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1 1. Kurze Methodenlehre Philosophie Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. SS 2006 Bräuer Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 2 Was ist Philosophie? Erste Beobachtung (negativ) Im Unterschied zu den anderen Wissenschaften gibt es in der Philosophie keine allgemein anerkannte philosophische Methode. Zweite Beobachtung (negativ) Die Philosophie verfügt auch nicht über einen gesicherten Bestand an allgemein anerkannten Wissensbeständen, der sich in verbindlicher Weise in Lehrbüchern darstellen ließe. Dritte Beobachtung (negativ) Es gibt keine philosophischen Lehrbücher (allenfalls Einführungen in die Philosophie).

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1. Kurze MethodenlehrePhilosophie

Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A.Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A.

SS 2006Bräuer

Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 2

Was ist Philosophie?

Erste Beobachtung (negativ)

Im Unterschied zu den anderen Wissenschaften gibt es in der Philosophie keine allgemein anerkannte philosophische Methode.

Zweite Beobachtung (negativ)

Die Philosophie verfügt auch nicht über einen gesicherten Bestand an allgemein anerkannten Wissensbeständen, der sich in verbindlicher Weise in Lehrbüchern darstellen ließe.

Dritte Beobachtung (negativ)

Es gibt keine philosophischen Lehrbücher (allenfalls Einführungen in die Philosophie).

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 3

Was ist Philosophie?

Vierte Beobachtung (positiv)

Während die üblichen Wissenschaften immer nicht weiter hinterfragte Grundbegriffe voraussetzen (Zahl, Menge, Denken, Bewusstsein, Wahrheit, Materie, Teilchen, Zeit, Raum, Leben, Gegenstand, Eigenschaft) werden in der theoretischen Philosophie typischerweise grundsätzlichere Fragen wie:

„Was gibt es überhaupt?“„Was ist Bewusstsein?“„Was ist Wahrheit?“„Was ist eine Zahl?“

usw. gestellt und zu beantworten gesucht.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 4

Disziplinen der Philosophie

SprachphilosophieWas ist Bedeutung? Was heißt es, dass sprachliche Ausdrücke für etwas stehen? Ist das Sprechen ein Handeln?

ErkenntnistheorieWas ist Erkenntnis? Was ist Wahrheit? Was heißt es, dass eine Behauptung gerechtfertigt ist?

WissenschaftstheorieWas ist ein Gesetz? Was heißt es, eine Aussage oder Theorie zu bestätigen? Was sind Erklärungen? Was macht eine wissenschaftliche Theorie aus?

Ontologie und MetaphysikWas gibt es überhaupt? Was ist ein Ding, was eine Eigenschaft? Gibt es Ereignisse? Was ist Zeit, was ist Raum?

Philosophie des GeistesWas ist Bewusstsein? Was ist Denken? Ist eine neurophysiologische Erklärung des Geistes vollständig? Gehört der Geist zur Natur?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 5

Disziplinen der Philosophie

Philosophische AnthropologieWas ist der Mensch? Was unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen?

EthikAn welchen Normen und Werten sollen wir unser Handeln orientieren? Was ist das Gute? Gibt es ein gutes Leben und worin besteht es?

Politische PhilosophieWarum soll es überhaupt so etwas wie einen Staat geben? Woher leitet er seine Autorität ab? Welche Herrschaft darf als legitim gelten?

RechtsphilosophieIst das geltende Recht legitim und begründet? Welchen Prinzipien hat es zu folgen? Gibt es überhaupt Recht und Unrecht? Was ist Gerechtigkeit?

SozialphilosophieWie sieht das richtige Zusammenleben der Individuen innerhalb einer Gesellschaft bzw. der Gesellschaften untereinander aus?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 6

Disziplinen der Philosophie

GeschichtsphilosophieHat der historische Ablauf der Ereignisse als ganzer einen Sinn? Worin besteht Fortschritt? Wie kann man historische Ereignisse erklären?

TechnikphilosophieIst es zulässig, alles technisch Machbare auch zu verwirklichen? Darf man die Natur verändern wie man will?

ReligionsphilosophieGibt es religiöse Erfahrungen? Was ist Gott? Was heißt es, an etwas zu glauben? Lässt sich ein solcher Glaube rechtfertigen?

ÄsthetikWas ist das Schöne? Gibt es Wahrheit oder Erkenntnis in der Kunst? Wodurch zeichnet sich ein Kunstwerk aus?

