52
1928 – 2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel

1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

1928 – 2003

Fleischvermarktung zwischen

Wachstum und Wandel

Page 2: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19
Page 3: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Gründungsurkunde der Westfälischen Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft WPVG vom 19. Oktober 1928.

Page 4: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19
Page 5: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Grußwort .................................................................................................................................................... 5WESTFLEISCH heute ................................................................................................................................... 6

Die Geschichte der WESTFLEISCH eGVon der Gründung bis zur Währungsreform ........................................................................................... 8Die Wirtschaftswunderzeit beginnt ........................................................................................................ 19Trillhaas hat die WESTFLEISCH geprägt ................................................................................................... 25Schlachten und Zerlegen reichen nicht mehr ....................................................................................... 35

Hintergründe, Informationen und Bemerkenswertes1953 – Aufgaben und Ziele fortentwickelt ............................................................................................. 16Fünfmal umgezogen .............................................................................................................................. 23Der Neubau in Hamm – das „100.000 DM-Ding“ ................................................................................... 27Von der Lebendvieh- zur Geschlachtet-Notierung ................................................................................ 28Die WESTFLEISCH FINANZ AG und ihre Entstehung ................................................................................ 30Westfälischer Frieden II ........................................................................................................................... 32Gratulation zum Erreichten ..................................................................................................................... 33Noch ist Auto-FOM unübertroffen ......................................................................................................... 36Die Unternehmensführung im Jubiläumsjahr ....................................................................................... 41Organmitglieder im Rückblick ................................................................................................................. 42Vision WESTFLEISCH 2010 ........................................................................................................................ 4475 Jahre WESTFLEISCH in Zahlen ...............................................................................................................47

Impressum ............................................................................................................................................... 49

Inhalt

Page 6: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19
Page 7: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

5

Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19. Oktober 1928 die „Westfälische Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft“ ausder Taufe hoben. Zweifellos war es ein weiter Weg vom Verkauf von Rindern und Schweinen in denVerbraucherzentren des Ruhrgebietes bis zur heutigen weltweit operierenden WESTFLEISCH-Unter-

nehmensgruppe. Doch die Grundpfeiler der Genossenschaftsidee sind heute soaktuell wie damals: Eigeninitiative, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.Basis für den Erfolg eines genossenschaftlichen Unternehmens ist dabei das Ver-trauen der Bauern in „ihre Genossenschaft“. Die Identifikation der Mitglieder mitihrem Unternehmen ist der Schlüssel für den Erfolg der WESTFLEISCH eG. Heutehat WESTFLEISCH über 3.200 Mitglieder, die sie zu einem der größten und leis-tungsfähigsten Vermarktungsunternehmen für Vieh und Fleisch in Deutschlandmachen. Doch die „WESTFLEISCH-Bauern“ sind nicht nur Kooperationspartner, son-dern auch Kapitalgeber; sie tragen damit in großem Umfang zur wirtschaftlichenStabilität und zum Erfolg der WESTFLEISCH bei.

Mit Stolz kann der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband auf seine bedeu-tende Rolle für die erfolgreiche Entwicklung der genossenschaftlichen Vermark-tung verweisen. Im Jahr 1969 verabschiedete der WLV die berufsständische Kon-

zeption für die genossenschaftliche Vieh- und Fleischvermarktung. Der im Nachhinein viel zitierte„Westfälische Friede“ gab die entscheidenden Impulse für die Entwicklung der Vieh- und Fleisch-zentrale, die seit 1972 den Namen „WESTFLEISCH“ trägt.

Die herausragende Position der WESTFLEISCH kommt nicht von ungefähr: „Gespür“ für den Marktund kreative Gestaltung des Angebotes, neueste Technik und nicht zuletzt ein hervorragendesManagement sowie gut ausgebildete Mitarbeiter sind dafür die Voraussetzung. Dazu zählt aberauch ein engagiertes Ehrenamt, das kurze Entscheidungswege innerhalb des Unternehmens undeine glaubwürdige Mittlerfunktion zwischen Management und Mitgliedern ermöglicht.

Enge Zusammenarbeit und vertragliche Bindungen erleichtern Genossenschaften den Absatz ihrerProdukte an die nachgelagerten Handelsstufen, denn lückenlose Herkunftsnachweise, Dokumenta-tion und transparente Erzeugung entsprechen heute mehr denn je den aktuellen Markterforder-nissen und den Wünschen der Verbraucher. Enge Bindungen erleichtern aber auch die Steuerungvon Produktqualität und Produktmenge. Die WESTFLEISCH stellt sich wie kein zweites Unternehmendiesen Herausforderungen im besten Einklang mit den Grundpfeilern des Genossenschaftsgedan-kens. Diese sind zeitlos und werden auch in Zukunft Gültigkeit haben, denn sie entstammen demtiefen Bedürfnis der Menschen nach Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit.

Franz-Josef MöllersPräsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes e.V.

Grußwort anlässlich des 75-jährigen Bestehens der WESTFLEISCH eG

„Vertrauen ist für alle Unternehmungen das Betriebskapital, ohne welches kein nützliches Werk auskommen kann.“

(Albert Schweitzer)

Page 8: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Die „WESTFLEISCH eG“, wie die Genossenschaft seit zwei Jah-ren heißt, wurde vor 75 Jahren, exakt am 19. Oktober 1928,gegründet. An den damals gewählten Namen „WestfälischeProvinzial-Viehverwertungsgenossenschaft eGmbH“, abge-kürzt auch WPVG, erinnern sich nur noch wenige. Doch ausder Gründung von damals ist eine solide finanzierte, wirt-schaftlich erfolgreiche Unternehmensgruppe geworden. DieGrafik „Struktur der Unternehmensgruppe“ vermittelt einenEinblick.

Genossenschaft und AG

Im Zentrum steht unverän-dert die GenossenschaftWESTFLEISCH eG, die zum Jah-resende 2002 3.251 Mitgliederund damit 558 mehr als imVorjahr zählte. Die ehemali-gen Gründungsmitglieder, dieörtlichen Viehverwertungsge-nossenschaften nämlich, bil-den mit heute 28 den primär-genossenschaftlichen Kern.Hinzu kommen 21 Organmit-glieder und juristische Perso-nen sowie beachtliche 3.202Einzelmitglieder. Es sind Land-wirte aus Westfalen-Lippe undinzwischen auch angrenzen-den Regionen, die Mitgliedwerden, die Geschäftsanteileerwerben und die das Eigen-kapital von WESTFLEISCH stär-ken. Sie tun das, weil sieVertrauen in die Leistungs-fähigkeit ihres eigenen Unter-nehmens und in dessen Fähig-keiten, das Produkt Fleisch anden Verbraucher zu bringen,haben. Erklärtes Unterneh-mensziel ist es zudem, dieMitglieder am wirtschaftlichenErfolg teilhaben zu lassen.Aufgabe der 1971 gegründe-ten und sehr erfolgreichenWESTFLEISCH FINANZ AG ist es,mit einer renditestarken Aktiebei weitestgehender Bewer-tungskontinuität zusätzlichesKapital für Wachstum in der

Unternehmensgruppe zu beschaffen. Die Dividenden fließenzurück an die vorwiegend bäuerlichen Aktionäre: insgesamtbislang über 20 Mio. € seit Gründung.Im Jahr 2002 hat WESTFLEISCH 247.000 Rinder (zu 1992:–15,7 %), 35.900 Kälber (zu 1992: + 247,6 %), 3,73 Mio. Schwei-ne (zu 1992: +31,9 %) und 30.000 Sauen geschlachtet.Schlachtung und Zerlegung – bei Rindfleisch über 80 % undbei Schweinefleisch rund 90 % – erfolgen in den vier Fleisch-centern Lübbecke, Coesfeld, Paderborn und Hamm.

6

WESTFLEISCH heute

WESTFLEISCH eG,Münster

Umsatz 2002: 1.007 Mio. €

WESTFLEISCHHandelsgesellschaft mbH,

Münster

Umsatz 2002: 5,3 Mio. €

Provianda GmbH,Münster

Umsatz 2002: 6,5 Mio. €

FVZ WESTFOOD ConvenienceGmbH, Holzwickede

Umsatz 2002: 40,9 Mio. €

WESTFLEISCH Poultry GmbH, Münster

Umsatz 2002: 9,3 Mio. €

WestfalenLand FleischwarenGmbH, Münster

Umsatz 2002: 147,9 Mio. €

WESTPARTNER FleischkontorGmbH, Münster

Umsatz 2002: 64,3 Mio. €

Domhof & WESTFLEISCH B.V.,Lichtenvoorde/NL

Umsatz 2002: 19,4 Mio. €

PIC-WESTFLEISCH VertriebsGmbH, Münster

Umsatz 2002: 3,7 Mio. €

Coldstore HammBesitzgesellschaft mbH,

Hamm

Stammkapital: 25.000 €

Coldstore Hamm GmbH, Hamm

Stammkapital: 25.000 €

FVZ Deli-Meat PolskaSp.zo.o,

Czerwionka-Leszczyny/PL

Umsatz 2002: 2,1 Mio. €

WEGO LandwirtschaftlicheSchlachtstellen GmbH, Münster

Umsatz 2002: 6,1 Mio. €

WestfälischerFleischwarenvertrieb GmbH,

Münster

Umsatz 2002: 3,6 Mio. €

Bruns Fleischhandels- undZerlege GmbH, Werther

Umsatz 2002: 3,2 Mio. €

TLG Naturdärme WESTFLEISCHGmbH, Hiddenhausen

Umsatz 2002: 9,3 Mio. €

WESTFLEISCH FINANZ AG,Münster

Umsatz 2002: 8 Mio. €

100 % 100 %

49 %

100 %

50 %

50 %

50 %

25,2 %

25,2 %

BioKraft Beteiligungs-gesellschaft mbH, Coesfeld

Stammkapital: 25.000 €

20 %

Stand: 5. Mai 2003

100 %

100 %

100 %

100 %

100 %

51 %

38,7 %

14,3 %

Export

Dienstleister

SB-Fleisch/Convenience

Nebenprodukte

Page 9: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Die daraus gewonnenen Fleischmengen – insgesamt504.800 t – finden zu rund 80 % in Deutschland Käufer, wäh-rend jede fünfte Tonne in eines von 30 verschiedenen Ländernweltweit exportiert wird.Bei der Markteinführung von herkunftsgesichertem Fleischunter dem QS-Label war WESTFLEISCH 2002 mit TRANSPARINDund BESTSCHWEIN Vorreiter.

Mitglieder haben Teil am Erfolg

Eine wichtige Aufgabe der Nutzviehabteilung von WEST-FLEISCH ist es, die TRANSPARIND- und BESTSCHWEIN-Vertrags-

betriebe mit besten Nutztieren zu beliefern. Das waren 20021,6 Mio. Ferkel, 60.000 Zuchtschweine, 51.000 Kälber und12.000 Fresser. Im Bereich Nutzvieh erzielte Umsätze liegenbei 110 Mio. €.Insgesamt konnte WESTFLEISCH im Jahr 2002 im KerngeschäftUmsätze von 1,007 Mrd. € erzielen – bei deutlich vergrößer-ter Menge und größerer Wertschöpfungstiefe. Die WEST-FLEISCH-Gruppe konnte unter Einschluss von WestfalenLand,dem Spezialisten für SB-verpacktes Frischfleisch, dem Conve-nience-Hersteller FVZ Westfood, der TLG-Naturdärme unddem Geflügel-Spezialisten, der Poultry GmbH, erstmalig einenkonsolidierten Umsatz von 1,232 Mrd. € erzielen.

Weil alle Unternehmensteile wirtschaftlich erfolgreich waren,weist die Gruppe in ihrem Geschäftsbericht für 2002 einenGewinn von 2,588 Mio. € bei der eG und 1,33 Mio. € bei derAG aus.Durch Bonus- und Sonderbonus-Zahlungen von über 8 Mio. €lässt WESTFLEISCH die Mitglieder teilhaben am wirtschaft-lichen Erfolg der Gruppe im Jahr 2002.Bemerkenswert ist schließlich auch dies: WESTFLEISCH bietetmehr als 1.000 eigenen Mitarbeitern einen sicheren Arbeits-platz und 65 Jugendlichen die Möglichkeit für eine qualifi-zierte Ausbildung in verschiedensten Berufen.

WESTFLEISCH ist bäuerlich geblieben

Und doch ist WESTFLEISCH auch 75 Jahre nach der Gründungein durch und durch bäuerlich geprägtes Unternehmengeblieben. Dafür zeichnet der 5-köpfige Vorstand unter demVorsitz des Landwirts Gerhard Meloh mit dessen StellvertreterHeinz Horstmann, Dirk Niederstucke, Landwirt, sowie dengeschäftsführenden Vorstandsmitgliedern Dr. Helfried Giesenund Dr. Bernd Cordes verantwortlich.Im 12-köpfigen Aufsichtsrat unter dem Vorsitz des LandwirtsHeinz Westkämper wirken weitere fünf Landwirte bei der Kon-trolle des Unternehmens mit.Was aber musste geschehen, was erarbeitet und was hinge-nommen werden, damit sich in 75 Jahren aus bescheidenenAnfängen ein so solide finanziertes und gut strukturiertesUnternehmen entwickeln konnte?Auf den folgenden Seiten sind Schwerpunkte der Geschichteaus 75 Jahren dargestellt, aber auch Antworten aufgezeigt,wie es in der näheren Zukunft weitergehen soll.

7

WESTFLEISCH – ein Unternehmen der Bauern.

Page 10: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Als am 19. Oktober 1928 die „Westfälische Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft eG mbH“ – wie die heutigeWESTFLEISCH damals hieß, gegründet wurde, musste das Radder genossenschaftlichen Viehverwertung in Westfalen kei-neswegs neu erfunden werden. Es gab ja bereits 18 Viehver-wertungsgenossenschaften und zusätzlich BäuerlicheBezugs- und Absatzgenossenschaften (BBAG), die sich mit derVermarktung von Nutz- und Schlachtvieh befassten.Und: Die Westfälische Centralgenossenschaft (WCG), aus derdie heutige RCG hervorgegangen ist, besorgte bereits einJahr nach ihrer Gründung (1899) auch den genossenschaft-lichen Viehverkauf für ihre Mitglieder. Die Umsätze in dieserSparte stiegen von bescheidenen 38.888 Mark im Jahre 1900auf 1,09 Mio. Mark im Jahre 1909.Doch bereits damals wurde registriert: Als in den beiden Jah-ren 1905 und 1906 die Viehpreise wegen starker Nachfrageanstiegen, brach der genossenschaftliche Viehverkauf um dieHälfte ein. Dies sei „ein keineswegs gutes Zeichen von dergenossenschaftlichen Schulung unserer Landwirte”, stellteAnton Quabeck, der erste Verbandsdirektor des Verbandesländlicher Genossenschaften der Provinz Westfalen fest, „die

sich erst dann auf den genossenschaftlichen Verkauf besin-nen, wenn niedrige Preise herrschen”.

Geschäft, Vermögen und Geschäftsführerübernommen

1910 wurde schließlich die Viehvermarktung Richtung Ver-brauchszentren an Rhein und Ruhr auf eine organisatorischbreitere Basis gestellt. Am 9. Juni 1910 nämlich haben die

Landwirtschaftskammern für Westfalen, Hannover und dieRheinprovinz, der Westfälische Bauernverein, die Zentrale fürViehverwertung in Berlin und die WCG die „Viehverkaufsstelleder vereinigten Landwirtschaftskammern GmbH“ mit Sitz inEssen gegründet. Ab dem 1. Juli 1910 besorgte diese sämtli-che genossenschaftlichen Viehverkäufe an den Märkten inEssen, Düsseldorf, Köln und Dortmund.

Ob nun diese gemeinsame Viehver-kaufsstelle tatsächlich im November1928 in die Westfälische Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft um-gewandelt wurde, wie in einer Fest-schrift des Genossenschaftsverbandesnachzulesen ist, oder ob die Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft einevöllig eigenständige Neugründungwar – das mögen Historiker oder Juris-ten entscheiden. Tatsache aber undnachzulesen ist Folgendes im Proto-kollbuch für den Aufsichtsrat derProvinzial-Viehverwertungsgenossen-

8

Von der Gründung bis zur Währungsreform

Zum Verkaufen gehört Werben: Empfehlungsanzeige der WPVG 1929.

Münster 1923„Notkundgebungen“ 1928

1928 Februar: Notkundgebungen westfälischer Landwirte

Page 11: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

schaft unter dem Datum 10. November 1939: „Im Jahre 1928wurde die Westfälische Provinzial-Viehverwertungsgenossen-schaft gegründet, welche die Aufgaben und das Vermögender Viehverkaufsstellen der Vereinigten Landwirtschaftskam-mern übernahm. Gleichzeitig wurde“, so fährt das Protokollfort, „Herr Dr. Hubert Schulze-Aussel als geschäftsführendesVorstandsmitglied in die Verwaltung der WPVG berufen. DieWPVG hat also 1929 das Geschäft, das Vermögen und denGeschäftsführer der Viehverkaufsstelle der Vereinigten Land-wirtschaftskammern übernom-men.“

Wahlen im Dezember 1928„nachgebessert“

Die eigentliche Gründungsver-sammlung der Provinzial-Viehver-wertungsgenossenschaft am 19.Oktober 1928 hat vermutlich insehr kleinem Rahmen stattgefun-den. Damals wurden Dr. HubertSchulze-Aussel aus Münster undGustav Kirchhoff aus Versmold zuVorstandsmitgliedern gewählt. In

den Aufsichtsrat wurden Alex Vogelsang aus Altenberge, Sani-tätsrat Dr. Berendes aus Marienmünster und Friedrich-KarlWellmann aus Hamm berufen.Die mit diesem Wahlverfahren dokumentierten formalen Feh-ler wurden im Anschluss an die erste Generalversammlungder Genossenschaft am 28. Dezember 1928 bei einer gemein-samen Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat „nachgebes-sert“, denn nach § 16 der Statuten ist der Vorstand vom Auf-sichtsrat zu wählen. Dabei wurde die Zahl der Vorstandsmit-glieder von bisher 2 auf 5 erweitert und wurden folgendeHerren einstimmig gewählt: Gustav Kirchhoff aus Versmold alsVorsitzender, ferner Dr. Hubert Schulze-Aussel als geschäfts-führendes Vorstandsmitglied sowie Friedrich Potthoff ausPeckeloh, Fritz Meerhoff aus Neuenkirchen und schließlichAlex Vogelsang aus Altenberge.Die finanzielle Ausstattung der Viehverkaufsstelle der Vereinig-ten Landwirtschaftskammern kann kaum üppig gewesen sein,denn am 28. Dezember 1928 beschlossen Vorstand und Auf-sichtsrat der Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft unter

anderem, von den 80.750 Mark, die als Organisationsfonds vonBerlin überwiesen wurden, sollten 12.000 Mark zur Deckungder Unterbilanz der Viehverwertungsstelle Essen dienen.Was die neue WPVG in den ersten Jahren ihres Bestehens amMarkt bewirkte, ist kaum belegt. Ihre Aufgabe sollte es sein,für den Anschluss an die genossenschaftliche Viehverwertungzu werben und deren Organisation auf dem Lande zu fördern.Als selbstverständliche Forderung galt damals: Die einzelnenViehverwertungsgenossenschaften dürfen sich an den

Schlachtviehmärkten gegenseitigkeine Konkurrenz machen. In derFestschrift zum 30-jährigenBestehen der Landwirtschafts-kammer für die Provinz Westfa-len, die 1929 erschien, liest sichdas so: „Nur wenn es gelingt, dass

die Genossen ihr Vieh restlos durch ihre Genossenschaft oderwenigstens im Einvernehmen mit ihr und ebenso die Genos-senschaften ihr Vieh durch die Provinzial-Viehverwertungs-genossenschaft oder wenigstens im Einvernehmen mit der-selben verwerten, kann mit der erstrebten nachhaltigenBeeinflussung des Marktes gerechnet werden.“

Währungsschnitt und Weltwirtschaftskrise

Das wirtschaftliche Umfeld in jenen Jahren war allerdingsweder für Bauern noch die allgemeine Bevölkerung günstig.Der Währungsschnitt 1924 hatte zu einem Einbruch der Kauf-kraft und in den Folgejahren zu einem Preisverfall für land-wirtschaftliche Erzeugnisse geführt. Hinzu kam, dass der Marktmit importierten Agrarerzeugnissen überschwemmt wurde.Ein Notprogramm mit Zinsverbilligungen und verlorenenZuschüssen der Regierung und Aktivitäten des Genossen-

9

1928 19. Oktober: Gründung der Westfälischen Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft WPVG

… und Markt in Werne in den zwanziger Jahren.

Viehmarkt …

„Die Mitglieder des Aufsichtsrates erhalten für jede Sitzungdie baren Fahrtkosten und 12,50 Mark an Spesen pro Tagaus der Kasse der Westfälischen Provinzial-Viehverwer-tungsgenossenschaft vergütet.“ 28. Dezember 1928

Aus Vorstandsprotokollen ...

