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Streitfragen! Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 02|2011 S.04 IST DER MARKT NOCH ZU RETTEN? Hildegard Müller, BDEW, und Prof. Dr. Justus Haucap, Monopolkommission, diskutieren nötige Weichenstellungen für ein neues Marktdesign STRESSTEST FÜR DIE INFRASTRUKTUR 19 Experten im Gespräch über notwendige Infrastrukturen, technische Realitäten und das Marktdesign von morgen S.38 DAS 50,2-HERTZ-PROBLEM Ludger Meier vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) sieht die Stabilität der Elektrizitätsversorgung gefährdet DREI FRAGEN AN DR. FRITZ HOLZWARTH Der Leiter der Unterabteilung WA I Wasserwirtschaft im Bundesumweltministerium plädiert für eine transparentere Preispolitik in der Wasserwirtschaft S.60

BDEW-Magazin "Streitfragen!" - 02/2011

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"Streitfragen! - Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog" Je stärker sich Unternehmen, Politik und Regulatoren mit der konkreten Umsetzung der Energiewende beschäftigen, desto mehr offene Fragen brechen auf. Die Öffentlichkeit beginnt sich für die technischen Aspekte zu interessieren, und der kommende Winter erscheint vielen als erster realistischer Belastungstest für den ambitionierten Zeitplan der Bundesregierung. Die Beiträge führen auch in dieser Ausgabe die Debatte über die Zukunftsfragen der Energie- und Wasserwirtschaft intensiv und transparent mit neuen Argumenten, Sichtweisen und Kompromisslinien weiter.

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Streitfragen!Die energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 02|2011

s.04Ist Der Markt nocH zu retten?

Hildegard Müller, BDEW, und Prof. Dr. Justus Haucap, Monopolkommission, diskutieren nötige Weichen stellungen für ein neues Marktdesign

stresstest für DIe Infrastruktur19 Experten im Gespräch über notwendige Infrastrukturen, technische Realitäten und das Marktdesign von morgen

s.38Das 50,2-Hertz-ProbleM

Ludger Meier vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) sieht die Stabilität der Elektrizitätsversorgung gefährdet

DreI fragen an Dr. frItz HolzWartH

Der Leiter der Unterabteilung WA I Wasserwirtschaft im Bundesumweltministerium plädiert für eine transparentere Preispolitik in der Wasserwirtschaft

s.60

lIebe leserIn, lIeber leser,

je stärker sich Unternehmen, Politik und Regulatoren mit der ganz konkreten Um­setzung der Energiewende beschäftigen, desto mehr offene Fragen brechen auf. Die Öffentlichkeit beginnt sich für die technischen Aspekte zu interessieren, und der kommende Winter erscheint vielen als erster realistischer Belastungstest für den am­bitionierten Zeitplan der Bundesregierung.

Fest steht schon jetzt: Wenn wir unsere Infrastruktur umfassend ausbauen und modernisieren wollen, brauchen wir ein Investitionsklima, das attraktiv ist. Wir müssen unseren europäischen Nachbarn beweisen, wie man den Umbau mit wett­bewerbsfähigen Renditen, hohen Investitionsquoten und auf höchstem technologischem Niveau realisiert – kurz: als Wohlstands­ und Wachstumsmodell.

Dieses Wachstumsmodell hat bei uns immer dann funktioniert, wenn der Staat die Ziele vorgab, sich aber in die Instrumente nicht einmischte. Heute geht der Trend in die andere Richtung. Wenige Jahre nach der Liberalisierung wachsen die Staatsan­teile, nimmt die Regulierungsdichte zu. Die Funktion von Märkten und Preisen gerät unter Druck. Die ursprünglich sinnvolle Subventionslogik des EEG und der Einspei­sevorrang werden bei zunehmenden Anteilen der Erneuerbaren an der Stromerzeugung zum Problem. Und bei den konventionellen Backup­Kapazitäten beginnt schon jetzt eine teilweise hektisch geführte Diskussion über Kapazitätsmechanismen als Ausgleich für ausbleibende Investitionsanreize aus dem Markt. Der BDEW wird das Thema mit der gebotenen Sorgfalt analysieren.

Die Herausforderungen der Energiewende müssen jetzt unternehmerisch bear­beitet werden. Der Primat der Politik galt für die Ziele, der Primat der Effizienz gilt für die Umsetzung. Die Beiträge in diesem Heft eröffnen die Debatte über diese Fragen. Bei der Lektüre wünsche ich Ihnen viel Spaß und neue Einsichten.

Ihre

Hildegard Müller

01Streitfragen 02|2011

Johannes Kindler, Bundesnetzagentur, und Boris Schucht, 50Hertz Transmission, diskutieren, welche Veränderungen der Rahmenbedingungen notwendig sind, damit die Energiewende gelingt

S.42» Probleme mit WindParkS

müSSen vor dem Start gelöSt Werden!«

Dr. Martin Grundmann von der ARGE Netz GmbH möchte die öffentliche Akzeptanz für Windparks erhöhen

S.32 Wie viel Freiheit brauchen netzbetreiber?

S.22» Wir müSSen Städte oPtimieren, nicht einzelne häuSer«

Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA), über intelligente Sparkonzepte

S.16Wie viel Staat verträgt der endkundenmarkt Für energie?

Jost Geweke, Süwag Energie AG, und Andreas Mundt, Bundeskartellamt, im Streitgespräch

02 Streitfragen 02|2011

S.04

S.10

S.12

S.16

S.22

S.27

S.28

S.32

S.38

S.42

S.44

S.46

S.50

S.52

S.54

S.60

zukunFt deS energiemarkteS

iSt der markt noch zu retten?Hildegard Müller, BDEW, und Prof. Dr. Justus Haucap, Monopolkommission, diskutieren nötige Weichen­stellungen für ein neues Marktdesign

» PreiSSignale Sind der SchlüSSel zum umbau deS energieSyStemS«Dr. Felix Matthes vom Öko­Institut Berlin spricht sich für spezifische Kapazitätsmechanismen aus

die zukunFt deS konventionellen kraFtWerkSParkSDie Consentec GmbH hat die Anforderungen an die Flexibilitäten im Jahr 2020 erforscht

Wie viel Staat verträgt der endkundenmarkt Für energie?Jost Geweke, Süwag Energie AG, und Andreas Mundt, Bundeskartellamt, im Streitgespräch

FokuS eFFizienz

» Wir müSSen Städte oPtimieren, nicht einzelne häuSer«Dr. Thomas Welter, Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA), über intelligente Sparkonzepte

drei Fragen an klauS JeSSe Der Präsident des Bundesindustrieverbands Deutschland Haus­, Energie­ und Umwelttechnik e.V. (BDH) beschreibt die Voraussetzungen für eine beschleunigte Sanierung des Gebäudebestands

» energieSParen Steht ganz oben auF der tageSordnung« Bundesminister Dr. Peter Ramsauer erläutert den Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand

FokuS inFraStruktur

Wie viel Freiheit brauchen netzbetreiber? Johannes Kindler, Bundesnetzagentur, und Boris Schucht, 50Hertz Transmission, über Regulierung und Renditen

daS 50,2-hertz-ProblemLudger Meier vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) sieht die Stabilität der Elektrizitätsversorgung gefährdet

» Probleme mit WindParkS müSSen vor dem Start gelöSt Werden!«Dr. Martin Grundmann von der ARGE Netz GmbH möchte die öffentliche Akzeptanz für Windparks erhöhen

drei Fragen an eine WindPark-anWohnerinAngelika Kutschbach fühlt sich vom Lärm der Wind­mühlen massiv gestört

FokuS erzeugung

kraFtWerke Für die zukunFt Klaus Dieter Rennert, Hitachi Power Europe, und Dr. Roland Fischer, Siemens AG, über Herausforderungen der Energiewende aus Sicht der Hersteller

PoWer to gaSEin Beitrag zur Energiewende

»Wir laSSen die viSion realität Werden«Paul van Son, Dii GmbH, über den Stand und die Zukunft des Desertec­Projekts

PerSPektive euroPa

»die energieWende bringt vorteile«Generaldirektor Philip Lowe, EU­Kommission, erläutert den Standpunkt der EU zum Energiebinnenmarkt

WaSSerWirtSchaFt

drei Fragen an dr. Fritz holzWarthDer Leiter der Unterabteilung WA I Wasserwirtschaft im Bundesumweltministerium plädiert für eine transparentere Preispolitik in der Wasserwirtschaft

03Streitfragen 02|2011

04 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

» auF dieSe Subvention Sollten Wir ver-zichten.«

» inveStitionS-anreize Sind notwendig.«

05zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

Herr Haucap, als Vorsitzender der Monopolkom-mission befassen Sie sich intensiv mit der Wett-bewerbssituation auf den Energiemärkten. Zu-letzt haben Sie deutliche Verbesserungen auf der Stromerzeugungsseite festgestellt. Kann man das als Entwarnung verstehen?

ProF. dr. JuStuS haucaP Von Entwarnung möchte ich nicht sprechen. Es hat aber unübersehbare Verbesserungen gegeben.

Zum Beispiel?

haucaP Es geht im Wesentlichen um vier Punkte. E.ON hat auf Druck der EU­Kommission Erzeugungska­pazitäten verkaufen müssen. Außerdem sind der öster­reichische und der deutsche Erzeugungsmarkt so eng zusammengewachsen, dass man von einer vollständi­gen Marktintegration sprechen kann. Das sorgt für mehr Wettbewerb. Hinzu kommt der Verkauf der STEAG an eine Gruppe von Stadtwerken. Und schließ­lich hat die Abschaltung der acht Kernkraftwerke nach Fukushima die Angebotskonzentration bei der Strom­erzeugung verringert.

Frau Müller, Ihre Mitgliedsunternehmen machen also alles richtig …

hildegard müller Die Unternehmen würden aktuell gern noch viel mehr machen. Aber die jetzigen Investitionsbedingungen sind einfach unsicher. Die bisherige Entwicklung bestätigt aber, dass die Branche

auf einem sehr guten Weg ist. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass wir in Deutschland einen der wettbe­werbsintensivsten Strommärkte in Europa haben.

haucaP Das ist aus meiner Sicht eher ein Beleg für die großen Defizite auf anderen europäischen Märkten.

müller Das ist auch mein Punkt!

Wenn die Branche auf einem sehr guten Weg ist, dann ist ein zunehmender Wettbewerb auf der Erzeugungsseite also ein Selbstläufer …

haucaP Ein Selbstläufer ist es noch nicht. Neue Er­zeugungskapazitäten entstehen nicht von alleine. Die Markteintrittsschwelle liegt noch immer hoch, und es ist keineswegs trivial, ein Kraftwerk zu bauen und zu betreiben.

Mit ihrem Kraftwerksinvestitionsprogramm will die Bundesregierung gezielt die kleineren Markt-teilnehmer motivieren, Kraftwerke zu bauen. Ist das sinnvoll?

müller Investitionsanreize sind zur Unterstützung der Energiewende notwendig und richtig. Jedoch sollte ein Kraftwerksförderprogramm möglichst breit für alle Unternehmen nutzbar sein und nicht nur für solche, die weniger als fünf Prozent Marktanteil haben. Gerade gestern hat sich mit diesem Thema unser Vorstand be­schäftigt. Die Branche ist sich einig in der Auffassung, dass die Fünf­Prozent­Klausel nicht zielführend ist.

› Investitionsanreize für neue Kraftwerke, der Netz­ausbau und die Förderung der Erneuerbaren bieten reichlich Diskussionsstoff für die Hauptgeschäfts­führerin des BDEW und den Chef der Monopol­kommission.

06 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

haucaP Ich halte das gesamte Kraftwerksinvesti­tionsprogramm für problematisch. Mir hat noch nie­mand überzeugend darlegen können, dass Steuergelder fließen müssen, um den Bau von Kraftwerken anzurei­zen. Auf diese Subvention sollten wir verzichten.

müller Es geht hier nicht um eine Subvention. Es geht vielmehr um den Ausgleich der Nachteile, die deutsche Unternehmen durch die ambitionierten Kli­maschutzziele und den Emissionshandel erleiden.

Welche Nachteile?

müller Im Jahr 2009 beschloss die EU, die CO2­Emissionszertifikate ab 2013 kostenpflichtig zu verstei­gern. Damals wurde zugesagt, dass die deutsche Ener­giewirtschaft eine Förderung als Ausgleich bekommen kann, da sie die Klimaziele überproportional erfüllt. Außerdem muss ich Herrn Haucap ganz eindeutig wi­dersprechen. Die Aussichten, ein neues konventionelles Kraftwerk rentabel zu betreiben, sind ab 2020 äußerst gering. Mit dem steigenden Anteil der erneuerbaren Energien, die bei der Einspeisung ins Netz Vorrang genießen, wird sich das Problem noch verschärfen. Die Auslastung fossiler Kraftwerke wird nach einem BDEW­

Gutachten um durchschnittlich 40 Prozent sinken. Mit dem Kraftwerksinvestitionsprogramm ist es keinesfalls getan. Es bedarf mittelfristig zusätzlicher Anreize.

haucaP Warum das? Die Forward­Märkte zeigen seit dem Wegfall der acht Kernkraftwerke einen klaren Preistrend nach oben. Das sollte den Anreiz erhöhen, neue Kraftwerke zu bauen. Außerdem müssen bei der fortschreitenden Integration der europäischen Märkte Kraftwerke nicht unbedingt in Deutschland gebaut werden, das kann auch im benachbarten Ausland sein.

müller Mit zusätzlichen Anreizen meine ich auch nicht zusätzliches Geld. Es geht vielmehr um das Marktdesign der Zukunft.

haucaP Wenn Sie damit auf Kapazitätsmärkte an­spielen, kann ich nur warnen. Ich bin eher skeptisch, ob wir die wirklich brauchen. Markteingriffe sind nur als allerletztes Mittel akzeptabel.

07zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

» daS hauPtProblem Sind die genehmi-gungSverFahren.«

» die Politik Sollte keine voreiligen entSchei-dungen treffen.«

08 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

müller Darum mahne auch ich zur Besonnenheit. Wir brauchen keine Schnellschüsse. Erst gestern hat sich der BDEW­Vorstand darauf geeinigt, dass für eine abschließende Beantwortung der Frage nach Kapazi­tätsmechanismen ein umfassendes Monitoring der Energiewende Voraussetzung ist. Dieser Prozess muss einen ganzheitlichen Ansatz unter Einbeziehung der Marktintegration der erneuerbaren Energien, des Netzausbaus und des europäischen Binnenmarktes bein halten. Es muss insgesamt ein neues Marktdesign entwickelt werden. Angesichts der langfristigen Pla­nungshorizonte in der Energiewirtschaft sollten die Er­gebnisse spätestens bis zum Jahr 2015 vorliegen. Aus Sicht meiner Branche ist es daher wichtig, dass die Poli­tik keine voreiligen Entscheidungen trifft.

Die Energiewende erfordert enorme Anstrengun-gen beim Netzausbau. Wird der Netzausbau so schnell vorangehen, wie es erforderlich ist?

haucaP Das Problem ist nicht der Bau an sich. Die langwierigen Genehmigungsverfahren und die gesell­schaftlichen Widerstände wiegen viel schwerer.

Könnten höhere Netzrenditen den Ausbau be-schleunigen?

haucaP Nein. Mit Renditeerhöhungen löst man die Probleme nicht. Die Hauptprobleme sind die Genehmi­gungsverfahren und die gesellschaftliche Akzeptanz.

müller Das sehe ich anders. Die Rendite ist sehr wohl ein Thema. Natürlich sind die langen Genehmi­gungsverfahren und die Akzeptanzprobleme große Hindernisse. Daran müssen wir gemeinsam mit der Po­litik arbeiten. Aber wenn die Renditen nicht stimmen, hilft das alles nichts. Die Netzbetreiber müssen an den internationalen Kapitalmärkten Investoren finden. Das geht nur, wenn die Renditen im internationalen Ver­gleich attraktiv sind. Und das sind sie bislang nicht.

Sprechen wir über das EEG. Ist die Photovoltaik überfördert?

müller Es ist da ja bereits einiges passiert, die Ver­gütungen sind innerhalb von knapp zwei Jahren dras­tisch gesunken und sinken zum Jahreswechsel erneut. Dennoch sehe ich weiteren Anpassungsbedarf. Mehr als die Hälfte der Erneuerbaren­Förderung fließt zurzeit in

09zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

3,5 Prozent der Stromerzeugung mit Photovoltaik. Es geht da um ein ganz grundsätzliches Problem. Das Erneuerbare­Energien­Gesetz war als Instrument der Markteinführung okay. Doch jetzt müssen Markt­elemente ins System. Das mit der jüngsten Novelle ein­geführte Marktprämienmodell ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. 13 Jahre nach der Liberalisierung würden wir sonst den falschen Weg einschlagen.

haucaP Das Modell belastet allein die Verbraucher und beschert den Betreibern Zusatzgewinne. Eigentlich sollte das Marktprämienmodell den Anreiz schaffen, in den Bau von Speichern zu investieren. Ich glaube nicht, dass das Modell diesen Zweck erfüllen wird.

müller Sie können nicht von heute auf morgen den Schalter komplett umlegen. Um die Erneuerbaren an den Markt heranzuführen, bedarf es einer Reihe von Schritten. Daher muss das EEG als lernendes System ständig weiterentwickelt werden.

haucaP Ich hätte da einige Vorschläge. Als Erstes muss der nahezu unbegrenzte Einspeisevorrang fallen. Wir pressen mitunter Strom aus erneuerbaren Quellen ins System, den niemand haben will. Das führt zu nega­

tiven Preisen. Mit anderen Worten: Man bekommt Geld dafür, wenn man sich erbarmt, den Strom abzuneh­men. Das ist für mich eine Art Müllentsorgung, für die alle Verbraucher zahlen. Das darf so nicht weitergehen. Als Nächstes brauchen wir eine Mengensteuerung statt der festen Vergütung nach dem Erneuerbare­Energien­Gesetz. Man könnte etwa die Stromversorger und gege­benenfalls auch die Netzbetreiber verpflichten, 35 Pro­zent Strom aus erneuerbaren Quellen abzunehmen. Die Versorger könnten untereinander mit Grünstrom­Quo­ten handeln. Wer die Quote nicht einhält, dem drohen Strafzahlungen.

Frau Müller, stellen Sie sich die künftige Förde-rung der Erneuerbaren auch so vor?

müller Ich will mich da noch nicht auf den nächs­ten Schritt festlegen. Grundsätzlich halte ich aber eine Mengensteuerung über Quoten für denkbar. Unser Ver­band befasst sich gerade sehr konkret mit verschiede­nen Modellen. Wir werden unsere Vorstellungen in Kür­ze in die Diskussion einbringen.

In Auszügen erschienen im „Handelsblatt“ vom 04.11.2011

hildegard müller ist seit 2008 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Von 2005 bis 2008 war die Diplom­Kauffrau Staatsministerin im Bundeskanzleramt.

ProF. dr. JuStuS haucaPist seit 2008 Vorsitzender der Monopolkommission. Die Kommission berät die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen. Haucap ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Düsseldorf und Gründungsdirektor des Düsseldorf Institute for Competition Economics.

10 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

» PreiSSignale Sind der SchlüSSel zum umbau deS energieSyStemS.«

Sie sagen: Der Verzicht auf Atomstrom wird nicht zu gravierenden Problemen für die Energiesicherheit und den Kli-maschutz führen. Dafür sorgen aus Ih-rer Sicht existierende Marktmechanis-men. Was meinen Sie damit?

dr. Felix mattheS Der Ausstieg aus der Kernenergie wird zu einem Zeitpunkt vollzogen, an dem der bestehende Kraft­werkspark noch erhebliche Reserven und Flexibilitäten hat und in den nächsten Jah­ren eine ganze Reihe neuer konventionel­ler und regenerativer Kraftwerkskapazitä­ten ans Netz gehen werden, für die die Investitionsentscheidungen – aus ganz verschiedenen Gründen – in den letzten fünf Jahren gefallen sind. Ob die existie­renden Preissignale des Strom­Großhan­delsmarktes ausreichend sind, um auch Investitionen in neue Anlagen zu ermög­lichen, ist theoretisch und praktisch um­stritten. Anders sieht es bei den Emissio­nen aus. Hier haben wir mit dem Emissionshandelssystem der EU ein Inst­

rument, das die Einhaltung der Emis­sionsziele garantiert. Es existiert eine feste Obergrenze für die Gesamtemissionen, damit ergeben sich eine Knappheit bei den entsprechenden Emissionszertifikaten und ein Preis für Emissionen. Der Atom­ausstieg führt so nicht zu einer stärkeren Belastung des Klimas, für die langfristige Gewährleistung der Versorgungssicher­heit werden wir allerdings auch neue Marktmechanismen in Betracht ziehen müssen.

Sie sagen auch: Ein neues Marktdesign ist für Investitionen in CO2-arme, fos-sile Kraftwerke wichtig und langfristig eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Transformation der Erneuerba-ren in das Energiesystem. Wie sieht die-ses Marktdesign aus?

