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I. Schröter H. Brumme, N. Schröter,: Supply Chain Management und Logistik 1 © 2010 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart 1. Fallbeispiel: Supply Chain im technischen Großhandel Ausgangssituation Das Unternehmen war im Hinblick auf die Logistik stark dezentral organisiert. Neben zwei Zentrallagern am Firmensitz wurden noch 8 Lager- und Verkaufsstandorte im Inland unterhalten. Daneben waren im Ausland weitere Niederlassungen vorhanden, die teilweise noch zusätzliche Lager innerhalb des jeweiligen Landes aufgebaut hatten. Gegenüber dem Markt tritt das Unternehmen als Produzent auf, allerdings werden 100 % der Produkte zugekauft und als Brand-Label-Produkte vertrieben – ein erheblicher Anteil dieser Produkte wird dabei von wenigen Herstellern bezogen. Die Kunden können in zwei Gruppen untergliedert werden: Zum einen die kleinen mittelständischen Handwerksbetriebe mit vorwiegend Klein- und Kleinstaufträgen, zum anderen größere Unternehmen und Arbeitsgemeinschaften, die große Industriekomplexe realisieren mit Großaufträgen, die z.T. über Monate laufen. Vor diesem Hintergrund und einem starken Unternehmenswachstum entstand das Problem, dass das vorhandene Lagervolumen in den beiden Zentrallagern nicht mehr ausreichte und der Personalbedarf für die beleggesteuerte Lagerabwicklung in der vorhandenen Infrastruktur als zu hoch eingeschätzt wurde. Die Istanalyse Schon in den ersten Gesprächen wurde deutlich, dass der oben angeführte Denkansatz „Lageroptimierung in den Zentrallagern“ zu kurz gegriffen war und es im Hinblick auf die Entwicklung eines langfristig erfolgreichen Logistikkonzeptes erforderlich war, die gesamte Supply Chain vom Lieferanten bis zum Endkunden in allen Ländern zu betrachten. Denn die Optimierung im Zentrallager hätte nicht zu einer Zukunftslösung geführt. In einer ersten Betrachtung wurden Warenströme und Bestände analysiert. Die vorhandenen Warenströme stellten sich als nahezu undurchschaubares Geflecht dar. Da war zum einen die dezentralisierte Disposition und Beschaffung. Jeder Standort konnte nach eigenem Ermessen direkt beim Hersteller bestellen oder aus dem Zentrallager abrufen. Es gab keinerlei Regeln wie disponiert und bevorratet wird, also welche Artikel in welchen Mengen als Lagerartikel vorgehalten werden sollten. Dies führte zu völlig unterschiedlichen Beschaffungspreisen, derselbe Artikel vom selben Lieferanten hatte, je nach Bestellmenge und Verhandlungsgeschick des Bestellers haus dem eigenen Haus), unterschiedliche Preise. Daneben entstand ein enormer „Materialtourismus“. War ein Artikel © 2010 W. Kohlhammer, Stuttgart

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1 © 2010 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart

1. Fallbeispiel: Supply Chain im technischen Großhandel

Ausgangssituation

Das Unternehmen war im Hinblick auf die Logistik stark dezentral organisiert. Neben zwei

Zentrallagern am Firmensitz wurden noch 8 Lager- und Verkaufsstandorte im Inland unterhalten.

Daneben waren im Ausland weitere Niederlassungen vorhanden, die teilweise noch zusätzliche Lager

innerhalb des jeweiligen Landes aufgebaut hatten.

Gegenüber dem Markt tritt das Unternehmen als Produzent auf, allerdings werden 100 % der

Produkte zugekauft und als Brand-Label-Produkte vertrieben – ein erheblicher Anteil dieser Produkte

wird dabei von wenigen Herstellern bezogen.

Die Kunden können in zwei Gruppen untergliedert werden: Zum einen die kleinen mittelständischen

Handwerksbetriebe mit vorwiegend Klein- und Kleinstaufträgen, zum anderen größere Unternehmen

und Arbeitsgemeinschaften, die große Industriekomplexe realisieren mit Großaufträgen, die z.T. über

Monate laufen.

Vor diesem Hintergrund und einem starken Unternehmenswachstum entstand das Problem, dass das

vorhandene Lagervolumen in den beiden Zentrallagern nicht mehr ausreichte und der

Personalbedarf für die beleggesteuerte Lagerabwicklung in der vorhandenen Infrastruktur als zu

hoch eingeschätzt wurde.

Die Istanalyse

Schon in den ersten Gesprächen wurde deutlich, dass der oben angeführte Denkansatz

„Lageroptimierung in den Zentrallagern“ zu kurz gegriffen war und es im Hinblick auf die Entwicklung

eines langfristig erfolgreichen Logistikkonzeptes erforderlich war, die gesamte Supply Chain vom

Lieferanten bis zum Endkunden in allen Ländern zu betrachten. Denn die Optimierung im

Zentrallager hätte nicht zu einer Zukunftslösung geführt.

In einer ersten Betrachtung wurden Warenströme und Bestände analysiert. Die vorhandenen

Warenströme stellten sich als nahezu undurchschaubares Geflecht dar. Da war zum einen die

dezentralisierte Disposition und Beschaffung. Jeder Standort konnte nach eigenem Ermessen direkt

beim Hersteller bestellen oder aus dem Zentrallager abrufen. Es gab keinerlei Regeln wie disponiert

und bevorratet wird, also welche Artikel in welchen Mengen als Lagerartikel vorgehalten werden

sollten. Dies führte zu völlig unterschiedlichen Beschaffungspreisen, derselbe Artikel vom selben

Lieferanten hatte, je nach Bestellmenge und Verhandlungsgeschick des Bestellers haus dem eigenen

Haus), unterschiedliche Preise. Daneben entstand ein enormer „Materialtourismus“. War ein Artikel

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in einer Niederlassung nicht vorhanden, so wurde erst einmal die Schwesterniederlassung

kontaktiert, da das Zentrallager „ja sowieso nicht funktioniert“. Dies bedeutete, dass ein Artikel der

vom Lieferanten an das Zentrallager geschickt wurde und von dort zur Niederlassung transportiert

worden war, dann exakt in der Bedarfsstückzahl an die Schwesterniederlassung weitergereicht

wurde. Um das Ganze noch zu toppen, wurde der Artikel, wenn er dann in der Bedarfsniederlassung

wieder verfügbar war, in der ursprünglichen Abrufmenge der Schwesterniederlassung wieder zurück

gegeben.

Abb. 1: Warenströme im Unternehmensnetzwerk

Im Endeffekt musste festgestellt werden, dass vielfach Artikel in den dezentralen Lagern vorgehalten

wurden, die keine Bewegung aufwiesen, dass die Bestände deutlich zu hoch waren und dass dennoch

keine befriedigende Lieferbereitschaft gegeben war – ein bedenkliches, aber leider sehr häufig zu

beobachtendes Worst Case-Szenario.

Die Kunden

Bei der Betrachtung der Kundenbedürfnisse wurde sehr schnell deutlich, dass der größere Anteil der

Bestellungen per Paketdienst oder Spedition ausgeliefert wurde. Lediglich ein geringer Umfang

wurde von den Kunden direkt in der Niederlassung abgeholt, es handelte sich dabei überwiegend um

Artikel, bei denen der Handwerker den Bedarf erst auf der Baustelle festgestellt hatte und diese nun

er sofort benötigte, damit es zu keiner Arbeitsunterbrechung kam.

Vor diesem Hintergrund wurde dann die Fragestellung untersucht, was muss eigentlich noch in der

Niederlassung an Artikeln vorgehalten werden, um die Kundenbedürfnisse zu erfüllen, sofern das

Lieferant 1 Lieferant 2 Lieferant n

Kunde 1GeSt 1

Kunde 2GeSt 1

Kunde nGeSt 1

Kunde 1GeSt 2

Kunde 2GeSt 2

Kunde nGeSt 2

Geschäfts-stelle 2

Geschäfts-stelle n

Geschäfts-stelle 1

ZENTRAL-LAGER

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Zentrallager eine funktionierende Logistik mit 24-Stunden-Service bieten kann. In Abbildung 2 wird

dies am Beispiel einer einzigen Niederlassung aufgezeigt. Die Grundidee dabei ist, dass nur noch die

Artikel am Abholstützpunkt lagern, die vom Kunden in der Selbstabholung benötigt werden. Alle

anderen Artikel werden vom Zentrallager aus direkt im 24-Stunden-Lieferservice an den Kunden

verschickt. Bei der aktuellen Laufzeit der Paketdienste war hier kein zeitlicher Unterschied zwischen

dem Versand ab Zentrallager und ab Niederlassung gegeben hsoweit dies das Inland betraf). Zum

Zeitpunkt der Untersuchung war in der repräsentativ untersuchten Niederlassung ein Warenwert zu

Einkaufspreis in Höhe von 411.000 € vorhanden. Im ersten Schritt wurde untersucht, welches ein

angemessener Bestand wäre, wenn man weiterhin das Vollsortiment bevorratete. Dabei konnte

festgestellt werden, dass nach sehr großzügig ausgelegten betriebswirtschaftlichen Schätzungen

ungefähr 170.000 € zu viel bevorratet wurde. Dies waren zum einen Angstbestände, aber auch

Bestände, die aufgrund von fehlenden Regeln „gefühlsmäßig“ bestellt worden waren. Und von

diesem Wert waren ca. 70.000 € in Ladenhüter gebunden, die über ein Jahr keinen Abgang in dieser

Niederlassung zu verzeichnen hatten.