Page 12: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

schaftsverbandes halfen, dass die Zahlörtlicher Viehverwertungsgenossenschaf-ten laufend stieg. Immerhin 55 Mitgliederkonnte die WPVG in ihrer ersten Bilanzzum 30. Juni 1929 ausweisen. Bei einemGeschäftsanteil von 300 Mark und einerHaftsumme von 3.000 Mark waren 9.300Mark an Geschäftsanteilen eingezahlt undwurde eine Haftsumme von 93.000 Markausgewiesen.In den Folgejahren nahm die Zahl der Mit-glieder kontinuierlich zu und lag Ende Juni1933 bei 71 mit 104 Geschäftsanteilen. BeiBilanzsummen von gut 100.000 Mark wur-den nach dem Gründungsjahr regelmäßigGewinne zwischen 3.000 und 6.000 Markausgewiesen.Erste Angaben darüber, was die WPVG ver-marktete, liegen für das Jahr 1930 vor. Daswaren 1.767 Stück Großvieh, 13.239 Käl-ber, 91.027 Schweine und 64 Schafe, was zu einem Brutto-erlös von rund 15,76 Mio. Reichsmark führte. Während dieZahl vermarkteter Tiere in den Folgejahren beträchtlichzunahm – außer bei Schweinen –, brachen die Umsätze dras-tisch ein auf nur noch 7 bis 8 Mio. RM in den Jahren 1932 und1933. Die Weltwirtschaftskrise und der „schwarze Freitag“ am13. Juli 1931 führten auch zu einem dramatischen Einbruchder Schlachtviehpreise.

„Gleichschaltung“ innerhalb von Monaten

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten unter AdolfHitler am 31. Januar 1933 dauerte es nur wenige Monate, bisauch landwirtschaftliche Genossenschaften „gleichgeschaltet“und als Hauptabteilung III „Der Markt“ im Reichsnährstandaufgingen.Ebenso wie bei anderen landwirtschaftlichen Organisationenkam es auch bei der Westfälischen Provinzial-Viehverwer-tungsgenossenschaft zu einem zwangsweisen Wechsel vonVorstand und Aufsichtsrat. Vollzogen wurde dies am 16. Mai1933, als zunächst Vorstand (darunter auch das geschäftsfüh-rende Vorstandsmitglied Dr. Schulze-Aussel) und Aufsichtsratihre Ämter zur Verfügung stellten. Die anschließende Gene-ralversammlung wählte auf Vorschlag einstimmig in den Auf-sichtsrat: den Freiherrn von Kanne als Vorsitzenden, Potthoff(Peckeloh), Baumeister (Hohenholte), Wannigmann (Dren-steinfurt), Schulze Isfort (Altenberge), Schwegmann (Milte),Haversiek (Spenge) sowie Direktor Müller (Erndtebrück). Dieserneu gewählte Aufsichtsrat wählte anschließend DirektorBaade (Bethel) als Vorsitzenden, ferner Dr. Weddige (Rheine)und schließlich den Reichstagsabgeordneten Göckenjan(Burgsteinfurt) als Vorstand.Es war also – wie bei anderen bäuerlich geprägten Organisa-tionen auch – weitgehend zur Wiederwahl bewährter Ehren-amtlicher gekommen.Ab 1933 setzte der Reichsnährstand die Preise fest undbestimmte im Einzelnen, was und wie viel die Bauern zu pro-duzieren und wohin sie es abzuliefern hatten. Bei diesen„Marktordnung“ genannten Regelungen ging es nicht alleindarum, den Bauern verlässliche Preise zu verschaffen, son-dern auch darum, die land- und forstwirtschaftliche Produk-

10

1931 13. Juli:„Schwarzer Freitag“

1933 Reichsnährstand und erzwungenerFührungswechsel bei der WPVG

Mitteilung im „Deutschen Landwirtschaftlichen Genossenschafts-blatt“, 15. Juni 1933.

Page 13: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

tion zu steigern, die Agrarimporte zu drosseln und so Devisenfür die Rüstungsproduktion einzusparen, wie es in dem Buch„Die stille Revolution auf dem Lande“ heißt. Im Herbst 1934wurde erstmals die „Erzeugungsschlacht“ ausgerufen undin einem regelrechten Propagandafeldzug in jedem Dorf ver-breitet.

Neues Standbein Milchviehversteigerungen

Ob trotz oder wegen der „Marktordnung“ – die Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft konnte die Umsätze stück-zahl- und wertmäßig enorm steigern. So werden für das Jahr1937 folgende Zahlen genannt: 20.107 Stück Großvieh, 33.761Kälber, 143.097 Schweine und 2.395 Schafe, was zu einemBruttoerlös von 26,1 Mio. Reichsmark führte. Seit 1932 hatte sich die WPVG ein zusätzliches Standbein auf-gebaut: die Versteigerung von Milchvieh. Nach ähnlichemMuster wurden solche Versteigerungen in Münster, Hamm,Paderborn und Meschede, später auch in Borken und Ahausdurchgeführt. 1937 wurden so 4.871 Stück Milchvieh zueinem Bruttoerlös von etwas mehr als 2,1 Mio. RM umgesetzt.

Im Geschäftsbericht fürdas Jahr 1935 wurdeallerdings bezüglich desneu eingerichteten Auk-tionsortes Meschede kri-tisiert, „dass die Bauernlieber ihre Tiere denüblichen Verwertungs-weg gehen ließen – teil-weise sogar noch überden Juden” und „dass inMeschede entsprechendder nötige Auftriebfehlt”.Absatz fand man für die„Fettvieh“ genanntenSchlachttiere überwie-gend auf westdeut-schen Großviehmärkten.Eigene Verkaufsstellenbetrieb die Provinzial-Viehverwertungsgenos-senschaft in Dortmund,Bochum, Gelsenkirchen,Duisburg und Hagen.Darüber hinaus wurdendie Märkte in Düsseldorf,Essen, Elberfeld, Kölnund Mannheim beliefert, wo die Verkaufsstellen von der Cen-tralgenossenschaft für Viehverwertung Hannover betreutwurden.Demgegenüber nahm sich der Umsatz von 720 Ferkeln zueinem Bruttoerlös von 16.351 RM = 22,70 RM je Ferkel eherbescheiden aus.

Für 50 kg Schwein 450 kg Roggen

Als besonderer Vertrauensbeweis wurde der Auftrag derReichsstelle für Tiere und tierische Erzeugnisse in Berlin an dieProvinzial-Viehverwertungsgenossenschaft gewertet, 1935den ersten Mastvertrag über die örtlichen Genossenschaftenabzuschließen. Bei diesem Tauschgeschäft wurden für 50 kgLebendgewicht Schwein 450 kg Roggen geliefert. Statt derursprünglich vorgesehenen 2.000 Schweine konnten inner-halb eines halben Jahres fast 10.000 Stück geliefert werden.„Leider lässt die endgültige Abrechnung durch die Reichsstel-le noch etwas auf sich warten“, so der Bericht.Die Zahl der Mitglieder betrug Ende 1935 nach 5 Ab- und 9 Zu-gängen 108 mit 133 Geschäftsanteilen und einer Haftsummevon 133.000 RM.

11

1934 Beginn der„Erzeugungsschlacht“

Zu Zeiten des Reichsnährstandes:Dauerpropaganda gegen Schwarz-verkäufe.

Page 14: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Führungswechsel 7. März 1946

Es muss noch heute erstaunen, wie schnell und durchgrei-fend der Nationalsozialismus nach der „Machtergreifung”1933 die ganze Gesellschaft durchdringen konnte. Beispieldafür ist ein Geleitwort zum Verbandstag 1936 der landwirt-schaftlichen Genossenschaften Westfalen, in dem HeinrichGöckenjan, Mitglied des Reichstages, Verbandsleiter und Lan-deshauptabteilungsleiter I sowie Mitglied im Vorstand derWestfälischen Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaftausführte: „Auch im dritten Jahr des nationalsozialistischenWiederaufbaues hat unser Genossenschaftswesen eine wei-tere erfreuliche Aufwärtsentwicklung genommen. Wir wissen,dass die Voraussetzung dafür uns der Führer schuf, und wirsind ihm dafür dankbar.”Auch bei der WPVG ging es scheinbar aufwärts, denn Mitglie-derzahlen und Umsätze nahmen jährlich zu. Personell aberkam es zu einer Veränderung, denn der 1929 zunächst nurvorläufig als Geschäftsführer eingestellte Dr. August Deckwitzwurde 1935 beurlaubt, um als Geschäftsführer des Viehwirt-schaftsverbandes (VWV) in Unna tätig werden zu können.Einen Antrag auf Wiedereinstellung stellte er erst im Januar1947.Erhebliche Veränderungen bei Vorstand und Aufsichtsrat gabes nach dem erzwungenen Führungswechsel im Mai 1933erst wieder nach dem Krieg bei der Generalversammlung am7. März 1946, als Vorstand und Aufsichtsrat komplett ihreÄmter niederlegten. Vorsitzender des achtköpfigen Auf-sichtsrates wurde Wilhelm Otto, Bauer aus Erlinghausen beiMarsberg. Neuer Vorsitzender des Vorstandes wurde Bern-hard Rotthege, Bauer aus Everswinkel, ferner Ferdinand Borg-

mann, Bauer aus Wadersloh. Im Oktober 1946 schließlichwurde noch Verbandsdirektor Franz Rohmann aus Münster inden Vorstand zugewählt.

Ehrenamt legte selbst Hand an

Vorstand und Aufsichtsrat sahen in der Zeit vor, während undnach dem Krieg ihre Aufgaben völlig anders, als es heuteüblich ist. Sie hatten nicht nur das Sagen und übten Kontrolleaus, sie legten selbst Hand an – auch im „gewöhnlichen”Tagesgeschäft. Dazu gehörten beispielsweise die Unterzeich-nung von Lehr- oder Arbeitsverträgen, Inventuren, Kassen-prüfungen, Belegprüfungen und anderes mehr bei der Zen-trale und allen landwirtschaftlichen Viehverkaufsstellen. DieErgebnisse dieser Prüfungen sind im Protokollbuch des Vor-standes nachzulesen, wo der Eintrag vom 18. Februar 1938über die Prüfung der Viehverkaufsstelle Plettenberg bei-spielsweise so schließt: „Ich halte es für unbedingt erforder-lich, dass der Geschäftsführer und Fräulein ... möglichst baldin geeigneter Form über die Grundzüge der Buchführungeingehend unterrichtet werden, denn der Zustand derBücher lässt sehr zu wünschen übrig, wiewohl nicht bestrit-ten werden soll, dass beide besten Willens sind”, so das Vor-standsmitglied Franz Rohmann.Die Ehrenamtlichen übernahmen aber auch spezielle Aufga-ben hinsichtlich Martkbeobachtung, Notierungswesen oderZulassung von Tieren zu den Milchvieh-Auktionen. So wurdenfür die 1936 an vier Orten abgehaltenen Versteigerungenjeweils eigene Kommissionen, bestehend aus Mitgliedern vonVorstand, Aufsichtsrat und Geschäftsführung, gebildet, dieimmer vollzählig zu erscheinen hatten.

Provisionen für Kommissionsgeschäfteohne Risiko

Über den eigentlichen Geschäftsbetrieb gibt der Bericht überdie Prüfung des „Reichsverbandes der deutschen Landwirt-schaftlichen Genossenschaften-Raiffeisen e.V.”, Berlin, mit denJahresabschlüssen 1937, 1938 und Status zum 30. April 1939Auskunft:Danach bedient sich die Zentralgenossenschaft bei der Ver-wertung des Schlachtviehs der von ihr unterhaltenen Vieh-verkaufsstellen auf den Großmärkten Bochum, Dortmund,Hagen, Gelsenkirchen mit Nebenmarkt Recklinghausen sowieden Mittelmärkten Bielefeld, Hamm, Münster, Plettenberg,Siegen und Paderborn. Bemerkenswert: Die VerkaufsstelleDortmund nimmt für die übrigen Verkaufsstellen die Vertei-lung des Schlachtviehs vor.1937 betrugen die Schlachtviehumsätze (einschließlich gerin-ger Umsätze im Pferde-, Ferkel- und Nutzviehgeschäft) gut12,5 Mio. Reichsmark, im Folgejahr hatte sich der Wert auf24,9 Mio. RM fast verdoppelt. Es war gelungen, mehr Tiere zu

12

1935 bis zum Kriegsbeginn ging es scheinbar aufwärts

Kartoffel-Dämpfen zur Herstellung von Schweinefutter 1939.

Page 15: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

vermarkten und die Geschäfte in geringerem Umfang durchVertragsagenten tätigen zu lassen.Für 1938 werden folgende Stückzahlen genannt: 29.400 StückGroßvieh, 144.700 Schweine, 41.200 Kälber sowie 3.900 Schafeund Ziegen. Doch die Marktstellung der Zentralgenossen-schaft auf den Großmärkten Dortmund, Bochum, Hagen undGelsenkirchen war eher bescheiden, denn vom Gesamtauf-trieb stammten lediglich 15 % bei Großvieh bis zu 27 % beiSchweinen aus dem Angebot der Genossenschaften.Bei den 1938 insgesamt 51 durchgeführten Milchviehverstei-gerungen wurden 4.045 Stück für 1,85 Mio. RM umgesetzt.Die Maul- und Klauenseuche hatte wieder einmal dieGeschäfte „verhagelt”.Trotz dieser eigentlich beachtlichen Umsätze: Haupteinnahmeder Zentralgenossenschaft waren die Marktprovisionen, die1938 einheitlich auf Groß-und Mittelmärkten mit 1 % erhobenund vom Verkäufer zu tragen waren. Drei Viertel davon ver-blieben den Verkaufsstellen, ein Viertel war an die Zentraleabzuführen.Insgesamt kam die Westfälische Provinzial-Viehverwertungs-genossenschaft für das Geschäftsjahr 1938 auf Erträge vongut 691.000 RM (+ 52,6 % gegenüber dem Vorjahr) und einenGewinn von 13.200 RM (+ 11,7 %).

Dauerthema Notschlachtungen Rheda

Beschäftigt wurden insgesamt 43 „Gefolgsleute”, wie Mit-arbeiter genannt wurden.

Die Zahl der Mitglieder betrug Ende 1938 127, davon 82 Vieh-verwertungsgenossenschaften, 38 Bezugs- und Absatzge-nossenschaften mit einer Abteilung für Viehverwertung,5 Einzelpersonen und 2 Gesellschaften.Über etliche Jahre hin haben sich die Verantwortlichen derWPVG mit dem Schlachtbetrieb in Rheda befasst, der im Auf-trage des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen Tiere ausdem Tbc-Tilgungsverfahren verwertete und Notschlachtun-gen durchführte. Grundstück und Anlagen waren gemietetund in einem eher schlechten Zustand, sodass laufend Repa-raturen und Erneuerungen notwendig wurden. Am 3. Juni1936 beispielsweise beschloss der Vorstand, das Angebot derFirma Linde für eine neue Kühlanlage zum Preis von insge-samt 3.540 RM zu berücksichtigen. „Der Geschäftsführer wirdversuchen”, so heißt es im Protokoll, „hierauf noch einen10 %igen Nachlass als reichsnährstandsangehörige Organisa-tion zu erhalten”.Weil das Mietverhältnis zum Jahresende 1938 gekündigtwurde, sollte eine Besitzung, bestehend aus einem massivenWohnhaus, einem Hintergebäude als Schlachthaus und einerGarage auf einem 3.450 m2 großen Grundstück, für 40.000 RMgekauft werden. Das Geschäft scheiterte schließlich an einerEntscheidung des Kreisverwaltungsgerichtes, wonach wegender Lage des Schlachthauses in einer geschlossenen Wohn-lage keine Konzession erteilt werden konnte. Die Konsequenzdaraus: Die Verkaufsstelle in Rheda wurde geschlossen unddie Tbc- und Notschlachtungen erfolgten in den Verkaufs-stellen Hamm, Münster, Bielefeld und Paderborn.Die Bedeutung der Schlachtungen in Rheda machen folgendeZahlen aus dem Jahr 1938 deutlich: 787 Stück Großvieh wegenTbc, an Notschlachtungen 2.702 Stück Grossvieh, 177 Kälber,1.238 Schweine und 85 Schafe.

13

1938 die WPVG zählt 127 Mitglieder

Viele Männer im Krieg zwang Frauen auch bei der Feldarbeit„ihren Mann zu stehen“.

Page 16: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

„Notschlachtungen“ als Marktstörung?

Doch die Notschlachtungen in Rheda haben zu einem Jahredauernden Streit mit dem Viehwirtschaftsverband (VWV) mitSitz in Unna geführt, dessen Geschäftsführer damals Dr.August Deckwitz war. Der Vorwurf: Ein Teil der Schlachtungenin Rheda seien keine Notschlachtungen, vielmehr versuchtendie Tierhalter, in Zeiten mangelnden Absatzes ihre Tiere überden Weg dieser „Notschlachtung” loszuwerden. Dadurch aberwerde die Marktordnung gestört. Zwar lägen für alle Tiere„Notschlachtungsbescheinigungen” vor, doch diese stamm-ten vielfach nicht von den örtlichen Tierärzten, sondern vondem Tierarzt in Rheda. Angedroht wurden eine Geldstrafe von5.000 RM sowie Kürzungen des Schlachtkontingentes.Dann gab es Besprechungen zwischen VWV und WPVG, eswurden Amtsträger aus dem Reichsnährstand eingeschaltetund schließlich das Schiedsgericht in Münster. Am 3. Juni 1939– Rheda war bereits seit Monaten geschlossen – sprach sichder Vorstand dagegen aus, das Oberschiedsgericht in Berlinanzurufen, weil die Aussichten nicht sehr günstig beurteiltwurden und weil man unter allen Umständen versuchenmüsse, „baldigst eine Grundlage für bessere Zusammenarbeitmit dem Viehwirtschaftsverband zu finden”, wie es im Proto-koll heißt.Über den Ausgang des Streites gibt es leider keine Unterla-gen. Eine Rückstellung wegen der drohenden Geldstrafe über5.000 RM wurde jedenfalls gemacht.

14

1938 Verkaufsstelle Rheda wird geschlossen

Der Prinzipalmarkt in Münster im Jahre 1946.

„Der Antrag des Freiherrn von Droste zu Hülshoff in Roxelauf Zulassung von schwarzbunten Kühen zur Milchviehver-steigerung in Münster wurde mit 4 zu 1 Stimmen abge-lehnt. Es wurde betont, dass von der Landesbauernschaftgefordert würde, die einzelnen Zuchtgebiete nach derFarbe möglichst abzugrenzen, und dem würde die Zulas-sung von Schwarzbunten entgegenstehen.” 8. März 1935

„Unter dem Druck des Frei-herrn von Kanne und aufWunsch und Anweisung derLandesbauernschaft stimmtder Vorstand der Zulassungschwarzbunter Tiere zu, trotzder Bedenken, Käufer aus

Hessen und dem Rheinland, die bisher ihren Bedarf in Müns-ter deckten, würden ausbleiben.” 13. Februar 1936

„Der Geschäftsführer des Viehwirtschaftsverbandes Westfa-len in Unna-Königsborn, Dr. August Deckwitz, war vorstelliggeworden und hatte den Wunsch geäußert, dass die Westfä-lische Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft ihren Sitznach Unna verlegen möge. Die Vorstandsmitglieder vertratendie Auffassung, der Verlegung nicht zuzustimmen, solangenoch die übrigen Zentralinstitute sowie auch die Landesbau-ernschaft ihren Sitz in Münster haben.” 30. Oktober 1936

„Der Vorstand ist sich darüber einig, dass seine Revisionsbe-suche bei den gut geleiteten älteren Verkaufsstellen inAbständen von etwa 2–3 Monaten künftighin genügen.”

28. Oktober 1937

„Pferdelieferungen sollen in Zukunft nur gegen bar erfol-gen.” 24. November 1937

Aus Vorstandsprotokollen ...

