45

111503

Embed Size (px)

DESCRIPTION

 

Citation preview

Page 1: 111503
Page 2: 111503

Sarah Long gewidmet – für alle deine Arbeit;die Bücher werden dank dir besser.

Danke, dass du mein Leben bereicherst.

Page 3: 111503

Tracie Peterson

Alaska: Land der Sehnsucht

Das Flüsterneines langen Winters

cd

Band 3 der Alaska-Trilogie

Page 4: 111503

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind imInternet über www.dnb.de abrufbar.

Die Bibeltexte sind der Lutherbibel (1999, mit neuer deutscher Recht-schreibung, � Deutsche Bibelgesellschaft) entnommen.

Copyright � 2006 by Tracie PetersonOriginally published in English under the title Whispers of Winter

by Bethany House, a division of Baker Publishing Group,Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.

All rights reserved.

Übersetzung aus dem Amerikanischen:Dorothee Dziewas, Wiesbaden

� der deutschen Ausgabe 2012by Brunnen Verlag Basel

Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, LanggçnsFoto Umschlag: Dragonfly Studio/Shutterstock.com

Satz: InnoSet AG, Justin Messmer, BaselDruck: CPI-Books, Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-7655-1503-3

Page 5: 111503

1Mai 1917

«Ayoona ist tot.»Leah Barringer Kincaid blickte in Oopicks Gesicht und sah,

dass sie die Wahrheit gesagt hatte. «Tot?» Das Wort blieb ihrfast im Halse stecken.

Ayoonas Schwiegertochter nickte. «Sie ist gestern Abendschlafen gegangen und …» Tränen liefen über das braune, wet-tergegerbte Gesicht der IÇupiaq-Frau. «John ist bei ihr geblie-ben, aber er hat zu mir gesagt, ich soll dich holen.»

Leah schüttelte den Kopf. Die Nachricht kam unerwartet,und es war zweifellos ein Schock für John, so plçtzlich seineMutter zu verlieren. Natürlich war Ayoona alt gewesen, abernoch gestern hatte sie lebensfroh und gesund gewirkt. Leahspürte, wie eine Leere sich in ihr ausbreitete. Nicht, dass sieZweifel hatte, wo Ayoona die Ewigkeit verbringen würde – diealte Frau hatte an Jesus geglaubt, seit sie als Jugendliche eineMissionsschule besucht hatte, und oft hatte sie Leah ermutigt,wenn dieser ihr Glaube zu schwach erschienen war. Aber dieserVerlust, zusätzlich zu dem Kummer um ihren Mann und ihrenBruder, die vermisst wurden, war zu viel für Leah.

Im letzten Jahr waren ihr Mann, Jayce Kincaid, und ihr Bru-der Jacob mit einem Schiff namens «Regina» in den Nordenaufgebrochen. Der Kapitän hatte einen Groll auf die Welt, weilseine Frau gestorben war, nach der das Schiff benannt war.Aber er interessierte sich immer noch für die Arktis, obwohler vielleicht auch hoffte, sich dort zu verlieren. Im besten Fallschien er zu glauben, der eisige Norden kçnnte ihm helfen,seinen Kummer zu vergessen. Stattdessen hatten wahrscheinlichseine Vergesslichkeit und Sorglosigkeit dazu geführt, dass dasSchiff zu Beginn des Winters im Eis eingeschlossen worden

5

Page 6: 111503

war. Walfischer, die in den Süden zurückkehrten, hatten dieRegina im Eis gesehen, wo sie in Richtung russischer Grenzetrieb. Aber niemand schien genau zu wissen, wo das Schiff jetztwar oder ob Besatzung und Passagiere überlebt hatten.

«Ich werde sie schrecklich vermissen.» Leah zwang sich, ihreGedanken wieder auf Ayoona zu richten. «Erst vor zwei Tagenhaben wir noch besprochen, dass wir Seehundhäute für einneues Umiak zusammennähen wollen.» Die kleinen Boote wa-ren ein ungeheurer Vorteil für die IÇupiat, die einen Großteilihrer Lebensmittel dem Beringmeer verdankten.

«Wir werden die neuen Häute nähen und dabei an sie den-ken», sagte Oopick und wischte sich die Tränen fort. «Wirwerden von ihrem Leben erzählen und uns für sie freuen.»

Leah umarmte ihre Freundin und drückte sie fest. Oopickwar bestimmt fünfzehn Jahre älter als sie, aber Leah liebte siewie eine Schwester. «Genau das werden wir tun. Sag mir, wannich kommen soll, und dann nähen wir Häute für Ayoona.»

In diesem Augenblick fing einer von Leahs Zwillingen an zuweinen. Leah ließ Oopick los. «Ich komme und helfe dir mitdem Leichnam, sobald Helaina wieder da ist und auf die Kin-der aufpassen kann.»

Oopick nickte. «Ich muss es Emma und Bjçrn sagen.»Leah wusste, dass die Nachricht vom Heimgang Ayoonas

das Missionarsehepaar schwer treffen würde. Die alte Frauwurde von den Menschen im Dorf sehr geliebt, und ihr Verlustwürde in den kommenden Jahren spürbar sein. Oopick ging, alsWills in das Gebrüll seiner Schwester Merry einstimmte undebenfalls nach Aufmerksamkeit verlangte.

«Ihr armen Kleinen», sagte Leah, während sie zu dem selbstgebauten Bettchen ging, das ihre Kinder sich teilten. Beide wa-ren ganz nass und brauchten ein warmes Bad und frische Win-deln. Leah hatte bereits Wasser auf dem Herd erwärmt und

6

Page 7: 111503

ging jetzt, trotz des erbarmungswürdigen Gejammers ihrerKinder, um die kupferne Badewanne und Handtücher zu holen.

Sie wusste, dass sie besser dran war als die meisten hier in derGegend. Das neue Haus, das sie und ihr Mann in den Vereinig-ten Staaten bestellt hatten, war im letzten Jahr in Einzelteileneingetroffen. Als Jacob und Jayce von ihrer Sommerreise zurKüste und zu den Inseln der Arktis nicht zurückgekehrt waren,hatte Bjçrn Kjellmann Männer organisiert, die das Haus inJayces Abwesenheit errichtet hatten. Der schwedische Gottes-mann hatte dabei selbst tatkräftig angepackt, und weil Leahund Jacob im Ort sehr geschätzt waren, fand sich schnell diençtige Hilfe, um Leah und ihren Kindern vor dem Winter einDach über dem Kopf zu bieten.

Tatsächlich war es Bjçrn gewesen, der ihnen geholfen hatte,das Fundament auf einem System aus stelzenartigen Pfählen zuerrichten, damit der dauerhaft gefrorene Boden nicht auftauteund das Haus absinken ließ. Ein bisschen war das Haus trotz-dem gesackt, aber Bjçrn hatte Leah versichert, dass dieses Pro-blem recht einfach zu beheben sei, indem man jedes Jahr Keileunter dem Haus einfügte oder entfernte. Alle diese Maßnah-men würden hoffentlich dafür sorgen, dass die Statik ihresneuen Zuhauses stabil blieb.

Als das Haus fertig war, hatten die Einwohner des Ortes siein Scharen besucht. Alle wollten das Haus sehen, das in einemGeschäft gekauft worden war. Sie lachten darüber, wie es ober-halb des Erdbodens schwebte. Ihre eigenen traditionellen Be-hausungen wurden in die Erde hineingebaut, die für Isolierungund Schutz vor dem Wind sorgte. Die Tatsache, dass dieseErdhütten jeden Sommer geflutet wurden, schien ihnen un-wichtig; während der warmen Monate waren sie ohnehin einNomadenvolk. Das war eine Sache, an die Leah sich in all denJahren auf der Seward-Halbinsel nicht recht hatte gewçhnenkçnnen. Sie sehnte sich nach Stabilität, Beständigkeit und etwas

7

Page 8: 111503

Dauerhaftem. Nichts von all dem war mçglich, wenn einMensch ständig unterwegs war.

Leah goss heißes Wasser in die Wanne und fügte dann kaltesWasser hinzu, bis die Temperatur sich genau richtig anfühlte.Als sie das getan hatte, warf sie noch ein paar Stücke Holz insFeuer. Obwohl der Mai endlich gekommen war und der Früh-ling begann, konnte die Luft draußen noch empfindlich kaltsein und das Haus auskühlen. Sie wollte verhindern, dass ir-gendetwas die Gesundheit ihrer Kinder beeinträchtigte, deshalbhielt sie die Wohnung so warm wie mçglich, um ihnen opti-male Bedingungen zu bieten. Der Norden nahm keine Rück-sicht auf die Schwachen – Kinder und Alte litten oft am meis-ten.

Leah dachte wieder an Ayoona. Wie seltsam es sein würde,sie nicht mehr zum Reden um sich zu haben. Ayoona hatteLeah vieles beigebracht. Dinge, die ihr im Laufe der Jahre ge-holfen hatten zu überleben.

Als das Wasser fertig war, ging Leah ins Schlafzimmer derZwillinge und bemerkte, dass sie aufgehçrt hatten zu weinen.Sie waren jetzt damit beschäftigt, mit den Laken auf ihrerhandgestopften Matratze zu spielen.

«Kommt, meine Süßen», sagte Leah liebevoll. Sie breitete dieArme aus und lächelte.

Die Zwillinge zogen sich an dem Geländer ihres Bettchenshoch und kamen mit unsicheren Schritten auf Leah zu. Siekonnte es kaum erwarten, bis sie ohne Hilfe laufen konnten,aber zugleich graute ihr auch vor diesem Zeitpunkt. Es warschwierig genug, ein Kleinkind im Blick zu behalten, und siefürchtete, mit zweien würde es nahezu unmçglich sein.

Sie hob ihre Kinder gleichzeitig aus dem Bett und ging mitihnen in die Küche zurück, wo die kupferne Wanne wartete.Leah legte sie auf den Tisch und redete mit ihnen, während sieerst das eine, dann das andere Kind entkleidete. Die Kinder

8

Page 9: 111503

schienen von ihrer Stimme gefesselt, und es erfüllte Leah jedesMal mit Staunen und Begeisterung, wenn sie daran dachte, dassdiese Babys ihr eigen Fleisch und Blut waren. Ganz hinten inihren Gedanken hegte sie immer noch eine gewisse Unsicher-heit, was die Vaterschaft betraf. Ihr Mann war immer daraufbedacht, ihr zu versichern, dass diese Dinge keine Rolle spiel-ten, aber für Leah waren die Zweifel wie eine dunkle Regen-wolke an einem sonst vollkommenen Sommertag.