Abb. 2: Bestandsbetrachtung eine Niederlassung

Bei der vertieften Betrachtung der Ladenhüter traten zwei unschöne Aspekte zutage. Erstens konnte

festgestellt werden, dass die Ladenhüter dieser Niederlassung von anderen Niederlassungen,

teilweise sogar mit Mindermengenzuschlag, beim Lieferanten bestellt wurden. Desweiteren wurde

festgestellt, dass ein nicht unerheblicher Anteil dieser Artikel, bedingt durch technische

Veränderungen des Lieferanten, absolut unverkäuflich war und nur noch verschrottet werden

411.302

236.712

138.670

87.912

Gesamt Ist Vollsortiment optimiert Abholsortiment optimiert Abholsortiment ab 4. Abgänge/Jahr

BESTANDSVERGLEICH ALS BEISPIEL

Intuitive SicherheitsbeständeDavon 68.000 EUR Ladenhüter

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konnte. Schon allein die Optimierung des Vollsortiments hätte einen dramatischen Bestandsabbau

im Gesamtunternehmen zur Folge gehabt.

Im zweiten Betrachtungsschritt wurde analysiert, welche Artikel die Kunden selbst abgeholt hatten.

Dies ergab nochmals ein zusätzliches Einsparungspotential von 100.000 €. Einmal angenommen, es

würden nur noch Artikel vorgehalten, die sich alle 3 Monate einmal bewegen, so wäre ein

Bestandsabbau von 411.000 € auf 88.000 € denkbar. Bezogen auf die gesamte Unternehmensgruppe

könnte damit ein zweistelliger Millionenbetrag eingespart werden. In diesem Zusammenhang wurde

noch ein zweiter, extrem wichtiger Aspekt deutlich. Durch die Selbstabholung war der potentielle

Kundenkreis generell nur auf einen geografisch überschaubaren Umkreis zur Niederlassung begrenzt.

Alle anderen potentiellen Kunden in entfernteren Gebieten waren damit nicht erreichbar. Dies hat

letztendlich zu einer tiefgreifenden Strategieumstellung geführt, die durch folgende Merkmale

charakterisiert wurde:

• Die vorhandenen Niederlassungen werden in Abholstützpunkte mit einem eingeschränkten

Artikelsortiment h„Abholsortiment“) umgewandelt. Soweit sinnvoll, erfolgt ein Umzug in

kleinere für die neue Aufgabe geeignete Räumlichkeiten hes ist kein Lager mehr erforderlich).

• Im ganzen Land werden flächendeckend Abholstützpunkte aufgebaut, deren jeweiliger

Standort sich am Umsatzpotential der regionalen Kunden orientieren soll. So werden

beispielsweise in Großstädten teilweise bis zu drei Abholstützpunkte realisiert.

• Jeder Abholstützpunkt wird mit qualifiziertem Fachpersonal besetzt, damit eine optimale

Kundenberatung und Kundenbindung gewährleistet ist.

• Die Abholstützpunkte werden optisch ansprechend gestaltet, die Ware wird dem Kunden für

die Selbstbedienung im Supermarktcharakter präsentiert, auch um Spontankäufe anzuregen

und Neuartikel zu fördern.

Nachdem derzeit schon eine Reihe der Stützpunkte realisiert sind kann dieser Denkansatz in vollem

Umfang bestätigt werden. Bei unternehmensweit deutlich reduzierten Beständen konnte der Umsatz

überproportional gesteigert werden.

Bestandsoptimierung

Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden dann die Regeln der Bestandsoptimierung näher definiert. Die

erste wichtige Grundsatzentscheidung war die Zentralisierung von Disposition und Einkauf im

Stammhaus. Dies war nur vordergründig nicht ganz einfach, da ja in die Hoheit der regionalen

„Fürstentümer“ in den Niederlassungen massiv eingegriffen wurde, jedoch überzeugten die erhöhte

Versorgungssicherheit, die drastisch reduzierten Kosten, die Verantwortungsdelegation durch den

Wegfall atypischer Arbeiten wie Einkauf und Disposition, Lagerabwicklung usw. letztendlich die

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letzten Zweifler. Es stellte sich natürlich die Frage, was weiterhin und aus welchen Gründen in einem

Abholstützpunkt vorrätig sein sollte und in welcher Menge:

• Alle Artikel, die sich minimal sechsmal pro Jahr umschlagen, werden in einer Reichweite von

4 bis 12 Wochen vorgehalten hin Abhängigkeit von ABC-Kriterien, Volumen, Teileeinzelpreis

etc.).

• Geringpreisige Artikel mit kleinem Volumen werden in angepasster Lagerreichweite

vorgehalten, wenn diese in der Vergangenheit mindestens zweimal pro Jahr in der

Selbstabholung benötigt wurden.

• Ergänzungsartikel, wie z.B. ein Schraubendreher in einer kaum nachgefragten Größe, werden

nur in Stückzahl 1 vorgehalten, damit das gesamte Sortiment gezeigt werden kann.

• Neue Artikel oder Artikel, für die aktuell eine Promotion läuft, werden zeitweise vorgehalten

und bei entsprechender Nachfrage in der Abholung auch in Bestandsartikel umgewandelt.

Für die Zentraldisposition wurden daneben Regeln entwickelt, die sich an den Rahmenbedingungen,

hKostenoptimierung, Lagervolumenbedarf, Lieferantenlieferzeit, Beschaffungsrisiko usw.) orientieren.

Ferner wurden die Disponenten intensiv geschult, damit zum einen ein breites Grundlagenwissen

geschaffen, zum anderen aber auch das Gespür dafür gestärkt wurde, wann die Grenzen einer

maschinellen Disposition erreicht sind und wo Erfahrung in das Tagesgeschäft einfließen muss. Mit

dieser Maßnahme wurden folgende Effekte erzielt:

• Disposition und Einkauf erfolgen durch qualifizierte Mitarbeiter und sind nicht, wie bisher,

Teilaufgabe eines Verkäufers.

• Reduktion der Anzahl an Bestellpositionen um mehr als die Hälfte, das entspricht mehreren

zehntausend Positionen jährlich.

• Bündelung des Bedarfs und damit Optimierung der Transportbeziehungen.

• Verstärkte Nutzung von Mengenrabatten.

• Ermittlung derjenigen Artikel, bei denen ein Sicherheitsbestand erforderlich ist, und

Konzentration der deutlich abgesenkten Sicherheitsbestände am zentralen Standort hohne

negativen Einfluss auf die Lieferfähigkeit).

• Einführung eines professionellen, unternehmensweit greifenden Bestandsmanagements,

dadurch Sicherstellung optimierter und an den Bedarf angepasster Bestände.

• Entlastung aller Niederlassungen und Abholstützpunkte von dispositiven Aufgaben. Die

Zentraldisposition ist für die termingerechte und mengengerechte Versorgung aller

Standorte verantwortlich.

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Die Auswirkung auf den Lagerbestand und den Dispositions- und Bestellaufwand sind aus den

Abbildungen 3 und 4 ersichtlich.