Page 17: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Viehvermarktung in den Kriegswirren

Mit Beginn des II. Weltkrieges am 1. September 1939 konntedie Westfälische Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaftihre Arbeit zunächst noch weitgehend unverändert fortset-zen. Die Zahl der Mitglieder ging bis Jahresende 1941 um 3auf 125 zurück. 81 Viehverwertungsgenossenschaften und37 Warengenossenschaften mit Viehabteilungen erledigtendie Erfassung von Schlacht- und Nutzvieh. Stückzahlmäßigentwickelten sich die Umsätze an Schlachtvieh in den Jahren1939, 1940 und 1941 recht unterschiedlich. So ging die Zahlvermarkteter Schlachtschweine von fast 147.000 auf nur noch117.000 zurück, während die Zahlen beim Großvieh von28.600 auf 30.400 stiegen, bei Kälbern gar von 41.800 aufmehr als 61.000. Die Zahl verkaufter Schafe hingegen halb-ierte sich fast auf 1.872 im Jahr 1941.Die Milchviehversteigerungen fanden „einen außerordentlichguten Zuspruch der Bauern”, wie es im Prüfungsbericht heißt,doch werden keine Stückzahlen genannt. Die Nutzvieh-umsätze erhöhten sich von 3,4 auf 5,3 Mio. in 1941. DieUmsätze insgesamt gingen in diesen 3 Jahren von gut 37 Mio.auf 34,8 Mio. RM zurück.Vermerkt wird im Prüfungsbericht die Zahl von 69 Mitarbei-tern und, dass 17 „Gefolgschaftsmitglieder” zur Wehrmachteingezogen seien. Und: „Die ordentliche Generalversammlungfür 1939 konnte wegen der bestehenden Luftgefahr fürMünster nicht stattfinden.”Die nächste Prüfung fand erst im April und Mai des Jahres1947 durch die „Arbeitsgemeinschaft der deutschen länd-lichen Genossenschaften – Raiffeisen” statt, wie der Prü-fungsverband sich damals nannte. Die Zahl der Mitgliederbetrug 124, davon waren 78 Viehverwertungsgenossenschaf-

ten, 36 Bäuerliche Bezugs- und Absatzgenossenschaften,3 Molkereigenossenschaften, 2 Gesellschaften und 5 Einzel-personen.Die bloßen Zahlen geben selbstverständlich nur ein unzurei-chendes Bild darüber, was alles während der Kriegswirrengeschehen war.

Gefolgschaftsmitglieder zur Pflichterfüllungaufgefordert

Danach blieben die Umsätze in den Jahren 1942 bis 1944 mitreichlich 32 Mio. RM weitgehend stabil, sackten dann aber1945 auf nur noch 12,4 Mio. ab, um sich 1946 auf gut 14 Mio.RM zu verbessern. Die Zahl vermarkteter Schlachtrinder gingvon 37.400 auf 18.400 in 1945 zurück und stieg im Folgejahrwieder auf 24.500. Bei den Schweinen hingegen stiegen dieZahlen von 57.000 auf über 100.000 im Jahr 1944 und bra-chen dann weg auf 8.361 im Jahr 1946.Die Milchviehversteigerungen waren vollständig zum Erliegengekommen, wobei die Prüfer zwar die zunehmende Knapp-heit an Milchvieh vermerkten, doch erschien ihnen ein Auf-trieb „zu den amtlich vorgeschriebenen Höchstpreisen frag-lich”.Über die wirtschaftlichen Erfolge dieser 3 Jahre informierenfolgende Zahlen: 9.900 RM Gewinn für 1944, 12.800 RM Ver-lust für 1945 und 2.100 RM Gewinn für 1946.Auch die Protokollbücher des Vorstandes aus jenen Jahrensind wenig ergiebig, denn ab Juli 1939 bis Oktober 1942 sindlediglich Tagesordnung und Anwesende genannt mit Hinweisdarauf, „das maschinengeschriebene Protokoll umfasst… Seiten”.Die nächste wirklich protokollierte Sitzung des Vorstandes –gleichzeitig die letzte während des Krieges – fand am15. Februar 1945 in der Spar- und Darlehnskasse zu Senden-horst statt, weil die Geschäftsräume in Münster völlig zerstörtwaren. Seitenweise wird über die Schwierigkeiten bei denViehverkaufsstellen Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen undHagen berichtet. Da ist beispielsweise eine Buchhalterin totalausgebombt und hat 14 Tage ihre Arbeitsstätte verlassen, umihre Mutter zu evakuieren. Da wurden in Bochum sämtlicheEinrichtungen und Unterlagen vernichtet, während alle3 Bürokräfte ausfielen: eine wegen Bombenverletzungen,zwei durch Einberufung zur Wehrmacht. „Die Gefolgschafts-mitglieder wurden wiederholt auf die Erfüllung ihrer Aufga-ben hingewiesen, Erfüllung wurde zugesichert”, wie es imProtokoll heißt.

Die Not der Stadtbevölkerung lindern!

Der Viehwirtschaftsverband wiederum forderte: Es mussunter allen Umständen Sorge dafür getragen werden, dass soschnell wie möglich die Verkaufsstellen wieder ordnungsge-mäß arbeiten. Unter allen Umständen müsse ein späterer Vor-

15

1939 1. September:Kriegsbeginn

In den Hungerjahren blühte der Schwarzmarkt: Tauschgeschäft 1947

Page 18: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

wurf vermieden werden, „dass die genossenschaftliche Orga-nisation in den schwierigsten Zeiten versagt hätte.”Der Druck auf alle, die mit Nahrungsmittelerzeugung und -vermarktung zu tun hatten, war allerdings enorm. So

erschien im Landwirtschaftlichen Wochenblatt für Westfalenund Lippe am 15. Juni 1946 ein Aufruf an deutsche Bauern,angesichts des Hungers mehr als ihre Pflicht zu tun. „Wirmüssen der Welt zeigen, dass der deutsche Landmann auchdas letzte ihm irgendwie Entbehrliche an Lebensmitteln her-gibt, um die Not der Stadtbevölkerung zu lindern, und dass erselbst gewillt ist, ernsthafte Entbehrungen auf sich zu neh-men, um die Städter einigermaßen satt zu machen.” Und wei-ter hieß es: „Zeigt der Welt und zeigt dem Stadtvolk, dass dieReste Deutschlands eine Notgemeinschaft sind, in der die Notleidenden Mitmenschen nicht im Stich gelassen werden.”Unterzeichnet hatten diesen Aufruf 14 Persönlichkeiten,angefangen bei Dr. Hans Schlange-Schöningen, dem Leiterdes Zentralamtes für Ernährung und Landwirtschaft in derbritischen Zone, über den Kölner Kardinal Frings, Konrad Ade-nauer von der CDU, Dr. Kurt Schumacher von der SPD undMax Reimann von der KPD bis zum Präsidenten der Landes-bauernschaft Westfalen, Dr. Hermann Heukamp.Die Alliierten wollten einerseits die Gesellschaft, die Verwal-tung, die Organisationen und die Industrie „entnazifizieren”,andererseits aber musste die Versorgung der Bevölkerungmit Nahrungsmitteln irgendwie gesichert werden. Das warvermutlich der Grund, weshalb der Reichsnährstand als ein-

16

1946 7. März: Vorstand und Aufsichtsrat komplett neu gewählt

Bei der Generalversammlung der Westfälischen Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft eGmbH am 10. Dezember1953, 25 Jahre nach Gründung der Genossenschaft, wurdenAufgaben und Ziele in neun Punkten zusammengefasst,wobei die Punkte eins bis fünf dem Gründungsstatut ent-sprechen und die Punkte sechs bis neun im Laufe der Jahredurch Beschlüsse in den Generalversammlungen hinzuge-kommen sind. Die Aufgaben der WPVG sind:

1. die gemeinschaftliche Verwertung von Schlacht- undNutzvieh der Genossen in deren Namen und für derenBeauftragte;

2. der gemeinschaftliche Einkauf von Mager- und Nutzviehfür die Genossen in deren Namen und für deren Rech-nung als deren Beauftragter;

3. der An- und Verkauf von Mager- und Nutzvieh in eige-nem Namen und für eigene Rechnung, sofern es beson-dere Umstände erfordern;

4. die Erforschung der die Viehhaltung, Viehzucht und -mast und den Viehabsatz bedingenden Wirtschaftsver-hältnisse und die daraus folgende Beratung der Mitglieder;

5. die Beteiligung an Unternehmungen, welche denZwecken der Genossenschaft förderlich sind;

6. die Hereinnahme von verzinslichen Darlehn zur Stärkungdes Anlage- und Betriebsvermögens der Genossenschaft;

7. die Bereitstellung von Krediten im Weide- und Nutzvieh-geschäft sowie an Unternehmen, die den Zielen undAufgaben der genossenschaftlichen Viehverwertungdienlich sind;

8. die Kontrolle der Abrechnungen und Verwertung undVerarbeitung von Freibankfleisch und Not- und Krank-schlachtungsfleisch sowie der Verkauf und Vertrieb derdaraus hergestellten Erzeugnisse;

9. der Ankauf von Schlachtvieh jeglicher Art auf eigeneRechnung und Durchführung von Schlachtungen unddie Verwertung der daraus anfallenden Teile.

1953 – Aufgaben und Ziele fortentwickelt

Hungernde Menschen warten im September 1947 auf die Freigabeeines bereits abgeernteten Kartoffelfeldes, das von einen beritte-nen Polizisten bewacht wird.

Page 19: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

zige NS-Organisation das Regime der Nazis um fast 3 Jahreüberdauern konnte.

Der Schwarzmarkt blühte

Doch wie sollte die kriegszerstörte Wirtschaft wieder anlaufenkönnen, wenn die Reichsmark weitgehend wertlos und Ziga-retten vielfach die Basis für Tauschhandel waren!? Derschwarze Tauschmarkt, der auch für die Bauern viel lukrativerwar, blühte. Die Hauptabteilung III des früheren Reichsnähr-standes in Unna-Königsborn war zuständig für die Kontrolleder landwirtschaftlichen Erzeugung und sollte dafür sorgen,

dass die Bauern allesErzeugte pflichtgemäß zufestgesetzten Preisenablieferten. Nach Schät-zungen indes versickertebis zu 1/3 der Erzeu-gungsmengen auf demschwarzen Markt.Die Geschäfte der Provin-zial-Viehverwertungsge-nossenschaft konntenunter diesen Bedingungenauch nur ganz langsamwieder anlaufen. Sonotierte der Vorstand am4. Oktober 1946, dieSchlachtviehanlieferungenseien nach wie vor nichtausreichend, um eine Ren-tabilität der Verkaufsstel-

len zu sichern. Durch stärkere Nutzviehumsätze wollte manein wenig Ausgleich schaffen. So wurden Aktionen derLandesbauernschaften Schleswig-Holstein, Weser-Ems undWestfalen für die Liefe-rung größerer Mengentragender Nutztiere insIndustriegebiet gestar-tet. Die Erfolge hieltensich in Grenzen, dennmanchmal verhängtendie dort zuständigenBehörden Ausfuhrsper-ren, ein anderes Mal überschritten die geforderten Preise dievorgeschriebenen Höchstpreise.Um den Geschäftsbetrieb erweitern zu können, stellte dieWPVG bei der Viehwirtschaftsstelle den Antrag, in jeder Kreis-bauernschaft einen genossenschaftlichen Notschlachtungs-betrieb zu genehmigen, denn für Freibankfleisch bestandNachfrage.

Als dann Hoffnungen auf eine Währungsreform im Laufe desJahres 1948 aufkamen, ließen die Ablieferungen noch mehrzu wünschen übrig. Im Protokoll des Vorstandes vom 22. Juni1948 – einen Tag nach der Währungsreform – heißt es dazu:

„Während Handelsbe-triebe einen Ausgleichdurch Benutzung desschwarzen oder grauenMarktes schaffen konn-ten, sind diese Möglich-keiten den Genossen-schaften nicht gegeben.Kompensationsgeschäfte

wurden nur in geringem Umfang durchgeführt, also nur,soweit sie erlaubt waren.”Als dann am 21. Juni 1948 die D-Mark eingeführt wurde, gab esUmstellungsprobleme zuhauf. Der Prüfungsverband fertigteeine Reichsmark-Schlussbilanz und eine D-Mark-Eröffnungsbi-lanz, worin – vereinfacht gesagt – von einem Tag zum anderenaus 100 RM 10 DM bzw. bei Bankguthaben 6,50 DM wurden. DieAktivseite dieser Bilanz mit gut 84.000 DM wies ein Anlagever-

17

1946 Die kriegszerstörte Wirtschaft kommt nur zögerlich in Fahrt.

Dr. August Deckwitz: fast 39 JahreGeschäftsführer-Tätigkeit, nurdurch „Zwangsurlaub“ von 1935bis 1947 unterbrochen.

„Der Vorstand war der Auffassung, dass die Bankspesenund Zinsenverhältnisse bei den verschiedenen Bankinsti-

tuten, mit denen wir arbei-ten, grundlegend geändertwerden müssen. Es werdenuns für Schulden durch-schnittlich 5 % Zinsenberechnet und für Gutha-ben durchschnittlich 1,5 %vergütet. Es kann nicht gut-

geheissen werden, dass dann noch am Jahresende beson-dere Scheck- und Überweisungsgebühren, Materialspesenund so weiter berechnet werden.” 3. März 1938

„Der Antrag der Hauptabteilung III der Kreisbauernschaft ...auf Gewährung einer Beihilfe für Gefolgschaftsausflügewurde aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt.”

25. Januar 1939

„Die Sommerarbeitszeit wird ab 24. April für die Zentrale wiefolgt festgesetzt: montags, dienstags, donnerstags undfreitags von halb 8 bis 13 Uhr und von 15 bis 18 Uhr 30,mittwochs und sonnabends von halb 8 bis 13 Uhr 30;Gesamtstundenzahl: 48.” 19. April 1939

Aus Vorstandsprotokollen ...

Das Schwein ist ohne Nutzen in seinem Leben undnur von Wert, wenn man ihm dieses nimmt.

Th. Beckwick, engl. Naturalist, 18. Jhd.

Page 20: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

1948 Arbeitsteilung in der Geschäftsführung der WPVG beschlossen

18

mögen von 63.501 DM aus, die Forderungen einschließlichKriegsschadensforderungen an das Reich umfassten knapp3.700 DM, die Bankguthaben schließlich wiesen rund 16.000 DMaus.Und mit der neuen D-Markging es aufwärts, wobei inder Vorstandssitzung am23. Juli 1948 zunächst ein-mal eine Arbeitsteilunginnerhalb der Geschäftsfüh-rung beschlossen wurde.Danach bearbeitete HugoSchulte-Altedorneburg dengesamten Nutzvieh-Einkaufund -Absatz, Arnold Dieck-höfer war zuständig für dieOrganisation des Schlacht-viehabsatzes einschließlichder landwirtschaftlichen Vieh-verkaufsstellen sowie Perso-nal- und Verwaltungsangele-

genheiten, während Dr. August Deckwitz als besonderer Sach-bearbeiter des Verbandes ländlicher Genossenschaften dieFreibank- und Notschlachtungsangelegenheit, die allgemei-nen Organisationsfragen der örtlichen Genossenschaften, die

Gründung neuer Genossen-schaften und die Wiederin-betriebsetzung stillliegenderGenossenschaften bearbei-tete.Weil unverändert Provisio-nen über den wirtschaft-lichen Erfolg der Genossen-schaft entschieden, war dieBemerkung im Vorstands-protokoll schon verständ-lich: „Durch die Geschäfts-führung wird intensiv aufeine Umsatzsteigerung aufallen Gebieten hingearbei-tet.”

„Verschiedene Mitarbeiter sind von der Wehrmacht zurück-gekehrt und zunächst für 3 Monate wieder eingestellt. Dasweitere Verbleiben muss von der Entwicklung der Umsatz-tätigkeit abhängig gemacht werden. Sämtliche Mitarbeitermüssen ständig angehalten werden, dem Ernst der Lageentsprechend ihre ganze Kraft für die Weiterführung unse-rer Genossenschaft einzusetzen.” 31. Juli 1945

„Vorstand und Aufsichtsrat nahmen davon Kenntnis, dassdie Militärregierung die am 20. Dezember 1945 angeordnete

Entlassung des Geschäfts-führers Dieckhöfer zurück-genommen hat, nachdemeine entsprechende Ent-scheidung der deutschenEntnazifizierungsstellenvorlag. Daraufhin beschlie-

ßen Vorstand und Aufsichtsrat, Herrn Dieckhöfer wieder alsGeschäftsführer einzustellen, nachdem er bereits am17. November erklärt hatte, wie alle anderen Gefolgschafts-mitglieder auf 30 % seiner bisherigen Bezüge zu verzich-ten.” 4. Oktober 1946

„Einstimmig war man der Ansicht, dass die Genossenschaf-ten auf keinen Fall Höchstpreisüberschreitungen vorneh-men dürfen, sondern dass vielmehr auf Geschäfte, die nichteinwandfreien Charakter tragen, verzichtet werden soll.Gegenüber dem Handel sind im Augenblick die Genossen-schaften im Nachteil. Jedoch steht zu erwarten, dass beieiner Stabilisierung der Währung die Genossenschaften ihreTätigkeit in der alten Form wieder aufnehmen können,ohne jemals gegen die bestehenden Bestimmungen versto-ßen zu haben.“ 28. Mai 1947

„In der landwirtschaftlichen Viehverkaufsstelle Münster istein neues Fahrrad angeschafft worden, um die dringendnotwendige stärkere Erfassung der Erzeuger in der Umge-gend von Münster besser durchführen zu können.“

23. Juli 1948

Aus Vorstandsprotokollen ...

Kühe hüten am Straßenrand 1950 in Raesfeld.

Page 21: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

In den ersten Jahren mit der neuen D-Mark ging es im WestenDeutschlands wirtschaftlich behutsam aufwärts, doch dieLandwirtschaft und die Vermarktung der erzeugten Produkteunterlagen unverändert einer scharfen Reglementierung. Sowird im Oktober 1948 berichtet, das Ferkelgeschäft habe sichgut entwickelt und die Preise seien gestiegen, doch „wir neh-men grundsätzlich nur zu den gesetzlichen Höchstpreisenab,“ so das Vorstandsprotokoll.Nach vierjähriger Pause wurde im selben Monat erstmals wie-der in Münster eine Milchviehversteigerung durchgeführt,wobei der Auftrieb von lediglich 24 Tieren restlos zu gutenPreisen verkauft werden konnte. Zufuhren aus Überschuss-gebieten aus Norddeutschland waren nur mit Freistellungenund Bezugsscheinen möglich. Die Preise bei der Auktion hat-ten den gesetzlich zulässigen Höchstpreis von 1.000 DMbereits wieder erreicht.Anfang Oktober angekündigte Preiserhöhungen führten zwarzu einem geringen Anstieg der Viehauftriebe, doch gegenEnde Oktober wurde notiert, der Auftrieb lasse nach, weil eingrößerer Teil Schlachtvieh vermutlich im Lande zu höherenPreisen verkauft und „schwarz“ geschlachtet werde.Gegen Jahresende 1948 hatten sich die Außenstände derWPVG beängstigend entwickelt: 137.600 DM rechnete Ver-bandsdirektor und Vorstandsmitglied Franz Rohmann per30. November zusammen. Das Geld war allenthalben knapp,vor allem bei den Käufernvon Nutzvieh.Als der Hauptkreditgeber,die Ländliche Centralkasse inMünster, Druck auf die Pro-vinzialgenossenschaft aus-übte, wurden die Mitgliedergedrängt, den von 100 DMauf 1.000 DM erhöhten Ge-schäftsanteil endlich zumin-dest zu 10 % einzuzahlen.

Schweinepreise freiund doch nicht

Ansonsten befassten sichVorstand und Geschäftsfüh-rung über Monate hin damit,von dem Düsseldorfer Land-wirtschaftsminister Dr. Hein-rich Lübke die Genehmigung dafür zu erhalten, Freibank-fleisch verarbeiten, verwerten und verkaufen zu dürfen nachden Bedingungen, die beispielsweise für ein privates Unter-nehmen im Ruhrgebiet Gültigkeit hatten. Als dies erreichtwar, kam man im April 1950 mit einem privaten Fleischwaren-

hersteller aus Amshausen bei Bielefeld ins Geschäft, dochmusste die Genossenschaft ihm zunächst mit einem zinslosenKredit Starthilfe geben.Ende Mai 1949 wurden die Schweinepreise freigegeben,wonach die Auftriebe größer wurden und die Preise auf

durchschnittlich 1,70 bis1,80 DM je Pfund anzogen.Als Folge davon belebte sichdas Ferkelgeschäft, sodassdie Preise auf bis zu 2,50 DMje Pfund anstiegen und derBedarf nicht gedeckt wer-den konnte.Doch dann, im Juli 1949:April, April! Für den Richt-markt Dortmund wurdennach einer VerordnungSchweinehöchstpreise von1,17 bis 1,19 DM je Pfundverkündet und durch diePreisbehörden aufs Schärfsteüberprüft. Schlagartig gin-gen die Auftriebe wiederzurück.

Am 15. Juli 1949 konnte der Aufsichtsratsvorsitzende Ottoerfreut feststellen, die WPVG habe seit langer Zeit zum erstenMal wieder einen Gewinn erzielt, und der betrug für dasGeschäftsjahr 1948/49 stolze 7.383 DM. Beschlossen wurdesodann, das Geschäftsjahr bis zum 31.12.1949 zu verlängern,

19

Die Wirtschaftswunderzeit beginnt

Währungsreform 1948

Hausschlachtung 1957

1948 21. Juni:Die D-Mark ist da.