Philosophische LogikWas ist ein gültiges Argument?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 7

Was ist Philosophie?

Fünfte Beobachtung (positiv)

Ein Philosoph beschäftigt sich mit philosophischen Texten.

Welche Textelemente sind bei der Lektüre (Analyse) eines philosophischen Textes vorrangig zu beachten?

• Fragen• Thesen• Argumente• Begriffliche Unterscheidungen• Definitionen

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 8

Was ist Philosophie?

Was ist bei der Analyse eines philosophischen Textes zu beachten?

(a) die Elemente (Bausteine) des Textes;(b) die Strukturen und Beziehungen zwischen diesen Elementen.

BausteinfragenWelche Elemente weist der entsprechende Text auf?

StrukturfragenWie sind diese Elemente aufeinander bezogen?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 9

Was ist Philosophie?

Etappen der Textanalyse

(BF) Welche Fragen stellt bzw. behandelt der Autor im Text?(SF) Welche dieser Fragen sind grundlegend für den Text?(SF) Gibt es Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fragen?

(BF) Welche Thesen sind im Text enthalten?(SF) Welche dieser Thesen vertritt der Autor, welche kritisiert er?(SF) Welcher Zusammenhang besteht zwischen den einzelnen Thesen?

(BF) Welche Argumente enthält der Text?(SF) Welche der Argumente vertritt der Autor, welche weist er zurück?(SF) Durch welche Argumente versucht er welche Thesen zu stützen?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 10

Was ist Philosophie?

Etappen der Textanalyse

(BF) Welche begrifflichen Unterscheidungen werden im Text getroffen?

(SF) Welche dieser Unterscheidungen sind grundlegend für den Text?(SF) Welche Funktion haben die einzelnen Unterscheidungen?

(BF) Welche Definitionen sind im Text enthalten?(SF) Welche definierten Begriffe sind grundlegend?(SF) Welche Funktion haben die einzelnen Definitionen im Text?(SF) Welches Verhältnis besteht zwischen den Definitionen und den

übrigen Textelementen?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 11

Was ist Philosophie?

Der „ideale“ Text

Frage 1

gefolgt von beantwortet

These 1

gefolgt von begründet

Argument 1

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 12

Was ist Philosophie?

Philosophieren heißt methodisch und grundlegend fragen sowie rational

und argumentativ antworten.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 13

Kleiner Werkzeugkasten

Kritikmuster

Widerspruch

Paradoxie

Äquivokation

Petitio Principii

Infiniter Regress

Verlorener Gegensatz

Scheinbehauptung

Wegbereiter

Logische Analyse

Definition

Analogie und Metapher

Gedankenexperiment

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 14

Widersprüche

Konsistenz heißt die Widerspruchsfreiheit eines Zusammenhangs von Begriffen oder Überzeugungen.

Eine Menge von Aussagen heißt inkonsistent, wenn sie einen Widerspruch enthält, also z.B. zu einer Aussage der Form „A und nicht A“ führt.

„Ex falso quodlibet“

Aus einem widersprüchlichen System von Aussagen ist jede beliebige Aussage ableitbar. Es ist daher unbrauchbar.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 15

Widersprüche

Inkonsistenzen in der Abtreibungsdebatte

„Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.“

Abtreibungsgegner

1) Abtreibung ist Mord. Also ist sie unzulässig.2) Nidationshemmer (Mittel, die die Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter verhindern) sind moralisch erlaubt.3) Von Abtreibung (und damit Mord) muss man schon vom Zeitpunkt der Befruchtung an sprechen.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 16

Widersprüche

Inkonsistenzen in der Abtreibungsdebatte

„Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.“

Abtreibungsbefürworter

1) Abtreibung ist kein Mord und bis zu einem gewissen Zeitpunkt zulässig.2) Nur in Bezug auf Personen kann man von Mord sprechen.3) Embryonen sind noch keine Personen.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 17

Paradoxien

Das Rabenparadox

Annahme 1: Das Gesetz „Alle Raben sind schwarz.“ wird durch schwarze Raben bestätigt.

Annahme 2: Die Bestätigung eines Gesetzes hängt nicht von dessen Formulierung ab.