Abb. 3: Ist-Soll-Bestandsvergleich

Abb. 4: Ist-Soll-Vergleich der Bestellpositionen

Betrachtet man etwa den Bestandswert bei A-Artikeln, so ist hier das größte Optimierungspotential

erkennbar. Es könnte angenommen werden, dass die Bestände daraus resultieren, dass zu selten und

mit zu großer Lagerreichweite bestellt wird. Betrachtet man die Anzahl der Bestellpositionen, so wird

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14.000.000

16.000.000

A-Artikel B-Artikel C-Artikel

Bestand Soll 70% von MaximalbestandBestand Ist

BESTANDSVERGLEICH IN EURO IST/SOLL

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20.000

30.000

40.000

50.000

60.000

70.000

80.000

A-Artikel B-Artikel C-Artikel

Bestellpositionen SollBestellpositionen Ist

ANZAHL BESTELLPOSITIONEN IST/SOLL 2008

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dies aber nicht bestätigt, aber auch hier ist eine deutliche Reduzierung möglich. Dies ist ein sehr

typisches Ergebnis, wenn ohne klare Regeln disponiert wird: Es wird nicht nur zu häufig, sondern bei

einzelnen Artikeln auch viel zu viel bestellt. Ausgelöst wurde dieses Problem durch die

Dezentralisierung der Disposition auf die Niederlassungen und durch nicht vorhandene

Dispositionsregeln. Dies ist auch bei den C-Artikel zu beobachten. Hier wurde zum einen zu häufig

bestellt, zum anderen jedoch auch in zu großer Reichweite. Einen besonders großen Einfluss hatten

hier die Aspekte Verpackungseinheit und Mindestbestellmenge – wenn jede Niederlassung in dieser

Verpackungseinheit bestellt, so ergibt dies u.U. eine Reichweite von mehreren Jahren und der

Bestandswert wird nach oben getrieben. Nur dieser Effekt allein verursachte nahezu die Hälfte des

Überbestands. Bei der Zentraldisposition, wo die Versorgung der Abholstützpunkte vorwiegend aus

dem Zentrallager erfolgt, ist dieser Effekt drastisch abgemildert, da eine Verpackungseinheit ja für

alle Verbraucher verwendet werden kann.

Nachbestückung der eigenen Standorte und Auslieferung an Kunden

Bei der Nachbestückung der Standorte wurde differenziert zwischen EU-Ländern und Drittländer, bei

denen die Verzollung noch eine Rolle spielt. Im Inland und im EU-Ausland werden die Stützpunkte, je

nach Mengenanfall entweder mit einer Tourauslieferung, bei der mehrere Standorte bedient

werden, oder per Direktauslieferung bedient. Dabei wird nochmals differenziert nach den

Entfernungen vom Zentrallager: Kurze Distanzen werden in der Regel zwei bis viermal wöchentlich

beliefert, wobei hier die Lagerreichweite auch entsprechend geringer ist; längere Distanzen und auch

das Nicht-EU-Ausland werden im Wochenraster beliefert. Sofern es sich um Mengen handelt, welche

eine Direktlieferung vom Hersteller an den Standort rechtfertigen, erfolgt ergänzend eine

Direktbelieferung durch Lieferanten bzw. auch eine Direktbelieferung von Kunden ab Lieferant.

Die Kunden werden über Paketdienste im 24-Stunden-Lieferservice oder bei Großsendungen per

Spedition beliefert. Dabei erfolgt die direkte Kundenbelieferung im Inland ab Zentrallager und auch

in die EU-Länder, in denen die Sendung maximal zwei bis drei Tage unterwegs sind. In Nicht-EU-

Ländern erfolgt die Kundenbelieferung, angepasst auf die länderspezifische Verkehrsinfrastruktur.

Dort, wo ab Landeszentrallager der Kunde in einer akzeptierten Zeit beliefert werden kann, erfolgt

die Zentralauslieferung. Bei sehr schlechter Verkehrsinfrastruktur wird nach dem Kundenbedarf

differenziert. Benötigt der Kunde einen Artikel sehr schnell, so kann auch der Abholstützpunkt per

Paket- oder Botendienst ausliefern. Akzeptiert der Kunde eine gewisse Lieferzeit, so wird vom

Länderzentrallager ausgeliefert.

Mit diesem Konzept konnte eine massive Entflechtung der Supply Chain im Hinblick auf die

Warenströme erreicht werden. Ein Großteil der Liefermengen fließt heute vom Lieferanten an das

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Zentrallager und von dort direkt zum Kunden. Die geringere Menge fließt vom Zentrallager

kostengünstig in die Abholstützpunkte, wo sich der Kunde selbst bedient.

Lieferanten

Ein Großteil der verkauften Produkte stammt, wie bereits ausgeführt, von wenigen unterschiedlichen

Lieferanten. In der ursprünglichen Organisationsform, wo jede Niederlassung teilweise selbst

bestellte oder den Bedarf vom Zentrallager anforderte, war für den Lieferanten nicht einmal eine

näherungsweise Kapazitätsplanung der Produktion möglich. Zudem entstand der Bullwhip- oder

Peitscheneffekt: Ein Regionallager bestellt beim jeweiligen Länderzentrallager, das

Länderzentrallager beim Lieferanten oder im Zentrallager des Unternehmens die größeren Mengen

für die Lagerauffüllung. Der Bestellzeitpunkt war naturgemäß nicht bekannt und es gab auch

Konzentrationsphasen, in denen mehrere Standorte innerhalb weniger Tage größere Mengen

bestellten, wofür weder beim Lieferanten die Produktionskapazität noch im Zentrallager ausreichend

Bestand vorhanden war. Der Lieferant war damit nicht in der Lage, kurzfristig zu liefern. Im

Zentrallager wurden die Bestände „abgeräumt“ und man war nicht mehr lieferfähig, obwohl dann im

dezentralen Lager wieder eine entsprechende Vorratsmenge vorhanden war. Die Folge war ein

unwirtschaftlicher Materialtourismus, das heißt, was eben noch an ein dezentrales Lager ausgeliefert

wurde, musste Tage später als Teilmenge wieder an das Zentrallager zurückgeschickt werden, damit

der Kunde befriedigt werden konnte.

Nach der neuen Organisationsform wird künftig eine durchgängige Supply Chain aufgebaut. Jeder

Verkauf, also jede Bestandsveränderung aus jedem Land bzw. aus jedem Stützpunkt wird im

Nachtlauf an die zentrale Disposition überspielt. Damit ist dann eine abgesicherte Langfristprognose

möglich, bereits Wochen oder Monate vor dem tatsächlichen Bedarf ist tendenziell die Entwicklung

bekannt und je näher der Bedarfstermin heranrückt, desto exakter werden die Prognosen und damit

Bestellmenge. In der ersten Realisierungsstufe erfolgt noch eine direkte Abstimmung zwischen dem

zuständigen Disponenten und dem Lieferanten über Zeitpunkt und Umfang der benötigten

Produktionskapazitäten. Im zweiten Schritt ist geplant, dass mit den Top-A-Lieferanten die Supply

Chain auf den Lieferanten ausgedehnt wird, d.h. die Verbräuche werden direkt an den

entsprechenden Lieferanten durchgereicht. Dieser kann nur, basierend auf den Bevorratungsregeln,

die entsprechenden Kapazitäten langfristig einplanen und ist somit in der Lage, bedarfsgerecht zu

produzieren und zu liefern.

Als weiteren Punkt zur Absicherung der Lieferfähigkeit werden in Zukunft die Angebote für

Großprojekte im Hinblick auf die Auftragschancen bewertet. Daraus abgeleitet, werden die

Hauptlieferanten über diese prognostizieren Bedarfsmengen informiert, so dass hier Reserven in der

Produktionskapazität eingeplant werden können.

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Die Lager

Da ursprünglich zwei Zentrallager am Firmensitz und praktisch in jeder Niederlassung und an jedem

Stückpunkt weitere Lager betrieben werden mussten, zeigt sich schnell, dass im Prinzip nur ein

Zentrallager erforderlich sein würde – im Hinblick auf Wert und Volumen ergaben sich in der Summe

bei zentralen Beständen deutlich geringere Werte. Mit der Realisierung des Zentrallagers waren

einige, ganz erheblichen Optimierungs- bzw. Einsparungsmöglichkeiten verbunden – hierzu einige

Beispiele:

• Lagervolumeneinsparung durch bessere Ausnutzung der Ladehilfsmittel und der

Regaltechnik.

• Weniger Wareneingangsbewegungen und -buchungen durch größere Mengen pro

Wareneingang.

• Deutlich weniger Mischpaletten mit Sortier- und Umpackerfordernis, durch größere Mengen

pro Artikel.

• Optimierung in der Kommissionierung durch mehrere Kundenaufträge pro

Kommissionierrunde.

• Bessere Mitarbeiterauslastung durch höhere aber machbare Leistungsanforderung.

• Optimierte Kapazitätsglättung durch die Kombination von zeitkritischen Kundenaufträgen

und planbaren Versorgungsaufträgen der Niederlassungen.