Page 22: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

sodass Geschäftsjahr und Kalenderjahr wieder identisch wur-den.Am 31. Oktober 1949 wählte der Aufsichtsrat schließlich Dr.August Deckwitz zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied,doch konnte er dieses Amt erst zu Beginn des Jahres 1950antreten, nachdem er Mitglied in der WPVG geworden war.Deckwitz hatte diesesMandat bis zu seinemAusscheiden am Endedes Jahres 1969 inne.Neben ihm als „Hauptge-schäftsführer“ wirkten alsGeschäftsführer ArnoldDieckhöfer und HugoSchulte-Altedorneburg,wobei Dieckhöfer 1962 und Schulte-Altedorneburg zwei Jahrespäter „in Rente“ ging.

Erfreuliches Plus bei Umsatz und Gewinn

In den fünfziger und sechziger Jahren, als die allernotwen-digsten Reparaturen erledigt waren, die Löhne stiegen unddie verbleibende Kaufkraft weiter Bevölkerungskreise größerwurde, stieg die Nachfrage nach Fleisch ganz enorm. Und dawestfälische Bauern vergleichsweise marktnah wirtschafte-ten, fand die Provinzialgenossenschaft für immer größereStückzahlen von Schlachtvieh auf den Groß- und Mittelmärk-ten an Rhein und Ruhr Abnehmer.Dazu ein paar Zahlen, zunächst aus dem Jahr 1951: AnSchlachtvieh wurden vermarktet 9.800 Rinder, fast 18.000 Käl-ber, 102.600 Schweine und mehr als 2.000 Schafe. Darüberhinaus wurde für 4,87 Mio. DM Fleisch verkauft.Das Nutzviehgeschäft war eher durchwachsen, denn umge-setzt wurden 2.600 Kopf Magervieh, bei den Milchviehverstei-gerungen wurden 2.865 tragende oder frischmelke Kühe ver-

kauft, schließlich noch 272 Sauen und Eber, 5.500 Ferkel und68 Pferde. Das brachte insgesamt einen Umsatz von 51,26Mio. DM und einen Gewinn von bescheidenen 6.500 DM.Zehn Jahre später, 1961, war die Zahl der Mitglieder zwar um 10auf nur noch 125 zurückgegangen, der Umsatz aber um 138 %auf 121,8 Mio. DM gestiegen, der Gewinn hatte sich gar ver-

zweiundzwanzigfachtauf fast 145.000 DM.Bei den Schlachttierzah-len fällt im Vergleich zu1951 auf: 30.600 Rindersind eine Verdreifachung,275.400 Schweine ent-sprechen der 2,7fachenMenge. Die Zahl der Käl-

ber ging allerdings deutlich auf nur noch 11.000 zurück.Im Bereich Nutzvieh hatten sich die Verkaufszahlen bei denMilchviehversteigerungen ebenso wie bei Kälbern und Mager-vieh auf jeweils 5.200 in etwa verdoppelt, bei den Ferkeln mit21.700 fast vervierfacht.

Holland-Eber für marktgerechte Schweine

Der zunehmenden Nachfrage nach magerem Schweinefleischgenügte das, was westfälische Schweineerzeuger aus der vor-handenen Zuchtgrundlage „Deutsches veredeltes Land-schwein” machten, offenbar immer weniger. In Dänemarkund Holland war man weiter. Immerhin entschloss sich dieWPVG 1959 zu Importen von Ebern, allerdings nach Abstim-mung mit dem Schweinezüchterverband. Und: Die bäuer-lichen Vertreter der WPVG sollen eine Entschließung bei derLandwirtschaftskammer einreichen und diese bitten, „Wegeund Mittel zu suchen, um für die Dauer ein marktgerechtesSchwein zu produzieren”, wie es im entsprechenden Protokolldes Aufsichtsrates heißt.

20

1950 Dr. August Deckwitz wird Vorstandsmitglied

Lebendviehmarkt Bochum 1969Milchviehversteigerung Münster 1969

Schläft das Schwein, wächst sein Fleisch.Schläft der Mensch, wachsen seine Schulden.

Unbekannt

Page 23: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Darüber hinaus gab es in jenen Jahren Bestrebungen, eineBundes-Viehzentrale zu gründen. Bundeslandwirtschafts-minister Dr. Lübke rechne fest mit deren Gründung, so hieß es.Bei den Praktikern war die Skepsis offenbar größer, dennwenig später erklärte Dr. Deckwitz, dass es „trotz der Span-nungen, die zwischen den Zentralen bestehen“, kaum zu ver-meiden sei, dass sich auch die Provinzialgenossenschaft mit

50.000 DM an der geplanten „Deutschen Vieh- und Fleisch-zentrale GmbH“ werde beteiligen müssen.Warum aus diesen Aktivitäten nichts wurde, ist ebenso wenigdokumentiert wie die vergeblichen Bemühungen aus demJahr 1957, die in Norddeutschland tätigen Viehzentralen zu-sammenzuschließen. Auch dieses Vorhaben wollte die WPVGnicht aktiv fördern.

21

1959 Importbeginn von Holland-Ebern

Vereidigter Wiegemeister 1971Hälftenversteigerung Bochum 1969

„Sämtliche landwirtschaftlichen Viehverkaufsstellen sollendurch Rundschreiben in Form einer Dienstanweisung zurgrößten Sparsamkeit und zu intensivster Arbeit aufgefordertwerden, damit zumindest die erheblichen Unkosten von jederVerkaufsstelle selbst aufgebracht werden.”

23. Juli 1948

„Der Geschäftsführer der VVG ... erhielt für die Anschaffungeines neuen PKW ›Opel-Olympia‹ ein Darlehen von 5.000 DM.Er verpflichtet sich, monatlich 200 DM abzubezahlen undauch die noch zu vereinbarenden Zinsen zu bezahlen.“

30. Dezember 1949

„Es muss die Frage beantwortet werden: Was soll eine Vieh-zentrale tun, wenn sie den Markt ordnen soll, dieZusammenarbeit mit den Mitgliedern aber in vielen Fällennicht gesichert ist?” 25. August 1956,

Franz Bornefeld-Ettmann, Ehrenpräsident des Verbandes

ländl. Genossenschaften und Vorstandsmitglied der WPVG

„Es wird bekannt gegeben,dass auch von Seiten derweiblichen Angestellten-schaft immer wieder Anträgeauf Erhöhung der Gehältergestellt werden. Aus diesenGründen scheiden zum 1. Ja-

nuar 1958 drei jüngere Kräfte aus. Es wird notwendig sein,dass die Verwaltung im Januar prüft, ob eine Erhöhung derGehälter mit Rücksicht auf die Besserstellung der weiblichenAngestellten vorgenommen werden und ob der Betrieb einesolche Erhöhung vertragen kann.” 22. November 1957

„Es wird die Frage angeschnitten, ob die WPVG weitere Ein-zelmitglieder aufnehmen soll, einmal, um direkt mit derLandwirtschaft Kontakt zu haben, ferner aber auch, um dieFinanzbasis durch Zuwahl von Einzelmitgliedern zu stärken.Die Angelegenheit soll in der Aufsichtsratssitzung behandeltwerden, da sich durch die Hinzunahme von Einzelmitglie-dern gegenüber den Genossenschaften Folgerungen beiAbstimmungen ergeben können.“ 30. Juni 1960

Aus Vorstandsprotokollen ...

Page 24: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Noch mehr Verkaufs- und Außenstellen

In dem Jahrzehnt bis 1961 hielten sich die strukturellen Ver-änderungen bei der Provinzial-Viehverwertungsgenossen-schaft in Grenzen. So betrieb die Genossenschaft im Jahr1952 Landwirtschaftliche Viehverkaufsstellen in Bielefeld,Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Iserlohn,Lüdenscheid, Münster, Paderborn, Plettenberg und Reckling-hausen sowie Außenstellen in Dissen, Siegen, Sprockhövelund Amshausen. Milchviehversteigerungen wurden durch-geführt in Hamm, Meschede, Münster, Paderborn, Ahausund Borken.Obwohl in diesem Jahrzehnt bereits der Trend zur Totver-marktung einsetzte – zuerst in marktfernen Gebieten –betrieb die Provinzialgenossenschaft statt ehemals zwölfVerkaufsstellen und vier Außenstellen 1961 zusätzlich die bei-den landwirtschaftlichen Viehverkaufsstellen in Gladbeck undSiegen sowie ein rundes Dutzend Geschäftsstellen von

Amshausen bis Wiedenbrück, hatte aberauf die Versteigerungsorte Ahaus undBorken verzichtet.Die Schlachtungen – soweit sie denn inRegie der Provinzialgenossenschaft liefen– erfolgten an verschiedensten kommuna-len Schlachthöfen. Darüber hinaus konntedie Provinzialgenossenschaft von der WCG1969 in Bad Oeynhausen und in BeckumSchlachtstätten übernehmen. Doch dieGenossenschaft investierte auch selbst ineine neue Schlachtanlage in Nienberge:Dieser Betrieb konnte – ursprünglich ein-mal als Geflügelschlachtanlage geplant – imApril 1960 die Produktion aufnehmen.Dazu heißt es im Vorstandsprotokoll: „Inder letzten Woche sind 26 Schweine, 2 Bul-len, 3 Kälber und 2 Hammel geschlachtetworden.” Kritisiert wurde, dass die

ursprünglich bewilligten 143.000 DM um fast 20.000 DM über-schritten wurden.

Juli 1962: Schlachthof-Neubau fertig

Wesentlich teurer wurde der Neubau des Schlachthofes inLübbecke, der nach langwierigen Planungen am 15. Juli 1962endlich in Betrieb genommen werden konnte. Ausgelegt aufeine Wochenkapazität von rund 3.000 Schweinen, wurden imersten Betriebsjahr Wochenschlachtungen zwischen 2.000und 2.500 Stück genannt. Immerhin: Sieben Jahre später,1969 nämlich, wurde die 1.000.000ste Schweineschlachtungregistriert.Um Lübbecke überhaupt realisieren zu können, brauchte dieProvinzialgenossenschaft Unterstützung von undZusammenarbeit mit den Viehverwertungsgenossenschaftender Region. Zur Finanzierung des auf 1,9 Mio. DM veran-schlagten Projektes gewährten diese zinslose Kredite; Finanz-

22

1962 15. Juli: Schlachthof Lübbecke in Betrieb

Außenansicht Schlachthof Lübbecke 1971

Der Fuhrpark in Lübbecke war schon 1969 beeindruckend.

Page 25: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

23

Seit fast 48 Jahren hat die Hauptverwaltung der WEST-FLEISCH ihren Sitz in Münsters Brockhoffstraße 11. Bis dahinaber war es ein weiter Weg – nicht zuletzt wegen mehrfa-cher Kriegszerstörungen.Dass die Brockhoffstraße schließlich Adresse der Genossen-schaft wurde, hat auch mit Wirtschaftsförderung der StadtMünster zu tun. Im Bereich Schorlemer-, Engel- und Brock-hoffstraße sollte nämlich ein „landwirtschaftliches Dreieck“entstehen. Im Februar 1953 wurde der Westfälischen Pro-vinzial-Viehverwertungsgenossenschaft, wie die heutigeWESTFLEISCH eG damals noch hieß, das 1.220 m2 großeGrundstück in der Brockhoffstraße unentgeltlich von derStadt Münster lastenfrei übereignet. Es dauerte noch bis Juli1954, bis die baureifen Pläne entwickelt waren, die Finanzie-rung stand und die Grundsteinlegung am 18. November1954 erfolgen konnte. Der Architekt rechnete Vorstand undAufsichtsrat vor, der m3 umbauten Raumes koste 60 DM,was zu Gesamtkosten zwischen 260.000 und 270.000 DMführen sollte. Am 20. September 1955 konnte schließlich derEinzug erfolgen.Doch seit Gründung 1928 bis zum Einzug in der Brockhoff-straße waren fünf Umzüge notwendig.In den ersten Jahren ihres Bestehens konnte die noch mitnur wenig Personal funktionierende WPVG in der Schorlemer-straße 4 unterkommen, dem Sitz der „Ländlichen Central-kasse“, wie die heutige WGZ damals hieß. Der Umzug in dieWindhorststraße 20 erfolgte am 1. Oktober 1936. Die WPVGhatte dort sechs Räume für monatlich 225 RM gemietet.

Nächster Unternehmenssitz war die Schorlemerstraße 9,und damit hat es wieder eine besondere Bewandnis: DieWPVG hatte dort ein durch Bomben weitgehend zerstörtesbebautes Grundstück für 65.000 RM erworben. Bis zur völli-gen Wiederherstellung sollten 175.000 RM investiert wer-den. Die Nutzung dieses Gebäudes begann im November1941 und dauerte nur wenige Jahre, denn beim Bomben-krieg auf Münster 1944 wurde es völlig zerstört.Noch vor Kriegsende entwickelte sich das Haus der MolkereiLehr- und Untersuchungsanstalt an der Wiener Straße 54notgedrungen zu einem „Haus der Genossenschaften“,denn hier konnten sowohl der Westfälische Genossen-schaftsverband als auch die WCG und die Westfälische Pro-vinzial-Viehverwertungsgenossenschaft zusammenge-drängt vorläufig unterschlüpfen, die WPVG ab September1944 in zwei Räumen.Im Frühjahr 1949 war das Gebäude des Genossenschaftsver-bandes in der Von-Steuben-Straße 4–6 endlich wieder soweit hergerichtet, dass Verband, WCG und WPVG sich dortetwas weniger beengt niederlassen konnten. Weil aber dieBüroraumnot anhielt, mietete die Provinzial-Viehverwer-tungsgenossenschaft Im Bült 13 in der 2. Etage zusätzlichvier bis fünf Räume.Wer kann nachempfinden, mit welcher Freude und mit wel-chem Stolz Mitarbeiter und Ehrenamtliche 1955 endlich,nach so vielen Provisorien und Umzügen, den NeubauBrockhoffstraße 11 beziehen konnten!

Die Baustelle in der Brockhoffstraße 1954 … … und der fertig gestellte Neubau.

Fünfmal umgezogen

Page 26: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

24

mittel gab es aber auchaus Düsseldorf, Bonn undBrüssel. Im nächsten Prü-fungsbericht des Deut-schen Raiffeisenverbandes

wurde dann die Finanzlage zwar als gesichert bezeichnet,doch mahnten die Prüfer eine Stärkung des Eigenkapitals an.Wie sich die WPVG, die seit 1965 unter dem heute noch gülti-gen Logo mit dem zusätzlichen Schriftzug „WEST-VIEH” und„WEST-FLEISCH” auftrat und sich seit 1966 „Vieh- und Fleisch-zentrale Westfalen eGmbH“ nannte, in den folgenden Jahrenentwickelte, machen ein paar Zahlen aus dem Geschäftsjahr1969 deutlich:

Ära Dr. Deckwitz endet

An Schlachtvieh wurden umgesetzt 50.660 Kopf Rindvieh,8.200 Kälber, 721.500 Schweine und 1.260 Schafe. Die Nutz-viehumsätze: 5.600 Kopf Rindvieh, zusätzlich 2.658 Tiere beiden Milchviehversteigerungen, ferner 151 Sauen und Ebersowie 130.100 Ferkel. So kam ein Umsatz von 306,9 Mio. DMzusammen, aus dem ein Gewinn von 346.500 DM verblieb.Bei einer Bilanzsumme von 12,37 Mio. DM betragen das Eigen-kapital rund 3,2 Mio. DM und die Verbindlichkeiten fast 6,5 Mio.DM. Nach einem Zugang und zwei Abgängen verblieben Ende1969 genau 119 Mitglieder. Die Zahl der Betriebsangehörigenhatte im Laufe des Jahres um 49 auf 335 zugenommen. Darü-ber hinaus waren noch 16 Vertrauensmänner für die Genos-senschaft tätig.

Zum Jahresende 1969 wurde der Hauptgeschäftsführer derVieh- und Fleischzentrale, Dr. August Deckwitz, nach 39 (!)Dienstjahren im Alter von 68 Jahren in den Ruhestand verab-schiedet.

Mitteilung im VFZ-Brief Nr. 5/1969.

Der „Alte“ und der „Neue“. Führungs-wechsel bei der Vieh- und Fleischzentrale:

Dr. August Deckwitz (rechts),Dr. Johannes Trillhaas (links).

1969 1.000.000ste Schweine-schlachtung in Lübbecke

Page 27: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

25

1969 Vieh- und Fleischkonzept des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes WLV

Als Dr. Johannes Trillhaas, gerade 39 Jahre alt geworden, am1. Januar 1969 als geschäftsführendes VorstandsmitgliedChef der heutigen WESTFLEISCH wurde, hatte er vermutlichauch noch nicht das Konzept parat, wie das Unternehmen24 Jahre später unter seiner Regie strukturiert sein sollte.Doch Ende 1992, als Trillhaas die Verantwortung abgab, standfür Constantin Freiherr Heereman, den Präsidenten des West-fälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, fest: „Dr. Trill-haas hat die überaus dynamische Entwicklung der genossen-schaftlichen Vieh- und Fleischvermarktung in Westfalen-Lippevorangetrieben und durch seine Persönlichkeit eindeutiggeprägt. Diese Lebensleistung wird in der Landwirtschaft als„Ära Dr. Trillhaas“ haften bleiben.

Vorstandsmitglied und Manager

WESTFLEISCH verfügte bei seinem Abschiedaus dem Amt über 4 moderne, leistungsfä-hige Schlacht- und Zerlegebetriebe an denStandorten Lübbecke, Coesfeld, Paderbornund Hamm-Uentrop, ferner über ein gutfunktionierendes Nutzviehzentrum in Nien-berge und hatte soeben den Einstieg in dieConvenience-Produktion gewagt. 1992hatte WESTFLEISCH 2,83 Mio. Schweine undüber 293.000 Kopf Rindvieh geschlachtet,an Nutzvieh über 1,2 Mio. Ferkel, 44.500Jungsauen, 24.700 Stück Großvieh und72.000 Kälber vermarktet. Erzielt wurdendabei Umsatzerlöse von 1,78 Mrd. DM beieinem branchentypisch bescheidenenBilanzgewinn von 198.300 DM. Die Zahl derMitglieder war allerdings von 115 auf 62 zurückgegangen, dieZahl der Mitarbeiter von 331 auf 1.230 und 63 Auszubildendegestiegen.Von 1969 an bis dahin war es ein weiter, manchmal auch kom-plizierter Weg …

Dr. Trillhaas hatte eine Zentralgenossenschaft übernommen,die solide finanziert war und auch hin und wieder Geld ver-diente. Doch ihm und seinem ehrenamtlichen Vorstand mitHeinrich Schumacher aus Oppendorf, Wilhelm Freitag ausPaderborn, Andreas Vormberg aus Neuen-Geseke (ab Novem-ber 1969) sowie dem bereits langjährigen Vorsitzenden Bern-hard Rotthege aus Everswinkel war nicht unbekannt: Die VFZgalt als ein wenig betulich und eher unbeweglich.Mit Trillhaas aber hatte der Aufsichtsrat einen Manager zumgeschäftsführenden Vorstandsmitglied bestellt, der die Auf-gabenteilung zwischen Ehren- und Hauptamt anders sah alssein direkter Vorgänger Dr. Deckwitz oder der allererste

Geschäftsführer Dr. Hubert Schulze-Aussel. Fortan – und dasgilt selbstverständlich heute auch noch – wurden in den Ver-waltungsgremien Beschlüsse gefasst, was zu geschehen oderzu unterbleiben hatte, doch für deren Umsetzung war dasHauptamt zuständig. Das Ehrenamt hatte, wie es die Satzungauch vorsieht, Entscheidungen mitzugestalten, mitzutragenund auch nach außen hin zu vertreten und schließlich Kon-trollfunktionen auszuüben. Das Tagesgeschäft hingegen erle-digte das bestellte, den Aufsichtsgremien und den Anteilseig-nern gegenüber verantwortliche Hauptamt, also vorerst derManager Dr. Johannes Trillhaas.

Vieh- und Fleisch-Konzept des WLV

Da traf es sich ausgesprochen gut, dass der Westfälisch-Lippi-sche Landwirtschaftsverband unter seinemnoch jungen Präsidenten Constantin Frei-herr Heereman von Zydtwyck mit seinemUmfeld das „Konzept zur genossenschaft-lichen Vieh- und Fleischvermarktung inWestfalen-Lippe” entwickelt hatte.

In Folge 5 des LandwirtschaftlichenWochenblattes von 1969 war die Marsch-richtung ganz konkret vorgegeben:• Alle Vieh erfassenden Genossenschaf-

ten sollen auf die selbstständige Ver-marktung des überörtlichen Absatzesverzichten.

• Die Viehverwertungsgenossenschaf-ten haben enge vertragliche Bindun-gen mit der Zentrale abzuschließen.

• Geschäfte in eigener Rechnung der Geschäftsführerder Genossenschaften dürfen nicht mehr geduldetwerden.

• Der Lebendviehabsatz des in den einzelnen Geschäfts-stellen erfassten Viehs soll von der Zentrale koordi-niert und dann verteilt werden.

• Auf den Lebendviehmärkten soll das gesamte genos-senschaftliche Angebot nur durch jeweils einen Kom-missionär verkauft werden.