Wenn sie ihre Zwillinge ansah, konnte Leah sich nicht vor-stellen, dass etwas so Vollkommenes das Ergebnis einerschrecklichen Vergewaltigung sein kçnnte. Diese kostbaren Ge-schenke Gottes brachten einfach zu viel Freude und Liebe in ihrLeben. Sie seufzte, weil sie sich nicht von den Erinnerungen anJayces Bruder Chase freimachen konnte. Der Mann hatte ihrLeben in so vielfältiger Weise zerstçrt … Aber trotz seinesÜbergriffs und seines anschließenden Todes bemühte Leahsich, ihren Kindern eine hoffnungsvolle Zukunft zu bieten. Siekonnte nicht zulassen, dass das Zerstçrungswerk von ChaseBestand hatte.

Leah schob die Erinnerung an die schlimmen Zeiten beiseiteund hob ihre nackten Kinder hoch. «So, jetzt ist Zeit für euerBad.» Ihr Singsang signalisierte den beiden, dass ein großerSpaß bevorstand, und für die Kincaid-Zwillinge traf das wirk-lich zu. Sie liebten ihr Bad, und Leah genoss die Zeit ebenfalls,weil sie das morgendliche Ritual als trçstlich empfand.

Nachdem sie die Babys ins Wasser gesetzt hatte, sah sie la-chend zu, wie die Zwillinge sich an ihre nasse Umgebung ge-wçhnten und anfingen zu plantschen und zu spielen. Merrywar deutlich ängstlicher als ihr Bruder, aber hier im Wasserfand sie ihren eigenen Mut. Wills, wie immer abenteuerlustig,tauchte hin und wieder das Gesicht ins Wasser und kam miterstaunter Miene wieder heraus, als wundere er sich darüber,dass er unter Wasser nicht atmen konnte.

9

Page 10: 111503

Leah ließ sie spielen, bis das Wasser abzukühlen begann.Dann nahm sie Seife und wusch die Kinder rasch. Am Schlussihres Baderituals wickelte Leah die Babys in Handtücher, die siehinterm Ofen angewärmt hatte. In diesem Augenblick kam He-laina Beecham zur Tür herein.

«Es ist wunderschçn draußen», verkündete sie. «Es würdemich nicht wundern, wenn das Eis ganz schmelzen oder aufsMeer hinaustreiben würde.»

Leah befestigte die Windeln ihrer Kinder und widmete sichdann der beschwerlichen Aufgabe, die beiden anzuziehen. «Ichhoffe, du hast Recht. Je eher das Eis verschwindet, desto eherkann Hilfe zu Jacob und Jayce durchkommen.»

Helaina zog die dicke Wollmütze von ihrem Kopf undschob sich ein paar blonde Haarsträhnen hinter die Ohren.«Ich mçchte nach Nome fahren, um zu hçren, ob Stanley eineNachricht geschickt hat.» Sie hatte Leah in den letzten Mona-ten oft Mut gemacht.

Helainas Bruder hatte den beiden Frauen geholfen, alle ver-fügbaren Informationen über die Regina zu erlangen. Leiderhatte der Pinkerton-Agent aus Washington D. C. nicht viel fürsie tun kçnnen. Niemand konnte in den Norden reisen, undnach einem Winter des Wartens und Betens waren Helainaund Leah mit ihrer Geduld am Ende.

«Ich hätte vorgeschlagen, dass John dich hinfährt, aber esgibt eine traurige Neuigkeit», sagte Leah, die sich an den Todihrer Freundin erinnerte. «Ayoona ist heute Nacht gestorben.»

Helaina starrte sie ungläubig an. «Ich habe doch gesternnoch mit ihr gesprochen. Sie hat mir gezeigt, wie man eineGans ausnimmt und zubereitet.»

«Ich weiß, aber jetzt ist sie nicht mehr bei uns.» Leah ver-suchte vor den Kindern nicht zu weinen. Die Zwillinge warennoch kein Jahr alt, und immer, wenn Leah weinte, fingen die

10

Page 11: 111503

beiden auch an zu weinen. Oft musste Leah ihre Tränen für dieNacht aufheben, wenn die Familie schlief.

Helaina nahm einen Becher und schenkte sich Kaffee ein.«Ich kann nicht fassen, dass sie tot ist.» Kopfschüttelnd setztesie sich an den Küchentisch und trank einen Schluck.

«Oopick war gerade hier. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihrhelfe, den Leichnam zurechtzumachen, wenn du auf die Zwil-linge aufpassen kçnntest. Aber wenn du keine Zeit hast, kannich auch Sigrid fragen. Heute ist keine Schule, also muss sienicht unterrichten.»

«Unsinn. Ich kann auf die beiden aufpassen. Außerdembraucht Emma ihre Schwester doch sicherlich. Helfen die bei-den nicht bei Ayoona?» Sie schob ihren Kaffee von sich, alsLeah aufstand.

«Doch, wahrscheinlich schon.» Nachdem sie die Kinder fer-tig angezogen hatte, reichte sie Helaina Wills. «Kannst du ihnbitte festhalten, während ich Meredith hinsetze? Es ist ganzschçn schwierig, beide im Auge zu behalten.»

«Komm zu Tante Helaina», lächelte sie, und Wills machte essich bereitwillig in Helainas Armen bequem. Sie war für LeahsZwillinge ein wichtiges Familienmitglied geworden. Und fürLeah auch.

Es war schwer zu glauben, dass diese Frau, die Leah einmalgehasst hatte, jetzt eine so bedeutende Rolle in ihrem Lebenspielte. Leah liebte Helaina wirklich wie eine Schwester. DieFrau hatte unzählige Stunden damit zugebracht, am Strandbeim Holzsammeln zu helfen, Jacobs Hunde zu versorgen undin dem kleinen Laden zu arbeiten, den Leah in ihrem altenHaus nur wenige Meter entfernt führte.

Leah setzte Meredith in einen grob gezimmerten Hochstuhlund schob sie an den Tisch. Wills war als Nächster dran, aberer war so fasziniert davon, an Helainas hochgesteckten Haarenzu ziehen, dass er seinen Hunger beinahe vergessen hatte.

11

Page 12: 111503

«Komm schon, Sohnemann. Du kannst der Dame ein ander-mal schçne Augen machen.»

Helaina kicherte und griff wieder nach ihrem dampfendenBecher. «Ich wette, er wird später tatsächlich die Frauen mitseinem Charme bezirzen. Er ist ein gut aussehender jungerMann.»

Leah nahm ein Geschirrtuch und band ihren Sohn fest. Siehatte die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass die Kindergerne aus ihren Stühlen kletterten, wenn sie sie nicht auf dieseWeise sicherte.

«Auf dem Herd steht Haferbrei für ihr Frühstück. Dosen-milch gibt es auch und ein bisschen Zucker.»

«Ich kümmere mich darum», sagte Helaina und erhob sich.Sie zog ihren Mantel aus und hängte ihn an den Haken nebender Tür. «Ich glaube, allmählich bin ich genug aufgewärmt, ummich sinnvoll betätigen zu kçnnen.»

«Wie hast du geschlafen?» Leah warf ihrer Freundin einenprüfenden Blick zu. Seit kurzem schlief Helaina in Leahs undJacobs altem Haus.

«Zuerst war ich ein bisschen nervçs. Ich musste immer anmeinen ersten Sommer hier denken, als du und Jayce in Ketchi-kan wart. Damals habe ich es gehasst. Ich war sicher, das Hauswürde einstürzen oder irgendein Tier würde durch den Tunnelgekrochen kommen. Aber diesmal … na ja … diesmal hatte icheinfach das Gefühl, Jacob näher zu sein.»

Helaina tat Leah leid. Die Frau hatte alles in den VereinigtenStaaten aufgegeben: ihr Zuhause, ihre Arbeit in der Verbre-chensbekämpfung mit ihrem Bruder Stanley und den Pinker-tons, sogar ihr gesellschaftliches Leben – und das alles, um ihreHoffnung in einen Mann zu setzen, der ihre Liebe vielleichterwiderte, vielleicht aber auch nicht. Allerdings war Leah ziem-lich sicher, dass er es tat, sonst hätte sie Helaina nicht ermutigt.

«Ich bin froh, dass es diese Wirkung hatte», sagte Leah,

12

Page 13: 111503

während sie ihren Parka anzog. «Bald wird das Haus über-schwemmt, aber bis dahin kannst du die Privatsphäre genausogut genießen.»

«Ich habe den ganzen Sommer darin gewohnt, auch als esüberschwemmt war», erwiderte Helaina lachend. «Die Dorf-bewohner hielten mich für verrückt. Das war ich vielleicht auch,aber die Vorstellung, in einem Land voller Bären und andererwilder Tiere in einem Zelt zu schlafen, gefiel mir überhauptnicht. Ich habe auf dem Tisch geschlafen.»

Leah lachte. «Das musst du diesmal jedenfalls nicht. Wennder Boden anfängt zu tauen, komm einfach wieder hierher. Duweißt, dass du immer willkommen bist.»

«Das weiß ich, aber ich will dir auch mit dem Laden helfen.Ich bin übrigens mit der Inventur fertig, und morgen müssteich dir sagen kçnnen, wer dir wie viel schuldet.»

Leah lächelte. «Ich wusste, dass du gut organisiert sein wür-dest. Das hat Jacob an dir immer bewundert.»

«Dann kçnnen wir nur hoffen und beten, dass mein Organi-sationstalent hilft, sie heil nach Hause zu bringen. SobaldAyoonas Beerdigung vorbei ist, will ich irgendeinen Weg fin-den, um nach Nome zu kommen. Und wenn ich hinlaufenmuss.»

«Das musst du auf keinen Fall. Bevor ich dich, die du denWeg nicht kennst, losschicke, gehe ich selbst.» Leah ging zurTür, während Helaina Schüsseln aus dem Schrank holte, undnach einem kurzen Blick auf ihre Kinder machte sie sich aufden Weg zu Ayoonas Haus.

