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Thomas A. Bauer, Universität Wien 1. Lehren und Lernen in der Mediengesellschaft. Von der Wissensvermittlung zur Wissensverständigung Wo und wie entstehen, wie begründen sich und wie rechtfertigen sich bildungstheoretisch Innovationen im Kontext der Lehr-Lern-Kommunikation? Warum sind sie und warum halten wir sie für notwendig? Wie begründet sich die Selbstverständlichkeit, mit der Innovationen des Lehrens und Lernens vor allem im Stellglied der Medien bzw. der Vermittlung vermutet, erwartet oder für notwendig erachtet werden? Warum da? Warum nicht an anderen Stellen, wenn überhaupt an isolierten Stellen? Warum nicht viel radikaler als es manchmal geschieht - in den Inhalten, in den Lehr- und Lernplänen, in den Lernumgebungen, in den gesellschaftlichen Bedingungszusammenhängen, warum nicht in den Vorstellungen der möglichen Nutzung von Wissen und Bildung? Geht es wirklich (nur oder zuerst) um Effektivität der Vermittlung? Ist es die Dominanz einer Mediengesellschaft, die von vorneherein unterstellt, dass es „die Medien“ seien, die die vermuteten Schwächen der Vermittlung kompensieren könnten? Ist denn Vermittlung eine aus dem Geschehen isolierbare – und deshalb auch austauschbare – Funktionsfigur? Vermittelt „das Medium“ oder der Zusammenhang, in dem das Medium gebraucht wird? Und 1

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Thomas A. Bauer, Universität Wien

1. Lehren und Lernen in der Mediengesellschaft.Von der Wissensvermittlung zur Wissensverständigung

Wo und wie entstehen, wie begründen sich und wie rechtfertigen sich bildungstheoretisch Innovationen im Kontext der Lehr-Lern-Kommunikation? Warum sind sie und warum halten wir sie für notwendig? Wie begründet sich die Selbstverständlichkeit, mit der Innovationen des Lehrens und Lernens vor allem im Stellglied der Medien bzw. der Vermittlung vermutet, erwartet oder für notwendig erachtet werden? Warum da? Warum nicht an anderen Stellen, wenn überhaupt an isolierten Stellen? Warum nicht viel radikaler als es manchmal geschieht - in den Inhalten, in den Lehr- und Lernplänen, in den Lernumgebungen, in den gesellschaftlichen Bedingungszusammenhängen, warum nicht in den Vorstellungen der möglichen Nutzung von Wissen und Bildung? Geht es wirklich (nur oder zuerst) um Effektivität der Vermittlung? Ist es die Dominanz einer Mediengesellschaft, die von vorneherein unterstellt, dass es „die Medien“ seien, die die vermuteten Schwächen der Vermittlung kompensieren könnten? Ist denn Vermittlung eine aus dem Geschehen isolierbare – und deshalb auch austauschbare – Funktionsfigur? Vermittelt „das Medium“ oder der Zusammenhang, in dem das Medium gebraucht wird? Und wenn es so wäre, was bedeutet es dann für das Lehr- und Lerngeschehen zu wissen, dass im Kontext einer (kulturtheoretisch erklärten) Mediengesellschaft nicht mehr Bildungsmedien, sondern Medienbildung das Postulat der Stunde ist? Demzufolge wäre es dann notwendig den Kausalzusammenhang anders (postmodern) ausgerichtet zu denken, jedenfalls anders als im Kontext einer modernen Logik, eben nicht von Bildungsmedien, sondern von Medienbildung, nicht (mehr) von Religionsmedien, sondern von Medienreligion, nicht (mehr) von Politikmedien, sondern von Medienpolitik, nicht (mehr) von Kulturmedien, sondern von Medienkultur.

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Um ein im Umfeld (im Sinne der Tradition der Moderne) der Medienpädagogik gern gebrauchtes Diktum umzuwandeln: Die Frage ist nicht, was die Medien mit der Bildung machen, sondern: was die Bildung mit den Medien macht? (vgl. Teichert 1972). Was ist die Medienlogik von Bildung und was die Bildungslogik von Medien? In diesem Sinne muss man nicht mehr davon sprechen, dass Bildung die Medien für sich instrumentalisiert, es ist längst andersrum: Die Medien instrumentalisieren Bildung, was aber sozialtheoretisch formuliert heißt: im Gebrauch von Medien konstruiert die Gesellschaft die Welt der Bildung, der Religion, der Politik etc. Der Mediendiskurs interveniert in alle anderen Diskurse, vor allem in jene der Bildung. Die Kommunikation der Gesellschaft ist erst dann kulturell gesichert, wenn die Gesellschaft von sich eine kulturelle Konzeption als eine Gesellschaft der Kommunikation hat. Kultur braucht Kommunikation wie Kommunikation Kultur braucht. Beide Momente begründen sich gegenseitig im Kontext der sozialen Praxis – und nur in diesem macht es Sinn die Institutionen der Bildung als Orte gesellschaftlicher Kommunikation zu reflektieren.

Strukturwandel und Innovationslogik

Die folgende Abhandlung versucht das Anliegen der Innovation des Lehrens über die Reflexion des sozialen Zusammenhangs von e-Teaching und e- Learning im Hinblick auf die Themenstellung des Projektes aufzuarbeiten. Allerdings soll hier ganz bewusst nicht auf auch relevante Einzelfragestellungen eingegangen werden. Vielmehr soll dieser erste Text zu den folgenden in diesem Projekt erarbeiteten Texten einen groß ausgelegten meta-theoretischen Überbau zu den weiteren thematisch etwas verstreuten Zugängen darstellen. Deutlich soll dabei werden, dass es sich beim Lernen in institutionellem Kontext um einen Handlungszusammenhang handelt, der theoretisch im Bereich von Gesellschaftstheorie und Gesellschaftspolitik anzusiedeln ist, also unmittelbar zu tun hat mit dem Phänomen des sozialen Wandels. Weil es sich aber bei der Analyse von e-Teaching und e-Learning aber auch um Themen der Kommunikation und ihrer Medien handelt, ist das Konzept des sozialen und kulturellen Wandels und dessen Ausformung in den Kommunikationsmustern der Medienkommunikation von Bildungsinstitutionen abzufragen. Das kommunikative Rahmenwerk des Unterrichts wird in der konkreten Praxis zunehmend an Medientechnologien und medienästhetische Funktions-vorstellungen delegiert. Die wirft die Frage auf, warum man meint, dass der Gebrauch von Medien den Unterricht besser bewerkstelligen könne als zwischenmenschliche Kommunikationsmuster zu leisten imstande seien.

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Dazu kommt, dass die kommunikationskulturellen Rahmenbedingungen im Kontext demokratietheoretisch gestützter Vorstellungen einer offenen Gesellschaft vor allem im Kontext des institutionellen Unterrichts ja nicht einfacher werden. Sozialer, gesellschaftlicher, kultureller und medialer Wandel fallen also in eins im Fluss einer prinzipiellen, zentralen und nicht nur peripheren Zone des generellen Verständnisses von Gesellschaftlichkeit als konkretem Wert des individuellen Lebens.

Zugleich muss hier auch nochmals deutlich gemacht werden, dass im Kontext der Entwicklung von e-Teaching und e-Learning Konzepten schon seit einiger Zeit nicht (mehr) nur von kategorialen und spezifisch für den Unterricht arrangierten Medien oder Medienprogrammen die Rede sein kann, sondern mehr denn je zuvor von den allgemein gesellschaftlich in Gebrauch befindlichen Medien, den distributiven Medienprogrammen (elektronische Medien) und den zunehmend in alle Funktionsbereiche des gesellschaftlichen Lebens sich einmischenden oder eingemischten Netzmedien (z. B. Suchprogramme.). Dass die stark wachsenden social-media Netzwerke diesen Trend nicht nur übernehmen, sondern ihn sogar beschleunigen und differentiell vervielfältigen, stellt nun tatsächlich die bisherige Fragestellung auf den Kopf. Diese war: was macht man im Unterricht oder was macht der Unterricht mit den Medien? Nun heißt sie: was machen die Medien mit dem Unterricht oder wie mache die Medien Unterricht?

Eine dritte Perspektive muss hier bemüht werden, nämlich die der schon angesprochenen Veränderung der gesellschaftlichen Kultur wechselseitig sozialer Wahrnehmung (Kommunikationsverhältnisse) von betont hierarchischen zu betont heterarchischen sowie von eher diskursiven zu eher dialogischen Modellen der sozialen Praxis im Unterricht. In diesen Umstellungsprozessen der Beziehungsmuster von Macht/Herrschaft und Unterordnungsverhältnissen zu solchen der sozialen Gleichwertigkeit trotz gesellschaftlicher Kennzeichnung von Unterschiedlichkeit (Rangordnungen auf der Basis von Position, Funktion, Wissen, Autorität, Kompetenz, Verantwortung) spiegelt sich zuallererst der soziale Paradigmenwechsel im Phänomen des sozialen Wandels. Will man diesem Phänomen theoretisch gerecht werden, dann braucht es eine (programmatische) Umstellung des Begriffes Unterricht von dem (doch) etwas herrschaftspolitisch besetzten Sprachmodell zu einer kommunikationsdefinierten Beschreibungsmetapher, mein Vorschlag – zumindest für die theoretische Debatte: Wissensverständigung. Der Begriff insinuiert die Voraussetzung der Verständigung auf zwei Ebenen (vgl. Watzlawick / Bavelas / Jackson / 1974): Sachverständigung und Beziehungsverständigung: Das baut auf Verständlichkeit (die im Modell von Medien um Ästhetik-Dimensionen

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erweitert werden kann, die der Mensch der Knappheitsprobleme von Zeit, Ressourcen, Strukturen und Begrifflichkeit und Anschaulichkeit wegen so nicht zu leisten imstande wäre, um die individuell unterschiedlich ausgeprägten Kapazitäten von Verstand und Verstehen so auszuschöpfen, dass zum einen aus Informationen für jetzt und später gebrauchsfähige Wissensformationen werden. Der Begriff der (Wissens-)Verständigung referiert auch auf das für das Gelingen der Verständigungskommunikation entscheidende Beziehungsmoment, aus dem sich – in Abwandlung von Halls Encoding-Decoding- These (vgl. Hall 1999) Habitate des funktionalen, des angepassten, des oppositionellen oder dissipativen Lernens begründen