• Bestehende, günstige Absatzwege der Genossen-schaften können aufrechterhalten werden, wenn dieZentrale zustimmt und diese die Geschäftsabschlüssetätigt.

• Die Vermarktungszentrale hat die Versandschlach-tung weiter auszubauen, öffentliche Schlachtstättenzu nutzen, eventuell neue zu bauen.

Trillhaas hat die WESTFLEISCH geprägt

Dr. Johannes Trillhaas,WESTFLEISCH-Chef 1969–1992.

Page 28: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

26

Heereman war sich sicher, auf dem richtigen Weg zu sein,„weil ich weiß, dass die westfälischen Bauern mit mir einigsind“. Öffentliche Zustimmung gab es auch vom Ring derLandjugend und vom Arbeitskreis junger Landwirte, in demsich kritische Jungbauern organisiert hatten.

Zeitgleich strategische Köpfe am Werk

Beflügelt wurde die ohnehin herrschende Aufbruchstim-mung dadurch, dass in Westfalen kompetente, einflussreicheund strategisch denkende Männer zeitgleich tätig waren, die

sich überdies persönlich schätzten. Zu nennen sind hier ins-besondere Karl Bewerunge und Dr. Günter Müller, Präsidentder eine und Direktor der Landwirtschaftskammer Westfa-len-Lippe der andere, Freiherr Heereman und Dr. WilhelmZimmermeyer, Präsident und Hauptgeschäftsführer desWLV, Wilhelm Freitag, damals schon Vorstandsmitglied undab 1974 Vorstandsvorsitzender der VFZ, sowie Dr. DietherDeneke, Landwirtschaftsminister des Landes NRW. Und

mittendrin Dr. Johannes Trillhaas.Trillhaas, „Unternehmer aus Leidenschaft“, wie ihn seine Mit-streiter sahen, musste die Viehzentrale rationalisieren, wasInvestitionskapital voraussetzte. Mit der Gründung der „WEST-FLEISCH Schlachtfinanz GmbH & Co. KG“, die am 22. April 1971erfolgte, hatte man auf das richtige Pferd gesetzt. Mit Hilfedes so eingesammelten Kapitals und von Fördergeldern ausDüsseldorf, Bonn und Brüssel konnte als erstes Modellprojekt

der EU das Fleischcenter Coesfeld 1972 inBetrieb gehen. 1975 war es eine erheblicheErweiterung und Modernisierung in Lübbecke,im Dezember 1977 ging der neu erbauteSchlachthof in Paderborn in Betrieb, 1980 folgteschließlich als letzter Neubau das FleischcenterHamm-Uentrop – alles finanziert mit Hilfe desKapitals der heutigen WESTFLEISCH FINANZ AG.Zunächst hatten es Dr. Trillhaas und seine Mannenaber mit 29 Geschäftsstellen und zwei Außenstel-len sowie Milchviehversteigerungen in Münsterund Meschede zu tun. Um hier eine Rationalisie-

Die Männer der WESTFLEISCH (v.l.n.r.): Wilhelm Freitag, Karl Bewerunge, Josef Lehmenkühler,Andreas Vormberg, Dr. Johannes Trillhaas, Gottfried Brentrup.

Dr. Johannes Trillhaas:„Unternehmer aus Leidenschaft“

Wer Eindruck machen will, der kaufe sich ein Pferd. Wer Reichtum erwerben will, der züchte Schweine.

Westfälisches Sprichwort

1971 22. April: Gründung der WESTFLEISCHSchlachtfinanz GmbH & Co. KG

Page 29: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

rung erreichen zu können, war Frieden in Westfalen die ersteVoraussetzung. Um diesen Prozess zu fördern und Mis-strauen abzubauen, wurde der Aufsichtsrat der Viehzentraleergänzt um Vertreter von Viehverwertungsgenossenschaftenund vor allem um Generaldirektor Wilhelm Bornefeld-Ett-mann, den Chef der Westfälischen Centralgenossenschaft.

Rasante Aufwärtsentwicklung

Und dann wurden Zug um Zug Geschäftsstellen geschlossen,die WESTFLEISCH-eigenen Schlachthöfe beliefert und Schlach-tungen in kommunalen Schlachthöfen eingestellt. 1972 hattesich die Zahl der Geschäftsstellen bereits auf 14 reduziert, wei-tere zehn Jahre später waren es noch fünf.

Nun hat es immer auch mit regionalen Besonderheiten, per-sönlichen Vorlieben und sicher auch wirtschaftlichen Bedin-gungen zu tun, wenn Geschäftsstellen zu schließen sind. Dr.Trillhaas sagt noch heute: „Das muss man können!“ Notwen-dige Voraussetzungen dazu nennt er selbst: „Die Bauern imEhrenamt hatten Vertrauen zu mir und haben mir nie etwaszugemutet oder verwehrt, was ich vorschlug.“ Als 1973 nur noch gut 700 Tiere und damit 32 % weniger alsim Jahr zuvor bei den monatlichen Milchviehversteigerungenabgesetzt wurden, übergab die WESTFLEISCH Vieh- undFleischzentrale dieses Geschäft an das Westfälische Rinder-stammbuch der Rotbuntzüchter und an die WestfälischeHerdbuchgesellschaft. Die VFZ wollte sich mehr auf das

27

1972 Schlachthof Coesfeld in Betrieb

Als Anfang Oktober 1979 die Genehmigung zum Bau desneuen WESTFLEISCH-Schlachthofes in Hamm-Uentrop vor-lag, berichtete das Landwirtschaftliche Wochenblatt unterder Überschrift „Das 100.000-DM-Ding”. Danach warenAnfang 1977 die Unterlagen für das Antragsverfahren kom-plett, sie umfassten – 43 Blatt nach dem Bundesemissionsschutzgesetz,– 69 Blatt Bau- und Betriebsbeschreibungen,– 70 Zeichnungen mit 7 Fließdiagrammen.

Bürokratie anno 1977

Papiere und Zeichnungen füllten 6 dicke Ordner. Da alles9fach einzureichen war, mussten 54 (!) Ordner per Auto zumRegierungspräsidenten nach Arnsberg geschafft werden.14 Tage später wurde das Bauvorhaben öffentlich zu jeder-manns Einsicht ausgelegt, 14 Monate später schliesslich wardas Genehmigungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen.Der Genehmigungsbescheid umfasste 52 Seiten und kosteteinsgesamt 48.500 DM. Das Bauamt der Stadt Hamm langtenoch einmal mit 68.000 DM zu, sodass das Vorlaufverfahren116.500 DM oder nach heutiger Währung 60.000 Euro

kostete! Hinzu kamen allerdings noch 4 weitere Genehmi-gungsverfahren nach Wasserschutz- und Landeswasserge-setz sowie Prüfungen und Abnahmen durch den TÜV.Nur zu gern erinnert man sich der „guten alten Zeit”, als esum das Genehmigungsverfahren für den Bau des Schlacht-hofes in Lübbecke im Jahre 1960 ging. Anfang Dezember1960 wurde der Antrag bei der Kreisverwaltung in Lübbeckegestellt, öffentlich ausgelegt, mündlich im Beschlussaus-schuss bei der Kreisverwaltung verhandelt und schließlichdurch die Stadt Lübbecke, durch das Kreisveterinäramt, dasKreisgesundheitsamt, das Kreisbauamt und das Gewerbe-aufsichtsamt geprüft. Vier Tage nach der Sitzung des Beschlussausschusses lag dierechtskräftige Genehmigung vor. Mit allen Bedingungen undAuflagen umfasste diese Urkunde 7 Seiten. Alle einzureichen-den Unterlagen – 31 Zeichnungen und Pläne – füllten nichtmal einen (!) Ordner. Das ganze Verfahren hatte gut 2 Monategedauert und kostete 1.970 DM oder rund 1.000 Euro.

Was wäre heute wohl hinsichtlich Antragsumfang undGenehmigungsdauer zu erwarten ...?

Der Neubau in Hamm – das „100.000 DM-Ding“

Alle Geschäftsstellenleiter (1973, v.l.n.r.): Baier, Zentr. Verkauf;J. Ehning, Coesfeld; Schürhoff, Coesfeld; Otto Müller, Zentr. Verkauf;Löwe, Gelsenkirchen; Sommer, Zentrale; Feldmann, Dortmund; Koh-lenbach, Bochum; Broxtermann, Wiederbrück; H. Ehning, Bocholt;Bömkes, Borken; Kramer, Gelsenkirchen; Wienke, Dortmund; West-hues, Zentrale; Dr. Trillhaas; E. Hartmann, Warendorf; Nölle, Hamm;Radszuhn, Lübbecke; Schafmann, Münster; Egtermeyer, Bielefeld;Renneke, Paderborn; Mollemeier, Paderborn; R. Hartmann,Lübbecke; Eickholt, Hamm; Buhrmann, Zentrale (nicht dabei:Lingenberg, Lippstadt).

Page 30: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

28

Noch bis in die 70er Jahre hinein verkauften Schweineer-zeuger aus Westfalen vielfach zu Preisen, die von denLebendvieh-Notierungen am Schlachtvieh-Großmarkt Dort-mund abgeleitet waren. Üblich waren dann beispielsweiseAbsprachen wie „3 Pfennig unter Höchstnotiz Klasse C inDortmund“, wobei die Differenz mit der Entfernung zumRuhrgebiet zunahm. Dabei muss man wissen: Bei der Han-delsklasse C handelte es sich um Schlachtschweine imLebendgewicht zwischen 80 kg bis 119,5 kg. Entsprechendgalt der notierte Preis pro Kilogramm Lebendgewicht.Die Schlachthöfe in Nordrhein-Westfalen, vielfach bereits zuKaisers Zeiten erbaut, waren in Trägerschaft der Kommu-nen, an die vielfach ein Schlachtviehmarkt angeschlossenwar. Wer nun beispielsweise den Großmarkt Dortmundbeschicken wollte, musste die Tiere am Freitag auf die mehroder weniger lange Bahnreise schicken, denn Samstagmit-tag musste der Auftrieb beendet sein. Markttag war dann inder Regel der Montag.

Monopol kommunaler Vieh- und Schlachthöfe

Die Geschäfte dort tätigen durften nur von den Kommunenzugelassene Agenturen, wobei die Provinzialgenossen-schaft z.B. eine von 31 Agenturen in Dortmund war. Metz-ger, Fleischhändler, Fleischwarenindustrie und auch Lebens-mittelhandel konnten nun die lebenden Tiere kaufen undam Schlachthof selbst oder im Auftrag schlachten lassenund das Fleisch beliebig abtransportieren. Eine eigens instal-lierte Notierungskommission sollte die erzielten Preiseermitteln und veröffentlichen, damit für Anbieter undNachfrager „Markttransparenz“ erreicht werde.Doch etwa zu Beginn der 60er Jahre stellte man fest, dasssich in großen, modernen Schlachtbetrieben in Nähe dertierischen Erzeugung kostengünstiger schlachten und dasFleisch dank moderner Kühltechnik viel rationeller und tier-

schonender als Lebendvieh zu den Verbrauchern transpor-tieren lässt.Sollten damit innerhalb weniger Jahre die kommunalenVieh- und Schlachthöfe überflüssig werden? Wie sollte nochfür Markttransparenz gesorgt werden können?Der Durchbruch der Totvermarktung konnte erst gelingen,nachdem 1970 Gesetzesänderungen in Kraft traten, die Vor-schriften aus dem Jahr 1933 ablösten. Die alten Vorschriftensicherten den öffentlichen Schlachtviehmärkten undSchlachthöfen eine geradezu monopolartige Stellung. Wernämlich Tiere in einem städtischen Schlachthof schlachtenwollte, ohne dass diese vorher auf dem kommunalen Vieh-hof gekauft wurden, musste einen Ausgleichszuschlagbezahlen. Ebenso wurde für Fleisch, dass in die Stadt trans-portiert wurde, ohne dass die Tiere im städtischen Schlacht-hof geschlachtet wurden, eine Ausgleichsabgabe erhoben.Die Ausgleichszuschläge für lebende Tiere durften ab 1970nicht mehr erhoben werden, die Ausgleichsabgaben fürFleisch wurden ab 1976 stufenweise abgebaut.

Lebend-Notierung 1979/80 eingestellt

Die Markttransparenz verbessern sollte eine Novellierungdes Vieh- und Fleischgesetzes aus 1970, die Preisnotierun-gen auf Fleischgroßmärkten ermöglichte und Schlachtbe-triebe mit wöchentlich mehr als 300 Schweineschlachtun-gen verpflichtete, die eingekauften Mengen und dieausgezahlten Preise einer Meldebehörde, hier dem Landes-amt für Ernährungswirtschaft und Jagd in Düsseldorf, zuübermitteln.Nach diesen gesetzlichen Änderungen konnte dieGeschlachtet-Vermarktung ihren Siegeszug fortsetzen unddie Lebend-Vermarktung zu einer Randerscheinung werdenlassen.

Schlachtvieh-Großmarkt Dortmund: den Zähnen nach eine jungeKuh.

Fleisch lässt sich dank Kühlung kostengünstig zu denVerbrauchern transportieren.

Von der Lebendvieh- zur Geschlachtet-Notierung

Page 31: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

eigentliche Schlachtviehgeschäft sowie die Beschaffung vonFerkeln, Magervieh und Kälbern konzentrieren.Wie rasant sich die Schlachtzahlen entwickelten, machen fol-gende Zahlen deutlich: 1970 wurden knapp 760.000 Schweinegeschlachtet, 1973 wurde die erste Million überschritten,1979 waren es bereits 2,34 Mio., die höchste Schlachtzahlunter Trillhaas wurde 1987 mit 3,17 Mio. erreicht.Weniger ausgeprägt nahmen die Schlachtzahlen bei Rindernzu, die von 63.800 in 1970 auf 133.600 im Jahr 1979, dannüber 210.400 im Jahr 1980 nach der Wende in Ostdeutschland1991 auf 323.750 Stück anstiegen. Auch die Schlachtungenvon Kälbern nahmen zu von 4.100 im Jahr 1975 über 11.600in 1979 bis zum Höchstwert von 20.000 in 1986, um sich dannetwas zu normalisieren auf um die 14.000 Stück jährlich.Kaum weniger bemerkenswert waren die Umsatzsteigerun-gen bei Ferkeln: 1970 202.000 Stück, 1985 über 1 Mio.

Wie Westfalen „Schweineland“ wurde

Um derartige Umsatzsteigerungen erzielen zu können, muss-te die Vieh- und Fleischzentrale den Markt in Westfalen-Lippewirklich durchdringen. Dabei konnten Mitgliedsgenossen-schaften zu besserer Zusammenarbeit mit der Zentralemotiviert und die Geschäfte ruhender Genossenschaftenübernommen werden. Und dort, wo es keine Viehverwer-tungsgenossenschaften gab, organisierte die Fleischzentrale

die Eigenerfassung selbst. Geholfen dabei hat auch dieZusammenarbeit mit dem Erzeugerring und der Erzeugerge-meinschaft Westfalen.Nicht minder wichtig – was die Expansion bei Ferkeln, Jung-sauen und Schlachtschweinen angeht – war aber auch dies:Zählte man 1960 in Westfalen-Lippe noch reichlich 2,1 Mio.Schweine, waren es zehn Jahre später bereits über 3,2 Mio.und 1988 bereits weit über 5 Mio. Westfalen war „Schweine-land” geworden!

29

1978 Eröffnung Schlachthof Paderborn

1980 Schlachthof Hamm in Betrieb

1967 war die VFZ noch mit 29 Geschäftsstellen und 2 Außenstellenin Westfalen-Lippe vertreten.

Bis 1974 waren deren Zahlen bereits auf 9 reduziert, weitereSchließungen folgten.

Page 32: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

30

Als die in Haupt- und Ehrenamt Verantwortlichen der Vieh- undFleischzentrale Westfalen eG (VFZ), der Vorgängerin der heuti-gen WESTFLEISCH eG, zu Beginn der siebziger Jahre daran gin-gen, neue Schlachthöfe zu bauen und den ersten eigenenSchlachtbetrieb in Lübbecke zu modernisieren, brauchte manmehr Kapital, als die Genossenschaft hatte. Gesucht wurde eineLösung, die es einzelnen Landwirtenaus Westfalen-Lippe ebenso wielandwirtschaftlichen oder demBerufsstand nahe stehenden Orga-nisationen erlaubte, Kapital einzu-bringen, das eine sichere Renditeabwarf und das Mitbestimmungüber dessen Verwendung entsprechend der Kapitalbeteiligungerlaubte.

Für starke Stellung am Markt

Die Lösung: Die „WEST-FLEISCH Schlachtfinanz GmbH“ wurdegegründet, deren Aufgaben „der Bau und Betrieb von Einrich-tungen für das Schlachtgeschäft sowie die Beteiligung als per-sönlich haftende Gesellschafterin an der Kommanditgesell-schaft WEST-FLEISCH GmbH & Co. KG und die Geschäftsführungdieser Gesellschaft“ war. Die GmbH & Co. KG wurde am 22. April1971 gegründet. Kommanditisten von Beginn an waren dieVFZ, die WCG, die Erzeugergemeinschaft Westfalen bzw. derenErzeuger-Treuhand e.V., der Westfälisch-Lippische Landwirt-schaftsverband, der Verband ländlicher Genossenschaften derProvinz Westfalen sowie Stadt und Kreis Coesfeld.Weil der einzelne Landwirt kaum mit der vorgeschriebenenMindestbeteiligung von 100.000 DM einsteigen mochte, wur-den Treuhandkommanditisten zwischengeschaltet.Als dieses Konzept vorgestellt wurde – es war im Februar 1971 –schrieb Walter Blumberger im Landwirtschaftlichen Wochen-blatt: „Je mehr Kapitalanleger zeichnen und je höher die Ein-zelnen zeichnen, umso mehr und umso stärker bauen sie mitan einem landwirtschaftlichen Vermarktungsunternehmen.Das ist Genossenschaftsgeist, Selbsthilfe für eine starke Stel-lung am Markt.“

Über 20 Mio. € Kapital gesammelt …

Doch auch schon damals ließen sich westfälische Bauern erstdann aus der Reserve locken, wenn sie überzeugt waren. Dafürzogen die Männer des Ehrenamtes zusammen mit demgeschäftsführenden Vorstand Dr. Trillhaas und den leitendenMitarbeitern Friedrich Buhrmann und dem späteren Vorstands-mitglied Heinrich Westhues als „Wanderprediger“ über Land.Nachdem die WCG unter ihrem Generaldirektor Bornefeld-Ett-mann eine Beteiligung von 500.000 DM gezeichnet hatte,„spürten wir Rückenwind“, erinnert sich Dr. Trillhaas. Die Aktio-nen waren erfolgreich, denn bereits im Laufe des Jahres 1972wurden 4,16 Mio. DM an Gesellschaftskapital eingesammelt.

Erstes Objekt war der Bau des neuen Schlachthofes in Coesfeld,der Ende 1972 in Betrieb genommen und an die VFZ verpach-tet wurde. Und die Anleger wurden nicht enttäuscht: Verspro-chen war eine „angemessene Verzinsung” von 6 %; ausge-schüttet aber wurden 1973 bereits 7 %.Und seither wurde nahezu pausenlos Kapital für den Neubau

der Schlachtbetriebe in Paderborn(Fertigstellung 1978) und Hamm(1980) sowie für Erweiterungen undModernisierungen an allen vierStandorten gesammelt.1978, sieben Jahre nach Gründungder Schlachtfinanz GmbH & Co. KG,

hatten 1.241 Anteilseigner bereits 18,5 Mio. DM eingezahlt,wofür sie wiederum eine Gewinnausschüttung von 7 % erhiel-ten.Vor allem steuerrechtliche Gründe waren maßgeblich dafürverantwortlich, dass die GmbH & Co. KG im Jahre 1979 umge-wandelt wurde zur „WEST-FLEISCH Schlachtfinanz AG“. An denAufgaben und Zielen einschließlich der Gewinnausschüttungs-politik sollte sich durch die Umwandlung nichts ändern. Fortangab es vinkulierte Stammaktien in Stückelungen von 5.000 oder10.000 DM sowie Vorzugsaktien ohne Stimmrecht im Nennwertvon 500 DM. Ein Schutz vor Überfremdung durch nichtbäuerli-che Kreise wurde so erreicht: Die WESTFLEISCH eG erwarb eineSperrminorität von mindestens 25,1 % des Kapitals. Seither hatder Aufsichtsrat 21 Mitglieder.Die Finanzierungsgesellschaft hat sich seit ihrer Gründung imJahre 1971 nahezu kontinuierlich weiterentwickelt. So wurde1983 ein Gesellschaftskapital von 26,75 Mio. DM ausgewiesen,1992 waren es bereits über 40 Mio. DM und im Jahr 200220,54 Mio. Euro.