Es war ein schçner Tag, da hatte Helaina Recht. Der kristall-blaue Himmel war wolkenlos, und in der Ferne konnte Leaheindeutige Anzeichen für den beginnenden Frühling entdecken.

«Bitte lass uns die Männer finden, Herr. Hilf uns, Jacob undJayce und die anderen zu finden. Bring sie gesund nach Hause.»

Sie hatte keine Ahnung, wie oft sie dieses Gebet schon ge-

13

Page 14: 111503

sprochen hatte. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so hilf-los gefühlt wie im vergangenen Winter, als ihr klar gewordenwar, dass sie nichts tun konnte, um ihrem Mann und ihremBruder zu helfen. Es war ihr so vorgekommen, als dauere derWinter ewig, und mit jedem Unwetter waren sie mehr von derUmwelt abgeschnitten. Bei jedem Schneesturm, jedem Gewit-ter dachte Leah an die Männer und fragte sich, ob sie ähnlicheMühsal ertragen mussten.

Leah bemühte sich, nicht den Mut zu verlieren, aber es tatweh, ohne die Menschen zu sein, die sie am meisten auf derWelt liebte. Jacob war in all den Jahren ihre wichtigste Stützegewesen – vor allem als Jayce damals ihre Liebe zurückgewiesenhatte. Aber jetzt, wo sie und Jayce verheiratet waren, hatte Leahihre Aufmerksamkeit schnell auf ihren Ehemann gelenkt. Jaycewar die Liebe ihres Lebens, ihre Hoffnung für die Zukunft, derMann, den ihr Herz begehrte. Wenn sie ihn jetzt verlor, warLeah nicht sicher, was sie tun würde. Wenn sie beide verlor …aber an diese Mçglichkeit wollte sie nicht denken.

Helaina war den ganzen Winter über ein erstaunlicher Fels inder Brandung für Leah gewesen. Wann immer Verzweiflungdrohte oder Entmutigung sich breitmachte, waren es Helainaund ihr Glaube an Gott gewesen, der sie beide getragen hatte.Helaina war es nicht immer wichtig gewesen, was Gott wollte.Nach Jahren, in denen sie alles nach ihrem eigenen Ermessengetan hatte – sie hatte sich auf ihr eigenes Wissen und ihreHartnäckigkeit verlassen –, hatte Helaina die gleiche Leere er-lebt, die andere Menschen ohne Gott empfanden. Leah hattegewusst, dass Jesus die Antwort auf ihre Not war, aber ihr warauch klar gewesen, dass es nichts nützen würde, Druck auf He-laina auszuüben, wenn sie nicht selbst zu der richtigen Erkennt-nis kam.

Deshalb war es eine besondere Freude, über Helainas Liebezur Bibel und ihr eifriges Lesen darin nachzudenken. Sie hatten

14

Page 15: 111503

viele Abende damit verbracht, dass Helaina aus der HeiligenSchrift vorgelesen hatte, während draußen der Wind heulteund drinnen die Zwillinge. Leah und Helaina hatten langeüber verschiedene Abschnitte diskutiert und sich manchmal so-gar Notizen gemacht, um Bjçrn Kjellmann später danach zufragen. Als sie das erste Mal mit einer Liste Fragen zu ihmgekommen waren, hatte er gelacht, aber nachdem er sich mitder Liste hingesetzt und versucht hatte, ihnen Antworten zugeben, war ihm nicht mehr nach Lachen zumute. Jetzt sagte er,sie seien wie Eisen, das Eisen schärft – die Schülerinnen, dieden Lehrer dazu brachten, weiter zu forschen.

Aber Leah wusste, dass Buchwissen und ein verändertesHerz zwei verschiedene Dinge waren. Sie versuchte, sich nichtmehr Sorgen über ihre Situation zu machen als nçtig, aber anTagen wie diesen fühlte sie sich ziemlich hoffnungslos.

Ihre liebe Freundin und Mentorin war zu ihrem Herrn ge-gangen.

Ihr Bruder war irgendwo in der vereisten Arktis verschollen.Und ihr geliebter Mann kam vielleicht nie wieder nach

Hause.

15

Page 16: 111503

2Jacob Barringer blickte auf das gefrorene Meer der Arktis hi-naus. Es gab kein echtes Anzeichen dafür, dass der Frühlingbegann, aber in seinem Herzen war er sicher, dass es bald soweit sein würde. Er konnte es beinahe in seinen Knochen spü-ren. Der Winter war vorüber – zumindest theoretisch.

Er dachte an all das, was sie durchgemacht hatten. Er und dierestliche Besatzung der Regina hatten zum Glück Munition fürdie Winchester gefunden, außerdem noch ein anderes Gewehrund eine Pistole. Ein Vorrat an Medikamenten, die für diekanadischen Forscher, die sie in den Norden gebracht hatten,vorgesehen waren, war aufgetaucht, und Dr. Ripley war hoch-erfreut gewesen. Es war für sie alle ein Zeichen der Hoffnunggewesen, dass sie überleben würden. Jetzt, wo der Winter vor-bei war, wollten die Männer so schnell wie mçglich nach Hau-se. Die Nerven lagen blank, und Jacob fragte sich, wie lange siedie angespannte Situation noch ohne grçßere Auseinanderset-zungen aushalten würden.

«Was gibt es zu sehen?», fragte Jayce Kincaid, als er sich zuseinem Schwager gesellte.

«Nichts, was gestern nicht auch schon da gewesen wäre», gabJacob zu. «Aber ich weiß, dass das Tauwetter kommt. MeinenBerechnungen nach müsste es Ende Mai sein. Wenn es ersteinmal wärmer wird, dauert es nicht mehr lange, bis das Eisbricht. Ich habe zu Hause Tage erlebt, an denen wir morgensmit Eis aufgewacht sind – und abends war es fort. Und wenndas Eis erst getaut ist, dann kommen die Suchtrupps.»

«Wenigstens war der Robbenfang durch das Eis einfacher.»«Stimmt. Dem verdanken wir es, dass wir einigermaßen gut

gegessen haben.»Jayce schüttelte den Kopf. «Wir haben gut gegessen, weil du

uns beigebracht hast, wie man hier oben überlebt. Die meisten

16

Page 17: 111503

dieser Männer hatten keine Ahnung, wie man in dieser Kälteam Leben bleibt, geschweige denn gedeiht. Und ohne Hilfeoder Ermutigung durch Kapitän Latimore … Also, mankçnnte sagen, dass die Verantwortung ziemlich schwer auf dei-nen Schultern gelegen hat.»

«Auf deinen aber auch. Die Männer fragen dich ebenso umRat wie mich. Als wir auf der Insel ankamen, warst du esschließlich, der uns gezeigt hat, wie man Häuser aus Schnee-blçcken baut.»

«Nur, weil ich es von dir gelernt hatte», wandte Jayce la-chend ein. Er blickte aufs Meer hinaus und wurde wieder ernst.«Ich weiß, dass sie da draußen sind, Rettungskräfte … Leah.»Er seufzte schwer. «Das weiß ich, aber ich wünschte, ich kçnntesicher sein, dass sie wissen, wo wir sind.»

Jacob nickte. «Ich hoffe, dass sie sich an die ‹Karluk› erin-nern und sich überlegen, dass die Strçmung uns in die gleicheRichtung getrieben haben kçnnte. Wenn sie davon ausgehen,finden sie uns oder kommen uns zumindest näher.»

«Ich bete, dass du Recht hast.»

cd

Am nächsten Morgen wachte Jacob gegen fünf Uhr auf, alsdunkle Unwetterwolken am Horizont heraufzogen. Die Män-ner befestigten das Lager und banden alles fest, was sie von derRegina hatten retten kçnnen. Jacob hatte geholfen, die Evaku-ierung des Schiffes zu koordinieren, als das Eis den Schiffs-rumpf zerdrückt hatte. Wochenlang hatten sie mit nichts alsein paar Metern Eis zwischen sich und dem arktischen Meergelebt. Es war auf jeden Fall ein Segen, dass sie Land gefundenhatten – auch wenn es eine trostlose Gegend war.

«Sieht aus, als würden wir Schnee kriegen», sagte Jacob zueinem der Männer. Er zeigte auf einen Stapel Treibholz. «Wir

17

Page 18: 111503

holen besser etwas davon rein. Wer weiß, wie schlimm das Un-wetter wird oder wie lange es dauert?»

«Latimore wird vermisst», sagte Jayce, der in diesem Augen-blick zu Jacob trat.

«Vermisst?»«Seit gestern Abend hat ihn niemand mehr gesehen. Als

Bristol heute früh aufwachte, hat er gemerkt, dass Latimoreihn nicht zu seiner Wache geweckt hat.»

Jacob dachte einen Augenblick über die Situation nach.«Bristol sollte um vier Uhr übernehmen, oder?»

Jayce nickte. «Ich habe mich umgesehen und Spuren gefun-den, die den Strand entlang nach Westen führen. Ich kçnntemir vorstellen, dass Latimore in diese Richtung gegangen ist.Vielleicht hat er etwas gehçrt oder gesehen, das seine Aufmerk-samkeit erregt hat.»

Da es jetzt durchgehend hell war, wusste Jacob, dass es nichtallzu schwierig sein dürfte, den Mann zu finden, wenn sie aus-schwärmten und ihn suchten. «Wir müssten ihn eigentlich baldhaben, wenn wir uns aufteilen. Trommel die Männer zusam-men, dann sehen wir weiter. Vielleicht ist er verwirrt oderschneeblind.»

Jayce rief die anderen schnell zusammen. Sie verließen sichschon lange auf Jacob als Anführer, vor allem, nachdem Lati-mores Mutlosigkeit in Bezug auf sein eigenes Leben und dasder Mannschaft offenbar geworden war.

«Hçrt mal her: Wie es aussieht, ist der Kapitän heute Nachtverschwunden. Wir wissen nicht, ob er etwas gesehen hat, dasihn von seinem Posten weggelockt hat, oder ob er einfach ge-gangen ist.» Jacob wollte die Autorität des Mannes nicht unnç-tig untergraben, also fuhr er schnell fort. «Es gibt viele Bären-spuren, wie ihr wisst, also dürfen wir nicht einfach davonausgehen, dass Latimore nichts passiert ist. Geht zu zweit, undnehmt eine Schusswaffe mit. Wenn ihr ihn in einer Stunde

18

Page 19: 111503

nicht gefunden habt», sagte er und blickte in Richtung Süd-westen, «dann kommt zum Lager zurück. Der Himmel siehtziemlich bedrohlich aus, und wir sollten besser wieder hier sein,bevor der Sturm losbricht.»