Die Vorstellung dahinter ist, dass nicht entscheidend ist, ob und wie Lehre und Lernen medientechnologisch aus- oder hochgerüstet sind, sondern dass Lehre und Lernen sich funktional und sozial dadurch zueinander vermittelt wissen, dass sie auf ein für beide relevantes und für beider Interessen kompatibles Resonanzmodell angewiesen sind (in allen Kategorien: Mediengebrauch / Medientechnologe / Medienästhetik), von dem die Institution sowie die in ihr strukturierten Rollen von Lehre und Lernen überzeugt sind, dass sie als Referenz für die Werte von Inhalt und Inhaltsästhetik, Aufmerksamkeit und Merkbereitschaft, Stimmigkeit und Gültigkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit, Achtung und Commitment zu stehen in der Lage sind. Diese theoretische Perspektive nennt sich Mediologie (Debray 2003, Hartmann 2003). Sie versteht sich nicht als Theorie der Medien, sondern interdisziplinär entwickelte Theorie der Medialität von Kultur. Sie steht für eine kulturtheoretische Konzeption des in symbolischer Interaktion begründeten und darin kontextuell gerahmten Mediengebrauchs. Es geht also nicht zuerst, wenn auch, um die Logik der Medialität gesellschaftlicher Verständigung (vgl. Bauer 2014: 188 f.), sondern um die Logik der Beobachtung von gesellschaftlicher Verständigungskultur (hier: Wissensverständigung) unter Achtung ihrer medialen Charakteristik. Zu deutsch und bezogen auf unser Thema: Lehren und Lernen versteht sich in der Konzeption der Mediologie als eine durch die Wahl entsprechender Symbole und Gesten geschaffene Situation von Aufmerksamkeit und Bedeutung sowie als ein auf dieser Basis begründeter Prozess der Verständigung zu Wissen und zu Wissenswertem, bewerkstelligt über ein Ensemble von methodisch-didaktisch, technisch und sozial bestimmten Faktoren symbolisch vermittelter Interaktion. Die Hypothese dahinter ist: die Chance auf die bewusste Wahrnehmung von Wissenswertem und auf das Einverständnis (Agreement) zu Merkenswertem (Behaltenswert) steigert sich mit dem zunehmender Qualität und Dichte der medial-symbolischen Aufladung der Lehr-und Lern- Interaktion.

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Die mediologische Perspektive schließt dabei durchaus auch den nicht unmittelbar mit der Lehrmaterie und dem Lehrgeschehen verbundenen, aber doch affiliierten Mediendiskurs mit ein. Lehrinhalte und Wissenszusammenhänge werden umso höher und bedeutender gewichtet, je näher deren Syntax, Semantik und Pragmatik an allgemein zur Verfügung stehende Medienmuster angeschlossen sind, je dichter sie anschließen oder zu diesen Anschlussbezüge aufweisen (Anschlusswert). Das Nutzen-Kosten-Denkmodell (Uses- and Gratification- Approach: Katz 1974 ) würde die Rolle des Lernenden als aktive Wahrnehmung von Interessen, als darauf ausgerichtete, selektive Beobachtung beschreiben und daher den medien-affinen Zusammenhang von Lehren und Lernen als Vorgang der wechselseitig genützten und zugewiesenen Bestätigung (Belohnung) interpretieren. Zugleich aber besagt die mediologische Interpretation dieser Hypothese auch, dass der mediengestützte Lehr-und Lernzusammenhang nicht als lineares Geschehen zwischen Lehr- und Lerner-Rolle zu verstehen sei, sondern als zirkulär- transaktionales (Früh / Schönbach 1982) und darüber hinaus als kontextuelles, intermediär vermitteltes Geschehen der Deutung von Beziehungen zwischen Lehrer und Lerner, sowie den Bezügen zwischen Lebenswelt und Lernumgebung. Diese Annahme wird im Hinblick auf eine zunehmende Nutzung von Social Media im Lehr- und Lernzusammenhang (mobile Learning, medial vernetztes Lehren und Lernen) nicht nur eine wichtige Interpretation, sondern auch eine bedeutende Argumentation der Entwicklung darstellen. Die Diffusionsdynamik von Social Media (derzeit: facebook) hängt unmittelbar mit dem hohen und zugleich diversifiziertem Belohnungsfaktor zusammen: die halböffentliche soziale Präsenz, die Ästhetisierbarkeit der Selbstdarstellung, die mit dem Prädikat der Freundschaft besetzte Beziehung zu anderen Nutzern, die Visualisierung der eigenen Botschaften und das visuelle Einsehen der Botschaften anderer entsprechend eigener und anderer Listen, nicht zuletzt die Möglichkeiten der spontanen Interaktion, der Spielcharakter des Designs und die Animation der eigenen Programmierung (Social Games, Voting Apps) und der Nutzung von Technologien der Navigation und der Gamification, gar nicht zu reden von den überall und jederzeit zur Verfügung stehenden Einstiegs- wie Ausstiegsoptionen - all dies (vgl. Köhler / Kahnwald 2012: 199 ff.) schafft ein generalisiertes Ökosystem der Gratifikationsnischen, dem man sich in einer medienvernetzten Gesellschaft nicht entziehen kann oder möchte: Das mediale Vergnügen gilt längst als Komponente von Zufriedenheit und (möglicherweise) affirmativer Akzeptanz der „schönen neuen Welt“ (vgl. Huxley 1932). Längst ist das nicht mehr Dystopie. Die neuen Medienmodelle und entsprechende Medientechnologien stützen diese Vorstellung der Leichtigkeit der Welt durch den Abbau von Schwellen oder von sozial diskriminierenden Zugangsschleusen und setzen die Parolen der

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Allverfüglichkeit von Information, Wissen und/oder Meinung (anything goes any time, anyhow) in allen medienästhetischen Mustern (Sprache, Bild) auf das allgemeine Display und trivialisieren auf diese Weise die sozialpolitischen Vorstellungen von Autonomie, Freiheit, Zuständigkeit und Verantwortung. Aus dieser Perspektive der Beobachtung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse ergibt sich ein methodologisches Modell der medien- und kommunikationstheoretischen Analyse des Verhältnisses von Bildung (Unterricht) und Medien, besser: zwischen der Medialität von Gesellschaft und den Programmen der Wissensverständigung im Kontext institutionalisierter Bildung und Ausbildung.

Theoretische Ausrichtung der Problemperspektive

Unterrichtszusammenhänge sind immer schon als Verhältnisse der Kommunikation, der Beziehung zwischen Menschen, wenn auch in Rollen beschrieben, bzw. der sozialen Interaktion analysiert und daher im Paradigma kommunikativer Logik theoretisch interpretiert worden: Motivation, Inspiration, Inhaltsqualität, Inhaltsverständnis, Darstellungsrhetorik, soziales Ambiente und Rollenbeziehungen etc. Alles was die Qualität von Unterricht ausmacht, wurde und wird aus den kulturellen Programmen von Kommunikation abgeleitet. Dabei geraten sowohl deren Chancen und Vorzüge wie auch deren Herausforderungen und Zumutungen in den kritischen Blick. Grenzen der Qualität wurden und werden schnell ausgemacht, wenn die äußeren quantitativen Strukturen (Anzahl der Schüler, Ausmaß des Stoffes, Menge der Gebiete und Disziplinen, Messgrößen von Zeit und Aufmerksamkeit, Betreuungsverhältnisse etc.) die Schwelle der Zumutbarkeit oder der unmittelbaren Wahrnehmung zu werden droht. Das bleibt (leider) weithin auch so im Umfeld der Feststellung zunehmend medialisierter Unterrichtskommunikation. Sich im Umfeld der Frage, wie diese Veränderung der Kommunikationsbedingungen sich auf die Qualität und auf den Effekt des Unterrichts auswirken, darauf zu beschränken, wie die langfristigen Wirkungen und die kurzfristigen Effekte der medial angereicherten Rolle des Lehrens zu verstehen oder zu beeinflussen wären – sich darauf zu beschränken wäre aber, wie ich darstellen und begründen möchte, eine wissenschaftlich ungerechtfertigte Einschränkung, weil seine solche Einschränkung sich als simple Affirmation der eingeübten Praxis herausstellen würde. Da sich mit dem Medienwandel im institutionellen Kontext von Wissensvermittlung und Bildung nicht einfach Elemente des Unterrichts ändern, sondern das gesamte Koordinatensystem von gesellschaftlicher Bildungspolitik, und sich überdies dieser spezifische Medienwandel in enger medienkultureller Verbindung mit dem

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gesamtgesellschaftlichen Medienwandel ereignet, kann sich die Analyse von Medien der Wissensvermittlung nicht auf Organisationsfragen des Mediengebrauchs im institutionell strukturierten Unterricht beschränken, sondern muss diese Fragestellung einbinden in ein größeres und umfassenderes Problemgebilde. Im Kontext wissenschaftlicher Analyse muss man ohnedies fragen, mit welchen Wahrnehmungsmodellen man sich warum und wie auf welche Problemstellen konzentriert. E-Teaching und E-Learning sind Funktionsbegriffe, die das kulturelle Modell des Lehr- und Lernzusammenhangs nicht fassen. Das Verständnis für einen Zusammenhang kommt ja (zumindest nach dem Verständnis systemischer bzw. auch systemtheoretischer Analyse) nicht deshalb zustande, wenn oder weil man Erklärungen einer Kausalkette ausmachen oder nachvollziehen kann, sondern, wenn und weil man ein Modell von Sinn als Kriterium der Unterscheidung heranzieht, mit dem man zwischen einem (als System erkannten) Zusammenhang von dessen Umwelt unterschieden deutet (vgl. Luhmann 1984: 110 ff.).