… und ebenso viel Dividende ausgeschüttet

Im Jahr 2000 wurde eine Namensänderung beschlossen, die derVereinfachung dienen sollte: „WESTFLEISCH FINANZ AG” heißtdas Unternehmen seither, dessen Aufgaben unverändert in derErrichtung und Finanzierung von Betriebsgebäuden und tech-nischen Anlagen und Maschinen für Schlacht- und Zerlegebe-triebe bestehen, die ausschließlich an die WESTFLEISCH eG ver-pachtet bzw. vermietet werden. Dafür zahlt die WESTFLEISCH eGder Finanz AG eine kostenorientierte Pacht, die im Wesentlichendie Umsatzerlöse der Aktiengesellschaft bestimmt.Vorstand und Aufsichtsrat haben für 2002 die Ausschüttungeiner 4,2 %igen Dividende auf den Nennwert vorgeschlagen,was zu einer Rendite für die Anleger in Höhe von 3,75 % führt.Seit ihrer Gründung vor 24 Jahren hat die Finanz AG – auchabhängig vom allgemeinen Zinsniveau – Dividenden zwischen4,2 % und 7 % gezahlt. Die Ausschüttungen insgesamt sum-mieren sich inzwischen auf über 20 Mio. Euro.

Die WESTFLEISCH FINANZ AG und ihre Entstehung

Page 33: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

„Schubkraft“ bekam diese Expansion einerseits durch dieZunahme des Maisanbaues, ab 1970 zunächst als Silo- undKörnermais und ab etwa 1980 als Corn-Cob-Mix. Maisanbauund dessen Nährstoffversorgung mit Schweinegülle machtendie eher armen Böden des Münsterlandes so fruchtbar undertragreich wie nie zuvor. Die Landwirte in Westfalen-Lippekonnten die Expansion der Schweineerzeugung auch deshalbwagen, weil sie wussten: Die vier Fleischcenter der WEST-FLEISCH garantieren sicheren Absatz. Und nicht zu vergessen:Die qualifizierte Beratung der Landwirtschaftskammer unterProfessor Hans Jungehülsing motivierte Bauern zum Einstiegin den Produktionszweig Schweineerzeugung oder in dessenAusbau und gab Rat, wie das alles zu bewerkstelligen und zufinanzieren war.

Nicht von Zuschüssen verleiten lassen

Nachdem WESTFLEISCH 1982 mit der Geräteklassifizierungvon Schweinehälften begonnen und FOM-Geräte im Folgejahrflächendeckend eingeführt hatte, wurde es auf züchteri-schem Wege möglich, stressstabile Schweineherkünfte zuentwickeln und Mängel bei der Fleischbeschaffenheit auszu-schalten.Nun konnte Dr. Trillhaas offensichtlich nicht nur Entwicklun-gen vorantreiben, er konnte auch bremsen. Als 1991 der Runder westdeutschen Schlachtunternehmen Richtung neueBundesländer einsetzte – es winkten ja massive Zuschüsseund ein wissenschaftlicher Experte wollte herausgefundenhaben, man brauche dort 17 neue Schlachthöfe –, rechneteTrillhaas nüchtern vor: Im deutschen Osten gibt es etwa so vielVieh und so viel Menschen wie in NRW. Da man nicht mit einernennenswerten Zunahme von Menschen und Nutztierenrechnen dürfe, brauche man bestenfalls fünf Schlachthöfe.

31

1988 „Schweineland“ Westfalen:über 5 Mio. Tiere werden gezählt.

Brand im Rohbau von Paderborn 1978: Zwei Menschen sterben.

1984 – 1994: WESTFLEISCH als Dachmarke.

Page 34: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

32

Es war Constantin Freiherr Heereman, damals gerade erst seiteinem halben Jahr amtierender Präsident des Westfälisch-Lippi-schen Landwirtschaftsverbandes (WLV), der im Januar 1969 den„Westfälischen Frieden II“ verkündete. Vereinfacht gesagt,bedeutete er nichts anderes als dies: Die Westfälische Central-genossenschaft (WCG) betreibt im Auftrag der Bauern dieGeschäfte mit landwirtschaftlicher Ware, die Vieh- und Fleisch-zentrale Westfalen, wie die WESTFLEISCH damals hieß, betreibtdie Geschäfte mit Vieh und Fleisch. Die damals veröffentlichte„Konzeption“ des WLV für die Vieh- und Fleischvermarktung inWestfalen-Lippe war zwar viel umfassender und detaillierter, des„Pudels Kern“ aber waren die Aufgaben von WCG und Fleisch-zentrale.Doch bis diese inzwischen seit Jahrzehnten vollzogene undbewährte Arbeitsteilung realisiert werden konnte, gingen nochetliche Jahre ins Land.Andererseits: Wenn ein „Frieden” verkündet wird, müssten vor-her Waffen geklirrt haben. Aber: Wer gegen wen? Wieso undweshalb?

Zwei Zentralen im Wettbewerb um Vieh undFleisch

Die Vieh- und Fleischzentrale (VFZ) befasste sich zu Beginn der60er Jahre vornehmlich damit, das von ihren Mitgliedsgenos-senschaften erfasste Vieh auf den Schlachtvieh-Großmärkten imGebiet Rhein-Ruhr über Kommissionäre zu verkaufen. Mit demEinstieg in die Geschlachtet-Vermarktung, die in marktfernerenRegionen längst Fuß gefasst hatte, ging es eher zögerlich voran.Hätte man tatsächlich von den angestellten GeschäftsführernArnold Dieckhöfer und Hugo Schulte-Altedorneburg, die beidein den 60er Jahren in Rente gingen, den Aufbruch in ein solchneues Zeitalter erwarten dürfen, zumal das geschäftsführendeVorstandsmitglied Dr. August Deckwitz noch für Geschlachtet-Vermarktung „nur beschränkte Ausdehnungsmöglichkeiten“sah? Die Eröffnung des neuen, landesweit ersten Versand-schlachthofes in Lübbecke 1962 war dennoch ein erster Schrittin eine neue Richtung.Wen kann es wundern, dass Wilhelm Bornefeld-Ettmann, seit1946 Direktor und geschäftsführendes Vorstandsmitglied, seit1965 Generaldirektor der von Mitgliederzahl, Umsatz und Kapi-talausstattung mächtigen WCG, unter diesen Vorzeichen fürseine Genossenschaft ein Vakuum entdeckte! Um dieses aufzu-füllen, wurden Anfang der 60er Jahre in Bad Oeynhausen dieNiebel-Werke, eine Fleischfabrik, gekauft. Dort wurde zu Beginninvestiert, doch sollte dies nur ein „Übungsplatz“ für den Ein-stieg in die „Landwirtschaftliche Absatzzentrale“ in Bockum-Hövel sein. Mitte 1964 begannen dort die Bauarbeiten, damit eingenossenschaftlicher Supermarkt für landwirtschaftliche Edel-

erzeugnisse wie Fleisch und vieles andere mehr entstehen kön-nen sollte. Laut Geschäftsbericht der WCG 1965 war eineSchlachtkapazität von 250.000 Schweinen und 50.000 Rindernjährlich geplant. Um den Einstieg in den Markt zu beschleuni-gen, kooperierte die „Bauernring-Nahrungsmittel GmbH“ inBockum-Hövel – so hieß die WCG-Tochter – mit der Deutz-Gruppe in Aachen. Die Aachener Manager betrieben die Expan-sion so massiv, dass in rund 140 gemieteten Fleischabteilungender Umsatz auf mehr als 100 Mio DM verdoppelt wurde. DieserDrang nach vorne endete Mitte 1969 mit einem Vergleich zwi-schen WCG und Deutz-Gläubigern, bei dem die WCG 85 % derDeutz KG und 76 % der Verkaufs-GmbH übernahm.Bei den Generalversammlungen der WCG wurde viel über Hoff-nungen auf schwarze Zahlen vorrangig in kommenden Jahrenaus der Sparte Vieh und Fleisch spekuliert.

Nach Bornefeld-Ettmann Frieden möglich

Nichtsdestotrotz wurde sowohl von WCG als auch von der VFZdie Notwendigkeit der genossenschaftlichen Zusammenarbeitbeschworen. So hieß es bereits 1968 im Wochenblatt: „WCG undVFZ haben sich die Hand gereicht, umarmt haben sie sich nicht“.Auch Generaldirektor Bornefeld-Ettmann sah die Gefahr, „dassdie Bauernring GmbH mit der VFZ sowohl in der Erfassung desViehs bei den Bauern als auch beim Verkauf der Hälften und Teil-stücke bei den Kunden konkurriert“, wie es 1967 im Wochen-blatt hieß.Aus Sicht des einflussreichen Generaldirektors, unter dessen Lei-tung die WCG unstreitig erfolgreich arbeitete und gedieh, ließsich diese Zusammenarbeit am einfachsten so realisieren: DieWCG übernimmt auch die VFZ, „Steigbügelhalter“ sollte bei die-sem Geschäft Dr. Johannes Trillhaas sein, der ab 1. Januar 1969geschäftsführendes Vorstandsmitglied und Chef der VFZ wurde.Trillhaas, der nach eigenem Bekunden zunächst noch keines-wegs Experte für Vieh und Fleisch war, muss für Bornefeld-Ett-mann eine furchtbare Enttäuschung gewesen sein, denn erbrachte die WESTFLEISCH zielstrebig auf den Weg, eigenständigVieh und Fleisch im Sinne der Mitglieder zu vermarkten.Und als dann Karl Bewerunge (MdB), Präsident der Landwirt-schaftskammer Westfalen-Lippe, Vorstandsvorsitzender vonWCG und WESTFLEISCH in Personalunion, zusammen mit Bau-ernpräsident Heereman dem einflussreichen und auf Lebenszeitangestellten Generaldirektor Bornefeld-Ettmann den Abschiedzum Jahresende 1978 schmackhaft machten, konnte der„Westfälische Friede II” endlich vollzogen werden. Die WCG unterihrem damals neuen Generaldirektor Dr. Dutsch verkaufte 1979die noch verbliebenen Unternehmensteile in Sachen Vieh undFleisch an die EDEKA Minden und schloss damit ein Kapitel derUnternehmensgeschichte.

Westfälischer Frieden II

Page 35: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

33

1989 9. November:Die Mauer fällt.

Statt dort zu investieren, erklärte Trillhaas der „Lebensmittel-Zeitung“, die WESTFLEISCH sehe ihre Aufgabe darin, „die Leis-tungsfähigkeit der westfälischen Betriebe so auszurichten,dass auch die neuen Bundesländer mit westfälischem Quali-tätsfleisch beliefert werden können“.Doch wo Chancen erkennbar waren, wagte die WESTFLEISCHunter der Führung von Trillhaas auch den Einstieg in bis dahinvöllig fremde Märkte. Das geschah im November 1991 mit derGründung des neuen Tochterunternehmens „WESTFOODFleisch- und Convenience GmbH“, das später als Minderheits-beteiligung in die FVZ WESTFOOD Convenience GmbH in Holz-wickede eingebracht wurde.

„Wir züchten nicht und machen keine Wurst.“

Mindestens in zwei Punkten ist sich Dr. Trillhaas über die Jahr-zehnte treu geblieben: „Es bleibt dabei, dass wir auch inZukunft nicht selbst züchten und keine Wurst machen wer-den”, erklärte er 1992 der Presse. Investiert aber wurde inGrob- und Fein- bis zur Feinstzerlegung und in den Ausbauvon Kühl- und Reifekapazitäten. Und während andere Unter-nehmen der Fleischbranche viele Aktivitäten darauf verwand-ten, eine eigene Marke im Markt einzuführen, setzte Trillhaasauf die „Dachmarke WESTFLEISCH”: hohe, nachprüfbare Qua-lität auf breiter Basis, deren wesentlicher Baustein die Koope-rationsverträge mit Schweineerzeugern waren.Gelungen ist es jedenfalls in der „Ära Trillhaas”, aus einer Vieh-zentrale mit regionaler Bedeutung ein national und internatio-nal erfolgreich operierendes Unternehmen zu formen. Undimmer wiesen die Bilanzen auch Gewinne aus, die im bestenJahr 1976 fast 2,2 Mio. DM betrugen und im schlechtesten(1989) auf nur noch 89.000 DM abgerutscht waren.

Besonderheit beibehalten und kultiviert

Doch um ein solches Unternehmen zu führen und weiterzu-entwickeln, brauchte es – auch auf Wunsch des Ehrenamtes –neben dem Manager Dr. Trillhaas mindestens ein weiteresqualifiziertes Vorstandsmitglied. Das wurde ab März 1982

Vorstandssitzung November 1988 (v.l.n.r.): Gerhard Meloh, Dr. Bernd Cordes, Gottfried Brentrup (Vorsitzender), Dr. Johannes Trillhaas, Heinrich Becker, Heinrich Spliethoff.

Gratulation zum ErreichtenConstantin Freiherr Hee-reman, bis 1997 fast30 Jahre lang unter ande-rem Präsident des West-fälisch-Lippischen Land-wirtschaftsverbandesWLV, zum „WestfälischenFrieden II“ und zu WEST-FLEISCH:

Frage: Wie weit ist esgelungen, das vor 34 Jah-ren vorgestellte Konzeptdes WLV zur genossen-schaftlichen Vieh- undFleischvermarktung umzusetzen? Was sind Ihrer Meinungnach die grössten Erfolge dabei?

Heereman: Wesentlich ist zweifellos die erreichteArbeitsteilung zwischen WCG und WESTFLEISCH. Es darfdoch nicht sein, dass sich Genossenschaften – deren Eigen-tümer schliesslich die Bauern sind – gegenseitig Wettbe-werb machen. Die inzwischen gute und enge Zusammen-arbeit zwischen Genossenschaften und mit den Bauernkonnte nur erreicht werden, weil WLV, Landwirtschaftskam-mer und Genossenschaften an einem Strang zogen. DasErgebnis ist schon beispielhaft in Deutschland.

Frage: Was muss noch „nachgebessert“ werden? Wer istdabei besonders gefordert?

Heereman: Meine Erwartungen, dass sich die Viehver-wertungsgenossenschaften auf die Vermarktung vonNutz- und Schlachtvieh über die Zentrale beschränken,haben sich noch nicht voll erfüllt. Andererseits: Die Kon-takte zur Kundschaft, also zwischen Bauern und Genossen-schaften, können gar nicht gut genug sein; Verbesserun-gen sind immer möglich und wünschenswert.Verlässlichkeit auf beiden Seiten ist zu fordern und zu för-dern.

Frage: Und welche Forderungen und Wünsche hat das„Mitglied von Heereman“ an WESTFLEISCH?

Heereman: WESTFLEISCH ist zur Zeit in gutem Fahrwas-ser, wozu ich ausdrücklich gratuliere. Selbstverständlichmuss die Genossenschaft auf die Kosten achten und alleChancen zur Rationalisierung nutzen. Schade, dass es mitder Fusion zwischen Nordfleisch und WESTFLEISCH nichtgeklappt hat. Ich hoffe, dass das letzte Wort darüber nochnicht gesprochen ist. Wirklich am Herzen liegt mir nochdies: Gut funktionierende Genossenschaften brauchen einqualifiziertes, kritisches und wirtschaftlich unabhängigesEhrenamt. Den Nachwuchs dafür müssen sie noch früherund gezielter fördern.

Page 36: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Heinrich Westhues; nach dessen Ausscheiden ist Dr. BerndCordes seit 1. September 1988 Personal- und Finanzvorstandder Genossenschaft.Eine Besonderheit hat WESTFLEISCH unter Führung von Dr.Trillhaas kultiviert und beibehalten, und das bewertet Gott-fried Brentrup, von 1982 bis 1995 ehrenamtlicher Vorstands-vorsitzender und seither Ehrenvorsitzender der Genossen-schaft, so: „Eine einflussreiche Einbindung praktischerLandwirte im Vorstand einer Vieh- und Fleischzentrale gibt esnur in Westfalen. Dadurch ist das ›Wir-Gefühl‹ zwischen Land-wirtschaft, Ehrenamt und Hauptamt sehr stark ausgeprägt.“

Lübbecke (seit 1962)

Coesfeld (seit 1972)

34

Hamm (seit 1980)

Paderborn (seit 1978)

Expansion Neue Bundesländer: Märkte ja, Standort nein.

WESTFLEISCH verfügt heute über vier moderne Fleischcenter:

1990 3. Oktober:Deutschland ist wiedervereinigt.

Page 37: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Als Dr. Helfried Giesen nach einem Jahr Einarbeitungszeit beiseinem Vorgänger Dr. Trillhaas zusammen mit seinem Vor-standskollegen Dr. Bernd Cordes am 1. Januar 1992 die Ver-antwortung bei WESTFLEISCH übernahm, wussten die Verant-wortlichen längst, was die Stunde geschlagen hatte. DieGenossenschaft hatte im Jahr zuvor zwar noch Geld verdient,war solide finanziert und hatte mit den vier Fleischcentern undder soeben begonnenen Convenience-Produktion im Ver-gleich zu vielen Wettbewerberngute Voraussetzungen. Aber:• Der europäische Binnenmarkt

war beschlossene Sache und dasführte wegen der harten DM undvielen weichen Währungenrundum dazu, dass die Nachbarnaus Dänemark oder den Nieder-landen ihre Fleischerzeugungvorzugsweise in Deutschland ver-kauften, während umgekehrtdeutsches Fleisch im Export erstdann wieder wettbewerbsfähigwurde, wenn Währungsaus-gleichsbeträge beschlossenwaren.

• Die seit Jahren in Deutschlandvorhandenen Überkapazitätenbei Schlachtanlagen wurdendurch Neubauten in den neuenBundesländern zusätzlich ver-größert, während längst erhoffteStilllegungen von Altanlagenimmer noch auf sich warten lie-ßen. Die Folgen: ein harter Wett-bewerb um den Rohstoff„Schlachttier“ mit Erzeugerprei-sen, die sich mit Fleischverkäufenam Binnenmarkt kaum mehrwieder holen ließen.

Mit Schlachten und Zerlegen sowie dem dazu passendenNutzviehhandel allein ließen sich auf Dauer kaum mehr dieGewinne erzielen, die notwendig waren, eine Genossenschaftim Markt wettbewerbsfähig zu halten.

Durststrecke früher und langwieriger alsbefürchtet

Und der „Durchhänger“ kam früher und durch Schweinepest-Ausbrüche in Holland und Nordwestdeutschland herber, als von vielen befürchtet. Die Genossenschaft schrieb von1993 bis 1998 – lediglich unterbrochen durch das Jahr 1996 –

rote Zahlen mit Jahresfehlbeträgen zwischen 1,8 und 7,8 Mio.DM.Dabei stieg der wertmäßige Umsatz zunächst beachtlich,zunächst von reichlich 1,5 Mrd. DM auf mehr als 1,8 Mrd. DM,und rutschte 1998 preisbereinigt auf knapp 1,6 Mrd. DM ab.Auch die Schlachtzahlen hatten sich gut entwickelt. So stiegdie Zahl der Schlachtkälber von 14.500 auf weit über 55.000,sodass WESTFLEISCH ein namhafter Kälberschlachter Deutsch-

lands geworden war.Auch bei Schweinenhatte man zulegenkönnen von gut 2,8Mio. auf fast 3,3 Mio.Stück. Lediglich beiden Rinderschlach-tungen ging es –auch strukturellbedingt – rückwärtsvon mehr als 293.000auf den Tiefpunkt von198.700 im Jahr 2000.Beim Fleischabsatzkonnte WESTFLEISCHzulegen von rd.320.000 t auf 413.000 tim Jahr 1998. Zu-wächse wurden auchverbucht beim Absatzvon Ferkeln, wo dieZahlen von 1,3 Mio.auf 1,6 Mio. stiegen,beim Verkauf vonJungsauen, derenZahlen von 45.000 aufweit über 65.000zunahmen, undschließlich auch bei

den Exporten, die in der Menge auf 48.800 t und im Erlös auf158 Mio. DM stiegen – ein Plus von jeweils rd. 50%!Die Unternehmensführung reagierte, wie das in solchen Fäl-len notwendig ist, mit einem Kostensenkungsprogramm undauch Einsparungen beim Personal und Rationalisierungen inder Verwaltung. So wurden beispielsweise die FleischcenterCoesfeld und Lübbecke bzw. die in Hamm und Paderbornerfolgreich zu jeweils einem Profit-Center zusammengefasst.

Zukunft bei SB-verpacktem Fleisch

Wichtig und nachhaltig wirkend war die 1995 getroffene stra-tegische Entscheidung: WESTFLEISCH erwirbt zunächst eine

35

1992 1. Januar: Dr. Giesen wird neuer WESTFLEISCH-Chef

Schlachten und Zerlegen reichen nicht mehr

1994 WESTFLEISCH öffnet sich fürEinzelmitglieder.

Page 38: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

36

Es war zweifellos ein Fortschritt, als WESTFLEISCH imNovember 1982 zunächst in Paderborn, später auch in den3 anderen Fleischcentern damit begann, die Schweine mitHilfe des dänischen Gerätes „Fat-O-Meater” nach „objekti-ven” Kriterien zu klassifizieren. Erprobungen in Zusammen-arbeit mit der Fachhochschule Lippe in Lemgo waren soerfolgreich gelaufen, dass die Genossenschaft als erstesUnternehmen bundesweit den Einstieg wagen konnte.Innerhalb weniger Jahre wurde diese Technik unter derdann geläufigen Bezeichnung „FOM-Gerät” nahezu zumStandardverfahren.