• Nachgewiesene Wirtschaftlichkeit für ein hocheffizientes LVS hLagerverwaltungs- und

Steuerungssystem) mit belegloser Lagerabwicklung aufgrund höheren Leistungsanfalls.

Dadurch drastische Optimierung aller Lagerprozesse.

• Einsatzmöglichkeit von temporären Arbeitskräften zur Kapazitätsglättung der

Kommissionierleistung.

• Höchste Bestandssicherheit durch MDE-Kommissionierung und Nulldurchgangskontrolle.

• Wegfall der Stichtagsinventur durch Einführung der permanenten Inventur während der

Kommissionierung.

• Wirtschaftliche Durchführung einer Direktkommissionierung in Versandkartons.

• Reduzierung von Versandpufferflächen durch Direktverladung von Paketen und Stückgut auf

Wechselbrücken. Durch das deutlich erhöhte Versandvolumen konnte eine Auslastung der

Wechselbrücken erreicht werden.

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Fazit

Durch die Entwicklung eines Gesamtkonzepts für die Supply Chain konnte die Wettbewerbsfähigkeit

des Unternehmens nachhaltig gestärkt werden – man gehört inzwischen zu den Marktführern. Die

drastische Bestandsreduzierung erhöhte die betriebliche Liquidität, welche zur Verbesserung der

Marktposition durch den Aufbau einer Vielzahl neuer Abholstützpunkte genutzt werden konnte. In

Verbindung mit einem ausreichend großem Lagervolumen konnten auch erhebliche Einkaufsvorteile

erzielt werden, da bei interessanten Preisen durchaus auch Großmengen eingekauft werden können.

Durch die optimierte Disposition und die Nutzung des Supply Chain Gedankens wurde eine deutlich

erhöhte Warenverfügbarkeit erreicht, die bis hin zum Lieferanten reichte. Umsätze, die früher wegen

Nichtverfügbarkeit der Ware verloren gingen hbaugleiche Produkte sind auch bei Wettbewerbern

erhältlich) können nunmehr getätigt werden. Durchgehend optimierte und deutlich aufwandsärmere

Prozesse versetzen das Unternehmen in die Lage, bei unverändertem Personalbestand erheblich

mehr Umsatz abzuwickeln.

Natürlich ist eine so umfassende Restrukturierung nicht in wenigen Wochen zu erledigen. Das neue

Zentrallager mit der entsprechenden Organisation konnte ein Jahr nach Projektstart in Betrieb

gehen. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Umwandlung der Niederlassungen in Abholstützpunkte

umgesetzt und darüber hinaus neue Stützpunkte eröffnet. Das neue Versorgungskonzept wurde

ebenfalls ab diesem Zeitpunkt realisiert. Disposition und Einkauf wurde nach ca. 14 Monaten

zentralisiert. Die Einführung der Supply Chain wird in der Gesamtheit ca. 24 Monate in Anspruch

nehmen.

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2. Fallbeispiel: Serienfertige Baubeschläge

Ausgangssituation

Das Privatunternehmen ist seit Ende des 1D. Jahrhunderts organisch gewachsen. Die

technikorientierte Unternehmensführung investierte vorzugsweise in Produktionsmaschinen. Als

Organisationsform wurde, mit Ausnahme der Finanzbuchhaltung und einem älteren PPS-System, eine

Zuruforganisation praktiziert, zum Teil parallel zur EDV-Organisation. Die Gebäudesubstanz, speziell

für die logistischen Funktionen, war in weiten Bereichen überaltert und für die vorhandene Nutzung

schlecht geeignet. Logistik als Unternehmensfunktion war in keiner Weise gegeben. Rohmaterial,

Teile, Baugruppen und Fertigprodukte waren über das gesamte Werksgelände verteilt. Dies erzeugte

eine Vielzahl von Wareneingangs- und Warenausgangspunkten auf dem Werksgelände.

Bestandszahlen waren permanent unstimmig, Lagerbereiche platzten aus allen Nähten, Fahrwege

und Freiflächen in Produktion und Montage waren mit Material vollgestellt. Lieferverzögerungen und

Produktionsunterbrechungen aufgrund fehlender Teile oder Fertigprodukte waren an der

Tagesordnung. Eil- und Sonderaufträge zur Befriedigung von Kundenwünschen waren Normalität.

Selbst die Lieferzeiten für Standardartikel waren, trotz zum Teil sehr hoher Fertigwarenbestände, zu

lang. Der Marktanteil für die eigentlichen Serienprodukte reduzierte sich permanent und Kleinserien

mit ungünstigem Deckungsbeitrag nahmen zu. Die Unzufriedenheit der Kunden wurde trotz

qualitativ hochwertiger und durchaus wettbewerbsfähiger Produkte zum tagtäglichen Problem.

In dieser Situation entschied das Unternehmen ad hoc, ein vollautomatisches Hochregallager zu

bauen. Dies geschah in der Hoffnung, dadurch ausreichend Lagerkapazität zu schaffen und die

Transparenz im Unternehmen zu steigern. Ferner sollte durch eine massiv erhöhte Lagerkapazität die

Voraussetzung geschaffen werden, noch mehr Fertigwarenbestände am Lager zu führen, um damit

die hvermeintlichen) Kundenbedürfnisse besser befriedigen zu können. Die auf Sparsamkeit

ausgerichtete Denkweise führte dazu, dass das neue Hochregallager kostenlos durch einen Hersteller

geplant werden sollte. Mehrere Hersteller wurden zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Glücklicherweise war die Situation für das Unternehmen jedoch so, dass mit ca. 25 unterschiedlichen

Ladehilfsmitteln hBehälter/Paletten) gearbeitet wurde, wodurch kein Lieferant in der Lage war, ein

funktionsfähiges automatisches Lager anzubieten. Auf Empfehlung eines Lageranlagenherstellers

wurde dann ein externer Logistikberater eingeschaltet. Eine ausführliche Werksbegehung zeigte

schnell, dass ein automatisches Lager zwar mehr Volumen schaffen und weniger personalintensiv

arbeiten, die eigentlichen logistischen Probleme dieses Unternehmens jedoch nicht lösen würde.

Man hätte also nur die Symptome kuriert und nicht an den eigentlichen Ursachen gearbeitet. Vor

diesem Hintergrund konnte die Unternehmensführung überzeugt werden, dass ein langfristig

befriedigendes Ergebnis nur durch eine ganzheitliche logistische Planung zu erreichen war.

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Schwachstellen und Optimierungspotentiale

Der Planungsablauf verlief dann in der klassischen Reihenfolge mit: Ist- und Schwachstellenanalyse,

Aufzeigen der Ursachen, Darstellung von Optimierungsansätzen, Planung eines ganzheitlichen

logistischen Konzeptes unter Berücksichtigung aller relevanten betrieblichen Funktionen,

Durchführung einer Werksentwicklungsplanung hBetrachtungszeitraum über 15 Jahre), Feinplanung

der Einzelgewerke und stufenweise Realisierung der Gewerke nach Kosten-/Nutzengesichtspunkten.

Unter dem Denkansatz, dass Logistik von nahezu allen Unternehmensbereichen beeinflusst wird,

wurden mit Ausnahme der Finanzbuchhaltung, des Personal- und Rechnungswesens und der

Forschung und Entwicklung alle Unternehmensbereiche in die Logistikanalyse eingebunden. Diese

Vorgehensweise hat sich auch im Nachhinein als richtiger Weg erwiesen, da eine Vielzahl von

Optimierungsansätzen sonst nicht erkennbar geworden wäre. Im Folgenden werden die

wesentlichsten Schwachstellen und Optimierungsmöglichkeiten, auch in ihrer gegenseitigen

Abhängigkeit, kurz verdeutlicht:

• Zu hohe Fertigungstiefe: In der eigenen Gießerei wurde in hohem Maße Standardguss

produziert, der allerdings preiswerter und in abgesicherter pualität am freien Markt zu

beschaffen war; der Denkansatz dominierte, dass ohnehin vorhandene Einrichtungen auch

genutzt werden sollten. Durch die Konzentration auf Spezialguss, der größeres Know-how

erforderte, konnte die halbe Gießereifläche freigestellt werden. Dadurch wurde es möglich,

den außerordentlich ungünstig platzierten Warenein-/ausgang für Stangenmaterial an der

optimalen Stelle neu zu errichten. Zusätzlich ergaben sich Kostenvorteile bei den

Gusseinstandspreisen.

• Zu hohe Losgrößen: Durch den personellen Engpass bei der Einrichterkapazität wurden die

Drehautomaten zu selten umgerüstet. Die Folge waren unwirtschaftlich hohe Stückzahlen.