Der mögliche Sinn erschließt sich nicht nur als „Einheit der Differenz“ von aktuellem und möglichem (letztlich kontingentem) Sinn, wie Luhmann (1984:110) konstatiert, sondern auch – und das mag hier im Sinne einer kritischen Theorie der Unterrichtskommunikation von noch größerer Relevanz sein – aus der Insinuation von Nutzen, Ästhetik und Ethik eines Vorstellungs-, Beobachtungs- oder Handlungszusammenhangs. Es geht um die Horizonte der Hoffnung (vgl. Edmair 1968:63), um die Rahmenvorstellung der Entwicklung und die Zielvorstellungen des vernünftig Möglichen und der möglichen Vernunft: auf welches Vernunftmodell bezieht sich und aus welchem begründet sich der aktuelle Nutzen der sich steigernden Mediatisierung von Unterricht im Verhältnis zu dem weitest gefassten möglichen Nutzen? Wie und in welchem Modell von Qualität schafft der sich erweiternde Mediengebrauch im sozialen Zusammenhang von Lehren und Lernen ein Wahrnehmungsmodell von individueller und gesellschaftlicher Existenz, das jenes überbietet, das sich aktuell behauptet. Und aus welcher Ethik begründet sich der Wandel und welche (neuen) ethischen Postulate stellen sich mit ihm?

In Bezug auf die Sinnfrage müssen die bestehend Verhältnisse der Wissensverteilung in einem größeren Zusammenhang relativiert und aus diesem Zusammenhang durch einen weiter gefassten Begriff, dem von Wissensverständigung oder Bildungsverständigung) - zumindest im Kontext der Analyse und der theoretischen Interpretation – ersetzt werden. Im Blick auf einen weiten und gesellschaftstheoretisch relevanten Problematisierungshorizont ist es also hier nicht die Absicht die Organisationsthemen oder die handlungstechnischen Probleme von e-

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Teaching (und wenn auch: unter Einrechnung solcher von e-Learning) aufzulisten oder aufzuarbeiten, auch nicht die der Medientechnologie oder der Mediendidaktik, sondern die gesellschaftskulturellen und gesellschaftspolitischen Deutungen des Medienwandels, die Umstellung der Vorstellungen von Kompetenz und Performanz der Kommunikations- sowie der Medialitätsmodelle der Gesellschaft, gespiegelt im Kontext von Unterricht und Ausbildung: vom Personenmodell des Unterrichts im institutionellen Kontext zum Medienmodell gesellschaftlicher Wissensverständigung - zur Diskussion zu stellen: was ist das Lernkulturmodell einer Wissensgesellschaft im Kontext ihrer zunehmenden Medialisierung und Mediatisierung der sozialen Konstruktion von Wissenszusammenhängen (vgl. Bauer 2014: 327 f., Bauer 2014 a: 27, Krotz 2008: 50 f.)? Dabei geht es ja nicht nur um Erweiterungen von Inhalt, Reichweite oder Kompetenz von als interpersonale Kommunikation verstandenen Zusammenhängen zu nun medial gekennzeichneten, sondern um Hintergründigeres: es geht um neue, gesellschaftspolitisch geprüfte Paradigmata der auf Wissen und Bildung gestützten Verständigung einer global vernetzten, daher transkulturell geprägten Gesellschaft über sich selbst, ihren Bestand und ihre Entwicklung – und das unter Einrechnung der Chancen und Herausforderungen des Individuums. In diesem Sinne versteht sich die folgende Abhandlung als Skizze zur Mediologie der gesellschaftlichen Wissensverständigung, zugleich als Versuch einer theoretischen Deutung des im Kontext der Mediengesellschaft zunehmend thematisierten sozialen Wandels. Es mag sich aufdrängen, hier von Bildungsverständigung zu sprechen, was denn doch auch etwas anderes meint als Wissensverständigung, weil Wissen und Bildung im Kontext gegenwärtiger Funktionalisierungsmodelle von Wissen nicht unbedingt ein unauflösbares Paar darstellen (vgl. Weber 2011: 30), aber ein solches Verlangen müsste dann doch in einem noch weiter gefassten Rahmen erläutert und begründet werden.

Die Gesellschaftlichkeit von Lehren und Lernen

Da Wissensvermittlung im Modell von Lehren und Lernen ja nicht einfach ein unter Individuen privat veranstaltetes Geschehen ist, sondern ein Interaktionszusammenhang, der so zustande kommt wie er es tut, indem die beiden (und andere) Beteiligte durch ein gesellschaftlich in Gang gehaltenes Verfahren sich als Partner institutioneller und darin eingeschriebener individueller Interessen wieder finden, kann auch die wissenschaftliche Analyse nicht auf ein Kommunikations- oder Interaktionsverhältnis quasi privater Natur reduziert werden. Es reicht also schlicht nicht aus, den Handlungszusammenhang von Lehren und Lernen,

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und wenn man ihn hundertmal über das Modell von Kommunikation verständlich machen, auch nur als solchen zu problematisieren. Der hier im Modell von Kommunikation skizzierbare und meist auf diesen Vorgang ist mehr: er ist, weil gesellschaftlich strukturiert, institutionalisiert und organisiert, ein gesellschaftspolitischer Komplex, dessen Kommunikationsmuster auch gesellschaftspolitisch und gesellschaftstheoretisch interpretiert werden muss. Das gilt auch für die Feststellung der strukturellen Veränderung und der Umstellung von personalen Mustern der Kommunikation auf medientypische Muster. Gerade dieser Umstand und die Strategie, den gesellschaftlichen Erwartungen bzw. dem Druck (Bildung im Kontext gesamtgesellschaftlicher Entwicklung) durch zunehmend medientechnologisch besetzte Lösungen und Interventionen zu bewältigen, macht deutlich, dass die eigentliche Problemlage nicht in einem naiven sozialen Kommunikationsverhältnis von Mensch zu Mensch zu suchen ist, sondern in dessen gesellschaftsstruktureller Aufladung durch Institution, Organisation. Die Probleme des Unterrichts, des Verhältnisses von Lehren und Lernen sind nicht Kommunikationsprobleme der Organisation von Lehren und Lernen, sondern Organisationsprobleme von mit gesellschaftlichen Interessen aufgeladener Kommunikation: erst durch diesen Bezug auf Programme der Selbstorganisation und der Sorge der Gesellschaft um sich selbst – wenn auch verstanden als das strukturelle Ambiente, in dem sich Menschen sozial verständigen - werden zwischenmenschliche Kommunikationsverhältnisse zu gesellschaftlich sanktionierten und auf Rollenmodelle erweiterte Interaktionsverhältnisse, in die sich Programme, Interessen, Erwartungen und Kontrollen einer organisierten Gesellschaft einschreiben. Aus eben diesem Grunde wäre es oder ist es zu kurz gegriffen, wenn man – wie es viele, vermutlich die meisten Analysen unter dem Titel „Medien im Unterricht“ oder „Mediendidaktik“ tun (vgl. z.B. Tulodzieki / Herzig / Grafe 2010).) - die theoretische Interpretation des Phänomens der zunehmenden Medialisierung (oder Mediatisierung) gesellschaftlich organisierter Wissensverständigung auf die durch Medien oder wegen der Medien sich verändernde Kommunikation unter Beteiligten beschränken wollte. Das Phänomen fokussiert sich vielleicht in diesem Bild, ist aber bedeutend weiter und gesellschaftstheoretisch grundsätzlicher aufzufassen.

Wenn man Gesellschaft als den Zusammenhang versteht, durch den sie sich konstituiert – nämlich durch das programmatische Zusammenspiel von Kommunikation und Organisation, dann kann man auch ihre laufende Veränderung (also auch deren mögliche Andersheit) als einen Zusammenhang verstehen, der sich durch Kommunikation und Organisation begründet: der soziale Wandel nicht als Effekt von Zeitprozessen, sondern als Prinzip der (Vorstellungen) von Gesellschaft,

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nicht trotz, sondern wegen differenzierender Prozesse von Zeit, Themen und Beziehungen und in der Verständigung der Beobachtung ihrer Veränderung das darzustellen, was sie laufend versucht zu sein: die Gesellschaft der Gesellschaft (vgl. Luhmann 1997).

Man muss sich in diesem Kontext des Versuches den kulturellen und sozialen Wandel der Gesellschaft als Herausforderung ihrer Komplexität zu deuten auch der darin sich bergenden Chancen bewusst werden: die gegenwärtige Gesellschaft organisiert und kontaktiert sich strukturell zunehmend auf einer technologisch mediatisierten, im kulturellen Sinne auf einer medial ästhetisierten Ebene der Repräsentation, wahrnehmbar und beobachtbar in diversen, durch die Medienkommunikation verknüpften Diskursen. Die Welt ist wie wir sie denken – und im Kontext einer Mediengesellschaft denken wir sie – eben – medial, also im Modus der Medien, beziehen unser Verständnis in konstanter Referenz zu deren Diskursangeboten, immer und überall, von und an jedem Ort und jederzeit und immer irgendwie. Die (ganze) Welt ist (im Modus des Medienverständnisses) dort, wo wir sind, so wie wir sind und dann, wenn wir sind. Denn immer sind wir – gesellschaftlich, was wir sind, der kommunikativen bzw. medial referenzierten und interpretierten Existenz wegen (vgl. Pelzl 2011: 24). Das gehört einerseits zur „knowledgeabiliy“ eines Menschen unserer Zeit (vgl, Giddens: 1984: 21, 2001), es strukturiert das Verständnis dessen, was wir tun und was wir sind, muss man also als Teil des praktischen Wissens der Menschen unserer Zeit unterstellen, es eröffnet andererseits die Option der strukturellen und inhaltlichen Grenzenlosigkeit der möglichen Verbindungen, wie es aber auch das Entstehen von fragilen Zonen fördert (Stehr 2000). Strukturelle und sektorale Konvergenzen eröffnen synergetische Potenziale, konzentrieren aber auch zunehmend auf Machtakkumulationen in wenigen Händen. Diese Vernetzung von Relationalität und relationalem Potenzial vervielfältigt und verdichtet die Kontakt- und Anschlussstellen, absorbiert dabei aber auch kleinklimatische und mikrostrukturelle Kulturen und Relationen. Zu Gunsten der jeweils größeren Dimension erweitern sie die Möglichkeiten und Chancen der Erreichbarkeit (achievements) wie der Zugänglichkeit (accessability), sie mobilisieren und flexibilisieren die informationelle, interaktionale und soziale Durchlässigkeit bei gleichzeitiger Nivellierung und Standardisierung von Formen und Inhalten, sie werden aber auch gerade dieser fast beliebigen Optionen wegen zunehmend zu den kritischen Stellen dieser Gesellschaft. Die multioptionale Gesellschaft befreit sich zunehmend von inneren Grenzen und kommt umso sicherer an die Grenzen der Identifikation von Sinn.