Eine andere Formulierung des Gesetzes „Alle Raben sind schwarz“ lässt sich durch die Kontraposition bilden, nämlich:

Annahme 3: „Alle nicht-schwarzen Gegenstände sind keine Raben.“

Dieses Gesetz wiederum kann nun durch ein grünes Blatt bestätigtwerden, denn dieses ist weder schwarz (sondern grün), noch ein Rabe.

Unsere beiden Annahmen hinsichtlich Bestätigung von Gesetzen sind unzureichend, weil sie in ein Paradox führen. Sie müssen verändert werden.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 18

Paradoxien

Das Wahrheitsparadox

Jeder Satz ist entweder wahr oder falsch. (Tertium non datur.)

Ist dieser Satz nun wahr oder falsch? Er ist wahr genau dann, wenn er falsch ist; und er ist falsch genau dann, wenn er wahr ist.

Die Annahme, dass jeder Satz wahr oder falsch ist, kann bei Sätzen, die selbst die Worte „wahr“ oder „falsch“ enthalten, zu Paradoxien führen.

Entweder müssen wir nun diese Annahme auf Sprachen beschränken, die diese Worte nicht enthalten, oder wir müssen sie aufgeben.

Dieser eingerahmte Satz ist falsch.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 19

Äquivokation

Eine Äquivokation liegt dann vor, wenn ein Wort in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gebraucht wird.

Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind sterblich.Alle Griechen sind Menschen. Herakles ist ein Grieche.Also: Alle Griechen sind sterblich. Also: Herakles ist sterblich.

Die obigen Argumente sind deshalb ungültig, weil einer der Ausdrücke „unsauber“ (mehrdeutig) gebraucht wird.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 20

Petitio Principii

Bei der Petitio Principii [lateinisch: „Forderung des Beweisgrundes“] handelt es sich um einen Beweis- bzw. Argumentationsfehler, der darin besteht, dass zum Beweis eine selbst erst beweisbedürftige Aussage verwendet wird.

Annahme 1Annahme 2 Annahme, die problematisch / begründungsbedürftig ist....

begründete These

Ein Sonderfall der Petitio Principii ist der Circulus Vitiosus (Zirkelschluss), bei dem man in einem Argument die Konklusion (das, was bewiesen werden soll) schon in den Prämissen (den Beweisgründen) verwendet.

Annahme 1Annahme 2 Annahme, die (offensichtlich / verdeckt) identisch mit der begründeten These ist....

begründete These

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 21

Petitio Principii

„Das früher verzehrte Brot hat mich ernährt, d.h. ein Körper von diesen sinnlichen Eigenschaften war zu dieser Zeit mit dieser verborgenen Kraft ausgerüstet; folgt aber daraus, dass ein anderes Brot, zu anderer Zeit, mich ebenfalls ernähren muss und dass die gleichen sinnlichen Eigenschaften mit gleichen geheimen Kräften immer verbunden sind? Diese Folge ist durchaus nicht notwendig; wenigstens muss man anerkennen, dass hier eine ... Schlussart besteht, die der Erklärung bedarf.“(David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand)

1. Annahme: In einigen Fällen habe ich die nahrhafte Wirkung von Brot erfahren.2. Annahme: Gleichartige Gegenstände haben immer gleichartige Wirkungen.

begründete These: Jedes Brot hat eine nahrhafte Wirkung.

Mit welchem Recht können wir davon ausgehen, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben?

Woher nehmen wir die Gewissheit, dass sich die Natur gleichförmig verhält?

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 22

Infiniter Regress

Eine unendliche Reihe ist eine Reihe, deren Endpunkt nie erreicht wird. Solche Reihen gibt es viele, z.B. die Reihe der positiven ganzen Zahlen: 1, 2, 3, ... Hierbei handelt es sich um einen harmlosen Regress.

Als einen infiniten Regress bezeichnet man in der Philosophie einen Beweis, bei dem es bei der Begründung der Beweisgründe zu einer immer wieder erneuten Anwendung desselben Beweises kommt, so dass eine unendliche Reihe der Beweisgründe entsteht. Zu einem schädlichen Regress kommt es dann, wenn:

Die Reihe der Beweisgründe zu keinem Ende gelangen kann.

Der Regress aus einer philosophisch interessanten These entsteht.

Der Regress für die Position, aus der er abgeleitet wird, eine Inkohärenz darstellt.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 23

Infiniter Regress

Was ist eine freie Handlung?