›Das Vorhalten von Kraftwerkskapazität wird heute nicht honoriert. Das sollte sich ändern, um eine robuste und vergleichsweise preiswerte Stromversorgung sicherzustel­len, meint der Wissenschaftler Dr. Felix Matthes.

mattheS Heute verdienen Stromerzeu­gungsanlagen ihr Geld im Wesentlichen über den Verkauf von Energie auf dem so­genannten Kilowattstundenmarkt. Das funktioniert, da wir vor allem aus Mono­polzeiten über ausreichend dimensionier­te Kraftwerkskapazitäten verfügen. Trotz des massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien werden wir aber zumindest auf mittlere Frist noch einige neue konventio­nelle Kraftwerke zur Deckung der Last­nachfrage benötigen. Investitionen in die­se Kraftwerke stehen vor dem Problem, dass im heutigen Markt letztlich die Bereit­stellung von Kraftwerkskapazitäten nicht honoriert wird. So kann man entweder ab­warten, dass die Preise für Kilowattstun­den aus Knappheitsgründen so hoch wer­den, dass Investitionen in neue Kraftwerke sich wieder lohnen, oder einen Markt für Kraftwerkskapazitäten schaffen, über den ein Preis und somit Einkommen für die Bereitstellung von Kraftwerksleistung auf wettbewerblicher Basis geschaffen wird.

11zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

dr. Felix mattheSist Forschungskoordinator Energie­ und Klimapolitik beim Öko­Institut e.V., Berlin.

Sie sagten während des BDEW-Kon-gresses 2011, die Kosten der Energie-wende seien überschaubar, trotz der enormen Herausforderungen, die mit dem Systemwechsel einhergehen.

mattheS Zunächst wird auch das „Wei­ter so“ im Zeitalter steigender Brennstoff­ und CO2­Preise zu erheblichen Kosten füh­ren. Für den anstehenden Systemwechsel werden in den nächsten Jahren zusätzliche Kosten entstehen, vor allem für die Förde­rung der erneuerbaren Energien. Langfris­tig werden moderate Zusatzkosten für die Infrastruktur und Speicherung anfallen. Insgesamt und bei intelligenter Ausgestal­tung der Energiewende werden diese Ef­fekte für Haushalte mittelfristig bei unter drei Cent je Kilowattstunde liegen, für die Industrie eher bei einem Cent. Und diese Kosten entstehen weniger durch das be­schleunigte Auslaufen der Kernenergie, hier reden wir über Preiseffekte von 0,5 Cent und darunter, als durch die Dekarbo­nisierung des Stromversorgungssystems. Und für eine klimafreundliche Strom­erzeugung ohne Kohlendioxid­Emissionen und ohne Kernkraftrisiken sind die ge­nannten Zusatzkosten ein guter Deal, gera­de wenn man in Betracht zieht, dass ein klimafreundliches Energiesystem uns langfristig auch wirtschaftlich weniger verletzbar macht.

Brauchen wir zukünftig mehr Markt oder mehr Staat, um die energiepoliti-schen Ziele umzusetzen und das Klima zu schützen?

mattheS Die abstrakte Frage von Markt oder Staat greift zu kurz. Wenn der Staat für bestimmte Sachverhalte wie Klimaschutz, Versorgungssicherheit oder Verteilungseffekte verantwortlich gemacht

wird, dann bilden staatliche Rahmenset­zungen und Zielvorgaben einen unver­zichtbaren Ausgangspunkt jeglicher Ver­änderung. Spannend wird es dann bei der Umsetzung dieser Rahmenvorgaben. Die zentrale Frage ist hier, wo und mit wel­chem Ziel wettbewerblich erzeugte Preis­signale eine zentrale Steuerungsgröße für die notwendigen Anpassungen des Ener­giesystems bilden sollten. Wenn man wie ich glaubt, dass an vielen Stellen die Entde­ckungsfunktion solcher Preissignale un­verzichtbar ist, müssen intelligent und marktlich erzeugte Preissignale eine Kern­komponente der entsprechenden politi­schen Instrumente bilden. Das heißt aber auch, dass wir in einigen Bereichen, z.B. bei der Förderung erneuerbarer Energien und im Bereich der Energieeffizienz, wohl über einige Zeit auch noch komplementäre Re­gulierungsansätze brauchen werden.

Wie verhält es sich mit den sich bereits im Bau befindenden Kohlekraftwerken?

mattheS Das Geld dafür ist im We­sentlichen ausgegeben und die meisten werden wohl auch in Betrieb gehen. Lang­fristig passen sie jedoch nicht ins System und wir werden uns darauf einstellen müssen, in zwanzig oder dreißig Jahren eine Diskussion zu bestehen, dass diese Kraftwerke deutlich vor dem Ende ihrer technischen Lebensdauer wieder aus dem Markt gedrängt werden müssen. Spätes­tens dann werden sie sich wohl als schwe­re Hypothek erweisen.

Das heißt aber auch, dass Strom teurer wird, wodurch sich der Bau neuer Anla-gen oder die stärkere Auslastung ande-rer Anlagen eher lohnt?

mattheS Die erstgenannte Variante be­ruht zu einem erheblichen Teil auf der Hoffnung, dass Strommärkte wie im Lehr­buch funktionieren sowie sich Politik und Investoren vollkommen rational verhalten. Sie wird aber auch zu hohen Verteilungsef­fekten führen. Also höheren Preisen für die Stromkunden und erheblichen Zusatzer­trägen vor allem für die Besitzer bestehen­der Kraftwerke. Die zweite Variante, die Schaffung von spezifischen Kapazitätsme­chanismen, wird wahrscheinlich zu robus­teren und vor allem preiswerteren Ergeb­nissen führen. Vor allem, wenn man die sogenannten Kapazitätsmechanismen auf neue Kraftwerke beschränkt.

Können wir uns langfristig auf diese bestehenden Mechanismen verlassen oder brauchen wir Optionen? Sie spre-chen in diesem Zusammenhang unter anderem von selektiven Kapazitäts-mechanismen. Was ist das und worin unterscheidet es sich vom Kapazitäts-markt?

mattheS Kapazitätsmärkte im klassi­schen Sinne bzw. wie beispielsweise im Nordosten der USA umgesetzt, honorieren die Bereitstellung von Kapazitäten für alle Kraftwerke, also sowohl die bestehenden als auch die benötigten Neubau­Kraft­werke. Wenn das Ziel vor allem darin be­steht, zusätzliche Kraftwerkskapazitäten zu schaffen, so kann es sich – auch im Sin­ne der Stromkunden – als vorteilhaft er­weisen, nur die Bereitstellung neuer Kraft­werksleistung über einen entsprechenden Kapazitätsmechanismus zu honorieren; dies bezeichnen wir als selektiven Kapazi­tätsmechanismus. Die Ausgestaltung sol­cher Mechanismen ist in sehr verschiede­nen Varianten möglich, hierzu gibt es derzeit eine intensive Diskussion.

12 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

Die europäische und insbesondere die deutsche Stromversorgung werden künftig maßgeblich durch die Nutzung erneuerbarer Energien (EE) geprägt. Der Ausbau der EE­Erzeugung wird – neben der Nachfra­geentwicklung – zur Leitgröße für die weitere Ent­wicklung der Stromerzeugungsstruktur.

Dies gilt nicht nur in politischer, sondern auch in technischer Hinsicht: Aufgrund der witterungs­bedingt schwankenden Erzeugungscharakteristik wesentlicher EE­Technologien wie Wind­ und Solar­

energie steigen die Anforderungen an die Flexibilität der übrigen Systemkomponenten.

Vor diesem Hintergrund hat das Konsortium von Consentec GmbH und dem Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft (IAEW) der RWTH Aa­chen im Auftrag des BDEW untersucht, wie die Flexi­bilitätsoptionen auf der Angebotsseite der Stromver­sorgung so ausgestaltet werden können, dass diese Versorgung auch bei weiter steigendem EE­Ausbau jederzeit gesichert ist.

die zukunFt deS konventionel-len kraFtWerkS-ParkS

›Der Kraftwerkspark muss künftig ganz neue technische Flexi­bilitätsanforderungen erfüllen, um die politischen Vorgaben der Energiewende zu erfüllen. Dr. Christian Zimmer erläutert die Ergebnisse eines für den BDEW erstellten Gutachtens.

13zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

Die Studie betrachtet konkret die Jahre 2020 und 2030, in denen gemäß dem Energiekonzept der Bundesre­gierung der EE­Anteil am deutschen Bruttostromver­brauch 35 Prozent bzw. 50 Prozent erreichen soll. Die Stromnachfrage soll im gleichen Zeitraum gegenüber 2008 um zehn Prozent (2020) bzw. 15 Prozent (2030) sinken. Als Variantenrechnung wird alternativ ein Verharren der Nachfrage auf dem Niveau von 2008 be­trachtet.

Zur Sicherung der Versorgung mit Elektrizität wird – analog zu den aktuellen politischen Vorgaben und der gängigen Beurteilungspraxis der Bundes­regierung – gefordert, dass die Deckung der Strom­nachfrage jederzeit mit inländisch verfügbaren Er­zeugungskapazitäten gewährleistet, das heißt eine ausreichende „gesicherte Leistung“ in Deutschland vorgehalten werden kann.

Auf den durch zunehmende Erzeugung aus er­neuerbaren Energien entstehenden erheblichen Netz­ausbaubedarf wurde an anderer Stelle bereits umfang­reich hingewiesen. Hier wird unterstellt, dass dieser notwendige Ausbau zeitgerecht erfolgt.

reSiduallaSt beStimmt FlexibilitätSbedarF

Die wichtigste Kenngröße, um den Bedarf an flexiblen Erzeugungs­ und Speichertechnologien zu bestim­men, ist die sogenannte Residuallast, die sich aus der Differenz von Nachfrage und nicht disponibler Erzeu­gung ergibt.

Das Gros des realisierbaren EE­Potenzials ent­fällt auf EE­Anlagen, deren Erzeugung von der Wet­tersituation abhängt (Windkraft und Solarenergie). Die starke Fluktuation dieser Erzeugung dominiert daher den Verlauf der Residuallast.

Kurzfristige Schwankungen der Residuallast führen zu einem erhöhten Bedarf an Regelleistung, die – zumindest für die Fälle, in denen kurzfristig eine Erhöhung der Erzeugungsleistung notwendig wird (sogenannte positive Regelleistung) – in konventio­nellen Kraftwerken vorgehalten werden muss.

Im Bereich weniger Stunden kann die Residual­last künftig um 30 – 45 Gigawatt ansteigen. Solche Situ­ationen sind zwar technisch grundsätzlich beherrsch­

bar. Die bisherige Praxis der Erzeugungsplanung auf Basis von Viertelstunden­Mittelwerten je Bilanzkreis stellt die hierfür notwendige Synchronisierung einer Vielzahl unabhängig betriebener Erzeugungsanlagen jedoch nicht sicher, so dass die Etablierung entspre­chender Markt­ und Organisationsprozesse eine er­hebliche Herausforderung darstellt.

Darüber hinaus treten im Jahresverlauf hohe und teilweise lange andauernde Erzeugungsdefizite auf, wenn z.B. aufgrund von Flauten die witterungsab­hängige EE­Erzeugung zeitweise nur einen geringen Beitrag zur Nachfragedeckung leisten kann. Einzelne Defizitphasen, in denen diese Lücken von den sicher verfügbaren konventionellen Erzeugungsanlagen nicht kompensiert werden können, erreichen im Jahr 2020 eine Dauer von 20 Stunden, 2030 von über 200 Stunden. Bei stagnierender (anstatt sinkender) Strom­nachfrage können bereits 2020 Defizitphasen von fünf Tagen Dauer auftreten.

Daneben entstehen aber auch temporäre Erzeu­gungsüberschüsse, wenn z.B. in Starkwindphasen die nicht disponible Erzeugung die Nachfrage übersteigt.

kurzFriStSPeicher und demand Side management reichen nicht auS

Es gibt viele Optionen, um diese Defizite und Über­schüsse zu bewältigen: z.B. Technologien und Maß­nahmen zur Anpassung der Nachfrage an das Erzeu­gungsangebot, das heißt Demand Side Management (DSM), Nutzung der Flexibilität von Batterien in Elek­trofahrzeugen, aber auch Stromspeicher wie Pump­speicherkraftwerke oder neue Speichertechnologien sowie Potenziale zur Flexibilisierung von KWK­Fern­wärme­Systemen.

Diesen Optionen ist gemeinsam, dass sie eine Verschiebung der Nachfrage um realistischerweise nur wenige Stunden bewirken können. Da einzelne Phasen zusammenhängender Erzeugungsdefizite aber deutlich länger sind, kann durch Nutzung dieser

dr. chriStian zimmer ist Senior Consultant bei Consentec. Im Auf­trag von Netzbetreibern, Behörden und Verbän­den befasst er sich mit Fragen des Netzzugangs und Netzbetriebs, des Marktdesigns sowie der Regulierung in der Energieversorgung.

14 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

Technologien voraussichtlich nur ein marginaler Bei­trag zur Reduktion der maximalen Defizitleistungen erzielt werden.

zuSätzliche konventionelle erzeugungSkaPazität iSt erForderlich – aber eventuell nicht WirtSchaFtlich

Somit können diese Flexibilitätspotenziale zwar einen Beitrag zur Optimierung des Stromversorgungssys­tems leisten. Lange Phasen hoher Erzeugungsdefizite erfordern allerdings zusätzlich unabdingbar einen erheblichen Zubau konventioneller Erzeugungskapa­zität (Neubau oder Retrofit). Über die aktuell in Bau befindlichen Kraftwerke hinaus (ca. zwölf Gigawatt) werden bis 2020 ca. sechs bis acht Gigawatt und bis 2030 ca. 19 Gigawatt benötigt. Gelingt es nicht, die Nachfrage zu reduzieren, werden sogar zusätzliche 16 Gigawatt (2020) bzw. 32 Gigawatt (2030) erforder­lich. Dies ist unabhängig vom angenommenen Aus­bau von Pumpspeicherwerken, DSM usw. Weiterer Zubaubedarf kann durch unzureichenden Netzausbau entstehen.

So notwendig der Zubau bzw. Erhalt konventi­oneller Kraftwerkskapazität ist, so unsicher ist aller­dings dessen Wirtschaftlichkeit unter den aktuellen Marktbedingungen. Dies resultiert zum einen aus der Volatilität der EE­Erzeugung, die den residualen Ener­giebedarf viel stärker reduziert als die zu deckenden Leistungsspitzen. Zum anderen wirkt sich hier das angenommene Kriterium der Versorgungssicherheit aus, weil Erzeugungskapazität für den „Grenzfall“ vorgehalten werden muss, diese aber aufgrund der im Regelfall bestehenden Optimierungsmöglichkei­ten durch internationalen Stromhandel nur selten zum Einsatz kommt. Die Auslastung vieler Kraftwer­ke wird dadurch so gering, dass eine Refinanzierung der dringend benötigten Investitionen allein über den Absatz erzeugter elektrischer Energie unrealistisch erscheint.

Verschiedentlich wird vorgeschlagen, zur Re­duktion des Bedarfs an Kraftwerkskapazität künftig auch grenzüberschreitende Reserven zu berücksichti­

gen. Allerdings kann ein solcher Ansatz nur ein lang­fristiges Ziel sein, denn er erfordert eine verbindliche Koordination der nationalen Energiepolitiken – was z.B. angesichts des international uneinheitlichen Um­gangs mit dem Reaktorunglück in Fukushima kurz­fristig nicht realistisch scheint.

Bis zum Jahr 2030 ist es kosteneffizient und öko­logisch akzeptabel, überschüssige und nicht speicher­bare EE­Erzeugung fallweise abzuregeln. Dies betrifft hohe Leistungsspitzen, die aber so selten auftreten, dass lediglich auf weniger als 0,5 Prozent der poten­ziellen EE­Erzeugung verzichtet werden muss.

Alternativ bestünde die Möglichkeit, sämtliche Stromüberschüsse zu speichern und zeitversetzt zu nutzen. Die einzige aus heutiger Sicht hierfür prakti­kable Technologie ist die Methanisierung, das heißt die Umwandlung in synthetisches Gas und Speiche­rung im Erdgasnetz. Weil zur Rückverstromung wie­derum Gaskraftwerke benötigt werden, würde dies jedoch den Bedarf an konventioneller Kraftwerkskapa­zität nicht reduzieren.

Bis 2030 hätten umfangreiche Investitionen in die Methanisierung allerdings nur einen marginalen ökologischen Nutzen und wären nach derzeitigem Stand nicht wirtschaftlich. Zudem besteht mit den sogenannten EE­Elektroheizern eine alternative Mög­lichkeit der Nutzung von Überschussstrom, die frei­lich vorwiegend der Wärmeversorgung zugutekäme.

Um beim Stromverbrauch EE­Anteile von weit über 50 Prozent zu erreichen, werden Techniken wie die Methanisierung jedoch langfristig unabdingbar, weshalb Forschung und Entwicklung in diesem Be­reich vorangetrieben werden sollten. Angesichts ihres erwarteten geringen Wirkungsgrads ist bei der Bewer­tung von EE­Ausbauzielen dann zu beachten, dass die EE­Erzeugung deutlich stärker als der angestrebte EE­Anteil an der Nachfragedeckung steigen muss.

techniken Wie die methaniSierung Sind langFriStig unabdingbar.

15zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

Szenario 2030: Wie viel Strom müSSen die erneuerbaren erzeugen?

Abhängig von der Nachfrageentwicklung steigen die Anforderungen an die Stromerzeugung durch die erneuerbaren Energien. Für die Nachfrageentwicklung wird im „Basisszenario“ entsprechend den Annahmen des Energiekonzepts 2010 ein stetig abnehmender Strombedarf unterstellt. Im Szenario eines konstanten Strombedarfs wird vom Stromverbrauch 2008 ausgegangen.

– 10 %– 15 %

50 %

50 %

35 %35 %

600

TWh

500

400

300

200

100

2020

BaSiSSzenario konStante nachfrage

BruttoStromverBrauch

ee-erzeugung

20202008 2030 2030

16 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

JoSt geWekeverantwortet im Vorstand der RWE­Tochter Süwag Energie AG, Frankfurt/Main, das Vertriebsressort. Seine Karriere begann er nach dem Jurastudium bei der E.ON Ruhrgas AG. Im BDEW engagiert Geweke sich als Vorsitzender des Lenkungskreises Vertrieb.

andreaS mundtist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamts. In die Behörde trat er im Jahr 2000 ein. Vorher arbeitete der Jurist im „Leitungsstab Neue Bundes­länder“ des Bundeswirtschaftsministeriums und war als Referent bei der FDP­Bundestagsfraktion tätig.

17zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

» unSer geSchäFt Wird unSicherer und riSkanter.«

» auch andere Branchen müSSen mit unSicherheiten leBen.«

18 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

Herr Mundt, Herr Geweke, der Wettbewerb der Energieversorger um den Endkunden scheint sich positiv zu entwickeln – zu diesem Schluss kam zum Beispiel die Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten. Allerdings wird bisher Wett-bewerb vor allem an der Preisentwicklung gemes-sen und an der Quote der Kunden, die den Anbie-ter wechseln. Ist das noch zeitgemäß?

andreaS mundt Beim Kartellamt gehen wir schon lange darüber hinaus. Wenn man beurteilen will, ob Wettbewerb funktioniert, muss man immer viele Parameter betrachten, man braucht die Gesamt­schau. Wettbewerb lässt sich auch über die Qualität und den Service austragen, nicht nur über den Preis. Wenn ich mir die Endkundenebene ansehe, haben wir zusammen mit der Bundesnetzagentur eine Menge ge­tan und eine Menge erreicht. Zum Beispiel haben wir heute den freien und reibungslosen Wechsel des An­bieters, in einigen Marktgebieten kann der Endkunde unter mehr als 100 Anbietern auswählen.

JoSt geWeke Für die Kunden spielt der Preis nicht immer die entscheidende Rolle. Ein Beispiel: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima wollten viele Kunden Grünstrom – sie hatten keinen Überblick über das gesamte Angebot und verlangten nicht den günstigsten Strom, sondern sind ihrer Überzeugung gefolgt. Der Lieferant wurde nach Charakter, Marke oder Identität ausgewählt. Und etablierte – aber sozu­sagen nicht­grüne – Unternehmen sind gar nicht mehr gefragt worden. Leider ist die Einsicht, dass es neben dem Preis viele weitere Wettbewerbsfaktoren gibt, noch nicht überall angekommen.

Dass der Wettbewerb funktioniert, haben wir auch nach der Teldafax­Pleite gesehen: Viele Kunden sind nicht bei dem Versorger geblieben, der einspringen musste, sondern haben sich sofort einen neuen Anbie­ter gesucht. Dass das Wechseln heute so reibungslos möglich ist, hat übrigens auch das Verhältnis unserer Branche zum Kartellamt deutlich entspannt.

Herr Mundt, ist also alles bestens geregelt, haben Sie als Wettbewerbshüter nichts mehr zu tun im Energiesektor?

mundt Wir schauen ja nicht nur auf die Endkun­denmärkte. Bei der Erzeugung, im Erstabsatzmarkt, haben wir es nach wie vor mit vermachteten Struk­turen zu tun. Im Endkundenbereich muss man auch differenzieren. Bei der Grundversorgung ist noch nicht alles Gold, was glänzt. Darüber hinaus gibt es in anderen Bereichen durchaus noch gefangene Kun­den, die nicht wechseln können. Ich denke an Heiz­strom und Fernwärme – da existiert kein Wett bewerb. Hier brauchen wir die verschärfte Missbrauchsauf­sicht nach § 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe­schränkungen. Speziell den Bereich Fernwärme sehen wir uns derzeit im Rahmen einer Sektorunter­suchung an.

Netzentgelte und staatliche Lasten machen je nach Energieart bis zu zwei Drittel des Endprei-ses aus. Damit ist für den Anbieter der Spielraum für Preisdifferenzierungen relativ gering – und er dürfte weiter schrumpfen. Wie wird sich das auf den Wettbewerb auswirken?

›Wie viel Regulierung verträgt der Endkundenmarkt für Energie, welche Bereiche sollten dem Spiel der Markt­kräfte überlassen werden? Ein Wettbewerbshüter und ein Energiemanager diskutieren.

19zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

geWeke In unserem Unternehmen fühlen wir uns manchmal wie die Inkassoabteilung der Finanzbehör­den: Wir ziehen viel Geld ein für andere, bildlich ge­sprochen bekommen wir aber vom Verbraucher für jede Veränderung die Prügel. Und wenn Kunden nicht zahlen können, tragen wir die Forderungsausfälle – die können wir nicht weiterreichen. Ich bin mal ge­spannt, was 2012 an neuen Belastungen kommt. Die EEG­Umlage wird ja nur graduell steigen, bei den Netzentgelten kann es anders kommen. Unter Um­ständen können wir unsere Preise dann kaum noch halten. Wenn die Margen kleiner werden und das Ge­schäft durch viele exogene Faktoren riskanter wird, kann nur der im Wettbewerb bestehen und wirtschaft­lich erfolgreich Vertrieb betreiben, der beispielsweise seine Vertriebskanäle ganz bewusst auswählt und die Prozesskosten im Griff behält.

mundt Da findet ein Stück weit eine Normalisie­rung statt, denn auch andere Branchen müssen mit Unsicherheiten leben. Ungewöhnlich ist hier nur, dass die Unsicherheit staatlich induziert wird. Aber eins ist richtig: Beim Strompreis sind wir ein Stück weit um die Früchte der Liberalisierung gebracht worden. Seit 1999 ist der Strompreis geringfügig gestiegen, aber der Staatsanteil am Endpreis ist von 25 auf 46 Prozent angewachsen. Die Leute bekommen das Gefühl ver­mittelt, dass die Liberalisierung nichts gebracht habe.Eine zentrale Rolle spielt dabei die Umlage für erneu­erbare Energien. Die führt zu vielen Verwerfungen, und das Verhältnis zwischen EEG­Umlage und Strom­preis ist bemerkenswert: Bei einem Börsenpreis von 5,6 Cent für die Kilowattstunde steigt die Umlage nächstes Jahr auf knapp 3,6 Cent. Am Ende stimmen die Preissignale von der Strombörse nicht mehr! Da sieht man schon, wo etwas passieren muss. Die Politik hat das gemerkt, aber bisher sind die Gegenmaßnah­men von einer gewissen Mutlosigkeit geprägt.

» Wir Fühlen unS manchmal Wie die inkaSSoabteilung der Finanzbehörden.«

20 Streitfragen 02|2011 zukunFt deS energiemarkteS

Stichwort erneuerbare Energien – hier wird ja noch diskutiert, wie die schwankende Einspei-sung beherrschbar gemacht werden kann. Dann fällt meistens schnell der Begriff Kapazitätsmärk-te. Herr Geweke, was bedeutet das für Energielie-feranten?

geWeke Zum einen hat die Versorgungssicherheit in den nächsten zwei bis drei Jahren nichts mit Kapazi­tätsmärkten zu tun, denn das ist ein mittel­ bis lang­fristiges Thema. Zum anderen: Ja, es braucht so einen Mechanismus, um Stabilität sicherzustellen. Aber es müssen Marktmechanismen sein, die diesen Prozess begleiten. Das erfordert allerdings viel Transparenz und langfristige Planbarkeit für Investitionen. Es wäre aus meiner Sicht ein Riesenfehler, zu sagen: Das ist eine staatliche Aufgabe, wir müssen das regulieren, weil es sonst nicht funktioniert. Eine Quasi­Regulie­rung der Erzeugung würde auf die Einkaufskonditio­nen der Energielieferanten durchschlagen, das hätte gravierende Auswirkungen auf den Wettbewerb im Endkundenmarkt.

mundt Wir reden über Kapazitätsmärkte, weil wir davon ausgehen, dass die Investitionsanreize nicht groß genug sein werden, um neue Projekte anzustoßen. Viel­leicht sollten wir einfach ein bisschen warten, ob diese Anreize wirklich ausbleiben. Denn das ist in der Tat ein langfristiges Thema, schon weil der Zubau von Kraft­werken gar nicht so schnell geht. Ich bin nicht über­zeugt, dass der Staat das organisieren muss. Denn dann regulieren wir nicht mehr nur die Netze, sondern auch die Produktion – und das sollten wir nicht wollen. Im Moment befassen wir uns damit, wie so etwas aussehen kann, und sehen uns Beispiele im Ausland an. Da gibt es eine große Vielfalt von Lösungen.

Gehen wir von der deutschen Diskussion auf die europäische Ebene. Dort lautet das Ziel: Voll-endung des europäischen Energie-Binnenmark-tes. Das bedeutet letztendlich eine Harmonisie-rung der Endkundenmärkte. Wie wird sich das in Deutschland auswirken?

geWeke Ich wäre froh, wenn ich eine Glaskugel hätte und damit in die Zukunft schauen könnte. Auf jeden Fall glaube ich, dass es europaweit zu einer wei­

» Wir Sollten nicht die glei-chen Fehler machen Wie im geSundheitSWeSen.«

21zukunFt deS energiemarkteS Streitfragen 02|2011

teren Stärkung von Verbraucherrechten kommen wird. Wie das in den einzelnen Ländern umgesetzt wird, muss sich zeigen. In Deutschland gibt es ja eine Neigung, EU­Anforderungen sehr schnell und beson­ders vollständig zu erfüllen. Das kann die Wettbe­werbsfähigkeit deutscher Unternehmen durchaus beeinflussen. Es wird auch Auswirkungen auf Ge­schäftsprozesse geben. Wir müssen jetzt schon zwei­mal im Jahr aufgrund der regulatorisch und gesetzli­chen Veränderungen die IT­Prozesse anfassen – wenn ich sehe, was das kostet, und mir dann eine europäi­sche Stufe obendrauf denke, ahne ich, was auf uns zukommt. Die Frage wird sein, welche Unternehmen sich das noch leisten können. Das wird sich auf die Wettbewerbsintensität auswirken.

Herr Mundt, wagen Sie einen Blick in die Glas-kugel?

mundt Die Kugel ist leider trüb. Aber ich möchte festhalten, dass der Energie­Binnenmarkt als letztend­liches Ziel ausgerufen worden ist. Ob er tatsächlich bis 2014 kommt, werden wir sehen. Heute ist die Situation die, dass wir bei unserer Betrachtung der Märkte Ös­terreich einbeziehen, weil die Grenzkuppelstellen gut genug ausgebaut sind. Wie das weitergeht, müssen wir abwarten. Ob viele ausländische Unternehmen auf den deutschen Markt drängen werden? Bisher zeigen die niedrigen Wechselraten, dass der Verbraucher eher träge reagiert. Andererseits könnten deutsche Versor­gungsunternehmen im EU­Binnenmarkt vom bundes­weiten Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren. Denn mit dem Grünstrom haben sie ein Produkt, das es in anderen Ländern in dem Umfang gar nicht gibt. Ökostrom aus Frankreich können Sie so gar nicht be­ziehen. Aber kein Mensch kann heute prognostizie­ren, wie die Entwicklung am Ende genau verläuft.

Der europäische Energiebinnenmarkt mag in der ferneren Zukunft liegen, ganz konkret wird in Brüssel an einer neuen Energieeffizienz-Richt-linie gearbeitet. Hier setzt man stark auf das Ord-nungsrecht und Regulierung. Müssten wir nicht im Gegenteil mehr auf den Markt vertrauen?

geWeke Wenn wir CO2­Reduzierung und Klima­schutz ernst nehmen, finde ich es logisch und konse­quent, dass eine Energieeffizienz­Richtlinie erlassen wird. Wichtig ist: Genau genommen betrifft die Ener­gieeffizienz vor allem den Endkunden. Brüssel fokus­siert sich aber, so scheint es mir, darauf, die Ener­giebranche ein Stück weit für die Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie zwangszuverpflichten. So gibt es die Idee, dass Elektrizitätsversorgungsunter­nehmen (EVU) für eine jährliche Energieeinsparung von 1,5 Prozent bei ihrem Endkunden sorgen müssen.

Für mein Unternehmen haben wir das mal durchge­rechnet. Wenn wir beispielsweise den Strombedarf jährlich um 1,5 Prozent senken müssten, dürften Jahr für Jahr 40 000 Haushalte gar keinen Strom mehr ver­brauchen. Das zeigt, wie herausfordernd die Aufgabe ist, und wir bohren da ein sehr dickes Brett. Bei den Leuten ist das Thema nämlich noch gar nicht ange­kommen: Wenn EVUs einen Infoabend zur Energieef­fizienz anbieten, kommen 15 Leute – Kochveranstal­tungen des gleichen EVUs sehen ein Vielfaches an Interessenten. Bei Geschäftskunden verhält es sich ähnlich. Auch da ist es bei den momentanen Energie­preisen äußerst mühselig, die Kunden für Energieeffi­zienz zu interessieren.

Herr Mundt sprach eben von Chancen durch neue Produkte wie Grünstrom. Herr Geweke, welche Chance hätte ein Versorger noch, neue Produk-te zu gestalten, wenn die Steuerung von Strom-einspeisung und -verbrauch mehr oder weniger vollständig durch die Netzbetreiber erfolgen wür-de? Wer sollte diese Aufgabe Ihrer Meinung nach übernehmen?

geWeke Wissen Sie, Netzbetreiber können viel und müssen auch viel können. Wir müssen alle darauf achten, dass wir die Aufgaben richtig priorisieren und zuordnen. Ich sehe es als mögliche Aufgabe der Ver­triebe, für die Netzbetreiber das Steuern von Bedarf und Nachfrage, das Loswerden von Überangeboten an Energie abzuwickeln. Da kann ich mir ganz neue Part­nerschaften und auch Produkte und Dienstleistungen – Stichwort „Demand Side Management“ – vorstellen.

Herr Mundt, wie viel zusätzliche Regulierung ver-trägt der Energiesektor eigentlich noch? Wo sehen Sie die Grenze?

mundt Die Energiewende hat ein neues regulatori­sches Fundament gelegt. Jetzt muss die Politik sehen, dass die verbleibenden Regulierungsaufgaben maß­voll wahrgenommen werden. Die Aufgabe lautet, den Rahmen richtig zu setzen und nicht über das Ziel hin­auszuschießen. Denn dann müssen Sie ständig nach­justieren. Ein Beispiel dafür ist der Gesundheitsmarkt: Der ist in allen Facetten durchreguliert – und jedes Jahr ist die Politik gefordert, ein neues Gesetz zu ma­chen, weil die Kosten wieder aus dem Ruder laufen und vieles nicht funktioniert. Wir sollten im Energiebe­reich nicht die gleichen Fehler machen. Wettbewerb ist auch nach der Energiewende weiterhin möglich.

22 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz

» Wir müSSen Städte oPtimieren, nicht einzelne häuSer.«

Mit übergreifenden, intelligenten Konzepten lässt sich auch der Konflikt zwischen Wärmedämmung und Denkmalschutz entschärfen, meint Dr. Thomas Welter.

23FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011

24 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz

Heizung und Warmwasserbereitung in Gebäu-den stehen für etwa 40 Prozent des Endenergie-verbrauchs in Deutschland. Bisher sind aber nur wenige Prozent des Gebäudebestands energetisch saniert. Kommen wir hier mit dem derzeitigen Instrumentarium weiter – oder brauchen wir neue Lösungen?

dr. thomaS Welter Die Architekten engagie­ren sich schon sehr lange für energieeffizientes Planen und Bauen, sowohl im Neubau als auch im Bestand. Der Bund Deutscher Architekten hat zusammen mit allen anderen Verbänden und Kammern der planenden Berufe bereits 2009 das sogenannte Klima­Manifest initiiert und verabschiedet. Da ging es darum zu for­mulieren: Was müssen wir in unseren Städten ma­chen? Wir reden bewusst von Städten, nicht von ein­zelnen Gebäuden. Die energetische Optimierung von Städten ist ein komplexes Gefüge aus der Optimierung einzelner Gebäude, von ganzen Quartieren und einer Neuordnung des Verkehrs. Wir müssen die Erzeu­gung, Verteilung und den Verbrauch von Energie ver­ändern, da gibt es keine einfachen Lösungen.

Aktuell betrachtet der Gesetzgeber in erster Linie das einzelne Gebäude. So schreibt die Energieein-sparverordnung von 2009 grob gesagt vor, dass Hauseigentümer alte Heizungen austauschen und den Dachboden dämmen müssen. Ist das der beste Weg zu Energieeinsparung und CO2-Reduktion?

Welter Meines Erachtens müssen wir noch viel öfter quartiersbezogene Lösungen finden. Dazu brau­chen wir bei der Förderung ein System, wo nicht mehr nur das Einzelprojekt gefördert wird, etwa über einen günstigen Kredit, sondern auch die Planung und Um­setzung einer Optimierung für ein gesamtes Gebiet.

Wenn jemand die Initiative ergreift, private Eigentü­mer in einem Quartier zusammenzuführen und mit ihnen ein neues Konzept zu entwickeln, z.B. für Ener­giecontracting oder für die Nutzung des Wärmeüber­schusses einer nahe gelegenen Fabrik, dann erfordert das Planung, Konsultation und Moderation – und die­ser Prozess muss finanziert werden. Das wäre aus un­serer Sicht eine typische Aufgabe für eine Förderbank, deshalb sollten die Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau künftig solche Leistungen berücksich­tigen. Bekanntlich befinden sich drei Viertel des Woh­nungsbestands in den Händen von privaten Eigentü­mern, die aber meist wenig Erfahrung mit der Materie haben. Deshalb braucht es Fachleute, die quartiersbe­zogen Energiesparpotenziale erkennen, Konzepte ent­wickeln und die privaten Eigentümer für intelligente Lösungen gewinnen können.

Das reine „Einpacken“ von Gebäuden in Styropor und Dämmwolle stößt technisch und ästhetisch ohnehin an Grenzen, Stichwort Denkmalschutz. Wie lässt sich der Konflikt zwischen Wärmedäm-mung und Baukultur entschärfen?

Welter Der Gegensatz „Dämmen versus Baukul­tur“ entsteht nur dann, wenn man die Steigerung der Energieeffizienz auf das einzelne Gebäude fokussiert und in jedem Haus den Verbrauch senken will. Bei Bau­denkmalen ist es offensichtlich, dass eine einfache Außendämmung nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Oder nehmen Sie die historischen Ortskerne mit denkmalgeschützten Fachwerkhäusern, deren Ener­gieeffizienz man nur bedingt verbessern kann. Da wäre die Frage eher, ob es in der Nähe Einheiten mit einem Energieüberschuss gibt, den man in der Alt­stadt verwenden kann. Wenn man eine Stadt als Gan­zes betrachtet, lässt sich möglicherweise bei anderen Gebäuden durch Wärmedämmung so viel Energie spa­ren, dass man sich die weniger effizienten histori­schen Gebäude sozusagen leisten kann und unter dem Strich trotzdem die CO2­Bilanz verbessert. Dasselbe gilt für wertvolle Bausubstanz, die nicht unter Denk­

dr. thomaS Welterist Bundesgeschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Der Volkswirt war zuvor als Wirtschaftsreferent bei der Bundesarchitektenkammer tätig. Der BDA setzt sich für lebens­werte und vitale Städte ein und versteht sich als führende Plattform für baukulturelle Debatten.

25FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011

malschutz steht, z.B. die Gründerzeitviertel. Da kommt man am Ende vielleicht mit einer teilweisen Dämmung aus, etwa des Dachstuhls oder der Garten­fassade, und mit neuen Fenstern. Im Rahmen einer maßgeschneiderten komplexeren Lösung für das ge­samte Quartier kann so unter Umständen die histo­risch wertvolle Außenfassade verschont bleiben.

Welche Rolle spielt der technische Fortschritt für die energetische Sanierung von Gebäuden?

Welter Technischer Fortschritt bringt neue Pro­dukte, die durch Standardisierung immer günstiger werden. Nehmen wir das Beispiel Blockheizkraftwerke – die waren vor zehn Jahren etwas Besonderes und wurden nur im größeren Rahmen eingesetzt. Aber mittlerweile gibt es Mini­Blockheizkraftwerke fürs Einfamilienhaus.

In der Art, wie wir heute Gebäude energieeffizienter machen, steckt noch viel Innovationspotenzial. Es gibt die Möglichkeit, dünnere Dämm­Materialien zu entwickeln, und die technischen Probleme der Innen­dämmung sind potenziell überwindbar. Heute ist das Dämmen in mehrfacher Hinsicht problematisch: Da ist der Energieaufwand bei der Herstellung der Mate­rialien, der in eine ehrliche und wahre Energiebilanz mit eingerechnet werden muss. Hinzu kommt die Entsorgungsfrage: Lassen sich Dämm­Materialien in 30, 40 Jahren problemlos entsorgen oder stellen sie ein Umweltproblem dar?

Wird das Wohnen durch die Energiewende teurer?

Welter Wir rechnen mit steigenden Energieprei­sen, das treibt die Nebenkosten nach oben. Mieter in Häusern mit niedriger Energieeffizienz werden davon besonders betroffen sein. Wir müssen uns fragen: Wie können wir gleichzeitig die CO2­Reduktion erreichen und die Mieten bezahlbar halten? Im Gebäudebestand

» meineS erachtenS müSSen Wir noch viel öFter quartierS-bezogene löSungen Finden.«

26 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz

brauchen wir eine gesunde Mischung: Energetische Sanierung da, wo es sich lohnt. Und da, wo Bestände z.B. aus den Fünfziger­ und Sechzigerjahren energe­tisch und funktional nicht mehr in Ordnung sind, müssen wir Gebäude unter Umständen abreißen und durch hochwertige Neubauten ersetzen.

Neubau ist ein gutes Stichwort: 2009 hat die Wohnbautätigkeit den tiefsten Stand seit der Wie-dervereinigung erreicht, die Erholung verläuft schleppend. Wie können wir künftig energieeffi-zienten neuen Wohnraum in der benötigten Grö-ßenordnung schaffen?

Welter Wir haben in den vergangenen Jahren be­obachtet, dass der Neubau den altersbedingten Ab­gang vom Bestand und die noch steigende Nachfrage nach Wohnraum nicht kompensiert, wir haben also zu wenig Neubau. Da wirken verschiedene Faktoren, u.a. das Zinsniveau und die Verfügbarkeit von Grundstü­cken. Natürlich spielen auch die Kosten eine Rolle, und die werden durch das Hochschrauben der Anforde­rungen an den Neubau beeinflusst. Wir sagen: Eine Verschärfung der Anforderungen muss sich am tech­nischen Fortschritt orientieren. Sie darf nicht zu schnell passieren und für jeden Neubau sozusagen die Energieeffizienz eines Leuchtturmprojekts vorschrei­ben. Denn die Praxis zeigt, dass diese besonders an­spruchsvollen, meist von großen Wohnungsgesell­schaften realisierten Projekte sich wirtschaftlich nur durch Quersubventionierung aus dem restlichen Be­stand tragen. Daran sehen wir, dass es eine Grenze gibt. Wir können das nicht mit der Masse der Gebäude machen.

Außerdem verunsichern die steigenden Ansprü­che an Neubauten die Investoren. Wer damit rechnen muss, dass ein heute nach dem Stand der Technik energetisch optimiertes Haus in zwei Jahren schon von gestern ist, wird sich zurückhalten. Wir plädieren dafür, dass die Regulierung sich langsamer entwickelt. Deshalb halten wir es für gefährlich, die Energieein­sparverordnung von 2009 im kommenden Jahr schon wieder zu ändern. Es wäre sinnvoller, die Vorgaben weniger hektisch anzupassen oder aber prognostizier­bare Veränderungsschritte einzubauen, z.B. eine Stei­gerung der Energieeffizienz um jährlich fünf Prozent.

Sie fordern eine neue Förderstruktur und mehr Augenmaß bei der Verschärfung der Anforderun-gen an die Energieeffizienz von Gebäuden. Lässt sich damit verhindern, dass die Energiewende an Heizung und Warmwasser scheitert?

Welter Mindestens genauso wichtig finde ich, dass die Kürzungen bei den Stadtumbauprogrammen aufhören müssen. Denn diese Programme haben den quartiersbezogenen Ansatz sehr gefördert. Kommu­nen waren dadurch in der Lage, neue Projekte anzu­schieben. Untersuchungen haben gezeigt: Ein Euro Städtebauförderung führt zu sieben Euro privaten In­vestitionen. Wir kriegen die Energiewende – und die anderen anstehenden Herausforderungen, etwa die Folgen der demografischen Entwicklung – nur in den Griff, wenn wir die Programme zur Städtebauförde­rung stabil halten oder sie sogar wieder aufstocken.

» eS Wäre Sinnvol-ler, die vorgaben Weniger hektiSch anzuPaS-Sen.«

27FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011

drei Fragen an klauS JeSSe

klauS JeSSe ist seit 2006 Präsident des Bundesindustrieverbands Deutschland Haus­, Energie­ und Um­welttechnik e.V. (BDH). Die Mitgliedsunternehmen des BDH erwirtschafteten im Jahr 2010 weltweit einen Umsatz von 12,2 Milliarden Euro und beschäftigten rund 62 000 Mitarbeiter. Jesse arbeitet für einen der führenden Anbieter der Heizungsindustrie: In der Vaillant Group verantwortet er die weltweite Tätigkeit des Geschäftsbereichs Vaillant.

03WaS Sollte der Staat tun – brauchen Wir änderungen deS rechtlichen rahmenS, der SteuergeSetze und der Förder-Politik?