«Hier gibt es nichts als Schnee und Kälte», knurrte derneunzehnjährige Bristol. «Ich wusste nicht, dass es so niedrigeTemperaturen wie hier überhaupt gibt.»

«Jetzt hçr auf zu jammern», wies Elmer Warrick, der frühereerste Steuermann, ihn zurecht. «Wir haben keine Zeit, all deineProblemchen aufzulisten.»

Ursprünglich hatten vierzehn Männer die Regina verlassen,als sie gesunken war. Vier von ihnen waren bei Unfällen umge-kommen – Unfälle, die den restlichen Männern gezeigt hatten,wie ernst ihre Lage inzwischen war. Jetzt war Latimore fort,also waren noch neun Männer übrig. Sie waren gute Leute,fand Jacob, aber allmählich wurden sie krank und gereizt. Eswar nur noch eine Frage der Zeit, bevor sie ihre verzweifelteLage erkennen würden. Vor allem, wenn nicht bald Hilfe kam.

Während die anderen sich zu zweit zusammenfanden,dachte Jacob über das Land und die Fähigkeiten der Männernach. Manche waren aufgrund der einseitigen Ernährung ge-schwächt, und Jacob wollte nicht mit einer zu anstrengendenAufgabe weitere Menschenleben aufs Spiel setzen. Im Schneewar das Fortkommen manchmal schwierig, und leider warendie meisten dieser Männer aus den Südstaaten, wo es nur sehrwenig Kälte und Schnee gab.

«Travis – du und Keith, ihr geht nach Norden. Dr. Ripleyund Elmer folgen den Spuren, die Jayce gefunden hat, in Rich-tung Westen. Jayce, du und Bristol macht euch auf den Wegnach Osten und Ben und Matt gehen in nordçstlicher Rich-tung.» Da sie am Südufer der Insel standen und mehrere Kilo-meter in südlicher Richtung überblicken konnten, war es nicht

19

Page 20: 111503

nçtig, dorthin zu gehen. Außerdem war das Eis viel zu unbe-rechenbar.

Während die Männer ein paar Vorräte einpackten und sichtrennten, beschloss Jacob, in Richtung Nordwesten zu gehen,weg vom Ufer. Sie wussten nicht, ob die Spuren, die Jayce ge-funden hatte, Latimore gehçrten oder einem der anderen Män-ner. Der Kapitän konnte in jede Richtung gegangen sein, ausden unterschiedlichsten Gründen. Jacob seufzte. Latimorehatte ihnen nicht viel genützt, seit sie von den Eisschollen ein-geschlossen worden waren, aber sie durften ihn auch nicht imStich lassen – egal, wie groß das Risiko für die restliche Mann-schaft war.

«Was würde ich nicht für ein paar gute Hunde geben», mur-melte Jacob.

Die Landschaft ihrer Insel bot einige Ablenkung. Es gabHügel und Klippen, in denen nistende Vçgel den Männerngute Nahrung geboten hatten, aber es gab auch zahlreiche ge-fährliche Spalten und Eisverschiebungen, über die es sichschlecht laufen ließ, und die Tiefe des Schnees war aufgrundvon Verwehungen oft trügerisch. Es war ein wahrhaft unwirtli-ches Ödland. Mochte Gott dem Anführer der Karluk-Expedi-tion vergeben, der es «die freundliche Arktis» genannt hatte.Vilhjalmur Stefansson war bekannt dafür, dass er behauptethatte, die Arktis sei lediglich missverstanden, und mit der rich-tigen Ausbildung kçnnte jeder ohne Probleme im gefrorenenNorden leben. Aber Jacob wusste es besser. Hier war das Lebenvon Gottes Gnade abhängig und vom gesunden Menschenver-stand. Wenn man eins von beidem verlor, war man auch ver-loren.

Das gleißende Licht der ständig scheinenden Sonne blende-te. Jacob konnte nur hoffen und beten, dass die Männer kluggenug waren, ihre Sonnenbrillen zu benutzen. Jacob hatte ihnenallen gezeigt, wie man hçlzerne Brillen anfertigte, indem man

20

Page 21: 111503

winzige Schlitze in Masken aus Treibholz schnitt. Sie warengrob, taten aber ihre Wirkung, und die Männer, die vergaßensie zu tragen, lernten schnell, es nicht wieder zu tun. Mehrereder Männer waren schneeblind geworden und hatten heftig ge-litten; der Schmerz, den dieser Zustand verursachte, war starkund dauerte Stunden, manchmal sogar Tage an. Jetzt, wo dieZinksulfat-Lçsung für die übliche Behandlung beinahe auf-gebraucht war, wurden die Männer vorsichtiger. Niemandwollte ein solches Schicksal erleiden.

Abgesehen vom Mangel an Aussicht hatte die Eintçnigkeitihrer Tage sie alle irgendwann beinahe wahnsinnig werden las-sen. Bristol hatte ein Kartenspiel, das die Männer sich teilten,aber Dr. Ripley wollte nichts damit zu tun haben, weil er davonüberzeugt war, dass Karten Teufelswerkzeug waren. Stattdessenvergrub der Arzt seine Nase in einem der drei medizinischenBücher, die er beim Verlassen des Schiffes hatte retten kçnnen.

Travis, Ben und Keith waren recht gute Sänger und unter-hielten die Gruppe oft mit ihren Darbietungen alter Volkslie-der und Choräle. Travis, ein Meteorologe, führte Buch über dieBedingungen auf der Insel, und Keith wollte die Pflanzenweltdokumentieren, sobald das Eis schmolz.

Jacob hatte oft aus der Bibel die Geschichten vorgelesen, diedie Männer aus den Gottesdienstbesuchen ihrer Kindheitkannten. Außer in der Botanik kannte Keith sich auch gut inder Kirchengeschichte und der Bibel aus, und Jacob genoss es,sich gelegentlich mit dem Mann zu unterhalten. Ben und Mattinteressierten sich auch für diese Diskussionen, ebenso wie Tra-vis. Die anderen jedoch vermieden Gespräche über Religion.

Im Allgemeinen waren die Männer gute Kerle. Jacob hattebefürchtet, sie kçnnten Unruhestifter in der Gruppe haben –Männer, die stehlen oder morden würden, um zu überleben.Aber bislang war das zum Glück nicht der Fall gewesen.

Aber trotz der Gutartigkeit der Männer war Jayce Jacobs

21

Page 22: 111503

wichtigste Stütze. Wenn sie zusammen waren, sprachen sie vonzu Hause und von Leah. Sie erinnerten sich an Zeiten, die siein Ketchikan verbracht hatten, und an Karens Kochkünste undAdriks Geschichten. Ihre Unterhaltungen ließen Jacob nichtdie Hoffnung verlieren, dass er seine Heimat wiedersehenwürde.

Er dachte auch oft an Helaina Beecham. Er fragte sich, wo siewar und wie es ihr ging. War sie zurückgegangen, um für ihrenBruder zu arbeiten? Ein so gefährlicher Job wie die Kopfgeldjä-gerei sollte für Frauen verboten sein, fand er. Aber die Weltveränderte sich.

Jacob dachte an den Krieg, der in Europa tobte. Er fragtesich unweigerlich, ob der Krieg sich inzwischen auch auf Ame-rika ausgedehnt hatte. Auf der anderen Seite konnte es auchsein, dass die europäischen Länder ihre Probleme selbst gelçstund den Krieg beendet hatten. Das wäre das Beste, worauf siehoffen konnten, aber irgendwie bezweifelte Jacob, dass es sogekommen war. Im letzten Sommer war jedenfalls kein Endein Sicht gewesen.

Er stapfte durch den gefrorenen Schnee einen der hçherenHügel hinauf und ließ den Blick in allen Richtungen über dasLand streifen. Durch sein Fernglas entdeckte er eine großeHerde Seehunde auf dem Eis. Sie sonnten sich rund um einEisloch – so war das Wasser in der Nähe, falls ein Bär oderMensch ungebeten auftauchte. Das Wasser war ein gutes Zei-chen. Vielleicht würde die Frühjahrsschmelze eher einsetzen,als Jacob erwartet hatte.

Von Latimore war nichts zu sehen, aber die Unwetterwolkenwurden dunkler und bewegten sich mit erschreckender Ge-schwindigkeit auf die Insel zu. Jacob konnte spüren, dass dieTemperatur deutlich sank, als der Wind stärker wurde und dasGewitter herüberwehte. Eilig suchte er die restliche Gegend ab,

22

Page 23: 111503

aber nichts deutete darauf hin, dass ein Mann hier entlang-gekommen war.

Während er die andere Seite hinunterstieg, versuchte Jacobdie Entfernung einzuschätzen, die er und die Männer in einerStunde zurücklegen konnten. Die Suche zu verlängern, würdeunweigerlich die Gefahr in sich bergen, im Freien von dem Un-wetter überrascht zu werden. Er fragte sich, ob er gezwungensein würde, Latimore den Naturgewalten zu überlassen, umnicht das Leben der anderen aufs Spiel zu setzen.

Die Männer würden es jedoch nicht als den Verlust ihresAnführers empfinden. Das war bereits im Januar geschehen, alsLatimore in tiefe Depressionen verfallen war und sich von fastallen zurückgezogen hatte. Jacob hatte dafür gesorgt, dass dieSchusswaffen vor dem Kapitän versteckt wurden, aus Angst, erkçnnte sich das Leben nehmen. Bei jeder kleinen Entscheidunghatten die Männer immer mehr Jacob als ihren Anführer be-trachtet. Selbst der erste Steuermann, Elmer Warrick, überließJacob alle Autorität. Es war nicht gerade eine Verantwortung,die Jacob angestrebt hatte, aber er hatte sich auch nicht gewei-gert, als Not am Mann gewesen war.

Es war klar gewesen, dass er und Jayce die einzige Hoffnungfür diese Männer waren. Die meisten von ihnen wussten nichtsüber das Leben in der Arktis; sie hatten nicht jagen gelernt undwaren nicht sehr erfahren, was das Leben außerhalb eines Schif-fes betraf. Als das Trinkwasser auszugehen drohte, war es Jacobgewesen, der ihnen erklärt hatte, dass die ältesten Teile derEisschollen gutes Wasser liefern konnten, wenn man das Eisabschlug und schmolz. Nachdem die Angst vor dem Verdurs-ten besänftigt war, fingen die Männer an, Jacob ernsthaft zu-zuhçren, was das Überleben in der Kälte betraf.