FOM-Gerät war Fortschritt

Dabei muss man wissen: Bis dahin wurden die Schlachthälf-ten von geschulten und vereidigten Sachverständigen sub-

jektiv in die HandelsklassenE bis IV eingereiht. Durch-aus fleischreiche Hälften,denen beispielsweise derausgeprägte „Kugelschin-ken“ fehlte, wurden häufigeine Klasse schlechterbewertet und entspre-chend pro Schwein um 20DM und mehr schwächerbezahlt. Bei dem FOM-Gerät hingegen werdenmittels Einstichsonde dasFleischmaß im Rücken-muskel und die Fettauf-lage darüber ermittelt, dasErgebnis mit Hilfe einerRechenformel im Compu-ter verarbeitet – und her-aus kommt der Muskel-fleischanteil.WESTFLEISCH hat, daraufaufbauend, ein Bezah-lungssystem entwickelt,wonach für jedes zusätzli-che Prozent Fleisch ober-halb von 52 % sich der

Preis um 5 Pfennig je Kilogramm erhöht, während er sichfür Fleischprozente unterhalb von 52 % um 6 Pfennig redu-ziert. Möglich wurde damit ein „gerechterer” Auszahlungs-preis ohne die ansonsten üblichen Preissprünge von Han-delsklasse zu Handelsklasse um 25 bis 30 Pfennig je

Kilogramm bei den damals üblichen Preisen von über 4 DMje kg. Trotz der Fortschritte gegenüber der subjektiven Klassifizie-rung hat sich beim FOM-Gerät über die Jahrzehnte einesgehalten: die leidige „Preismasken-Diskussion” – harte Ver-handlungen zwischen Erzeugern und Vermarktern alle paarMonate bzw. Jahre.

Auto-FOM zuverlässiger und bedienerunabhängig

Doch auch bei der Klassifizierung von Schweinehälftenbestätigt sich die alte Erfahrung: Das Bessere ist des GutenFeind. Das „Bessere” ist das Auto-FOM-Gerät, wie es WEST-FLEISCH – wiederum als bundesweit erstes Unternehmen –seit Januar 2000 zunächst im Fleischcenter Hamm und seitFrühjahr 2001 auch in allen anderen Fleischcentern einsetzt.Die Vorteile dieses Systems liegen auf der Hand:

1. Auto-FOM ermittelt den Muskelfleischanteil und denAnteil wertvoller Teilstücke bedienerunabhängig undsehr viel zuverlässiger als alle anderen bis dato verfüg-baren Methoden.

2. Das Bezahlungssystem nach Handelswert ist vom Ver-kaufserlös der wertvollen Teilstücke abgeleitet undmacht es möglich, Schweine gerechter zu bezahlen.

3. Die Punktbewertung der Teilstücke als Basis für denHandelswert – ähnlich wirkend wie die Preismaske beimFOM-Gerät – gilt bei WESTFLEISCH seit August 2000 prak-tisch unverändert.

4. Das eröffnet der Schweinezucht, der Fütterung unddem Management in der Mast die Möglichkeit, solcheSchweine zu erzeugen, die dank hoher Indexpunktebesonders gut bezahlt werden.

5. WESTFLEISCH-Vertragsbetriebe erhalten aktuell nachjeder Lieferung die notwendigen Einzeldaten, um sichan dieses Optimum herantasten zu können. Und diesenDatenabruf per Internet – den bietet bundesweit keinanderes Schlachtunternehmen.

Noch ist Auto-FOM unübertroffen

Förderrichtung

Messbügel

Halbschale

1,5 m 1,5 m

35 cmPlattenband

Schemazeichnung des Auto-FOM-Gerätes mit Einbauposition imSchlachtband.

Page 39: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Minderheitsbeteili-gung an der Westfa-lenLand-Fleischwa-ren OberkötterGmbH & Co KG, ver-bunden mit derOption, später wei-tere Anteile erwer-ben zu können. Dieführenden Köpfewaren davon über-zeugt, die Zukunftliege in SB-verpacktem Fleisch.Doch der Einstieg kostete Geld undverursachte zunächst erheblicheAnlaufverluste. Diese sind auchErklärung dafür, dass die „Durst-strecke“ im Ergebnis der Genos-senschaft nach der erstenerkennbaren Besserung 1996 inden beiden Folgejahren wiederdurchschlug.Dieser erneute Einbruch machte harte Konsequenzennotwendig: Das mit einem namhaften Fleischwarenherstellervorgesehene Joint-Venture mit einem 40 Mio. DM teurenNeubau für die Convenience-Produktion wurde gestoppt. Und das war gut so, denn bereits 1998 kam WESTFLEISCH mitder Nordfleisch ins Geschäft, sodass ein Neubau überflüssigwurde. Der Nordfleisch-Betrieb in Holzwickede, die FVZ Tief-kühlkost GmbH, hatte noch Produktionskapazitäten frei.WESTFLEISCH konnte eine Minderheitsbeteiligung mit 49 % andem jetzt in FVZ-WESTFOOD Convenience GmbH umbenann-ten Unternehmen erwerben. Diese Beteiligung und die Stillle-gung der früheren WESTFOOD kosteten zwar auch Geld, dochseither trägt Holzwickede regelmäßig mit einem positivenErgebnis zum Unternehmenserfolg bei.Noch positiver hat sich WestfalenLand entwickelt, an derWESTFLEISCH nach der Minderheit zunächst 75 % und im Jahr2002 auch die restlichen Anteile übernehmen konnte. Immer-hin gelang es WestfalenLand, zum Marktführer für zentralverpacktes SB-Frischfleisch zu werden, der 2002 mit einemAbsatz von 29.500 t die Vorjahresmenge um beachtliche 73 %und den Umsatz mit fast 150 Mio. € um gut 1/3 übertreffenkonnte.

Öffnung für Einzelmitglieder warrichtungsweisend

Eine wesentliche strukturelle Weichenstellung für die Erfolgevon WESTFLEISCH in der jüngeren Vergangenheit wurdeallerdings 1994 getroffen: „Einzelmitglieder – neues WEST-FLEISCH-Ziel“, so lautete die Schlagzeile im Landwirtschaft-

37

1995 Beteiligung an WestfalenLand

1998 WESTFOOD in Holzwickede

WestfalenLand: heute Marktführer beizentral verpacktem SB-Frischfleisch.

WESTFOOD: den Trend für „bequeme Produkte“ frühzeitig erkannt.

Page 40: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

lichen Wochenblatt damals. Bei einer außerordentlichen Ge-neralversammlung wurde die dafür notwendige Satzungsän-derung bei nur einer Gegenstimme angenommen.Die in Haupt- und Ehrenamt Verantwortlichen hatten festge-stellt, es gebe in Westfalen-Lippe zwar noch 30 Primärgenos-senschaften, die mit ihrer Zentrale WESTFLEISCH zusammen-arbeiten. Doch über diese Schiene bezog das Unternehmenlediglich 25 % der Schweine und 15 % des Großviehs. Überdiesgab es ganze Regionen ohne Primärgenossenschaften alsPartner für WESTFLEISCH.Die Öffnung für Einzelmitglieder hatte drei klare Ziele:1. Die Mitgliedschaft

soll exklusiv jenenBetrieben eröffnetwerden, die sich fürdie Erzeugung vonSchweine- und Rind-fleisch vertraglich andie Genossenschaftbinden.

2. Die Landwirte sollensich als Mitgliedernoch stärker mit derWESTFLEISCH undderen Zielen identifi-zieren.

3. Es soll zusätzliches Eigenkapital beschafft und damit dieStellung der Genossenschaften gegenüber Kreditgeberngestärkt werden.

Überlegungen, die Zentralgenossenschaft solle sich Einzelmit-gliedern gegenüber öffnen, hat es übrigens bereits in den30er, den 50er und den 60er Jahren gegeben, wie Vorstands-protokolle belegen. Mit Nachdruck verfolgt hat sie indesoffenbar vor 1994 niemand.

Bei drei Zielen Treffer ins Schwarze

Ohne Entgegenkommen den Alteigentümern gegenüber,den Primärgenossenschaften nämlich, hätten diese kaum dennotwendigen Satzungsänderungen zustimmen können. Sogilt fortan, dass dem Vorstand mindestens ein ehrenamtli-

ches Mitglied angehörenmuss, das ein Vorstands-bzw. Aufsichtsrats-Mandateiner Mitgliedsgenossen-schaft hat. Im zwölfköpfi-gen Aufsichtsrat, von demvier Mitglieder Vertreter derArbeitnehmer sind, müssenvon den restlichen achtmindestens fünf MitgliederOrganmitglieder oder Ge-schäftsführer von Mitglieds-genossenschaften sein.Und schließlich: Die Ge-

schäftsguthaben der Mitgliedsgenossenschaften werden miteiner Vorzugsdividende von 2 % bedient.Wie sich inzwischen längst bestätigt hat, wurden die ange-peilten Ziele voll getroffen. So stiegen die Mitgliederzahlen

38

So kommentierte die Presse: Karikatur in der Lebensmittel-ZeitungNovember 2002.

Schlagzeile: Info für Landwirte im August 2001

2001 Auto-FOMin allen Fleischcentern

2000 24. November:BSE in Deutschland

Fleisch-Fusion scheitert am GeldWeil der Bankenpool die notwendigen Voraussetzungennicht voll erfüllen wollte oder konnte, war ein Stopp des Vorhabens nur konsequent. Keines der Unterneh-men hat eine Tür zugeschlagen ...

Lebensmittel-Zeitung November 2002

Page 41: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

zunächst bis 1998 noch ein wenig zögerlich auf 718, dochseither geht es sprunghaft aufwärts: 2.197 Mitglieder zählteman im Jahr 2000, Ende letzten Jahres waren es 3.251. Unddie Landwirte identifizieren sich mit „ihrer WESTFLEISCH“,denn die Geschäftsguthaben steigen beständig, sie hatten amJahresende 2002 fast 9,4 Mio. € erreicht. Mit einer derzeitigenEigenkapitalquote von 22,3 % liegt WESTFLEISCH deutlich überdem Branchendurchschnitt und ist dem Ziel von35 % beträchtlich näher gekommen.

Fusion gescheitert

Ein anderes Vorhaben der Genossenschaft kamnicht zustande, vorerst jedenfalls: dasZusammengehen der beiden genossenschaft-lichen Fleischvermarkter WESTFLEISCH und Nord-fleisch. Gespräche hatte es zwar seit 1994 wieder-holt gegeben. Im Mai 2002 kam dann dieLebensmittelzeitung mit der Schlagzeile „EndlichMut zur Fusion“, nachdem die Gremien beider Unternehmengrünes Licht gegeben hatten. Geplant war damals eine Fusion„auf gleicher Augenhöhe“ mit Start vom 1. Januar 2003, fürdie jedoch vier Voraussetzungen hätten erfüllt sein müssen:

• 50 % zu 50 % Anteil in Kapital, Stimmrecht und Gewinnver-teilung

• umfassende Forderungsverzichte des Bankenpools gegen-über Nordfleisch

• sinnvolle Finanzierungsstruktur auf Basis der Kreditlinienaller Banken

• Kapitalzufluss zum Start und Eigenkapitalbildung in bäuer-licher Hand für die weitere Zukunft

Wieder ertragsstark und dividendenfähig

Kaum ein Ereignis in der jüngeren Vergangenheit hat Land-und Fleischwirtschaft derart erschüttert wie das, was am24. November 2000 geschah: Der erste Fall von BSE in

Deutschland wurde amtlich bestätigt. Die Nachfrage nachRindfleisch brach so stark ein, dass auch die WESTFLEISCH nurnoch jeden zweiten Tag und nach Bedarf Rinder schlachtete.Die seither geltenden rechtlichen Bestimmungen, wonachBSE-Tests vorgeschrieben und die Entsorgung von Neben-und Abfallprodukten eine teure Angelegenheit geblieben

sind, haben die Kalkulationsbasis für alle Unternehmen derFleischbranche verändert.WESTFLEISCH hat auf den BSE-Schock auf vielfältige Art rea-giert: Der Aufbau integrierter Qualitäts- und Herkunftssiche-rungssysteme bei Rind und Schwein wurde komplettiert, wasmit der „Havichhorster Deklaration“ am 29. März 2001 doku-mentiert wurde, als TRANSPARIND den ersten Auftritt am

39

2001 29. März:Havichhorster Deklaration

2002 November: Fusion mit Nordfleisch gescheitert

24. November 2000

Erster BSE-Fall in Deutschland!

Qualität und Sicherheitfür Lebensmittel

Mit den Qualitätsfleischprogrammen für Rind und Schwein hat WESTFLEISCH frühzeitig die Voraussetzungen für den Start unter QS geschaffen.

Als bundesweit erstes Unternehmen bietet WESTFLEISCHtagesaktuell den Abruf von Schlachtdaten per Internet.

Page 42: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Markt bekam. Während der zweiten Jahreshälfte folgte dasProgramm BESTSCHWEIN.Die Vorarbeiten dafür waren allerdings längst erfolgt, undzwar einerseits durch Kooperationsverträge mit Landwirtenfür die Erzeugung von Rind- und Schweinefleisch, fernerdurch die Zertifizierung aller WESTFLEISCH-Betriebe ein-schließlich der Zentralverwaltung nach ISO-Normen.Entsprechend konnte WESTFLEISCH Schrittmacher bei derMarkteinführung von Rind- und Schweinefleisch unter demQS-Label sein: Anfang März 2003 hatten 1.302 Schweinemäs-ter mit einer Jahreserzeugung von 2,18 Mio. Schlachttiereneinen BESTSCHWEIN-Vertrag mit WESTFLEISCH abgeschlossen,ferner erzeugen 1.350 Landwirte mit TRANSPARIND-Verträgenjährlich über 100.000 Rinder nach QS-Bedingungen. Und dieMehrzahl dieser Betriebe hat die vorgeschriebenen Betriebs-Audits bereits erfolgreich abgeschlossen.Doch in der damals akuten Krise, als die Rindfleisch-Nachfragevöllig am Boden lag, konnte WESTFLEISCH Chancen nutzen:Einerseits gelang es, mehr als 20 % der erzeugten Fleisch-mengen zu exportieren, andererseits gelang es durch dieGründung der WESTFLEISCH-Poultry GmbH zum 1. April 2001,den Stammkunden im Rotfleischbereich ein durch Geflügel-fleisch abgerundetes Sortiment anzubieten.Dies und etliche andere Maßnahmen wie strategische Allian-zen mit anderen Unternehmen haben geholfen, der WEST-FLEISCH wieder zu Ertragsstärke zu verhelfen und die Genos-senschaft dividendenfähig zu machen.

40

Dienstleister für Rohstoff-Beschaffung.

Kümmert sich um das, was nicht als Fleisch vermarktet werden kann.

Seit April 2001 die Spezialisten für Weissfleisch in der Unternehmensgruppe.

Page 43: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

41

... im Vorstand der WESTFLEISCH eG:

Gerhard Meloh, Landwirt, Vorsitzender

Heinz Horstmann, Landwirt, stv. Vorsitzender

Dirk Niederstucke, Landwirt

Dr. Bernd Cordes, zugleich Geschäftsführung

Dr. Helfried Giesen, zugleich Geschäftsführung

... im Aufsichtsrat der WESTFLEISCH eG:

Heinz Westkämper, Landwirt, Vorsitzender

Friedrich-Karl Haumann, Landwirt, stv. Vorsitzender

Eleonore Finke, Arbeitnehmervertreterin

Hans-Günther Gerding, Arbeitnehmervertreter

Norbert Hardt, Landwirt

Klaus Kortenbusch, Geschäftsführer

Josef Lehmenkühler, Landwirt

Claus Mühlenkamp, Arbeitnehmervertreter

Dirk Niederstucke, Landwirt

Peter Pieckenbrock, Landwirt

Christiane Renneke-Uhe, Arbeitnehmervertreterin

Dr. Robert Thiemann, Landwirt

Martin Wesselmann, Geschäftsführer

... im Vorstand der WESTFLEISCH FINANZ AG:

Gerhard Meloh, Rheda-Wiedenbrück

Hermann Sanders, Münster

... im Aufsichtsrat der WESTFLEISCH FINANZ AG:

Klaus Josef Happe, Landwirt, Vorsitzender

Bernhard Kleickmann, Landwirt, stv. Vorsitzender

Karl-Heinz Becker, Landwirt

Dr. Bernd Cordes, Mitglied des Vorstands der WESTFLEISCH eG

Josef Cremann, Landwirt

Werner Gehring, Hauptgeschäftsführer des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes e.V.

Josef Klein-Heßling, Landwirt

Bernhard Langehaneberg, Landwirt

Hermann Laurenz, Landwirt

Alfons Mühlenschulte, Landwirt

Dr. Manfred Niclas, Vorsitzender des Vorstands der RCG Nordwest eG

Peter Pieckenbrock, Landwirt

Helmut Frhr. von Vittinghoff, genannt Schell-Steven, Landwirt

Johannes Schultejann, Landwirt

Karl-Heinz Schulze zur Wiesch, Landwirt

Werner Seeger, Landwirt

Karl-Wilhelm Steinmann, Landwirt

Ludger Streyl, Landwirt

Eckard Uhlenberg, Landwirt

Manfred Vogd, Geschäftsführer der VVG Sintfeld-Sauerland eG

Die Unternehmensführung im Jubiläumsjahr

Seit Mai 1979 ist WESTFLEISCH entsprechend demBetriebsverfassungsgesetz mitbestimmungspflichtig.Dazu schlagen die Betriebsräte der einzelnen Geschäfts-stellen und der Zentralverwaltung, die zwischen fünf undneun Mitglieder zählen, Kandidaten zur Wahl in den Auf-sichtsrat vor. Alle seit 1979 so gewählten Arbeitnehmer-vertreter im Aufsichtsrat waren bzw. sind WESTFLEISCH-Mitarbeiter, also nicht gewerkschaftlich delegiert. DieMitarbeiterzahl 1979 betrug 804.

Arbeitnehmermitbestimmungseit 1979

Page 44: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

42

(in alphabetischer Reihenfolge) Aufsichtsratsvorsitz Vorstand

Gustav Adolf Baade, Bethel Dezember 1932 bis März 1946 (Vors.)

Clemens Baumeister, Hohenholte 1937/38

Heinrich Becker, Stemwede 1982 bis 1993

Karl Bewerunge, MdB, Schalksmühle 1966 bis 1976 (Vors.)

Franz-Josef Böckenförde, Oelde 1974 bis 1977

Ferdinand Borgmann, Wadersloh März 1946 bis Januar 1969

Franz Bornefeld-Ettmann, Wadersloh Dezember 1928 bis Mai 1933 bis Mai 1958

Gottfried Brentrup, Selm 1977 bis 1995 (Vors. ab 1982), heute: Ehrenvorsitzender

Tierzuchtdirektor Brüning, Münster Dezember 1932 bis *

Dr. Bernd Cordes, Senden seit September 1988, Geschäftsführung

Dr. August Deckwitz, Münster Oktober 1949 bis Dezember 1969, Geschäftsführung

Wilhelm Freitag, Paderborn Juli 1967 bis 1976

Dr. Helfried Giesen, Münster seit Januar 1991, Geschäftsführung

Heinrich Göckenjan, Burgsteinfurt Mai 1933 bis 1946

Fritz Hollmann, Bittingen Juni 1956 bis 1966

Heinz Horstmann, Sendenhorst seit Juni 1993

Freiherr von Kanne Mai 1933 bis 1937

Gustav Kirchhoff, Versmold Gründung Oktober 1928bis 1932 (Vors.)

Josef Lehmenkühler, Geseke 1977 bis 1986

Gerhard Meloh, Rheda-Wiedenbrück April 1986 bis Juni 1995 1979 bis 1986

Fritz Mehrhoff, Neuenkirchen ab Dezember 1928

Dirk Niederstucke, Hille-Rothenuffeln seit Juni 2002

Staatsminister Gustav Niermann, Wehdem Mai 1958 bis 1960

Wilhelm Otto, Erlinghausen März 1946 bis Juni 1956

Friedrich Pollert, Destel *

Friedrich Potthoff, Peckeloh ab Dezember 1928

Franz Rohmann, Münster 1937/38 *

* Aufzeichnungen z.T. nicht vollständig/lesbar/nachvollziehbar

Vorstände und Aufsichtsratsvorsitzende der WESTFLEISCH eG im Überblick*

Page 45: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

43

Vorstände und Aufsichtsratsvorsitzende der WESTFLEISCH FINANZ AG im Überblick

(in alphabetischer Reihenfolge) Aufsichtsratsvorsitz Vorstand

Gottfried Brentrup, Selm Juni 1981 bis Juli 1995

Dipl.-Kaufm. Karl-Joseph Gebauer bis Juli 1997

Klaus Josef Happe, Rüthen seit Juni 1996

Erich Lutter, Laer Juli 1997 bis Juni 2000

Gerhard Meloh, Rheda-Wiedenbrück seit Juli 1995

Dipl.-Kaufm. Hermann Sanders, Münster seit Juni 2000

Dr. Johannes Trillhaas, Münster bis Juni 1981

Gottfried Freiherr von Twickel Juni 1982 bis Juni 1996

Andreas Vormberg bis Juni 1982

(in alphabetischer Reihenfolge) Aufsichtsratsvorsitz Vorstand

Bernhard Rotthege, Everswinkel März 1946 bis 1974 (Vors.)