Grundsätzlich vertritt der BDH die An­sicht, dass das Ordnungsrecht über die Energieeinsparverordnung (EnEV) oder das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien im Wärmebereich zwar eine po­sitive Wirkung für den Neubau hat, für den Bestand aber nur bedingt durchsetzbar ist. Unsere Forderung an die Optimierung des Ordnungsrechts lautet, auf Zwangsmaß­nahmen zu verzichten. Sie sind am Markt nicht durchzusetzen und aufgrund des Bestandsschutzes rechtlich gesehen frag­würdig oder sogar unrealistisch. Stattdes­sen fordern wir eine attraktive Politik der Anreize. Konkret meint das den Dreiklang der Förderungen, bestehend aus KfW­För­derung, Marktanreizprogramm und Steu­erabschreibung. Bei der Steuerabschrei­bung setzen wir übrigens nicht auf die umfassende Sanierung von Gebäuden nach dem Modell der Bundesregierung, sondern besonders auf die Abschreibung von Teil­sanierungen. Die von der Bundesregierung geforderte umfassende Sanierung können – bedingt durch Investitionsvolumina für ein kleines Haus von 150 Quadratmetern von über 50 000 Euro – nur drei bis fünf Prozent der Bevölkerung stemmen. Dage­gen würden Teilsanierungen, die zwischen 10 000 und 25 000 Euro zu realisieren sind, pro Investitionsfall bereits Einsparungen von 30 Prozent und mehr erlauben.

02hauSbeSitzer Sind unSicher, ob Sie ihre inveStitionen reFinan-zieren können. Wie kann die induStrie dazu beitragen, daSS die energetiSche Sanierung Sich häuFiger rechnet?

Der BDH hat Zahlen erhoben, aus denen hervorgeht, dass in Deutschland lediglich zwölf Prozent der 19,5 Millionen instal­lierten Wärmeerzeuger effizient arbeiten und erneuerbare Energien nutzen. Hier haben wir also per se einen großen Hand­lungsbedarf. Wenn man die notwendigen Investitionen für eine Dämmung und den Aufwand für technische Sanierung gegenüberstellt, so ist die Investition in Technik – und damit die Amortisierungs­zeit – deutlich geringer.

Die Unternehmen, die im BDH orga­nisiert sind, haben weltweit die Technolo­gieführerschaft inne. Technischer Stan­dard ist derzeit die Brennwerttechnik. Hier werden Nutzungsgrade von bis zu 98 Prozent erzielt. In der Gasanwendung ist der nächste Innovationsschritt die dezen­trale Kraft­Wärme­Kopplung oder, mit anderen Worten, die stromerzeugende Heizung. Eine weitere effiziente Techno­logie ist die Wärmepumpe. Hier können je nach Wärmequelle aus einem Anteil Strom bis zu vier Anteile Wärmeenergie aus der Umwelt gewonnen werden.

01WaS Sind die gründe Für den inveStitionSStau bei der ener-getiSchen Sanierung deS ge-bäudebeStandS, und Wie kann abhilFe geSchaFFen Werden?

Ein wesentlicher Aspekt sind die unsteten Förderbedingungen. Das hat die Verbrau­cher verunsichert. Um diesen für die Ener­gieeffizienz und den Ausbau der erneuer­baren Energien kontraproduktiven Trend umzukehren, bedarf es einer Verstetigung.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das im Frühjahr von der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Steuerabschreibungsmodell für Renovie­rungsmaßnahmen an Wohngebäuden, das von den Bundesländern aufgrund von rein haushaltspolitischen Erwägungen aus­gebremst wurde. Solange hier unklar ist, wie es mit dem Modell der Steuerabschrei­bung weitergeht, halten sich die Verbrau­cher mit Investitionen natürlich zurück. Ein weiterer Grund für den Rückgang von Investitionen in anspruchsvolle und effizi­ente Anlagentechnik sind sicherlich auch die stark schwankenden Energiepreise der letzten Jahre. Die folgenden Zahlen belegen diese Entwicklung: 2008 lag der Anteil neu installierter Heizungsanlagen, die sowohl effizient heizen als auch erneuerbare Ener­gien nutzen, bei 45 Prozent. 2011 beträgt dieser Prozentsatz gerade noch 22 Prozent.

28 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz

» energieSParen Steht ganz oben auF der tageSordnung.«

29FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011

Alle reden über den Umbau der Stromversor-gung, aber kaum jemand widmet sich mit der gleichen Energie den Themen Effizienz und Wär-me. Warum nicht? Will niemand das Wort „spa-ren“ aussprechen?

dr. Peter ramSauer Es stimmt, dass wir für den Umbau der Stromversorgung auf regenerative Energien und für den Ausstieg aus der Kernenergie eine Vielzahl von Gesetzen erlassen haben. Das steht vielleicht in der Öffentlichkeit im Vordergrund und die anderen Maßnahmen rücken etwas in den Hinter­grund. Aber auch im Bereich Energieeffizienz haben wir viel getan. In unserem Eckpunktepapier „Energie­effizienz“ haben wir vereinbart, den Primärenergie­verbrauch bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 2008 zu senken. Dabei soll der Wärmebedarf des Gebäudebe­standes bis 2020 ebenfalls um 20 Prozent gesenkt wer­den. Der Endenergieverbrauch im Bereich Verkehr soll bis 2020 um zehn Prozent reduziert werden. Das sind ehrgeizige Ziele, die nur gemeinsam mit der Industrie zu schaffen sind. Wir unterstützen auch das von der EU formulierte Ziel, die Energieeffizienz im Gebäude­bereich bis 2020 um 20 Prozent zu steigern. Dazu wer­den besonders die CO2­Gebäudesanierungsprogram­me beitragen, die wir über 2011 hinaus verlängert und mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr sehr gut ausgestattet haben. Zudem haben wir den Gesetzentwurf zur steu­erlichen Förderung von energetischen Sanierungs­maßnahmen an Wohngebäuden vorgelegt, der jetzt mit den Ländern im Vermittlungsausschuss diskutiert wird. Auch das sind weitere Anreize zum energieeffi­zienten Sanieren. Das Thema Energiesparen steht also ganz oben auf der politischen Tagesordnung.

Das nationale Energiekonzept sieht vor, bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu haben. Dafür ist die Verdopplung der energe-tischen Sanierungsrate von ein auf zwei Prozent erforderlich. Momentan liegt diese im Gebäude-bestand laut Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) zwischen 0,9 bis 1,3 Prozent jährlich. Wel-ches sind die „längsten Hebel“, um diese enorme Steigerung zu schaffen? Wie bewerten Sie die Kos-ten der verschiedenen Effizienzinstrumente für Eigentümer und Mieter?

ramSauer Wir wollen die Sanierungsquote erhö­hen und setzen dabei auf die Stärkung des Wohneigen­tums und auf freiwillige Anreize – erstens durch die KfW­Förderung und zweitens durch die geplanten Steuererleichterungen. Durch die Energieausweise ha­ben wir für mehr Transparenz in Sachen Energiever­brauch gesorgt. Energieeffizienz ist inzwischen ein wichtiges Kriterium beim Kaufen und Mieten. Die Nachfrage nach energieeffizienten Objekten wird auf dem Immobilienmarkt dadurch immer stärker. Aber auch mit Verbesserungen im Mietrecht wollen wir die Investitionsfreudigkeit der Immobilienbesitzer stei­gern. Klar ist, dass die Kosten für die Sanierung des Gebäudebestands fair auf Mieter und Vermieter ver­teilt werden müssen. Eigentümer und Mieter profitie­ren ja auch beide. Die Investitionskosten sinken wegen der Förderung und anschließend kann man sich über niedrigere Nebenkosten und mehr Wohnkomfort freuen – durch den Energieeinspareffekt.

› 2050 soll der deutsche Gebäudebestand kaum noch klimaschädliche Emissionen verursachen. Wie kann dieser Kraftakt gelingen? Fragen an den zuständigen Bundesminister Dr. Peter Ramsauer.

dr. Peter ramSauerist seit 2009 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und stellvertretender Vorsitzender der CSU.

30 Streitfragen 02|2011 FokuS eFFizienz

Der „Energie- und Klimafonds“, in dem auch die Mittel für das sogenannte CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm gebündelt sind, soll zukünftig vollständig auf den Einnahmen aus der Verstei-gerung der CO2-Emissionszertifikate basieren. Aus heutiger Sicht lassen sich die geplanten Ein-nahmen jedoch schon für 2012 nicht erreichen, da der Preis für die Zertifikate aller Voraussicht nach nicht so hoch sein wird wie von der Bundesregie-rung angenommen. Wie werden Sie die Finanzie-rung des Fonds zukünftig sichern?

ramSauer Die Preisentwicklung für CO2­Zertifi­kate hat im Jahre 2011 extreme Schwankungen aufge­wiesen. Eine Erklärung hierfür ist, dass in den Jahren 2009 und 2010 die Emissionen im Emissionshandels­sektor EU­weit unter der Gesamtmenge an Zertifika­ten lagen. Dies war vor allem eine Auswirkung der Finanz­ und Wirtschaftskrise. Zudem gab es in den osteuropäischen Ländern Überhänge aus der dortigen Umstellung der Wirtschaftssysteme. Bis Anfang Okto­ber 2011 wurden rund 35 Millionen Zertifikate verstei­gert. Die Gesamterlöse aus diesen Versteigerungen be­trugen für 2011 bislang 502 Millionen Euro, dies entspricht etwa 14,5 Euro je Zertifikat. Die Prognosen gehen für 2012 von einer auskömmlichen Einnahmesi­tuation für den EKF aus. Im Fall eines Finanzierungs­defizits besteht für das Sondervermögen gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Sonder­vermögens „Energie­ und Klimafonds“ (EKFG) die Möglichkeit, ein Liquiditätsdarlehen aus dem Bundes­haushalt zu erhalten.

Sind Steuervorteile nicht die beste Möglichkeit, um Eigentümer zu motivieren? Sehen Sie noch Einigungsmöglichkeiten mit den Ländern und welche ähnlich wirksamen Alternativen gibt es im Falle eines endgültigen Scheiterns?

ramSauer Ich bin zuversichtlich, dass wir zu ei­ner Einigung mit den Ländern kommen. Ich sehe eine steuerliche Förderung als wichtige Ergänzung des be­stehenden staatlichen Förderinstrumentariums an. Bis vor kurzem war das Schicksal des Gesetzes auf­grund des Widerstands der Länder ungewiss. Jetzt ist das Gesetz im Vermittlungsausschuss gelandet, wie ich es von Anfang an wollte. Einige Länder wie Bayern haben bereits signalisiert, die Steuererleichterungen zu unterstützen. Es geht aber nicht nur um die entste­henden Steuermindereinnahmen. Auf der Bauminis­terkonferenz haben die Länder signalisiert, dass sie bei der Umsetzung einer steuerlichen Förderung teil­weise andere Vorstellungen haben.

Der Entwurf des Bundeshaushaltsplans 2012 sieht vor, die bundesweite Städtebauförderung im kommenden Jahr von 455 Millionen Euro auf 410 Millionen Euro, also um weitere zehn Prozent, zu kürzen. Bereits 2011 wurden die Mittel um 155 Millionen gekürzt. Ist das seit Jahren erfolgreiche Stadtumbau-Programm jetzt nicht stark gefähr-det? Befürchten Sie nicht in künftig vom demogra-fischen Wandel besonders betroffenen Regionen deutlich höhere Wasserpreise, Abwassergebühren und Fernwärmepreise, wenn die Anpassung der Infrastruktur an den sinkenden Bedarf nicht mehr gefördert wird?

ramSauer Mit der Städtebauförderung haben wir seit 40 Jahren ein sehr erfolgreiches Instrument. Bund, Länder und Kommunen gestalten darüber gemeinsam den städtebaulichen Wandel vor Ort. Egal, ob das de­mografisch, wirtschaftlich, sozial oder energetisch bedingt ist. Seit 1971 hat der Bund rund 14 Milliarden Euro für die Städtebauförderung bereitgestellt. Län­der und Kommunen steuern in etwa das Gleiche bei, und die Investitionen lösen etwa das Achtfache an pri­vaten Investitionen aus.

Die Ausstattung der Programme der Städte­bauförderung hängt natürlich mit der Haushaltssitua­tion des Bundes zusammen. Die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen Sparmaßnahmen wirken sich auf alle Haushaltstitel aus. Zunächst war die Sparvor­gabe, die Programme zu halbieren. Wir hätten nächstes Jahr dann nur rund 265 Millionen Euro gehabt. Ich be­grüße die Entscheidung des Parlaments sehr, die Pro­gramme der Städtebauförderung auf dem Niveau von 455 Millionen Euro zu verstetigen. Für die Förderung der Kommunen steht damit nächstes Jahr mehr Geld bereit als dieses Jahr: 455 Millionen Euro für die sechs

31FokuS eFFizienz Streitfragen 02|2011

Programme der Städtebauförderung plus 92 Millionen Euro für das neue Programm zur energetischen Stadt­sanierung. Damit kann man sehr gut arbeiten. Und: Kein Programm ist gefährdet, vielmehr konnten alle erhalten werden. Die Programme der Städtebauför­derung sind auch bereits stark darauf ausgerichtet, Auswirkungen des demografischen Wandels abzumil­dern. So erfolgt z.B. mit dem Programm „Stadtumbau“ eine Anpassung der Wohnquartiere oder mit dem Pro­gramm „Kleinere Städte und Gemeinden“ eine beson­dere Förderung der Kooperation zur besseren Nutzung und Erhaltung der Infrastruktur im ländlichen Raum. Wasser­ bzw. Abwasserinfrastruktur ist dagegen kein Thema der Städtebauförderung – hier stehen die örtli­chen Versorger in der Pflicht.

Unser Städtebau­Paket von 547 Millionen Euro ist vor dem Hintergrund der anstehenden Herausfor­derungen ein wichtiges Signal an die Kommunen: Der Bund ist und bleibt ein verlässlicher Partner.

Eine große Herausforderung ist der Spagat zwi-schen Klimaschutz und Kulturschutz – beides zu-sammen ist oft nicht erreichbar. Wäre es möglich, die Altstadt von Regensburg auf einen Nullener-

giestandard zu bringen? Was sagen Sie denen, die eine ästhetische Verarmung befürchten und sich auch um den Denkmalschutz sowie allgemein um eine lebenswerte städtische Umwelt Sorgen ma-chen – wenn wir unsere Städte komplett in Styro-por verpacken?

ramSauer Man muss beim Bauen immer eine Vielzahl von Interessen und Anforderungen unter ei­nen Hut bringen. Denkmalpflege und Energieeffizienz ist nur eines von vielen Kriterienpaaren, das in Über­einstimmung zu bringen ist. Das ist in der Tat oft ein Dilemma. Man muss da mit Augenmaß und Sachver­stand rangehen. Nicht jedes Gebäude kann auf mo­dernsten Standard gebracht werden, ohne dabei Scha­den zu nehmen. Und nicht nur ästhetisch, das kann durchaus an die Substanz gehen. Unsere historischen Gebäude sind ein wunderbares und wertvolles Erbe, das wir nicht gefährden dürfen. Ich will deshalb weg von der Betrachtung einzelner Gebäude hin zu einer Betrachtung des Quartiers, so dass in der Summe et­was Sinnvolles für das Klima herauskommt. Dazu kommt, dass sich auch im Bereich der Heiz­ und Haus­technik viel entwickelt – je umweltfreundlicher die Energie produziert wird, desto weniger wichtig wird zum Beispiel die Dämmung für die Klimabilanz.

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» bei der rendite rangieren Wir euroPaWeit im unteren drittel.«

» die klage iSt der gruSS deS kaufmannS.«

boriS Schuchtist Sprecher der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission. Das Unternehmen betreibt im Norden und Osten Deutschlands ein Leitungsnetz von rund 9 750 km Länge und gehört dem belgischen Netzbetreiber Elia und dem austra­lischen Infrastrukturfonds IFM.

JohanneS kindlerist Vizepräsident der Bundesnetzagentur. Die Behörde hat die Aufgabe, durch Liberalisierung und Deregulierung den Wett­bewerb unter anderem auf dem Elektrizitätsmarkt voranzu­treiben. Zuvor war er im Bundeskanzleramt in der Energie­, Außenwirtschafts­ und Wettbewerbspolitik tätig.

34 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur

Herr Schucht, aus der Sicht eines Übertragungs-netzbetreibers: Wie fällt Ihre bisherige Bilanz der Regulierung in Deutschland aus?

boriS Schucht Die deutschen Übertragungs­netze sind die qualitativ besten auf der Welt, wir ha­ben die niedrigsten Störzeiten. Das ist die Folge lang­jährigen verantwortungsvollen Investierens und Be treibens dieser Netze. Wir brauchen aber einen re­gulatorischen Rahmen, der uns das auch in Zukunft wirtschaftlich ermöglicht.

Die Regulierung hat Anlaufschwierigkeiten ge­habt. Einige Dinge haben sich bereits eingespielt und verbessert, trotzdem haben wir erst den halben Weg geschafft. Es gab in den vergangenen Jahren einige Defizite. Beispielsweise konnten wir als effizient arbei­tender Netzbetreiber nur eine Eigenkapitalrendite von minus 1,4 Prozent im Durchschnitt der letzten fünf Jahre erreichen. Das zeigt, dass es noch klare Probleme in der Regulierung gibt. Aber wir sind gemeinsam mit der Bundesnetzagentur und den zuständigen Ministe­rien auf dem Weg, diese Defizite zu identifizieren und zu beheben. Die Energiewende ist der richtige Anlass, um über den regulatorischen Rahmen zu reden und ihn kontinuierlich zu verbessern.

Herr Kindler, teilen Sie die Einschätzung, dass es noch Nachholbedarf gibt?

JohanneS kindler Ich meine, dass die Regulie­rung bereits heute gut funktioniert, sie hat im Aus­land enorm an Ansehen gewonnen. Wichtige interna­tionale Investoren versichern mir, dass sie einen sehr guten Eindruck vom „Netzstandort“ Deutschland ha­ben. Verschiedene haben sich bereits engagiert, ande­re stehen kurz davor. Die von Herrn Schucht für sein Unternehmen genannte Rendite kann ich nicht kom­mentieren. Insgesamt haben wir aber in Deutschland ein einmaliges Verhältnis von Rendite und nachhalti­ger Investitionssicherheit geschaffen, wo jeder Netz­betreiber und jeder Investor eine faire Rendite be­kommt, wenn er sein Unternehmen einigermaßen effizient führt. Ich betone: eine faire Rendite – nicht weniger, aber auch nicht mehr!

Herr Schucht, welche Verbesserungen mahnen Sie konkret an?

Schucht Beispielsweise funktioniert in der Re­gulierungspraxis für Neuinvestitionen noch nicht al­les so, dass die richtigen Anreize gesetzt werden. Aber hier hat die Bundesnetzagentur positive Signale aus­gesandt, gut so.

Wir stehen vor großen Investitionen, allein in die Übertragungsnetze werden wir in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich rund 20 Milliarden Euro investieren müssen. Wenn wir die Energiewende wol­len, müssen wir den Rahmen so setzen, dass am Ende nicht gilt: Wer investiert, verliert. Da gibt es noch eini­ge Probleme zu lösen.

› Seit sechs Jahren reguliert die Bundesnetzagentur den Betrieb der Übertragungsnetze. Welche Veränderungen der Rahmenbedingungen sind nötig, damit die Energiewende gelingt? Ein Streitgespräch.

35 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011

Dazu kommen noch sehr viele Kleinigkeiten, etwa die Kosten für Forschung und Entwicklung. Öffentlich­keit und Politik fordern von uns, dass wir neue Tech­nologien einsetzen sollen, etwa für ein Overlay Grid, die zukünftigen Hochleistungs­Stromautobahnen. Das werden wir aber nur dann umsetzen können, wenn wir die Forschungs­ und Entwicklungskosten regulatorisch angemessen anerkannt bekommen. Die EU hat das erkannt und klare Forderungen ge­stellt, das ist aber in der deutschen Regulierung noch nicht ganz angekommen.

kindler Das Grundprinzip der Bundesnetzagen­tur lautet: Für jedes Problem findet sich eine Lösung. Forschung und Entwicklung sind normalerweise Aufgaben der Anlagenbauer, das wird über den Anla­genpreis abgegolten und vom Netzbetreiber auf die Preise umgelegt. Wenn ein Netzbetreiber eigenstän­dig Forschung und Entwicklung betreibt, wird man Möglichkeiten finden, das angemessen zu vergüten. Dem werden wir uns nicht verweigern.

Die Bundesnetzagentur hat die Eigenkapital-verzinsung für Neuinvestitionen soeben auf rund neun Prozent festgesetzt und versteht das als deutlichen Anreiz für Versicherungen, Pen-sionsfonds und andere Großanleger, in deut-sche Energie infrastruktur zu investieren. Herr Schucht, überzeugt Sie das?

Schucht Zumindest wurde damit vermieden, ein fatales Signal an die Finanzmärkte zu senden – das wäre bei einer weiteren Absenkung der Verzinsung ohne die gleichzeitige Beseitigung aller regulatori­schen Defizite der Fall gewesen. Wo die richtige Höhe der Verzinsung liegt, entscheidet am Ende der Kapital­geber. Ich kann Ihnen sagen: Internationale Investoren schauen nur auf die Rendite nach Steuern, da stehen wir jetzt bei sieben Prozent und rangieren im europäi­schen Vergleich im unteren Drittel. Auf der Habensei­te steht natürlich, dass Deutschland hohe Sicherheit bietet. Ob das reicht, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber: Die Elia­Gruppe hat sich gerade in den USA mit zehn Prozent an der „Atlantic Wind Connection“ beteiligt, auch „Google­Projekt“ genannt. Da hat uns der Regu­lierer bei einem meiner Einschätzung nach sogar günstigeren Risikoprofil eine Nachsteuerrendite von 12,6 Prozent zugestanden. Wo möchten Sie das Geld für Ihre Altersvorsorge angelegt sehen – in Deutsch­land zu rund sieben Prozent oder in den USA zu mehr als zwölf Prozent?

kindler Die Netzbetreiber handeln gern nach dem Grundsatz: Die Klage ist der Gruß des Kaufmanns. Natürlich möchten sie mehr Rendite. Mir ist aber um neue Investoren nicht bange. Derzeit herrscht in Euro­pa und weltweit ein „Anlagenotstand“, das liegt auch daran, dass die Märkte seit Jahren mit billigem Geld geflutet werden. Viele Pensionskassen und Versiche­rungen suchen sichere, vernünftig verzinste Anlagen.