Dabei war Jayce ebenfalls eine Hilfe gewesen. Sie arbeitetenmit den Fellen, die sie bei der Jagd erbeutet hatten, denn bevorsie das kanadische Forschungsteam auf den Parry-Inseln, den

23

Page 24: 111503

späteren Kçnigin-Elisabeth-Inseln, abgesetzt hatten, war es derCrew gelungen, einige Bären, mehrere Karibus und Seehundeund ein paar Füchse zu schießen. Die Felle kamen ihnen sehrgelegen, weil Jayce den Männern zeigen konnte, wie sie sichwärmere Kleidung nähen konnten. Es war entscheidend, dasssie lernten, Hände und Füße warm und trocken zu halten undihre Brust gut gegen die eisigen Winde zu schützen.

Der Wind schlug Jacob jetzt kräftig entgegen. Er drehte sichum und sah den Sturm immer näher kommen. Die dickengrauen Wolken bewegten sich jetzt schneller, und es wurdedunkler, als sie sich über das Land legten. Er sah auf seineUhr. Sie hatten noch zwanzig Minuten, bevor sie zum Lagerzurückkehren sollten. Jacob ging schneller und beschloss, dasLager im Norden zu umkreisen. So würde er schneller wiederzurück sein und die Zeit der Suche optimal ausnutzen.

Er überquerte einen gefrorenen Wasserlauf in der Hoffnung,dass das Eis noch fest genug war, um ihn zu tragen. Die stun-denlange Sonneneinstrahlung hatte das Fundament jedoch ge-schwächt, und zweimal wäre Jacob beinahe eingebrochen. Ernahm sich vor, auf dem Rückweg ein Stück weiter strom-abwärts zu gehen, weil er wusste, dass es dort eine schmaleStelle gab, über die er springen konnte.

Die Zeit verging schnell, und bald war die Stunde vorüber,aber eine Spur, die ihm frisch erschien, lockte Jacob weiter nachNorden und vom Lager fort. Das musste die Spur des Kapitänssein. Es fing an zu schneien, und der Wind schob heftig vonhinten, als Jacob noch einen Hügel hinaufstieg und in die aufihn einpeitschenden Eiskristalle blinzelte. Er zog seine Schnee-brille gerade so lange ab, um das Fernglas an die Augen zuhalten.

Dort, vor dem grauen Himmel und den Schneebergen, wardas unverkennbare Blau von Latimores Mantel zu sehen. Jacobrief ihn, aber der Mann hçrte ihn nicht. Eilig stolperte und

24

Page 25: 111503

rutschte Jacob den grçßten Teil des Hügels hinunter. Untenangekommen, sprang er auf, unverletzt, wenn auch mit schmer-zenden Gliedern, und rannte über das Feld zu der Stelle, woLatimore im Kreis zu laufen schien.

«Sind Sie wohlauf, Kapitän?»«Man hat mich nicht von der Situation in Kenntnis gesetzt»,

murmelte er. Sein Gesicht zeigte Anzeichen von Erfrierungen,und seine Lippen waren ganz blau. «Ich kann den Ingenieurnicht finden.»

«Wir müssen ins Lager zurück, Sir. Ein Sturm zieht auf.Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es, bevor es richtig losgeht.»

«Dann kommen Sie nicht mit zu dem Fest?»Jacob schüttelte den Kopf. Latimore hatte offensichtlich den

Verstand verloren – zumindest vorübergehend. Nicht nur das,sondern seine Augen waren, nachdem sie ohne Schutz der Wit-terung ausgesetzt gewesen waren, fast gänzlich zugeschwollen.Jacob seufzte. «Kommen Sie, Sir. Zu dem Fest geht es hierentlang.»

Latimore schien zunächst beschwichtigt, aber als Jacob ihnunerbittlich hinter sich herzog, protestierte der Mann. «Ichkann die Kinder nicht zwingen, so schnell zu gehen.»

«Die Kinder schaffen das schon», antwortete Jacob, denBlick unverwandt auf den Himmel gerichtet. Wenn sie in die-sem Tempo weitergingen, konnten sie es in einer halben Stundebis zum Lager schaffen. Das wäre gerade noch rechtzeitig, ver-mutete Jacob. Er durfte auf keinen Fall zulassen, dass der Ka-pitän langsamer wurde – aus welchem Grund auch immer.

«Ich habe Regina nicht gesehen. Ist sie hier?»Dass der Kapitän seine Frau erwähnte, überraschte Jacob.

«Sie ist im Lager, Sir, und wartet dort auf sie», log er, weil ernicht wusste, wie er sonst Latimores Mitwirkung erreichensollte.

Das funktionierte. «Dann beeilen wir uns besser. Sie wartet

25

Page 26: 111503

nicht gerne. Sie liebt es zu tanzen, und das Fest wird ihre Launebestimmt verbessern.»

Als sie schließlich im Lager ankamen, herrschte bereits dich-tes Schneetreiben. Hätte Jayce nicht mit einer der Schiffslater-nen im Sturm gestanden, wäre Jacob vielleicht aufs Meer hinausgeirrt. Es war eine Gefahr, vor der er die Männer oft gewarnthatte. In der ewigen Dunkelheit des arktischen Winters war esunmçglich, genau zu sehen, wo das Land begann und endete,wenn man nicht ganz genau auf die Einzelheiten achtete. Ineinem arktischen Schneesturm war es genauso schwierig, sichzu orientieren.

«Wie ich sehe, hast du ihn gefunden», rief Jayce in denWind. Er streckte die Hand aus, um Latimore zu stützen.«Komm, wir bringen ihn rein.»

«Sind die anderen heil zurückgekehrt?» Jacob schob Lati-more vor sich her, während Jayce zog.

«Das sind sie.»Sie erreichten die Zuflucht ihres provisorischen Hauses. Es

war aus Paletten und Holzkisten aus den Schiffsvorräten ge-zimmert worden. Darum herum hatten sie Schnee und Eis ge-packt, und das Ganze funktionierte erstaunlich gut. Mit denkleinen Öfen, die die Hütte die ganze Zeit heizten, hatten sieAußentemperaturen um minus sechzig Grad ohne grçßereStrapazen überstanden.

Jacob zog seinen Parka aus und half Latimore zum Ofen.Keith und Ben standen auf, um ihrem Kapitän zu helfen, ob-wohl es offensichtlich war, dass sie den Mann verabscheuten.

«Er ist verwirrt und blind. Als ich ihn fand, lief er immer imKreis.»

«Es ist extrem schwierig, im Atlantik zu navigieren», sagteLatimore, als sie ihm halfen, sich auf dem Boden niederzulas-sen. Jayce brachte mehrere Decken und schlang sie um denMann, während Ben einen Tee einschenkte und ihn Latimore

26

Page 27: 111503

reichte. Die Hände des Mannes zitterten so sehr, dass er denZinnbecher nicht festhalten konnte, also führte Ben den Bechervorsichtig an seine Lippen.

Latimore trank und lehnte sich dann zurück. «Wir werdenSchottland nie mehr wiedersehen.» Es klang wie ein Seufzer,dann wurde er ohnmächtig und sackte rücklings gegen Jayce.

«Wird er überleben?», fragte Ben.Jacob schüttelte den Kopf. «Nicht, wenn er nicht will.»

27

Page 28: 111503

3«Ich bringe dich nach Nome.»

Helaina erschrak, als sie Johns Stimme hçrte. Sie war damitbeschäftigt gewesen, die Hunde zu füttern, und hatte denDorfbewohner nicht einmal kommen hçren. Sie richtete sichauf und ignorierte den Schmerz in ihrem Rücken. Johns Mienewar emotionslos, aber in seinen Augen lag tiefer Kummer. DerTod seiner Mutter war für ihn nicht leicht zu verkraften ge-wesen.

«Das ist sehr freundlich von dir. Wann kçnnen wir los-fahren?»

«Jetzt gleich, wenn du so weit bist.»«Wenn du sicher bist … Ich will nicht … ich weiß doch,

dass du trauerst.»«Wir trauern alle, aber nicht nur um meine Mutter. Ich

trauere auch um meinen Freund Jacob. Ich trauere wegen Leahund ihren Kindern. Wir müssen gehen und sehen, was wir tunkçnnen.»

Es war der Augenblick, auf den Helaina und Leah den gan-zen Winter gewartet hatten. «Ich packe nur schnell meine Sa-chen. Das dürfte nicht länger als zehn Minuten dauern.»

«Wir treffen uns am Ufer.»Helaina nickte. Das Eis war geschmolzen, und sie würden

mit den Umiaks nach Nome fahren. Es war ein Segen für dasganze Dorf, denn sie wusste, dass sie reichlich Vorräte aus ih-rem Lagerhaus und von neuen Lieferungen aus Seattle und SanFrancisco mitbringen würden – falls irgendwelche Schiffeschon bis in den Norden vorgedrungen waren.

Sie eilte zu der Erdhütte der Barringers zurück und packteihre Sachen zusammen. Durch das warme Wetter fing der Bo-den schon an zu tauen, und es war nur noch eine Frage der Zeit,bis das Haus voller Wasser stand. Trotzdem mochte sie diese

28

Page 29: 111503

Behausung. Sie mochte den Ort, weil er sie an Jacob erinnerte.Hier konnte sie ihn sehen, seinen Duft riechen, seine Stimmehçren. Hier verspürte sie einen ungewohnten Frieden und dieGewissheit, dass er zurückkommen würde, um sein Haus wie-der in Besitz zu nehmen – und sie hoffte, dass er auch sieirgendwann sein Eigen nennen würde.

Helaina beeilte sich, eine kleine Tasche mit den notwendigs-ten Dingen für die Reise zu packen, dann warf sie alles anderein ihre Truhe und stellte sie auf den Küchentisch. Sie würdejemanden bitten, sie zu holen und in Leahs Haus zurück-zubringen. Vielleicht würde sie es auch Leah sagen, wenn siehinüberging, um sich zu verabschieden.