1. These: Eine Handlung ist frei, wenn der Handelnde die Handlung will.2. These: Das Wollen besteht aus einem Willensakt (eine „innere“ Handlung).3. These: Ein Willensakt ist frei, wenn ...

Wenn das Wollen ein Willensakt und damit auch eine Handlung ist, dann stellt sich die Frage, inwiefern das Wollen (als Handeln) frei ist. Um von einer freien Handlung zu sprechen, muss diese nicht nur auf einem Willen als solchen, sondern auf einem freien Willen beruhen.

Regress: Eine Handlung ist frei gemäß Definition, wenn der Handelnde sie will. Ein Willensakt aber ist frei, wenn er gemäß Definition vom Handelnden gewollt wird. Der Akt des Wollens eines Willensaktes wiederum ist frei, wenn ... usw. usf.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 24

Verlorener Gegensatz

Ein verlorener Gegensatz liegt dann vor, wenn ich in einer Argumentation an einen Punkt gelange, an dem es keinen begrifflichen Unterschied mehr gibt.

Begriffsworte wie „rot“, „frei“, „materiell“ usw. charakterisieren bestimmte Gegenstände, denen sie zu- oder abgesprochen werden.

• Rote Gegenstände sind solche, die nicht blau oder grün sind.• Eine freie Handlung ist nicht unfrei oder vollständig determiniert.• Etwas ist materiell, wenn es nicht abstrakt oder geistig ist usw.

Wenn wir nun den Anwendungsbereich eines Prädikats so erweitern, dass wir solche Unterscheidungen nicht mehr treffen können, dann bricht die prädikative Funktion von Begriffsworten zusammen.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 25

Scheinbehauptungen

In meiner Armbanduhr sitzt ein Dämon. ... Man kann ihn nicht sehen oder auf sonstige Weise sinnlich wahrnehmen. Seine Entfernung würde die Funktion der Uhr nicht beeinträchtigen. Es lässt sich kein Unterschied angeben zwischen einer Armbanduhr, in der ein Dämon sitzt, und einer solchen, in der keiner sitzt.

Diese Behauptung• lässt sich prinzipiell nicht verifizieren oder falsifizieren.• ist nicht kritisierbar.• ist weder kohärent noch inkohärent, da sie mit keinen weiteren Behauptungen in Beziehung steht.

Es handelt sich um eine Scheinbehauptung!

Sie ist leer und bedeutungslos.Sie besitzt weder positive noch negative Konsequenzen.Wir können sie ohne Verlust aufgeben.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 26

Kritikmuster

Widerspruch: Die Annahmen einer Theorie oder eines Überzeugungssystems sind untereinander nicht konsistent.

Paradoxie: Die Annahmen einer Theorie oder eines Überzeugungssystems haben nicht hinnehmbare oder kontraintuitiveKonsequenzen.

Petitio Principii: Bei der Begründung einer Aussage wird etwas vorausgesetzt, das selbst begründungsbedürftig ist.

Circulus Vitiosus: Bei der Begründung einer Aussage wird das vorausgesetzt, was bewiesen werden soll.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 27

Kritikmuster

Infiniter Regress: Die Begründung einer Aussage beruht auf Prämissen, die denselben problematischen Status besitzen, wie die zu beweisende Aussage.

Äquivokation: Bei der Begründung einer Aussage wird mindestens einer der verwendeten Ausdrücke unsauber (mehrdeutig) gebraucht.

Verlorener Gegensatz: Mindestens einer der in einer Argumentation verwendeten Begriffe ist leer und damit unbrauchbar.

Scheinbehauptung: Es wird etwas behauptet, das weder kritikfähig ist noch positive oder negative Konsequenzen besitzt.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 28

Logische Analyse

Ein Argument ist die Stützung einer Überzeugung durch Gründe.Ein Argument besteht aus einer Reihe von Aussagen.

Eine der Aussagen ist das, wofür argumentiert wird; technisch gesprochen die Konklusion. Die anderen Aussagen bestehen in der Angabe dessen, worauf sich diese Konklusion als Voraussetzung stützt; technisch gesprochen die Prämissen.

Prämisse: Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.

Prämisse: Abtreibung ist Mord.

Konklusion: Abtreibung ist moralisch unzulässig.

