in den Photovoltaikbestandsanlagen nachzu-rüsten. Wer trägt die in der Studie ge-schätzten Umrüstkosten von 65 bis 175 Millionen Euro?
meier Zunächst sollte ergänzt werden, dass weitere Kosten, beispielsweise für die Anpassung des Betriebes der Netzersatzanlagen im Niederspannungsnetz bis zu ca. zwei Millionen Euro sowie Verwaltungskosten, prognostiziert sind. Die Studie hat ganz bewusst auch die finanziellen Auswirkungen einer solchen Nachrüstung auf breiter Basis analysiert, da die Nachrüstempfehlung eine technisch sichere, aber auch einfache und kostengünstige Lösung darstellen soll. So wären demnach kleine Aufdachanlagen bis zehn KilowattPeak zum Beispiel auf Einfamilienhäusern gar nicht erst von einer Nachrüstpflicht betroffen. Die breite Akzeptanz der Maßnahmen ist eine wesentliche Voraussetzung für deren schnelle und damit erfolgreiche Umsetzung. Die konkrete Festlegung, an welcher Stelle die Kosten getragen werden, ist nicht Gegenstand der Verbandsaktivitäten des FNN. Wir benötigen für die Systemsicherheit jedoch eine zügige Umsetzung der Nachrüstungen und somit eine schnelle Entscheidung zur Kostentragung.
Welche Rolle werden Informations- und Kommunikationstechnologien zu-künftig spielen?
meier Sie sprechen hier einen zentralen Punkt an. Wenn wir derzeit von „intelligenten Netzen“ oder Smart Grids sprechen, meinen wir immer auch die Anwendung von Informations und Kommunikationstechnologien zur Gewährleistung von Informations und Datenaustausch. Allein die Vorgaben des ordnungspolitischen Rahmens, beispielsweise beim Zähl und Messwesen, erfordern neuartige Lösungen bei der Bereitstellung, beim Transport, bei der Verwertung und nicht zuletzt bei der Sicherheit von Daten. Das können reine Verbrauchsdaten sein, aber auch netz oder sys
temrelevante Daten, beispielsweise wenn es um den Aufbau eines aufeinander abgestimmten Last und Erzeugungsmanagements geht. Auch die fortschreitende Verteilnetzautomatisierung ist ganz eng an eine leistungsfähige Informations und Kommunikationstechnologie geknüpft. Ein gemeinsames Vorgehen von Stromnetzbetreibern und Unternehmen mit Schwerpunkt auf Informations und Kommunikationstechnologien ist notwendig, um bisherige unterschiedliche Sichtweisen oder Randbedingungen anzugleichen, beispielsweise bei der Lebensdauer: In der Energietechnik wird von einer Lebensdauer der Betriebsmittel in der Regel von mehreren Jahrzehnten ausgegangen, ITGeräte haben eine deutlich höhere Veränderungsgeschwindigkeit. Investitionen in die „Smart Grid“Techniken erfordern nachhaltige Vorgaben zu den Anforderungen und Marktrollen. Gewaltige Investitionen können erforderlich werden, die jedoch nur bei verlässlichen Rahmenbedingungen freigesetzt werden sollten.
Wer überwacht das System?
meier Den Verteilnetzbetreibern kommt eine deutlich steigende Koordinationsverantwortung bei der Systembeobachtung und steuerung, hinsichtlich der dezentralen Energieerzeugung und beim Leistungsvermögen des Netzes bis in die Niederspannung zu. Der Übertragungsnetzbetreiber wird zur Wahrnehmung seiner GesamtSystemverantwortung die hierfür erforderlichen Informationen der Verteilnetzbetreiber geeignet definieren und in seiner Systemführung berücksichtigen und umgekehrt den Verteilnetzbetreibern die für ihn erforderlichen Daten zur Verfügung stellen.
ludger meierist Prokurist bei der Amprion GmbH und seit 2008 Vorsitzender des Vorstands des Forums Netztechnik/Netzbetrieb (FNN) im VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.
42 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur
dr. martin grundmannist Geschäftsführer der ARGE Netz GmbH & Co. KG, in der sich die schleswigholsteinischen Erzeuger von erneuerbaren Energien zusammengeschlossen haben. Die ARGE Netz hat mehr als 150 Gesellschafter, darunter viele Bürgerwindparks.
43 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011
Die Windkraft soll eine tragende Rolle in der künftigen Stromversorgung spielen. Dafür brau-chen wir mehr Windräder im Binnenland, etwa in Nordrhein-Westfalen und in Süddeutschland. Was kommt da auf die Bevölkerung zu?
dr. martin grundmann Die meisten Bundesländer sprechen mittlerweile darüber, etwa zwei Prozent ihrer Fläche als für Windkraftanlagen geeignet auszuweisen. Das bringt natürlich Eingriffe für die dort wohnende Bevölkerung mit sich, denn Windräder sind Energieanlagen, die gegebenenfalls Geräusche verursachen und heute – wenn sie über 100 Meter hoch sind – nachts blinken.
Eine Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen kann allerdings nur dezentral umgesetzt werden, denn ein Windrad kann nicht 1 200 Megawatt Leistung bringen wie ein großes Kraftwerk. Das heißt, man wird diese Anlagen in der Landschaft sehen. Für viele ist das ungewohnt, weil sie Ansammlungen von Windmühlen nur aus dem Urlaub an der Nord und Ostsee kennen. Jetzt werden diese Anlagen auch in den übrigen Teilen Deutschlands gebaut werden. Dies ist das Ergebnis eines demokratischen Entscheidungsprozesses. Die Gesellschaft hat beschlossen, aus der
» Probleme mit WindParkS müSSen vor dem Start gelöSt Werden!«
› Dr. Martin Grundmann möchte den Bürgern eine finanzielle Beteiligung an Windparks ermöglichen, um die Akzeptanz zu fördern.
44 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur
angelika kutSchbachaus BremenSeehausen spürt die Energiewende am eigenen Leib: Im Umkreis ihres Dorfes wurden vier neue Anlagen von 140 bzw. 150 Metern Höhe aufgestellt. Im Rahmen einer Bürgerinitiative engagiert sie sich für Schutzmaßnahmen.
01Wie nehmen Sie die lärmemiSSi-onen der Windräder in ihrer nachbarSchaFt Wahr?
Es gibt Phasen, in denen wir tage oder sogar wochenlang unter Dauerbeschallung stehen. Im Volllastbetrieb, bei 19,5 Umdrehungen pro Minute, erzeugen die Rotorblätter im Sekundentakt ein weithin hörbares, dumpfes und rhythmisches Geräusch. Das Geräusch bindet die Aufmerksamkeit und macht es unmöglich, sich zu konzentrieren oder zu entspannen. Es stört den Schlaf. Nervöse Reizbarkeit und innere Unruhe sind die Folgen. Zeitweise ist der Flügelschlag der Anlagen nicht nur hör, sondern auch fühlbar. Der Schall drückt dann regelrecht auf die Ohren, fährt in die Magengrube und erzeugt Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit. Möglicherweise bedingt der tieffrequente Schall, auf den in verschiedenen wissenschaftlichen Studien hingewiesen wurde, solche Befindlichkeitsstörungen.
02eS gibt doch geSetze zum emiS-SionSSchutz – brauchen Wir andere vorSchriFten?
Die bislang zur Anwendung kommenden immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen mit der Technischen Anleitung Lärm, kurz TA Lärm, als Grundlage reichen ganz offensichtlich nicht aus, um einen Schutz der Menschen vor dieser Art von krank machendem Lärm zu gewährleisten. Die Tatsache, dass das Geräusch rhythmisch auftritt und gerade deswegen so quälend ist, findet in der TA Lärm keine Berücksichtigung. Ob die Problematik des tieffrequenten Schalls in ausreichendem Umfang erfasst ist, erscheint mir aufgrund der Erfahrungen zumindest fraglich. Außerdem plädiere ich für eine bundesweite, humane Abstandsregelung. Die Anlagen hier in der Nachbarschaft sind nur zwischen 400 und 900 Meter von der Wohnbebauung entfernt. Das ist viel zu gering. Meiner Meinung nach – ich orientiere mich an Studien zum Thema – muss der Abstand das Zehnfache der Gesamthöhe des jeweiligen Windrads betragen, aber mindestens 1 500 Meter.
03Sehen Sie eine möglichkeit, die belaStung zu verringern?
Uns würde es schon helfen, wenn die Laufgeschwindigkeit der Anlagen zwischen 18 und sechs Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen auf ein Minimum gedrosselt würde, damit wir uns zumindest zeitweise erholen können. Diese Zeitspannen müssen verbindlich angeordnet werden. Wenn Politik und Wirtschaft eine breite Akzeptanz für den Ausbau der Windenergie schaffen möchten, muss in Zukunft bei der Standortsuche stärker auf die Bürger gehört werden, die in der Nähe dieser Anlagen leben und die damit verbundenen Nachteile zu tragen haben. Andernfalls rechne ich wegen der Emissionen, die es beim Betrieb unweigerlich gibt, mit massivem Protest.
drei Fragen an eine WindPark-anWohnerin
45 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011
Atomkraft und weitgehend auch aus den fossilen Technologien auszusteigen. Auch eine künftige Bundesregierung wird das nicht wieder rückgängig machen.