Als Helaina zum Haus der Kincaids hinüberlief, stellte sieerleichtert fest, dass Leah bereits mit den Kindern draußenwartete. «John hat mir erzählt, dass ihr losfahrt. Ich habe euchetwas zu essen eingepackt.» Leah reichte Helaina einen Jute-sack. «Hoffentlich hält das gute Wetter an, dann kommt ihrheute noch bis Nome.»

«Du denkst wirklich an alles. Danke hierfür», lächelte He-laina, während sie den Jutebeutel über ihre Schulter warf. «Ichhabe meine restlichen Sachen gepackt und in meiner Truhe aufdem Tisch stehen lassen. Kçnntest du jemanden bitten, sie her-zubringen, wenn du Zeit hast? Ich würde sie gerne vor demWasser in Sicherheit wissen.»

«Natürlich.» Leah wandte den Blick von den Zwillingen ab,die sich an ihren Beinen hochgezogen hatten und unbeholfenwankten. «Bitte gib mir so bald wie mçglich Bescheid.» DieSehnsucht in ihrer Stimme war ebenso groß wie die in HelainasHerzen.

Helaina streckte die Hand aus und berührte den Arm ihrerFreundin. «Ich verspreche es dir. Egal, was passiert, ich lassedich wissen, was los ist.»

29

Page 30: 111503

Leah nickte. «Egal, was passiert.» Die Worte klangen einwenig unheilvoll, aber entschlossen.

Helaina drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging zuden Booten. John half ihr hinein und verstaute ihre Sachen unddie restlichen Vorräte hinter ihr. Helaina wusste, dass die Män-ner sie nicht beim Rudern helfen lassen würden, also machte siees sich bequem und versuchte sich für das zu wappnen, was sieerwartete.

Es besteht immer noch die Mçglichkeit, überlegte sie, dass die Män-ner der Regina Hilfe gefunden haben und an Land gehen konnten, bevorsie in Schwierigkeiten geraten sind. Aber in ihrem Herzen wusstesie, dass das äußerst unwahrscheinlich war. Es konnte natürlichsein, dass die staatlichen Boote bereits losgefahren waren, umdie Männer zu suchen. Schließlich war das Eis jetzt seit einigenTagen fort. Dafür würde sie beten, beschloss Helaina. Siewollte nur hçren, dass ein Rettungsschiff bereits auf dem Wegwar und dass alle wussten, wo die Regina war.

Sie nickte ein, als die Sonne die Luft erwärmte. Ihre Gedan-ken galten Jacob und ihrer Hoffnung, dass er sich freuen wür-de, wenn er sie in Alaska sah. Sie hatte unzählige Male gebetet,er mçge sie wirklich noch lieben, so wie Leah es glaubte. Siebereute ihre Entscheidung, in den Norden zu ziehen, nicht,aber Helaina wusste, wenn Jacob ihre Liebe zurückwies, würdees keinen Grund geben zu bleiben. Dieser Gedanke machte sietrauriger, als sie es ertragen konnte, denn dann würde sie nir-gendwohin gehçren.

Du gehçrst immer zu mir, schien eine Stimme zu ihr zu sagen.Sofort spürte sie die Hoffnung in sich aufsteigen, die von Tagzu Tag wuchs, während ihr Wissen über Gott zunahm.

Ja, dachte sie. Ich gehçre zu Jesus. Ich gehçre zu Gott, und seineLiebe werde ich immer haben, auch wenn Jacob mir keine schenken wird.

cd

30

Page 31: 111503

In Nome erfuhr Helaina, dass der Krieg in Europa nicht gutlief. Die Verluste der Amerikaner waren beträchtlich, undniemand wusste, wann der Konflikt zu Ende sein würde. Siemachte sich Sorgen um ihren Bruder, weil sie wusste, dassStanleys patriotisches Herz ihn dazu bringen würde, sichfreiwillig zu melden. Sein Bein würde verhindern, dass sieihn nahmen – dessen war sie sicher. Nachdem Chase Kincaidihn von einem fahrenden Zug gestoßen hatte, war Stanleynicht mehr der Alte. Das Bein war zertrümmert worden undaußerdem hatte er sich noch andere Knochenbrüche zugezo-gen; Stanley konnte von Glück sagen, dass er überlebt hatte.Sie schüttelte langsam den Kopf, als sie an all das dachte.Wären die Pinkertons nicht so erpicht darauf gewesen, ChaseKincaid zu fangen, wäre sie Jacob Barringer vielleicht niebegegnet.

Helaina betrachtete das kleine Gebäude, vor dem sie stand,und versuchte die Sorge um Stanley zu verdrängen. Da es Sonn-tag war und sie keine Gelegenheit hatte, Nachrichten oder In-formationen von der Armee oder anderen Behçrden zu bekom-men, hatte sie beschlossen, in den Gottesdienst zu gehen. DieFrau in dem Hotel hatte ihr von einer kleinen Kirche und derGemeinde dort erzählt, in der eine liebevolle Gemeinschaftherrschte. Es klang so, als wäre es genau das Richtige, um He-laina aufzumuntern.

«Haben Sie sich verlaufen?»Helaina drehte sich um und erblickte eine entschlossene alte

Frau, die ihr direkt in die Augen sah. «Nein. Ich wollte in denGottesdienst gehen.»

«Dann sind Sie hier richtig.» Die Frau lächelte strahlend undstreckte die Hand aus. «Ich bin Mina Bachelder, und wir freuenuns, dass Sie da sind. Sind Sie neu in Nome? Ich glaube nicht,dass ich Sie schon mal hier gesehen habe.»

«Ich war schon mehrmals hier. Genau genommen», Helaina

31

Page 32: 111503

beugte sich näher, weil sie nicht wollte, dass ihre nächste Be-merkung von anderen überhçrt wurde, «war ich die Frau, dieentführt wurde, als die Hilfssheriffs getçtet wurden.»

«Ach, du liebe Güte. Und jetzt sind Sie gesund und munter.Ich dachte, ich hätte gehçrt, Sie seien wieder in die Staatenzurückgereist.»

«Das war ich auch, aber … also, es gibt etwas … beziehungs-weise jemanden, wegen dem ich zurückgekommen bin.»

Mina grinste, und ihre Miene erhellte sich. «Das müssen Siemir beim Essen genauer erzählen. Ich mache einen guten Karibu-Eintopf. Bitte leisten Sie mir Gesellschaft.»

Helaina nickte. «Das mache ich gerne.»

Nach einem wunderbaren Gottesdienst führte Mina Helainazu ihrem Haus in der Zweiten Straße. «Werden Sie lange inNome bleiben?», fragte sie.

«Nein, wahrscheinlich nicht», erwiderte Helaina. «Ich binhier, um Informationen zu bekommen. Mein … na ja, derMann und der Bruder von einer guten Freundin sind auf derRegina.» In der Kirche hatte der Pastor die Gemeinde aufgefor-dert, für die Männer auf der Regina zu beten. Es hatte Helainadas Herz erwärmt, als sie die Fürbitten des Pastors für dieMänner hçrte. Es war ein besonderer Trost, den sie nicht hätteerklären kçnnen.

Mina streckte die Hand aus und berührte Helainas Arm.«Deshalb sind Sie also hier.»

«Ja. Ich hoffe, dass die Armee oder die Küstenwache mirerzählen kann, ob Rettungsboote in den Norden gefahren sind.Ich weiß, dass es noch früh ist, aber diese Männer haben einenkalten Winter hinter sich.» Sie hasste den Gedanken daran,welches Schicksal Jacob und Jayce ereilt haben kçnnte.

«Wir haben jedenfalls gebetet, dass sie durchhalten.»Helaina blieb stehen. «Sie müssen durchgehalten haben. Sie

32

Page 33: 111503

sind gute Männer – stark und erfahren. Sie würden kein Risikoeingehen.»

«Wie es aussieht, sind sie aber ein Risiko eingegangen, als siein den Norden gefahren sind», erwiderte Mina. «So, wir sindda.» Sie ging ein paar Schritte weiter und çffnete die Tür.«Hängen Sie Ihren Mantel an den Haken dort. Ich setze dasEssen auf.»

Mina verschwand durch eine zweite Tür, während Helainaihren Fellparka auszog. Das Haus erwies sich als gemütlich undwarm. Offenbar hatte Mina das Feuer geschürt, bevor sie in dieKirche gegangen war. Helaina schloss die Tür hinter sich undsah sich in dem winzigen Wohnzimmer um. Es gab einen bun-ten Teppich, mehrere Holzstühle und ein mit Rosshaar ge-stopftes Sofa, das ziemlich abgenutzt aussah.

«Hier ist ein Tee für Sie, während ich den Tisch decke. Ichhoffe, Sie haben nichts gegen Tee. Ich trinke keinen Kaffee.»

Helaina lächelte und nahm den Becher. «Tee ist wunderbar.Ich mag ihn sehr gerne.» Sie nippte an dem Getränk, währendsie den Raum weiter musterte. Ein kleiner Kamin war mit ei-nem einfachen hçlzernen Sims eingefasst worden. Darauf stan-den Bilder von Leuten, von denen Helaina vermutete, dass sieMinas Angehçrige waren. Sie beugte sich näher heran, um dieFotografien zu betrachten.

Mehrere der Fotos waren offensichtlich Hochzeitsbilder.Frauen, die aussahen, als wären sie mindestens zehn Jahre jün-ger als Helaina, blickten mit ernster Miene aus weißen Kleidernund unter Schleiern hervor. Der Betrachter hätte glauben kçn-nen, dass der Tag auch nicht wichtiger war als jeder andere –und dass die Tatsache, dass ein Foto gemacht wurde, ein ganznormales Ereignis war, weil die Abgebildeten sich langweilten.Aber Helaina wusste es besser. Dies war der Tag, auf den diemeisten von ihnen gewartet hatten, für den sie gebetet hatten.Dies war der Anfang eines neuen Lebens. Ein Tag, der so wich-

33

Page 34: 111503

tig war, dass die Erinnerung daran mit einer Fotografie fest-gehalten werden musste, egal, was es kostete.

Helaina musste unwillkürlich an ihren verstorbenen MannRobert Beecham denken. Es schien ihr, als wäre diese Ehe hun-dert Jahre her. Aber ihre Gedanken verweilten nicht lange dort,als Jacobs Bild vor ihrem geistigen Auge auftauchte.