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Zugleich ist die Zunahme der Medienpräsenz in allen Lebensbereichen als eine Zunahme der Vernetzung und der Vernetzungsdichte aufzufassen. Die Vernetzungsvorgänge sind sowohl horizontal (von Wirtschaft zu Wirtschaft, von Politik zu Politik, von Bildungssystem zu Bildungssystem), vertikal (z.B. finden sich global relevante Entscheidungsvorgänge in nationalen oder regionalen Wirtschafts- oder Bildungssystemen wieder), aber auch diagonal, so z.B. von globaler Wirtschaft zu regionalen Kulturen oder von regionalen Lebensstilen zu globalen Wirtschaftsfolgen. In einer so komplex verdichteten Gesellschaft sind die kritischen Momente und Bruchstellen vermutlich nicht (mehr so sehr) in den Strukturen und Systemen (Hardware) zu suchen, sondern in den Funktionen der Programme und deren situative Bedeutungen des Gebrauchs, also in der kommunikativen Qualität der relationalen Existenz organisierter Systeme: Vertrauen, Verlässlichkeit, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Verantwortung, soziale Wahrnehmung, um einige dieser Qualitäten begrifflich zu machen, sind das Überlebensthema der avancierten Mediengesellschaft (vgl. Münch 1995).

Im Spiel der Rollen:Lehren und Lernen gehören zusammen wie Schreiben und Lesen. Man lehrt, damit ein anderer lernt und man schreibt, damit ein anderer liest. In dieser einfachen Skizze verbergen sich aber komplexe Blaupausen intentionaler Kommunikation, jeweils auch eingebunden in Rollenvorstellungen: Lehren begründet Position, Funktion und Autorität des Lehrers, Lernen begründet Position, Funktion und Status des Schülers, nun gerne auch „Lerner“ genannt. Die Umbenennung des Schülers macht die Sensibilität deutlich, mit der man die Position des Schülers in demokratisch verfassten Lebenszusammenhängen bewertet wissen möchte: jedenfalls nicht als Unterordnung, sondern als Zuordnung. Zugleich macht die Bezeichnung dieser Position als „Lerner“ das Rollenaustauschmodell auf einer funktionalen Ebene deutlich: Lehrer und Lerner sind zueinander durch jeweils definierbare und definierte Leistungen sowie wechselseitig darauf gerichtete Erwartungen zueinander verbunden. Und: die Rollen sind unter gegebenen Umständen – zum Beispiel, wenn sich die Zugänge zu wissen verändern - tauschbar, selbst wenn die Funktionserwartungen (der eine lehrt, der andere lernt) so bleiben. Lehren und Lernen werden als an Einzelindividuen gebundene Leistungen verstanden, die ein personell, vielleicht auch partnerschaftlich definiertes Subsystem im Rahmen von übergeordneten organisierten Systemen bilden die solche Rollen überhaupt erst möglich machen: Schule, Meisterei und andere anders definierte vom Grundmodell Schule abgeleiteten Organisationen des Transfers von Wissen.

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Die Rollen werden in der Regel auf der Ebene von Erwartungen, Kompetenzen und Funktionen beschrieben, nicht nur um zu, sondern weil man das Verhältnis von Lehren und Lernen als ein durch Kommunikation gekennzeichnetes und kennzeichenbares versteht. Das ist Teil oder Perspektive eines Kulturprogramms (vgl. Schmidt 2003: 38 f.), das von der Vorstellung ausgeht, dass die Herausforderungen des Lebens (aus Innenwelt und Umwelt) nur unter der Bedingung des Teilens und Verbindens, des Geben und Nehmens von Wahrnehmung, Erfahrung, Beobachtung, Wissen und Verantwortung.

Unter Bezug auf den Mediencharakter der Wissenskommunikation als Referenz der Verständigung im institutionellen Kontext (Schulsysteme) lässt sich aber auch der Rollentausch argumentieren. Das System würde deshalb nicht zusammenbrechen, es würde (müsste) sich nur total anders organisieren. Die Mediengesellschaft macht Wissen zu Medienwissen, zu Wissen, das jederzeit und überall und zu jedem Gebrauch abgerufen werden kann. Die Quelle also wäre nicht (mehr) das Problem, viel eher die Entscheidung, welche Quelle wie genutzt wird. Selbst diese Komponente von Selektion, Bewertung und Entscheidung muss nicht nur seitens der Lehrer-Rolle wahrgenommen werden, sondern kann Gegenstand der kommunikativen Verhandlung zwischen Lehrer und Schüler sein, braucht aber doch so etwas wie die Seniorität der Erfahrung von Nutzen sowie der fachlichen und (bisweilen) der ästhetischen und ethischen Vernunft. Selbst („noch so“) heterarchisch und demokratisch ausgelegte Modelle der Wissensverständigung sind auf das Einbringen von rollentypisch zugeschriebenen Kompetenzen (beider Rollenmodelle) angewiesen, weil es sich eben um ein institutionell angelegtes Kommunikationsverfahren handelt.

Lehren:Da es im Zusammenhang dieses Textes um die Einschätzungen von neuen, sich zunehmend im Kontext der Nutzung von Medien Konzepten des Lehrens und – damit verbunden – des Lernens handelt, mag es nicht unerheblich sein die immer noch präsente semantische Aufladung der Begriffsfamilie Lehren/Lehre/Gelehrter in Erinnerung zu rufen. Denn ein solcher Begriff, der ja gestern wie heute und erst recht in Zukunft nur im Kontext seiner zeitgesellschaftlichen Einordnung zu verstehen und zu deuten ist, ist zugleich ein kulturelles Archiv, in dem sich Habitate der Vergangenheitsgesellschaft möglicherwiese länger halten als der Gegenwartsgesellschaft lieb sein kann und einer Zukunftsgesellschaft erst recht fremd sein muss.

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Lehren ist ein Begriff, mit dem von jeher, weil so auch so in den hierarchischen Aufbau der Gesellschaft eingebunden, die Vorstellung von Autorität und Autorisierung verbunden war. Die Biographie des für den Lehrer vergebenen Meistertitels „Magister“, macht deutlich: im Lateinischen abgeleitet von „magis“ – mehr, hat sich der Deutungsinhalt erhalten im französischen „maitre“, im englischen „Master“ und so auch im deutschen „Meister“. Der Hinweis auf das Mehr (des Wissens, der Erfahrung, der Kunst und der Technik) war also immer schon der Hinweis auf den „Chef“ (capitus: das Haupt) und dessen gehortete Summe an Wissen, Macht, Verantwortung, Autorität. Wenn, wie in frühen und eben nicht aufgeklärten Gesellschaften selbstverständlich, Wissen, das gelehrt wird, auch zu glauben aufgegeben wurde und wird, dann war und ist die Lehre nicht nur hierarchisiert, sondern auch sanktioniert, mitunter, wie z.B. im Kontext römisch-katholischer Lehre, sogar jurisdiktionell dogmatisiert. Wer nicht glaubte, was gelehrt wurde, wurde ausgeschlossen von den Segnungen der Kirche (vgl. Bauer 1980: 143 f.) und sollte sich dem entsprechend abgesondert (versündigt) fühlen. Solange Wissen für ein Privileg von religiösen, politischen oder sozialen Eliten gehalten wurde, solange Wissen die Grundlage und die Legitimation für Herrschaft war, solange Wissen wie etwas Geheimes behandelt wurde, das nur privilegierten Menschen zugänglich zu machen sei, solange hat man zwischen Berufenen und Laien unterschieden

Lernen 1: Erfahren, Beobachten, Entdecken:Im Allgemeinen wird der Terminus „Lernen“ zwischen den Termini Erfahren, Beobachten, Wissen und Handeln so eingeordnet, dass er einerseits eben diesen Termine eine Sinndeutung zuschreibt, die Nutzen, Ästhetik, Ethik von Erfahrung, Beobachtung, Wissen und Handeln zum Thema macht; dass andererseits aber auch die Funktionsebenen des Lernens beschrieben werden. Da es sich bei dem Alles-Begriff Lernen um Vorstellungen bzw. um Deutungen und sich empirisch nicht selbst beschreibenden Zusammenhängen handelt, brauchen sie, damit man ihre Deutungen klassifizieren kann, logische Rahmungen. Diese können sein: anthropologische, soziologische, psychologische oder pädagogische. Ganz generell macht diese Zuordnung es möglich, zwischen einem ontologisch definiertem Begriff von Lernen (Lernen als Seins-Vorstellung des Selbst, Lernen aus sich selbst und für sich selbst, als Programm der Zumutung und der Chance der Selbstwerdung – das verweist auf ein Kompetenzkonzept) und einem funktionslogisch definiertem Begriff von Lernen (Lernen als Leistung, als Organisation von Beobachten und Handeln für, im Gefolge von und im Interesse von Erfolgsversprechungen – das verweist auf ein Qualifikationskonzept) Oder anders: Lernen ist zum einen die begriffliche Deutung einer Ausrichtung der Selbstvorstellung, die das (soziale) Leben

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begleitet und dieses bereichert, und ist zum andern die begriffliche Deutung einer Werkzeugvorstellung, mit der man sich für den spezifischen Fall des Falles aus der Not zu helfen weiß. Die Verbindung zwischen Lernen und Wissen ist so funktionstheoretisch fixiert.