Wer schützt die Anwohner vor den Emissionen einer Wind-mühle?
grundmann Die ImmissionsschutzRegelungen bilden die gesetzliche Grundlage für den Schutz der Bevölkerung. Aber wenn jemand sich trotzdem benachteiligt fühlt, gibt es hierfür Anhörungsverfahren, und wenn alle Vermittlungsbemühungen nicht nützen, muss ein Richter entscheiden.
Wie verhält es sich mit der nächtlichen Beleuchtung? Die empfinden viele als störend.
grundmann Wenn wir die Energiewende mit Hilfe der Windkraft schaffen wollen, muss hier tatsächlich bald etwas passieren. Für Anlagen über 100 Meter Höhe ist heute eine Dauerbefeuerung vorgeschrieben. Seit Jahren wird nach einem Konsens mit der Flugsicherung und der Bundeswehr gesucht, um zu einer bedarfsabhängigen Warnbeleuchtung zu kommen. Solche Systeme schalten sich nur ein, wenn sich ein Flugzeug nähert. Es gibt sie in den USA und in Skandinavien, sie sind technisch ausgereift – aber in Deutschland immer noch nicht zugelassen. Die Dauerbefeuerung führt bei den Anwohnern zu Unmut, den ich gut nachvollziehen kann. Und in SchleswigHolstein sagen viele Gemeinden: Solange es keine bedarfsorientierte Befeuerung gibt, erlauben wir keine Windräder über 100 Meter Höhe. So schützen sie ihre Bürger und bewahren die Akzeptanz.
Sie haben die Entwicklung vieler von Bürgern finanzierter Windparks verfolgt. Welche Empfehlungen lassen sich dar-aus für die Planung und den Bau von Windenergieanlagen an neuen Standorten ableiten?
grundmann Bei den erfolgreichen Projekten, die ich kenne, hat man alle Probleme vor dem Start gelöst und sich eine breite Zustimmung erarbeitet. Oft machen Initiatoren den Fehler, nicht vorne anzufangen. Es wird ein Mediator von einer Hochschule engagiert, es wird zur Bürgerversammlung eingeladen und oftmals meinen die Initiatoren, die Leute damit zu überzeugen. Das ist schon mehrfach in die Hose gegangen, weil Anwohner sich wehrten. Da fehlte die Basis, die man sich vorher hätte erarbeiten müssen.
Ein erfolgreicher Bürgerwindpark stützt sich immer auf drei Säulen. Erstens müssen die Leute genau verstehen, worum es geht: Man muss die Notwendigkeit erläutern, die Technik erklären, den regionalen und überregionalen Zusammenhang zeigen, die Vor und Nachteile abwägen. Dann geht es um das Mitbestimmen. Man muss es ehrlich meinen und alle mitnehmen, auch die, die dagegen sind. Das ist ein Haufen Arbeit, denn man muss mit allen sprechen. 100 Prozent Zustimmung wird man nie bekommen, aber man sollte dafür sorgen, dass viele mitmachen. Und das Dritte ist die finanzielle Beteiligung, indem man z.B. sagt: Wir bieten euch an, einen Teil eurer Altersversorgung über einen Bürgerwindpark zu sichern.
Finanzielle Beteiligung der Anwohner an Windmühlen – ist das der Königsweg zu einem allgemein akzeptierten Ausbau der Windkraft?
grundmann Wir leben in einer Zeit, in der große Infrastrukturinvestitionen stärker beteiligungsorientiert durchgeführt werden müssen – Stuttgart 21 ist nur die Spitze des Eisbergs. In SchleswigHolstein diskutieren wir gerade nicht nur über Bürgerwindparks, sondern auch über Bürgernetze, also den beteiligungsorientierten Bau von Stromleitungen. Ich finde, wir sollten noch viel mehr versuchen, auch andere Infrastrukturprojekte mit direkter Beteiligung der Bevölkerung zu realisieren, wenn die Aussicht besteht, dass die Beteiligung an den Kosten auch zu Erlösen führt, die beispielsweise eine bessere Altersvorsorge ermöglichen.
Das ErneuerbareEnergienGesetz gewährleistet für Bürgerwindparks eine sehr hohe Sicherheit des eingesetzten Kapitals. Bei den Stromnetzen erlaubt die Bundesnetzagentur eine vergleichsweise gute Verzinsung des Kapitals, das ist ebenfalls eine sehr sichere Anlage für Privatleute. Die Investition in Infrastruktur kann für viele die vierte Säule ihrer Altersversorgung werden neben der gesetzlichen Rente, dem RiesterVertrag und der betrieblichen Altersvorsorge.
Also sparen wir künftig fürs Alter nach der Devise „Windrad statt Wertpapier“?
grundmann Das wäre nicht nur eine Geldanlage, sondern eine neue Form, die Bürger an der Errichtung der Infrastrukturbasis unserer Gesellschaft zu beteiligen. Früher war das nicht nötig, weil der Staat die Finanzierung irgendwie hingekriegt hat, aber das funktioniert heute nicht mehr. Besonders bei dezentraler Infrastruktur – Windparks, Netze, Speicher – ist die finanzielle Beteiligung meines Erachtens eine Chance, die regionalen Akteure einzubinden, ihren Erlösansprüchen gerecht zu werden und bei der Realisierung der Projekte voranzukommen.
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46 Streitfragen 02|2011 FokuS erzeugung
Der politische Kurs ist klar: Deutschland will die Energie-wende und steigt in die erneuerbaren Energien ein. Herr Ren-nert, Hitachi Power Europe hat sich auf den Bau und Betrieb moderner Steinkohle- und Braunkohleanlagen spezialisiert. Haben diese fossilen Energieträger denn überhaupt noch eine Zukunft in Deutschland?
klauS dieter rennert Tatsächlich ist der Neubau von weiteren Steinkohle und Braunkohleanlagen in Deutschland unter den derzeitigen energiepolitischen Rahmenbedingungen und angesichts der vehementen Ablehnung in einigen Teilen der Gesellschaft nur schwer vorstellbar. Es gibt aber ein großes Potenzial für bestehende Anlagen, die im Zuge der Energiewende als Backup für fluktuierende erneuerbare Energien dienen können. Durch die Modernisierung von Altanlagen lässt sich nicht nur deren Effizienz steigern, sie können auch flexibler gefahren werden – damit würden sie die Voraussetzungen einer BackupFunktion für die erneuerbaren Energien erfüllen.
Herr Fischer, Siemens folgt dem politischen Kurs der Bun-desregierung und steigt nach mehr als 40 Jahren aus dem Ge-schäft mit der Atomkraft aus. Welche Zukunft sehen Sie im Zuge der geplanten Energiewende noch für Ihr Geschäftsfeld Fossil Power Generation?
dr. roland FiScher Wir werden künftig nur noch konventionelle Komponenten für Kernkraftwerke liefern, beispielsweise Dampfturbinen. Das heißt aber eben auch: Wir fokussieren uns auf Wachstumsmärkte und konventionelle Technologien, wie sie nicht nur in Kernkraftwerken, sondern auch in Gas oder Kohlekraftwerken zum Einsatz kommen.
Die jeweiligen Wachstumstreiber sind regional unterschiedlich. In vielen Industrieländern werden künftig erneuerbare Energien im Zusammenspiel mit flexiblen hocheffizienten Gaskraftwerken eine große Rolle spielen. Dabei gilt es, die teilweise überalterte installierte Basis zu ersetzen. Wachstumsmärkte wie China und Indien haben hingegen einen riesigen Nachholbedarf an Energieerzeugung und sind auf der Suche nach günstigen Kraftwerkslösungen auf Basis von Kohle sowie Gaskraftwerken.
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› Die Politik kann die Energiewende beschließen, umgesetzt werden muss sie unter anderem von Ingenieuren. Die suchen nach einer Antwort auf die Frage, die Politiker offenlassen: Wie wird sie technisch und wirtschaftlich machbar, die Energieversorgung der Zukunft?
47FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011
Kraftwerksbau ist ein langfristiges Geschäft. Die Anlagen laufen teils über Jahrzehnte. Haben Ihre Auftraggeber in Deutschland derzeit genügend Planungssicherheit für die notwendigen Investitionen in neue Anlagen?
rennert Die Planungssicherheit bei unseren Auftraggebern in Deutschland ist derzeit nicht gegeben. Bereits der Baustopp für Datteln 4, weltweit eines der effizientesten Kohlekraftwerke, hat eine große Verunsicherung in der Branche hervorgerufen. Dazu kommen die sehr kurzfristig beschlossenen Änderungen in der Energiepolitik, die eine langfristige Planung unmöglich machen.
Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
rennert Die Konsequenz daraus ist klar: Wenn Unternehmen keine Planungssicherheit im Inland haben, suchen sie sich neue Märkte im Ausland. Die Anlagenbauer und andere Lieferanten folgen ihnen natürlich. Auch unsere Firma entwickelt sich ständig weiter, geht in neue Regionen und entwickelt neue Produkte. Wobei die Hitachi Power Europe ein deutsches Unternehmen mit Stammsitz in Duisburg bleibt. Doch ohne diese Maßnahmen – wie etwa Tochtergesellschaften in Indien und Südafrika – wären die Arbeitsplätze in der Branche noch massiver gefährdet.