«Ah, Sie haben die Kinder gefunden.»«Sind das alles Ihre Kinder?», fragte Helaina überrascht. Es

waren mindestens ein Dutzend Paare oder Familien.«Das sind sie. Ich habe meinem Mann siebzehn Kinder ge-

schenkt. Fünfzehn von ihnen haben das Erwachsenenalter er-reicht.»

«Wo sind sie jetzt?»Mina strich ihre bunte Schürze glatt. «Ein paar leben hier.

Ein paar in den Staaten. Eine Familie lebt in einem anderenTeil des Alaska-Territoriums. Sie schreiben alle fleißig – vorallem die Mädchen. Ich habe zehn Tçchter, und sie haltenmich immer auf dem Laufenden, was in der Familie los ist.»

«Das ist wirklich eine beeindruckende Familie, muss ichsagen.»

«Sie sind Gottes Geschenk an mich. Und sie alle lieben denHerrn ebenso sehr, wie ich es tue, und so kann ich am Tag desGerichts mit einem reinen Gewissen vor ihm stehen.»

Helaina hçrte den Stolz in der Stimme der Frau. Es war eineganz schçne Leistung, eine so große Familie in der WildnisAlaskas aufzuziehen, aber noch beeindruckender war es, dasssie alle die biblische Wahrheit erkannt hatten. Helaina fragtesich, was das Geheimnis dieser Frau war.

«Wie haben Sie das gemacht?»Mina grinste. «Setzen Sie sich zu mir, dann erzähle ich es

Ihnen.»Helaina gehorchte und lauschte, während Mina ein einfaches

Tischgebet sprach und noch einmal für die Männer auf der

34

Page 35: 111503

Regina betete. Die Ernsthaftigkeit ihrer Worte gab Helaina dasGefühl, dass die Frau sich wirklich um das Wohl der Männersorgte.

«Ich habe meinen Kindern immer gesagt», fing Mina an,«dass Gott immer Gott bleibt – egal, ob sie an ihn glaubenwollten oder nicht. Er würde ihnen keine Extrawürste braten,nur weil sie stur oder verwirrt waren. Ich habe ihnen erzählt,dass der gütige Gott ihnen aus gutem Grund gottesfürchtigeEltern gegeben hat, nämlich damit wir ihnen den richtigenWeg zeigen.»

«Und das hat sie alle dazu gebracht zu glauben?»«Das und die ständige Erinnerung daran, dass die Hçlle ein

echter Ort ist, an dem man sonst die Ewigkeit in Elend undtotaler Trennung von jeder Hoffnung und Liebe verbringenwürde. Mein Mann hat jeden Tag beim Frühstück und Abend-essen eine Andacht gehalten. Wir haben über die Personen inder Bibel gesprochen, als gehçrten sie zur Familie. Es gab keineGeschichte, die die Kinder nicht kannten, aber ihr Vater hat sieimmer daran erinnert, dass es nicht reicht, das alles mit demVerstand zu begreifen. Sie mussten ihr Herz dafür çffnen unddie Botschaft aufnehmen.»

«Trotzdem ist das eine beachtliche Leistung, fünfzehn Kin-der zu lehren, Gott zu vertrauen und an ihn zu glauben. Ich binerst spät zum Glauben gekommen, und es war sehr schwer fürmich.»

Mina sah sie streng an. «Waren Ihre Eltern Christen? Sindsie mit Ihnen in die Kirche gegangen?»

«Oh, wir waren in der Kirche – aber Sie müssen verstehen,dass ich in New York gelebt habe. In unseren Kreisen war dieKirche ein Ort, wo man sich aus gesellschaftlichen Gründenaufhielt und nicht wegen der eigenen Seele.»

«Ach, du meine Güte. Das kann ich mir gar nicht vor-stellen.»

35

Page 36: 111503

Helaina lächelte. «Überlegen Sie einmal: Eine der Kirchen,in die ich ging, hatte jede Menge glänzend polierter Bänke. DasRecht, in einer bestimmten Bank zu sitzen, erwarb man sichdadurch, mit wem man bekannt war und wie viel Geld mander Kirche spendete. Je weiter vorne man saß, desto wichtigerwar man – und desto mehr wurde man geachtet.»

«Das ist schrecklich. Kein gutes Vorbild.»«Ganz gewiss nicht.» Helaina probierte den Eintopf.

«Mmm, das ist kçstlich. Vielen Dank für die Einladung.»Mina reichte ihr einen Teller mit Brçtchen. «Die sind schon

zwei Tage alt, aber man kann sie gut in die Suppe brçckeln.»Helaina nahm ein Brçtchen und folgte Minas Beispiel, in-

dem sie es in Stückchen riss und mit dem Fleisch und Gemüsevermischte. «Wie kommt es, dass Sie hier in Nome leben,Mina?»

«Mein Mann kam mit uns hierher, als es kaum jemandenaußer den Ureinwohnern hier gab. Das war lange vor demGoldrausch – eine sehr schwierige Zeit.» Sie schüttelte denKopf und widmete sich wieder ihrem Essen. «Nome hatte im-mer Probleme, und das waren schlimme Zeiten, das steht fest.»

«Warum wollte Ihr Mann hier leben?»«Wir waren Missionare und haben den Menschen in dieser

Region gedient. Als mein Mann heimging, waren bestimmtzweihundert Ureinwohner aus Nome und der Umgebung beiseiner Beerdigung. Sie haben ihn geliebt.»

«Wenn seine Gastfreundschaft mit Ihrer vergleichbar war,dann wundert mich das nicht», erwiderte Helaina.

«Der Herr befiehlt uns, gastfreundlich zu sein. In der Bibelsteht, dass wir niemals wissen, ob wir nicht einen Engel beher-bergen, also versuche ich keine Gelegenheit auszulassen, wennich jemand Neues einladen kann.»

«Für mich war das jedenfalls ein unerwarteter Genuss. Ichwerde noch lange daran zurückdenken.»

36

Page 37: 111503

«Sie kommen doch wieder und besuchen mich, nicht wahr?Wenn Sie nach Nome kommen, kçnnen Sie gerne hier wohnen.Sie kçnnen auch jetzt aus dem Hotel hierherkommen, wenn Siewollen. Ich habe ein kleines Hinterzimmer mit einem Gästebettund einem eigenen kleinen Ofen. Da hätten Sie es ganz gemüt-lich.»

In New York hatte Helaina nie eine solche Großzügigkeiterlebt. Das Leben in Alaska war ganz anders; die Menschenwussten, dass sie einander helfen mussten. Wenn sie es nichttaten, konnte vielleicht jemand sterben, und das wollte niemandauf dem Gewissen haben.

«Ich glaube, es wäre sehr schçn, bei Ihnen zu wohnen, Mina.Wenn ich mehrere Tage in Nome bleiben muss, komme ichgerne her.»

Mina nickte zufrieden. «Essen Sie auf. Ich habe noch einenPudding für Sie.»

cd

Am nächsten Tag musste Helaina immer noch an die kçstlicheMahlzeit denken, als sie plçtzlich Tscheslaw Babinowitsch ge-genüberstand, einem Russen, den sie im vergangenen Jahr ken-nengelernt hatte. «Herr Babinowitsch? Sind Sie das?», fragte sieden verängstigt dreinblickenden Mann.

«Ach, meine Dame. Ich bin es.» Er warf einen Blick überseine Schulter. «Ich habe Ihren Namen vergessen, fürchte ich.»

«Helaina Beecham. Wir sind uns letztes Jahr begegnet, als sieHilfe brauchten. Ich habe Sie Dr. Cox vorgestellt.»

«Ah, jetzt erinnere ich mich.» Er fuhr sich mit dem Hand-rücken über den dichten schwarzen Schnurrbart. «Ich fürchte,das Elend der letzten paar Monate hat mich sehr mitgenom-men. Ich kann mich kaum an etwas erinnern außer an die

37

Page 38: 111503

Schrecken, die mein geliebter Zar und seine Familie erleidenmüssen.»

«Ich habe gehçrt, dass die Lage in Russland sehr schlechtaussieht, was die kaiserliche Familie betrifft. Jemand hat gesagt,sie seien im Gefängnis.»

«Das stimmt.» Er stçhnte und wandte sich ab. «Ich willihnen unbedingt helfen. Ich fürchte, sie werden alle getçtet,wenn ich nicht ihre Freilassung bewirke.»

«Kçnnen Sie das? Kçnnen Sie mit den Leuten, die sie gefan-gen halten, verhandeln?»

«Wenn ich genug Geld habe», sagte er und drehte sich wie-der zu ihr um. «Geld ist das Einzige, was in meinem armenLand funktioniert.»

Helaina sah, wie mehrere Männer näher kamen. Babino-witsch zog den Kopf ein und drehte sich zum Schaufenster desGeschäfts um, als wollte er sich für ihre prüfenden Blicke un-sichtbar machen. Als die Männer fort waren, wandte er sichwieder an Helaina. «Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.Überall gibt es Spione. Sie werden alle, die wir Beziehungen zurkaiserlichen Familie haben, suchen und umbringen.»

«Wer tut das?»«Die neue Regierung in meinem Land. Die Bolschewiken.

Aber ich darf nicht darüber reden. Es ist zu gefährlich.» Ersenkte die Stimme. «Ich habe Schmuck, den ich verkaufenkann. Aber in dem Moment, in dem unsere Feinde erführen,dass kaiserliche Juwelen aus dem Land geschmuggelt wurdenund verkauft werden, um dem Zar und seiner Familie zu helfen,würden Kçpfe rollen.»

Helaina runzelte die Stirn. «Daran mçchte ich nicht beteiligtsein.»

«Aber vielleicht haben Sie Interesse daran, etwas von mei-nem Schmuck zu kaufen?», fragte er hoffnungsvoll. «Sie sindeine gute Frau, und Sie kçnnen doch sicher nicht zusehen, wie

38

Page 39: 111503

Kinder in den Händen solch bçser Leute bleiben. Die Tçchterdes Zars sind sehr schçn, und der kleine Alexej ist ein so lieberJunge. Sie werden zweifellos schändlich behandelt.»

Helaina runzelte die Stirn. Die Geschichte des Mannes fas-zinierte sie. «Ich vermute, ich kçnnte ein paar Stücke kaufen»,sagte sie.