Lernen 2: Die Leidenschaft des SammelnsBeide Begriffe sind semantisch aufgeladen mit der Vorstellung von Veränderung. Lernen, zunächst einmal generell umschrieben, ist nichts anderes als eine Beschreibungsmetapher – und zwar für die Vorstellung der Aufnahme von Gut oder Gütern der Erfahrung, des Wissens oder der Einstellung in eine so anzulegende oder schon als vorhanden gedachte Sammlung von Lerngut oder Lerngütern. Der Sammlung wegen kann man sich dann als Besitzer verstehen, der sich um so reicher wähnen darf oder unterstellen darf von anderen so eingeschätzt und angesehen zu werden, je größer und je differenzierter eine solche Sammlung ist oder in je mehr Situationen man auf sie zurückgreifen kann ohne dessen Ausdünnung oder Enttäuschung befürchten zu müssen. Die Vorstellung beinhaltet auch die aus der Naturbeobachtung genommene Erfahrung, dass Sammlungen von Gütern in sich geschlossene Kosmen von Werten darstellen, die jeweils geordnete und für sich selbst gut betreute und funktionierende Lagerstätten (Gehirn) brauchen. Dabei eingerechnet ist aber die Erfahrung, dass Güter dennoch verrotten können, weswegen sie entweder laufend in Schuss gehaltene Lagerbedingungen brauchen oder die Pflege der laufenden Auffrischung oder Erneuerung der Güter (Entstauben, Reinigungen gegen die Verelendung, laufende Erneuerung oder Ersetzungen gegen lebenstypische Tendenzen der Fäulnis etc.), um sie in dem Moment, in denen man die Güter abrufen möchte, auch ohne Abstriche zu Verfügung zu haben: die „Logik der Sorge“ (vgl. Stiegler 2008) versteht Lernen nicht als Kunstgeschehen, sondern als Kunstgriff im Umgang mit den Erfahrungen des Lebens, nicht als Innewerden seiner selbst, sondern als Einübung der Erinnerung gegenüber möglicher Erfahrung. In diesem Sinne beginnt die Biografie des Begriffes bei den ursprünglichsten Strategien des – zunächst natürlichen - Überlebens, also bei den Vorstellungen des Lebens selbst, in anthropologischer Diktion: Das Leben, das sich in Momenten der Überraschung als solches zeigt, so zu bewältigen, dass man es selbst überraschen kann mit Wissen vor dem (oft noch als Schicksal verstandenen) Ereignis: das Vorsprungthema kündigt sich an. In weiterer Übertragung gilt dies dann für alle Beobachtungszusammenhänge, die man unter Verwendung der Lebensmetapher subsummieren konnte: Psyche, soziale Konstellationen, Programme, Unternehmungen etc.

Eine Lagerhaltung ist dann in dem eben formulierten Sinne vielversprechend, wenn dahinter ein System steht. mit wenn Der

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allgemeine Begriff des Lernens beschreibt die Vorstellung ist ein Begriff, der mit Umweltwahrnehmung zu tun hat, und zwar in dem Sinne, dass immer, wenn Neues aus natürlicher, sozialer, kultureller oder symbolischer Umwelt zu schon in Wissen sedimentierter Umwelterfahrung

Lernen 3: Gelebtes Lernen und gelerntes Leben:Die semantische Verwandtschaft der Begriffe Lernen und Leben kann mitunter auch autokonstitutiv verstanden werden: Leben und Lernen bedingen einander. Leben bildet sich unter den Bedingungen des Lernens und Lernen ermöglicht sich je nach den Bedingungen des Lebens, es garantiert aber auch die Bereicherung der Optionen des Lebens. In diesem Sinne ist lebensbedingtes Lernen, so insinuiert die Vorstellung, ein Vorgang, der sich - eben wieder durch gelebtes Lernen - selbst regeneriert, eine Unterstellung, die mit dem Begriff der Autopoiesis (vgl. Maturana / Varela 1987) umschrieben wird und so auch auf alles angewandt werden kann, was mit der Vorstellung von Leben in Verbindung gebracht werden kann. In diesem Umfeld ist Lernen der lebensbegründete Habitus der unbedingten Aufmerksamkeit für alles, was sich in und um einen tut, um es - als Wissen zu Erfahrung gedeutet - als die bewusste Vorstellung von sich selbst aufzunehmen und damit ein je-individuelles Kompetenzgefüge für die bewusste Aneignung von Wirklichkeit zu begründen. Leben und Lernen haben einen gemeinsamen Bezugspunkt: sie verweisen über sich hinaus auf das Nächste, auf Morgen, auf das, was folgt und aus ihrem Bestand erwächst. Dem Leben passiert es. Das Lernen bereitet sich darauf vor.

Lernen 4: Wissensaneignung und Wissensverständigung In allen Institutionen, die einen gesellschaftlichen Lehrauftrag wahrnehmen, in Schulen, Hochschulen, Bildungshäusern, Meisterbetrieben etc., überall wurde die Lehre hierarchisch organisiert und so im Sinne einer Erziehungstätigkeit gepflegt. Lehrende verstanden ihre Autorität fest verankert in Position (Amt), Wissen (Vorsprung) und Funktion (Rollenkompetenz). Angesichts dieser Haltung mag man verstehen, dass jede Form von Wissens- und Bildungskommunikation als Vermittlung „von oben“ „nach unten“ oder „von“ „an“ gedeutet wurde, als dessen Medium sich jeweils die Lehrperson verantwortlich wissen musste. Soll es aber unter den Bedingungen demokratischer Gesellschaftskultur (Verteilung von Souveränität und Verantwortung), unter den Bedingungen des Verständnisses von Kommunikation (auf Kommunikationsrollen verteilte Konstruktion von Wirklichkeit), unter den Bedingungen einer themenzentrierten, symbolischen Interaktion (Wissen als Selbsterfahrung auf Basis der von Begriffsvereinbarung) und unter den Bedingungen einer komplex aufgeladenen Mediengesellschaft (Lernen im Ambiente und im

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Modus des Mediengebrauchs) das Ziel sein, sich Wissen so anzueignen, dass ein als Referenzarchiv genutzt werden kann, um im Moment etwas in Frage stellen, klären oder beantworten zu können, dann müssen kognitive Aktivitäten wie Aufnehmen, Merken, Erinnern und Anwenden nicht unbedingt auf Wiederholung ausgerichtet sein (affirmatives Lernen), sondern können (und müssten im Sinne von Autonomie, Souveränität und Verantwortung) durchaus auch Grundlage und Sprungbrett für die Eröffnung einer neuen, nächsten und weiter reichenden Sicht der Dinge und der Zusammenhänge, also für verändertes oder anders verantwortetes Handeln sein: emanzipatorisches Lernen.

Für ein solches, also emanzipatorisches Lernen braucht es zwischen Lehrenden und Lernenden ein im Sinne der Kommunikation (nicht der Organisation) gleichwertig und gleichgewichtig ausbalanciertes und jenseits jeder Anmaßung begründetes Verhältnis der wechselseitigen Wahrnehmung, Anerkennung und Erwartung. Diese Habitate sind die Bedingungen von Verständnis und Einverständnis, also sozial-kulturelle Faktoren der Wissensverständigung. In einer solchen Konstellation steht nicht das oder ein Medium (ob in Person der Lehrenden oder in Funktion von Technologie) im Zentrum, sondern das mediale Agreement, die Vereinbarung auf die strukturellen, sozialen, kulturellen, und kognitiven Bedingungen der Verständigung als geteilte Leistung von Motivation, Partizipation, Engagement, Verantwortung, Methodik und Didaktik im Hinblick auf den Sinn (Nutzen, Ästhetik, Ethik) von Wissen. Im Zusammenhang der Frage nach der Rolle von Medien und Mediengebrauch im Unterricht (Wissen und Bildung) und im Interesse einer theoretisch begründeten Aussage über die Richtung, die Tiefe und die Deutung der (möglichen) Innovation - soweit sie im Faktor der medialen Vermittlung vermutet wird – stellt sich also im Zuge der vorgelegten gedanklichen Zusammenhänge heraus, dass nicht das Medium , schon gar nicht die Medien- oder Lehrtechnologie - der Ort der Innovation ist (sein muss), sondern die vorgegebene und begrifflich weiter gefasste Lage der Medialität, nicht die Struktur, sondern der soziale Charakter der Institution: die kulturelle Ausgangslage der Zueinander-Vermitteltheit von Lehren und Lernen bzw. von Lehrenden und Lernenden im Rahmen einer institutionell beschriebenen Verteilung von Gesellschaftlichkeit (vgl. Bauer 2014: 222 ff., 273 f., Schmidt 2005: 4o f.)

Unter „Lernen“ versteht man in der Regel den Erwerb und die Erweiterung von Wissen, egal ob es fragmentiert oder integriert gestaltet wird. Selbst bei einer so kommunikationsbetonten Auslegung des hier in diesem Zusammenhang gemeinten integrierten Lernens - wie zuvor unterstellt - muss man aber auch den Faktor Wissen und dessen unterschiedliche

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Qualitätsarten in Betracht ziehen. Dazu gibt es nun unterschiedliche Taxonomien, über die im Einzelnen zu diskutieren wäre. Die gängigen und ziemlich hausverständigen Unterscheidungen sind die zwischen Informations- und Erfahrungswissen, zwischen Sach-, Fach- und Reflexionswissen oder die zwischen Problemwissen, Handlungswissen und Entscheidungswissen. Darüber hinaus gibt es aber auch vor allem im Hinblick auf integrierte Lernprozesse wissenschaftlich systematisierte Taxonomien, die zwischen Funktionswissen, Situationswissen, Routinewissen und Deklarationswissen unterscheiden (vgl. Kaiser 2005). Es versteht sich von selbst, dass Informationswissen eine andere Lehr- und Lernqualität verlangt als Erfahrungswissen, deklaratives Wissen wieder eine andere Lehr- und Lernqualität als prozedurales, funktionales oder situatives Wissen. Im Einzelnen kann hier diese Thematik nicht weiter vertieft werden, soviel sei aber gesagt: jede Form der Wissenserweiterung ist ein Baustein in der kognitiven und emotiven Architektur der Konstruktion von Wissen um die Welt. Diese Architektur lebt aus dem Zusammenspiel von Statik und Dynamik, von Stützmomenten wie von Spielmomenten. Und in Bezug auf die Lehre als didaktisch-methodisch durchdachte Aufbereitung von Wissen im Interesse von dessen Lernbarkeit spielen Kommunikationsmuster und Kommunikationswerte eine entscheidende Rolle, die gerade im Gebrauchszusammenhang von Medien sowohl neu ausgelegt wie auch missverständlich interpretiert werden können.