Wo verspricht sich Siemens ein Geschäft?
FiScher Ganz klar im OffshoreWindkraftSegment, weil diese Form der Stromerzeugung künftig in Deutschland ein wichtiger Pfeiler der Energieversorgung sein wird. Auch bei der Anbindung dieser Parks ans Netz nimmt Siemens eine führende Rolle ein, und an Land müssen wir ebenfalls den Netzausbau vorantreiben. Je höher der Anteil der erneuerbaren Energien im Netz, desto wichtiger sind zudem saubere Gas und Dampfkraftwerke, um eine sichere Versorgung von Industrie und Bürgern zu garantieren. Sie können in wenigen Minuten hochgefahren werden, wenn Sonne und Wind einmal eine Pause machen. Bis Ende des Geschäftsjahres 2014 wollen wir die Umsatzmarke von 40 Milliarden Euro mit grünen Technologien übertreffen.
Die Zukunft des konventionellen Kraftwerksbaus in Deutschland liegt also eher in modernen Gaskraftwerken als in Kohlekraftwerken?
FiScher Die Entscheidung zwischen Kohle und Gaskraftwerken erfolgt in Deutschland nicht ausschließlich nach ökonomischen Aspekten. Entscheidend sind vielmehr die Verfügbarkeit der Rohstoffe, die Umweltanforderungen, also der geringere CO2Ausstoß bei Gaskraftwerken, und die politischen Rahmenbedingungen. Künftig werden vermehrt hohe Anforderungen an den Einsatz der Kraftwerke gestellt, die immer weniger als Grundlastlieferant dienen, sondern Spitzenlast oder Reserveleistung liefern werden. Daher spielt ein etwaiger Preisvorteil von Kohle gegenüber Erdgas in Deutschland und auch in Europa eine eher untergeordnete Rolle – weltweit sieht das natürlich anders aus. Von daher werden in einigen Märkten, wie etwa in Deutschland, Gaskraftwerke die Oberhand haben, während in anderen, zum Beispiel in China und Indien, Kohlekraft die größere Rolle spielen wird.
rennert In der Tat ist das grundsätzliche Interesse an GasDampfKombikraftwerken seitens der Stadtwerke und entsprechender Konsortien in Deutschland gestiegen. Dieser Umschwung ist auch begründet durch den anhaltenden Widerstand von Anwohnern, Umweltverbänden und anderen Organisationen gegen Stein und Braunkohlekraftwerke. Gaskraftwerke hingegen gelten als „sauberere“ Alternative, die als Backup dienen sollen – für schwankende Wind oder Solarenergie. Es bleibt jedoch das grundsätzliche Problem der Rentabilität solcher Anlagen. Falls die Gaskraftwerke lediglich als Backup für fluktuierende erneuerbare Energien dienen und im Jahresdurchschnitt nur wenige hundert Stunden in Betrieb sind, werden sie ohne zusätzliche Förderung nicht rentabel zu betreiben sein.
klauS dieter rennertist Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) der Hitachi Power Europe GmbH, einer Tochtergesellschaft der Hitachi, Ltd. Die Energieanlagenbauer planen und errichten fossil befeuerte Kraftwerke.
dr. roland FiScherist CEO Fossil Power Generation im Sektor Energy der Siemens AG. Das Unternehmen verabschiedet sich im Zuge der Energiewende aus der Atomtechnologie und liefert nur noch konventionelle Komponenten.
48 Streitfragen 02|2011 FokuS erzeugung
FiScher Die Problematik einer wirtschaftlichen, effizienten Kapazitätsvorhaltung sehe ich ebenfalls. Aufgrund der hohen Investitionen und Fixkosten rechnen sich Gas und DampfKombikraftwerke unter den derzeitigen Bedingungen oft nicht. Wenn sie nur kurzzeitig als BackupLieferant dienen, lassen sich die Kraftwerke nicht wirtschaftlich betreiben. Reserveleistung müsste also ohne Frage anders vergütet werden.
Die Diskussion um Kapazitätsmärkte für Backup-Reserven wird ja derzeit intensiv geführt. Wie könnte eine wirtschaft-lich sinnvolle Lösung aussehen?
rennert Wir halten die Einrichtung eines Mechanismus für unumgänglich, der die Vorhaltung von Kapazität belohnt. Im gegenwärtigen Marktdesign ist ein solcher Anreiz jedoch nicht vorgesehen. Das erklärt sich durch die traditionelle Erzeugungsstruktur, in der alle Anbieter mehr oder weniger gleich verfügbar waren, so dass ein solcher Anreiz nicht erforderlich war. Mit Zunahme der fluktuierenden erneuerbaren Energien hat sich das aber grundlegend geändert. Die Einrichtung eines Kapazitätsanreizes wäre daher keine Subvention oder Marktverfälschung, sondern ganz im Gegenteil eine sinnvolle und notwendige Ergänzung, die sich zwangsläufig aus dem politisch gewollten Ausbau der Windenergie ergibt.
FiScher Der existierende Markt für Regelenergie bietet keine Lösung, da diese Kapazitäten kurzfristig per Auktion versteigert werden und das System somit keine langfristige Sicherheit bietet, wie es für ein mehrere hundert Millionen teures Gaskraftwerk nötig ist. Die Preise für Regelenergie schwanken um mehrere hundert Prozent. Wir müssen uns dringend Gedanken machen, wie der Neubau von großflächigen Energiespeichern und von flexiblen und effizienten Gas und Dampfkraftwerken zur Bereitstellung der notwendigen Reservekapazitäten attraktiv gestaltet werden kann, beispielsweise über Kapazitätsprämien.
rennert Viele Vorschläge zum Mechanismus gehen ja in Richtung einer regelmäßigen „Kapazitätsauktion“, in welcher sich potenzielle Investoren bewerben, um Investitionszuschüsse erhalten zu können. Das geht jedoch schon sehr in Richtung direkter Regulierung. Besser wäre es, wenn man das Vergütungssystem so ändert, dass die Verfügbarkeit honoriert wird.
Wie könnte das konkret aussehen?
rennert Zum Beispiel könnte jeder Anbieter von Strom oder Wärme einer positiven beziehungsweise negativen Verfügbarkeitsabgabe unterliegen, die im Vergleich zu einem mittleren Wert berechnet wird. Im Ergebnis würde das zu einem VergütungsTransfer von den weniger verfügbaren zu den mehr verfügbaren Anlagen führen. Dies würde gleichzeitig einen Anreiz für die wenig verfügbaren Anlagen bieten: Anstatt die Abgabe zu bezahlen, könnten die Anlagenbetreiber technische Einrichtungen, also Speicher, zur Verbesserung ihrer Verfügbarkeit schaffen. Es wäre nicht erforderlich, Planwirtschaft zu betreiben, sondern man würde es dem Markt überlassen, für einen vernünftigen Mix aus Erzeugungsanlagen mit mehr oder weniger Verfügbarkeit zu sorgen.
Zur Erhöhung der Flexibilität in der Stromversorgung ist der massive Ausbau solcher Speichertechnologien notwendig. Welche Technik bietet hier die größten Potenziale?
FiScher Eine schnell verfügbare Speichertechnologie wäre die Umwandlung von Stromüberschüssen in Wasserstoff, der ins vorhandene Erdgasnetz eingespeist werden könnte. Hier sollten Wirkungsgrade um die 70 Prozent erreichbar sein. Deutschland verfügt über die größten Erdgasspeicher Europas und kann ein Viertel seines Jahresbedarfs an Gas puffern. Bei Windflaute könnte das Erdgas samt dem beigemischten Wasserstoff in hocheffizienten Kraftwerken mit mehr als 60 Prozent Wirkungsgrad wieder in Strom verwandelt werden.
rennert Der massive Ausbau der Erneuerbaren macht neue Speichermöglichkeiten dringend nötig. Jedoch bleibt die Frage, welche Technologien dies leisten können. Das Potenzial für Pumpspeicherkraftwerke ist zu einem großen Teil bereits ausgeschöpft oder trifft – wie andere Infrastrukturprojekte – auf großen Widerstand seitens betroffener Anwohner. Wir sehen ein gewisses Potenzial in der Weiterentwicklung von DruckluftspeicherTechnologien und forschen daran gemeinsam mit unserer Muttergesellschaft Hitachi, Ltd. Auch große Batterieparks können einen Beitrag leisten. Ob die bestehenden PowertoGasTechnologien sich wirtschaftlich betreiben lassen, ist unserer Ansicht nach hingegen zweifelhaft.
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49FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011
FiScher Gas und DampfAnlagen bieten gegenüber allen anderen konventionellen Kraftwerkskonzepten und installierten Anlagen Vorteile hinsichtlich der Anfahrzeiten und Anfahrzuverlässigkeit, wenn künftig größere Leistungen sehr schnell ins Netz eingespeist beziehungsweise aus dem Netz genommen werden müssen. Der Bau modernster, sehr flexibler Gas und DampfAnlagen kann die Netzstabilitätsproblematik effizient lösen und gleichzeitig CO2, SO2 und NOxEmissionen deutlich verringern – auch als Ersatz von älteren, unflexiblen fossilen Anlagen, wie etwa Kohlekraftwerken.
rennert Flexibilität ist nicht nur ein Wesensmerkmal von Gaskraftwerken. Wenn man die komplette Produktionskette betrachtet – Wasserstoffproduktion, Carbonisierung und Verbrennung –, bekomme ich Zweifel an der energetischen Gesamtbilanz. Auch moderne oder umfassend ertüchtigte Kohlekraftwerke bieten Flexibilität, zum Teil können sie sogar flexibler reagieren als gasgefeuerte Anlagen, im Besonderen wenn es um die absolute Strommenge geht. Aber dies lässt sich natürlich nur realisieren, wenn ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen auch langfristig möglich ist.