Im Endeffekt platzten wiederum die nachgeschalteten Lager aus allen Nähten, ein weiterer

Nachteil ergab sich aus der durch die hohen Lagerbestände bedingten Kapitalbindung. Die

Analyse verdeutlichte, dass die Einrichter nahezu 50 % ihrer Arbeitszeit für

Transportaufgaben aufwenden mussten. Erschwerend kam hinzu, dass durch die sehr enge

Maschinenaufstellung praktisch jede einzelne Rohmaterialstange manuell über größere

Distanzen zum Drehautomaten getragen werden musste. Der Lösungsansatz war ein

fertigungsintegriertes, automatisches Stangenlager mit Direktanbindung der Drehautomaten.

Dadurch wurde eine automatische Stangenversorgung gewährleistet. Der Abtransport der

Drehteile in Behältern wurde über Fördertechnik automatisiert, so dass auch hier kein

personeller Aufwand erforderlich war. Die verfügbar gewordene Einrichterkapazität erlaubte

nun ein häufigeres Umrüsten ohne weiteren Personalaufbau und damit eine Produktion von

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wirtschaftlicher dimensionierten Losgrößen. Auch wurde der Lagervolumenbedarf für fertige

Drehteile und damit das gebundene Kapital reduziert.

• Fertigungsgliederung: Das Gesamtunternehmen war nach dem klassischen Werkstattprinzip

gegliedert. In der Analyse wurde deutlich, dass für das umsatzstärkste Serienprodukt ein

Drehautomat exakt die Kapazität produzieren kann, welche der nachgeschaltete

vollautomatische Montageautomat verarbeitet. Durch die Umstellung des Drehautomaten in

die Montage hin gekapselter Ausführung) wurden die komplette Lagerhaltung und das

Mehrfachhandling des Teils mit der höchsten Stückzahl vollständig vermieden.

• Qualitätssicherung: pualität hat in diesem Unternehmen höchste Priorität. So wird jede

Lieferung − unabhängig von der Lieferantenzuverlässigkeit − auf pualität kontrolliert. Eine

Dokumentation der Prüfungsergebnisse und die Lieferantenklassifikation nach

pualitätsmerkmalen konnten den Prüfaufwand verringern und die Wareneingangszeit

erheblich verkürzen. Die pualitätskontrolle von Eigenfertigungsteilen war wiederum einer

separaten Abteilung vorbehalten, die nach vollständiger Produktion einer Losgröße über

Stichproben die Maßhaltigkeit der Teile überprüfte. Dies hatte zur Folge, dass z. B. 100.000

Drehteile produziert wurden hvgl. Problem der Einrichterkapazität), nach wenigen Teilen

jedoch ein Toleranzproblem auftrat und somit die gesamte Charge an hochwertigen

Messingteilen nur noch Schrott war. Da dieser Bereich ebenfalls einen Engpass bildete,

entstand in der Folge ein weiteres Problem. Bei Fehlteilen in der Produktion wurden die frei

vor der pualitätskontrolle stehenden ungeprüften Teile ohne Buchungsvorgang entnommen

und in der Montage verbaut. Dies führte zu erheblichen Bestandsdifferenzen und bei

fehlerhaften Teilen zu Kundenreklamationen mit ganz enormen Folgekosten wie

Rückfrachten, Demontage der Endprodukte, Eilaufträge in geringen und unwirtschaftlichen

Stückzahlen zur Befriedigung der dringendsten Kundenbedürfnisse etc. Durch eine

Verlagerung der pualitätssicherung auf die Maschinenbediener wurden nicht nur die oben

beschriebenen Probleme gelöst, sondern eine erhebliche Entlastung des administrativen

Bereiches erreicht. Neben Kundenverärgerung generiert jede Reklamation in hohem Maß

personellen Aufwand. Der Vertrieb musste die Reklamation bearbeiten, die

Arbeitsvorbereitung anschließend Eilaufträge einplanen, die Fertigungsleitung neue

Prioritäten vergeben hmit der Folge der Verzögerung anderer Aufträge), in der Buchhaltung

mussten Gutschriften und neue Rechnungen erstellt werden usw. Typisch für solche

Reklamationen war zudem, dass meist die Führungskräfte damit belastet waren und so ihre

wertvolle und knappe Zeit verschwendet wurde.

• Teilehandling: Das Teile war extrem aufwändig und die vorhandene Lagertechnik nicht an die

Aufgabenstellung angepasst; die umfangreiche, flächige Teilebereitstellung in der Montage

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blockierte teure Montagefläche. Die Teile wurden zu oft in die Hand genommen – dazu ein

Beispiel: Ein Teil, das in der Dreherei in einem Behälter produziert wurde, musste manuell

zur Wäscherei transportiert werden, hier füllte man die Teile dann vom Wasch- in den

Lagerbehälter, von wo aus der Behälter in einen Puffer vor die pualitätssicherung gestellt

wurde. In der pualitätssicherung entleerte man den Behälter nochmals, um die Stückzahl

manuell festzustellen, da eine Zählwaage nicht vorhanden war. Anschließend wurde der

Behälter auf eine Palette gestellt und mit Gabelhochhubwagen in ein Palettenregal

eingestapelt. Für die Produktion fand eine stückzahlgenaue Kommissionierung statt, und

zwar durch die Entnahme der Palette mit dem Hochhubwagen aus dem Regal. Eine

abgezählte Entnahme und anschließende Wiedereinlagerung schlossen den Vorgang ab. Die

Behältergewichte waren so hoch, dass die Frauenarbeitsplätze nur durch einen männlichen

Transporteur versorgt werden konnten. Um beim Dreischichtbetrieb den Transporteur der

dritten Schicht einzusparen, wurden vor jedem Montageplatz außerordentlich platzintensive

Pufferrollenbahnen aufgebaut. Allerdings hatte niemand nachgeprüft, ob ein Transporteur in

Relation zur Investition in Rollenbahnen und zur verbrauchten Fläche nicht kostengünstiger

gewesen wäre. Als ganzheitlichen Lösungsansatz fand sich schließlich ein

montageintegriertes automatisches Behälterlager. Damit konnten die Behälter ohne

personellen Eingriff direkt vom Drehautomaten über die Wäsche im Behälterlager

eingelagert werden hdie Kontrolle war jetzt nicht mehr erforderlich). Die

Montagemitarbeiterinnen konnten sich die Behälter bedarfsorientiert selbst abrufen. Die

Behälterbereitstellung erfolgte auf so genannten Auszugsschublagen seitlich im Regal und

war somit im direkten Zugriffsbereich. Eine Kommissionierung entfiel komplett, da ein nicht

völlig entleerter Behälter wieder automatisch zurückgelagert wurde. Die Platzeinsparung an

wertvoller Montagefläche war enorm, da die Lagerung fortan in der Vertikalen und nicht auf

Rollenbahnen in der Fläche erfolgte. Der weitere Vorteil dieser Lösung war, dass ohne

bauliche Maßnahmen sofort freie Montageflächen für die Unternehmensexpansion

verfügbar wurden.

• Anordnung der Logistikbereiche: Durch die organisch gewachsenen Gebäudestrukturen und

die verteilten Lagerflächen waren insgesamt zwölf unterschiedliche Warenein- und -

ausgänge erforderlich. Jede dieser Stellen bildete zudem verkehrstechnisch eine Sackgasse,

die ein aufwendiges Rangieren der LKW erforderlich machte. Der Personalaufwand war

extrem hoch, da über das Rangieren erhebliche Wartezeiten für das eigene Personal

generiert wurden. Eine Veränderung wurde in der Vergangenheit mit dem Argument

abgelehnt, dass aus Gründen des Denkmalschutzes und nicht verfügbarer Fläche keine

Lösung möglich sei. Da bei der Analyse jedoch auch ein Baukörperkatalog erstellt wurde,

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konnte man nachweisen, dass ein vermeintlich unter Denkmalschutz stehender

Gebäudetrakt tatsächlich abgerissen werden konnte. Vereinfacht wurde diese Entscheidung

noch dadurch, dass dieser Trakt extrem schlecht genutzt wurde hvier Arbeitsplätze auf 200

qm Fläche). Des Weiteren war von Vorteil, dass durch freigewordene Flächen in der Gießerei

eine zusätzliche Durchfahrt geschaffen werden konnte. Unter diesen Ansätzen konnte eine

hervorragende Verkehrsführung erreicht und eine optimale Anbindung der neuen

zentralisierten Wareneingänge und -ausgänge geschaffen werden.