Dr. Hubert Schulze Aussel, Münster Gründung Oktober 1928

Franz Schulze Isfort, Altenberge 1937 bis März 1946

Heinrich Schumacher, Oppendorf Nov. 1962 bis 1970

Dr. Ferdinand Graf von Spee, Schloss Ahausen 1966–1974

Heinrich Spliethoff, Lette 1986 bis 2002

Dr. Johannes Trillhaas, Münster Januar 1969 bis Dezember 1992,Geschäftsführung

Alex Vogelsang, Altenberge Gründung bis Dezember 1928 Dezember 1928 bis 1932

Andreas Vormberg, Neuengeseke November 1969 bis 1982

Dr. Weddige, Rheine Mai 1933 bis *

Karl Werdes, Plettenberg 1937/38 *

Heinrich Westhues, Telgte März 1982 bis Juli 1988

Heinz Westkämper, Paderborn seit Juni 1995

Page 46: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

44

Im Jubiläumsjahr 2003, 75 Jahre nach Gründung derGenossenschaft, haben Vorstand und Aufsichtsrat derWESTFLEISCH ihre Vorstellungen dazu entwickelt, wiedas Unternehmen bis zum Jahr 2010 den zu erwartendenHerausforderungen entsprechend gestaltet werden soll.

Die 10 Thesen der „Vision WESTFLEISCH 2010”:

1Fortschreitende Globalisierung und zunehmendeKonzentration auf allen Handelsstufen verlangennüchterne Marktanalysen und betriebswirtschaft-lich konsequentes Agieren.

Die Entwicklung der WESTFLEISCH, aber auch ihrer landwirt-schaftlichen Erzeugerbetriebe und Kundenstruktur im Lebens-mittelhandel und in der Fleischwarenindustrie, ist geprägtdurch unternehmerisch ausgerichtetes Handeln, einen Trendzunehmender Konzentration auf allen Stufen, zu internationalerweiterten Handelsbeziehungen und daher weiter speziali-sierten Produktionseinheiten mit möglichst hoher Kosteneffi-zienz. Nicht Einfluss von Agrar- und Umweltpolitik, nicht kurz-fristige Krisenszenarien, sondern nüchterne Orientierung anden Marktentwicklungen und Regeln der Betriebswirtschaftsind die wichtigen Leitlinien für die Zukunft.

2Die Marktdurchdringung mit zentral verpacktemSB-Frischfleisch wird zu einem scharfen Wandelüber alle Stufen der Fleischerzeugung und desFleischhandels führen.

EU-weit wird sich der Einfluss sehr weniger Handelsketten(TOP 10) weiter durchsetzen. Supermärkte verlieren gegenü-ber einem Teil der Großfläche und diskontierenden Formendes LEH weiter an Boden. Der Facheinzelhandel ist in be-sonderer Weise von dem Strukturwandel betroffen. SB-Frischfleisch eröffnet den Discountern durch Verbreiterungihres Frischesortiments zunehmende Marktanteile underhöht den Preisdruck auf die Lieferanten und ihre Vorstufen.Eigene Fleischwerke des Handels werden sich dem härterwerdenden Wettbewerb mit der Industrie stellen müssen.Beschaffungsmärkte im Internet (Warenbörsen) führen zuglobalerem Wettbewerb.Bei allem Preisdruck werden namhafte HandelsunternehmenSystemlieferanten für Frischfleisch nutzen, die große Mengenin standardisierter Qualität auch in längerfristig vereinbartenPreismodellen liefern können.Zur Profilierung seines Sortiments wird der LEH dabei, vielfachauf Eigenmarken gestützt, auf glaubwürdige und auditierte

Hersteller-Aussagen setzen. Das QS-Logo wird zu einer Stan-dard-Norm im Rahmen der Initiative für Global Food Safety(IFS) bzw. EUREP-GAP.Für Fleischvermarkter werden sich im Einzelfall Chancen ent-wickeln, mit scannergeführter ECR (Efficient ConsumerResponse) in das Category-Management von Frischfleischund damit direkter in die Umsatzverantwortung mit demEndverbraucher zu wachsen.

3Die Unternehmensgruppe wird sich in der durchwenige Verbundsysteme bestimmten europäi-schen Fleischwirtschaft als vertikal integrierterFleischvermarkter mit hoher regionaler Verdich-tung entfalten.

Die Struktur der europäischen Fleischwirtschaft wird durchden Exportdruck weniger Mitgliedsstaaten (Dänemark,Niederlande) geprägt. Zukünftig werden 3 bis 5 internationaleVerbundsysteme (Danish Crown/Swedish Meats, BestMeat mitMoksel/Dumeco, Inalca, ABC in Frankreich u. a.) dominieren.Die genossenschaftlichen Fleischzentralen in Deutschland ha-ben bis 2010 die Chance, zu einem Verbund zusammenzu-wachsen; zwingend notwendig ist dafür auch die Verfügbar-keit von durch bäuerliche Betriebe gestelltem Eigenkapital fürdie Fleischwirtschaft. WESTFLEISCH wird sich dabei als vertikal integrierterFleischvermarkter mit hoher regionaler Verdichtungentfalten. Gelegenheit zu Akquisition und damit zur Verbreitung unse-res Marktauftritts mit tieferer Wertschöpfung bietet der sichabzeichnende rege Strukturwandel der deutschen, zumeist inFamilienhand befindlichen Fleischwarenindustrie. 2010 wer-den etwa 10 sich herauskristallisierende Unternehmen denMarkt für Fleischwaren und Wurst in Deutschland zu etwa75 % bestimmen.

4Die Veredelungswirtschaft in Westfalen-Lippebraucht vollständig integrierte Produktions-systeme und unternehmerisch denkende undhandelnde Landwirte, um sich behaupten undentwickeln zu können.

Die europäische Reform der gemeinsamen Agrarpolitik nachdem „Mid Term Review” wird die unternehmerische Rolle derlandwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe in der Region stär-ken. Die zukunftsorientierten Erzeugerbetriebe werdenwachsen (bis 2010 z. B. Verdoppelung der Jahresproduktion

Vision WESTFLEISCH 2010

Page 47: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

45

bei Schlachtschweinen) und sich in effektiven Produktionsket-ten vertraglich organisieren. Westfalen-Lippe wird daher alstypische Veredelungs-Region gute Chancen haben, dassregionale Schlachtvolumen von rund 10 Mio. Schlachtschwei-nen knapp zu halten. Die Rindfleischproduktion der Regionwird infolge der Agrarreform (Entkopplung Rinderprämie,Milchquotenabbau) um 25 % bis 30 % sinken. In den Produk-tionsverfahren werden sich die Landwirte mit den gesell-schaftlichen Anspruchsnormen an Qualität und Sicherheit,Tierschutz, Bestands- und Fleischhygiene auseinander setzenmüssen, dabei finden sie neue Formen von Verbund-unternehmen verschiedener Betriebszweige.Vollständig integrierte Produktionssysteme mit einer dynami-schen Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarungen (überRechte und Pflichten aller Beteiligten vom Stall bis zur Theke)werden unerlässlich. Sie eröffnen den landwirtschaftlichenErzeugern Absatzgarantien mit deutlicher Wertschöpfung ingenossenschaftlich verankerter Vermarktung von Nutz- undSchlachtvieh sowie Fleisch. Der Systemwettbewerb trittzukünftig in den Vordergrund.

5Ein Exportanteil von 15 % bis 25 % sichert eine ge-sunde Basis auf dem sich in Qualität und Frische-anforderungen den nationalen Ansprüchenanpassenden internationalen Märkten.

Die EU-Osterweiterung wird in der nächsten Dekade infolgesich in den Beitrittsländern, aber auch insbesondere in Russ-land erst langsam erholender Viehbestände Exportchancenoffen halten. Ein möglicher Stopp der Lebendviehexporte ausder EU ins Drittland wird das Schlachtaufkommen von Groß-vieh in Deutschland gegen den Rückwärtstrend der hiesigenRindviehhaltung stabilisieren. Ein neues Welthandelsabkom-men der WTO setzt neue Eckpfeiler für das Drittlandhandels-geschäft.Das differenzierte Warenprofil der Export-Kunden nähert sichsehr den hohen Qualitäts- und Frischeanforderungen inländi-scher Kunden an. Der typische Exportkunde wandelt sich:Nicht mehr der Fleischgroßhändler, sondern der Direktkontaktzum Herstellungsbetrieb für Fleischwaren und die internatio-nale Handelskette mit ihrem zunehmenden Frischebedarf ste-hen im Vordergrund. Der Exportanteil von WESTFLEISCH wirdsich flexibel zwischen 15 % und 25 % auch aus der Wechsel-haftigkeit der Handelsmärkte und Importe ergeben.

6Produktivitätssteigerung und Kosteneffizienzsind nur mit modernster Technik, verbesserterAblauforganisation und einem dichten Netzwerkvon Dienstleistern und Allianzen zu erreichen.

Schlüssel für die zukünftige Wettbewerbsposition ist die Mit-arbeiterproduktivität, auch im Rahmen effizienter Personal-organisation. Der Trend zu weiterer Automatisierung der Arbeitsabläufe inSchlachtung und Zerlegung wird durch europäische Bench-marks in Horsens/Dänemark und Boxtel/Niederlande mitneuen „Turbobetrieben“ beschleunigt. Sich bewährendentechnischen Fortschritt wollen wir nutzen. VerbesserteAblauforganisation in unseren bestehenden Produktions-standorten und Arbeitsvorbereitung wie in Industriebetriebenbleiben Pflicht.Die Arbeitserledigung vollzieht sich mehr und mehr miteinem Netz von auditierten Dienstleistungsunternehmen underlaubt WESTFLEISCH, sich auf Kernkompetenzen der Pla-nung, Steuerung und Kontrolle des operativen Geschehenszu konzentrieren; das setzt aber verantwortungsvolle, gutmotivierte und besser qualifizierte Mitarbeiter in vielen Posi-tionen voraus. Die Beschäftigtenzahl bei WESTFLEISCH wirddaher, relativ gesehen kleiner, das Dienstleister- und Allianz-netz wird dichter.Geeignete Maßnahmen unseres Qualitätsmanagements stüt-zen daher das notwendig hohe und nachhaltige Qualitätszielunserer Produktion einschließlich professionellen Krisenma-nagements zur Bewältigung möglicher Vorfälle einer Le-bensmittelgefährdung.Umwelt-Audits (ISO 14001) unserer Betriebe ergänzen unserQualitätsmanagement. Breite Mitarbeiterinformation wirdgesichert durch Intranet-Zugriff an jedem Arbeitsplatz. DieDatawarehouse-Struktur wird ausgebaut und dient verbesser-ter Steuerung des Unternehmens vom Lieferanten bis zumKunden.

7Funktionierende Vertragssysteme sind die Grund-lage für einen verantwortungsbewussten Einkaufvon Nutz- und Schlachttieren und lassen die Mit-glieder als Vertragspartner an der Wertschöpfungteilhaben.

Landwirtschaftliche Erzeuger sind als unternehmerische Lie-feranten und Anteilseigner Träger des Unternehmens. Bonus-Systeme lassen Vertragspartner an der Wertschöpfung teilha-ben und erhöhen die Eigenkapitalquote durch Anwerbungweiteren Gesellschafterkapitals.Die Produktbewertung der Schlachtkörper erfolgt automati-siert (Schwein/Großvieh) und stellt wichtige Produktionshin-weise zur Optimierung der landwirtschaftlichen Erzeugungsicher.Die traditionelle Fleischbeschau wird vorverlegt in den Stalldes Landwirtes und seinen Umgang mit dem Hoftierarzt. Am

Page 48: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

46

Schlacht- und Zerlegeband begleiten unternehmensinterneQualitätskontrollen das Produkt.Mit gegenseitigen Jahresübereinkünften ordnet WESTFLEISCHmit Erzeugerorganisationen (Mitgliedsgenossenschaften) undanderen überbetrieblichen Einsendern die jährlichenMengenvorgaben und Qualitätsziele sowie den Tiertransport.Das Nutzviehgeschäft wird integraler Bestandteil desUmgangs mit Erzeugerbetrieben. Die wirtschaftliche Bedeu-tung der Ferkelerzeugung und Fresseraufzucht steigt. Dabeinimmt WESTFLEISCH zunehmend Einfluss auf die genetischeDisposition der tierischen Erzeugung, um Anforderungen deraufnehmenden Märkte in die Produktionskette einzuführen,z. B. Markerselektion auf Fleischbeschaffenheit.

8Kundenzufriedenheit als oberstes Unterneh-mensziel wird nur durch ein verbessertes Schnitt-stellenmanagement zum Kunden und ein durchalle Produkte und Dienstleistungen erlebbaresEinlösen des Qualitätsversprechens erreichbar.

Der Kunde bleibt wichtigster Bezugspunkt des Unterneh-mens. Kundenzufriedenheit ist oberstes Unternehmensziel.Die Konzentration auf der Abnehmerseite wird die bisherigebreite Kundenstreuung verengen, jedoch mit max. 20 % un-seres Umsatzes bei Einzelkunden im Risiko begrenzt werdenkönnen.Alle Produkte unserer Betriebe leisten ihren Beitrag zumUnternehmenserfolg, wenn sie den richtigen Kunden errei-chen.Die Belieferung von Eigenmarken des Handels mit geeignetenRohstoffen wird ergänzt durch einen eigenen Marktauftritteiner Herstellermarke, deren Bedeutung mit zunehmendemVerpackungs- und Convenience-Grad zunimmt.Durch enges Schnittstellenmanagement zwischen WEST-FLEISCH und unseren Kunden profitieren wir von zunehmen-der Kundennähe. Der Verbrauchstrend zu höherem Bedarf anTeilportionierungen und Hackfleischzubereitungen vermin-dert relativ die Bedeutung der Edelteile. So erreicht der Hack-fleischabsatz mehr als 50 % in diskontierenden Vertriebs-schienen. In Verarbeitungsbetrieben begleiten wir den Trendzu füllfertigen Compounds, gepökelten Rohstoffen/Kasslerund anderen Halbfertig-Produkten.

9Die Steigerung der Profitabilität des Unterneh-mens ist mit einer intensiveren Auslastung be-stehender Produktionsmöglichkeiten sowie geeig-neten Akquisitionen zum Ausbau von Sortiments-breite und -tiefe zu erreichen.

Die alleinige Größe des Unternehmens ist kein Ziel derZukunft, sondern nur die nachhaltige Profitabilität. Die Nut-zung unserer Produktionskapazitäten in Schlachtung und Zer-legung führt uns schrittweise und auf Sicht bis 2010 zu einersystematischen 2-Schicht-Organisation nahezu sämtlicherWESTFLEISCH-Produktionsstandorte.Die Verbreiterung unseres Marktauftritts mit Produkten tiefe-rer Wertschöpfung lässt sich außer durch internen Ausbauunseres Sortiments (z. B. Poultry) durch geeignete Akquisitio-nen der Unternehmensgruppe fördern, z. B. solche, die imklassischen Bereich der Fleischwarenherstellung, in RichtungFrische- und TK-Convenience und Handelsgeschäfte (natio-nal/international) aber auch im Bereich der Nebenpro-duktveredelung (Petfood/Aufarbeitung von Knochen/Fett)ihren Niederschlag finden kann. Gezielte Investments zur Ver-breiterung der Unternehmensgruppe zielen auf die weiterevertikale Integration unseres gesamten Produkti-onsbereiches.

10Zur Verbesserung von Eigenkapitalquoteund Liquidität und zur Steigerung derAttraktivität für strategische Allianzen undBeteiligungen scheint eine Wandlung derRechtsform, in der genossenschaftstypischweiterhin landwirtschaftliche AnteilseignerMehrheitsführer bleiben, sinnvoll.

Die Bildung von Eigenkapital (> 35 % der Bilanzsumme) undausreichender Liquidität, ist der Schlüssel zur Umsetzungeiner eigenständigen WESTFLEISCH-Strategie: „Cash is king!”(Reischl-Zitat).Um die Finanzierung der Unternehmensentwicklung zubegleiten, ist eine Wandlung der Rechtsform unserer Genos-senschaft (eG), z. B. in eine Aktiengesellschaft (AG), oder eineAusgliederung des operativen Geschäfts in eine Kapitalgesell-schaft, z. B. eine GmbH, sinnvoll. Nur über geeignete „Andockstellen” lässt sich mit bisher ineiner anderen als der eG-Rechtsform betriebenen Unter-nehmen eine strategische Allianz nicht nur als Minderheits-oder Mehrheits-, sondern auch als Überkreuzbeteiligungumsetzen. Dabei streben wir eine ausgestaltete, genossen-schaftstypische Rechtsform an, in der landwirtschaftlicheAnteilseigner direkt und über ihre Gremienvertreter Mehr-heitsführer bleiben.Die WESTFLEISCH Finanz AG bleibt wichtiges und attraktivesBindeglied zur Finanzierung der Unternehmensgruppe durchdem Unternehmen nahestehende Personengruppen ausdem Bereich der Wirtschaft, ihrer Volks- und Raiffeisenban-ken, den Viehlieferanten und den engagierten Mitarbeitern.

Page 49: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

47

Schlachtkälber-Vermarktung in Stück*

75 Jahre WESTFLEISCH in Zahlen

Gesamtumsatz in Mark/RM/DM*

Schlachtrinder-Vermarktung in Stück*

Schlachtschweine-Vermarktung in Stück*

* Aufzeichnungen z.T. nicht vollständig/lesbar/nachvollziehbar

Page 50: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

48

80.000

60.000

40.000

20.000

0

1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Nutzviehvermarktung Kalb in Stück*

* Aufzeichnungen z.T. nicht vollständig/lesbar/nachvollziehbar

1.600.000

1.200.000

800.000

400.000

0

1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Nutzviehvermarktung Ferkel in Stück*

80.000

60.000

40.000

20.000

0

1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Nutzviehvermarktung Sau in Stück*

Page 51: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

Quellen

Als Quellen für diese Chronik wurden u.a. verwandt:• „Geschichte der Westfälischen Genossenschaften“, herausgegeben 1989 von

Dr. Dr. J. Ziranka anlässlich des 100jährigen Bestehens des WestfälischenGenossenschaftsverbandes

• „Die stille Revolution auf dem Lande“ von Helene Albers, LandwirtschaftskammerWestfalen-Lippe, 1999

• Prüfungsberichte Deutscher Raiffeisenverband e.V. (bzw. Vorgänger), Bonn,1938–1962

• Vorstandsprotokolle 1928 bis 1960• Geschäftsberichte 1951 bis 2002• VFZ-Brief / Info für Landwirte 1969 bis 2003

Danke

Danke allen „Zeitzeugen“ für die – oft tiefgründigen – Gespräche und Interviewssowie den zahlreichen „Ehemaligen“ und „Noch-Aktiven“ der WESTFLEISCH, die durchdie Bereitstellung von Bildmaterial und Dokumenten die Entstehung dieser Chronikermöglicht haben.

Vielen Dank außerdem• dem Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe, Münster• der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe, Münster• dem Westfälischen Landesmedienzentrum des Landschaftsverbandes Westfalen-

Lippe, Münster• der Volkskundlichen Kommission für Westfalen, Münster• dem Stadtarchiv der Stadt Münster, und• dem Amt für Rheinische Landeskunde des Landschaftsverbandes Rheinland, Bonn,deren Archive, Bestände und Sammlungen wertvolle Beiträge lieferten.

Impressum

WESTFLEISCH eGBrockhoffstraße 11 · 48143 MünsterTel. (02 51) 4 93-0 · Fax (02 51) 4 93-2 89eMail: [email protected]

Für den Inhalt verantwortlich: Dr. Helfried GiesenRedaktion/Texte: Dr. Bernhard HaasKonzept/Koordination: Meinhard BornRealisation: Greb & Friends GmbH

Münster, Juni 2003

Page 52: 1928 –2003 Fleischvermarktung zwischen Wachstum und Wandel · 5 Den Gründungsvätern der heutigen WESTFLEISCH eG muss man im Nachhinein Weitsicht bescheini-gen, als sie am 19

WESTFLEISCH eGBrockhoffstraße 11 · 48143 Münster

Tel. (02 51) 4 93-0 · Fax (02 51) 4 93-2 89eMail: [email protected] · www.westfleisch.de