Mediologie der Wissensverständigung

Neben und mit der Deutung der Lehre als sozialer Ort der gesellschaftlichen Relevanz ist die kommunikationslogische, im weiteren Sinne die medienlogische Deutung von Lehre bzw. des Verhältnisses von Lehren und Lernen aufzuarbeiten. Und das aus dem einfachen Grund, weil die zunehmende Betonung des Medienaspekts („e-Teaching,“), selbst wenn sie vordergründig ökonomisch und technologisch getrieben wäre, doch in Erinnerung ruft, dass wir hier Zeugen, Betroffene und Beteiligte eines mehrfachen Paradigmenwechsel sind: neben den Momenten der Umstellung von Hierarchie- auf Heterarchie-Modelle und jenen von Autoritätsmonopolen auf demokratie-affine Muster der Verteilung von Erwartungen, von Rechten und Pflichten, von Chancen und Belastungen, gibt es auch das Moment der paradigmatischen Umstellung der Kommunikationslogik: von personalen Kommunikationsmustern zu medienlogisch determinierten Mustern der Wissensverständigung. Oder, wie das Projekt sagt: von Face-to-face Konzepten des Lehrens und Lernens zu solchen des e-Teachings und e-Learnings. In Summe und über den

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ganzen Bogen gespannt kann man unterstellen, dass die kulturellen Programme des sozialen Wandels, sichtbar und spürbar in den sich verändernden Beziehungen von Betroffenen und Beteiligten und so vermittelt über medienlogische Muster der Verteilung von Kompetenzzuschreibungen, das ehemals gebrauchte Bild des Meisters entzaubert und dem nunmehr zum Master avancierten Schüler zumutet, aber auch zugesteht, sich selbst zu meistern. Hinter dieser begrifflichen Bewegung steht nicht nur eine pädagogische oder didaktische Intention, sondern auch ein Desiderat einer aufgeklärten und für sich selbst kompetenten Gesellschaft: Wissen ist nicht ein Referenzmodell der Begründung von Macht, sondern eines der gleichen Verteilung von Chancen, von Gesellschaftlichkeit, von Verantwortung, von Aufmerksamkeit und von reflektierter Beobachtung. In all dem verbirgt sich auch der Wandel von einer über die Paradigmata von Macht und Herrschaft zu einer über die Grundmodelle von Vernunft und Verständigung gekennzeichneten Vorstellung von Gesellschaft.

Ich würde anstatt des Unterrichtsbegriffes gerne den der Wissensverständigung wählen, weil damit verdeutlicht werden kann, dass es sich beim Unterricht unter den Bedingungen demokratisch und medientypisch verfasster sozialer Praxis nicht (mehr) um die Betonung eine sozialen Gefälles gehen kann. Lehrer sind nicht mehr hinreichend ausgewiesene Wissensmonopolisten und Schüler nicht mehr einfach Wissensempfänger oder Wissensverwerter, sondern: im Medienmodell der Wissenskommunikation sind beide Rollen durch die Referenz auf Medien (medienbasiertes Wissen) ausgewiesen und zueinander verwiesen. Aus diesem Grund muss das Kooperationsmodell in den Vordergrund rücken, das den Austausch als Verständigung auf Gültiges (abfragbares Wissen), und gerade der Kooperation wegen auch den Rollentausch für konstitutiv hält ohne dass dabei Erwartungen in die verteilte Verantwortung enttäuscht würden.

Die theoretische Rahmung dieses Komplexes ist genau die Herausforderung für diesen Text, dem es allerdings primär um das Verständnis des Lehrens und der Lehre im Modus der Mediengesellschaft geht, auch wenn davon niemals ohne Bezug auf das Lernen die Rede sein kann: wie verändert sich Lehren im Kontext wachsender Wissenskomplexe, zunehmender Präsenz von Medien und Medienprogrammen, zunehmend mediatisierter Lebenszusammenhänge und zunehmend medialisierter (und möglicherweise damit verbunden zunehmend personen- und situationsunabhängiger) Aneignung von Wissen, Wirklichkeit und Erfahrung. Da Lehren seiner gesellschaftlichen Bedeutung als dem gesellschaftlichen Vertrauen unterstellte Konzentration (Übertragung) von

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Kompetenz auf eine Einzelperson wie eine Berufung (Profession – vgl. Oevermann 1996) gewertet wird, die durch einen sozial und moralisch differenzierten Habitus im Gebrauch von Autorität und Persönlichkeit zu verantworten erwartet wird, wird diese Differenzierung auch sozialberuflich etabliert. Das Berufsbild des Lehrers begründet sich immer im Kontext zu seiner sozialen Rolle, und diese wiederum aus den je gegebenen Vorstellungen von gesellschaftlichen Verhältnissen. Um mikro- oder meso-systemische Gegebenheiten (Medien, Bildungsorganisation, Person) als Problem oder als Lösung zu verstehen, braucht es die Problematisierung auf der makrosystemischen oder auch makro-logischen Ebene: was sind die zeitgesellschaftlichen und – erst recht: die zukunftsgesellschaftlichen Zumutungen oder Chancen, also: Anforderungen an den Handlungszusammenhang von Lehren und Lernen im Kontext des sozialen wie des Medienwandels, verstanden als integrierter Wandel der gesellschaftlichen Verständigungsverhältnisse von Mustern interpersonaler Wahrnehmung zu solchen der medialen Organisation.

Von Anfang an müsste daher zu klären und im Verlauf des Textes zu begründen sein, dass ein triadisches Konzept (Lehrer – Medium – Lerner) die sozial-kommunikative Konstellation des Lehr- und Lernprozesses nur dann zufriedenstellend erklären könnte, wenn man das dahinter oder dazu gedachte Modell der Kommunikation einfach nur als sozial organisierten Mechanismus des halbwegs verlustlosen Transports verstehen würde, dessen Schwachstellen eigentlich nur die Menschen, Lehrer wie Lerner, sind, dann wird man das Desiderat der Perfektion und der Fehlerbefreiung dem Medium oder den Medien zuordnen und ihnen die Verantwortung auflasten. Tut man dies, wie zum Beispiel im Gefolge der Problemauffassung der frühen Unterrichtstechnologie (vgl. Melezinek 1982), dann mag es nicht wundern, dass man die Qualität der Lehrer- und Lerner-Rollen von deren Mediengebrauch abhängig macht und die immer erwünschte Qualitätssteigerung begrifflich und praktisch dem Gebrauch der Medien zuordnen möchte. Nur so ist erklärbar, warum man von e-Teaching oder e-Learning und damit eigentlich die Umstellung eines ganzen Systems meint. Die Semantik sagt: Lehren oder Lernen seien in ihrer Qualität und in ihrer Performance durch den Gebrauch eines elektronischen Mediums definiert.

Aber eigentlich geht es um mehr oder ist es mehr, worauf der zunehmende und sich rasant verändernde Gebrauch von Medientechnologie im Kontext von Unterricht und Erziehung reagiert: er spiegelt die Veränderung der Vorstellung von Gesellschaft als Formation zwischenmenschlicher Wahrnehmung und Bezüglichkeit zu einer im Modus von Medien gefertigten. Da gibt es praktische und pragmatische Gründe: die Grenzen

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der Überschaubarkeit, die Grenzen der Kapazität, die Grenzen des Nutzens und die des Wachstums oder die Flut an Information und Daten, die Diversität der Optionen, die Freiheit der Wahl etc. Ob so oder anders: in jedem Falle ist es die Veränderung der Ontologie von Kommunikation, also (wenn man Kommunikation als das Modell versteht, in dem sich Gesellschaft konstituiert – vgl. Bauer 2014: 141) die Veränderung des kommunikativen Konzepts von Gesellschaft. Das Konzept stellt nicht ein konkretes Einzelmedium oder die Medien zur Disposition, sondern die Medialität von Gesellschaft (vgl. Bauer 2014: 222, Hepp 2008, Krotz 2008). Gesellschaft spiegelt sich nicht in ihrer Kommunikation (das ist sie), sondern in der Medialität von Kommunikation, also in der Vorstellung , dass sich Beziehungsverhältnisse, in denen man sich wechselseitig verständigt, sich beobachtet und sich aufeinander bezieht, auch strukturell als komplexes Modell von Mediensphären abbilden lassen (vgl. McLuhan 1995): in Rollen, Medien, Handlungsabläufen, Organisationen, Systemen.

Mit Blick auf diesen Problematisierungshorizont wird deutlich, dass die Veränderungen systemisch sind, dass sie mit dem Gesellschaftsverständnis unmittelbar zusammenhängen und dass daher im Kontext (zumindest) einer theoretischen Analyse der unterrichtlichen Praxis die Debatte wenig Sinn macht, ob von „e-Learning“ oder „e-Teaching“ sprechen sollte oder ob man dem einen vor dem anderen den Vorzug zu geben sollte, weil die eine wie die andere Bezeichnung den Zusammenhang auf den Mediengebrauch verkürzt, weil sie die kommunikative Signatur der Medialität der gesellschaftlich aufzufassenden Praxis des Unterrichts falsch interpretiert (nämlich als kausale Mechanik bzw. als Tool) und weil es einfach um mehr, bzw. um etwas anderes geht: um Wissensverständigung in der Mediengesellschaft. Wenn es also eine Terminologie für die theoretische Kennzeichnung des Wandels in der Wissensverständigung bräuchte, beschrieben als Veränderung von basiskommunikativen Modellen zu medienkommunikativen Modellen, dann eine, die nicht in dem Sinne medienzentriert, indem sie die Medientechnologie als Faktor des Wandels apostrophiert, sondern eine, die den gesellschaftlichen Wandel in der sozialen Organisation des Zusammenhangs von Lehren und Lernen ausdeutet, so zum Beispiel: der Wissensverständigung.

Mediologie meint in diesem Zusammenhang eine kulturtheoretisch ausgelegte und eben nicht eine nur medientheoretisch begriffene Annäherung an den Kulturcharakter einer im Modus von Medien verständigten Gesellschaftlichkeit von Wissen und Weltwahrnehmung.. (vlg. Hartmann 2003, Weber 2009: 96 f.). Eine zentrale These dabei ist, dass nichts in dieser Mediengesellschaft medienfrei ist, weil alles, was Wirklichkeitsbedeutung hat, eben in Referenz zum täglichen Gebrauch von

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Medien (also im allgegenwärtigen Mediendiskurs) entsteht. Die Mediologie konzentriert sich nicht auf einzelne Aspekte von Medien oder von deren Gebrauch: Strukturen, Formen, Formate, Wirkungen, sondern auf die Zusammenhänge dahinter. Im Vordergrund der Betrachtung steht nicht das Medium, schon gar nicht Einzelmedien (z.B.: das Internet im Unterricht), sondern auf die gesellschaftlich organisierte Wechselseitigkeit der gesellschaftlichen Legitimation von Systemen, Mediengebrauch und Medienästhetik. Dieser meta-systemischen Perspektive wegen schiene mir eine Mediologie der Wissensverständigung der geeignete methodologische Zugang zu sein, um ein Vernunftmodell des Mediengebrauchs im Kontext der gesellschaftlich organisierten Wissensverständigung theoretisch hinreichend zu begründen.