Damit Kohlekraftwerke im zukünftigen Energiemix akzep-tiert werden, müssten die hohen Kohlendioxid-Emissionen dieser Anlagen reduziert werden. Eine mögliche Lösung ist die CCS-Technologie, mit der Kohlendioxid gefiltert und unterirdisch gelagert werden könnte. Doch der Bundesrat blockiert ein Gesetz zur Erforschung und Umsetzung dieser Technologie. Mit anderen Worten: CCS kommt über die Test-phase wohl nicht hinaus. Hat sich damit die CO2-Abschei-dung als Zukunftstechnologie und Geschäftsfeld für hiesige Unternehmen erledigt?
rennert Anlagenbauer testen bereits intensiv unterschiedliche Verfahren, entsprechende Pilotanlagen werden gebaut oder sind in Betrieb. Tatsächlich hat die CO2Abscheidung die Testphase bereits verlassen. Wir und auch andere Unternehmen betreiben oder errichten großtechnische Umsetzungen in der MegawattKlasse. Kommerzielle Anlagen könnten um das Jahr 2020 in Betrieb gehen. Nach dem Scheitern des CCSGesetzes im Bundesrat und der strikten Ablehnung durch mehrere Bundesländer sehen wir allerdings keine großen Chancen, dass ein Gesetz noch in dieser Legislaturperiode realisiert wird.
FiScher Als international aufgestelltes Unternehmen ist die deutsche Gesetzgebung für unsere Forschung und Entwicklung nicht allein ausschlaggebend. Siemens betreibt eine Pilotanlage zur CO2Abtrennung aus dem Rauchgas im Kohlekraftwerk Staudinger in der Nähe von Hanau und erzielt dabei sehr gute Erfolge. Eine weitere und größere Pilotanlage wird in den USA in Florida errichtet. Des Weiteren erstellt Siemens im Rahmen der MASDARInitiative eine Machbarkeitsstudie zur CO2Abscheidung in einer Stromerzeugungsanlage im Mittleren Osten.
rennert Man darf bei der CCSDiskussion nicht vergessen, dass es bereits eine EURichtlinie zur Umsetzung eines entsprechenden CCSGesetzes gibt und Projekte großzügig gefördert werden. Daher ist es enttäuschend, dass die Politik hierzulande die bisher getätigten erheblichen Investitionen von Energieversorgern und Anlagenbauern in Deutschland nicht zu würdigen weiß. Es bleibt abzuwarten, ob und wie ein Strafverfahren der EU gegen Deutschland wegen nicht fristgerechter Umsetzung der CCSRichtlinie aussehen wird. Wenn ein Vorreiter für den Klimaschutz wie Deutschland dies nicht schafft, ist die Signalwirkung bezüglich der CCSTechnologie zumindest für die weitere Entwicklung in Europa verheerend.
International wird die Energiewende in Deutschland genau beobachtet. Hitachi Power Europe hat seinen Sitz in Duis-burg – werden Sie im Ausland sozusagen als Vertreter eines deutschen Unternehmens betrachtet und auf die hiesige Ent-wicklung angesprochen? Welche Einschätzungen begegnen Ihnen, Herr Rennert?
rennert Bei Gesprächen mit unseren ausländischen Kunden – von West und Osteuropa über Südafrika bis Indien – stellen wir immer wieder fest, dass die meisten Fachleute mit Skepsis – ja sogar teilweise mit völligem Unverständnis – auf die deutsche Energiepolitik und deren Konsequenzen blicken. Es ist für Außenstehende vermutlich schwer nachzuvollziehen, warum Deutschland in vielen Fragen der Energiepolitik einen Sonderweg geht. Das reicht von der Überförderung der erneuerbaren Energien über den Ausstieg aus der Kernenergie bis zur Ablehnung der CCSTechnologie. In anderen Ländern wird sachlich und natürlich auch kontrovers über den Einsatz neuer Technologien sowie deren Vor und Nachteile diskutiert. Anscheinend ist in Deutschland eine solche sachliche Diskussion derzeit nicht mehr möglich.
Geben Windräder und Solarkollektoren mehr Strom ab, als benötigt wird, kann dies zu zeitweisen Überlastungen im Stromnetz führen. Die Folge: Windräder müssen abgeschaltet werden, wertvolle Energie geht verloren.
Regenerativen Strom zu speichern und bei Bedarf in das Netz zurückzuspeisen, ist daher eine bedeutende Zukunftsaufgabe beim geplanten Umbau des Energiesystems. Bisherige Technologien und Kapazitäten zur Stromspeicherung reichen aber kaum aus, um die künftig entstehenden „Überschussmengen“ bedarfsgerecht aufzunehmen.
Eine Lösung könnte die Nutzung des 445 000 Kilometer langen Erdgasnetzes sowie der 47 deutschen UntertageGasspeicher an 40 Standorten in Deutschland sein, PowertoGas, „ein neues Verfahren, mit dem Strom und Gasnetze bidirektional miteinander gekoppelt werden“, sagt Michael Sterner vom FraunhoferInstitut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel. Sein Institut hat das Verfahren gemeinsam mit dem Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung in BadenWürttemberg (ZSW) entwickelt. PowertoGas funktioniert in Kürze so: Überschüssige Strommengen werden genutzt, um Wasser per Elektrolyse in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Der Sauerstoff wird freigesetzt. Dem Wasserstoff wird Kohlendioxid – zum Beispiel aus einer Biogasanlage – zugeführt. Beide Elemente reagieren zu Methan. Das Produkt ist synthetisches Erdgas (Synthetic Natural Gas, SNG). Dieses methanreiche erneuerbare Gas ist mit natürlichem Erdgas weitgehend identisch. Es lässt sich problemlos in das Erdgasnetz einspeisen.
Dass die Technologie funktioniert, haben die Forscher von IWES und ZSW bereits nachgewiesen. Gemeinsam mit dem Unternehmen Solar Fuel Technology, das die industrielle Umsetzung des PowertoGasVerfahrens vorbereitet, setzten sie Ende 2009 in Stuttgart eine Demonstrationsanlage mit einer Anschlussleistung von 25 Kilowatt in Betrieb. Eine zweite Versuchsanlage mit einer Leistung von 250 Kilowatt ist derzeit im Bau. Sie soll 2012 fertiggestellt werden.
Wie WirtSchaFtlich iSt erdgaS auS ökoStrom?
Was die industrielle Produktion von Wasserstoff aus Strom und die Speicherung im Erdgasnetz letztlich kosten, ob und wie wirtschaftlich sie sein kann oder wird, ist in diesem frühen Stadium der Entwicklung schwer vorauszuberechnen.
PowertoGas – oder übergangsweise PowertoHythane, wie die Direkteinspeisung von Wasserstoff ins Erdgasnetz heißt – bietet also gute Voraussetzungen, das Problem der Stromspeicherung in den Griff zu bekommen. Dennoch wird weiterhin großer Forschungsbedarf notwendig sein, um PowertoGas wirtschaftlich zu realisieren. Und unternehmerischer Mut: Der Energieversorger Greenpeace Energy hat angekündigt, seinen Kunden von 2013 an Erdgas mit einem kleinen Anteil von „Windgas“ anzubieten. Die Kunden zahlen dafür einen Aufschlag von einem halben Cent pro Kilowattstunde, mit dem Greenpeace Energy den Bau von Erzeugungsanlagen finanzieren will. So kommt es letztlich auch auf die Verbraucher an, wie schnell sich die Speicherung von erneuerbarem Strom im Erdgasnetz durchsetzen wird.
Wind und Sonne sind unstete Energiequellen, die sich nicht nach dem Bedarf der Verbraucher richten.
PoWer to gaSein Beitrag zur energiewende
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51FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011
» Wir laSSen die viSion realität Werden.«
Wie ist der Stand des Wüstenprojektes?
Paul van Son Desertec heißt Nutzung von Energie aus den Wüsten – eine Vision, die wir Realität werden lassen. Und wir wollen Europa, den Nahen Osten und Nordafrika durch eine Energiepartnerschaft einander näherbringen. Dafür stellen wir jetzt die Weichen. Bis Herbst 2012 legen wir unsere Roadmap „RE EUMENA 2050“ vor, in der wir konkret darlegen, wie die Energiewirtschaft bis zur Jahrhundertmitte auf Basis erneuerbarer Quellen in
den Wüsten umgebaut werden kann. Wir schauen dabei über mehrere Jahrzehnte in die Zukunft, damit alle wichtigen Fragen zu Infrastruktur und Markt sinnvoll geklärt werden können. Im Grunde genommen sollen möglichst schnell in Europa und in der arabischen Welt miteinander verbundene Märkte entstehen, in denen sämtliche erneuerbaren Energien, dezentrale genauso wie zentrale, aus eigener Kraft bestehen können. Das DiiReferenzprojekt in Marokko und die nächsten Vorhaben in Tunesien und Algerien sind erste Schritte, den wertvollen Beitrag von Wüstenstrom zum europäischen Energiemix zu demonstrieren.