Babinowitsch vergaß sich beinahe, als er die Arme ausstreck-te. Doch dann hielt er sich zurück, bevor er sie tatsächlichumarmte. «Oh, Mrs. Beecham, Sie haben mich zu einem glück-lichen Menschen gemacht. Ich bin sicher, dass wir sie jetzt ret-ten kçnnen.»

Helaina vereinbarte mit dem Mann, dass er sie später am Tagin ihrem Hotel aufsuchen sollte. Dann wandte sie ihre Auf-merksamkeit wieder dem zu, weswegen sie hier war. Sie musstewissen, was für die Regina und ihre Besatzung getan wurde.

cd

Latimore erholte sich etwas, während Jacob ihm mit dem Lçf-fel heißen Kaffee mit viel gesüßter Kondensmilch einflçßte.Seine Augen waren nicht mehr so geschwollen, und es schienJacob, als kçnnte er schon wieder etwas erkennen.

«Kçnnen Sie mich sehen, Kapitän?»Latimore blinzelte. «Ganz unscharf.» Seine Stimme war rau,

und sein Atem ging schwer.«Gut.» Jacob stellte den Becher beiseite. «Sie waren sehr

krank. Beinahe eine Woche lang.»«Sie hätten mich sterben lassen sollen», sagte der Mann

nüchtern.«Und was hätte das Ihrem Sohn genützt?»Latimore runzelte die Stirn und wandte den Blick ab. «Ich

habe keinen Sohn.»«Dadurch, dass Sie das sagen, wird es nicht wahr. Ich kçnnte

39

Page 40: 111503

Ihnen sagen, dass wir nicht in der Arktis verschollen sind, son-dern dass wir stattdessen gefunden wurden und den Luxus ei-nes Hotels in Seattle genießen, aber das entspräche nicht derWahrheit.»

«Ich bin dem Jungen zu nichts nutze.»«So nicht. Aber es gab eine Zeit, da wäre der Kapitän Lati-

more, den ich kannte, für jedes Kind von großem Wert ge-wesen.»

«Diesen Mann gibt es schon lange nicht mehr.»«Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Sie ihn nur lebendig

begraben haben.»Latimores Blick wanderte wieder zu Jacob. Seine Augen ver-

engten sich, dann fing er an sie zu reiben. Jacob hinderte ihndaran. «Das hilft nicht – im Gegenteil, wahrscheinlich schadetes eher. Mçchten Sie etwas Ente essen? Wir haben eine zube-reitet, und es gibt eine Brühe, die Ihrem Magen bestimmt be-kommt.»

Latimore schüttelte den Kopf. «Warum tun Sie das? Sie wür-den gut zurechtkommen – vielleicht sogar besser –, wenn Siemich sterben ließen.»

Jacob lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor derBrust. «Ich bin es nicht gewohnt, Menschen aufzugeben. Siehaben viel, wofür es sich zu leben lohnt, trotz Ihres Verlusts.Sie müssen aufhçren, sich selbst zu belügen, und das endlicheinsehen. Gott hat einen Grund, warum er Sie am Leben gelas-sen hat. Sie haben eine Aufgabe, aber Sie gehen ihr aus demWeg. Vor Ihrem Sohn davonzulaufen, wird Ihnen nicht deninneren Frieden geben, nach dem Sie sich sehnen.»

Die letzten Reste von Latimores dicker Schutzmauer began-nen zu brçckeln. «Aber wenn ich in sein Gesicht sehe … dannsehe ich meine Regina.»

Jacob nickte. «Da bin ich sicher. Aber vielleicht wird dasirgendwann ein Segen sein und kein Fluch. Sie dürfen Ihren

40

Page 41: 111503

Sohn nicht im Stich lassen, Latimore. Er braucht Sie. Ihre Frauist nicht mehr da, und sie hat keine irdischen Bedürfnisse mehr,außer dass Sie für das Kind sorgen, das sie Ihnen geschenkt hat.Sie müssen Ihre Kräfte sammeln und zu ihm zurückkehren. Siemüssen es tun.»

Latimore schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht, dass ich daskann. Dazu bin ich zu erschçpft – zu krank.»

Jacob grinste. «Ich werde Sie nicht aufgeben, Latimore, undich werde auch nicht zulassen, dass Sie sich selbst aufgeben.»

41

Page 42: 111503

Von derselben Autorinweiterhin erhältlich

Teil 1 der Alaska-Trilogie

Tracie PetersonAlaska – Land der SehnsuchtEin Sommer der Leidenschafte [D] 14.95e [A] *15.40CHF *26.80* = unverbindliche Preisempfehlung

Bestellnummer 111.467ISBN 978-3-7655-1467-8

An der Küste Alaskas: Leah Bar-ringer und ihr Bruder Jacob lebenweit entfernt von den Annehmlich-keiten der Städte. Dennoch – sielieben das Leben unter den Einhei-mischen des Landes. Und beide

sind begeistert von der wilden Schçnheit der Natur um sie herum.Als aber Jayce auftaucht, wird Leah bewusst, dass ihre Liebe keines-wegs nur Alaska gilt. Dieser Mann, der sie vor zehn Jahren so tiefverletzt hat, hat ihr Herz noch immer fest im Griff. Kann es sein,dass Gott sie aus einem bestimmten Grund wieder zusammengeführthat?Als eine Frau aus Washington sich an seine Fersen heftet, beginntLeah, um Jayce zu kämpfen. Und auch ihrem Bruder Jacob ist diehartnäckige Helaina ein Dorn im Auge. Was führt sie im Schilde?Und was hat sie gegen Jayce in der Hand?Ein spannender Roman, der die Welt des wildromantischen Nordenszu Beginn des 20. Jahrhunderts lebendig werden lässt und der zeigt,dass wir Menschen auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind.

Page 43: 111503

Von derselben Autorinweiterhin erhältlich

Teil 2 der Alaska-Trilogie

Tracie PetersonAlaska – Land der SehnsuchtLiebe im Schein des Polarlichtse [D] 14.99e [A] *15.40CHF *26.80* = unverbindliche Preisempfehlung

Bestellnummer 111.490ISBN 978-3-7655-1490-6

Helaina Beecham bewegte sich inWashington in einer Welt vollerVergnügungen, Luxus und Kulti-viertheit, bevor ein tragischer Ver-lust ihr Leben für immer veränder-te. Jetzt sucht sie die Gerechtigkeit

bei der berühmten Pinkerton-Detektei, für die sie zu arbeiten beginnt.Während die Suche nach dem flüchtigen Verbrecher Chase Kincaiddie selbstbewusste Helaina bis nach Alaska führt, ist es ein andererMann, Jacob Barringer, der ihr Selbstverständnis und ihren Lebens-inhalt durcheinanderwirbelt. Dieser raue, bodenständige Mann for-dert ihren Geist ebenso heraus wie ihre Seele. Und er ist viel attrakti-ver, als es ihm guttut …Als Helainas Urteilsvermçgen getrübt ist, weil sie geradezu davon be-sessen ist, Kincaid zu fangen, wird aus der Jägerin eine Gejagte. Jetzt istihre einzige Hoffnung, dass Jacob sie im eisigen Norden Alaskas fin-det, bevor es zu spät ist. Eine dramatische Geschichte über Liebe undHass, über Gerechtigkeit und Erbarmen – und über den Glauben, dertrotz aller Gefahr Hoffnung gibt.

Page 44: 111503

Von derselben Autorinweiterhin erhältlich

Tracie PetersonDie Ehestifterine [D] 14.95e [A] *15.40CHF *26.80* = unverbindliche Preisempfehlung

Bestellnummer 111.436ISBN 978-3-7655-1436-4

Philadelphia, 1852: In eine wohl-habende Familie hineingeboren, istdie junge Mia Stanley eine beliebteDame der Gesellschaft, die sich inihrer Freizeit mit großem Eifer alsHeiratsvermittlerin betätigt. Au-ßerdem schreibt und recherchiertsie für die damals sehr moderneZeitschrift «Godeys Handbuch

für Damen», sehr zum Missfallen ihrer Familie – und der Gesellschaft.Eine anständige junge Dame ihres Standes sollte doch nicht arbeiten!Aber Mia konnte schon immer gut mit Worten umgehen …Ihre Recherchen führen Mia in die Welt der unterdrückten Seemanns-frauen. Sie sieht die armseligen Lebensbedingungen und die Schulden-berge der Seefahrer-Familien, erschrickt über die Prostitution und dieKinderversklavung im Hafen von Philadelphia. Sofort stellt sie Hilfs-programme auf die Beine und deckt eine beunruhigende Intrige auf,die sie selbst in große Gefahr bringt. Und auch ihr Herz setzt sie dabeiaufs Spiel … Hat ihre Entschlossenheit, als Ehestifterin («Matchma-ker») alle unter die Haube zu bringen, am Ende ausgerechnet Garrettvertrieben, den Mann, dessen Beachtung ihr so wichtig ist?

Page 45: 111503

Von derselben Autorinweiterhin erhältlich

Tracie PetersonEine Lady mit geheimnisvollemAuftrage [D] 14.95e [A] *15.40CHF *26.80* = unverbindliche Preisempfehlung

Bestellnummer 111.744ISBN 978-3-7655-1744-0

Philadelphia 1857. Cassandra Sto-ver fällt ein Stein vom Herzen, alssie ihre neue Stellung als Gesell-schafterin der wohlhabenden undangesehenen Mrs. Jameston antre-ten und somit die finanziellen Las-ten ihrer Familie etwas erträglichermachen kann. Bald darauf führt

Cassie ein Leben, von dem sie früher nie zu träumen wagte, und dieältere Dame, die sie wie eine Tochter behandelt, wächst ihr immermehr ans Herz.Das Einzige, was ihr wundervolles neues Dasein trübt, ist Mrs.Jamestons Sohn. Während Sebastians Abneigung und Grausamkeitgegenüber seiner Mutter zunehmen, fängt Cassie an, sich um dieSicherheit ihrer Arbeitgeberin zu sorgen – und nicht zuletzt auchum ihre eigene. Als Sebastian des Betrugs verdächtigt wird, bittetder Versicherungsfahnder Mark Langford Cassie darum, ihm beider Aufdeckung der Wahrheit zu helfen. Was jedoch als harmlosekleine Täuschung beginnt, verkompliziert sich schnell durch echteHerzensangelegenheiten.