» die regulierung Funktioniert heute gut.«

» da Sehe ich noch gewiSSe ProBleme.«

36 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur

» die verSorgungS-Sicherheit iSt in dieSem Winter geWährleiStet.«

» in deutSchland könnten zwei regio-nen ProBlematiSch werden.«

Im Augenblick herrscht sicherlich noch Vorsicht. Aber die Ersten haben schon zugegriffen, und weitere werden folgen, da bin ich mir sicher.

Im Übrigen hat bisher jedes Netz, das verkauft wurde, einen Abnehmer gefunden. Zeigen Sie mir einen Bereich der gewerblichen Wirtschaft, der dem Wettbewerb ausgesetzt ist und der eine solche Kombi­nation von Sicherheit und Rendite bietet – wir haben bisher kein Beispiel finden können. Und was die USA betrifft, so stelle ich mich gerne jeder Diskussion. So­wohl in puncto Stabilität der Netze als auch in puncto Finanzierung. Auch bei uns werden gerade Finanzin­vestoren mit einer „Leverage“ arbeiten, die insgesamt stattliche zweistellige Renditen ermöglicht. Übrigens überlegt die Bundesnetzagentur auch, wie Bürger fi­nanziell am Netzausbau partizipieren können. Wir

könnten uns vorstellen, Bürgerfonds vorzuschlagen, die natürlich sehr seriös gestaltet werden müssen. Das würde die Vermögensbildung fördern, denn eine vergleichbare Rendite finden Sie momentan bei keiner anderen seriösen Anlageform. Und für die Akzeptanz wäre es ebenfalls günstig.

Nicht nur Investoren wollen Sicherheit – auch der Verbraucher hat ein Recht darauf, nämlich auf Ver-sorgungssicherheit. In diesem Winter steht den Netzen eine Belastungsprobe bevor, vor allem als Folge der Abschaltung von acht Atomkraftwerken im Zuge des Moratoriums. Wie stellen sich Regu-lierer und Netzbetreiber darauf ein?

37 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011

kindler Wir gehen nach bestem Wissen und Ge­wissen davon aus, dass die Versorgungssicherheit in diesem Winter gewährleistet ist. Wir haben uns die Entscheidung, auf die Wiederinbetriebnahme eines bereits stillgelegten Kernkraftwerks zu verzichten, nicht leicht gemacht. Nach menschlichem Ermessen haben wir die nötigen Sicherungen eingebaut. Wir ha­ben in Deutschland etwa 1 000 Megawatt an zusätzli­cher Kraftwerkskapazität identifiziert, und nochmals dieselbe Kapazität aus Österreich. Das sollte als Sicher­heitspuffer reichen. Dass die Situation allgemein fra­giler geworden ist, wissen wir, das war aber schon vor Fukushima und dem Moratorium so.

Schucht Es gibt in Deutschland zwei Regionen, in denen es problematisch werden könnte: Süd­deutschland und der Großraum Hamburg. Im Norden ist 50Hertz zuständig. Dort ist als Großkraftwerk nur noch Brokdorf in Betrieb und wir haben leider die Nordleitung von Schwerin nach Hamburg noch nicht. An kalten Wintertagen mit wenig Wind haben wir in der Region ein Spannungsproblem, doch wir sind vor­bereitet. Beispielsweise reden wir mit Kunden über das Abschalten von Lasten in den Spitzenzeiten, etwa von Stahlwerken und Aluminiumproduktionen, um zu­sätzliche Sicherheit und Spielräume zu schaffen. Inso­fern glauben wir, dass die Situation sehr angespannt sein wird, aber in einem vertretbaren Rahmen bleibt.

39 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011

daS 50,2 hertz- ProblemAn den wachsenden Anteil von Strom aus Solar- und Windkraftwerken muss sich unser Energiesystem erst noch anpassen – sonst ist die Stabilität der Elektrizi-tätsversorgung gefährdet. Der Ingenieur Ludger Meier beschreibt die Herausforderungen.

40 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur

Was bedeutet der massive Zubau der Erneuerbaren am deutschen Strommix für die Netzinfrastruktur bzw. für die Netz- und Systemstabilität?

ludger meier Die Erzeugungsstand­orte werden zukünftig nicht mit den bis­herigen übereinstimmen. Es ist klar, dassdamit auch auf die Netze völlig neue He­rausforderungen zukommen. Der Fokus der dezentralen Einspeisung, zumeist auf Photovoltaik­(PV)­ und Windbasis, liegt in den Verteilnetzen und dort in den lastfernen Gebieten. Größere Erzeugungs­leistungen mit Anschluss an das Höchst­ oder gegebenenfalls Hochspannungsnetz sollen durch On­/Offshore­Windparks oder die großen Solarparks bereitgestellt werden. Es ist unstrittig, dass der Netz­anschluss all dieser Erzeugungsanlagen neue Leitungen für den Energietransport erforderlich macht. Gemäß der bisherigen Gesetzeslage muss die Netzinfrastruktur so ausgelegt werden, dass auch selten auftretende Leistungsspitzen der regene­

wandel auch einen Technologiewandel – vereinfacht gesagt – vom Synchrongenera­tor­basierten zum Umrichter­basierten Erzeugungssystem. Netzrelevante Merk­male, die von den Synchronmaschinen per se erbracht wurden, sind künftig nicht mehr bzw. nur noch in geringerem Um­fang vorhanden, dafür kommen andere Merkmale hinzu, die es erst noch einzu­ordnen und mit Blick auf einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb näher zu untersuchen gilt. Dass wir beispielsweise mit den Ergebnissen einer Studie zur 50,2­Hertz­Problematik ein Vorgehen ge­funden haben, stimmt mich jedoch opti­mistisch, dass wir die Herausforderungen beim Umbau und der Weiterentwicklung der Netze meistern werden. Allerdings hät­te ich die Bitte, dass in künftige Entschei­dungen zu Erzeugung oder Netz mit den technischen Verantwortlichen im Vorfeld beraten wird, da die Systemreserven be­reits mehr und mehr aufgezehrt wurden.

Wie dramatisch ist vor diesem Hinter-grund das 50,2-Hertz-Problem? Droht im Winter 2012 ein Blackout?

meier Frequenzschwankungen zwi­schen etwa 49,9 Hertz und 50,1 Hertz sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Die Frequenz von 50,2 Hertz liegt 0,1 Hertz oberhalb von diesen Maximalwerten und entspricht einer Leistungsdifferenz im Ver bundnetz je nach tatsächlich ange­schlossener Erzeugungsleistung von ca. drei Gigawatt und somit dem Leistungsbe­darf zweier Großstädte. Ereignisse, die zu diesen großen Lastabschaltungen führen und damit zum Frequenzanstieg auf über 50,2 Hertz, treten selten auf. (Erläuterun­gen hierzu und zum auftretenden Jo­Jo­Ef­fekt siehe gelber Kasten). Die Blackout­Dis­kussion im Zusammenhang mit der Still legung von Kernkraftwerken steht nicht in direktem Zusammenhang mit die­ser 50,2­Hertz­Thematik. Die aktuelle Situ­ation in den deutschen Übertragungsnet­zen ist wesentlich durch das KKW­ Moratorium bestimmt. Gefährdungen der Systemsicherheit konnten durch umfas­

rativen Erzeugung über das Netz trans­portiert beziehungsweise verteilt werden können. Dies sollten wir in Frage stellen, da der Ausbau sehr teuer wird und nicht effizient sein muss. Vergleichbar wäre der Sachverhalt mit einem Gesetz zum Aus­bau des Straßennetzes, in dem auch zu Spitzenzeiten kein Stau entstehen darf – wünschenswert, jedoch kostspielig.

Wie lösen wir das Problem sonst?

meier Zusätzlich zur Erweiterung der Netzinfrastruktur ist ein anderes physika­lisches Verhalten der „neuen“ Erzeugungs­landschaft zu berücksichtigen. Einerseits haben wir die starke Volatilität von PV oder Windenergieerzeugung, die dem Erforder­nis eines stabilen elektrischen Systems nach einer sekundengenauen Leistungs­balance von Erzeugung und Verbrauch zu­nächst nicht gerecht wird, zumindest so­lange nicht, bis im nennenswerten Umfang Energiespeicher zur Verfügung stehen. Andererseits bedeutet der Erzeugungs­

50,2 hertz und der Jo-Jo-eFFekt

Alle Photovoltaik­Anlagen, die nach dem 1.9.2005 an das Niederspan­nungsnetz angeschlossen wurden, trennen sich bei Überschreitung der Netzfrequenz von 50,2 Hertz unverzüglich vom Netz. Damit ergeben sich erhebliche Risiken für den Netzbetrieb. Wird die Netzfrequenz von 50,2 Hertz zu einem Zeitpunkt mit hoher dezentraler Einspeisung überschritten, schalten sich im Extremfall zeitgleich mehrere Giga­watt an PV­Einspeiseleistung ab. Der entsprechende Leistungssprung kann sehr viel höher sein als die europaweit vorgehaltene Primärre­gelleistung, so dass die Leistungsfrequenzregelung die Netzfrequenz nicht mehr stabilisieren kann. Zudem kann ein zeitgleiches Wiederzu­schalten der dezentralen Erzeugungsanlagen bei einer Frequenzerho­lung zu einem erneuten Überschreiten der Frequenz von 50,2 Hertz und damit zu einem erneuten Abschalten der Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz und zum „Jo­Jo­Effekt“ führen. Die Netz­ und Systemstabilität wäre dann akut gefährdet.Die aktuelle „50,2 Hz­Studie“, die die vier deutschen Übertragungs­netzbetreiber, der Bundesverband Solarwirtschaft und das FNN in Auf­trag gegeben hatten, zeigt Lösungsvorschläge zur Überwindung von Auswirkungen eines hohen Anteils dezentraler Einspeiser auf die Netzstabilität bei Überfrequenz auf. Laut Empfehlungen der Studie müssen rund neun Gigawatt in den Photovoltaikbestandsanlagen nachgerüstet werden.

41 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011

sende Eingriffe der vier deutschen Über­tragungsnetzbetreiber in die Erzeugung zum Glück bisher vermieden werden. Vor­sorglich sind auch Szenarien für den be­vorstehenden Winter untersucht worden, um die Herausforderungen für den siche­ren Übertragungsnetzbetrieb bewältigen zu können. Die Szenarien zeigen durchaus Einzelfälle, in denen die Stromversorgung nicht als sicher beherrschbar eingestuft werden kann. Um beispielsweise Span­nungshaltungsproblemen begegnen zu können, ist eine gezielte regionale Blindleis­tungseinspeisung notwendig. Hier wäre zu­sätzliche Kraftwerksleistung in Süd­deutschland erforderlich oder die massive Bereitstellung dieser Blindleistung, bei­spielsweise durch Kondensatorbänke oder durch Nutzung nicht mehr in Betrieb be­findlicher Kraftwerke als Phasenschieber. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber bereiten sich daher sehr intensiv auf die Si­tuation vor, beispielsweise mit sogenann­ten Lastabschaltungsszenarien oder auch Mitarbeitertrainings. Ich hoffe natürlich, dass wir auch im kommenden Winter eine hohe Versorgungssicherheit und ­zuver­lässigkeit aufrechterhalten können und Deutschland seinen europäischen Spitzen­platz verteidigt.

Um die Auswirkungen eines hohen Anteils dezentraler Einspeiser auf die Netzstabilität bei Überfrequenz zu überwinden, empfiehlt die aktuelle 50,2-Hertz-Studie (siehe Hintergrund-kasten) rund neun Gigawatt in den Photovoltaikbestandsanlagen nachzu-rüsten. Wer trägt die in der Studie ge-schätzten Umrüstkosten von 65 bis 175 Millionen Euro?

meier Zunächst sollte ergänzt werden, dass weitere Kosten, beispielsweise für die Anpassung des Betriebes der Netzersatzan­lagen im Niederspannungsnetz bis zu ca. zwei Millionen Euro sowie Verwaltungs­kosten, prognostiziert sind. Die Studie hat ganz bewusst auch die finanziellen Aus­wirkungen einer solchen Nachrüstung auf breiter Basis analysiert, da die Nachrüst­empfehlung eine technisch sichere, aber auch einfache und kostengünstige Lösung darstellen soll. So wären demnach kleine Aufdachanlagen bis zehn Kilowatt­Peak zum Beispiel auf Einfamilienhäusern gar nicht erst von einer Nachrüstpflicht be­troffen. Die breite Akzeptanz der Maßnah­men ist eine wesentliche Voraussetzung für deren schnelle und damit erfolgreiche Umsetzung. Die konkrete Festlegung, an welcher Stelle die Kosten getragen werden, ist nicht Gegenstand der Verbandsaktivitä­ten des FNN. Wir benötigen für die Sys­temsicherheit jedoch eine zügige Umset­zung der Nachrüstungen und somit eine schnelle Entscheidung zur Kostentragung.

Welche Rolle werden Informations- und Kommunikationstechnologien zu-künftig spielen?

meier Sie sprechen hier einen zentralen Punkt an. Wenn wir derzeit von „intelligen­ten Netzen“ oder Smart Grids sprechen, meinen wir immer auch die Anwendung von Informations­ und Kommunikations­technologien zur Gewährleistung von In­formations­ und Datenaustausch. Allein die Vorgaben des ordnungspolitischen Rah­mens, beispielsweise beim Zähl­ und Mess­wesen, erfordern neuartige Lösungen bei der Bereitstellung, beim Transport, bei der Verwertung und nicht zuletzt bei der Si­cherheit von Daten. Das können reine Ver­brauchsdaten sein, aber auch netz­ oder sys­

temrelevante Daten, beispielsweise wenn es um den Aufbau eines aufeinander abge­stimmten Last­ und Erzeugungsmanage­ments geht. Auch die fortschreitende Ver­teilnetzautomatisierung ist ganz eng an eine leistungsfähige Informations­ und Kommunikationstechnologie geknüpft. Ein gemeinsames Vorgehen von Stromnetz­betreibern und Unternehmen mit Schwer­punkt auf Informations­ und Kommuni­kationstechnologien ist notwendig, um bisherige unterschiedliche Sichtweisen oder Randbedingungen anzugleichen, bei­spielsweise bei der Lebensdauer: In der Energietechnik wird von einer Lebensdauer der Betriebsmittel in der Regel von mehre­ren Jahrzehnten ausgegangen, IT­Geräte haben eine deutlich höhere Veränderungs­geschwindigkeit. Investitionen in die „Smart Grid“­Techniken erfordern nachhal­tige Vorgaben zu den Anforderungen und Marktrollen. Gewaltige Investitionen kön­nen erforderlich werden, die jedoch nur bei verlässlichen Rahmenbedingungen freige­setzt werden sollten.

Wer überwacht das System?

meier Den Verteilnetzbetreibern kommt eine deutlich steigende Koordinationsver­antwortung bei der Systembeobachtung und ­steuerung, hinsichtlich der dezentralen Energieerzeugung und beim Leistungsver­mögen des Netzes bis in die Niederspannung zu. Der Übertragungsnetzbetreiber wird zur Wahrnehmung seiner Gesamt­Systemver­antwortung die hierfür erforderlichen Infor­mationen der Verteilnetzbetreiber geeignet definieren und in seiner Systemführung be­rücksichtigen und umgekehrt den Verteil­netzbetreibern die für ihn erforderlichen Daten zur Verfügung stellen.

ludger meierist Prokurist bei der Amprion GmbH und seit 2008 Vorsitzender des Vorstands des Forums Netztechnik/Netzbetrieb (FNN) im VDE ­ Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.

42 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur

dr. martin grundmannist Geschäftsführer der ARGE Netz GmbH & Co. KG, in der sich die schleswig­holsteinischen Erzeuger von erneuerbaren Ener­gien zusammengeschlossen ha­ben. Die ARGE Netz hat mehr als 150 Gesellschafter, darunter viele Bürgerwindparks.

43 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011

Die Windkraft soll eine tragende Rolle in der künftigen Stromversorgung spielen. Dafür brau-chen wir mehr Windräder im Binnenland, etwa in Nordrhein-Westfalen und in Süddeutschland. Was kommt da auf die Bevölkerung zu?

dr. martin grundmann Die meisten Bundes­länder sprechen mittlerweile darüber, etwa zwei Pro­zent ihrer Fläche als für Windkraftanlagen geeignet auszuweisen. Das bringt natürlich Eingriffe für die dort wohnende Bevölkerung mit sich, denn Windräder sind Energieanlagen, die gegebenenfalls Geräusche verursachen und heute – wenn sie über 100 Meter hoch sind – nachts blinken.

Eine Energieversorgung aus erneuerbaren Quel­len kann allerdings nur dezentral umgesetzt werden, denn ein Windrad kann nicht 1 200 Megawatt Leis­tung bringen wie ein großes Kraftwerk. Das heißt, man wird diese Anlagen in der Landschaft sehen. Für viele ist das ungewohnt, weil sie Ansammlungen von Windmühlen nur aus dem Urlaub an der Nord­ und Ostsee kennen. Jetzt werden diese Anlagen auch in den übrigen Teilen Deutschlands gebaut werden. Dies ist das Ergebnis eines demokratischen Entscheidungs­prozesses. Die Gesellschaft hat beschlossen, aus der

» Probleme mit WindParkS müSSen vor dem Start gelöSt Werden!«

› Dr. Martin Grund­mann möchte den Bürgern eine finanzielle Beteili­gung an Wind­parks ermöglichen, um die Akzeptanz zu fördern.

44 Streitfragen 02|2011 FokuS inFraStruktur

angelika kutSchbachaus Bremen­Seehausen spürt die Energiewende am eigenen Leib: Im Umkreis ihres Dorfes wur­den vier neue Anlagen von 140 bzw. 150 Metern Höhe aufgestellt. Im Rahmen einer Bürgeriniti­ative engagiert sie sich für Schutzmaßnahmen.

01Wie nehmen Sie die lärmemiSSi-onen der Windräder in ihrer nachbarSchaFt Wahr?

Es gibt Phasen, in denen wir tage­ oder sogar wochenlang unter Dauerbeschal­lung stehen. Im Volllastbetrieb, bei 19,5 Umdrehungen pro Minute, erzeugen die Rotorblätter im Sekundentakt ein weithin hörbares, dumpfes und rhythmisches Ge­räusch. Das Geräusch bindet die Aufmerk­samkeit und macht es unmöglich, sich zu konzentrieren oder zu entspannen. Es stört den Schlaf. Nervöse Reizbarkeit und innere Unruhe sind die Folgen. Zeitweise ist der Flügelschlag der Anlagen nicht nur hör­, sondern auch fühlbar. Der Schall drückt dann regelrecht auf die Ohren, fährt in die Magengrube und erzeugt Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit. Möglicherweise bedingt der tief­frequente Schall, auf den in verschiedenen wissenschaftlichen Studien hingewiesen wurde, solche Befindlichkeitsstörungen.

02eS gibt doch geSetze zum emiS-SionSSchutz – brauchen Wir andere vorSchriFten?

Die bislang zur Anwendung kommenden immissionsschutzrechtlichen Bestimmun­gen mit der Technischen Anleitung Lärm, kurz TA Lärm, als Grundlage reichen ganz offensichtlich nicht aus, um einen Schutz der Menschen vor dieser Art von krank machendem Lärm zu gewährleisten. Die Tatsache, dass das Geräusch rhythmisch auftritt und gerade deswegen so quälend ist, findet in der TA Lärm keine Berück­sichtigung. Ob die Problematik des tieffre­quenten Schalls in ausreichendem Umfang erfasst ist, erscheint mir aufgrund der Er­fahrungen zumindest fraglich. Außerdem plädiere ich für eine bundesweite, humane Abstandsregelung. Die Anlagen hier in der Nachbarschaft sind nur zwischen 400 und 900 Meter von der Wohnbebauung entfernt. Das ist viel zu gering. Meiner Meinung nach – ich orientiere mich an Studien zum The­ma – muss der Abstand das Zehnfache der Gesamthöhe des jeweiligen Windrads be­tragen, aber mindestens 1 500 Meter.

03Sehen Sie eine möglichkeit, die belaStung zu verringern?

Uns würde es schon helfen, wenn die Lauf­geschwindigkeit der Anlagen zwischen 18 und sechs Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen auf ein Minimum gedros­selt würde, damit wir uns zumindest zeit­weise erholen können. Diese Zeitspannen müssen verbindlich angeordnet werden. Wenn Politik und Wirtschaft eine breite Akzeptanz für den Ausbau der Windener­gie schaffen möchten, muss in Zukunft bei der Standortsuche stärker auf die Bür­ger gehört werden, die in der Nähe dieser Anlagen leben und die damit verbundenen Nachteile zu tragen haben. Andernfalls rechne ich wegen der Emissionen, die es beim Betrieb unweigerlich gibt, mit mas­sivem Protest.

drei Fragen an eine WindPark-anWohnerin

45 FokuS inFraStruktur Streitfragen 02|2011

Atomkraft und weitgehend auch aus den fossilen Technologien auszusteigen. Auch eine künftige Bundesregierung wird das nicht wieder rückgängig machen.