Ist vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung in der Region „Arabischer Frühling“ das Ziel, 2050 15 Prozent des europäischen Stromver-brauchs zu decken, noch realistisch?
van Son Ich verstehe den „Arabischen Frühling“ nicht als Hindernis für irgendetwas in der Zukunft – ganz im Gegenteil. Er ist eine Chance. Europa hat durch die Demokratisierungsprozesse entdeckt, dass
› Desertec will schon in wenigen Jahren in einem riesigen Solarkraftwerk in Marokko Strom für Europa produzieren. Der Bau soll 2012 beginnen – und das ist nur der Anfang, glaubt DesertecManager Paul van Son.
es einen Nachbar im Süden hat. Der „Arabische Frühling“ hat Nordafrika und Europa einander nähergebracht. Strom aus der Wüste und eine enge Zusammenarbeit in der Energieversorgung werden in beiden Regionen langfristig zum Wohlstand beitragen. Wir betrachten bis zu 15 Prozent des europäischen Verbrauchs in 40 Jahren als Richtwert. Die Dimension des zukünftigen Stromaustausches zwischen den Ländern der MENARegion, also dem Nahen Osten und Nordafrika, und Europa wird am Ende selbstverständlich von Markt und Preis bestimmt.
Unsere Pläne werden von den Umbrüchen in der arabischen Welt eher positiv berührt. Selbst in Libyen spürt man schon Interesse an Desertec. Kürzlich war ich mit einer Delegation von Wirtschaftsminister Philipp Rösler dort. Obwohl die Übergangsregierung natürlich sehr viele akute Probleme zu lösen hat, waren meine Gesprächspartner aus diesem Kreis
Paul van Son ist seit 2009 CEO der Dii GmbH, eines privaten IndustrieKonsortiums mit dem Ziel, die Desertec Vision umzusetzen.
52 Streitfragen 02|2011 FokuS erzeugung
sehr an der Möglichkeit interessiert, mit Wüstenstrom fossile Energiequellen bei der Stromerzeugung zu ersetzen. Und der Energieverbrauch in Libyen wächst rasant.
Bei Desertec geht es neben Energie aber immer auch um wirtschaftliche Entwicklungschancen, neu entstehende Arbeitsplätze, lokale Industrialisierung und Wissenstransfer. Das wurde gerade auf unserer Jahreskonferenz in Kairo wieder deutlich, wo wir diese Fragen mit rund 400 Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutiert haben. Die Hälfte unserer Gäste stammte übrigens aus den MENALändern.
Wie beurteilen Sie die Diskussion in Deutschland, die sehr kritisch mit der Frage des Imports von Strom generell umgeht und auf Autarkie setzt?
van Son Deutschland könnte niemals eine Art ‚EnergieNordkorea‘ werden. Die Bundesrepublik ist bereits viele Jahrzehnte lang Teil eines europäischen Verbundsystems und seit mehreren Jahren Teil des europäischen Strommarktes. Stromerzeugung sollte dort passieren, wo sie ökonomisch Sinn macht. Das gilt sowohl für dezentrale Erzeugung, die selbstverständlich viele Vorteile bietet, wie zentrale Erzeugung. Wir brauchen ein gesundes Zusammenspiel verschiedener Erzeugungs formen, z.B. dezentrale Anlagen, also einzelne Windräder und Photovoltaikanlagen auf Privatdächern, aber auch zentrale: Erdgas, Windparks, Einsatz von Biomasse, Wasserkraft und solarthermische Kraftwerke. Alle umweltfreundlichen Komponenten sind im Markt willkommen.
Wann erreicht der erste Strom aus Nordafrika Europa?
van Son Nordafrika und Spanien sind schon seit mehr als 14 Jahren über zwei Kabelverbindungen elektrisch verbunden und tauschen Stromlieferungen aus. Je nach eingesetzter Technologie – also Pho
tovoltaik oder Solarthermie – kann zwischen 2014 und 2016 auch Strom aus solchen Anlagen in Marokko nach Europa fließen. Bis Anfang 2012 werden noch letzte Fragen rund um Standort, Technologie und Finanzierung geklärt. In Marokko stehen die Ampeln auf Grün. Die nötige Unterstützung dafür bei Politik und Investoren haben wir gesichert.
Wie gelangt der Strom nach Europa? Sind Netze vorhanden, wann werden diese gebaut? Ist die jeweilige Netztech-nik miteinander kompatibel?
van Son Für unsere ersten Referenzprojekte nutzen wir die existierenden Kabelverbindungen zwischen Marokko und Spanien. Der Stromtransport von den Erzeugungsstandorten zu den Verbrauchszentren wird freilich von den Netzbetreibern, in diesem Fall ONE in Marokko bzw. REE in Spanien, begleitet. Da momentan der Strom hauptsächlich von Spanien nach Marokko fließt, werden die ersten Projekte den Fluss zwischen den Ländern per saldo zunächst verringern und erst langfristig in Richtung Spanien umkehren. Das bedeutet, dass die Belastung der Netze in der Anfangszeit eher abnehmen wird. Dii wird im Rahmen ihrer Arbeit bis 2012 aber auch Langfristszenarien für die Gestaltung der Stromnetze und dazugehörige Investitionsvorschläge vorlegen. So gilt es, insbesondere die Belastbarkeit der lokalen Netze zu evaluieren und Lösungen für den anvisierten Ausbau mit erneuerbaren Energien zu erarbeiten. Für den Stromaustausch werden dabei Netzbetreiber und die IndustrieInitiative Medgrid eine wichtige Rolle spielen. Medgrid als Dii ergänzende Initiative will einen Masterplan für ein leistungsfähiges Stromnetz im Mittelmeerraum entwickeln.
Wie steht es mit der Finanzierung?
van Son Unsere Rolle ist es primär, die Grundlage für die Entwicklung von vielen Solar und Windanlagen in den Wüsten zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Technologien bald wettbewerbsfähig werden. Jedes Projekt wird seine eigene Umgebung haben, nicht nur geografisch, aber auch politisch und netz bzw. markttechnisch. Die Finanzierung solcher Anlagen wird etwa in den ersten 15 Jahren, das heißt solange die eigenständige Wettbewerbsfähigkeit noch nicht vollständig gegeben ist, stets eine besondere Herausforderung sein. Staatliche Hilfen wird man vorläufig jeweils für solche Projekte brauchen. Auch das Engagement der Industrie wird entscheidend sein.
Es ist uns klar, dass Deutschland gerade in der Anfangsphase als treibende Kraft eine wichtige Rolle spielen kann und auch will. Das hat weniger mit der aktuellen Finanzkrise zu tun als damit, dass Deutschland eine starke Vision für unsere gemeinsame Energiezukunft hat und auch über die politische und industrielle Kraft verfügt, in Partnerschaft mit anderen Ländern eine sichere Energiezukunft zu gestalten. Für unseren ersten Projektschritt von 150 Megawatt in Marokko hat übrigens nicht nur Deutschland Unterstützung angemeldet, sondern auch viele Unternehmen aus unserem Gesellschafterkreis – ein sehr gutes Signal.
53FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011
54 Streitfragen 02|2011 PerSPektive euroPa
Bei der Konferenz zum Energiebinnenmarkt am 29.9.2011 hat Kommissar Oettinger eine ernüchternde Bilanz zur Um-setzung des Dritten Binnenmarktpakets gezogen und u.a. Vertragsverletzungsverfahren gegen 17 (Strom) bzw. 18 (Gas) Mitgliedstaaten angekündigt. Sehen Sie das Ziel einer Ver-wirklichung des Energiebinnenmarktes bis 2014 in Gefahr?
PhiliP loWe Im Februar 2011 haben die Staats und Regierungschefs der EU dieses Ziel bestätigt und das Jahr 2014 als Frist für die Vollendung des Binnenmarktes gesetzt. Auf der Binnenmarktkonferenz am 29. September erklärte Kommissar Oettinger, dass nun auf Worte Taten folgen müssen. Die Kommission will zunächst vorrangig dafür sorgen, dass die Rechtsvorschriften ordnungsgemäß übernommen und durchgeführt werden. Sie wird den Mitgliedstaaten bei der ordnungsgemäßen Durchführung des EURechts zur Seite stehen, aber gegebenenfalls auch Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn dies nicht geschieht.
Teilen Sie die Befürchtung, dass die zunehmende Regulie-rung des Energiemarktes in eine (europäische) Planwirt-schaft führen könnte?
loWe Wir sind uns alle darin einig, dass es keiner weiteren Regulierung bedarf, um die Märkte zu öffnen. Aber die bisher angenommenen Vorschriften sind Voraussetzung dafür, dass die Märkte reibungslos funktionieren.