Eingeschrieben ist in das methodologische Konzept der Mediologie eben auch die Kategorie der Medienästhetik. Dies ist im Hinblick auf die bildungspolitische Zuschreibung der Deutungsmacht von Wirklichkeitswissen eine nicht unwesentliche Einblendung in den theoretischen Beobachtungszusammenhang: sie macht darauf aufmerksam, dass für die sinnlich-ästhetische (sinn-haft interpretierbare) Deutung von Wissenswerten nicht, wie in personal-kommunikativen Verhältnissen vermutet, der Beziehung zur (Lehr-)Person zugeschrieben werden kann , sondern der Referenz, die sich aus der ästhetischen Gestaltung und aus der Ästhetik des Gebrauchs von Medien ergibt. Medienoberfläche (Design und Gebrauch) und Medientiefe (Wahrnehmungstiefe, Deutungsumfang) ergeben zusammen das semantische und das pragmatische Potenzial von Wirklichkeitserfahrung (Wissensaneignung), das, wie man immer vermutet, kein noch so guter Lehrer so leicht überbieten kann. Klar: die Konstruktivität des Medium bzw. die kommunikative Ästhetik des Mediums (des Mediengebrauchs) geht weit über den praktischen Rahmen der situativen Wirklichkeit hinaus. Sie sprengt den praktischen Rahmen der Verständigung auf Wirklichkeit durch die Inszenierung von Deutungen von Wirklichkeit und Welt im Stil von Andeutungen (erweiterten Konnotationen), die als Ästhetik der Befreiung aus dem Jetzt (was bedeutet das jetzt) empfunden werden. Am Beispiel der Fotografie (Technobilder – vgl. Anders 1980, Flusser 1985), ist dies leicht nachzuvollziehen: wenn wir Situationen festhalten wollen, dann halten wir sie meist fest wie wir sie (gerne für uns oder für andere) festhalten möchten. Die Wirklichkeit des Bildes wird zur Referenzwirklichkeit und zum Vergleichsmuster zur praktischen Realität. So kommt es, dass besuchte Urlaubsorte enttäuschen, weil sie das nicht einlösen, was durch Prospekte versprochen war oder Menschen nicht die Bewunderung erfahren, die man meinte ihnen aufgrund ihrer Bilder zugute halten zu müssen. Medienbilder werden so zu

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Realbildern, während Realbilder gegenüber Medienbildern ästhetisch schwach ausfallen.

Wirklichkeitskonstruktion, das Potenzial von Kommunikation wird in der medienkulturellen Variation zur Wirklichkeitsfantasie, die bestehende Realzusammenhänge entweder kritisch apostrophieren, überhöhen oder diskreditieren. Das ist, wie es sein muss: Chance und Gefahr in einem. Eben dieser Umstand der Ambivalenz macht deutlich, dass die im Modus von Medien arrangierte Wissensverständigung im Sinne der gesellschaftlichen Erwartung, dass Wissen Weltvertrauen begründen und nicht desavouieren sollte, nicht für sich allein eine hinreichende Basis von und für Wissenskonstruktion ausmachen kann. Es braucht die Korrelation zu Kommunikationsverhältnissen, die nicht durch die Potenziale der Medien (Ästhetik und Technologie) gedeutet werden, die nicht durch Medien, sondern durch die unvermittelte soziale Wahrnehmung zwischen gesellschaftlich zueinander vermittelten Rollen (Lehrer und Lerner) bestimmt ist. Blended-Learning-Systeme versuchen genau diesem Umstand gerecht zu werden.

Medien und Mediativ – das Display des sozialen Wandels

Organisierte Gesellschaften funktionieren in allen Systemen und Lebensbereichen auf der Basis ihrer Medienkommunikation (vgl. Bauer 2014 a: 22 f): es gibt keine gesellschaftsbegründete Existenz von Individuen oder Kollektiven, die medienfrei wäre. Das Attribut „medial“ beschreibt dabei die Qualität und das äußere Verfahren von Verhältnissen, während das Attribut „mediativ“ terminologisch tiefer greift: es bezieht sich auf die Vorstellung einer inneren Figur der gesellschaftlichen Verhältnisse als einer im Modus von Medialität konstituiert und gebaut. Die Termini „Mediat“ und „Mediativ“ sind begriffliche Versuche, die strukturelle Kennzeichnung von sozialen Zusammenhängen als medientypische und als im Modus von Medien konstituierte begrifflich zu fassen. Sie beschreiben nicht die mögliche mediale Qualität von Zusammenhängen, sondern die innere strukturelle Verfassung solcher. Daher heißt hier „medienfrei“ hier auch nicht einfach nur massenmedienfrei, sondern viel mehr: ein (soziales) Leben frei von bzw. jenseits von medien-kommunikativer Referenz von Selbstwahrnehmung, Selbsterfahrung, Selbstwissens und Selbstbewusstsein und der Einschätzung der eigenen Existenz. Eine Wissensfigur des eigenen und des anderen Selbst ist (im Sinne der Logik symbolischer Interaktion (vgl. Mead 1972, Brumlik 1973) ohne deren mediale Konstitution und Repräsentation (semantisch, ästhetisch und ethisch, Ethik) nicht vorstellbar. In diesem Sinne ist die gesellschaftliche

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Existenz des Menschen sowohl medial (ästhetische Wahrnehmung) wie mediativ (innere Verfassung, inneres Programm) strukturiert.

Daraus muss man folgern, dass Medien, soweit Nutzen, Notwendigkeit, Ästhetik und Kompetenz von deren Einsatz im konkreten Unterrichtszusammenhang reflektiert werden, eben nicht als Apparaturen relevant sind, sondern als die der praktischen Vernunft von Apparaturen geschuldet organisierte Praxis der Möglichkeiten von Ausdruck und Wiedergabe von Gesellschaft, also als die Referenzfolie, auf die Menschen sich beziehen, um Wissen auch als Wissen, Erfahrung auch als Erfahrung und, was sich als relevant argumentiert, auch als Relevanz zu verstehen. Es ist also der tatsächliche , vermutete, simulierte, vorgestellte oder unterstellte Gebrauch von Medien, der umschreibt, was ein Medium im Kontext der Konstitution von Unterrichtsverhältnissen ( wie eben von allen anderen sozialen Verhältnissen) ist. In dieser Perspektive ist Medienkompetenz dann eben nicht (nur) ein ethisches bzw. moralisches Thema, sondern eines der Qualität der Konstitution von Wissens- und Existenzverständigung. In dieses Umfeld der Betrachtung gestellt ist das, was wir ein Medium nennen, nicht ein Strukturzusammenhang, sondern ein Kulturzusammenhang, noch deutlicher: ein Kulturprogramm sozialer Existenzlogik: ohne ein solches lässt sich Gesellschaft nicht kommunikationslogisch (kommunikologisch) und Kommunikation nicht gesellschaftslogisch denken (vgl. Bauer 2014: 16 ff) Diese Verlagerung der Perspektive von einer struktur- zu einer kulturtheoretischen Betrachtung der Medialität von Unterricht (vorgestellt als Modell der Wissensverständigung) bedingt, Medienkompetenz theoretisch nicht nur als persönliche Fähigkeit von Individuen (Lehrer und/oder Schüler) zu betrachten, sondern als intrinsisches Gut des sozialen Wandels im Umfeld von Wissensverständigung. Darin begründet sich ein pädagogisches Konzept mit der Vorstellung eines generell zu unterstellenden (zu fordernden) Medienhabitus von Lehrern wie Lernern im Umgang mit Wissen.

Mit Bedacht auf diese kulturtheoretische Betrachtung, welche komplexen Vorstellungszusammenhänge die Metapher „Medium“ umschreibt, stellen sich - nun im Blick auf Bildungsmediengebrauchszusammenhänge – grundsätzliche Fragen: was macht Bildungsmedien (im Kontext und im Interesse von Bildung genutzte Medienprogramme) zu Medien im Sinne einer kommunikativen Referenz (vgl. Bauer 2014: 141). Und: was macht Medien (Systeme als kommunikative Referenz zur Bestimmung des Verhältnisses von Selbst und Umwelt) denn zu Bildungsmedien? Denn in einem weiten Verständnis dienen alle Medien der Fundierung, Bestärkung und Verbreitung von Bildung und Wissen, mithin auch der Herausbildung,

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Fundierung und Spezialisierung menschlicher Kognition, verstanden als Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit und verbunden mit menschlicher Vernunft sowie mit jeweils kulturell und sozial virulenten und geachteten Bildungsinhalten (Kübler 1997: 40 ff.). In einem konkreten Sinne allerdings lassen sich als Bildungsmedien diejenigen Systeme bezeichnen, die in einem pädagogischen Kontext eingesetzt und/oder mit denen ein Bildungsprozess (Bestimmung des Verhältnisses von Selbst- und Umwelterfahrung) beabsichtigt ist. Der pädagogische Kontext kann formeller Art (Schule) oder informeller Art (autodidaktisch) sein. Allerdings muss hier schon kritisch eingeflochten werden, dass es begrenzten Sinn macht die pädagogisch inhaltlich gemeinte Arbeit im Bereich der Medienbildung und die mit Bildungsmedien mit den strukturellen Merkmalen von Medien ausweisen zu wollen. Klar, es ist gut zu wissen, welche Medien „es gibt“ oder welche wozu verwendbar sind. Das entscheidet zum Gutteil die technologische bzw. technische Anlage eines Mediums. Aber eine medienzentrierte oder gar medienbegründete Deutung des Wertes der pädagogischen Arbeit ginge an dem vorbei, was Bildung ist und meint. Das technische Medium ist nicht „das Mittel“, sondern die technologische Interpretation eines sozial-kommunikativ gemeinten Konzeptes der Interaktion von Rollen (Lehrer/Lerner) im Kontext eines Lehr-Lern-Übereinkommens. Das eigentliche sozial (beziehungs-)relevante Medium ist das Wissen um und der Bezug auf das Übereinkommen, wo immer es herkommen mag: aus der formalen Organisation (Schule, Universität, Bildungseinrichtung etc.) oder aus informell zueinander vermitteltem Interesse an einer gemeinsamen Sache.