Wer schützt die Anwohner vor den Emissionen einer Wind-mühle?

grundmann Die Immissionsschutz­Regelungen bilden die gesetzliche Grundlage für den Schutz der Bevölkerung. Aber wenn jemand sich trotzdem benachteiligt fühlt, gibt es hierfür Anhö­rungsverfahren, und wenn alle Vermittlungsbemühungen nicht nützen, muss ein Richter entscheiden.

Wie verhält es sich mit der nächtlichen Beleuchtung? Die empfinden viele als störend.

grundmann Wenn wir die Energiewende mit Hilfe der Windkraft schaffen wollen, muss hier tatsächlich bald etwas pas­sieren. Für Anlagen über 100 Meter Höhe ist heute eine Dauer­befeuerung vorgeschrieben. Seit Jahren wird nach einem Konsens mit der Flugsicherung und der Bundeswehr gesucht, um zu einer bedarfsabhängigen Warnbeleuchtung zu kommen. Solche Syste­me schalten sich nur ein, wenn sich ein Flugzeug nähert. Es gibt sie in den USA und in Skandinavien, sie sind technisch ausgereift – aber in Deutschland immer noch nicht zugelassen. Die Dauer­befeuerung führt bei den Anwohnern zu Unmut, den ich gut nachvollziehen kann. Und in Schleswig­Holstein sagen viele Ge­meinden: Solange es keine bedarfsorientierte Befeuerung gibt, erlauben wir keine Windräder über 100 Meter Höhe. So schützen sie ihre Bürger und bewahren die Akzeptanz.

Sie haben die Entwicklung vieler von Bürgern finanzierter Windparks verfolgt. Welche Empfehlungen lassen sich dar-aus für die Planung und den Bau von Windenergieanlagen an neuen Standorten ableiten?

grundmann Bei den erfolgreichen Projekten, die ich kenne, hat man alle Probleme vor dem Start gelöst und sich eine breite Zustimmung erarbeitet. Oft machen Initiatoren den Fehler, nicht vorne anzufangen. Es wird ein Mediator von einer Hochschule en­gagiert, es wird zur Bürgerversammlung eingeladen und oftmals meinen die Initiatoren, die Leute damit zu überzeugen. Das ist schon mehrfach in die Hose gegangen, weil Anwohner sich wehr­ten. Da fehlte die Basis, die man sich vorher hätte erarbeiten müs­sen.

Ein erfolgreicher Bürgerwindpark stützt sich immer auf drei Säulen. Erstens müssen die Leute genau verstehen, worum es geht: Man muss die Notwendigkeit erläutern, die Technik erklä­ren, den regionalen und überregionalen Zusammenhang zeigen, die Vor­ und Nachteile abwägen. Dann geht es um das Mitbestim­men. Man muss es ehrlich meinen und alle mitnehmen, auch die, die dagegen sind. Das ist ein Haufen Arbeit, denn man muss mit allen sprechen. 100 Prozent Zustimmung wird man nie bekom­men, aber man sollte dafür sorgen, dass viele mitmachen. Und das Dritte ist die finanzielle Beteiligung, indem man z.B. sagt: Wir bieten euch an, einen Teil eurer Altersversorgung über einen Bür­gerwindpark zu sichern.

Finanzielle Beteiligung der Anwohner an Windmühlen – ist das der Königsweg zu einem allgemein akzeptierten Ausbau der Windkraft?

grundmann Wir leben in einer Zeit, in der große Infra­strukturinvestitionen stärker beteiligungsorientiert durchge­führt werden müssen – Stuttgart 21 ist nur die Spitze des Eis­bergs. In Schleswig­Holstein diskutieren wir gerade nicht nur über Bürgerwindparks, sondern auch über Bürgernetze, also den beteiligungsorientierten Bau von Stromleitungen. Ich finde, wir sollten noch viel mehr versuchen, auch andere Infrastrukturpro­jekte mit direkter Beteiligung der Bevölkerung zu realisieren, wenn die Aussicht besteht, dass die Beteiligung an den Kosten auch zu Erlösen führt, die beispielsweise eine bessere Altersvor­sorge ermöglichen.

Das Erneuerbare­Energien­Gesetz gewährleistet für Bürger­windparks eine sehr hohe Sicherheit des eingesetzten Kapitals. Bei den Stromnetzen erlaubt die Bundesnetzagentur eine vergleichs­weise gute Verzinsung des Kapitals, das ist ebenfalls eine sehr si­chere Anlage für Privatleute. Die Investition in Infrastruktur kann für viele die vierte Säule ihrer Altersversorgung werden neben der gesetzlichen Rente, dem Riester­Vertrag und der betrieblichen Altersvorsorge.

Also sparen wir künftig fürs Alter nach der Devise „Windrad statt Wertpapier“?

grundmann Das wäre nicht nur eine Geldanlage, sondern eine neue Form, die Bürger an der Errichtung der Infrastrukturba­sis unserer Gesellschaft zu beteiligen. Früher war das nicht nötig, weil der Staat die Finanzierung irgendwie hingekriegt hat, aber das funktioniert heute nicht mehr. Besonders bei dezentraler Infrastruktur – Windparks, Netze, Speicher – ist die finanzielle Beteiligung meines Erachtens eine Chance, die regionalen Akteu­re einzubinden, ihren Erlösansprüchen gerecht zu werden und bei der Realisierung der Projekte voranzukommen.

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46 Streitfragen 02|2011 FokuS erzeugung

Der politische Kurs ist klar: Deutschland will die Energie-wende und steigt in die erneuerbaren Energien ein. Herr Ren-nert, Hitachi Power Europe hat sich auf den Bau und Betrieb moderner Steinkohle- und Braunkohleanlagen spezialisiert. Haben diese fossilen Energieträger denn überhaupt noch eine Zukunft in Deutschland?

klauS dieter rennert Tatsächlich ist der Neubau von weiteren Steinkohle­ und Braunkohleanlagen in Deutschland un­ter den derzeitigen energiepolitischen Rahmenbedingungen und angesichts der vehementen Ablehnung in einigen Teilen der Ge­sellschaft nur schwer vorstellbar. Es gibt aber ein großes Potenzial für bestehende Anlagen, die im Zuge der Energiewende als Back­up für fluktuierende erneuerbare Energien dienen können. Durch die Modernisierung von Altanlagen lässt sich nicht nur deren Effi­zienz steigern, sie können auch flexibler gefahren werden – damit würden sie die Voraussetzungen einer Backup­Funktion für die erneuerbaren Energien erfüllen.

Herr Fischer, Siemens folgt dem politischen Kurs der Bun-desregierung und steigt nach mehr als 40 Jahren aus dem Ge-schäft mit der Atomkraft aus. Welche Zukunft sehen Sie im Zuge der geplanten Energiewende noch für Ihr Geschäftsfeld Fossil Power Generation?

dr. roland FiScher Wir werden künftig nur noch konven­tionelle Komponenten für Kernkraftwerke liefern, beispielsweise Dampfturbinen. Das heißt aber eben auch: Wir fokussieren uns auf Wachstumsmärkte und konventionelle Technologien, wie sie nicht nur in Kernkraftwerken, sondern auch in Gas­ oder Kohle­kraftwerken zum Einsatz kommen.

Die jeweiligen Wachstumstreiber sind regional unter­schiedlich. In vielen Industrieländern werden künftig erneuerba­re Energien im Zusammenspiel mit flexiblen hocheffizienten Gas­kraftwerken eine große Rolle spielen. Dabei gilt es, die teilweise überalterte installierte Basis zu ersetzen. Wachstumsmärkte wie China und Indien haben hingegen einen riesigen Nachholbedarf an Energieerzeugung und sind auf der Suche nach günstigen Kraftwerkslösungen auf Basis von Kohle­ sowie Gaskraftwerken.

kraFtWerke Für die zukunFt

› Die Politik kann die Energiewende beschließen, umgesetzt werden muss sie unter anderem von Ingenieuren. Die su­chen nach einer Antwort auf die Frage, die Politiker offen­lassen: Wie wird sie technisch und wirtschaftlich machbar, die Energieversorgung der Zukunft?

47FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011

Kraftwerksbau ist ein langfristiges Geschäft. Die Anlagen laufen teils über Jahrzehnte. Haben Ihre Auftraggeber in Deutschland derzeit genügend Planungssicherheit für die notwendigen Investitionen in neue Anlagen?

rennert Die Planungssicherheit bei unseren Auftraggebern in Deutschland ist derzeit nicht gegeben. Bereits der Baustopp für Datteln 4, weltweit eines der effizientesten Kohlekraftwerke, hat eine große Verunsicherung in der Branche hervorgerufen. Dazu kommen die sehr kurzfristig beschlossenen Änderungen in der Energiepolitik, die eine langfristige Planung unmöglich machen.

Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?

rennert Die Konsequenz daraus ist klar: Wenn Unternehmen keine Planungssicherheit im Inland haben, suchen sie sich neue Märkte im Ausland. Die Anlagenbauer und andere Lieferanten fol­gen ihnen natürlich. Auch unsere Firma entwickelt sich ständig weiter, geht in neue Regionen und entwickelt neue Produkte. Wo­bei die Hitachi Power Europe ein deutsches Unternehmen mit Stammsitz in Duisburg bleibt. Doch ohne diese Maßnahmen – wie etwa Tochtergesellschaften in Indien und Südafrika – wären die Arbeitsplätze in der Branche noch massiver gefährdet.

Wo verspricht sich Siemens ein Geschäft?

FiScher Ganz klar im Offshore­Windkraft­Segment, weil die­se Form der Stromerzeugung künftig in Deutschland ein wichti­ger Pfeiler der Energieversorgung sein wird. Auch bei der Anbin­dung dieser Parks ans Netz nimmt Siemens eine führende Rolle ein, und an Land müssen wir ebenfalls den Netzausbau vorantrei­ben. Je höher der Anteil der erneuerbaren Energien im Netz, desto wichtiger sind zudem saubere Gas­ und Dampfkraftwerke, um eine sichere Versorgung von Industrie und Bürgern zu garantie­ren. Sie können in wenigen Minuten hochgefahren werden, wenn Sonne und Wind einmal eine Pause machen. Bis Ende des Ge­schäftsjahres 2014 wollen wir die Umsatzmarke von 40 Milliarden Euro mit grünen Technologien übertreffen.

Die Zukunft des konventionellen Kraftwerksbaus in Deutschland liegt also eher in modernen Gaskraftwerken als in Kohlekraftwerken?

FiScher Die Entscheidung zwischen Kohle­ und Gaskraftwer­ken erfolgt in Deutschland nicht ausschließlich nach ökonomi­schen Aspekten. Entscheidend sind vielmehr die Verfügbarkeit der Rohstoffe, die Umweltanforderungen, also der geringere CO2­Ausstoß bei Gaskraftwerken, und die politischen Rahmenbedin­gungen. Künftig werden vermehrt hohe Anforderungen an den Einsatz der Kraftwerke gestellt, die immer weniger als Grundlast­lieferant dienen, sondern Spitzenlast oder Reserveleistung liefern werden. Daher spielt ein etwaiger Preisvorteil von Kohle gegen­über Erdgas in Deutschland und auch in Europa eine eher unter­geordnete Rolle – weltweit sieht das natürlich anders aus. Von daher werden in einigen Märkten, wie etwa in Deutschland, Gas­kraftwerke die Oberhand haben, während in anderen, zum Bei­spiel in China und Indien, Kohlekraft die größere Rolle spielen wird.

rennert In der Tat ist das grundsätzliche Interesse an Gas­Dampf­Kombikraftwerken seitens der Stadtwerke und entspre­chender Konsortien in Deutschland gestiegen. Dieser Umschwung ist auch begründet durch den anhaltenden Widerstand von An­wohnern, Umweltverbänden und anderen Organisationen gegen Stein­ und Braunkohlekraftwerke. Gaskraftwerke hingegen gelten als „sauberere“ Alternative, die als Backup dienen sollen – für schwankende Wind­ oder Solarenergie. Es bleibt jedoch das grundsätzliche Problem der Rentabilität solcher Anlagen. Falls die Gaskraftwerke lediglich als Backup für fluktuierende erneuerbare Energien dienen und im Jahresdurchschnitt nur wenige hundert Stunden in Betrieb sind, werden sie ohne zusätzliche Förderung nicht rentabel zu betreiben sein.

klauS dieter rennertist Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) der Hitachi Power Europe GmbH, einer Tochtergesellschaft der Hitachi, Ltd. Die Ener­gieanlagenbauer planen und errichten fossil befeuerte Kraftwerke.

dr. roland FiScherist CEO Fossil Power Generation im Sektor Energy der Siemens AG. Das Unternehmen verabschiedet sich im Zuge der Energiewende aus der Atomtechnologie und liefert nur noch konventionelle Komponenten.

48 Streitfragen 02|2011 FokuS erzeugung

FiScher Die Problematik einer wirtschaftlichen, effizienten Kapazitätsvorhaltung sehe ich ebenfalls. Aufgrund der hohen In­vestitionen und Fixkosten rechnen sich Gas­ und Dampf­Kombi­kraftwerke unter den derzeitigen Bedingungen oft nicht. Wenn sie nur kurzzeitig als Backup­Lieferant dienen, lassen sich die Kraft­werke nicht wirtschaftlich betreiben. Reserveleistung müsste also ohne Frage anders vergütet werden.

Die Diskussion um Kapazitätsmärkte für Backup-Reserven wird ja derzeit intensiv geführt. Wie könnte eine wirtschaft-lich sinnvolle Lösung aussehen?

rennert Wir halten die Einrichtung eines Mechanismus für unumgänglich, der die Vorhaltung von Kapazität belohnt. Im ge­genwärtigen Marktdesign ist ein solcher Anreiz jedoch nicht vor­gesehen. Das erklärt sich durch die traditionelle Erzeugungs­struktur, in der alle Anbieter mehr oder weniger gleich verfügbar waren, so dass ein solcher Anreiz nicht erforderlich war. Mit Zu­nahme der fluktuierenden erneuerbaren Energien hat sich das aber grundlegend geändert. Die Einrichtung eines Kapazitätsan­reizes wäre daher keine Subvention oder Marktverfälschung, son­dern ganz im Gegenteil eine sinnvolle und notwendige Ergän­zung, die sich zwangsläufig aus dem politisch gewollten Ausbau der Windenergie ergibt.

FiScher Der existierende Markt für Regelenergie bietet keine Lösung, da diese Kapazitäten kurzfristig per Auktion versteigert werden und das System somit keine langfristige Sicherheit bietet, wie es für ein mehrere hundert Millionen teures Gaskraftwerk nö­tig ist. Die Preise für Regelenergie schwanken um mehrere hun­dert Prozent. Wir müssen uns dringend Gedanken machen, wie der Neubau von großflächigen Energiespeichern und von flexib­len und effizienten Gas­ und Dampfkraftwerken zur Bereitstel­lung der notwendigen Reservekapazitäten attraktiv gestaltet wer­den kann, beispielsweise über Kapazitätsprämien.

rennert Viele Vorschläge zum Mechanismus gehen ja in Richtung einer regelmäßigen „Kapazitätsauktion“, in welcher sich potenzielle Investoren bewerben, um Investitionszuschüsse erhalten zu können. Das geht jedoch schon sehr in Richtung di­rekter Regulierung. Besser wäre es, wenn man das Vergütungssys­tem so ändert, dass die Verfügbarkeit honoriert wird.

Wie könnte das konkret aussehen?

rennert Zum Beispiel könnte jeder Anbieter von Strom oder Wärme einer positiven beziehungsweise negativen Verfügbar­keitsabgabe unterliegen, die im Vergleich zu einem mittleren Wert berechnet wird. Im Ergebnis würde das zu einem Vergü­tungs­Transfer von den weniger verfügbaren zu den mehr verfüg­baren Anlagen führen. Dies würde gleichzeitig einen Anreiz für die wenig verfügbaren Anlagen bieten: Anstatt die Abgabe zu be­zahlen, könnten die Anlagenbetreiber technische Einrichtungen, also Speicher, zur Verbesserung ihrer Verfügbarkeit schaffen. Es wäre nicht erforderlich, Planwirtschaft zu betreiben, sondern man würde es dem Markt überlassen, für einen vernünftigen Mix aus Erzeugungsanlagen mit mehr oder weniger Verfügbarkeit zu sorgen.

Zur Erhöhung der Flexibilität in der Stromversorgung ist der massive Ausbau solcher Speichertechnologien notwendig. Welche Technik bietet hier die größten Potenziale?

FiScher Eine schnell verfügbare Speichertechnologie wäre die Umwandlung von Stromüberschüssen in Wasserstoff, der ins vorhandene Erdgasnetz eingespeist werden könnte. Hier sollten Wirkungsgrade um die 70 Prozent erreichbar sein. Deutschland verfügt über die größten Erdgasspeicher Europas und kann ein Viertel seines Jahresbedarfs an Gas puffern. Bei Windflaute könnte das Erdgas samt dem beigemischten Wasserstoff in hocheffizien­ten Kraftwerken mit mehr als 60 Prozent Wirkungsgrad wieder in Strom verwandelt werden.

rennert Der massive Ausbau der Erneuerbaren macht neue Speichermöglichkeiten dringend nötig. Jedoch bleibt die Frage, welche Technologien dies leisten können. Das Potenzial für Pump­speicherkraftwerke ist zu einem großen Teil bereits ausgeschöpft oder trifft – wie andere Infrastrukturprojekte – auf großen Wider­stand seitens betroffener Anwohner. Wir sehen ein gewisses Potenzial in der Weiterentwicklung von Druckluftspeicher­Tech­nologien und forschen daran gemeinsam mit unserer Mutterge­sellschaft Hitachi, Ltd. Auch große Batterieparks können einen Beitrag leisten. Ob die bestehenden Power­to­Gas­Technologien sich wirtschaftlich betreiben lassen, ist unserer Ansicht nach hin­gegen zweifelhaft.

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49FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011

FiScher Gas­ und Dampf­Anlagen bieten gegenüber allen an­deren konventionellen Kraftwerkskonzepten und installierten Anlagen Vorteile hinsichtlich der Anfahrzeiten und Anfahrzuver­lässigkeit, wenn künftig größere Leistungen sehr schnell ins Netz eingespeist beziehungsweise aus dem Netz genommen werden müssen. Der Bau modernster, sehr flexibler Gas­ und Dampf­Anla­gen kann die Netzstabilitätsproblematik effizient lösen und gleichzeitig CO2, SO2­ und NOx­Emissionen deutlich verringern – auch als Ersatz von älteren, unflexiblen fossilen Anlagen, wie etwa Kohlekraftwerken.

rennert Flexibilität ist nicht nur ein Wesensmerkmal von Gaskraftwerken. Wenn man die komplette Produktionskette be­trachtet – Wasserstoffproduktion, Carbonisierung und Verbren­nung –, bekomme ich Zweifel an der energetischen Gesamtbilanz. Auch moderne oder umfassend ertüchtigte Kohlekraftwerke bie­ten Flexibilität, zum Teil können sie sogar flexibler reagieren als gasgefeuerte Anlagen, im Besonderen wenn es um die absolute Strommenge geht. Aber dies lässt sich natürlich nur realisieren, wenn ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen auch langfristig möglich ist.

Damit Kohlekraftwerke im zukünftigen Energiemix akzep-tiert werden, müssten die hohen Kohlendioxid-Emissionen dieser Anlagen reduziert werden. Eine mögliche Lösung ist die CCS-Technologie, mit der Kohlendioxid gefiltert und unterirdisch gelagert werden könnte. Doch der Bundesrat blockiert ein Gesetz zur Erforschung und Umsetzung dieser Technologie. Mit anderen Worten: CCS kommt über die Test-phase wohl nicht hinaus. Hat sich damit die CO2-Abschei-dung als Zukunftstechnologie und Geschäftsfeld für hiesige Unternehmen erledigt?

rennert Anlagenbauer testen bereits intensiv unterschied­liche Verfahren, entsprechende Pilotanlagen werden gebaut oder sind in Betrieb. Tatsächlich hat die CO2­Abscheidung die Testpha­se bereits verlassen. Wir und auch andere Unternehmen betreiben oder errichten großtechnische Umsetzungen in der Megawatt­Klasse. Kommerzielle Anlagen könnten um das Jahr 2020 in Be­trieb gehen. Nach dem Scheitern des CCS­Gesetzes im Bundesrat und der strikten Ablehnung durch mehrere Bundesländer sehen wir allerdings keine großen Chancen, dass ein Gesetz noch in die­ser Legislaturperiode realisiert wird.

FiScher Als international aufgestelltes Unternehmen ist die deutsche Gesetzgebung für unsere Forschung und Entwicklung nicht allein ausschlaggebend. Siemens betreibt eine Pilotanlage zur CO2­Abtrennung aus dem Rauchgas im Kohlekraftwerk Stau­dinger in der Nähe von Hanau und erzielt dabei sehr gute Erfolge. Eine weitere und größere Pilotanlage wird in den USA in Florida errichtet. Des Weiteren erstellt Siemens im Rahmen der MASDAR­Initiative eine Machbarkeitsstudie zur CO2­Abscheidung in einer Stromerzeugungsanlage im Mittleren Osten.

rennert Man darf bei der CCS­Diskussion nicht vergessen, dass es bereits eine EU­Richtlinie zur Umsetzung eines entspre­chenden CCS­Gesetzes gibt und Projekte großzügig gefördert wer­den. Daher ist es enttäuschend, dass die Politik hierzulande die bisher getätigten erheblichen Investitionen von Energieversor­gern und Anlagenbauern in Deutschland nicht zu würdigen weiß. Es bleibt abzuwarten, ob und wie ein Strafverfahren der EU gegen Deutschland wegen nicht fristgerechter Umsetzung der CCS­Richtlinie aussehen wird. Wenn ein Vorreiter für den Klimaschutz wie Deutschland dies nicht schafft, ist die Signalwirkung bezüg­lich der CCS­Technologie zumindest für die weitere Entwicklung in Europa verheerend.