Weitere Schwachpunkte waren

Vertrieb:

• Keine klare Produktpolitik, dadurch überhöhte Produktvielfalt und zu geringe Abverkäufe.,

• Zu lange Lieferzeiten und dennoch sehr schlechte Liefertermintreue.

• Zunehmende Probleme bei der Durchsetzung eines markfähigen Verkaufspreises, da

Schlüsselwettbewerber über eine wesentlich kostengünstigere Produktion verfügten.

Planung und Steuerung der Fertigung:

• Zu geringe EDV-Unterstützung hArbeitsfortschritt, stimmige Stückzahlen, strategische

Steuerungskonzepte usw.).

• Zu hoher Planungsaufwand durch Eilaufträge und Fertigungsunterbrechung wegen

auftretender Fehlteile.

• Nur wenige Kennzahlen für Planungs- und Entscheidungsprozesse verfügbar.

Disposition und Einkauf:

• Nicht vorhandene Teilesegmentierung nach ABC-//XZ-Kriterien, dadurch zu hoher

Beschaffungsaufwand und zu viele Kleinsendungen im Wareneingang.

• Sehr hoher Anteil an Eilbestellungen durch Fehlteile in der Produktion.

• Keine Lieferantenklassifikation, dadurch zu hoher Aufwand in der pualitätskontrolle des

Wareneingangs.

Lagerung und Transport:

• Fehlende EDV-gestützte Lagerverwaltung, dadurch sehr schlechte Volumennutzung, höchste

Personenabhängigkeit, hoher Flächenverbrauch durch Vorkommissionierung, sehr ineffektive

Lagerung und Kommissionierung durch ungeeignete Lagertechnik, höchste Belegflut und

Belegbearbeitung, permanente Arbeitsunterbrechung wegen Nachfragen über Fehlteile,

nicht rechtzeitig bereitgestellte Teile etc.

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Das daraufhin erarbeitete Lösungskonzept umfasste folgende Einzelpunkte:

• Einführung eines Betriebsdatenerfassungssystems zur zeitnahen Erfassung der relevanten

Informationen.

• Einführung von EDV-gestützten Werkzeugen für eine optimierte Disposition und

Beschaffung.

• Einführung eines LVS mit der Möglichkeit zum Bestellabgleich schon direkt im Wareneingang.

• Realisierung eines fertigungsintegrierten Stangenlagers direkt am Bedarfsort mit optimaler

externer Verkehrsanbindung.

• Realisierung von montageintegrierten Behälterlagern.

• Realisierung eines zentralen automatischen Palettenlagers in materialflusstechnisch bester

Position ohne zusätzlichen Grundstücksverbrauch hsanierungsbedürftige Bausubstanz wird

abgerissen).

• Konzentration der gesamten Palettenware hKaufteile, Übermengen an Fertigungsteile,

Fertigprodukte, Packmittel) im Palettenlager.

• Generelle Kommissionierung „Ware zum Mann“, soweit Kommissionierung nicht vermieden

werden konnte.

• Reduzierung der Ladehilfsmittelvielfalt ohne negative Einflüsse auf den Ablauf bei insgesamt

fünf Typen.

• Teilweise Einführung von Fließfertigung.

• Einführung von Gruppenarbeit mit „Job enrichment“-Komponenten.

• Zentralisierung auf einen Wareneingang und -ausgang hmit Ausnahme von Stangenmaterial).

Die Umsetzung der vorstehenden Maßnahmen erbrachte für den Betrieb folgenden Nutzen:

• Absicherung des Unternehmensstandortes durch bessere Nutzung der vorhandenen

Betriebsflächen.

• Betriebsflächenfreisetzung als Reserve für weiteres Unternehmenswachstum.

• Massiver Personalabbau im administrativen und logistischen Bereich.

• Sicherstellung von stimmigen Beständen über Permanentinventur.

• Lückenlos stimmige, zeitnahe und belegarme logistische Informationsverfolgung.

• Massiver Bestandsabbau bei Rohmaterial, Teilen, Baugruppen und Fertigprodukten bei

gleichzeitiger Erhöhung der Lieferfähigkeit und Termintreue

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• Drastische Reduzierung der Durchlaufzeiten.

• Massive Verkürzung der Lieferzeiten.

• Erhebliche Vereinfachung der gesamten Ablauforganisation über den Logistik-Bereich hinaus.

• Schaffung maximaler Transparenz.

• Möglichkeit zur stufenweisen Einführung der Systemkomponenten entsprechend der

Investitionsbereitschaft, jedoch mit dem direkten Nutzen aus jeder Teileinvestition.

• Vermeidung von Fehlinvestitionen, auch bei Übergangslösungen, weil das Endziel eindeutig

dokumentiert ist und jede Maßnahme daran ausgerichtet werden kann.

3. Fallbeispiel: Serienfertige Kunststoffartikel für Endverbraucher

An diesem Beispiel vorgestellt, bei dem deutlich wird, wie wichtig der Supply Chain Gedanke auch

über die klassische Logistik hinaus ist, also vom Materiallieferanten bis hin zum Kunden. Es wird

deutlich, dass ein Logistik auch über den „Tellerrand“ hinaus schauen muss und wenn er es für

sinnvoll erachtet auch einmal die Auslöser für logistische Leistungen, wie Marketing und Vertrieb, zu

untersuchen hat. Und es wird deutlich, welchen enormen Nutzen für ein Unternehmen im direkten

Logistikbereich, aber auch in anderen Bereichen erreicht werden können, wenn dieser ganzheitliche

Denkansatz auch gelebt wird.

Ausgangssituation

Beim folgenden Beispiel handelt es sich um ein Privatunternehmen, das Ende des 1D. Jahrhunderts

gegründet wurde. Die vertriebsorientierte Unternehmensführung betrachtete Produktion und

Logistik als nachgeordnete Erfüllungsgehilfen des Vertriebs. Als besonderes Problem erwies sich

dabei die Distributionslogistik, da trotz überhöhter Bestände nur eine geringe Lieferfähigkeit und

Ausliefergeschwindigkeit möglich war. Das außerordentlich erfolgreiche Unternehmen war organisch

gewachsen und hatte dadurch die Lagerbereiche an materialflusstechnisch ungünstigen Positionen

platziert, stets dort, wo ist noch eine wenig Platz war. Auf diese Situation wurde schon in den 1D70er

Jahren mit der Installation eines fahrerlosen Transportsystems reagiert, um die weiten Strecken

heinfache Entfernung ca. 800 m) und den enorm hohen Materialfluss der relativ großvolumigen

Produkte vermeintlich wirtschaftlich bewältigen zu können. Diese Konstellation stellte bereits damals

eine Fehlinvestition im Millionenbereich dar.

Neben dem Firmenstammsitz wurde ein Zweigwerk aufrechterhalten, das für nahezu alle Produkte

Montageanteile produzierte – damit entstand ein intensiver Zwischenwerksverkehr über eine

Entfernung von nahezu 70 km. Die aktuelle Situation war dadurch gekennzeichnet, dass alle

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verfügbaren Lagerkapazitäten im Stammhaus und im Zweigwerk permanent ausgeschöpft waren und

deshalb zusätzliche externe Lagerkapazitäten in erheblichem Umfang angemietet werden mussten.

Daraufhin wurden durch zwei unabhängige Berater „Logistikplanungen“ durchgeführt, die beide zu

dem Ergebnis kamen, dass ein neues vollautomatisches Zentrallager mit einer Anbindung der

Produktion über das vorhandene fahrerlose Transportsystem eine Lösung darstelle. Das

Investitionsvolumen wurde auf ca. 1 Million Euro geschätzt. Allerdings waren diese Planungen nicht

umfassend genug und zu techniklastig: Es wurde…

• keine fundierte Bedarfsanalyse durchgeführt. Die Grundlage für die Lagerdimensionierung

war die verbale Einschätzung, dass mindestens 6.000 zusätzliche Palettenplätze benötigt

werden, dies aber ohne jede analytische Betrachtung.

• keine an der geplanten Unternehmensentwicklung orientierte Langzeitbetrachtung

angestellt.

• von vornherein nur die Alternative „automatisches Hochregallager“ betrachtet, weniger

technisierte Lösungsansätze wurden nicht geplant und bewertet.

• die vorhandene Logistik in der Untersuchung nicht berücksichtigt, auch wurde nicht

untersucht, welcher Nutzung die relativ großen, in Zukunft nicht mehr benötigten

Lagerbereiche zugeführt werden könnten.

• keine Wirtschaftlichkeits- und Amortisationsberechnung durchgeführt.