Die Aussage mag etwas banal klingen und auch etwas zu einfach formuliert sein, dennoch ist es so, dass Medien als Oberfläche dahinter liegender Bilder sehr wohl zur Schau stellen, wofür sei stehen und gebraucht werden: als Passage für die soziale Praxis. Im Gebrauch der Medien (auch im Kontext des Unterrichts) ereignet sich, was man als den gesellschaftlichen Zusammenhang erkennt, auch, besser: vor allem dessen Wandel, weil er auf der Fläche der Medien zu einem beobachtbaren Gegenstand wird. Der Begriff des Wandels beschreibt die Wahrnehmung, dass sich die Konstruktionen von Wirklichkeit und Welt verändern. Die Beobachtung dieser Szene verändert wieder die Beobachtung, wodurch sich auch wieder das Szenebild verändert. Dieses transferierende Modell von Wirklichkeit, die sowohl als Beobachtung wie als Beobachtetes wahrgenommen werden kann, hat unmittelbar mit der Medialität von (gesellschaftlicher) Wirklichkeit zu tun. Denn es ist die Medialität von Wirklichkeit, die diese Ambivalenz ermöglicht und zumutet. Der soziale (kulturelle) Wandel ist demnach theoretisch als Medienphänomen, besser : als Phänomen der Medialität von sozialer Wirklichkeit (Gesellschaft) zu verstehen. Diese

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theoretische Einordnung des Gebrauchs von technischen Medien in der Lehr-Lern-Interaktion hat enorme Konsequenzen für die Analyse des Medienwandels im Kontext von Lehren und Lernen.

Denn der Wandel passiert nicht jenseits, sondern inseits der Beobachtung: die Beobachtung ist es, die den Wandel als solchen feststellt. Was man als Wandel vergegenständlicht, ist auf der theoretischen Ebene ein Konzept, mit dem man beobachtet, nicht ein Objekt, das man beobachtet (vgl. Schmidt 2003: 30 f., 63 f.) Wandel ist Andersheit, auf einer Zeitachse als Veränderung wahrgenommen, ähnlich aber dem Begriff von Andersheit ein Konzept, mit dem man Wirklichkeitseindrucke auffasst und unterscheidet. Nichts an Eigenem (Denken, Vorstellung, Handeln) lässt sich verstehen, deuten oder erklären ohne die Bezugnahme auf den Anderen und das Andere aus der sozialen, kulturellen und symbolischen Umwelt. In allem handelt es sich um Vorgänge des sozialen ist gleich durch Kommunikation bewerkstelligten Lebens, in dem Bedürfnisse, Werte, Beziehungen, Institutionen und die Formen der alltäglichen sozialen und symbolischen Interaktion nur als solche wahrgenommen werden, weil sie sich von Bezugnahme zu Bezugnahme ändern. Wandel ist das bestimmende Komplexitätspotenzial der Konstruktion von Wirklichkeit, das die Unterstellung beschreibt, dass alles, was ist und wie es ist, anders sein kann als es ist und anders gemacht (verändert) werden kann, weil es grundsätzlich möglich ist, auch wenn es aktuell nicht notwendig ist: in diesem Sinne beschreibt Luhmann (Luhmann 1984 : 202 ff) das Kontingenzproblem. Alle Momente des sozialen und des individuellen Lebens folgen bestimmten und in der kulturellen Programmatik verankerten Basismodellen (Paradigmen) der Sinn-suchenden Interpretation der Lebensführung. Weil Individuen sich durch diese Basismodelle zueinander grundsätzlich verständigt wissen, gilt diese Kulturprogrammatik der Differenzierung zugleich als Grundsatzprotokoll des sozialen Vertrauens. Darauf bauen die im Muster wechselseitiger Erwartung konstruierten Rollen und Rollenzuschreibungen wie sie z. B. auch im Lehrer-Schüler-Modell eingeschrieben sind.

Da aber eben diese kulturellen Modelle des möglichen Lebens nicht frei schweben, sondern sozial verankert sind, sind sie die eigentliche Materie der gesellschaftlichen Verhandlung. Soziale Lohn-Strafe-Mechanismen sichern deren Gültigkeit als kulturelle Institute des Denkens (Mind), der Haltung (Habitus), der Einstellung (Attitudes), des Verhaltens (Behaviour) und der Formen sozialen Umgangs (Patterns). So ändern sie sich bedingt durch und mit dem – wieder in Kommunikation einander vermittelten – Spiel von Erwartung und Erwartungserwartung. Der gesellschaftliche Sanktionsmechanismus und dessen Einschätzung der Folgen für Akzeptanz

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oder Ablehnung, für Distanz oder Nähe, für Inklusion oder Exklusion, für Herrschaft oder Unterwerfung, für Chancen oder Risken variieren ja nach kulturhistorischer Verankerung in unterschiedlich sichtbar und fühlbar gemachten Strukturen und Instituten, vor allem der Familie, der gesellschaftlichen Verteilung von Wissen, Bildung (Erziehung), Arbeit (Beruf) und Besitz (Wirtschaft) und nicht zuletzt der öffentlichen Regelung von Herrschaft (Politik). Da diese sozialen Institute als die ersten und ursprünglichen Erfahrungsquellen des Lebens fungieren und zwischen Eigenwelt und Sozialwelt, zwischen der Individualität und der Soziabilität des Lebens vermitteln, haben sie eigentlich eine Medienfunktion. Sie sind (wie andere Medien, z.B. Massenmedien) soziale Settings (Medien) der Vermittlung von Erfahrung, Wissen, Meinung und Einstellung, soziale Agenturen der kulturellen Praxis und als solche auch laufend der Prüfung ihrer Verlässlichkeit (Kontrolle, Herrschaft) oder Durchlässigkeit (Regelbrüche, Tabubrüche) ausgesetzt.

Für alle diese Zusammenhänge gibt es ein Grundmodell, nämlich das der Kommunikation. Versuche, das Phänomen der Kommunikation irgendwelchen Logiken zu unterstellen (Ursache- Wirkung, Anfang – Ende, Objekt – Subjekt, Sender – Empfänger u.ä.), haben nicht Kommunikation erklärt, sondern nur erklärt, wie man versucht Kommunikation zu erklären. Kommunikation lässt sich nur über Kommunikation und im Wege der Kommunikation beschreiben, aber die Logik der Kommunikation ist bestenfalls die Kommunikation von Logik im Sinne einer Verständigung über eine mögliche Logik. Die Kommunikation selbst ist kein Paradigma von oder für Logik, einfach kein gutes Beispiel für diese. Wenn es denn eine Logik der Kommunikation gibt (was nur eine Verständigung auf eine solche wäre), dann ist diese sicher nicht so kausal-logisch, wie man sie sich logisch wünscht, sondern dissipativ: sie verneint sich im Bejahen, sie verliert sich im Entstehen, sie entsteht dort, wo man sie verloren glaubt. Ihre Logik ist, dass sie keine jenseits oder nach der Kommunikationsgrenze zu vermutende logische Ordnung hat, sondern dass sie sich, wenn überhaupt, einer Logik der sozialen Ordnung (der kulturellen Konstruktion) unterwirft, die sie zugleich auch unterbricht. Keine andere Ressource der Gestaltung des sozialen Lebens hat diese Kraft, Unbestimmtes zu bestimmen und Bestimmtes durch Unterbrechung (Reflexion) wieder zu verwerfen. Das macht sie einerseits unbeherrschbar, andererseits aber auch zur Ressource von Herrschaft (und von Gegenherrschaft). Sie ist nicht berechnungsfähig, nicht verlässlich im Sinne kausaler Konzeption, sondern bestimmt dadurch, dass sie sich einer solchen Logik entzieht (Bauer 2006: 250 ). Jede kommunikations-logische (kommunikologische) Annäherung an das Phänomen des sozialen Wandels muss sich dieser Ausgangslage bewusst sein (vgl. Flusser/Wagnermaier:/Zielinski 2009): sie startet von einem

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Basiskonzept von Kommunikation, das zunächst (nur) die eine Bezugnahme von einer anderen zu unterscheiden weiß (lernt) und das konstatiert, dass Kommunikation eine kulturelle Leistung der kognitiven Autonomie des Menschen bzw. von Gesellschaften und Gemeinschaften ist, obwohl zugleich auch deren Bestandsgrundlage (vgl. Schmidt 1994). In diesem Sinne ist Kommunikation ein Alles-Konzept ohne aber ein Konzept für alles zu sein oder sein zu können. Aber alles, was sozial ist oder gesellschaftlich, geschieht zwischen Interaktion und Kultur und kann über die Perspektive von Kommunikation interpretiert werden. Wenn man sich für eine Kultur- bzw. Kommunikationstheorie des sozialen Wandels entscheidet, dann entscheidet man sich für eine (bestimmte) Kultur der Theorie. Und wenn man sich in diesem bestimmten Sinne für eine offene und lernfähige (unterbrechungsfähige, unterbrechungswillige) Theorie entscheidet, dann müsste es möglich sein ein offenes und lernfähiges Konzept der Kultur des sozialen Wandels zu entwerfen. Unterbrechung ist das Prinzip des Lernens. Diese Unterbrechung könnte gegenüber der Praxis der Kultur die Theorie der Kultur leisten, allerdings nur, wenn sie selbstreflexiv konzipiert ist, indem sie sich selbst für Unterbrechungen offen hält (Schmidt 2004: 59)

LITERATUR:

Anders, Günther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: Beck

Bauer, Thomas A. (1980): Streitpunkt Dogma. Materialien zur Systemtheorie und Systemkritik kommunikativen Handelns in der Kirche. Wien: Böhlau

Bauer, Thomas A. (2003): Vom Strukturblick zum Kulturblick. In: Karmasin, Matthias, Winter, Carsten (Hrsg.): Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 127 – 168

Bauer, Thomas A. (2006): Wertegemeinschaft und Mediengesellschaft. Eurokulturelle Bildung im Rahmen medienvermittelten Lernens. In: Bauer, Thomas A. , Ortner, Gerhard E. (Hrsg.): Werte für Europa. Düsseldorf

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