International wird die Energiewende in Deutschland genau beobachtet. Hitachi Power Europe hat seinen Sitz in Duis-burg – werden Sie im Ausland sozusagen als Vertreter eines deutschen Unternehmens betrachtet und auf die hiesige Ent-wicklung angesprochen? Welche Einschätzungen begegnen Ihnen, Herr Rennert?

rennert Bei Gesprächen mit unseren ausländischen Kunden – von West­ und Osteuropa über Südafrika bis Indien – stellen wir immer wieder fest, dass die meisten Fachleute mit Skepsis – ja sogar teilweise mit völligem Unverständnis – auf die deutsche Energiepolitik und deren Konsequenzen blicken. Es ist für Außen­stehende vermutlich schwer nachzuvollziehen, warum Deutsch­land in vielen Fragen der Energiepolitik einen Sonderweg geht. Das reicht von der Überförderung der erneuerbaren Energien über den Ausstieg aus der Kernenergie bis zur Ablehnung der CCS­Technologie. In anderen Ländern wird sachlich und natürlich auch kontrovers über den Einsatz neuer Technologien sowie deren Vor­ und Nachteile diskutiert. Anscheinend ist in Deutschland eine solche sachliche Diskussion derzeit nicht mehr möglich.

Geben Windräder und Solarkollektoren mehr Strom ab, als benö­tigt wird, kann dies zu zeitweisen Überlastungen im Stromnetz führen. Die Folge: Windräder müssen abgeschaltet werden, wert­volle Energie geht verloren.

Regenerativen Strom zu speichern und bei Bedarf in das Netz zurückzuspeisen, ist daher eine bedeutende Zukunftsaufga­be beim geplanten Umbau des Energiesystems. Bisherige Techno­logien und Kapazitäten zur Stromspeicherung reichen aber kaum aus, um die künftig entstehenden „Überschussmengen“ bedarfs­gerecht aufzunehmen.

Eine Lösung könnte die Nutzung des 445 000 Kilometer lan­gen Erdgasnetzes sowie der 47 deutschen Untertage­Gasspeicher an 40 Standorten in Deutschland sein, Power­to­Gas, „ein neues Verfahren, mit dem Strom­ und Gasnetze bidirektional miteinan­der gekoppelt werden“, sagt Michael Sterner vom Fraunhofer­In­stitut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kas­sel. Sein Institut hat das Verfahren gemeinsam mit dem Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung in Baden­Würt­temberg (ZSW) entwickelt. Power­to­Gas funktioniert in Kürze so: Überschüssige Strommengen werden genutzt, um Wasser per Elektrolyse in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff auf­zuspalten. Der Sauerstoff wird freigesetzt. Dem Wasserstoff wird Kohlendioxid – zum Beispiel aus einer Biogasanlage – zugeführt. Beide Elemente reagieren zu Methan. Das Produkt ist syntheti­sches Erdgas (Synthetic Natural Gas, SNG). Dieses methanreiche erneuerbare Gas ist mit natürlichem Erdgas weitgehend iden­tisch. Es lässt sich problemlos in das Erdgasnetz einspeisen.

Dass die Technologie funktioniert, haben die Forscher von IWES und ZSW bereits nachgewiesen. Gemeinsam mit dem Unterneh­men Solar Fuel Technology, das die industrielle Umsetzung des Power­to­Gas­Verfahrens vorbereitet, setzten sie Ende 2009 in Stuttgart eine Demonstrationsanlage mit einer Anschlussleis­tung von 25 Kilowatt in Betrieb. Eine zweite Versuchsanlage mit einer Leistung von 250 Kilowatt ist derzeit im Bau. Sie soll 2012 fertiggestellt werden.

Wie WirtSchaFtlich iSt erdgaS auS ökoStrom?

Was die industrielle Produktion von Wasserstoff aus Strom und die Speicherung im Erdgasnetz letztlich kosten, ob und wie wirt­schaftlich sie sein kann oder wird, ist in diesem frühen Stadium der Entwicklung schwer vorauszuberechnen.

Power­to­Gas – oder übergangsweise Power­to­Hythane, wie die Direkteinspeisung von Wasserstoff ins Erdgasnetz heißt – bietet also gute Voraussetzungen, das Problem der Stromspeiche­rung in den Griff zu bekommen. Dennoch wird weiterhin großer Forschungsbedarf notwendig sein, um Power­to­Gas wirtschaft­lich zu realisieren. Und unternehmerischer Mut: Der Energiever­sorger Greenpeace Energy hat angekündigt, seinen Kunden von 2013 an Erdgas mit einem kleinen Anteil von „Windgas“ anzubie­ten. Die Kunden zahlen dafür einen Aufschlag von einem halben Cent pro Kilowattstunde, mit dem Greenpeace Energy den Bau von Erzeugungsanlagen finanzieren will. So kommt es letztlich auch auf die Verbraucher an, wie schnell sich die Speicherung von erneuerbarem Strom im Erdgasnetz durchsetzen wird.

Wind und Sonne sind unstete Energiequellen, die sich nicht nach dem Bedarf der Verbraucher richten.

PoWer to gaSein Beitrag zur energiewende

51FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011

» Wir laSSen die viSion realität Werden.«

Wie ist der Stand des Wüstenprojektes?

Paul van Son Desertec heißt Nut­zung von Energie aus den Wüsten – eine Vision, die wir Realität werden lassen. Und wir wollen Europa, den Nahen Osten und Nordafrika durch eine Energiepartner­schaft einander näherbringen. Dafür stel­len wir jetzt die Weichen. Bis Herbst 2012 legen wir unsere Roadmap „RE EUMENA 2050“ vor, in der wir konkret darlegen, wie die Energiewirtschaft bis zur Jahrhundert­mitte auf Basis erneuerbarer Quellen in

den Wüsten umgebaut werden kann. Wir schauen dabei über mehrere Jahrzehnte in die Zukunft, damit alle wichtigen Fragen zu Infrastruktur und Markt sinnvoll ge­klärt werden können. Im Grunde genom­men sollen möglichst schnell in Europa und in der arabischen Welt miteinander verbundene Märkte entstehen, in denen sämtliche erneuerbaren Energien, dezent­rale genauso wie zentrale, aus eigener Kraft bestehen können. Das Dii­Referenzprojekt in Marokko und die nächsten Vorhaben in Tunesien und Algerien sind erste Schritte, den wertvollen Beitrag von Wüstenstrom zum europäischen Energiemix zu demons­trieren.

Ist vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung in der Region „Arabischer Frühling“ das Ziel, 2050 15 Prozent des europäischen Stromver-brauchs zu decken, noch realistisch?

van Son Ich verstehe den „Arabischen Frühling“ nicht als Hindernis für irgend­etwas in der Zukunft – ganz im Gegenteil. Er ist eine Chance. Europa hat durch die Demokratisierungsprozesse entdeckt, dass

› Desertec will schon in wenigen Jahren in einem riesigen So­larkraftwerk in Marokko Strom für Europa produzieren. Der Bau soll 2012 beginnen – und das ist nur der Anfang, glaubt Desertec­Manager Paul van Son.

es einen Nachbar im Süden hat. Der „Ara­bische Frühling“ hat Nordafrika und Euro­pa einander nähergebracht. Strom aus der Wüste und eine enge Zusammenarbeit in der Energieversorgung werden in beiden Regionen langfristig zum Wohlstand bei­tragen. Wir betrachten bis zu 15 Prozent des europäischen Verbrauchs in 40 Jahren als Richtwert. Die Dimension des zukünfti­gen Stromaustausches zwischen den Län­dern der MENA­Region, also dem Nahen Osten und Nordafrika, und Europa wird am Ende selbstverständlich von Markt und Preis bestimmt.

Unsere Pläne werden von den Um­brüchen in der arabischen Welt eher po­sitiv berührt. Selbst in Libyen spürt man schon Interesse an Desertec. Kürzlich war ich mit einer Delegation von Wirtschafts­minister Philipp Rösler dort. Obwohl die Übergangsregierung natürlich sehr viele akute Probleme zu lösen hat, waren mei­ne Gesprächspartner aus diesem Kreis

Paul van Son ist seit 2009 CEO der Dii GmbH, eines privaten Industrie­Konsortiums mit dem Ziel, die Desertec Vision umzusetzen.

52 Streitfragen 02|2011 FokuS erzeugung

sehr an der Möglichkeit interessiert, mit Wüstenstrom fossile Energiequellen bei der Stromerzeugung zu ersetzen. Und der Energieverbrauch in Libyen wächst rasant.

Bei Desertec geht es neben Energie aber immer auch um wirtschaftliche Ent­wicklungschancen, neu entstehende Ar­beitsplätze, lokale Industrialisierung und Wissenstransfer. Das wurde gerade auf unserer Jahreskonferenz in Kairo wieder deutlich, wo wir diese Fragen mit rund 400 Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutiert haben. Die Hälfte unserer Gäste stammte übrigens aus den MENA­Ländern.

Wie beurteilen Sie die Diskussion in Deutschland, die sehr kritisch mit der Frage des Imports von Strom generell umgeht und auf Autarkie setzt?

van Son Deutschland könnte niemals eine Art ‚Energie­Nordkorea‘ werden. Die Bundesrepublik ist bereits viele Jahrzehnte lang Teil eines europäischen Verbund­systems und seit mehreren Jahren Teil des europäischen Strommarktes. Stromer­zeugung sollte dort passieren, wo sie öko­nomisch Sinn macht. Das gilt sowohl für dezentrale Erzeugung, die selbstverständ­lich viele Vorteile bietet, wie zentrale Er­zeugung. Wir brauchen ein gesundes Zusammenspiel verschiedener Erzeu­gungs formen, z.B. dezentrale Anlagen, also einzelne Windräder und Photovoltaik­anlagen auf Privatdächern, aber auch zent­rale: Erdgas, Windparks, Einsatz von Bio­masse, Wasserkraft und solarthermische Kraftwerke. Alle umweltfreundlichen Komponenten sind im Markt willkommen.

Wann erreicht der erste Strom aus Nordafrika Europa?

van Son Nordafrika und Spanien sind schon seit mehr als 14 Jahren über zwei Kabelverbindungen elektrisch verbunden und tauschen Stromlieferungen aus. Je nach eingesetzter Technologie – also Pho­

tovoltaik oder Solarthermie – kann zwi­schen 2014 und 2016 auch Strom aus sol­chen Anlagen in Marokko nach Europa fließen. Bis Anfang 2012 werden noch letzte Fragen rund um Standort, Technologie und Finanzierung geklärt. In Marokko ste­hen die Ampeln auf Grün. Die nötige Un­terstützung dafür bei Politik und Investo­ren haben wir gesichert.

Wie gelangt der Strom nach Europa? Sind Netze vorhanden, wann werden diese gebaut? Ist die jeweilige Netztech-nik miteinander kompatibel?

van Son Für unsere ersten Referenz­projekte nutzen wir die existierenden Ka­belverbindungen zwischen Marokko und Spanien. Der Stromtransport von den Er­zeugungsstandorten zu den Verbrauchs­zentren wird freilich von den Netzbetrei­bern, in diesem Fall ONE in Marokko bzw. REE in Spanien, begleitet. Da momentan der Strom hauptsächlich von Spanien nach Marokko fließt, werden die ersten Projekte den Fluss zwischen den Ländern per saldo zunächst verringern und erst langfristig in Richtung Spanien umkehren. Das bedeu­tet, dass die Belastung der Netze in der An­fangszeit eher abnehmen wird. Dii wird im Rahmen ihrer Arbeit bis 2012 aber auch Langfristszenarien für die Gestaltung der Stromnetze und dazugehörige Investiti­onsvorschläge vorlegen. So gilt es, insbe­sondere die Belastbarkeit der lokalen Netze zu evaluieren und Lösungen für den anvi­sierten Ausbau mit erneuerbaren Energien zu erarbeiten. Für den Stromaustausch werden dabei Netzbetreiber und die Indus­trie­Initiative Medgrid eine wichtige Rolle spielen. Medgrid als Dii ergänzende Initia­tive will einen Masterplan für ein leis­tungsfähiges Stromnetz im Mittelmeer­raum entwickeln.

Wie steht es mit der Finanzierung?

van Son Unsere Rolle ist es primär, die Grundlage für die Entwicklung von vie­len Solar­ und Windanlagen in den Wüsten zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Technologien bald wettbewerbsfähig wer­den. Jedes Projekt wird seine eigene Umge­bung haben, nicht nur geografisch, aber auch politisch und netz­ bzw. markttech­nisch. Die Finanzierung solcher Anlagen wird etwa in den ersten 15 Jahren, das heißt solange die eigenständige Wettbewerbsfä­higkeit noch nicht vollständig gegeben ist, stets eine besondere Herausforderung sein. Staatliche Hilfen wird man vorläufig jeweils für solche Projekte brauchen. Auch das Engagement der Industrie wird ent­scheidend sein.

Es ist uns klar, dass Deutschland gerade in der Anfangsphase als treibende Kraft eine wichtige Rolle spielen kann und auch will. Das hat weniger mit der aktu­ellen Finanzkrise zu tun als damit, dass Deutschland eine starke Vision für unsere gemeinsame Energiezukunft hat und auch über die politische und industrielle Kraft verfügt, in Partnerschaft mit anderen Län­dern eine sichere Energiezukunft zu ge­stalten. Für unseren ersten Projektschritt von 150 Megawatt in Marokko hat übrigens nicht nur Deutschland Unterstützung an­gemeldet, sondern auch viele Unterneh­men aus unserem Gesellschafterkreis – ein sehr gutes Signal.

53FokuS erzeugung Streitfragen 02|2011

54 Streitfragen 02|2011 PerSPektive euroPa

Bei der Konferenz zum Energiebinnenmarkt am 29.9.2011 hat Kommissar Oettinger eine ernüchternde Bilanz zur Um-setzung des Dritten Binnenmarktpakets gezogen und u.a. Vertragsverletzungsverfahren gegen 17 (Strom) bzw. 18 (Gas) Mitgliedstaaten angekündigt. Sehen Sie das Ziel einer Ver-wirklichung des Energiebinnenmarktes bis 2014 in Gefahr?

PhiliP loWe Im Februar 2011 haben die Staats­ und Regie­rungschefs der EU dieses Ziel bestätigt und das Jahr 2014 als Frist für die Vollendung des Binnenmarktes gesetzt. Auf der Binnen­marktkonferenz am 29. September erklärte Kommissar Oettinger, dass nun auf Worte Taten folgen müssen. Die Kommission will zunächst vorrangig dafür sorgen, dass die Rechtsvorschriften ordnungsgemäß übernommen und durchgeführt werden. Sie wird den Mitgliedstaaten bei der ordnungsgemäßen Durchfüh­rung des EU­Rechts zur Seite stehen, aber gegebenenfalls auch Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn dies nicht ge­schieht.

Teilen Sie die Befürchtung, dass die zunehmende Regulie-rung des Energiemarktes in eine (europäische) Planwirt-schaft führen könnte?

loWe Wir sind uns alle darin einig, dass es keiner weiteren Re­gulierung bedarf, um die Märkte zu öffnen. Aber die bisher ange­nommenen Vorschriften sind Voraussetzung dafür, dass die Märk­te reibungslos funktionieren.

Netze, die ja natürliche Monopole sind, müssen reguliert werden, damit Dritte diskriminierungsfrei Zugang erhalten und die Tarife sich auch nach den tatsächlichen Kosten richten. Und auch Investitionen in die Infrastruktur erfordern ein gewisses Maß an langfristiger Planung und Koordinierung auf europäischer Ebene, damit die notwendige Infrastruktur gebaut wird. Dies gilt auch für die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens, der gezielte Maßnahmen zur Verwirklichung unserer Nachhaltigkeitsziele be­günstigt. Das europäische Energierecht soll für fairen Wettbewerb sorgen und Lösungen bieten, wenn Märkte den Anforderungen der Gesellschaft nicht gerecht werden.

» die energieWende bringt auch ohne internationaleS abkommen vorteile.«

› Philip Lowe, EU­Generaldirektor für Energie, sieht Fort­schritte bei den europäischen Bemühungen um Klima­schutz und fairen Wettbewerb auf den Energiemärkten.

55PerSPektive euroPa Streitfragen 02|2011

Vor diesem Hintergrund: Wie schätzen Sie die Wettbewerbs-situation auf den einzelnen nationalen Energiemärkten ein? Besteht Chancengleichheit auch für deutsche Unternehmen?

loWe Deutsche Unternehmen haben sehr erfolgreich in ande­ren Mitgliedstaaten Fuß gefasst. Sie sind in neue Märkte eingetre­ten und haben die Möglichkeiten im Zuge von Marktöffnung und Marktliberalisierung in der EU voll ausgeschöpft.

Wie sind die KMU der deutschen Energiewirtschaft von der Umsetzung der Brüsseler Vorgaben betroffen? Wie berück-sichtigt die Kommission die besonderen Bedürfnisse der KMU in der Gesetzgebung, z.B. in Bezug auf den zunehmen-den bürokratischen Aufwand?

loWe Die zentrale Rolle, die KMU in der europäischen Wirt­schaft spielen, wird in der 2008 vorgelegten Mitteilung der Kom­mission „Small Business Act“ anerkannt. Die Kommission hat sich verpflichtet, in ihrem politischen Wirken dem Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ zu folgen, die Auswirkungen geplanter Rechtsvorschriften auf KMU zu prüfen und die Ergebnisse dieser Prüfung bei der Ausarbeitung der Gesetzgebungsvorschläge (im Rahmen der Folgenabschätzungen) zu berücksichtigen. Die Vor­schläge der Kommission im Energiebereich leisten diesen Grund­sätzen Folge. So sehen z.B. die Richtlinien über den Strom­ und den Gasbinnenmarkt vor, dass die Mitgliedstaaten kleine Vertei­lungsnetzbetreiber von den Vorschriften für die rechtliche Ent­flechtung der Verteilung ausnehmen können. Und auch der Vor­schlag der Kommission für eine Richtlinie über Energieeffizienz sieht diese Möglichkeit für kleine Verteiler und Versorger auf Ein­zelhandelsebene vor.

Infolge der Liberalisierung können auch deutsche Energie­KMU Energie zu Wettbewerbsbedingungen beziehen oder Über­schüsse verkaufen. Viele kleine Betreiber haben sich zusammen­geschlossen, um gemeinsam in den Energiehandel einzusteigen. Dadurch haben sie unmittelbaren Zugang zu Großhandelsmärk­ten und Strombörsen. Angesichts ihrer engen Beziehungen zum Verbraucher bin ich davon überzeugt, dass sie die Vorteile der of­fenen Wettbewerbsmärkte für Energie erfolgreich nutzen werden.

Die EU hat beschlossen, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 sogar um 80 – 95 Prozent zu reduzieren. Die „Klimaroadmap“ sieht auch sektorspezifi-sche Reduktionsziele vor. Im Strombereich soll demnach der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um rund 60 Prozent und bis 2050 um mehr als 90 Prozent gesenkt werden. Was ist von der „Energie-Roadmap 2050“ zu erwarten?

loWe Die Staats­ und Regierungschefs der EU haben im Februar das Ziel bekräftigt, die Emissionen bis 2050 insgesamt um 80 – 95 Prozent zu verringern, wenn es uns gelingt, weitere Industrie­länder dafür zu gewinnen. Voraussetzung dafür sind Fortschritte in Richtung eines umfassenden und fairen internationalen Klima­schutzabkommens. Die Energiewende bringt aber auch ohne inter­nationales Abkommen Vorteile. Sie mindert unsere Abhängigkeit von Energieeinfuhren und fördert gleichzeitig neue Sektoren, in denen die EU zum globalen Player werden kann, z.B. in den Berei­chen erneuerbare Energien und Technologien zur Nachfragesteue­rung. Dies kommt wiederum Wachstum und Beschäftigung in Euro­pa zugute.

Der Stromerzeugungssektor ist für einen Großteil der EU­Emissionen verantwortlich. Er müsste seine Emissionen we­sentlich verringern, um seinen Beitrag zur Verwirklichung des Gesamtzieles zu leisten. Im Energiefahrplan bis 2050, auch „Road­map“ genannt, werden verschiedene Dekarbonisierungs­Szenari­os untersucht als Hilfestellung für die Entscheidungsträger. Eine erste Analyse dieser Szenarios zeigt, dass die Dekarbonisierung des Energiesektors zu vertretbaren Kosten möglich ist und dass sich diese Investition lohnt.

Europäische Bemühungen zur Treibhausgas-Emissions re-duk tion machen angesichts der globalen Dimension des Kli-mawandels ohne ähnliche Bemühungen weiterer Staaten und Regionen nur begrenzt Sinn. Wie können Erfolgsmodelle wie der Emissionszertifikatehandel (EZH) internationale Nachah-mer finden? Was sind diesbezüglich die Pläne der Kommission für die Konferenz in Durban?

loWe Mit ihrem Anteil von nur rund elf Prozent der weltweiten Emissionen kann die EU das Problem der Erderwärmung nicht al­leine lösen. Die EU steht bei den Bemühungen um die Verringe­rung des Treibhausgas­Ausstoßes zwar an der Spitze, aber die an­deren müssen auch dazu beitragen. Der EZH zeigt, welch große Rolle der CO2­Markt dabei spielen kann. Wir werden weiterhin auf

PhiliP loWe leitet seit 2010 die Generaldirektion Energie der Euro­päischen Kommission. Vorher befasste sich der Brite als EU­Generaldirektor mit Wettbewerbsfragen.