Netze, die ja natürliche Monopole sind, müssen reguliert werden, damit Dritte diskriminierungsfrei Zugang erhalten und die Tarife sich auch nach den tatsächlichen Kosten richten. Und auch Investitionen in die Infrastruktur erfordern ein gewisses Maß an langfristiger Planung und Koordinierung auf europäischer Ebene, damit die notwendige Infrastruktur gebaut wird. Dies gilt auch für die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens, der gezielte Maßnahmen zur Verwirklichung unserer Nachhaltigkeitsziele begünstigt. Das europäische Energierecht soll für fairen Wettbewerb sorgen und Lösungen bieten, wenn Märkte den Anforderungen der Gesellschaft nicht gerecht werden.
» die energieWende bringt auch ohne internationaleS abkommen vorteile.«
› Philip Lowe, EUGeneraldirektor für Energie, sieht Fortschritte bei den europäischen Bemühungen um Klimaschutz und fairen Wettbewerb auf den Energiemärkten.
55PerSPektive euroPa Streitfragen 02|2011
Vor diesem Hintergrund: Wie schätzen Sie die Wettbewerbs-situation auf den einzelnen nationalen Energiemärkten ein? Besteht Chancengleichheit auch für deutsche Unternehmen?
loWe Deutsche Unternehmen haben sehr erfolgreich in anderen Mitgliedstaaten Fuß gefasst. Sie sind in neue Märkte eingetreten und haben die Möglichkeiten im Zuge von Marktöffnung und Marktliberalisierung in der EU voll ausgeschöpft.
Wie sind die KMU der deutschen Energiewirtschaft von der Umsetzung der Brüsseler Vorgaben betroffen? Wie berück-sichtigt die Kommission die besonderen Bedürfnisse der KMU in der Gesetzgebung, z.B. in Bezug auf den zunehmen-den bürokratischen Aufwand?
loWe Die zentrale Rolle, die KMU in der europäischen Wirtschaft spielen, wird in der 2008 vorgelegten Mitteilung der Kommission „Small Business Act“ anerkannt. Die Kommission hat sich verpflichtet, in ihrem politischen Wirken dem Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ zu folgen, die Auswirkungen geplanter Rechtsvorschriften auf KMU zu prüfen und die Ergebnisse dieser Prüfung bei der Ausarbeitung der Gesetzgebungsvorschläge (im Rahmen der Folgenabschätzungen) zu berücksichtigen. Die Vorschläge der Kommission im Energiebereich leisten diesen Grundsätzen Folge. So sehen z.B. die Richtlinien über den Strom und den Gasbinnenmarkt vor, dass die Mitgliedstaaten kleine Verteilungsnetzbetreiber von den Vorschriften für die rechtliche Entflechtung der Verteilung ausnehmen können. Und auch der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Energieeffizienz sieht diese Möglichkeit für kleine Verteiler und Versorger auf Einzelhandelsebene vor.
Infolge der Liberalisierung können auch deutsche EnergieKMU Energie zu Wettbewerbsbedingungen beziehen oder Überschüsse verkaufen. Viele kleine Betreiber haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam in den Energiehandel einzusteigen. Dadurch haben sie unmittelbaren Zugang zu Großhandelsmärkten und Strombörsen. Angesichts ihrer engen Beziehungen zum Verbraucher bin ich davon überzeugt, dass sie die Vorteile der offenen Wettbewerbsmärkte für Energie erfolgreich nutzen werden.
Die EU hat beschlossen, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 sogar um 80 – 95 Prozent zu reduzieren. Die „Klimaroadmap“ sieht auch sektorspezifi-sche Reduktionsziele vor. Im Strombereich soll demnach der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um rund 60 Prozent und bis 2050 um mehr als 90 Prozent gesenkt werden. Was ist von der „Energie-Roadmap 2050“ zu erwarten?
loWe Die Staats und Regierungschefs der EU haben im Februar das Ziel bekräftigt, die Emissionen bis 2050 insgesamt um 80 – 95 Prozent zu verringern, wenn es uns gelingt, weitere Industrieländer dafür zu gewinnen. Voraussetzung dafür sind Fortschritte in Richtung eines umfassenden und fairen internationalen Klimaschutzabkommens. Die Energiewende bringt aber auch ohne internationales Abkommen Vorteile. Sie mindert unsere Abhängigkeit von Energieeinfuhren und fördert gleichzeitig neue Sektoren, in denen die EU zum globalen Player werden kann, z.B. in den Bereichen erneuerbare Energien und Technologien zur Nachfragesteuerung. Dies kommt wiederum Wachstum und Beschäftigung in Europa zugute.
Der Stromerzeugungssektor ist für einen Großteil der EUEmissionen verantwortlich. Er müsste seine Emissionen wesentlich verringern, um seinen Beitrag zur Verwirklichung des Gesamtzieles zu leisten. Im Energiefahrplan bis 2050, auch „Roadmap“ genannt, werden verschiedene DekarbonisierungsSzenarios untersucht als Hilfestellung für die Entscheidungsträger. Eine erste Analyse dieser Szenarios zeigt, dass die Dekarbonisierung des Energiesektors zu vertretbaren Kosten möglich ist und dass sich diese Investition lohnt.
Europäische Bemühungen zur Treibhausgas-Emissions re-duk tion machen angesichts der globalen Dimension des Kli-mawandels ohne ähnliche Bemühungen weiterer Staaten und Regionen nur begrenzt Sinn. Wie können Erfolgsmodelle wie der Emissionszertifikatehandel (EZH) internationale Nachah-mer finden? Was sind diesbezüglich die Pläne der Kommission für die Konferenz in Durban?
loWe Mit ihrem Anteil von nur rund elf Prozent der weltweiten Emissionen kann die EU das Problem der Erderwärmung nicht alleine lösen. Die EU steht bei den Bemühungen um die Verringerung des TreibhausgasAusstoßes zwar an der Spitze, aber die anderen müssen auch dazu beitragen. Der EZH zeigt, welch große Rolle der CO2Markt dabei spielen kann. Wir werden weiterhin auf
PhiliP loWe leitet seit 2010 die Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission. Vorher befasste sich der Brite als EUGeneraldirektor mit Wettbewerbsfragen.
56 Streitfragen 02|2011 PerSPektive euroPa
1 Der Energiebedarf für 2050 wird auf 4 900 Terawattstunden (TWh) geschätzt. 2 Für 2010 wird der Bedarf an Energie mit 3 534 TWh angesetzt.
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16 13
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Quelle: EU Energy and Transport in Figures; alle Angaben in TWh/Jahr
34 28
57PerSPektive euroPa Streitfragen 02|2011
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.«das EUEmissionshandelssystem bauen, aber auch auf Kyoto: Wir wollen die vorhandenen Mechanismen verbessern und neue Marktmechanismen einführen, um den CO2Weltmarkt zu stärken.
Für Durban hat sich die Kommission drei Ziele gesteckt: Wir müssen auf den in Cancún erzielten Fortschritten aufbauen, und wir müssen die noch nicht gelösten Fragen angehen, und zwar insbesondere, was den Umfang und die Höhe der Zielvorgaben angeht. Und wir brauchen ein ausgewogenes Paket, in das alle großen Emissionsverursacher einbezogen sind und das eine klare Etappen und Zeitplanung für einen neuen, umfassenden, soliden und verbindlichen Rechtsrahmen vorsieht.
Welche Rolle wird Erdgas als klimafreundlicher Energieträ-ger im europäischen Energiemix zukünftig spielen, insbe-sondere angesichts der zunehmenden Bedeutung von Bio-Erdgas als idealer Ergänzung zum natürlichen Erdgas?
loWe Die Erneuerbaren sind zwar auf dem Vormarsch, aber auch Erdgas dürfte im StromMix weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Mit ihrer Flexibilität ergänzen Gaskraftwerke die Erzeugung mit Erneuerbaren geradezu ideal. Aufgrund seines geringeren THGAusstoßes wird Erdgas wahrscheinlich auch Anteile von der Kohle übernehmen. Im Hinblick auf 2050 hängt die Rolle des Erdgases auch von der weiteren CCSEntwicklung ab. Sofern CCS nutzbar ist und in großem Umfang eingesetzt wird, dann könnte Erdgas zu einer CO2armen Alternative werden. Ohne CCS hat Erdgas langfristig nur begrenzte Zukunftsaussichten.
Auf Biogas hat CCS hingegen keinen Einfluss, so dass es in Zukunft durchaus eine immer wichtigere Rolle spielen könnte. Die Umstellung von Erdgas auf Biogas erfordert auch keine weitere Anpassung der Netz und Erzeugungsinfrastruktur. Aber Biogas kann nicht nur als Energieträger, sondern auch noch für andere Zwecke verwendet werden. Daher kann mittelfristig nicht unbedingt von einer hohen Biogasdurchdringung ausgegangen werden. Den Nationalen Aktionsplänen für erneuerbare Energie zufolge decken die Mitgliedstaaten 2020 wahrscheinlich nur zwei Prozent ihres Strombedarfs mit Biogas.