Ein solches Argument lässt sich auf zweierlei Weise bestreiten:1) Nachweis, dass es kein formal gültiges Argument ist. (Formfrage)2) Nachweis, dass eine der Prämissen falsch ist. (Tatsachenfrage)

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 29

Formale Gültigkeit

Wenn der Opponent alle Prämissen eines Arguments akzeptiert, dann ist er gezwungen, der Konklusion zuzustimmen, falls das Argument der Form nach gültig ist.

In unserem Beispielfall handelt es sich um ein logisch gültiges Argument. Es hat die folgende Form:

Diese Argumentform hat den lateinischen Namen Modus Ponens.

Logische Analyse

Wenn p, dann qpAlso: q

Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.Abtreibung ist Mord.Also: Abtreibung ist moralisch unzulässig.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 30

Logische Analyse

Formale Gültigkeit

Das Gegenstück zum Modus Ponens ist ein formal ungültiges Argument:

Wenn p, dann qqAlso: p

Prämisse: Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann herrschen Ordnung und Gesetzmäßigkeit.

Prämisse: In der Welt herrschen tatsächlich Ordnung und Gesetzmäßigkeit.

Konklusion: Daher wurde die Welt von Gott erschaffen.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 31

Logische Analyse

Materiale Gültigkeit

Die formale Gültigkeit eines Arguments reicht noch nicht aus, um von einem erfolgreichen Argument zu sprechen. Die meisten – wenn auch nicht alle –Argumente sind formal gültig und dennoch nicht akzeptabel.

Was Sie jetzt noch tun können, ist die Wahrheit der Prämissen zu bezweifeln. Dieser Aspekt heißt materiale Gültigkeit.

Prämisse: Wenn Abtreibung Mord ist, dann ist Abtreibung moralisch unzulässig.

Prämisse: Abtreibung ist Mord.

Konklusion: Abtreibung ist moralisch unzulässig.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 32

Definitionen

Um Mehrdeutigkeiten oder Missverständnisse zu vermeiden, definieren Philosophen ihre wichtigsten Begriffe. Eine Definition stellt eine Identitätsbeziehung zwischen einem zu definierenden Begriff (demDefiniendum) und einem oder mehreren anderen definierenden Begriffen (dem Definiens) her.

Defniniendum =def Definiens

„Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“

Definiendum: Nephograph

Definiens: Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 33

Definitionen

Nominaldefinitionen

Nominaldefinitionen sind konventionell eingeführte Abkürzungen. Der zu definierende Begriff wird relativ willkürlich gewählt. Nominaldefinitionen sind notwendig wahr. (true by convention)

„Ein Nephograph ist ein Gerät, das die verschiedenen Arten und die Dichte der Bewölkung fotographisch aufzeichnet.“

Realdefinitionen

Realdefinitionen beruhen auf wesentlichen Zusammenhängen zwischen demDefiniendum und dem Definiens. Der zu definierende Begriff besitzt schon vor der Definition bestimmte Anwendungsbedingungen, welche durch die Definition erst explizit gemacht werden sollen. Realdefinitionen können sich als falsch herausstellen. (true by the facts)

“Gold ist ein chemisches Element mit der Kernladungszahl 79.”

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 34

Definitionen

Rekursive (induktive) Definitionen

In einer rekursiven Definition werden die Anwendungsbedingungen eines Begriffs dadurch bestimmt, dass ein korrekter Anwendungsfall aufgeführt und eine Regel festgelegt wird, durch die sich alle weiteren Anwendungsfälle bestimmen lassen.

Die rekursive Definition der natürlichen, ganzen Zahlen

Rekursionsanfang: 0 ist eine natürliche Zahl.Rekursionsschritt: Wenn N eine natürliche Zahl ist, so auch N+1.Rekursionsabschluss: Nichts sonst ist eine natürliche Zahl.

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Definitionen

Ostensive (hinweisende) Definitionen

Eine hinweisende Definition ist keine Definition im strengen Sinne. Man versteht darunter die Erklärung eines Begriffs durch das hinweisende Aufzeigen seiner Anwendungsfälle.

„Dies ist rot.“„Das dort ist ein Apfel.“

Eine ostensive Definition kann auch darin bestehen, dass auf abgrenzende Gegenbeispiele gezeigt wird:

„Das dort drüben ist kein Apfel. Das ist eine Birne.“

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 36

Analogien und Metaphern

Häufig werden in der philosophischen Argumentation Analogien oder Metaphern verwendet.