Schon hier zeigt sich, dass nicht jeder Berater bzw. Lagerplaner auch ein kompetenter Logistiker ist;

das weitverbreitete „Denken in Stahl und Eisen“ ist nicht in jedem Fall der richtige Weg.

Trotz dieser Mängel war die Realisierung des neuen Warenverteilzentrums vom Grundsatz her durch

den Inhaber genehmigt, da man im eigenen Haus keine logistische Erfahrung hatte und somit das

Ergebnis nicht korrekt bewerten konnte. Man ließ sich von der eindrucksvollen automatischen

Technik blenden. Zum Zeitpunkt des Projektbeginns war die Feinplanung des Anbieters fertiggestellt

und die Auftragsvergabe stand an. Durch die Einsetzung eines neuen, logistikerfahrenen

Hauptgeschäftsführers rückte jedoch ein neuer Aspekt in den Mittelpunkt des Interesses, nämlich die

Frage, ob das organisatorisch problematische und sehr kostenintensive Zweigwerk durch den

Lagerneubau in das Stammhaus integriert werden kann. Ferner wollte der neue Geschäftsführer die

bisherigen Planungen unter einem ganzheitlichen Logistikdenkansatz nochmals im Hinblick auf die

Optimierungsmöglichkeiten im Bereich der Fertigung hz.B. Losgrößenbildung) und des Lagers

hLagerreichweiten, Nutzung der vorhandenen Logistikeinrichtungen, Organisation, usw.) überprüft

haben, da er die bisherigen Planungsschritte bei der Höhe der Investition und der Bedeutung für das

Unternehmen als nicht umfassend genug einschätzte.

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Vorgehensweise

Über den ganzheitlichen logistischen Denkansatz wurde bei der Ist- und Schwachstellenanalyse auch

der in der Vergangenheit dominierende Bereiche Marketing und Vertrieb analysiert, da sich hier

weiterhin zentrale Anforderungen an die Logistik ergaben. Bei den klassischen Analysen wie ABC-,

Produktquantums- und Lagerreichweitenanalyse zeigte sich sehr schnell, dass die globale

Betrachtung des gesamten Sortiments und der Bestände in diesem Fall keine befriedigenden

Hinweise liefern konnte. Deshalb wurde das Sortiment erstmalig in der Firmengeschichte nach dem

Verkaufsverhalten untersucht und klassifiziert. Dabei wurden folgende Klassen gebildet:

• Klasse 1: Kontinuierlich laufende Standardartikel ohne bedeutende saisonale Schwankungen.

• Klasse 2: Standardartikel mit ausgeprägten saisonalen Schwankungen, in diesem Fall im

Frühjahr und Herbst.

• Klasse 3: Trendartikel mit einem Lebenszyklus zwischen 12 und 18 Monaten.

• Klasse 4: Sonderartikel als Auftragsfertigung.

Da diese Klassifizierung in hohem Maße den Vertrieb berührte, wurde die Klassifizierung, nach

Vorgabe durch den Logistiker und den Vertrieb selbst durchgeführt. Um die Aussagefähigkeit der

Analyse abzusichern, wurde ein Betrachtungszeitraum von zwei Jahren gewählt. Als Analyseergebnis

wurde vorgegeben: Verkaufte Stückzahlen pro Artikel, Umsätze pro Artikel zu Herstellkosten,

Umsätze pro Artikel zu Verkaufspreisen, Nettoerlöse pro Artikel sowie Deckungsbeitrag 1 und 2 in

Prozent der Nettoerlöse.

In Folge wurden die Ergebnisse dann wiederum nach ABC-Kriterien sortiert und aufbereitet. Ferner

wurde eine zusätzliche Analyse über die Entwicklung der Artikelvielfalt in Relation zum

Verkaufsumsatz durchgeführt und mit einer Aussage zur Häufigkeit der Modellwechsel im

Betrachtungszeitraum unterlegt. Desweiteren wurden Themen wie Anzahl Rüstvorgänge, Rüstzeiten,

Verweilzeiten in der Zwischenpufferung usw. betrachtet.

Erkenntnisse

Damit wurde zum ersten Mal im Unternehmen transparent, dass auf Erfahrung basierende

Zielvorgaben des Vertriebs über Mindestverkaufsmengen und Mindestumsätze im Ansatz zwar

richtig, aber für die operative Steuerung nicht ausreichend waren hnicht zuletzt deshalb, weil der

Ertragsaspekt und die Kundenbedürfnisse keine oder nur geringe Berücksichtigung fanden). Ferner

wurde erkennbar, dass selbst die eigenen, eingeschränkten Zielvorgaben in den seltensten Fällen

tatsächlich eingehalten wurden. Da jedoch eine systematische Betrachtung der Auswirkungen dieser

Vorgaben bisher nicht möglich war und auch die Kontrolle der Zielerreichung unterblieb, konnte man

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im Vertrieb die Folgen der eigenen Dispositionen für das gesamte Unternehmen nicht einschätzen.

Zudem sah man auch keine verstärkte Notwendigkeit, die eigenen Richtlinien einzuhalten. Besonders

interessant war, dass selbst bei Artikeln der Klasse 4, also einer kundenauftragsbezogenen Fertigung,

die Stückzahlen und Umsätze nicht eingehalten werden konnten – auch wurde noch festgestellt:

• Der größte Teil der wenigen A-Artikel h80 % Umsatzanteil) wurde über das

Standardsortiment, also Klasse 1 und 2, abgedeckt. h5 % Umsatzanteil entfiel auf das Nicht-

Standardsortiment der Klassen 3 und 4 in einer enormen Artikelvielfalt.)

• D0 % des gesamten Deckungsbeitrags wurde mit wenigen Standardartikeln erzielt. Dieser

hervorragende Deckungsbeitrag wurde in erheblichem Umfang durch Nicht-Standardartikel

aufgezehrt.

• Der Break-even-Point beim Deckungsbeitrag wurde erst erreicht, wenn Verkaufsstückzahlen

und Umsätze nach Verkaufspreisen erzielt wurden, die etwas über den eigenen Zielvorgaben

lagen.

• Mehr als 50 % der Lagerkapazität wurde durch Artikel blockiert, die einen negativen

Deckungsbeitrag auswiesen und weitestgehend als C-Artikel klassifiziert waren.

Reaktion

Diese Ergebnisse machten deutlich, dass das eigentliche Problem des Unternehmens nicht primär im

logistischen Bereich, sondern eher in der Produktpolitik lag. Deshalb wurde die Stoßrichtung des

Projektes im ersten Schritt verändert und als neue Fragestellung formuliert: „Ist es möglich, die

Produktpolitik ohne negative Auswirkungen auf den Absatz und den Kundennutzen zu verändern,

und welche Vorteile ergeben sich insgesamt daraus?“

Damit hatte sich das Logistikprojekt zu einem Marketing- und Vertriebsprojekt gewandelt. Vor dem

Hintergrund der Marktführerschaft dieses Unternehmens wurde festgestellt, dass eine massive

Eingrenzung der Variantenvielfalt problemlos möglich war. Den potentiellen Kunden bleiben nach

wie vor genügend Auswahlmöglichkeiten. Dieser Aspekt stellte sich sogar als insgesamt

außerordentlich positiv dar, da es für einen Verkäufer unmöglich war, 800 unterschiedliche Artikel,

davon regelmäßig ca. 200 Neuheiten, in der verfügbaren Beratungszeit von ca. einer Stunde dem

Kunden vorzustellen; dies wurde auch in direkten Gesprächen mit A-Kunden bestätigt. Die

Kundenverwirrung nahm ab und der Verkäufer konnte sich wirklich auf das Wesentliche

konzentrieren. Ein so genannter Artikel-Kannibalismus, d. h. die Konkurrenz zwischen eigenen

Artikeln, wurde somit weitestgehend ausgeschaltet. Also konnte man die Stückzahlen pro Artikel

massiv und überproportional steigern und damit auch bei modischen Artikeln sehr schnell in den

Bereich positiver Deckungsbeiträge gelangen.

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Lösungskonzept

Das daraufhin entwickelte Lösungskonzept umfasste folgende Hauptpunkte:

• Die Verkaufsstückzahlen und Umsätze nach Verkaufspreisen wurden in den vier Klassen fest

vorgegeben und werden in der Einhaltung konsequent überwacht.