Wie bewerten Sie die Auswirkungen der jüngsten energie-politischen Entscheidung Deutschlands auf die europäischen Ziele in Bezug auf Versorgungssicherheit, den Binnenmarkt und Klimaschutz?
loWe Vorbehaltlich der vereinbarten EUZiele zur Verringerung der Emissionen und Erhöhung des ErneuerbarenAnteils entscheiden alle Mitgliedstaaten frei über ihren jeweiligen EnergieMix. Die einschlägigen Entscheidungen einzelner Mitgliedstaaten können sich natürlich auf andere Mitgliedstaaten und auf das Funktionieren des Energiesystems in der EU insgesamt auswirken. Die Abschaltung von acht deutschen Kernkraftwerken hat Konsequenzen für die Versorgungssicherheit und den Betrieb des europäischen Stromnetzes. Die deutsche Entscheidung wäre ohne einen bereits weitgehend integrierten europäischen Strommarkt so kurzfristig nicht möglich gewesen. Es bedarf eines stärker europäisch ausgerichteten Ansatzes, wie ihn die Bundesregierung in
ihrem Energiekonzept vorsieht, damit nationale Entscheidungen koordiniert umgesetzt werden können. Es ist Aufgabe der Kommission, zu koordinieren und Strategien zu verabschieden, um die Mitgliedstaaten in ihren Entscheidungen zu unterstützen.
Beim ersten Sondergipfel für Energie am 4. Februar haben Sie die Rückendeckung der Mitgliedstaaten für Ihre Energie-strategie 2020 erhalten. Auch haben Mitgliedstaaten eigene Konzepte für die Ausrichtung der Energiepolitik vorgelegt. Welche Rolle spielt die Europäische Kommission bei der not-wendigen Verzahnung dieser Ebenen?
loWe Die Energiestrategie 2020 baut auf der Strategie „Europa 2020 für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ auf. Sie bestätigt die Klimaschutz und Energieziele für 2020 und stuft sie als vorrangig ein (Rückgang der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent, Erhöhung des ErneuerbarenAnteils auf 20 Prozent und Energieeinsparungen von 20 Prozent). Laut Energiestrategie sind zwar bereits Fortschritte erzielt worden, aber bis zur Verwirklichung dieser Ziele muss noch viel getan werden. In der Energiestrategie sind die politischen Entscheidungen aufgeführt, mit denen zu beginnen ist, um unsere Energieziele 2020 zu erreichen. Dies erfordert Maßnahmen auf EUEbene und auf nationaler Ebene. Die Kommission bemüht sich darum, die nationalen Strategien näher aneinander heranzuführen. Dies soll vor allem durch die Vollendung des Binnenmarktes, den Bau integrierter Netze, die Förderung von Energieeffizienz und Unterstützung für Forschung und technologische Entwicklung sowie im
58 Streitfragen 02|2011 PerSPektive euroPa
Wege ihrer internationalen Energiebeziehungen erreicht werden. Außerdem verfolgt die Kommission im Rahmen des „Europäischen Semesters“ unausgesetzt die Fortschritte bei der Verwirklichung der vorrangigen Ziele und der entsprechenden nationalen Ziele.
Der Ausbau der Erneuerbaren stellt zunehmende Herausfor-derungen an ihre System- und Marktintegration. Wie plant die Kommission eine bessere Koordinierung auf europäi-scher Ebene sicherzustellen? Wie sehen Sie die Rolle und die notwendigen energiepolitischen Rahmenbedingungen nach 2020? Was sagen Sie zu den nationalen Debatten, u.a. auch in Deutschland, über mögliche Kapazitätsmechanismen? Plant die Europäische Kommission neue Initiativen zu diesem Thema?
loWe Das Argument greift auch anders herum: Eine stärkere System und Marktintegration einschließlich leistungsfähigerer Verbindungsleitungen ist Voraussetzung für den weiteren Ausbau Erneuerbarer. Die Marktintegration macht es leichter, den zunehmenden Herausforderungen in Verbindung mit Erzeugungsschwankungen und begrenzter Planbarkeit zu begegnen.
Andererseits müssen aber auch die verschiedenen Konzepte der Mitgliedstaaten für erneuerbare Energie berücksichtigt werden, und es muss dafür gesorgt werden, dass sie immer stärker konvergieren. Dieser BottomupAnsatz, wonach die Mitgliedstaaten bei konkreten Projekten zusammenarbeiten können, hat bereits Früchte getragen. Aber zunächst einmal müssen wir sicherstellen, dass Erneuerbare dort genutzt werden, wo die Kosten am niedrigsten und die Vorteile am größten sind, und dass die verschiedenen nationalen Fördersysteme für Erneuerbare nicht zu Verzerrungen auf den europäischen Strommärkten führen.
Die jüngste Richtlinie über Erneuerbare sieht eine Reihe von Kooperationsmechanismen vor, und es gibt bereits vielversprechende Initiativen zu deren Inanspruchnahme. Norwegen und Schweden planen beispielsweise ein gemeinsames Fördersystem, Italien und Luxemburg wollen mit anderen Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um ihre 2020Ziele zu realisieren, und Deutschland und Frankreich beabsichtigen, bei der Entwicklung von Solarenergie im Süden zu helfen. Die Kommission wirbt auch aktiv für eine koordinierte und strategische Herangehensweise an den Ausbau von OffshoreWindenergie. Ein koordinierter Ansatz könnte zu erheblich niedrigeren Kosten führen.
Wir haben auch begonnen, uns mit der grundlegenderen Frage zu befassen, ob und wie dieser Rahmen für die Zeit nach 2020 anzupassen wäre. Die Kommission wird dies 2012 im Wege einer Mitteilung angehen. Aber um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, müssen wir mit den Stakeholdern sprechen und werden zu diesem Zweck in den kommenden Wochen in Konsultation gehen.
Sowohl in der Mitteilung über Erneuerbare als auch in einer Mitteilung über den Binnenmarkt, die ebenfalls nächstes Jahr vorgelegt werden soll, wird darauf eingegangen, wie die Marktbedingungen aussehen müssen, um den zunehmenden Anteil Erneuerbarer aufzunehmen. Dazu zählen auch, aber nicht nur, die Kapazitätsmechanismen, die zurzeit in einigen Mitgliedstaaten eingeführt oder diskutiert werden. Einige Mitgliedstaaten halten Kapazitätsmechanismen für notwendig, damit ausreichende Reservekapazitäten verfügbar sind. Aber wir müssen sicherstellen, dass sie nicht zu weiteren Marktverzerrungen führen.
Eine weitere Frage ist, wie Verbraucher und kleine Erzeuger aktiver an Strommärkten teilhaben können.
Derzeit werden in Brüssel die Vorschläge für eine Energie-effizienz-Richtlinie verhandelt. In Deutschland haben sich die Energieeffizienzmärkte bisher sehr positiv entwickelt, auch wenn noch weitere Markthindernisse zu überwinden sind. Wie sehen Sie das Verhältnis vom marktorientierten zum ordnungspolitischen Ansatz aus europäischer Pers-pektive?»i
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59PerSPektive euroPa Streitfragen 02|2011
loWe Im Interesse einer besseren Energienutzung befürworte ich entschieden einen marktorientierten Ansatz. Ohne eine gewisse Regulierung funktionieren die Märkte allerdings nicht reibungslos. Indem wir Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz in den Energiedienstleistungsmärkten vorschlagen und den regulatorischen Rahmen für marktbasierte Energieeffizienzverpflichtungssysteme schaffen, schlagen wir einen besseren Rahmen für die Bewältigung gegebener Hemmnisse und die Schaffung funktionierender Wettbewerbsmärkte für Energiedienstleistungen vor.
Mit Ihrem Vorschlag zur Transparenz und Integrität des Energiegroßhandels hat die Kommission zu Recht ein den Spezifika des Energiegroßhandels angepasstes Regime vor-gelegt. Wie bewerten Sie das Zusammenspiel dieses maß-geschneiderten Regimes mit den aktuellen Vorhaben zur Finanzmarktregulierung, insbesondere der Novelle der Fi-nanzmarktrichtlinie (MiFID)? Droht hier eine Überregulie-rung zu Ungunsten des europäischen Energiebinnenmarktes?
loWe Im Kommissionsvorschlag für die Novelle der Finanzmarktrichtlinie (MiFID), die vielen Energieunternehmen zunächst Sorge bereitete, wurden die erklärten Ziele und die legitimen Interessen der Energiemarktteilnehmer sehr sorgfältig gegeneinander abgewogen. Energieunternehmen fallen nicht unter die Regeln, solange ihre Handelstätigkeit Nebentätigkeit bleibt und nicht zum Hauptgeschäft wird. Wir haben auch klare Kriterien für die entsprechende Einstufung der Handelstätigkeit von Unternehmen vorgesehen. Dies dürfte Energieversorgern die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit ohne übermäßige Regulierung und Kapitalanforderungen ermöglichen.