Das Grundmuster solcher Argumente ist die Proportionalanalogie:

a : b = c : d

Der Wert einer Analogie besteht darin, dass man bei Kenntnis von a, b und c auf d schließen kann.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 37

Analogien und Metaphern

Der menschliche Verstand (John Locke)Der menschliche Verstand ist eine tabula rasa (eine leere Tafel), auf die die Erfahrung ihren Bericht einschreibt.

leere Tafel : Beschreiben mit Kreide = Verstand : Erfahrungen sammeln

Seele und Staat (Platon)Für Platon besteht die Seele aus einer lenkenden Vernunft und den zu lenkenden Antrieben. Wenn wir annehmen, dass das Staatsvolk etwas ist, was gelenkt werden muss, dann kann ich vor dem Hintergrund dieses Modells der menschlichen Seele darauf schließen, dass es auch im Staat eine lenkende Instanz geben muss.

Antriebe : lenkende Vernunft = Staatsvolk : Herrscher im Staat

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 38

Gedankenexperimente

Philosophen machen sehr häufig Gedankenexperimente. Sie beschreiben eine erfundene, nicht wirkliche Situation. Die Argumente, welche sich auf ein solches Gedankenexperiment stützen, haben einen besonderen Charakter:

1) Die Prämissen als auch die Konklusion haben einen kontrafaktischen Status: Wenn die Prämissen wahr wären, dann wäre die Konklusion wahr, falls es die beschriebene Situation wirklich gäbe.

2) Gedankenexperimente sprechen über Umstände, die in möglichen Situationen vorliegen würden. („Angenommen, die Welt wäre so und so, selbst dann müsste das und das gelten!“)

3) Die in Gedankenexperimenten ausbuchstabierten Möglichkeiten sollen zeigen, dass gewisse Sachverhalte notwendig (in allen möglichen / denkbaren Situationen) bestehen.

4) Gedankenexperimente decken notwendige Wahrheiten und Zusammenhänge auf, indem sie Umstände beschreiben, die möglicherweise der Fall sein könnten

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 39

Gedankenexperimente

Deus Malignus (René Descartes)

Es könnte sein, dass ein böser Gott (deus malignus) „bewirkt hat, dass es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt, und dass dennoch dies alles genauso, wie es mir jetzt vorkommt, bloß da zu sein scheint.“ [René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia]

Descartes fragt sich, ob es ein unerschütterliches Fundament der Erkenntnis gibt, welches unbezweifelbar gewiss ist. Erfahrungserkenntnis kann uns kein sicheres, über jeden Zweifel erhabenes Wissen verschaffen, da unsere Sinne uns täuschen können. Was wäre, wenn sie uns tatsächlich täuschen würden? Gibt es in dieser (kontrafaktischen, möglichen) Situation überhaupt noch etwas, das unerschütterlich gewiss ist?

Descartes Antwort: Es gibt dann immer noch die Selbstgewissheit des Denkens (cogito ergo sum). Diese Selbstgewissheit bildet das unbezweifelbare Fundament unseres Wissens, weil sie in allen nur denkbaren Situationen bestehen bleibt.

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 40

Zusammenfassung

• Philosophen stellen Fragen.

• Philosophen prüfen Intuitionen auf ihre Konsistenz. (Widerspruchsfreiheit)

• Philosophen stellen Thesen auf und stützen diese durch Argumente.

• Philosophen führen grundlegende Unterscheidungen ein und definieren ihre Begriffe.

• Philosophen prüfen die Argumente anderer kritisch.

• Philosophen fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit eines bestimmten Gegenstandsbereichs. (Gedankenexperimente)

• Philosophen stellen Vergleiche an. (Analogien und Metaphern)

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Einführung in die Theoretische Philosophie Folie 41

Zusammenfassung

Ziel der Philosophie

Hinterfragen des Unhinterfragten und kritische Prüfung von Argumenten

Philosophischer Handwerkskasten

KritikmusterWiderspruchÄquivokationPetitio PrincipiiInfiniter RegressScheinbehauptungParadoxie

WegbereiterLogische AnalyseGedankenexperimentMetapher und AnalogieDefinition

Disziplinen der Philosophie

Sprachphilosophie (Bedeutung)

Wissenschaftstheorie (Gesetz, Erklärung)

Ethik (das gute Leben)

Ontologie (Sein, Existenz, Möglichkeit, ...)

Politische Philosophie (Staat)

Ästhetik (das Schöne)

Religionsphilosophie (Gott)

...