56 Streitfragen 02|2011 PerSPektive euroPa

1 Der Energiebedarf für 2050 wird auf 4 900 Terawattstunden (TWh) geschätzt. 2 Für 2010 wird der Bedarf an Energie mit 3 534 TWh angesetzt.

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Quelle: EU Energy and Transport in Figures; alle Angaben in TWh/Jahr

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57PerSPektive euroPa Streitfragen 02|2011

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.«das EU­Emissionshandelssystem bauen, aber auch auf Kyoto: Wir wollen die vorhandenen Mechanismen verbessern und neue Marktmechanismen einführen, um den CO2­Weltmarkt zu stärken.

Für Durban hat sich die Kommission drei Ziele gesteckt: Wir müs­sen auf den in Cancún erzielten Fortschritten aufbauen, und wir müssen die noch nicht gelösten Fragen angehen, und zwar insbe­sondere, was den Umfang und die Höhe der Zielvorgaben angeht. Und wir brauchen ein ausgewogenes Paket, in das alle großen Emissionsverursacher einbezogen sind und das eine klare Etap­pen­ und Zeitplanung für einen neuen, umfassenden, soliden und verbindlichen Rechtsrahmen vorsieht.

Welche Rolle wird Erdgas als klimafreundlicher Energieträ-ger im europäischen Energiemix zukünftig spielen, insbe-sondere angesichts der zunehmenden Bedeutung von Bio-Erdgas als idealer Ergänzung zum natürlichen Erdgas?

loWe Die Erneuerbaren sind zwar auf dem Vormarsch, aber auch Erdgas dürfte im Strom­Mix weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Mit ihrer Flexibilität ergänzen Gaskraftwerke die Erzeu­gung mit Erneuerbaren geradezu ideal. Aufgrund seines geringe­ren THG­Ausstoßes wird Erdgas wahrscheinlich auch Anteile von der Kohle übernehmen. Im Hinblick auf 2050 hängt die Rolle des Erdgases auch von der weiteren CCS­Entwicklung ab. Sofern CCS nutzbar ist und in großem Umfang eingesetzt wird, dann könnte Erdgas zu einer CO2­armen Alternative werden. Ohne CCS hat Erd­gas langfristig nur begrenzte Zukunftsaussichten.

Auf Biogas hat CCS hingegen keinen Einfluss, so dass es in Zukunft durchaus eine immer wichtigere Rolle spielen könnte. Die Umstellung von Erdgas auf Biogas erfordert auch keine wei­tere Anpassung der Netz­ und Erzeugungsinfrastruktur. Aber Biogas kann nicht nur als Energieträger, sondern auch noch für andere Zwecke verwendet werden. Daher kann mittelfristig nicht unbedingt von einer hohen Biogasdurchdringung ausgegangen werden. Den Nationalen Aktionsplänen für erneuerbare Energie zufolge decken die Mitgliedstaaten 2020 wahrscheinlich nur zwei Prozent ihres Strombedarfs mit Biogas.

Wie bewerten Sie die Auswirkungen der jüngsten energie-politischen Entscheidung Deutschlands auf die europäischen Ziele in Bezug auf Versorgungssicherheit, den Binnenmarkt und Klimaschutz?

loWe Vorbehaltlich der vereinbarten EU­Ziele zur Verringe­rung der Emissionen und Erhöhung des Erneuerbaren­Anteils entscheiden alle Mitgliedstaaten frei über ihren jeweiligen Ener­gie­Mix. Die einschlägigen Entscheidungen einzelner Mitglied­staaten können sich natürlich auf andere Mitgliedstaaten und auf das Funktionieren des Energiesystems in der EU insgesamt aus­wirken. Die Abschaltung von acht deutschen Kernkraftwerken hat Konsequenzen für die Versorgungssicherheit und den Betrieb des europäischen Stromnetzes. Die deutsche Entscheidung wäre ohne einen bereits weitgehend integrierten europäischen Strommarkt so kurzfristig nicht möglich gewesen. Es bedarf eines stärker eu­ropäisch ausgerichteten Ansatzes, wie ihn die Bundesregierung in

ihrem Energiekonzept vorsieht, damit nationale Entscheidungen koordiniert umgesetzt werden können. Es ist Aufgabe der Kom­mission, zu koordinieren und Strategien zu verabschieden, um die Mitgliedstaaten in ihren Entscheidungen zu unterstützen.

Beim ersten Sondergipfel für Energie am 4. Februar haben Sie die Rückendeckung der Mitgliedstaaten für Ihre Energie-strategie 2020 erhalten. Auch haben Mitgliedstaaten eigene Konzepte für die Ausrichtung der Energiepolitik vorgelegt. Welche Rolle spielt die Europäische Kommission bei der not-wendigen Verzahnung dieser Ebenen?

loWe Die Energiestrategie 2020 baut auf der Strategie „Europa 2020 für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachs­tum“ auf. Sie bestätigt die Klimaschutz­ und Energieziele für 2020 und stuft sie als vorrangig ein (Rückgang der Treibhausgasemis­sionen um 20 Prozent, Erhöhung des Erneuerbaren­Anteils auf 20 Prozent und Energieeinsparungen von 20 Prozent). Laut Ener­giestrategie sind zwar bereits Fortschritte erzielt worden, aber bis zur Verwirklichung dieser Ziele muss noch viel getan werden. In der Energiestrategie sind die politischen Entscheidungen aufge­führt, mit denen zu beginnen ist, um unsere Energieziele 2020 zu erreichen. Dies erfordert Maßnahmen auf EU­Ebene und auf nationaler Ebene. Die Kommission bemüht sich darum, die natio­nalen Strategien näher aneinander heranzuführen. Dies soll vor allem durch die Vollendung des Binnenmarktes, den Bau integ­rierter Netze, die Förderung von Energieeffizienz und Unterstüt­zung für Forschung und technologische Entwicklung sowie im

58 Streitfragen 02|2011 PerSPektive euroPa

Wege ihrer internationalen Energiebeziehungen erreicht werden. Außerdem verfolgt die Kommission im Rahmen des „Europäi­schen Semesters“ unausgesetzt die Fortschritte bei der Verwirk­lichung der vorrangigen Ziele und der entsprechenden nationalen Ziele.

Der Ausbau der Erneuerbaren stellt zunehmende Herausfor-derungen an ihre System- und Marktintegration. Wie plant die Kommission eine bessere Koordinierung auf europäi-scher Ebene sicherzustellen? Wie sehen Sie die Rolle und die notwendigen energiepolitischen Rahmenbedingungen nach 2020? Was sagen Sie zu den nationalen Debatten, u.a. auch in Deutschland, über mögliche Kapazitätsmechanismen? Plant die Europäische Kommission neue Initiativen zu diesem Thema?

loWe Das Argument greift auch anders herum: Eine stärkere System­ und Marktintegration einschließlich leistungsfähigerer Verbindungsleitungen ist Voraussetzung für den weiteren Ausbau Erneuerbarer. Die Marktintegration macht es leichter, den zuneh­menden Herausforderungen in Verbindung mit Erzeugungs­schwankungen und begrenzter Planbarkeit zu begegnen.

Andererseits müssen aber auch die verschiedenen Konzepte der Mitgliedstaaten für erneuerbare Energie berücksichtigt wer­den, und es muss dafür gesorgt werden, dass sie immer stärker konvergieren. Dieser Bottom­up­Ansatz, wonach die Mitglied­staaten bei konkreten Projekten zusammenarbeiten können, hat bereits Früchte getragen. Aber zunächst einmal müssen wir si­cherstellen, dass Erneuerbare dort genutzt werden, wo die Kosten am niedrigsten und die Vorteile am größten sind, und dass die verschiedenen nationalen Fördersysteme für Erneuerbare nicht zu Verzerrungen auf den europäischen Strommärkten führen.

Die jüngste Richtlinie über Erneuerbare sieht eine Reihe von Kooperationsmechanismen vor, und es gibt bereits vielver­sprechende Initiativen zu deren Inanspruchnahme. Norwegen und Schweden planen beispielsweise ein gemeinsames Förder­system, Italien und Luxemburg wollen mit anderen Mitgliedstaa­ten zusammenarbeiten, um ihre 2020­Ziele zu realisieren, und Deutschland und Frankreich beabsichtigen, bei der Entwicklung von Solarenergie im Süden zu helfen. Die Kommission wirbt auch aktiv für eine koordinierte und strategische Herangehensweise an den Ausbau von Offshore­Windenergie. Ein koordinierter Ansatz könnte zu erheblich niedrigeren Kosten führen.

Wir haben auch begonnen, uns mit der grundlegenderen Frage zu befassen, ob und wie dieser Rahmen für die Zeit nach 2020 anzupassen wäre. Die Kommission wird dies 2012 im Wege einer Mitteilung angehen. Aber um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, müssen wir mit den Stakeholdern sprechen und werden zu diesem Zweck in den kommenden Wochen in Konsultation gehen.

Sowohl in der Mitteilung über Erneuerbare als auch in ei­ner Mitteilung über den Binnenmarkt, die ebenfalls nächstes Jahr vorgelegt werden soll, wird darauf eingegangen, wie die Markt­bedingungen aussehen müssen, um den zunehmenden Anteil Er­neuerbarer aufzunehmen. Dazu zählen auch, aber nicht nur, die Kapazitätsmechanismen, die zurzeit in einigen Mitgliedstaaten eingeführt oder diskutiert werden. Einige Mitgliedstaaten halten Kapazitätsmechanismen für notwendig, damit ausreichende Re­servekapazitäten verfügbar sind. Aber wir müssen sicherstellen, dass sie nicht zu weiteren Marktverzerrungen führen.

Eine weitere Frage ist, wie Verbraucher und kleine Erzeuger aktiver an Strommärkten teilhaben können.

Derzeit werden in Brüssel die Vorschläge für eine Energie-effizienz-Richtlinie verhandelt. In Deutschland haben sich die Energieeffizienzmärkte bisher sehr positiv entwickelt, auch wenn noch weitere Markthindernisse zu überwinden sind. Wie sehen Sie das Verhältnis vom marktorientierten zum ordnungspolitischen Ansatz aus europäischer Pers-pektive?»i

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59PerSPektive euroPa Streitfragen 02|2011

loWe Im Interesse einer besseren Energienutzung befürworte ich entschieden einen marktorientierten Ansatz. Ohne eine gewis­se Regulierung funktionieren die Märkte allerdings nicht rei­bungslos. Indem wir Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz in den Energiedienstleistungsmärkten vorschlagen und den regu­latorischen Rahmen für marktbasierte Energieeffizienzverpflich­tungssysteme schaffen, schlagen wir einen besseren Rahmen für die Bewältigung gegebener Hemmnisse und die Schaffung funkti­onierender Wettbewerbsmärkte für Energiedienstleistungen vor.

Mit Ihrem Vorschlag zur Transparenz und Integrität des Energiegroßhandels hat die Kommission zu Recht ein den Spezifika des Energiegroßhandels angepasstes Regime vor-gelegt. Wie bewerten Sie das Zusammenspiel dieses maß-geschneiderten Regimes mit den aktuellen Vorhaben zur Finanzmarktregulierung, insbesondere der Novelle der Fi-nanzmarktrichtlinie (MiFID)? Droht hier eine Überregulie-rung zu Ungunsten des europäischen Energiebinnenmarktes?

loWe Im Kommissionsvorschlag für die Novelle der Finanz­marktrichtlinie (MiFID), die vielen Energieunternehmen zunächst Sorge bereitete, wurden die erklärten Ziele und die legitimen Inte­ressen der Energiemarktteilnehmer sehr sorgfältig gegeneinander abgewogen. Energieunternehmen fallen nicht unter die Regeln, solange ihre Handelstätigkeit Nebentätigkeit bleibt und nicht zum Hauptgeschäft wird. Wir haben auch klare Kriterien für die entsprechende Einstufung der Handelstätigkeit von Unterneh­men vorgesehen. Dies dürfte Energieversorgern die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit ohne übermäßige Regulierung und Kapitalanforderungen ermöglichen.

In den jüngsten Legislativvorschlägen im Rahmen des Ener-gieinfrastrukturpakets schlagen Sie u.a. Maßnahmen zur Be-schleunigung von Genehmigungsverfahren von sogenann-ten „Projekten von gemeinschaftlichem Interesse“ vor. Was kann die Kommission angesichts des Subsidiaritätsprinzips im nun anstehenden Gesetzgebungsverfahren realistisch er-reichen? Was muss darüber hinaus zur Stärkung der öffent-lichen Akzeptanz von notwendigen Infrastrukturprojekten geschehen?

loWe Die Maßnahmen, die wir in puncto Genehmigungsver­fahren vorgeschlagen haben, bilden einen Rahmen, in dem die Mitgliedstaaten ihre Genehmigungsverfahren weiterhin nach Maßgabe ihrer jeweiligen nationalen Gegebenheiten durchführen können. Wir respektieren also das Subsidiaritätsprinzip voll und ganz. Der Vorschlag begegnet nicht allen Problemen. Er soll priva­ten Investoren mehr Sicherheit hinsichtlich der Verfahrensdauer geben, indem die Verfahren gestrafft und beschleunigt werden. Gleichzeitig soll für uneingeschränkten Umweltschutz und die Einbeziehung der Öffentlichkeit gesorgt werden, indem mehr Transparenz geschaffen und der Öffentlichkeit besserer Zugang zu den Verfahren gewährt wird. Aus diesem Grund stieß der Vor­schlag nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei Nichtregie­rungsorganisationen auf breite Zustimmung.

Sind die für Energieprojekte vorgesehenen 9,1 Milliarden Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts des geschätzten Investitionsbedarfs in Strom- und Gasnetze in Höhe von rund 600 Milliarden Euro bis 2020? Was kann die Kommission tun, um bessere Anreize für innovative Netz-investitionen zu erreichen, insbesondere für intelligente Verteilnetze?

loWe Der Bedarf an Investitionen ist ungeheuer groß und wird in erster Linie durch private Investitionen geschultert, die durch Stromtarife gedeckt werden. Wenn wir unsere EU­2020­Zie­le erreichen wollen, müssen wir mehr als 1 Billion Euro in die Mo­dernisierung und den Ausbau von Erzeugungs­ und Netzinfra­struktur investieren. In Anbetracht dessen kann die mit 9,1 Milliarden Euro ausgestattete Fazilität „Connecting Europe“ in der Tat lediglich Impulse geben, die Privatinvestitionen in trans­europäische Infrastrukturen mobilisieren. Die Fazilität sieht neue Finanzierungsinstrumente wie Darlehensbürgschaften und pro­jektbezogene Anleihen vor, um Projektrisiken zu mindern und gezielte Unterstützung zu leisten. Im Energiesektor sind die Netz­betreiber für die Planung und die entsprechenden Investitionen verantwortlich. Das neue Energieinfrastrukturpaket sieht einen umfassenden Rahmen für die transeuropäische Energieinfra­struktur vor, um es den Betreibern zu ermöglichen, der Investiti­onsherausforderung zu begegnen. Die Maßnahmen zur Beschleu­nigung der Genehmigungsverfahren, zur Erhöhung der Akzeptanz in der Öffentlichkeit und zur Gewährleistung von Kostendeckung und langfristigen Anreizen sind von entscheidender Bedeutung für die rasche Planung und Errichtung der notwendigen Infra­struktur.

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60 Streitfragen 02|2011 WaSSerWirtSchaFt

dr. Fritz holzWarthist Leiter der Unterabteilung WA I Wasser­wirtschaft im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor­sicherheit, Bonn.

01Sie Forderten auF der WaS-SerWirtSchaFtlichen JahreS-tagung die WeiterentWicklung deS benchmarking (leiStungS-vergleich). Warum?

Es müssen sich insgesamt mehr Unterneh­men beteiligen, insbesondere die fehlen­den Großen, damit wir ein repräsentatives Bild erhalten. Zudem haben die bisherigen Leistungsvergleiche weitgehend die öko­nomische Seite im Blick. Hier sollen Opti­mierungspotenziale gefunden werden, die sich in den Wasserpreisen niederschlagen sollen. Die ökonomische Fixierung auf die Leistungsfähigkeit der Wasserversorger muss durch eine qualitative Komponente ergänzt werden, die sich mit den Vorsor­geleistungen in Umwelt­ und Gesund­heitsschutz befasst: Sicheres Trinkwasser braucht Vorsorge im Grundwasserschutz und beim Schutz der Oberflächengewässer. Mit anderen Worten: Die hohe Qualität des Rohwassers entscheidet mit über die Qua­lität des Trinkwassers. Kurz, wir brauchen Nachhaltigkeitskriterien, deren Einhaltung sich bei der Preisbildung niederschlagen darf, weil sie die Ökologie und menschliche Gesundheit berücksichtigen, und zwar so, dass sie für die Menschen nachvollziehbar sind. Das geht aber nur bei mehr Verbind­lichkeit und mehr Vergleichbarkeit. Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht ganz trivial ist, diese Kriterien zu entwickeln und schon gar nicht, sie in den Bilanzen der Wasser­versorger abzubilden. Deshalb führt das Umweltbundesamt derzeit für das BMU ein Forschungsvorhaben durch, das dafür die wissenschaftlichen Grundlagen legen soll.

02Sie Fordern, daSS ergebniSSe von benchmarking-ProzeSSen nachvollziehbar, vergleich-bar und belaStbar Sein müSSen. WaS meinen Sie damit?

Das bedeutet, in Euro und Cent sagen zu können, was für den vorsorgenden Ge­wässerschutz und für die Sicherung der Rohwasserqualität ausgegeben wird. Da­rin liegen auch die Gründe, warum sich die Umweltseite an der Transparenzdis­kussion beteiligt, denn zwischen Gewäs­serschutz und Trinkwasserversorgung be­stehen enge Verbindungen und Synergien; denken Sie nur an die Kooperationen zwi­schen Wasserversorgern und Landwirten zur Sicherung von Rohwasservorkommen.

03 Sie Stellen Sich einen zeitraum von FünF Jahren Für die umSet-zung vor. WaS PaSSiert dann? und könnte daS „branchenbild der deutSchen WaSSerWirt-SchaFt 2011“ eine baSiS Für eine zukünFtige SelbStverPFlich-tung Sein?

Zunächst geht es darum, die vorhandenen Ansätze in der gesamten Branche zu etab­lieren, d.h. Kennzahlensysteme zu nutzen, die Leistungen und Kosten im Umwelt­ und Gesundheitsschutz offen darzulegen und zu kommunizieren. Dazu gehört es, Kennzahlensysteme einzuführen, an de­nen sich auch kleine Wasserversorger be­teiligen können. Die Verbändeerklärung von 2005 bietet eine Grundlage für eine notwendige Weiterentwicklung. Eine ab­gestimmte und bundesweit verbindliche Festlegung bei den Kennzahlen ist not­wendig, die Verbände müssen dann für die Durchsetzung sorgen. Nach fünf Jahren

sollte dann eine Evaluierung des freiwil­ligen Benchmarking erfolgen. Wenn der freiwillige Weg erfolgreich war, gibt es keinen Anlass, einen anderen Weg zu be­schreiten. Sollte das Ergebnis allerdings nicht befriedigend ausfallen, müsste die Diskussion um ein rechtlich verbindliches Benchmarking geführt werden. Andere Optionen, wie z.B. die auch gelegentlich angeregte Wasserpreisregulierungsbehör­de, halten wir angesichts des damit ver­bundenen bürokratischen Aufwands für einen Irrweg.

Mit dem Branchenbild hat die Was­serwirtschaft sich selbst auf den Prüfstand gestellt und zeigt, welches Verbesserungs­ und Leistungsfähigkeitspozential bereits ausgeschöpft wurde. Aus meiner Sicht reicht das Nachhaltigkeitskapitel leider zu kurz. Hier müssten die Vorsorgeleistungen für den Umwelt­ und Gesundheitsschutz besser zur Geltung kommen. Der jetzt vorliegende Bericht zielt auf die Fachöf­fentlichkeit und Politik. Dafür ist das Branchenbild gut geeignet. Es ersetzt aber nicht ein Kennzahlensystem, das die brei­te Öffentlichkeit informiert und ihr die Sinnhaftigkeit der Investitionen in Um­welt­ und Gesundheitsschutz nahebringt. Und dazu gehört auch, dass der Leistung ein Preis gegenübergestellt werden muss, den der einzelne Verbraucher nachvollzie­hen kann. Diese Angaben fehlen im Bran­chenbild. Auch wenn wir uns hier auf die Wasserversorgung konzentrieren, so ent­hält das Branchenbild auch die Abwasser­beseitigung. Für die Abwasserbeseitigung gelten Transparenz, Vergleichbarkeit und Nachhaltigkeit als Anforderungen in glei­cher Weise. Wasserversorgung und Ab­wasserreinigung sind zwei Seiten einer Medaille, die nicht voneinander zu tren­nen sind. Abwasserreinigung entscheidet mit über die Rohwasserqualität in Oberflä­chengewässern, die der Wasserversorgung dienen.

drei Fragen an dr. Fritz holzWarth

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fotolia: Titelseite; BDEW / Roland Horn: U2, S. 2, 22–23, 25, 32–33, 36–37, 42–43, 44; BDEW / Werner Schüring: S. 2, 16, 19, 20, 28, 30; Andreas Chudowski: S. 4, 6–7, 8

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Redaktionsschluss:November 2011

Herausgeber BDEW BunDEsvErBanD DEr EnErgiE- unD WassErWirtschaft E. v.