In den jüngsten Legislativvorschlägen im Rahmen des Ener-gieinfrastrukturpakets schlagen Sie u.a. Maßnahmen zur Be-schleunigung von Genehmigungsverfahren von sogenann-ten „Projekten von gemeinschaftlichem Interesse“ vor. Was kann die Kommission angesichts des Subsidiaritätsprinzips im nun anstehenden Gesetzgebungsverfahren realistisch er-reichen? Was muss darüber hinaus zur Stärkung der öffent-lichen Akzeptanz von notwendigen Infrastrukturprojekten geschehen?
loWe Die Maßnahmen, die wir in puncto Genehmigungsverfahren vorgeschlagen haben, bilden einen Rahmen, in dem die Mitgliedstaaten ihre Genehmigungsverfahren weiterhin nach Maßgabe ihrer jeweiligen nationalen Gegebenheiten durchführen können. Wir respektieren also das Subsidiaritätsprinzip voll und ganz. Der Vorschlag begegnet nicht allen Problemen. Er soll privaten Investoren mehr Sicherheit hinsichtlich der Verfahrensdauer geben, indem die Verfahren gestrafft und beschleunigt werden. Gleichzeitig soll für uneingeschränkten Umweltschutz und die Einbeziehung der Öffentlichkeit gesorgt werden, indem mehr Transparenz geschaffen und der Öffentlichkeit besserer Zugang zu den Verfahren gewährt wird. Aus diesem Grund stieß der Vorschlag nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei Nichtregierungsorganisationen auf breite Zustimmung.
Sind die für Energieprojekte vorgesehenen 9,1 Milliarden Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts des geschätzten Investitionsbedarfs in Strom- und Gasnetze in Höhe von rund 600 Milliarden Euro bis 2020? Was kann die Kommission tun, um bessere Anreize für innovative Netz-investitionen zu erreichen, insbesondere für intelligente Verteilnetze?
loWe Der Bedarf an Investitionen ist ungeheuer groß und wird in erster Linie durch private Investitionen geschultert, die durch Stromtarife gedeckt werden. Wenn wir unsere EU2020Ziele erreichen wollen, müssen wir mehr als 1 Billion Euro in die Modernisierung und den Ausbau von Erzeugungs und Netzinfrastruktur investieren. In Anbetracht dessen kann die mit 9,1 Milliarden Euro ausgestattete Fazilität „Connecting Europe“ in der Tat lediglich Impulse geben, die Privatinvestitionen in transeuropäische Infrastrukturen mobilisieren. Die Fazilität sieht neue Finanzierungsinstrumente wie Darlehensbürgschaften und projektbezogene Anleihen vor, um Projektrisiken zu mindern und gezielte Unterstützung zu leisten. Im Energiesektor sind die Netzbetreiber für die Planung und die entsprechenden Investitionen verantwortlich. Das neue Energieinfrastrukturpaket sieht einen umfassenden Rahmen für die transeuropäische Energieinfrastruktur vor, um es den Betreibern zu ermöglichen, der Investitionsherausforderung zu begegnen. Die Maßnahmen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, zur Erhöhung der Akzeptanz in der Öffentlichkeit und zur Gewährleistung von Kostendeckung und langfristigen Anreizen sind von entscheidender Bedeutung für die rasche Planung und Errichtung der notwendigen Infrastruktur.
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60 Streitfragen 02|2011 WaSSerWirtSchaFt
dr. Fritz holzWarthist Leiter der Unterabteilung WA I Wasserwirtschaft im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn.
01Sie Forderten auF der WaS-SerWirtSchaFtlichen JahreS-tagung die WeiterentWicklung deS benchmarking (leiStungS-vergleich). Warum?
Es müssen sich insgesamt mehr Unternehmen beteiligen, insbesondere die fehlenden Großen, damit wir ein repräsentatives Bild erhalten. Zudem haben die bisherigen Leistungsvergleiche weitgehend die ökonomische Seite im Blick. Hier sollen Optimierungspotenziale gefunden werden, die sich in den Wasserpreisen niederschlagen sollen. Die ökonomische Fixierung auf die Leistungsfähigkeit der Wasserversorger muss durch eine qualitative Komponente ergänzt werden, die sich mit den Vorsorgeleistungen in Umwelt und Gesundheitsschutz befasst: Sicheres Trinkwasser braucht Vorsorge im Grundwasserschutz und beim Schutz der Oberflächengewässer. Mit anderen Worten: Die hohe Qualität des Rohwassers entscheidet mit über die Qualität des Trinkwassers. Kurz, wir brauchen Nachhaltigkeitskriterien, deren Einhaltung sich bei der Preisbildung niederschlagen darf, weil sie die Ökologie und menschliche Gesundheit berücksichtigen, und zwar so, dass sie für die Menschen nachvollziehbar sind. Das geht aber nur bei mehr Verbindlichkeit und mehr Vergleichbarkeit. Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht ganz trivial ist, diese Kriterien zu entwickeln und schon gar nicht, sie in den Bilanzen der Wasserversorger abzubilden. Deshalb führt das Umweltbundesamt derzeit für das BMU ein Forschungsvorhaben durch, das dafür die wissenschaftlichen Grundlagen legen soll.
02Sie Fordern, daSS ergebniSSe von benchmarking-ProzeSSen nachvollziehbar, vergleich-bar und belaStbar Sein müSSen. WaS meinen Sie damit?
Das bedeutet, in Euro und Cent sagen zu können, was für den vorsorgenden Gewässerschutz und für die Sicherung der Rohwasserqualität ausgegeben wird. Darin liegen auch die Gründe, warum sich die Umweltseite an der Transparenzdiskussion beteiligt, denn zwischen Gewässerschutz und Trinkwasserversorgung bestehen enge Verbindungen und Synergien; denken Sie nur an die Kooperationen zwischen Wasserversorgern und Landwirten zur Sicherung von Rohwasservorkommen.
03 Sie Stellen Sich einen zeitraum von FünF Jahren Für die umSet-zung vor. WaS PaSSiert dann? und könnte daS „branchenbild der deutSchen WaSSerWirt-SchaFt 2011“ eine baSiS Für eine zukünFtige SelbStverPFlich-tung Sein?
Zunächst geht es darum, die vorhandenen Ansätze in der gesamten Branche zu etablieren, d.h. Kennzahlensysteme zu nutzen, die Leistungen und Kosten im Umwelt und Gesundheitsschutz offen darzulegen und zu kommunizieren. Dazu gehört es, Kennzahlensysteme einzuführen, an denen sich auch kleine Wasserversorger beteiligen können. Die Verbändeerklärung von 2005 bietet eine Grundlage für eine notwendige Weiterentwicklung. Eine abgestimmte und bundesweit verbindliche Festlegung bei den Kennzahlen ist notwendig, die Verbände müssen dann für die Durchsetzung sorgen. Nach fünf Jahren
sollte dann eine Evaluierung des freiwilligen Benchmarking erfolgen. Wenn der freiwillige Weg erfolgreich war, gibt es keinen Anlass, einen anderen Weg zu beschreiten. Sollte das Ergebnis allerdings nicht befriedigend ausfallen, müsste die Diskussion um ein rechtlich verbindliches Benchmarking geführt werden. Andere Optionen, wie z.B. die auch gelegentlich angeregte Wasserpreisregulierungsbehörde, halten wir angesichts des damit verbundenen bürokratischen Aufwands für einen Irrweg.
Mit dem Branchenbild hat die Wasserwirtschaft sich selbst auf den Prüfstand gestellt und zeigt, welches Verbesserungs und Leistungsfähigkeitspozential bereits ausgeschöpft wurde. Aus meiner Sicht reicht das Nachhaltigkeitskapitel leider zu kurz. Hier müssten die Vorsorgeleistungen für den Umwelt und Gesundheitsschutz besser zur Geltung kommen. Der jetzt vorliegende Bericht zielt auf die Fachöffentlichkeit und Politik. Dafür ist das Branchenbild gut geeignet. Es ersetzt aber nicht ein Kennzahlensystem, das die breite Öffentlichkeit informiert und ihr die Sinnhaftigkeit der Investitionen in Umwelt und Gesundheitsschutz nahebringt. Und dazu gehört auch, dass der Leistung ein Preis gegenübergestellt werden muss, den der einzelne Verbraucher nachvollziehen kann. Diese Angaben fehlen im Branchenbild. Auch wenn wir uns hier auf die Wasserversorgung konzentrieren, so enthält das Branchenbild auch die Abwasserbeseitigung. Für die Abwasserbeseitigung gelten Transparenz, Vergleichbarkeit und Nachhaltigkeit als Anforderungen in gleicher Weise. Wasserversorgung und Abwasserreinigung sind zwei Seiten einer Medaille, die nicht voneinander zu trennen sind. Abwasserreinigung entscheidet mit über die Rohwasserqualität in Oberflächengewässern, die der Wasserversorgung dienen.
drei Fragen an dr. Fritz holzWarth
IMPressuM
Herausgeber
BDEW Bundesverband derEnergie- und Wasserwirtschaft e. V.Reinhardtstraße 3210117 BerlinTelefon +49 (0)30 300 199-0Telefax +49 (0)30 300 199-3900streitfragen@bdew.dewww.bdew.de
reDaktIon
Mathias Bucksteeg Sven Kulka
Red. Mitarbeit:Jan UllandGabriela Jähn (Projektassistenz)
konzePt unD realIsIerung
Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter Mitarbeit von Roland Horn (Fotografie), Werner Schuering (Fotografie) und Wolf Szameit (Redaktion)
bIlDnacHWeIs
fotolia: Titelseite; BDEW / Roland Horn: U2, S. 2, 22–23, 25, 32–33, 36–37, 42–43, 44; BDEW / Werner Schüring: S. 2, 16, 19, 20, 28, 30; Andreas Chudowski: S. 4, 6–7, 8
Druck unD VerarbeItung
tuschen GmbH, Dortmund
Redaktionsschluss:November 2011
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