• Neue Produktionslose werden selbst bei vorliegenden Aufträgen nur dann aufgelegt, wenn

sichergestellt ist, dass die wirtschaftlich zu produzierende Losgröße auch verkauft werden

kann hVermeidung von unverkäuflichen Restmengen bei Trendartikeln, Vermeidung von

Umrüstungen für Klein- und Kleinstmengen). Dies wurde auch von den Kunden akzeptiert, da

diese über Alternativartikel für den Verkauf an den Endkunden verfügen.

• Eine Prozesskostenanalyse für repräsentative Produkte wird als Maßstab für die Kalkulation

verwendet. Die bisher benutzte, stärker pauschalierte Kostenrechnung wird hier nicht

eingesetzt, da diese speziell bei Trendartikeln der Klasse 3 und Sonderfertigungen der Klasse

4 die tatsächlich erforderlichen Aufwendungen in keiner Weise berücksichtigt, z.B.

überproportional hohe Rüstkosten.

Resultate

• Die neue Marketing- und Vertriebsstrategie drückte sich in gesteigerten Umsätzen und

einem massiv verbesserten Deckungsbeitrag aus.

• Die Transparenz für den Kunden wurde erhöht, was von den Kunden sehr positiv gewertet

wurde.

• Die vorhandene Lagerfläche wurde zu 50 % frei, zusätzlich konnten noch weitere Flächen

geräumt werden, die vorher in Logistik und Produktion als Pufferflächen dienten.

• Ein Lagerneubau in zweistelliger Millionenhöhe wurde vermieden und auch die damit

verbunden, ganz erheblichen Betriebs- und Unterhaltskosten.

• Sämtliche logistischen Vorgänge in Beschaffung, Fertigungsplanung, Fertigungssteuerung,

Transport, Kommissionierung, Verpackung und Versand werden stark vereinfacht.

• Die Prozesse wurden weitgehend ohne Automatisierungstechnik gestaltet. Damit war eine

höchstmögliche Flexibilität in der Anpassung auf Leistungsschwankungen gewährleistet und

zugleich das Risiko eines Systemausfalls minimiert.

• Das Zweigwerk konnte komplett aufgelöst und dessen Produktionsanteil im Hauptwerk

produziert werden. Dadurch wurden die dort vorhandenen Produktionsmaschinen besser

ausgelastet hweniger Rüstvorgänge bei deutlich geringerer Artikelvielfalt). Durch

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freiwerdende Lagerflächen konnte die benötigte Montagefläche im Hinblick auf einen

optimalen Materialfluss neugestaltet werden. Mit der Auflösung des Zweigwerks war die

Einsparung von ca. 40 Mitarbeiterkapazitäten und des Transportdiensts verbunden. Der

größte Teil des Maschinenparks aus dem Zweigwerk konnte verkauft werden, die frei

gewordene Immobilie konnte zu interessanten Konditionen langfristig vermietet werden.

• Die Stückkosten in der Fertigung wurden deutlich gesenkt, da nach der Umgestaltung im

Regelfall wirtschaftlichere Losgrößen produziert und häufige Umrüstvorgänge vermieden

werden konnten. Eilaufträge, die früher an der Tagesordnung waren, stellen nunmehr die

absolute Ausnahme dar.

• Der Verschrottungsanteil, der früher bis zu 20 % der verkaufsfähigen Produkte betrug,

konnte nahezu auf null reduziert werden.

• Die Effektivität der Montage wurde wesentlich erhöht, da weniger unterschiedliche Typen

montiert werden müssen und die gesamte logistische Infrastruktur optimiert wurde.

Zusatznutzen über die Logistik

Die Intralogistik als eigentlicher Auslöser des Projekts wurde im zweiten Schritt umfassend überdacht

und hierbei nicht nur das geplante Lager betrachtet, sondern alle logistischen Komponenten,

angefangen von der Strategie, über Organisation bis hin zur Flächennutzung und zur Technik und

selbstverständlich auch dem Personalbedarf und der Personaleinsatzplanung in die Überlegungen

einbezogen. Davon profitierte die betriebliche Logistik in hohem Maße, nicht zuletzt dadurch, dass

ein teurer, letztlich aber wenig sinnvoller Lagerneubau verhindert werden konnte. Hier sind folgende

Punkte besonders erwähnenswert:

• Die bisher absolut „chaotische Lagerverwaltung“ ohne EDV-Unterstützung, die sich allein auf

das individuelle Wissen der Mitarbeiter stützte, generierte bei jedem Kommissionierauftrag

im Durchschnitt Wege von 400 m. Durch weniger unterschiedliche Artikel und eine

Artikelplatzierung nach Zugriffshäufigkeit, also keinerlei Veränderungen an der Lagertechnik,

konnte der Weg auf durchschnittlich ca. 30 m verkürzt werden.

• Die Kommissionierung wurde im nächsten Schritt über eine neue Software und den Einsatz

von MDE-Geräten auf ein belegloses Verfahren umgestellt und gleichzeitig eine

Permanentinventur bei Nulldurchgang eingeführt. Damit konnten die Abläufe noch weiter

optimiert, die enorme Papierflut beseitigt und die Stimmigkeit der Bestände auf nahezu 100

% gesteigert werden. Zusätzlich konnte die bisher aufwändige Stichtagsinventur komplett

entfallen.

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• Durch diese Organisationsform konnte die Anzahl der Lagermitarbeiter um über ein Drittel

reduziert und – was vorher nicht möglich war - zur Abdeckung von Schwankungen in der

Leistungsanforderung problemlos temporäre Arbeitskräfte eingesetzt werden.

• Die Versandabwicklung wurde über einfache Förderbänder beleglos und ohne manuelle

Sortierung gestaltet und in den lückenlosen Informationsfluss eingebunden.

• Die versandfertige Ware wird nun direkt in Wechselbrücken verladen, die bei Bedarf auch

tagsüber vom Dienstleister getauscht werden. Neben stark verringertem Handlingaufwand

wurden erhebliche Bereitstellflächen im Versand frei.

• Die manuelle Erstellung der Ladelisten wurde durch eine EDV-Übertragung der Ladelisten an

die beiden Dienstleister ersetzt. Der Paketdienst bzw. Spediteur verfügt damit über alle

Informationen zu einer Ladung, bevor diese noch bei ihnen eintrifft. Durch fortgeschrittene

EDV-Organisation der Transportdienstleister ist es heute dem Kunden möglich, nicht nur eine

Sendungsverfolgung durchzuführen, sondern auch den Auftragsstatus im Lager selbst

einzusehen. Der Kunde kann zu jeder Zeit ohne Aufwand feststellen, in welchem Stadium

sich sein Auftrag innerhalb des Unternehmens befindet und wann seine Sendung

voraussichtlich angeliefert wird.

• Die Flächenanordnung und Flächennutzung wurde so optimiert, dass das veraltete fahrerlose

Transportsystem stillgelegt werden konnte und die enorm hohen Betriebs- und

Unterhaltskosten dafür entfielen. Notwendige Rohstoffe werden in unmittelbarer Nähe der

Produktion gelagert. Halbfabrikate werden vor der Lackierung gepuffert und aufgrund

deutlich höherer Losgrößen in einer Art Fließfertigung bearbeitet.

• Die Montage konnte in einen frei gewordenen Lagerbereich zwischen Produktion und

Endproduktelager verlagert werden. Die Montagekomponenten werden im Kanban-Konzept

produziert/beschafft und den Montageplätzen angedient.

• Vorproduzierte Saisonartikel werden dagegen in der entferntesten Halle gelagert, die vorher

als Montagehalle mit weiten Versorgungswegen über das fahrerlose Transportsystem

angebunden war. Kommissionierung und Auslieferung der Saisonartikel erfolgt direkt aus

dieser Lagerhalle.

Die erforderlichen Investitionen lagen im Bereich von deutlich unter 1 Million Euro und hatten über

die Personalkosteneinsparung eine Amortisationszeit von 8 Monaten. Ferner konnte die ursprünglich

für das neue Automatiklager vorgesehene Fläche von ca. 5.000 m² als Erweiterungspotential frei

gehalten werden. Logistik war hier Auslöser für eine enorme Optimierung im Gesamtunternehmen.

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Page 24: 1. Fallbeispiel: Supply Chain im technischen Großhandel · I. Schröter H. Brumme, N. Schröter,: Supply Chain Management und Logistik 1 © 2010 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart 1. Fallbeispiel:

I. Schröter H. Brumme, N. Schröter,: Supply Chain Management und Logistik

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Logistik wurde dennoch in Folge als weiterer ganz erheblicher Verstärkungsfaktor wirksam. Auch in

diesem Fall hat sich die ganzheitliche logistische Denkweise in eindrucksvoller Form bestätigt.

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